Nietzsche, Friedrich - Di...
Nietzsche, Friedrich - Di...
Nietzsche, Friedrich - Di...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
dann lagen die braven Schiffe so ruhig in Einem Hafen und in Einer Sonne, dass es<br />
scheinen mochte, sie seien schon am Ziele und hätten Ein Ziel gehabt. Aber dann trieb uns<br />
die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in verschiedene Meere und<br />
Sonnenstriche und vielleicht sehen wir uns nie wieder, − vielleicht auch sehen wir uns<br />
wohl, aber erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere und Sonnen haben uns<br />
verändert! Dass wir uns fremd werden müssen, ist das Gesetz über uns: eben dadurch<br />
sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Eben dadurch soll der Gedanke an unsere<br />
ehemalige Freundschaft heiliger werden! Es giebt wahrscheinlich eine ungeheure<br />
unsichtbare Curve und Sternenbahn, in der unsere so verschiedenen Strassen und Ziele als<br />
kleine Wegstrecken einbegriffen sein mögen, − erheben wir uns zu diesem Gedanken!<br />
Aber unser Leben ist zu kurz und unsere Sehkraft zu gering, als dass wir mehr als Freunde<br />
im Sinne jener erhabenen Möglichkeit sein könnten. − Und so wollen wir an unsere<br />
Sternen−Freundschaft glauben, selbst wenn wir einander Erden−Feinde sein müssten.<br />
280.<br />
Architektur der Erkennenden. − Es bedarf einmal und wahrscheinlich bald einmal der<br />
Einsicht, was vor Allem unseren grossen Städten fehlt: stille und weite, weitgedehnte Orte<br />
zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen Hallengängen für schlechtes oder allzu<br />
sonniges Wetter, wohin kein Geräusch der Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein<br />
feinerer Anstand selbst dem Priester das laute Beten untersagen würde: Bauwerke und<br />
Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich−Besinnens und Bei−Seitegehens<br />
ausdrücken. <strong>Di</strong>e Zeit ist vorbei, wo die Kirche das Monopol des Nachdenkens besass, wo<br />
die vita contemplativa immer zuerst vita religiosa sein musste: und Alles, was die Kirche<br />
gebaut hat, drückt diesen Gedanken aus. Ich wüsste nicht, wie wir uns mit ihren<br />
Bauwerken, selbst wenn sie ihrer kirchlichen Bestimmung entkleidet würden, genügen<br />
lassen könnten; diese Bauwerke reden eine viel zu pathetische und befangene Sprache, als<br />
Häuser Gottes und Prunkstätten eines überweltlichen Verkehrs, als dass wir Gottlosen hier<br />
unsere Gedanken denken könnten. Wir wollen uns in Stein und Pflanze übersetzt haben,<br />
wir wollen in uns spazieren gehen, wenn wir in diesen Hallen und Gärten wandeln.<br />
281.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Das Ende zu finden wissen. − <strong>Di</strong>e Meister des ersten Ranges geben sich dadurch zu<br />
erkennen, dass sie im Grossen wie im Kleinen auf eine vollkommene Weise das Ende zu<br />
finden wissen, sei es das Ende einer Melodie oder eines Gedankens, sei es der fünfte Act<br />
einer Tragödie oder Staats−Action. <strong>Di</strong>e ersten der zweiten Stufe werden immer gegen das<br />
Ende hin unruhig, und fallen nicht in so stolzem ruhigem Gleichmaasse in's Meer ab, wie<br />
zum Beispiel das Gebirge bei Porto fino − dort, wo die Bucht von Genua ihre Melodie zu<br />
Ende singt.<br />
280. 116