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Nietzsche, Friedrich - Di...

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sein Herz gehängt hat, brachte ihn schon einige Male an den Abgrund und in die nächste<br />

Nähe des Unterganges; und wenn er dem noch entwischte, so doch gewiss nicht nur "mit<br />

einem blauen Auge". Glaubt ihr, dass er darüber unglücklich ist? Er hat längst bei sich<br />

beschlossen, eigene Wünsche und Pläne nicht so wichtig zu nehmen. "Gelingt mir <strong>Di</strong>ess<br />

nicht, so redet er sich zu, dann gelingt mir vielleicht jenes; und im Ganzen weiss ich nicht,<br />

ob ich nicht meinem Misslingen mehr zu Danke verpflichtet bin, als irgend welchem<br />

Gelingen. Bin ich dazu gemacht, eigensinnig zu sein und die Hörner des Stieres zu tragen?<br />

Das, was mir Werth und Ergebniss des Lebens ausmacht, liegt wo anders; mein Stolz und<br />

ebenso mein Elend liegt wo anders. Ich weiss mehr vom Leben, weil ich so oft daran war,<br />

es zu verlieren: und eben darum habe ich mehr vom Leben, als ihr Alle!"<br />

304.<br />

Indem wir thun, lassen wir. − Im Grunde sind mir alle jene Moralen zuwider, welche<br />

sagen: "Thue diess nicht! Entsage! Ueberwinde dich!" − ich bin dagegen jenen Moralen<br />

gut, welche mich antreiben, Etwas zu thun und wieder zu thun und von früh bis Abend,<br />

und Nachts davon zu träumen, und an gar Nichts zu denken als: diess gut zu thun, so gut<br />

als es eben mir allein möglich ist! Wer so lebt, von dem fällt fortwährend Eins um das<br />

Andere ab, was nicht zu einem solchen Leben gehört: ohne Hass und Widerwillen sieht er<br />

heute <strong>Di</strong>ess und morgen Jenes von sich Abschied nehmen, den vergilbten Blättern gleich,<br />

welche jedes bewegtere Lüftchen dem Baume entführt: oder er sieht gar nicht, dass es<br />

Abschied nimmt, so streng blickt sein Auge nach seinem Ziele und überhaupt vorwärts,<br />

nicht seitwärts, rückwärts, abwärts. "Unser Thun soll bestimmen, was wir lassen: indem<br />

wir thun, lassen wir" − so gefällt es mir, so lautet mein placitum. Aber ich will nicht mit<br />

offenen Augen meine Verarmung anstreben, ich mag alle negativen Tugenden nicht, −<br />

Tugenden, deren Wesen das Verneinen und Sichversagen selber ist.<br />

305.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Selbstbeherrschung. − Jene Morallehrer, welche zuerst und zuoberst dem Menschen<br />

anbefehlen, sich in seine Gewalt zu bekommen, bringen damit eine eigenthümliche<br />

Krankheit über ihn: nämlich eine beständige Reizbarkeit bei allen natürlichen Regungen<br />

und Neigungen und gleichsam eine Art Juckens. Was auch fürderhin ihn stossen, ziehen,<br />

anlocken, antreiben mag, von innen oder von aussen her − immer scheint es diesem<br />

Reizbaren, als ob jetzt seine Selbstbeherrschung in Gefahr gerathe: er darf sich keinem<br />

Instincte, keinem freien Flügelschlage mehr anvertrauen, sondern steht beständig mit<br />

abwehrender Gebärde da, bewaffnet gegen sich selber, scharfen und misstrauischen Auges,<br />

der ewige Wächter seiner Burg, zu der er sich gemacht hat. Ja, er kann gross damit sein!<br />

Aber wie unausstehlich ist er nun für Andere geworden, wie schwer für sich selber, wie<br />

verarmt und abgeschnitten von den schönsten Zufälligkeiten der Seele! Ja auch von aller<br />

weiteren Belehrung! Denn man muss sich auf Zeiten verlieren können, wenn man den<br />

<strong>Di</strong>ngen, die wir nicht selber sind, Etwas ablernen will.<br />

304. 127

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