Nietzsche, Friedrich - Di...
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<strong>Di</strong>e Erfolglosen. − Jenen armen Frauen fehlt es immer an Erfolg, welche in Gegenwart<br />
Dessen, den sie lieben, unruhig und unsicher werden und zu viel reden: denn die Männer<br />
werden am sichersten durch eine gewisse heimliche und phlegmatische Zärtlichkeit<br />
verführt.<br />
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Das dritte Geschlecht. − "Ein kleiner Mann ist eine Paradoxie, aber doch ein Mann, − aber<br />
die kleinen Weibchen scheinen mir, im Vergleich mit hochwüchsigen Frauen, von einem<br />
anderen Geschlechte zu sein" − sagte ein alter Tanzmeister. Ein kleines Weib ist niemals<br />
schön − sagte der alte Aristoteles.<br />
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<strong>Nietzsche</strong><br />
<strong>Di</strong>e grösste Gefahr. − Hätte es nicht allezeit eine Ueberzahl von Menschen gegeben,<br />
welche die Zucht ihres Kopfes − ihre "Vernünftigkeit" − als ihren Stolz, ihre<br />
Verpflichtung, ihre Tugend fühlten, welche durch alles Phantasiren und Ausschweifen des<br />
Denkens beleidigt oder beschämt wurden, als die Freunde "des gesunden<br />
Menschenverstandes": so wäre die Menschheit längst zu Grunde gegangen! Ueber ihr<br />
schwebte und schwebt fortwährend als ihre grösste Gefahr der ausbrechende Irrsinn − das<br />
heisst eben das Ausbrechen des Beliebens im Empfinden, Sehen und Hören, der Genuss in<br />
der Zuchtlosigkeit des Kopfes, die Freude am Menschen−Unverstande. Nicht die Wahrheit<br />
und Gewissheit ist der Gegensatz der Welt des Irrsinnigen, sondern die Allgemeinheit und<br />
Allverbindlichkeit eines Glaubens, kurz das Nicht−Beliebige im Urtheilen. Und die grösste<br />
Arbeit der Menschen bisher war die, über sehr viele <strong>Di</strong>nge mit einander übereinzustimmen<br />
und sich ein Gesetz der Uebereinstimmung aufzulegen − gleichgültig, ob diese <strong>Di</strong>nge wahr<br />
oder falsch sind. <strong>Di</strong>ess ist die Zucht des Kopfes, welche die Menschheit erhalten hat; −<br />
aber die Gegentriebe sind immer noch so mächtig, dass man im Grunde von der Zukunft<br />
der Menschheit mit wenig Vertrauen reden darf. Fortwährend schiebt und verschiebt sich<br />
noch das Bild der <strong>Di</strong>nge, und vielleicht von jetzt ab mehr und schneller als je; fortwährend<br />
sträuben sich gerade die ausgesuchtesten Geister gegen jene Allverbindlichkeit − die<br />
Erforscher der Wahrheit voran! Fortwährend erzeugt jener Glaube als Allerweltsglaube<br />
einen Ekel und eine neue Lüsternheit bei feineren Köpfen: und schon das langsame<br />
Tempo, welches er für alle geistigen Processe verlangt, jene Nachahmung der Schildkröte,<br />
welche hier als die Norm anerkannt wird, macht Künstler und <strong>Di</strong>chter zu Ueberläufern: −<br />
diese ungeduldigen Geister sind es, in denen eine förmliche Lust am Irrsinn ausbricht, weil<br />
der Irrsinn ein so fröhliches Tempo hat! Es bedarf also der tugendhaften Intellecte, − ach!<br />
ich will das unzweideutigste Wort gebrauchen − es bedarf der tugendhaften Dummheit, es<br />
bedarf unerschütterlicher Tactschläger des langsamen Geistes, damit die Gläubigen des<br />
grossen Gesammtglaubens bei einander bleiben und ihren Tanz weitertanzen: es ist eine<br />
Nothdurft ersten Ranges, welche hier gebietet und fordert. Wir Andern sind die Ausnahme<br />
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