Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di... Nietzsche, Friedrich - Di...

26.06.2013 Aufrufe

Deutsche an, sich ganz moralisch zu fühlen − und von da an immer mehr bis hinauf zu seiner schwärmerischen, gelehrten, oft bärbeissigen "Erhabenheit", der Beethoven'schen Erhabenheit. Will man sich den Menschen zu dieser Musik denken, nun, so denke man sich eben Beethoven, wie er neben Goethe, etwa bei jener Begegnung in Teplitz, erscheint: als die Halbbarbarei neben der Cultur, als Volk neben Adel, als der gutartige Mensch neben dem guten und mehr noch als "guten" Menschen, als der Phantast neben dem Künstler, als der Trostbedürftige neben dem Getrösteten, als der Uebertreiber und Verdächtiger neben dem Billigen, als der Grillenfänger und Selbstquäler, als der Närrisch−Verzückte, der Selig−Unglückliche, der Treuherzig−Maasslose, als der Anmaassliche und Plumpe − und Alles in Allem als der "ungebändigte Mensch": so empfand und bezeichnete ihn Goethe selber, Goethe der Ausnahme−Deutsche, zu dem eine ebenbürtige Musik noch nicht gefunden ist! − Zuletzt erwäge man noch, ob nicht jene jetzt immer mehr um sich greifende Verachtung der Melodie und Verkümmerung des melodischen Sinnes bei Deutschen als eine demokratische Unart und Nachwirkung der Revolution zu verstehen ist. Die Melodie hat nämlich eine solche offene Lust an der Gesetzlichkeit und einen solchen Widerwillen bei allem Werdenden, Ungeformten, Willkürlichen, dass sie wie ein Klang aus der alten Ordnung der europäischen Dinge und wie eine Verführung und Rückführung zu dieser klingt. 104. Nietzsche Vom Klange der deutschen Sprache. − Man weiss, woher das Deutsch stammt, welches seit ein paar Jahrhunderten das allgemeine Schriftdeutsch ist. Die Deutschen, mit ihrer Ehrfurcht vor Allem, was vom Hofe kam, haben sich geflissentlich die Kanzleien zum Muster genommen, in Allem, was sie zu schreiben hatten, also namentlich in ihren Briefen, Urkunden, Testamenten und so weiter. Kanzleimässig schreiben, das war hof− und regierungsmässig schreiben, − das war etwas Vornehmes, gegen das Deutsch der Stadt gehalten, in der man gerade lebte. Allmählich zog man den Schluss und sprach auch so, wie man schrieb, − so wurde man noch vornehmer, in den Wortformen, in der Wahl der Worte und Wendungen und zuletzt auch im Klange: man affectirte einen höfischen Klang, wenn man sprach, und die Affectation wurde zuletzt Natur. Vielleicht hat sich etwas ganz Gleiches nirgendswo ereignet: die Uebergewalt des Schreibestils über die Rede und die Ziererei und Vornehmthuerei eines ganzen Volkes als Grundlage einer gemeinsamen nicht mehr dialektischen Sprache. Ich glaube, der Klang der deutschen Sprache war im Mittelalter, und namentlich nach dem Mittelalter, tief bäuerisch und gemein: er hat sich in den letzten Jahrhunderten etwas veredelt, hauptsächlich dadurch, dass man sich genöthigt fand, so viel französische, italiänische und spanische Klänge nachzuahmen und zwar gerade von Seiten des deutschen (und österreichischen) Adels, der mit der Muttersprache sich durchaus nicht begnügen konnte. Aber für Montaigne oder gar Racine muss trotz dieser Uebung Deutsch unerträglich gemein geklungen haben: und selbst jetzt klingt es) im Munde der Reisenden, mitten unter italiänischem Pöbel, noch immer sehr roh, wälderhaft, heiser, wie aus räucherigen Stuben und unhöflichen Gegenden stammend. − Nun bemerke 104. 74

