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Nietzsche, Friedrich - Di...

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eteten wohl: "Zwei und drei Mal alles Schöne!" Ach, sie hatten da einen guten Grund,<br />

Götter anzurufen, denn die ungöttliche Wirklichkeit giebt uns das Schöne gar nicht oder<br />

Ein Mal! Ich will sagen, dass die Welt übervoll von schönen <strong>Di</strong>ngen ist, aber trotzdem<br />

arm, sehr arm an schönen Augenblicken und Enthüllungen dieser <strong>Di</strong>nge. Aber vielleicht ist<br />

diess der stärkste Zauber des Lebens: es liegt ein golddurchwirkter Schleier von schönen<br />

Möglichkeiten über ihm, verheissend, widerstrebend, schamhaft, spöttisch, mitleidig,<br />

verführerisch. Ja, das Leben ist ein Weib!<br />

340.<br />

Der sterbende Sokrates. − Ich bewundere die Tapferkeit und Weisheit des Sokrates in<br />

Allem, was er that, sagte − und nicht sagte. <strong>Di</strong>eser spöttische und verliebte Unhold und<br />

Rattenfänger Athens, der die übermüthigsten Jünglinge zittern und schluchzen machte, war<br />

nicht nur der weiseste Schwätzer, den es gegeben hat: er war ebenso gross im Schweigen.<br />

Ich wollte, er wäre auch im letzten Augenblicke des Lebens schweigsam gewesen, −<br />

vielleicht gehörte er dann in eine noch höhere Ordnung der Geister. War es nun der Tod<br />

oder das Gift oder die Frömmigkeit oder die Bosheit − irgend Etwas löste ihm in jenem<br />

Augenblick die Zunge und er sagte: "Oh Kriton, ich bin dem Asklepios einen Hahn<br />

schuldig". <strong>Di</strong>eses lächerliche und furchtbare "letzte Wort" heisst für Den, der Ohren hat:<br />

"Oh Kriton, das Leben ist eine Krankheit!" Ist es möglich! Ein Mann, wie er, der heiter und<br />

vor Aller Augen wie ein Soldat gelebt hat, − war Pessimist! Er hatte eben nur eine gute<br />

Miene zum Leben gemacht und zeitlebens sein letztes Urtheil, sein innerstes Gefühl<br />

versteckt! Sokrates, Sokrates hat am Leben gelitten! Und er hat noch seine Rache dafür<br />

genommen − mit jenem verhüllten, schauerlichen, frommen und blasphemischen Worte!<br />

Musste ein Sokrates sich auch noch rächen? War ein Gran Grossmuth zu wenig in seiner<br />

überreichen Tugend? − Ach Freunde! Wir müssen auch die Griechen überwinden!<br />

341.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Das grösste Schwergewicht. − Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine<br />

einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: "<strong>Di</strong>eses Leben, wie du es jetzt lebst und<br />

gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird<br />

nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und<br />

Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen,<br />

und Alles in der selben Reihe und Folge − und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht<br />

zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. <strong>Di</strong>e ewige Sanduhr<br />

des Daseins wird immer wieder umgedreht − und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!" −<br />

Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon<br />

verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du<br />

ihm antworten würdest: "du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!" Wenn jener<br />

Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht<br />

zermalmen; die Frage bei Allem und jedem "willst du diess noch einmal und noch<br />

unzählige Male?" würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder<br />

340. 143

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