zur Ausstellung - Kunstverein Pforzheim im Reuchlinhaus eV

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08.10.2012 Aufrufe

third third transition transition zone zone 50 Jahre Reuchlinhaus – die Architektur von Manfred Lehmbruck im Dialog mit Wolfgang Flad, Wilhelm Lehmbruck und Martin Pfeifle AUSSTELLUNG IM KUNSTVEREIN PFORZHEIM VOM 23.10.2011 BIS 15.01.2012 Das Reuchlinhaus gehört zu den ersten Museumsneubauten der Nachkriegszeit in Deutschland und überzeugt noch heute durch seine klare Formensprache, die durchdachte Komposition und seine moderne Materialästhetik. Nach der Zerstörung Pforzheims im zweiten Weltkrieg war es als städtisches Kulturzentrum und architektonisches Signal des Neuanfangs geplant. Der Architekt Manfred Lehmbruck entwarf das 1961 fertig gestellte Gebäudeensemble aus ganz unterschiedlichen gestalteten Kuben, die sich um einen gläsernen Eingangspavillon herum gruppieren. Seine Architektur im „International Style“ ist von der visionären Baukunst Le Corbusiers und Ludwig Mies van der Rohes inspiriert. In der Ausstellung third transition zone verbinden sich die Haltungen von drei ganz unterschiedlich geprägten Generationen. Ma Manfred Ma nfred Lehmbruck (1913 – 1992), der Architekt der Nachkriegszeit, ist ein Vertreter des Neuen Bauens, der mit dem Reuchlinhaus einen unmonumentalen Bau der ausgewogenen Maßverhältnisse und der subtilen Materialität schuf. Sein Vater, der Bildhauer Wilhelm Wilhelm LLehmbruck L ehmbruck (1881 – 1919), gehört der Schwellengeneration vom 19. in das 20. Jahrhundert an. Er war der Tradition der figürlichen Bildhauerei verpflichtet, beschritt dennoch in den Jahren seines kurzen Lebens bis 1919 Neuland auf dem Weg zur abstrakten Kunst und kann daher als Wegbereiter für nachfolgende Bildhauergenerationen bezeichnet werden. Auch die Architektur Manfred Lehmbrucks ist vom bildhauerischen Werk des Vaters inspiriert. Man kann von einem skulpturalen Raumverständnis sprechen, das mit den minimalistischen Skulpturen der 1960/70er Jahre verwandt ist. Die jungen Bildhauer Wolfgang Wolfgang Wolfgang Flad Flad Flad (geb.1974) und Martin Martin Pfeifle Pfeifle (geb.1975) dagegen haben Distanz zu diesem etablierten Formenschatz der Moderne. Figuration und Abstraktion sind längst nicht mehr diese ideologisch besetzten Gegenbewegungen, zwischen denen man sich als Avantgardist entscheiden musste. Den Künstlerinnen und Künstlern heute steht die Vor- und die Nachkriegsmoderne wie ein reich bestückter Fundus zur Verfügung, aus dem sich bedienen zu dürfen, große Freiheit bedeutet. Daraus entstehen Arbeiten, die konzeptuell eine Mischung aus unterschiedlichen historischen Schichten sind. Die unmittelbare sinnliche Erfahrung von Farbe, Form, Material und Raum geht einher mit ironischen Brechungen, affirmativen Zitaten und beziehungsreichen Kommentaren. MANFRED MANFRED LEHMBRUCK LEHMBRUCK / / MARTIN MARTIN PFEIFLE PFEIFLE „Freiraum Museumsbau“, so lautete 1979 der Titel eines Vortrags von Manfred Lehmbruck: Mein „Hauptanliegen“, so formulierte der Architekt, „gilt der Umsetzung der Museumserfahrung in ein ganzheitliches Erleben, das im Bewusstsein – wie im Unterbewusstsein einen Prozess der Umwandlung des Rezeptiven zum Kreativen auslöst“. Deshalb legte er besonderen Wert auf die Wegführung des Besuchers, der - aus der Stadt kommend - sich durch den Park dem Museumsgebäude nähert. Mit dem Titel der Ausstellung „third transition zone“ greifen wir diese Überlegungen auf. Nach dem Wechsel aus dem Stadtraum in den Außen- und in den Empfangsbereich des Museums erfolgt der weitere Übertritt in den Ausstellungsraum und damit der Übergang „von einer Welt in eine vollkommen andere“, so Manfred Lehmbruck. Das Museum soll ein sorgfältig gestalteter Schutzraum sein, der vor allem spontanes Erleben und gesteigerte Sensibilität ermöglicht. Gerade diese Qualitäten zeichnen die raumgreifenden Installationen von Martin Pfeifle aus, die sich erst im Begehen und im unmittelbaren Wahrnehmen erschließen. Seine installativen 1

third third transition transition zone<br />

zone<br />

50 Jahre <strong>Reuchlinhaus</strong> – die Architektur von Manfred Lehmbruck<br />

<strong>im</strong> Dialog mit Wolfgang Flad, Wilhelm Lehmbruck und Martin Pfeifle<br />