ich, dass jetzt wieder unter den ehemaligen Bewunderern der Kanzleien ein ähnlicher Drang nach Vornehmheit des Klanges um sich greift, und dass die Deutschen einem ganz absonderlichen "Klangzauber" sich zu fügen anfangen, der auf die Dauer eine wirkliche Gefahr für die deutsche Sprache werden könnte, − denn abscheulichere Klänge sucht man in Europa vergebens. Etwas Höhnisches, Kaltes, Gleichgültiges, Nachlässiges in der Stimme: das klingt jetzt den Deutschen "vornehm" − und ich höre den guten Willen zu dieser Vornehmheit in den Stimmen der jungen Beamten, Lehrer, Frauen, Kaufleute; ja die kleinen Mädchen machen schon dieses Offizierdeutsch nach. Denn der Offizier, und zwar der preussische, ist der Erfinder dieser Klänge: dieser selbe Offizier, der als Militär und Mann des Fachs jenen bewunderungswürdigen Tact der Bescheidenheit besitzt, an dem die Deutschen allesammt zu lernen hätten (die deutschen Professoren und Musicanten eingerechnet!). Aber sobald er spricht und sich bewegt, ist er die unbescheidenste und geschmackwidrigste Figur im alten Europa − sich selber unbewusst, ohne allen Zweifel! Und auch den guten Deutschen unbewusst, die in ihm den Mann der ersten und vornehmsten Gesellschaft anstaunen und sich gerne "den Ton von ihm angeben" lassen. Das thut er denn auch! − und zunächst sind es die Feldwebel und Unteroffiziere, welche seinen Ton nachahmen und vergröbern. Man gebe Acht auf die Commandorufe, von denen die deutschen Städte förmlich umbrüllt werden, jetzt wo man vor allen Thoren exerciert: welche Anmaassung, welches wüthende Autoritätsgefühl, welche höhnische Kälte klingt aus diesem Gebrüll heraus! Sollten die Deutschen wirklich ein musicalisches Volk sein? − Sicher ist, dass die Deutschen sich jetzt im Klange ihrer Sprache militarisiren: wahrscheinlich ist, dass sie, eingeübt militärisch zu sprechen, endlich auch militärisch schreiben werden. Denn die Gewohnheit an bestimmte Klänge greift tief in den Charakter: − man hat bald die Worte und Wendungen und schliesslich auch die Gedanken, welche eben zu diesem Klange passen! Vielleicht schreibt man jetzt schon offiziermäßig; vielleicht lese ich nur zu wenig von dem, was man jetzt in Deutschland schreibt. Aber Eines weiss ich um so sicherer: die öffentlichen deutschen Kundgebungen, die auch in's Ausland dringen, sind nicht von der deutschen Musik inspirirt, sondern von eben jenem neuen Klange einer geschmackwidrigen Anmaassung. Fast in jeder Rede des ersten deutschen Staatsmannes und selbst dann, wenn er sich durch sein kaiserliches Sprachrohr vernehmen lässt, ist ein Accent, den das Ohr eines Ausländers mit Widerwillen zurückweist: aber die Deutschen ertragen ihn, − sie ertragen sich selber. 105. Nietzsche Die Deutschen als Künstler. − Wenn der Deutsche einmal wirklich in Leidenschaft geräth (und nicht nur, wie gewöhnlich, in den guten Willen zur Leidenschaft!), so benimmt er sich dann in derselben, wie er eben muss, und denkt nicht weiter an sein Benehmen. Die Wahrheit aber ist, dass er sich dann sehr ungeschickt und hässlich und wie ohne Tact und Melodie benimmt, sodass die Zuschauer ihre Pein oder ihre Rührung dabei haben und nicht mehr: − es sei denn, dass er sich in das Erhabene und Entzückte hinaufhebt, dessen manche Passionen fähig sind. Dann wird sogar der Deutsche schön! Die Ahnung davon, auf 105. 75

Deutsche an, sich ganz moralisch zu fühlen − und von da an immer mehr bis hinauf zu<br />

seiner schwärmerischen, gelehrten, oft bärbeissigen "Erhabenheit", der Beethoven'schen<br />

