Nietzsche, Friedrich - Di...
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364.<br />
Der Einsiedler redet. − <strong>Di</strong>e Kunst, mit Menschen umzugehn, beruht wesentlich auf der<br />
Geschicklichkeit (die eine lange Uebung voraussetzt), eine Mahlzeit anzunehmen,<br />
einzunehmen, zu deren Küche man kein Vertrauen hat. Gesetzt, dass man mit einem<br />
Wolfshunger zu Tisch kommt, geht Alles leicht ("die schlechteste Gesellschaft lässt dich<br />
fühlen −", wie Mephistopheles sagt); aber man hat ihn nicht, diesen Wolfshunger, wenn<br />
man ihn braucht! Ah, wie schwer sind die Mitmenschen zu verdauen! Erstes Princip: wie<br />
bei einem Unglücke seinen Muth einsetzen, tapfer zugreifen, sich selbst dabei bewundern,<br />
seinen Widerwillen zwischen die Zähne nehmen, seinen Ekel hinunter stopfen. Zweites<br />
Princip: seinen Mitmenschen "verbessern", zum Beispiel durch ein Lob, so dass er sein<br />
Glück über sich selbst auszuschwitzen beginnt; oder einen Zipfel von seinen guten oder<br />
"interessanten" Eigenschaften fassen und daran ziehn, bis man die ganze Tugend heraus<br />
hat und den Mitmenschen in deren Falten unterstecken kann. Drittes Princip:<br />
Selbsthypnotisirung. Sein Verkehrs−Objekt wie einen gläsernen Knopf fixiren, bis man<br />
aufhört, Lust und Unlust dabei zu empfinden, und unbemerkt einschläft, starr wird,<br />
Haltung bekommt: ein Hausmittel aus der Ehe und Freundschaft, reichlich erprobt, als<br />
unentbehrlich gepriesen, aber wissenschaftlich noch nicht formulirt. Sein populärer Name<br />
ist − Geduld. −<br />
365.<br />
Der Einsiedler spricht noch einmal. − Auch wir gehn mit "Menschen" um, auch wir ziehn<br />
bescheiden das Kleid an, in dem (als das) man uns kennt, achtet, sucht, und begeben uns<br />
damit in Gesellschaft, das heisst unter Verkleidete, die es nicht heissen wollen; auch wir<br />
machen es wie alle klugen Masken und setzen jeder Neugierde, die nicht unser "Kleid"<br />
betrifft, auf eine höfliche Weise den Stuhl vor die Thüre. Es giebt aber auch andre Arten<br />
und Kunststücke, um unter Menschen, mit Menschen "umzugehn": zum Beispiel als<br />
Gespenst, − was sehr rathsam ist, wenn man sie bald los sein und fürchten machen will.<br />
Probe: man greift nach uns und bekommt uns nicht zu fassen. Das erschreckt. Oder: wir<br />
kommen durch eine geschlossne Thür. Oder: wenn alle Lichter ausgelöscht sind. Oder:<br />
nachdem wir bereits gestorben sind. Letzteres ist das Kunststück der posthumen Menschen<br />
par excellence. ("Was denkt ihr auch?" sagte ein Solcher einmal ungeduldig, "würden wir<br />
diese Fremde, Kälte, Grabesstille um uns auszuhalten Lust haben, diese ganze<br />
unterirdische verborgne stumme unentdeckte Einsamkeit, die bei uns Leben heisst und<br />
ebensogut Tod heissen könnte, wenn wir nicht wüssten, was aus uns wird, − und dass wir<br />
nach dem Tode erst zu unserm Leben kommen und lebendig werden, ah! sehr lebendig!<br />
wir posthumen Menschen!"−)<br />
366.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Angesichts eines gelehrten Buches. − Wir gehören nicht zu Denen, die erst zwischen<br />
Büchern, auf den Anstoss von Büchern zu Gedanken kommen − unsre Gewohnheit ist, im<br />
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