AUSSTELLUNG IM KUNSTVEREIN PFORZHEIM VOM 23.10.2011 BIS 15.01.2012<br />

Das <strong>Reuchlinhaus</strong> gehört zu den ersten Museumsneubauten der Nachkriegszeit in Deutschland<br />

und überzeugt noch heute durch seine klare Formensprache, die durchdachte Komposition und<br />

seine moderne Materialästhetik. Nach der Zerstörung <strong>Pforzhe<strong>im</strong></strong>s <strong>im</strong> zweiten Weltkrieg war es<br />

als städtisches Kulturzentrum und architektonisches Signal des Neuanfangs geplant. Der<br />

Architekt Manfred Lehmbruck entwarf das 1961 fertig gestellte Gebäudeensemble aus ganz<br />

unterschiedlichen gestalteten Kuben, die sich um einen gläsernen Eingangspavillon herum<br />

gruppieren. Seine Architektur <strong>im</strong> „International Style“ ist von der visionären Baukunst Le<br />

Corbusiers und Ludwig Mies van der Rohes inspiriert.<br />

In der <strong>Ausstellung</strong> third transition zone verbinden sich die Haltungen von drei ganz<br />

unterschiedlich geprägten Generationen. Ma Manfred Ma nfred Lehmbruck (1913 – 1992), der Architekt der<br />

Nachkriegszeit, ist ein Vertreter des Neuen Bauens, der mit dem <strong>Reuchlinhaus</strong> einen<br />

unmonumentalen Bau der ausgewogenen Maßverhältnisse und der subtilen Materialität schuf.<br />

Sein Vater, der Bildhauer Wilhelm Wilhelm LLehmbruck<br />

L ehmbruck (1881 – 1919), gehört der Schwellengeneration<br />

vom 19. in das 20. Jahrhundert an. Er war der Tradition der figürlichen Bildhauerei<br />

verpflichtet, beschritt dennoch in den Jahren seines kurzen Lebens bis 1919 Neuland auf dem<br />

Weg <strong>zur</strong> abstrakten Kunst und kann daher als Wegbereiter für nachfolgende<br />

Bildhauergenerationen bezeichnet werden. Auch die Architektur Manfred Lehmbrucks ist vom<br />

bildhauerischen Werk des Vaters inspiriert. Man kann von einem skulpturalen<br />

Raumverständnis sprechen, das mit den min<strong>im</strong>alistischen Skulpturen der 1960/70er Jahre<br />

verwandt ist. Die jungen Bildhauer Wolfgang Wolfgang Wolfgang Flad Flad Flad (geb.1974) und Martin Martin Pfeifle Pfeifle (geb.1975)<br />

dagegen haben Distanz zu diesem etablierten Formenschatz der Moderne. Figuration und<br />

Abstraktion sind längst nicht mehr diese ideologisch besetzten Gegenbewegungen, zwischen<br />

denen man sich als Avantgardist entscheiden musste. Den Künstlerinnen und Künstlern heute<br />

steht die Vor- und die Nachkriegsmoderne wie ein reich bestückter Fundus <strong>zur</strong> Verfügung, aus<br />

dem sich bedienen zu dürfen, große Freiheit bedeutet. Daraus entstehen Arbeiten, die<br />

konzeptuell eine Mischung aus unterschiedlichen historischen Schichten sind. Die unmittelbare<br />

sinnliche Erfahrung von Farbe, Form, Material und Raum geht einher mit ironischen<br />

Brechungen, affirmativen Zitaten und beziehungsreichen Kommentaren.<br />

MANFRED MANFRED LEHMBRUCK LEHMBRUCK / / MARTIN MARTIN PFEIFLE<br />

PFEIFLE<br />

„Freiraum Museumsbau“, so lautete 1979 der Titel eines Vortrags von Manfred Lehmbruck:<br />

Mein „Hauptanliegen“, so formulierte der Architekt, „gilt der Umsetzung der<br />

