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Nietzsche, Friedrich - Di...

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333.<br />

Was heisst erkennen. − Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt<br />

Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist. Indessen: was ist diess intelligere im<br />

letzten Grunde Anderes, als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fühlbar<br />

werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich widerstrebenden Trieben des<br />

Verlachen−, Beklagen−, Verwünschen−wollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muss<br />

jeder dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht über das <strong>Di</strong>ng oder Vorkommniss<br />

vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm<br />

bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art<br />

Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermöge der Gerechtigkeit und des Vertrags können alle<br />

diese Triebe sich im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. Wir, denen nur<br />

die letzten Versöhnungsscenen und Schluss−Abrechnungen dieses langen Processes zum<br />

Bewusstsein kommen, meinen demnach, intelligere sei etwas Versöhnliches, Gerechtes,<br />

Gutes, etwas wesentlich den Trieben Entgegengesetztes; während es nur ein gewisses<br />

Verhalten der Triebe zu einander ist. <strong>Di</strong>e längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes<br />

Denken als das Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, dass<br />

der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft; ich<br />

meine aber, diese Triebe, die hier mit einander kämpfen, werden recht wohl verstehen, sich<br />

einander dabei fühlbar zu machen und wehe zu thun −: jene gewaltige plötzliche<br />

Erschöpfung, von der alle Denker heimgesucht werden, mag da ihren Ursprung haben (es<br />

ist die Erschöpfung auf dem Schlachtfelde). Ja, vielleicht giebt es in unserm kämpfenden<br />

Innern manches verborgene Heroenthum, aber gewiss nichts Göttliches,<br />

Ewig−in−sich−Ruhendes, wie Spinoza meinte. Das bewusste Denken, und namentlich das<br />

des Philosophen, ist die unkräftigste und desshalb auch die verhältnissmässig mildeste und<br />

ruhigste Art des Denkens: und so kann gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur<br />

des Erkennens irre geführt werden.<br />

334.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Man muss lieben lernen. − So geht es uns in der Musik: erst muss man eine Figur und<br />

Weise überhaupt hören lernen, heraushören, unterscheiden, als ein Leben für sich isoliren<br />

und abgrenzen; dann braucht es Mühe und guten Willen, sie zu ertragen, trotz ihrer<br />

Fremdheit, Geduld gegen ihren Blick und Ausdruck, Mildherzigkeit gegen das<br />

Wunderliche an ihr zu üben: − endlich kommt ein Augenblick, wo wir ihrer gewohnt sind,<br />

wo wir sie erwarten, wo wir ahnen, dass sie uns fehlen würde, wenn sie fehlte; und nun<br />

wirkt sie ihren Zwang und Zauber fort und fort und endet nicht eher, als bis wir ihre<br />

demüthigen und entzückten Liebhaber geworden sind, die nichts Besseres von der Welt<br />

mehr wollen, als sie und wieder sie. − So geht es uns aber nicht nur mit der Musik: gerade<br />

so haben wir alle <strong>Di</strong>nge, die wir jetzt lieben, lieben gelernt. Wir werden schließlich immer<br />

für unseren guten Willen, unsere Geduld, Billigkeit, Sanftmüthigkeit gegen das Fremde<br />

belohnt, indem das Fremde langsam seinen Schleier abwirft und sich als neue unsägliche<br />

333. 137

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