Nietzsche, Friedrich - Di...

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26.06.2013 Aufrufe

Scham im Widerspruch ertappen, ja Entzücken, Preisgebung, Pflicht, Mitleid und Schrecken über die unerwartete Nachbarschaft von Gott und Thier und was Alles sonst noch! in Einem empfinden müssen! − Da hat man in der That sich einen Seelen−Knoten geknüpft, der seines Gleichen sucht! Selbst die mitleidige Neugier des weisesten Menschenkenners reicht nicht aus, zu errathen, wie sich dieses und jenes Weib in diese Lösung des Räthsels und in diess Räthsel von Lösung zu finden weiss, und was für schauerliche, weithin greifende Verdachte sich dabei in der armen aus den Fugen gerathenen Seele regen müssen, ja wie die letzte Philosophie und Skepsis des Weibes an diesem Puncte ihre Anker wirft! − Hinterher das selbe tiefe Schweigen wie vorher: und oft ein Schweigen vor sich selber, ein Augen−Zuschliessen vor sich selber. − Die jungen Frauen bemühen sich sehr darum, oberflächlich und gedankenlos zu erscheinen; die feinsten unter ihnen erheucheln eine Art Frechheit. − Die Frauen empfinden leicht ihre Männer als ein Fragezeichen ihrer Ehre und ihre Kinder als eine Apologie oder Busse, − sie bedürfen der Kinder und wünschen sie sich, in einem ganz anderen Sinne als ein Mann sich Kinder wünscht. − Kurz, man kann nicht mild genug gegen die Frauen sein! 72. Die Mütter. − Die Thiere denken anders über die Weiber, als die Menschen; ihnen gilt das Weibchen als das productive Wesen. Vaterliebe giebt es bei ihnen nicht, aber so Etwas wie Liebe zu den Kindern einer Geliebten und Gewöhnung an sie. Die Weibchen haben an den Kindern Befriedigung ihrer Herrschsucht, ein Eigenthum, eine Beschäftigung, etwas ihnen ganz Verständliches, mit dem man schwätzen kann: diess Alles zusammen ist Mutterliebe, − sie ist mit der Liebe des Künstlers zu seinem Werke zu vergleichen. Die Schwangerschaft hat die Weiber milder, abwartender, furchtsamer, unterwerfungslustiger gemacht; und ebenso erzeugt die geistige Schwangerschaft den Charakter der Contemplativen, welcher dem weiblichen Charakter verwandt ist: − es sind die männlichen Mütter. − Bei den Thieren gilt das männliche Geschlecht als das schöne. 73. Nietzsche Heilige Grausamkeit. − Zu einem Heiligen trat ein Mann, der ein eben geborenes Kind in den Händen hielt. "Was soll ich mit dem Kinde machen? fragte er, es ist elend, missgestaltet und hat nicht genug Leben, um zu sterben." "Tödte es, rief der Heilige mit schrecklicher Stimme, tödte es und halte es dann drei Tage und drei Nächte lang in deinen Armen, auf dass du dir ein Gedächtniss machest: − so wirst du nie wieder ein Kind zeugen, wenn es nicht an der Zeit für dich ist, zu zeugen." − Als der Mann diess gehört hatte, gieng er enttäuscht davon; und Viele tadelten den Heiligen, weil er zu einer Grausamkeit gerathen hatte, denn er hatte gerathen, das Kind zu tödten. "Aber ist es nicht grausamer, es leben zu lassen?" sagte der Heilige. 72. 56

74. Die Erfolglosen. − Jenen armen Frauen fehlt es immer an Erfolg, welche in Gegenwart Dessen, den sie lieben, unruhig und unsicher werden und zu viel reden: denn die Männer werden am sichersten durch eine gewisse heimliche und phlegmatische Zärtlichkeit verführt. 75. Das dritte Geschlecht. − "Ein kleiner Mann ist eine Paradoxie, aber doch ein Mann, − aber die kleinen Weibchen scheinen mir, im Vergleich mit hochwüchsigen Frauen, von einem anderen Geschlechte zu sein" − sagte ein alter Tanzmeister. Ein kleines Weib ist niemals schön − sagte der alte Aristoteles. 76. Nietzsche Die grösste Gefahr. − Hätte es nicht allezeit eine Ueberzahl von Menschen gegeben, welche die Zucht ihres Kopfes − ihre "Vernünftigkeit" − als ihren Stolz, ihre Verpflichtung, ihre Tugend fühlten, welche durch alles Phantasiren und Ausschweifen des Denkens beleidigt oder beschämt wurden, als die Freunde "des gesunden Menschenverstandes": so wäre die Menschheit längst zu Grunde gegangen! Ueber ihr schwebte und schwebt fortwährend als ihre grösste Gefahr der ausbrechende Irrsinn − das heisst eben das Ausbrechen des Beliebens im Empfinden, Sehen und Hören, der Genuss in der Zuchtlosigkeit des Kopfes, die Freude am Menschen−Unverstande. Nicht die Wahrheit und Gewissheit ist der Gegensatz der Welt des Irrsinnigen, sondern die Allgemeinheit und Allverbindlichkeit eines Glaubens, kurz das Nicht−Beliebige im Urtheilen. Und die grösste Arbeit der Menschen bisher war die, über sehr viele Dinge mit einander übereinzustimmen und sich ein Gesetz der Uebereinstimmung aufzulegen − gleichgültig, ob diese Dinge wahr oder falsch sind. Diess ist die Zucht des Kopfes, welche die Menschheit erhalten hat; − aber die Gegentriebe sind immer noch so mächtig, dass man im Grunde von der Zukunft der Menschheit mit wenig Vertrauen reden darf. Fortwährend schiebt und verschiebt sich noch das Bild der Dinge, und vielleicht von jetzt ab mehr und schneller als je; fortwährend sträuben sich gerade die ausgesuchtesten Geister gegen jene Allverbindlichkeit − die Erforscher der Wahrheit voran! Fortwährend erzeugt jener Glaube als Allerweltsglaube einen Ekel und eine neue Lüsternheit bei feineren Köpfen: und schon das langsame Tempo, welches er für alle geistigen Processe verlangt, jene Nachahmung der Schildkröte, welche hier als die Norm anerkannt wird, macht Künstler und Dichter zu Ueberläufern: − diese ungeduldigen Geister sind es, in denen eine förmliche Lust am Irrsinn ausbricht, weil der Irrsinn ein so fröhliches Tempo hat! Es bedarf also der tugendhaften Intellecte, − ach! ich will das unzweideutigste Wort gebrauchen − es bedarf der tugendhaften Dummheit, es bedarf unerschütterlicher Tactschläger des langsamen Geistes, damit die Gläubigen des grossen Gesammtglaubens bei einander bleiben und ihren Tanz weitertanzen: es ist eine Nothdurft ersten Ranges, welche hier gebietet und fordert. Wir Andern sind die Ausnahme 74. 57

