Nietzsche, Friedrich - Di...
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ist zuletzt wirklich Etwas von jenem Aberglauben, dass es ihnen sehr schlecht gehe, auf sie<br />
übergegangen: sodass sie jetzt gar zu gerne einmal bereit sind, zu seufzen und Nichts mehr<br />
am Leben zu finden und miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob es doch gar<br />
schwer auszuhalten sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und in dasselbe<br />
verliebt und voller unsäglicher Listen und Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen<br />
und dem Schmerze und Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass<br />
vom Schmerze und Unglücke immer übertrieben geredet werde, wie als ob es eine Sache<br />
der guten Lebensart sei, hier zu übertreiben: man schweigt dagegen geflissentlich davon,<br />
dass es gegen den Schmerz eine Unzahl Linderungsmittel giebt, wie Betäubungen, oder die<br />
fieberhafte Hast der Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute und schlimme<br />
Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele Arten von Stolz und Mitgefühl, die<br />
beinahe die Wirkung von Anästheticis haben: während bei den höchsten Graden des<br />
Schmerzes schon von selber Ohnmachten eintreten. Wir verstehen uns ganz gut darauf,<br />
Süssigkeiten auf unsere Bitternisse zu träufeln, namentlich auf die Bitternisse der Seele;<br />
wir haben Hülfsmittel in unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den edleren Delirien<br />
der Unterwerfung und der Resignation. Ein Verlust ist kaum eine Stunde ein Verlust:<br />
irgendwie ist uns damit auch ein Geschenk vom Himmel gefallen − eine neue Kraft zum<br />
Beispiel: und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur Kraft! Was haben die<br />
Moralprediger vom inneren "Elend" der bösen Menschen phantasirt! Was haben sie gar<br />
vom Unglücke der leidenschaftlichen Menschen uns vorgelogen! − ja, lügen ist hier das<br />
rechte Wort: sie haben um das überreiche Glück dieser Art von Menschen recht wohl<br />
gewusst, aber es todtgeschwiegen, weil es eine Widerlegung ihrer Theorie war, nach der<br />
alles Glück erst mit der Vernichtung der Leidenschaft und dem Schweigen des Willens<br />
entsteht! Und was zuletzt das Recept aller dieser Seelen−Aerzte betrifft und ihre<br />
Anpreisung einer harten radicalen Cur: so ist es erlaubt, zu fragen: ist dieses unser Leben<br />
wirklich schmerzhaft und lästig genug, um mit Vortheil eine stoische Lebensweise und<br />
Versteinerung dagegen einzutauschen? Wir befinden uns nicht schlecht genug, um uns auf<br />
stoische Art schlecht befinden zu müssen!<br />
327.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Ernst nehmen. − Der Intellect ist bei den Allermeisten eine schwerfällige, finstere und<br />
knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist: sie nennen es "die Sache ernst<br />
nehmen", wenn sie mit dieser Maschine arbeiten und gut denken wollen − oh wie lästig<br />
muss ihnen das Gut−Denken sein! <strong>Di</strong>e liebliche Bestie Mensch verliert jedesmal, wie es<br />
scheint, die gute Laune, wenn sie gut denkt; sie wird "ernst"! Und "wo Lachen und<br />
Fröhlichkeit ist, da taugt das Denken Nichts": − so lautet das Vorurtheil dieser ernsten<br />
Bestie gegen alle "fröhliche Wissenschaft". − Wohlan! Zeigen wir, dass es ein Vorurtheil<br />
ist!<br />
327. 134