Erhabenheit. Will man sich den Menschen zu dieser Musik denken, nun, so denke man sich<br />

eben Beethoven, wie er neben Goethe, etwa bei jener Begegnung in Teplitz, erscheint: als<br />

die Halbbarbarei neben der Cultur, als Volk neben Adel, als der gutartige Mensch neben<br />

dem guten und mehr noch als "guten" Menschen, als der Phantast neben dem Künstler, als<br />

der Trostbedürftige neben dem Getrösteten, als der Uebertreiber und Verdächtiger neben<br />

dem Billigen, als der Grillenfänger und Selbstquäler, als der Närrisch−Verzückte, der<br />

Selig−Unglückliche, der Treuherzig−Maasslose, als der Anmaassliche und Plumpe − und<br />

Alles in Allem als der "ungebändigte Mensch": so empfand und bezeichnete ihn Goethe<br />

selber, Goethe der Ausnahme−Deutsche, zu dem eine ebenbürtige Musik noch nicht<br />

gefunden ist! − Zuletzt erwäge man noch, ob nicht jene jetzt immer mehr um sich<br />

greifende Verachtung der Melodie und Verkümmerung des melodischen Sinnes bei<br />

Deutschen als eine demokratische Unart und Nachwirkung der Revolution zu verstehen ist.<br />

<strong>Di</strong>e Melodie hat nämlich eine solche offene Lust an der Gesetzlichkeit und einen solchen<br />

Widerwillen bei allem Werdenden, Ungeformten, Willkürlichen, dass sie wie ein Klang<br />

aus der alten Ordnung der europäischen <strong>Di</strong>nge und wie eine Verführung und Rückführung<br />

zu dieser klingt.<br />

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<strong>Nietzsche</strong><br />

Vom Klange der deutschen Sprache. − Man weiss, woher das Deutsch stammt, welches seit<br />

ein paar Jahrhunderten das allgemeine Schriftdeutsch ist. <strong>Di</strong>e Deutschen, mit ihrer<br />

Ehrfurcht vor Allem, was vom Hofe kam, haben sich geflissentlich die Kanzleien zum<br />

Muster genommen, in Allem, was sie zu schreiben hatten, also namentlich in ihren Briefen,<br />

Urkunden, Testamenten und so weiter. Kanzleimässig schreiben, das war hof− und<br />

regierungsmässig schreiben, − das war etwas Vornehmes, gegen das Deutsch der Stadt<br />

gehalten, in der man gerade lebte. Allmählich zog man den Schluss und sprach auch so,<br />

wie man schrieb, − so wurde man noch vornehmer, in den Wortformen, in der Wahl der<br />

Worte und Wendungen und zuletzt auch im Klange: man affectirte einen höfischen Klang,<br />

wenn man sprach, und die Affectation wurde zuletzt Natur. Vielleicht hat sich etwas ganz<br />

Gleiches nirgendswo ereignet: die Uebergewalt des Schreibestils über die Rede und die<br />

Ziererei und Vornehmthuerei eines ganzen Volkes als Grundlage einer gemeinsamen nicht<br />

mehr dialektischen Sprache. Ich glaube, der Klang der deutschen Sprache war im<br />

Mittelalter, und namentlich nach dem Mittelalter, tief bäuerisch und gemein: er hat sich in<br />

den letzten Jahrhunderten etwas veredelt, hauptsächlich dadurch, dass man sich genöthigt<br />

fand, so viel französische, italiänische und spanische Klänge nachzuahmen und zwar<br />

gerade von Seiten des deutschen (und österreichischen) Adels, der mit der Muttersprache<br />

sich durchaus nicht begnügen konnte. Aber für Montaigne oder gar Racine muss trotz<br />

dieser Uebung Deutsch unerträglich gemein geklungen haben: und selbst jetzt klingt es) im<br />

Munde der Reisenden, mitten unter italiänischem Pöbel, noch immer sehr roh, wälderhaft,<br />

heiser, wie aus räucherigen Stuben und unhöflichen Gegenden stammend. − Nun bemerke<br />

104. 74

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