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Nietzsche, Friedrich - Di...

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Kraft, wenn er dem andringenden Sturme seiner Empfindung widersteht und ihn gleichsam<br />

verhöhnt: da erst tritt sein Geist ganz aus seinem Versteck heraus, ein logischer,<br />

spöttischer, spielender, und doch furchtbarer Geist.<br />

97.<br />

Von der Geschwätzigkeit der Schriftsteller. − Es giebt eine Geschwätzigkeit des Zornes, −<br />

häufig bei Luther, auch bei Schopenhauer. Eine Geschwätzigkeit aus einem zu grossen<br />

Vorrathe von Begriffsformeln wie bei Kant. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an immer<br />

neuen Wendungen der selben Sache: man findet sie bei Montaigne. Eine Geschwätzigkeit<br />

hämischer Naturen: wer Schriften dieser Zeit liest, wird sich hierbei zweier Schriftsteller<br />

erinnern. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an guten Worten und Sprachformen: nicht selten<br />

in der Prosa Goethe's. Eine Geschwätzigkeit aus innerem Wohlgefallen an Lärm und<br />

Wirrwarr der Empfindungen: zum Beispiel bei Carlyle.<br />

98.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Zum Ruhme Shakespeare's. − Das Schönste, was ich zum Ruhme Shakespeare's, des<br />

Menschen, zu sagen wüsste, ist diess: er hat an Brutus geglaubt und kein Stäubchen<br />

Misstrauens auf diese Art Tugend geworfen! Ihm hat er seine beste Tragödie geweiht − sie<br />

wird jetzt immer noch mit einem falschen Namen genannt −, ihm und dem furchtbarsten<br />

Inbegriff hoher Moral. Unabhängigkeit der Seele! − das gilt es hier! Kein Opfer kann da zu<br />

gross sein: seinen liebsten Freund selbst muss man ihr opfern können, und sei er noch dazu<br />

der herrlichste Mensch, die Zierde der Welt, das Genie ohne Gleichen, − wenn man<br />

nämlich die Freiheit als die Freiheit grosser Seelen liebt, und durch ihn dieser Freiheit<br />

Gefahr droht: − derart muss Shakespeare gefühlt haben! <strong>Di</strong>e Höhe, in welche er Cäsar<br />

stellt, ist die feinste Ehre, die er Brutus erweisen konnte: so erst erhebt er dessen inneres<br />

Problem in's Ungeheure und ebenso die seelische Kraft, welche diesen Knoten zu zerhauen<br />

vermochte! − Und war es wirklich die politische Freiheit, welche diesen <strong>Di</strong>chter zum<br />

Mitgefühl mit Brutus trieb, − zum Mitschuldigen des Brutus machte? Oder war die<br />

politische Freiheit nur eine Symbolik für irgend etwas Unaussprechbares? Stehen wir<br />

vielleicht vor irgend einem unbekannt gebliebenen dunklen Ereignisse und Abenteuer aus<br />

des <strong>Di</strong>chters eigener Seele, von dem er nur durch Zeichen reden mochte? Was ist alle<br />

Hamlet−Melancholie gegen die Melancholie des Brutus! − und vielleicht kennt<br />

Shakespeare auch diese, wie er jene kannte, aus Erfahrung! Vielleicht hatte auch er seine<br />

finstere Stunde und seinen bösen Engel, gleich Brutus! − Was es aber auch derart von<br />

Aehnlichkeiten und geheimen Bezügen gegeben haben mag: vor der ganzen Gestalt und<br />

Tugend des Brutus warf Shakespeare sich auf den Boden und fühlte sich unwürdig und<br />

ferne: − das Zeugniss dafür hat er in seine Tragödie hineingeschrieben. Zweimal hat er in<br />

ihr einen Poeten vorgeführt und zweimal eine solche ungeduldige und allerletzte<br />

Verachtung über ihn geschüttet, dass es wie ein Schrei klingt, − wie der Schrei der<br />

97. 69

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