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Nietzsche, Friedrich - Di...

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Besten allmählich aufgehäuft worden ist.<br />

101.<br />

Voltaire. − Ueberall, wo es einen Hof gab, hat er das Gesetz des Gut−Sprechens und damit<br />

auch das Gesetz des Stils für alle Schreibenden gegeben. <strong>Di</strong>e höfische Sprache ist aber die<br />

Sprache des Höflings, der kein Fach hat und der sich selbst in Gesprächen über<br />

wissenschaftliche <strong>Di</strong>nge alle bequemen technischen Ausdrücke verbietet, weil sie nach<br />

dem Fache schmecken, desshalb ist der technische Ausdruck und Alles, was den<br />

Specialisten verräth, in den Ländern einer höfischen Cultur ein Flecken des Stils. Man ist<br />

jetzt, wo alle Höfe Caricaturen von sonst und jetzt geworden sind, erstaunt, selbst Voltaire<br />

in diesem Puncte unsäglich spröde und peinlich zu finden (zum Beispiel in seinem Urtheil<br />

über solche Stilisten, wie Fontenelle und Montesquieu), − wir sind eben alle vom<br />

höfischen Geschmack emancipirt, während Voltaire dessen Vollender war!<br />

102.<br />

Ein Wort für die Philologen. − Dass es Bücher giebt, so werthvolle und königliche, dass<br />

ganze Gelehrten−Geschlechter gut verwendet sind, wenn durch ihre Mühe diese Bücher<br />

rein erhalten und verständlich erhalten werden, − diesen Glauben immer wieder zu<br />

befestigen ist die Philologie da. Sie setzt voraus, dass es an jenen seltenen Menschen nicht<br />

fehlt (wenn man sie gleich nicht sieht), die so werthvolle Bücher wirklich zu benutzen<br />

wissen: − es werden wohl die sein, welche selber solche Bücher machen oder machen<br />

könnten. Ich wollte sagen, die Philologie setzt einen vornehmen Glauben voraus, − dass zu<br />

Gunsten einiger Weniger, die immer "kommen werden" und nicht da sind, eine sehr grosse<br />

Menge von peinlicher, selbst unsauberer Arbeit voraus abzuthun sei: es ist Alles Arbeit in<br />

usum Delphinorum.<br />

103.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Von der deutschen Musik. − <strong>Di</strong>e deutsche Musik ist jetzt schon desshalb, mehr als jede<br />

andere, die europäische Musik, weil in ihr allein die Veränderung, welche Europa durch<br />

die Revolution erfuhr, einen Ausdruck bekommen hat: nur die deutschen Musiker<br />

verstehen sich auf den Ausdruck bewegter Volksmassen, auf jenen ungeheuren künstlichen<br />

Lärm, der nicht einmal sehr laut zu sein braucht, − während zum Beispiel die italiänische<br />

Oper nur Chöre von Bedienten oder Soldaten kennt, aber kein "Volk". Es kommt hinzu,<br />

dass aus aller deutschen Musik eine tiefe bürgerliche Eifersucht auf die noblesse<br />

herauszuhören ist, namentlich auf esprit und élégance, als den Ausdruck einer höfischen,<br />

ritterlichen, alten, ihrer selber sicheren Gesellschaft. Das ist keine Musik, wie die des<br />

Goethischen Sängers vor dem Thore, die auch "im Saale", und zwar dem Könige<br />

wohlgefällt; da heisst es nicht: "die Ritter schauten muthig drein und in den Schooss die<br />

Schönen". Schon die Grazie tritt nicht ohne Anwandelung von Gewissensbissen in der<br />

deutschen Musik auf; erst bei der Anmuth, der ländlichen Schwester der Grazie, fängt der<br />

101. 73

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