Nietzsche, Friedrich - Di...
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Bejahungen und Verneinungen. <strong>Di</strong>ese von uns erfundene <strong>Di</strong>chtung wird fortwährend von<br />
den sogenannten practischen Menschen (unsern Schauspielern wie gesagt) eingelernt,<br />
eingeübt, in Fleisch und Wirklichkeit, ja Alltäglichkeit übersetzt. Was nur Werth hat in der<br />
jetzigen Welt, das hat ihn nicht an sich, seiner Natur nach, − die Natur ist immer werthlos:<br />
− sondern dem hat man einen Werth einmal gegeben, geschenkt, und wir waren diese<br />
Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt, die den Menschen Etwas angeht,<br />
geschaffen! − Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn wir es einen Augenblick<br />
einmal erhaschen, so haben wir es im nächsten wieder vergessen: wir verkennen unsere<br />
beste Kraft und schätzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering, − wir sind<br />
weder so stolz, noch so glücklich, als wir sein könnten.<br />
302.<br />
Gefahr des Glücklichsten. − Feine Sinne und einen feinen Geschmack haben; an das<br />
Ausgesuchte und Allerbeste des Geistes wie an die rechte und nächste Kost gewöhnt sein;<br />
einer starken, kühnen, verwegenen Seele geniessen; mit ruhigem Auge und festem Schritt<br />
durch das Leben gehen, immer zum Aeussersten bereit, wie zu einem Feste und voll des<br />
Verlangens nach unentdeckten Welten und Meeren, Menschen und Göttern; auf jede<br />
heitere Musik hinhorchen, als ob dort wohl tapfere Männer, Soldaten, Seefahrer sich eine<br />
kurze Rast und Lust machen, und im tiefsten Genusse des Augenblicks überwältigt werden<br />
von Thränen und von der ganzen purpurnen Schwermuth des Glücklichen: wer möchte<br />
nicht, dass das Alles gerade sein Besitz, sein Zustand wäre! Es war das Glück Homer's!<br />
Der Zustand Dessen, der den Griechen ihre Götter, − nein, sich selber seine Götter<br />
erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit diesem Glücke Homer's in der Seele ist<br />
man auch das leidensfähigste Geschöpf unter der Sonne! Und nur um diesen Preis kauft<br />
man die kostbarste Muschel, welche die Wellen des Daseins bisher an's Ufer gespült<br />
haben! Man wird als ihr Besitzer immer feiner im Schmerz und zuletzt zu fein: ein kleiner<br />
Missmuth und Ekel genügte am Ende, um Homer das Leben zu verleiden. Er hatte ein<br />
thörichtes Räthselchen, das ihm junge Fischer aufgaben, nicht zu rathen vermocht! ja, die<br />
kleinen Räthsel sind die Gefahr der Glücklichsten! −<br />
303.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Zwei Glückliche. − Wahrlich, dieser Mensch, trotz seiner Jugend, versteht sich auf die<br />
Improvisation des Lebens und setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen: − es<br />
scheint nämlich, dass er keinen Fehlgriff thut, ob er schon fortwährend das gewagteste<br />
Spiel spielt. Man wird an jene improvisirenden Meister der Tonkunst erinnert, denen auch<br />
der Zuhörer eine göttliche Unfehlbarkeit der Hand zuschreiben möchte, trotzdem, dass sie<br />
sich hier und da vergreifen, wie jeder Sterbliche sich vergreift. Aber sie sind geübt und<br />
erfinderisch, und im Augenblicke immer bereit, den zufälligsten Ton, wohin ein Wurf des<br />
Fingers, eine Laune sie treibt, sofort in das thematische Gefüge einzuordnen und dem<br />
Zufalle einen schönen Sinn und eine Seele einzuhauchen. − Hier ist ein ganz anderer<br />
Mensch: dem missräth im Grunde Alles, was er will und plant. Das, woran er gelegentlich<br />
302. 126