Scham im Widerspruch ertappen, ja Entzücken, Preisgebung, Pflicht, Mitleid und<br />

Schrecken über die unerwartete Nachbarschaft von Gott und Thier und was Alles sonst<br />

noch! in Einem empfinden müssen! − Da hat man in der That sich einen Seelen−Knoten<br />

geknüpft, der seines Gleichen sucht! Selbst die mitleidige Neugier des weisesten<br />

Menschenkenners reicht nicht aus, zu errathen, wie sich dieses und jenes Weib in diese<br />

Lösung des Räthsels und in diess Räthsel von Lösung zu finden weiss, und was für<br />

schauerliche, weithin greifende Verdachte sich dabei in der armen aus den Fugen<br />

gerathenen Seele regen müssen, ja wie die letzte Philosophie und Skepsis des Weibes an<br />

diesem Puncte ihre Anker wirft! − Hinterher das selbe tiefe Schweigen wie vorher: und oft<br />

ein Schweigen vor sich selber, ein Augen−Zuschliessen vor sich selber. − <strong>Di</strong>e jungen<br />

Frauen bemühen sich sehr darum, oberflächlich und gedankenlos zu erscheinen; die<br />

feinsten unter ihnen erheucheln eine Art Frechheit. − <strong>Di</strong>e Frauen empfinden leicht ihre<br />

Männer als ein Fragezeichen ihrer Ehre und ihre Kinder als eine Apologie oder Busse, −<br />

sie bedürfen der Kinder und wünschen sie sich, in einem ganz anderen Sinne als ein Mann<br />

sich Kinder wünscht. − Kurz, man kann nicht mild genug gegen die Frauen sein!<br />

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<strong>Di</strong>e Mütter. − <strong>Di</strong>e Thiere denken anders über die Weiber, als die Menschen; ihnen gilt das<br />

Weibchen als das productive Wesen. Vaterliebe giebt es bei ihnen nicht, aber so Etwas wie<br />

Liebe zu den Kindern einer Geliebten und Gewöhnung an sie. <strong>Di</strong>e Weibchen haben an den<br />

Kindern Befriedigung ihrer Herrschsucht, ein Eigenthum, eine Beschäftigung, etwas ihnen<br />

ganz Verständliches, mit dem man schwätzen kann: diess Alles zusammen ist Mutterliebe,<br />

− sie ist mit der Liebe des Künstlers zu seinem Werke zu vergleichen. <strong>Di</strong>e<br />

Schwangerschaft hat die Weiber milder, abwartender, furchtsamer, unterwerfungslustiger<br />

gemacht; und ebenso erzeugt die geistige Schwangerschaft den Charakter der<br />

Contemplativen, welcher dem weiblichen Charakter verwandt ist: − es sind die männlichen<br />

Mütter. − Bei den Thieren gilt das männliche Geschlecht als das schöne.<br />

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<strong>Nietzsche</strong><br />

Heilige Grausamkeit. − Zu einem Heiligen trat ein Mann, der ein eben geborenes Kind in<br />

den Händen hielt. "Was soll ich mit dem Kinde machen? fragte er, es ist elend,<br />

missgestaltet und hat nicht genug Leben, um zu sterben." "Tödte es, rief der Heilige mit<br />

schrecklicher Stimme, tödte es und halte es dann drei Tage und drei Nächte lang in deinen<br />

Armen, auf dass du dir ein Gedächtniss machest: − so wirst du nie wieder ein Kind zeugen,<br />

wenn es nicht an der Zeit für dich ist, zu zeugen." − Als der Mann diess gehört hatte, gieng<br />

er enttäuscht davon; und Viele tadelten den Heiligen, weil er zu einer Grausamkeit<br />

gerathen hatte, denn er hatte gerathen, das Kind zu tödten. "Aber ist es nicht grausamer, es<br />

leben zu lassen?" sagte der Heilige.<br />

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