Nietzsche, Friedrich - Di...
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<strong>Nietzsche</strong><br />
Unfähigkeit, neue Ideale zu schauen! Und, kurz gesagt: wenn du feiner gedacht, besser<br />
beobachtet und mehr gelernt hättest, würdest du diese deine "Pflicht" und diess dein<br />
"Gewissen" unter allen Umständen nicht mehr Pflicht und Gewissen benennen: die<br />
Einsicht darüber, wie überhaupt jemals moralische Urtheile entstanden sind, würde dir<br />
diese pathetischen Worte verleiden, − so wie dir schon andere pathetische Worte, zum<br />
Beispiel "Sünde", "Seelenheil", "Erlösung" verleidet sind. − Und nun rede mir nicht vom<br />
kategorischen Imperativ, mein Freund! − diess Wort kitzelt mein Ohr, und ich muss<br />
lachen, trotz deiner so ernsthaften Gegenwart: ich gedenke dabei des alten Kant, der, zur<br />
Strafe dafür, dass er "das <strong>Di</strong>ng an sich" − auch eine sehr lächerliche Sache! − sich<br />
erschlichen hatte, vom "kategorischen Imperativ" beschlichen wurde und mit ihm im<br />
Herzen sich wieder zu "Gott", "Seele", Freiheit" und, "Unsterblichkeit" zurückverirrte,<br />
einem Fuchse gleich, der sich in seinen Käfig zurückverirrt: − und seine Kraft und<br />
Klugheit war es gewesen, welche diesen Käfig erbrochen hatte! − Wie? Du bewunderst<br />
den kategorischen Imperativ in dir? <strong>Di</strong>ese "Festigkeit" deines sogenannten moralischen<br />
Urtheils? <strong>Di</strong>ese "Unbedingtheit" des Gefühls "so wie ich, müssen hierin Alle urtheilen"?<br />
Bewundere vielmehr deine Selbstsucht darin! Und die Blindheit, Kleinlichkeit und<br />
Anspruchslosigkeit deiner Selbstsucht! Selbstsucht nämlich ist es, sein Urtheil als<br />
Allgemeingesetz zu empfinden; und eine blinde, kleinliche und anspruchslose Selbstsucht<br />
hinwiederum, weil sie verräth, dass du dich selber noch nicht entdeckt, dir selber noch kein<br />
eigenes, eigenstes Ideal geschaffen hast: − diess nämlich könnte niemals das eines Anderen<br />
sein, geschweige denn Aller, Aller! − − Wer noch urtheilt "so müsste in diesem Falle Jeder<br />
handeln", ist noch nicht fünf Schritt weit in der Selbsterkenntniss gegangen: sonst würde er<br />
wissen, dass es weder gleiche Handlungen giebt, noch geben kann, − dass jede Handlung,<br />
die gethan worden ist, auf eine ganz einzige und unwiederbringliche Art gethan wurde, und<br />
dass es ebenso mit jeder zukünftigen Handlung stehen wird, − dass alle Vorschriften des<br />
Handelns sich nur auf die gröbliche Aussenseite beziehen (und selbst die innerlichsten und<br />
feinsten Vorschriften aller bisherigen Moralen), − dass mit ihnen wohl ein Schein der<br />
Gleichheit, aber eben nur ein Schein erreicht werden kann, − dass jede Handlung, beim<br />
Hinblick oder Rückblick auf sie, eine undurchdringliche Sache ist und bleibt, − dass unsere<br />
Meinungen von "gut", "edel", "gross" durch unsere Handlungen nie bewiesen werden<br />
können, weil jede Handlung unerkennbar ist, − dass sicherlich unsere Meinungen,<br />
Werthschätzungen und Gütertafeln zu den mächtigsten Hebeln im Räderwerk unserer<br />
Handlungen gehören, dass aber für jeden einzelnen Fall das Gesetz ihrer Mechanik<br />
unnachweisbar ist. Beschränken wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und<br />
Werthschätzungen und auf die Schöpfung neuer eigener Gütertafeln: − über den<br />
"moralischen Werth unserer Handlungen" aber wollen wir nicht mehr grübeln! Ja, meine<br />
Freunde! In Hinsicht auf das ganze moralische Geschwätz der Einen über die Andern ist<br />
der Ekel an der Zeit! Moralisch zu Gericht sitzen soll uns wider den Geschmack gehen!<br />
Ueberlassen wir diess Geschwätz und diesen üblen Geschmack Denen, welche nicht mehr<br />
zu thun haben, als die Vergangenheit um ein kleines Stück weiter durch die Zeit zu<br />
schleppen und welche selber niemals Gegenwart sind, − den Vielen also, den Allermeisten!<br />
Wir aber wollen <strong>Di</strong>e werden, die wir sind, − die Neuen, die Einmaligen, die<br />
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