Museumserfahrung in ein ganzheitliches Erleben, das <strong>im</strong> Bewusstsein – wie <strong>im</strong><br />

Unterbewusstsein einen Prozess der Umwandlung des Rezeptiven zum Kreativen auslöst“.<br />

Deshalb legte er besonderen Wert auf die Wegführung des Besuchers, der - aus der Stadt<br />

kommend - sich durch den Park dem Museumsgebäude nähert. Mit dem Titel der <strong>Ausstellung</strong><br />

„third transition zone“ greifen wir diese Überlegungen auf. Nach dem Wechsel aus dem<br />

Stadtraum in den Außen- und in den Empfangsbereich des Museums erfolgt der weitere<br />

Übertritt in den <strong>Ausstellung</strong>sraum und damit der Übergang „von einer Welt in eine vollkommen<br />

andere“, so Manfred Lehmbruck. Das Museum soll ein sorgfältig gestalteter Schutzraum sein,<br />

der vor allem spontanes Erleben und gesteigerte Sensibilität ermöglicht.<br />

Gerade diese Qualitäten zeichnen die raumgreifenden Installationen von Martin Pfeifle aus, die<br />

sich erst <strong>im</strong> Begehen und <strong>im</strong> unmittelbaren Wahrnehmen erschließen. Seine installativen<br />

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Skulpturen thematisieren den vorhandenen Raum und dessen Strukturen. Mit seinen hier vor<br />

Ort entstandenen Ein- und Umbauten aus einfachen Baumaterialien schafft er temporäre<br />

Zwischenräume. Er unterläuft mit augenzwinkernder Leichtigkeit die nüchterne Strenge der<br />

dauerhaft gebauten Architektur. An verschiedenen Orten <strong>im</strong> Gebäude finden sich seine Arbeiten<br />

kiesel kiesel-magenta<br />

kiesel magenta magenta, magenta , BANK, BANK, silvernook, silvernook, inner, inner, boom und radial radial. radial<br />

.<br />

In der Black Box des Schmuckmuseums verstellt eine Wandscheibe aus Beton direkt am<br />

Eingang das Eindringen von Licht. Dieses Prinzip der Wandscheibe greift Martin Pfeifle in<br />

seiner Installation kiesel kiesel-magenta<br />

kiesel<br />

magenta auf, die er in den Hof direkt vor den Galerieraum positioniert<br />

hat. Der sonst vertraute, quasi nahtlose Übergang vom Innenraum zum Außenbereich wird<br />

durch diese Intervention unterbrochen. Eine leicht geneigte Pseudo-Kieselwandscheibe verstellt<br />

den Blick nach draußen und lenkt ihn umso mehr auf die echten Carrara-Kieselwände <strong>im</strong><br />

unteren Foyer und in der Galerie zum Hof. Dort ist die Rückwand, die nahtlos vom Hof in den<br />

Innenraum überführt, ja auch tatsächlich geneigt. Von der Parkseite aus leuchtet die zweite<br />

Wandscheibe in knalligem Pink. Sie schiebt einen markanten Akzent in die sonstigen<br />

Grautönungen des Steinbelags <strong>im</strong> Hof sowie der Rohglas- und Aluminiumplatten des<br />

Baukörpers darüber. Dieses farbige Signal setzt sich mit der Skulptur BANK BANK in der<br />

Eingangshalle fort, die dort als Fremdkörper und gleichzeitig als Einladung zum Sitzen und<br />

Verweilen steht.<br />

In seiner Installation silvernook, die in der <strong>Ausstellung</strong>shalle einen neuen Kubus andeutet,<br />

zitiert Martin Pfeifle den Fugenschnitt der Buntsandsteinfassade des ehemaligen<br />

He<strong>im</strong>atmuseums. Bereits Lehmbruck hatte mit der Art der unregelmäßigen Fugenlinien<br />

signalisiert, dass der Kubus nicht aus Sandstein gemauert, sondern lediglich damit verkleidet<br />

ist. Diesen Moment der Umhüllung steigert Martin Pfeifle, indem er die Lattenkonstruktion<br />

seiner Wand mit sehr dünner Silberfolie ausfüllt. Dadurch entsteht eine unregelmäßig,<br />

spiegelnde Oberfläche, die den umgebenden Raum erst recht ins Bild setzt. Die Architektur der<br />

