26.06.2013 Aufrufe

Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Nietzsche</strong><br />

Wahrhaftigkeit, die Beichtväter−Feinheit des christlichen Gewissens, übersetzt und<br />

sublimirt zum wissenschaftlichen Gewissen, zur intellektuellen Sauberkeit um jeden Preis.<br />

<strong>Di</strong>e Natur ansehn, als ob sie ein Beweis für die Güte und Obhut eines Gottes sei; die<br />

Geschichte interpretiren zu Ehren einer göttlichen Vernunft, als beständiges Zeugniss einer<br />

sittlichen Weltordnung und sittlicher Schlussabsichten; die eigenen Erlebnisse auslegen,<br />

wie sie fromme Menschen lange genug ausgelegt haben, wie als ob Alles Fügung, Alles<br />

Wink, Alles dem Heil der Seele zu Liebe ausgedacht und geschickt sei: das ist nunmehr<br />

vorbei, das hat das Gewissen gegen sich, das gilt allen feineren Gewissen als unanständig,<br />

unehrlich, als Lügnerei, Femininismus, Schwachheit, Feigheit, − mit dieser Strenge, wenn<br />

irgend womit, sind wir eben gute Europäer und Erben von Europa's längster und tapferster<br />

Selbstüberwindung. Indem wir die christliche Interpretation dergestalt von uns stossen und<br />

ihren "Sinn" wie eine Falschmünzerei verurtheilen, kommt nun sofort auf eine furchtbare<br />

Weise die Schopenhauerische Frage zu uns: hat denn das Dasein überhaupt einen Sinn? −<br />

jene Frage, die ein paar Jahrhunderte brauchen wird, um auch nur vollständig und in alle<br />

ihre Tiefe hinein gehört zu werden. Was Schopenhauer selbst auf diese Frage geantwortet<br />

hat, war − man vergebe es mir − etwas Voreiliges, Jugendliches, nur eine Abfindung, ein<br />

Stehen− und Steckenbleiben in eben den christlich−asketischen Moral−Perspektiven,<br />

welchen, mit dem Glauben an Gott, der Glaube gekündigt war... Aber er hat die Frage<br />

gestellt − als ein guter Europäer, wie gesagt, und nicht als Deutscher. − Oder hätten etwa<br />

die Deutschen, wenigstens mit der Art, in welcher sie sich der Schopenhauerischen Frage<br />

bemächtigten, ihre innere Zugehörigkeit und Verwandtschaft, ihre Vorbereitung, ihr<br />

Bedürfniss nach seinem Problem bewiesen? Dass nach Schopenhauer auch in Deutschland<br />

− übrigens spät genug! − über das von ihm aufgestellte Problem gedacht und gedruckt<br />

worden ist, reicht gewiss nicht aus, zu Gunsten dieser engeren Zugehörigkeit zu<br />

entscheiden; man könnte selbst die eigenthümliche Ungeschicktheit dieses<br />

Nach−Schopenhauerischen Pessimismus dagegen geltend machen, − die Deutschen<br />

benahmen sich ersichtlich nicht dabei wie in ihrem Elemente. Hiermit spiele ich ganz und<br />

gar nicht auf Eduard von Hartmann an; im Gegentheil, mein alter Verdacht ist auch heute<br />

noch nicht gehoben, dass er für uns zugeschickt ist, ich will sagen, dass er als arger Schalk<br />

von Anbeginn sich vielleicht nicht nur über den deutschen Pessimismus lustig gemacht hat,<br />

− dass er am Ende etwa gar es den Deutschen testamentarisch "vermachen" könnte, wie<br />

weit man sie selbst, im Zeitalter der Gründungen, hat zum Narren haben können. Aber ich<br />

frage: soll man vielleicht den alten Brummkreisel Bahnsen den Deutschen zu Ehren<br />

rechnen, der sich mit Wollust sein Leben lang um sein realdialektisches Elend und<br />

"persönliches Pech" gedreht hat, − wäre etwa das gerade deutsch? (ich empfehle anbei<br />

seine Schriften, wozu ich sie selbst gebraucht habe, als antipessimistische Kost, namentlich<br />

um seiner elegantiae psychologicae willen, mit denen, wie mich dünkt, auch dem<br />

verstopftesten Leibe und Gemüthe beizukommen ist). Oder dürfte man solche <strong>Di</strong>lettanten<br />

und alte Jungfern, wie den süsslichen Virginitäts−Apostel Mainländer unter die rechten<br />

Deutschen zählen? Zuletzt wird es ein Jude gewesen sein (− alle Juden werden süsslich,<br />

wenn sie moralisiren). Weder Bahnsen, noch Mainländer, noch gar Eduard von Hartmann<br />

geben eine sichere Handhabe für die Frage ab, ob der Pessimismus Schopenhauer's, sein<br />

357. 161

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!