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Nietzsche, Friedrich - Di...

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<strong>Nietzsche</strong><br />

gilt ihnen der Edle als eine Art von Narren: sie verachten ihn in seiner Freude und lachen<br />

über den Glanz seiner Augen. "Wie kann man sich darüber freuen im Nachtheil zu sein,<br />

wie kann man mit offnen Augen in Nachtheil gerathen wollen! Es muss eine Krankheit der<br />

Vernunft mit der edlen Affection verbunden sein" − so denken sie und blicken<br />

geringschätzig dabei: wie sie die Freude geringschätzen, welche der Irrsinnige von seiner<br />

fixen Idee her hat. <strong>Di</strong>e gemeine Natur ist dadurch ausgezeichnet, dass sie ihren Vortheil<br />

unverrückt im Auge behält und dass diess Denken an Zweck und Vortheil selbst stärker,<br />

als die stärksten Triebe in ihr ist: sich durch jene Triebe nicht zu unzweckmässigen<br />

Handlungen verleiten lassen − das ist ihre Weisheit und ihr Selbstgefühl. Im Vergleich mit<br />

ihr ist die höhere Natur die unvernünftigere: − denn der Edle, Grossmüthige, Aufopfernde<br />

unterliegt in der That seinen Trieben, und in seinen besten Augenblicken pausirt seine<br />

Vernunft. Ein Thier, das mit Lebensgefahr seine Jungen beschützt oder in der Zeit der<br />

Brunst dem Weibchen auch in den Tod folgt, denkt nicht an die Gefahr und den Tod, seine<br />

Vernunft pausirt ebenfalls, weil die Lust an seiner Brut oder an dem Weibchen und die<br />

Furcht, dieser Lust beraubt zu werden es ganz beherrschen; es wird dümmer, als es sonst<br />

ist, gleich dem Edlen und Grossmüthigen. <strong>Di</strong>eser besitzt einige Lust− und Unlust−Gefühle<br />

in solcher Stärke, dass der Intellect dagegen schweigen oder sich zu ihrem <strong>Di</strong>enste<br />

hergeben muss: es tritt dann bei ihnen das Herz in den Kopf und man spricht nunmehr von<br />

"Leidenschaft". (Hier und da kommt auch wohl der Gegensatz dazu und gleichsam die<br />

"Umkehrung der Leidenschaft" vor, zum Beispiel bei Fontenelle, dem Jemand einmal die<br />

Hand auf das Herz legte, mit den Worten: "Was Sie da haben, mein Theuerster, ist auch<br />

Gehirn".) <strong>Di</strong>e Unvernunft oder Quervernunft der Leidenschaft ist es, die der Gemeine am<br />

Edlen verachtet, zumal wenn diese sich auf Objecte richtet, deren Werth ihm ganz<br />

phantastisch und willkürlich zu sein scheint. Er ärgert sich über Den, welcher der<br />

Leidenschaft des Bauches unterliegt, aber er begreift doch den Reiz, welcher hier den<br />

Tyrannen macht; aber er begreift es nicht, wie man zum Beispiel einer Leidenschaft der<br />

Erkenntniss zu Liebe seine Gesundheit und Ehre aufs Spiel setzen könne. Der Geschmack<br />

der höheren Natur richtet sich auf Ausnahmen, auf <strong>Di</strong>nge, die gewöhnlich kalt lassen und<br />

keine Süssigkeit zu haben scheinen; die höhere Natur hat ein singuläres Werthmaass. Dazu<br />

ist sie meistens des Glaubens, nicht ein singuläres Werthmaass in ihrer Idiosynkrasie des<br />

Geschmacks zu haben, sie setzt vielmehr ihre Werthe und Unwerthe als die überhaupt<br />

gültigen Werthe und Unwerthe an, und geräth damit in's Unverständliche und<br />

Unpraktische. Es ist sehr selten, dass eine höhere Natur soviel Vernunft übrig behält, um<br />

Alltags−Menschen als solche zu verstehen und zu behandeln: zu allermeist glaubt sie an<br />

ihre Leidenschaft als an die verborgen gehaltene Leidenschaft Aller und ist gerade in<br />

diesem Glauben voller Gluth und Beredtsamkeit. Wenn nun solche Ausnahme−Menschen<br />

sich selber nicht als Ausnahmen fühlen, wie sollten sie jemals die gemeinen Naturen<br />

verstehen und die Regel billig abschätzen können! − und so reden auch sie von der<br />

Thorheit, Zweckwidrigkeit und Phantasterei der Menschheit, voller Verwunderung, wie<br />

toll die Welt laufe und warum sie sich nicht zu dem bekennen wolle, was, "ihr Noth thue".<br />

− <strong>Di</strong>ess ist die ewige Ungerechtigkeit der Edlen.<br />

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