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Nietzsche, Friedrich - Di...

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eingespielter Mechanismus ist dass er dem beobachtenden Auge fast entläuft. Ihm<br />

gegenüber stelle ich diese Sätze auf. erstens, damit Wille entstehe, ist eine Vorstellung von<br />

Lust und Unlust nöthig. Zweitens: dass ein heftiger Reiz als Lust oder Unlust empfunden<br />

werde, das ist die Sache des interpretirenden Intellects, der freilich zumeist dabei uns<br />

unbewusst arbeitet; und ein und derselbe Reiz kann als Lust oder Unlust interpretirt<br />

werden. Drittens: nur bei den intellectuellen Wesen giebt es Lust, Unlust und Wille; die<br />

ungeheure Mehrzahl der Organismen hat Nichts davon.<br />

128.<br />

Der Werth des Gebetes. − Das Gebet ist für solche Menschen erfunden, welche eigentlich<br />

nie von sich aus Gedanken haben und denen eine Erhebung der Seele unbekannt ist oder<br />

unbemerkt verläuft: was sollen <strong>Di</strong>ese an heiligen Stätten und in allen wichtigen Lagen des<br />

Lebens, welche Ruhe und eine Art Würde erfordern? Damit sie wenigstens nicht stören,<br />

hat die Weisheit aller Religionsstifter, der kleinen wie der grossen, ihnen die Formel des<br />

Gebetes anbefohlen, als eine lange mechanische Arbeit der Lippen, verbunden mit<br />

Anstrengung des Gedächtnisses und mit einer gleichen festgesetzten Haltung von Händen<br />

und Füssen und Augen! Da mögen sie nun gleich den Tibetanern ihr "om mane padme<br />

hum" unzählige Male wiederkäuen, oder, wie in Benares, den Namen des Gottes<br />

Ram−Ram−Ram (und so weiter mit oder ohne Grazie) an den Fingern abzählen: oder den<br />

Wischnu mit seinen tausend, den Allah mit seinen neunundneunzig Anrufnamen ehren:<br />

oder sie mögen sich der Gebetmühlen und der Rosenkränze bedienen, − die Hauptsache ist,<br />

dass sie mit dieser Arbeit für eine Zeit festgemacht sind und einen erträglichen Anblick<br />

gewähren: ihre Art Gebet ist zum Vortheil der Frommen erfunden, welche Gedanken und<br />

Erhebungen von sich aus kennen. Und selbst <strong>Di</strong>ese haben ihre müden Stunden, wo ihnen<br />

eine Reihe ehrwürdiger Worte und Klänge und eine fromme Mechanik wohlthut. Aber<br />

angenommen, dass diese seltenen Menschen − in jeder Religion ist der religiöse Mensch<br />

eine Ausnahme − sich zu helfen wissen: jene Armen im Geiste wissen sich nicht zu helfen,<br />

und ihnen das Gebets−Geklapper verbieten heisst ihnen ihre Religion nehmen: wie es der<br />

Protestantismus mehr und mehr an den Tag bringt. <strong>Di</strong>e Religion will von Solchen eben<br />

nicht mehr, als dass sie Ruhehalten, mit Augen, Händen, Beinen und Organen aller Art:<br />

dadurch werden sie zeitweilig verschönert und − menschenähnlicher!<br />

129.<br />

<strong>Di</strong>e Bedingungen Gottes. "Gott selber kann nicht ohne weise Menschen bestehen" − hat<br />

Luther gesagt und mit gutem Rechte; aber "Gott kann noch weniger ohne unweise<br />

Menschen bestehen" − das hat der gute Luther nicht gesagt!<br />

130.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Ein gefährlicher Entschluss. − Der christliche Entschluss, die Welt hässlich und schlecht<br />

zu finden, hat die Welt hässlich und schlecht gemacht.<br />

128. 88

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