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Nietzsche, Friedrich - Di...

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Schönheit darstellt: − es ist sein Dank für unsere Gastfreundschaft. Auch wer sich selber<br />

liebt, wird es auf diesem Wege gelernt haben: es giebt keinen anderen Weg. Auch die<br />

Liebe muss man lernen.<br />

335.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Hoch die Physik − Wie viel Menschen verstehen denn zu beobachten! Und unter den<br />

wenigen, die es verstehen, − wie viele beobachten sich selber! "Jeder ist sich selber der<br />

Fernste" − das wissen alle Nierenprüfer, zu ihrem Unbehagen; und der Spruch "erkenne<br />

dich selbst!" ist, im Munde eines Gottes und zu Menschen geredet, beinahe eine Bosheit.<br />

Dass es aber so verzweifelt mit der Selbstbeobachtung steht, dafür zeugt Nichts mehr, als<br />

die Art, wie über das Wesen einer moralischen Handlung fast von Jedermann gesprochen<br />

wird, diese schnelle, bereitwillige, überzeugte, redselige Art, mit ihrem Blick, ihrem<br />

Lächeln, ihrem gefälligen Eifer! Man scheint dir sagen zu wollen: "Aber, mein Lieber, das<br />

gerade ist meine Sache! Du wendest dich mit deiner Frage an Den, der antworten darf: ich<br />

bin zufällig in Nichts so weise, wie hierin. Also: wenn der Mensch urtheilt, "so ist es<br />

recht", wenn er darauf schliesst, "darum muss es geschehen!" und nun thut, was er<br />

dergestalt als recht erkannt und als nothwendig bezeichnet hat, − so ist das Wesen seiner<br />

Handlung moralisch! " Aber, mein Freund, du sprichst mir da von drei Handlungen statt<br />

von einer: auch dein Urtheilen zum Beispiel "so ist es recht" ist eine Handlung, − könnte<br />

nicht schon auf eine moralische und auf eine unmoralische Weise geurtheilt werden?<br />

Warum hältst du diess und gerade diess für recht? − "Weil mein Gewissen es mir sagt; das<br />

Gewissen redet nie unmoralisch, es bestimmt ja erst, was moralisch sein soll!" − Aber<br />

warum hörst du auf die Sprache deines Gewissens? Und inwiefern hast du ein Recht, ein<br />

solches Urtheil als wahr und untrüglich anzusehen? Für diesen Glauben − giebt es da kein<br />

Gewissen mehr? Weisst du Nichts von einem intellectuellen Gewissen? Einem Gewissen<br />

hinter deinem "Gewissen"? Dein Urtheil "so ist es recht" hat eine Vorgeschichte in deinen<br />

Trieben, Neigungen, Abneigungen, Erfahrungen und Nicht−Erfahrungen; "wie ist es da<br />

entstanden?" musst du fragen, und hinterher noch:, "was treibt mich eigentlich, ihm Gehör<br />

zu schenken?" Du kannst seinem Befehle Gehör schenken, wie ein braver Soldat, der den<br />

Befehl seines Offiziers vernimmt. Oder wie ein Weib, das Den liebt, der befiehlt. Oder wie<br />

ein Schmeichler und Feigling, der sich vor dem Befehlenden fürchtet. Oder wie ein<br />

Dummkopf, welcher folgt, weil er Nichts dagegen zu sagen hat. Kurz, auf hundert Arten<br />

kannst du deinem Gewissen Gehör geben. Dass du aber diess und jenes Urtheil als Sprache<br />

des Gewissens hörst, also, dass du Etwas als recht empfindest, kann seine Ursache darin<br />

haben, dass du nie über dich nachgedacht hast und blindlings annahmst, was dir als recht<br />

von Kindheit an bezeichnet worden ist: oder darin, dass dir Brod und Ehren bisher mit dem<br />

zu Theil wurde, was du deine Pflicht nennst, − es gilt dir als "recht", weil es dir deine<br />

"Existenz−Bedingung" scheint (dass du aber ein Recht auf Existenz habest, dünkt dich<br />

unwiderleglich!). <strong>Di</strong>e Festigkeit deines moralischen Urtheils könnte immer noch ein<br />

Beweis gerade von persönlicher Erbärmlichkeit, von Unpersönlichkeit sein, deine<br />

"moralische Kraft" könnte ihre Quelle in deinem Eigensinn haben − oder in deiner<br />

335. 138

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