Nietzsche, Friedrich - Di...
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"Nur wenn du bereuest, ist Gott dir gnädig" − das ist einem Griechen ein Gelächter und ein<br />
Aergerniss: er würde sagen "so mögen Sclaven empfinden". Hier ist ein Mächtiger,<br />
Uebermächtiger und doch Rachelustiger vorausgesetzt: seine Macht ist so gross, dass ihm<br />
ein Schaden überhaupt nicht zugefügt werden kann, ausser in dem Puncte der Ehre. Jede<br />
Sünde ist eine Respects−Verletzung, ein crimen laesae majestatis divinae − und Nichts<br />
weiter! Zerknirschung, Entwürdigung, Sich−im−Staube−wälzen − das ist die erste und<br />
letzte Bedingung, an die seine Gnade sich knüpft: Wiederherstellung also seiner göttlichen<br />
Ehre! Ob mit der Sünde sonst Schaden gestiftet wird, ob ein tiefes wachsendes Unheil mit<br />
ihr gepflanzt ist, das einen Menschen nach dem andern wie eine Krankheit fasst und würgt<br />
− das lässt diesen ehrsüchtigen Orientalen im Himmel unbekümmert: Sünde ist ein<br />
Vergehen an ihm, nicht an der Menschheit! − wem er seine Gnade geschenkt hat, dem<br />
schenkt er auch diese Unbekümmertheit um die natürlichen Folgen der Sünde. Gott und<br />
Menschheit sind hier so getrennt, so entgegengesetzt gedacht, dass im Grunde an letzterer<br />
überhaupt nicht gesündigt werden kann, − jede That soll nur auf ihre übernatürlichen<br />
Folgen hin angesehen werden: nicht auf ihre natürlichen: so will es das jüdische Gefühl,<br />
dem alles Natürliche das Unwürdige an sich ist. Den Griechen dagegen lag der Gedanke<br />
näher, dass auch der Frevel Würde haben könne − selbst der <strong>Di</strong>ebstahl, wie bei<br />
Prometheus, selbst die Abschlachtung von Vieh als Aeusserung eines wahnsinnigen<br />
Neides, wie bei Ajax: sie haben in ihrem Bedürfniss, dem Frevel Würde anzudichten und<br />
einzuverleiben, die Tragödie erfunden, − eine Kunst und eine Lust, die dem Juden, trotz<br />
aller seiner dichterischen Begabung und Neigung zum Erhabenen, im tiefsten Wesen fremd<br />
geblieben ist.<br />
136.<br />
Das auserwählte Volk. − <strong>Di</strong>e Juden, die sich als das auserwählte Volk unter den Völkern<br />
fühlen, und zwar weil sie das moralische Genie unter den Völkern sind (vermöge der<br />
Fähigkeit, dass sie den Menschen in sich tiefer verachtet haben, als irgend ein Volk) − die<br />
Juden haben an ihrem göttlichen Monarchen und Heiligen einen ähnlichen Genuss wie der<br />
war, welchen der französische Adel an Ludwig dem Vierzehnten hatte. <strong>Di</strong>eser Adel hatte<br />
sich alle seine Macht und Selbstherrlichkeit nehmen lassen und war verächtlich geworden:<br />
um diess nicht zu fühlen, um diess vergessen zu können, bedurfte es eines königlichen<br />
Glanzes, einer königlichen Autorität und Machtfülle ohne Gleichen, zu der nur dem Adel<br />
der Zugang offen stand. Indem man gemäss diesem Vorrecht sich zur Höhe des Hofes<br />
erhob und von da aus blickend Alles unter sich, Alles verächtlich sah, kam man über alle<br />
Reizbarkeit des Gewissens hinaus. So thürmte man absichtlich den Thurm der königlichen<br />
Macht immer mehr in die Wolken hinein und setzte die letzten Bausteine der eigenen<br />
Macht daran.<br />
137.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Im Gleichniss gesprochen. − Ein Jesus Christus war nur in einer jüdischen Landschaft<br />
möglich − ich meine in einer solchen, über der fortwährend die düstere und erhabene<br />
136. 90