<strong>Ausstellung</strong>shalle ist ja sehr stark von der Idee veränderbarer Wand- und Deckenmodule<br />

geprägt. Dieses Programm des wandelbaren Raums findet in der Installation inner inner inner aus stark<br />

leuchtenden Neonpapierbahnen seine künstlerische Resonanz. An ähnlicher Stelle wie bei der<br />

Eröffnungsausstellung <strong>im</strong> Jahr 1961 findet sich nun ein fragiles Wandelement, das einen<br />

gangartigen, farbigen Innenraum schafft.<br />

Im unteren Foyer verändert die Installation boom boom durch ihre mit Makassar-Ebenholz-Postern<br />

verkleideten Säulen die normalerweise quadratische Anordnung. Nur eine Säule, sonst<br />

eierschalenfarben lackiert, ist tatsächlich dauerhafter Bestandteil der Architektur. Für die<br />

Lichtinstallation radial radial in der Galerie zum Hof greift Martin Pfeifle das radial verlaufende<br />

Muster der Holzverschalung an der Sichtbetondecke des unteren Foyers auf, ebenfalls eine<br />

Besonderheit der Architektur des <strong>Reuchlinhaus</strong>es. Vergleichbar mit Lichtstrahlen setzt sich<br />

diese Linienordung von der Wand aus in den Galerieraum fort und läuft intensiv leuchtend auf<br />

dem Boden aus. (Da leider viele Besucher nicht auf die Bodenarbeit achten und bereits mehrere<br />

Beschädigungen behoben werden mussten, ist der vollständige Zugang in den<br />

<strong>Ausstellung</strong>sraum nur bei einer Führung möglich.)<br />

WILHELM WILHELM LEHMBRUCK<br />

LEHMBRUCK LEHMBRUCK / WOLFGANG FLAD FLAD<br />

Wie bereits in der Eröffnungsausstellung des <strong>Reuchlinhaus</strong>es <strong>im</strong> Oktober 1961 begegnen wir in<br />

der Jubiläumsausstellung third third transition transition zone zone den Bronzeskulpturen von Wilhelm Lehmbruck,<br />

darunter Die ie Kniende Kniende von 1911, Die Große Sinnende aus dem Jahr 1913 oder Der Der Gestürzte,<br />

Gestürzte,<br />

entstanden 1916 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Die Skulpturen Wilhelm<br />

Lehmbrucks sind Sinnbilder existentieller Erfahrung und zugleich abstrakte Formgefüge, in<br />

denen sich Figur und Raum gegenseitig durchdringen. Die Überlängung der Körper, ihre<br />

Haltung und Gestik steigern den Ausdruck von Anmut und Zartheit, aber auch von<br />

Verletzlichkeit und Einsamkeit. Zwar hält Wilhelm Lehmbruck am menschlichen Körper fest, in<br />

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seinen Skulpturen verwandelt er ihn jedoch <strong>zur</strong> expressiven Chiffre und zu einem Rhythmus<br />

von abstrakten offenen und geschlossenen Formen.<br />

1911 modellierte Lehmbruck, bereits in Paris lebend, die extrem gelängte Kniende, Kniende, Kniende, die ihm den<br />

künstlerischen Durchbruch brachte. Auch die Große Große Große Sinnende Sinnende ist eine schmale weibliche Figur<br />

mit betont langen Gliedmaßen und einem kleinen Kopf, der leicht geneigt auf einem<br />

aufragenden Hals sitzt. Im Gegensatz zu der noch traditionell anmutenden, naturalistischen<br />

Ausformung des weiblichen Körpers bei der kleinen Figur Hagener Torso (1911) war<br />

Lehmbruck nun an geistigem Gehalt und gesteigerter Spannung interessiert, die er durch<br />

konsequente Abstraktion der Figuren erreichte. Der Der Gestürzte Gestürzte (1916) ist eine Hauptfigur<br />

Lehmbrucks aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Als Kriegerdenkmal für seine He<strong>im</strong>atstadt<br />

Duisburg entworfen, stellt die auf Knien und Ellbogen abgestützte, <strong>zur</strong> Brücke erstarrte nackte<br />

männliche Figur ein übernationales Mahnmal gegen Krieg, Gewalt und Unterdrückung dar. Der<br />

Kopf Kopf des des des Denkers Denkers (1918) ist ein metaphorisches Selbstbildnis, bei dem sich der kahle<br />

voluminöse Schädel unter dem Gewicht seiner Gedanken nach unten neigt. Der schlanke Hals<br />

geht in die ausladende Schulterpartie mit angesetzten Armstümpfen über, die wie gestutzte<br />

