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Nietzsche, Friedrich - Di...

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giebt schon zu viel der Arbeit für den Arbeitsamsten; es bedarf ganzer Geschlechter und<br />

planmässig zusammen arbeitender Geschlechter von Gelehrten, um hier die Gesichtspuncte<br />

und das Material zu erschöpfen. Das Selbe gilt von der Nachweisung der Gründe für die<br />

Verschiedenheit des moralischen Klimas ("wesshalb leuchtet hier diese Sonne eines<br />

moralischen Grundurtheils und Hauptwerthmessers − und dort jene?"). Und wieder eine<br />

neue Arbeit ist es, welche die Irrthümlichkeit aller dieser Gründe und das ganze Wesen des<br />

bisherigen moralischen Urtheils feststellt. Gesetzt, alle diese Arbeiten seien gethan, so träte<br />

die heikeligste aller Fragen in den Vordergrund, ob die Wissenschaft im Stande sei, Ziele<br />

des Handelns zu geben, nachdem sie bewiesen hat, dass sie solche nehmen und vernichten<br />

kann − und dann würde ein Experimentiren am Platze sein, an dem jede Art von<br />

Heroismus sich befriedigen könnte, ein Jahrhunderte langes Experimentiren, welches alle<br />

grossen Arbeiten und Aufopferungen der bisherigen Geschichte in Schatten stellen könnte.<br />

Bisher hat die Wissenschaft ihre Cyklopen−Bauten noch nicht gebaut; auch dafür wird die<br />

Zeit kommen.<br />

8.<br />

Unbewusste Tugenden. − Alle Eigenschaften eines Menschen, deren er sich bewusst ist −<br />

und namentlich, wenn er deren Sichtbarkeit und Evidenz auch für seine Umgebung<br />

voraussetzt − stehen unter ganz anderen Gesetzen der Entwickelung, als jene<br />

Eigenschaften, welche ihm unbekannt oder schlecht bekannt sind und die sich auch vor<br />

dem Auge des feineren Beobachters durch ihre Feinheit verbergen und wie hinter das<br />

Nichts zu verstecken wissen. So steht es mit den feinen Sculpturen auf den Schuppen der<br />

Reptilien: es würde ein Irrthum sein, in ihnen einen Schmuck oder eine Waffe zu<br />

vermuthen − denn man sieht sie erst mit dem Mikroskop, also mit einem so künstlich<br />

verschärften Auge, wie es ähnliche Thiere, für welche es etwa Schmuck oder Waffe zu<br />

bedeuten hätte, nicht besitzen! Unsere sichtbaren moralischen Qualitäten, und namentlich<br />

unsere sichtbar geglaubten gehen ihren Gang, − und die unsichtbaren ganz gleichnamigen,<br />

welche uns in Hinsicht auf Andere weder Schmuck noch Waffe sind, gehen auch ihren<br />

Gang: einen ganz anderen wahrscheinlich, und mit Linien und Feinheiten und Sculpturen,<br />

welche vielleicht einem Gotte mit einem göttlichen Mikroskope Vergnügen machen<br />

könnten. Wir haben zum Beispiel unsern Fleiss, unsern Ehrgeiz, unsern Scharfsinn: alle<br />

Welt weiss darum −, und ausserdem haben wir wahrscheinlich noch einmal unseren Fleiss,<br />

unseren Ehrgeiz, unseren Scharfsinn; aber für diese unsere Reptilien−Schuppen ist das<br />

Mikroskop noch nicht erfunden! − Und hier werden die Freunde der instinctiven Moralität<br />

sagen: "Bravo! Er hält wenigstens unbewusste Tugenden für möglich, − das genügt uns!" −<br />

Oh ihr Genügsamen!<br />

9.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Unsere Eruptionen. − Unzähliges, was sich die Menschheit auf früheren Stufen aneignete,<br />

aber so schwach und embryonisch, dass es Niemand als angeeignet wahrzunehmen wusste,<br />

stösst plötzlich, lange darauf, vielleicht nach Jahrhunderten, an's Licht: es ist inzwischen<br />

8. 27

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