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Nietzsche, Friedrich - Di...

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<strong>Nietzsche</strong><br />

der absinkenden Kraft sehen! Was kann uns daran gelegen sein, mit was für Flittern ein<br />

Kranker seine Schwäche aufputzt! Mag er sie als seine Tugend zur Schau tragen − es<br />

unterliegt ja keinem Zweifel, dass die Schwäche mild, ach so mild, so rechtlich, so<br />

unoffensiv, so "menschlich" macht! − <strong>Di</strong>e "Religion des Mitleidens", zu der man uns<br />

überreden möchte − oh wir kennen die hysterischen Männlein und Weiblein genug, welche<br />

heute gerade diese Religion zum Schleier und Aufputz nöthig haben! Wir sind keine<br />

Humanitarier; wir würden uns nie zu erlauben wagen, von unsrer, "Liebe zur Menschheit"<br />

zu reden − dazu ist Unsereins nicht Schauspieler genug! Oder nicht Saint−Simonist genug,<br />

nicht Franzose genug. Man muss schon mit einem gallischen Uebermaass erotischer<br />

Reizbarkeit und verliebter Ungeduld behaftet sein, um sich in ehrlicher Weise sogar noch<br />

der Menschheit mit seiner Brunst zu nähern... Der Menschheit! Gab es je noch ein<br />

scheusslicheres altes Weib unter allen alten Weibern? (− es müsste denn etwa die<br />

"Wahrheit" sein: eine Frage für Philosophen). Nein, wir lieben die Menschheit nicht;<br />

andererseits sind wir aber auch lange nicht "deutsch" genug, wie heute das Wort "deutsch"<br />

gang und gäbe ist, um dem Nationalismus und dem Rassenhass das Wort zu reden, um an<br />

der nationalen Herzenskrätze und Blutvergiftung Freude haben zu können, derenthalben<br />

sich jetzt in Europa Volk gegen Volk wie mit Quarantänen abgrenzt, absperrt. Dazu sind<br />

wir zu unbefangen, zu boshaft, zu verwöhnt, auch zu gut unterrichtet, zu "gereist": wir<br />

ziehen es bei Weitem vor, auf Bergen zu leben, abseits, "unzeitgemäss", in vergangnen<br />

oder kommenden Jahrhunderten, nur damit wir uns die stille Wuth ersparen, zu der wir uns<br />

verurtheilt wüssten als Augenzeugen einer Politik, die den deutschen Geist öde macht,<br />

indem sie ihn eitel Macht, und kleine Politik ausserdem ist: − hat sie nicht nöthig, damit<br />

ihre eigne Schöpfung nicht sofort wieder auseinanderfällt, sie zwischen zwei Todhasse zu<br />

pflanzen? muss sie nicht die Verewigung der Kleinstaaterei Europa's wollen?... Wir<br />

Heimatlosen, wir sind der Rasse und Abkunft nach zu vielfach und gemischt, als,<br />

"moderne Menschen", und folglich wenig versucht, an jener verlognen<br />

Rassen−Selbstbewunderung und Unzucht theilzunehmen, welche sich heute in<br />

Deutschland als Zeichen deutscher Gesinnung zur Schau trägt und die bei dem Volke des<br />

historischen "Sinns" zwiefach falsch und unanständig anmuthet. Wir sind, mit Einem<br />

Worte − und es soll unser Ehrenwort sein! − gute Europäer, die Erben Europa's, die<br />

reichen, überhäuften, aber auch überreich verpflichteten Erben von Jahrtausenden des<br />

europäischen Geistes: als solche auch dem Christenthum entwachsen und abhold, und<br />

gerade, weil wir aus ihm gewachsen sind, weil unsre Vorfahren Christen von<br />

rücksichtsloser Rechtschaffenheit des Christenthums waren, die ihrem Glauben willig Gut<br />

und Blut, Stand und Vaterland zum Opfer gebracht haben. Wir − thun desgleichen. Wofür<br />

doch? Für unsern Unglauben? Für jede Art Unglauben? Nein, das wisst ihr besser, meine<br />

Freunde! Das verborgne ja in euch ist stärker als alle Neins und Vielleichts, an denen ihr<br />

mit eurer Zeit krank seid; und wenn ihr auf's Meer müsst, ihr Auswanderer, so zwingt dazu<br />

auch euch − ein Glaube!..<br />

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