Flügel erscheinen. Die linke Hand des Denkers ruht losgelöst vom Körper klauenartig vor dem<br />

Brustkorb. Die fragmentierte Figur führt die geistige Anstrengung vor Augen, die dem Bildhauer<br />

bei der Arbeit an seinen Werken, aber auch dem Betrachter abverlangt wird und hat den<br />

Vorgang des Nachdenkens selbst zum Thema.<br />

Für sieben der neun ausgestellten Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck hat Wolfgang Wolfgang Flad<br />

Flad<br />

farbige, ganz unterschiedlich geformte Sockel Sockel geschaffen, die die vertrauten Figuren<br />

Lehmbrucks in einen neuen, ungewohnten Kontext setzen. Das Verhältnis von Figur und Sockel<br />

ist für den Künstler in der eigenen bildhauerischen Arbeit ein wichtiges Thema. Die glatten,<br />

geometrischen Formen seiner lackierten Podeste sind ein integraler Bestandteil der Skulpturen,<br />

die formal an die organische Abstraktion der Nachkriegsmoderne anknüpfen. Es sind<br />

vegetabile, verschlungene Formen, die teilweise fast skelettartig und morbid anmuten. Sie sind<br />

aus Holzlatten konstruiert, die an den Gelenkstellen mit Pappmaché verdickt sind, für das<br />

Wolfgang Flad gerne kunstkritische Texte schreddert und in bloßes Material <strong>zur</strong>ück verwandelt.<br />

Die Skulpturen erhalten eine mehrschichtige farbige Fassung, bei der das rohe Holz teilweise<br />

sichtbar bleibt. Fragil erstrecken und krümmen sich die Verästelungen in den Raum. Die fast<br />

entkörperlichten Gebilde loten die Balance zwischen Masse und Leere, Gewicht und<br />

Leichtigkeit, Festigkeit und Zerbrechlichkeit aus.<br />

Zwei Skulpturen Wolfgang Flads suchen den direkten Dialog mit Werken von Wilhelm<br />

Lehmbruck. So verbindet die Form der Sockel die Skulptur Mira Mira mit der Büste Büste der der der Kn Knienden Kn ienden<br />

(1912-14) - <strong>im</strong> vorderen Bereich der <strong>Ausstellung</strong>shalle. Eine andere Skulptur mit dem Titel<br />

Arneb Arneb n<strong>im</strong>mt die kühne Schräge von Lehmbrucks Daphne Daphne (1918) auf, die Wolfgang Flad<br />

zusätzlich durch seine Sockelform ihrer Statik zu berauben scheint (<strong>im</strong> hinteren Bereich der<br />

<strong>Ausstellung</strong>shalle). Lediglich eine Skulptur von Wolfgang Flad in der <strong>Ausstellung</strong>shalle hat<br />

keinen Sockel: eine sich in die Höhe der Halle windende Spiralform. Für die eigens für die<br />

<strong>Ausstellung</strong> entstandene Raumskulptur Unuk Unuk ist die frei schwingende Stahlwendeltreppe – das<br />

zentrale Element in der Eingangshalle des <strong>Reuchlinhaus</strong>es – Anregung und Bezugspunkt.<br />

Wichtig für die <strong>Ausstellung</strong> ist das Zusammenwirken der verschiedenen künstlerischen und<br />

architektonischen Elemente in der Galerie zum Hof. Die Werke aller vier Künstler - Manfred<br />

Lehmbruck, Wilhelm Lehmbruck, Wolfgang Flad und Martin Pfeifle - bilden quasi ein<br />

Gesamtensemble: Die Die Kniende Kniende Kniende von Wilhelm Lehmbruck, der kristallin gefügte Sockel Sockel von<br />

Wolfgang Flad und seine aus dem massiven Block sich auflösende, grün lackeirte Bank – bench bench<br />

bench<br />

– zusammen mit der Lichtinstallation radial radial von Martin Pfeifle und der eigenwilligen<br />

Raumgestaltung Manfred Lehmbrucks – „eine Ganzheit von Objekt und Raum“.<br />

Bettina Schönfelder, <strong>Kunstverein</strong> <strong>Pforzhe<strong>im</strong></strong> <strong>im</strong> <strong>Reuchlinhaus</strong><br />

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Zu Zu den den Künstlern:<br />

Künstlern:<br />

Manfred Manfred Lehmbruck<br />

Lehmbruck<br />

geboren 1913 in Paris, wuchs in Berlin, Zürich und München auf. 1932 hospitierte er bei<br />

Ludwig Mies van der Rohe am Bauhaus in Dessau und nahm dann sein Studium der<br />

Architektur an der TU Berlin auf, das er 1938 an der TU Stuttgart bei Paul Bonatz abschloss. Er<br />

war Mitarbeiter <strong>im</strong> Studio Perret in Paris und promovierte 1942 mit einer Arbeit zum<br />

modernen Museumsbau an der TU Hannover. Ab 1950 arbeitete er als freier Architekt in<br />

Stuttgart, war Mitglied des International Council of Museums und Professor für Entwurf und<br />

Gebäudelehre an der TU Braunschweig. Am 26.11.1962 starb er in Stuttgart. Zu seinen<br />

wichtigsten Entwürfen gehören das Kulturzentrum <strong>Reuchlinhaus</strong> in <strong>Pforzhe<strong>im</strong></strong> (1953-1961), das<br />

Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg (1956-1964) und das Federsee-Museum in Bad<br />

Buchau (1959-1968).<br />

Weitere Informationen zu Manfred Lehmbruck finden sich in der Lehmbruck-Galerie <strong>im</strong> 1.<br />

Stock des <strong>Reuchlinhaus</strong>es.<br />

Wilhelm Wilhelm Lehm Lehmbruck<br />

Lehm Lehm uck<br />

geboren 1881 in Duisburg, besuchte bereits als Vierzehnjähriger die Kunstgewerbeschule in<br />

Düsseldorf. Von 1901-06 studierte er Bildhauerei an der Düsseldorfer Akademie. Ab 1907<br />

arbeitete er als freier Bildhauer, nahm Aufträge an, beteiligte sich an <strong>Ausstellung</strong>en und kam in<br />

Kontakt mit Sammlern. Er unternahm Studienreisen u.a. nach Holland, Belgien und Italien.<br />

1910 siedelte er mit seiner Familie nach Paris um, wo er seine Arbeit mit zunehmendem Erfolg<br />

fortsetzte. Er nahm 1913 an der New Yorker Armory Show und 1914 an der Kölner<br />

Werkbund-<strong>Ausstellung</strong> teil. Bedingt durch den Kriegsausbruch musste die Familie – der Sohn<br />

Manfred war 1913 auf die Welt gekommen – Paris verlassen und wohnte zunächst in Köln,<br />

dann in Berlin. Lehmbruck wurde gesundheitsbedingt vom Kriegsdienst freigestellt und konnte<br />

ungehindert sein Werk fortsetzen. 1916 reiste er in die Schweiz um dort das Kriegsende<br />

abzuwarten. In Zürich gewann er rasch Kontakt zum deutschen Emigrantenkreis, wo er auch<br />

die junge Schauspielerin Elisabeth Bergner kennen lernte. Starken Gemütsschwankungen<br />

ausgesetzt, arbeitete Lehmbruck <strong>zur</strong>ückgezogen in einer zunehmend schwierigen familiären<br />

Situation mit inzwischen drei Söhnen. Die Nachricht von seiner Wahl in die Preußische<br />

Akademie der Künste erreichte den Künstler, der sich <strong>im</strong> März 1919 aus Depression das Leben<br />

nahm, nicht mehr.<br />

Wolfgang Wolfgang Flad<br />

Flad<br />

geb.1974, hat nach einer Ausbildung zum Textildesigner, von 2000 bis 2004 an der Akademie<br />

der Bildenden Künste in Stuttgart Malerei studiert. Der Weg führte ihn über Reliefs <strong>zur</strong> farbig<br />

gefassten Skulptur. Die ersten vollplastischen Arbeiten entstanden 2004 und fanden rasch<br />

Eingang in Sammlungen wie die der Columbus Art Foundation, des Kunsthauses Zürich oder<br />

des Kunstmuseums Stuttgart.<br />

Martin Martin Pfeifle<br />

Pfeifle<br />

geb.1975, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf. 2004 erhielt er das Wilhelm Lehmbruck<br />

Stipendium der Stadt Duisburg und setzte sich erstmals intensiv mit den Werken Manfred und<br />

Wilhelm Lehmbrucks auseinander. Er war Stipendiat des Landes Nordrhein-Westfalen und der<br />

Kunststiftung Baden-Württemberg. 2009 nahm er eine Vertretungsprofessur an der<br />

Kunstakademie Karlsruhe wahr. 2010 war er Stipendiat der renommierten Villa Romana in<br />

Florenz.<br />

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