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Zwischenbilanz des Kampfs gegen Tuberkulose - wortundtat

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Lungenfacharzt Prof. em. Nikolaus Konietzko 1 im Vortrag über den Einsatz <strong>gegen</strong> <strong>Tuberkulose</strong><br />

im Osten Indiens<br />

Indiens Kampf <strong>gegen</strong> die <strong>Tuberkulose</strong> – eine <strong>Zwischenbilanz</strong><br />

Der Lungenfacharzt Prof. em. Dr. Nikolaus Konietzko seit vielen Jahren<br />

ehrenamtlich für die Bekämpfung der <strong>Tuberkulose</strong> (TB) im südindischen<br />

Bun<strong>des</strong>staat Andhra Pra<strong>des</strong>h. Dort unterstützt er das christliche<br />

Hilfswerk <strong>wortundtat</strong> und bereist regelmäßig die Region. Im <strong>wortundtat</strong>-TB-Krankenhaus<br />

in Chilakaluripet berät er die Ärzte und hilft,<br />

die Behandlungsmethoden mit einfachen Mitteln zu verbessern. Den<br />

hier dokumentierten Vortrag hielt er in leicht abgewandelter Form<br />

vor dem Rotary-Club Adenau Nürburg.<br />

Noch immer dominieren große Seuchen die weltweite To<strong>des</strong>ursachenstatistik: Jährlich starben drei<br />

Millionen Menschen an AIDS, zwei Millionen an <strong>Tuberkulose</strong> (TB) und eine Million an Malaria<br />

(Quelle: Weltgesundheitsorganisation / WHO). In besonderem Maße ist Indien betroffen, denn jeder<br />

fünfte TB-Tote ist ein Inder (Tabelle und Grafik rechts), und immer mehr Menschen auf dem Subkontinent<br />

infizieren sich. Das bedroht auch die Völkergemeinschaft denn der Erfolg der globalen<br />

STOP TB-Strategie der WHO ganz wesentlich vom Erfolg Indiens im Kampf <strong>gegen</strong> die „Weiße<br />

Pest“ ab. Das Stop TB-Programm soll<br />

die TB bis 2050 weltweit eliminieren.<br />

Bereits 1996 setzte daher die Indische<br />

Regierung das Revised National<br />

Tuberculosis Control Program (RNTCP)<br />

auf. Sie wurde dabei international unterstützt,<br />

unter anderen von der WHO, der<br />

Weltbank und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGO). Das Pro-<br />

gramm wurde in großen Teilen umgesetzt.<br />

Im Folgenden soll das bisher im RNTCP<br />

erreichte bilanziert werden. Dabei nehme<br />

ich Bezug auf publizierte Informationen<br />

und auf eigene langjährige Anschauung<br />

vor Ort. Seit rund 20 Jahren beteiligen<br />

sich die Autoren aktiv an einem Gesundheits-Projekt<br />

der christlichen Hilfsorganisation<br />

<strong>wortundtat</strong> im Bun<strong>des</strong>staat<br />

Andhra Pra<strong>des</strong>h. Zusammen mit der Regierung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>staates hat <strong>wortundtat</strong><br />

in Form einer Public Private<br />

Partnership den Kampf <strong>gegen</strong> die <strong>Tuberkulose</strong><br />

aufegnommen.<br />

1 In Zusammenarbeit mit Dr. Heinz-Horst Deichmann und Dr. Cornelia Krause<br />

1<br />

Globale TB-Inzidenz = 9,4 Millionen<br />

Indiens TB-Inzidenz = 1,98 Millionen


Nationale TB-Programme<br />

Die Sanatoriumsphase<br />

Indien setzte bei der Eindämmung der <strong>Tuberkulose</strong> in der Kolonialzeit bis hin zur Mitte <strong>des</strong> 20.<br />

Jahrhunderts, wie die meisten anderen Nationen dieser Zeit, auf die Sanatoriumsbewegung. Diese<br />

war in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts von Deutschland ausgegangen und hatte sich rasch<br />

über den ganzen Globus ausgebreitet. Das erste indische Sanatorium zur Behandlung und Isolierung<br />

von TB-Kranken wurde 1907 in Tiluania in Rajastan eröffnet. Heute sind fast alle Einrichtungen<br />

dieser Art, ähnlich wie in Deutschland, geschlossen oder einer anderen Indikation zugeführt.<br />

Die Massen-BCG-Impfung<br />

Nach diesem wenig effektiven Versuch startete die junge Indische Republik 1951 eine Massen-<br />

Impfkampagne <strong>gegen</strong> die <strong>Tuberkulose</strong> mit BCG (Bacille Calmette Guerin). Die BCG-Impfung wird<br />

bis heute in Indien, anders als in Ländern mit niedriger <strong>Tuberkulose</strong>-Inzidenz, bei Neugeborenen<br />

konsequent praktiziert. Die Effektivität der BCG-Impfung wird von Experten heute allerdings kritisch<br />

gesehen. Sie gewährt allenfalls einen relativen Impfschutz. Möglicherweise wird mit dieser<br />

Präventivmaßnahme zumin<strong>des</strong>t die kindliche <strong>Tuberkulose</strong> eingedämmt, insbesondere die unbehandelt<br />

so gut wie immer tödlich verlaufende Miliar-<strong>Tuberkulose</strong>.<br />

Das erste Nationale TB-Programm<br />

Beinah parallel – im Jahre 1952 – beschloss die indische Regierung das erste „National Tuberculosis<br />

Program“ (NTP). Das NTP setzte bei der Diagnostik in erster Linie auf das Röntgenbild <strong>des</strong> Thorax,<br />

ohne dass die untersuchenden Ärzte die erforderliche Qualifikation besaßen. Die Therapie erfolgte<br />

ambulant in Form oraler Antituberkulotika in unterschiedlichen Kombinationen. Das Programm war<br />

eingebettet in den Staatlichen Gesundheitsdienst. Der Public Health Service war jedoch, insbesondere<br />

in den ländlichen Regionen, den Erfordernissen bei einer stetig wachsenden Bevölkerung nicht<br />

gewachsen. Auch war die kontinuierliche Versorgung mit Medikamenten von Seiten der Regierung<br />

nicht gewährleistet. Die Aufdeckungsquote kam über 30 % nicht hinaus,<br />

40-60 % der Patienten brachen die Therapie vorzeitig ab, Inzidenz und Mortalität der <strong>Tuberkulose</strong><br />

stiegen in den 35 Jahren, in denen das Programm lief, sogar an. Letztlich scheiterte das „National<br />

Tuberculosis Program“ an vielerlei Unzulänglichkeiten der Organisation und nicht zuletzt an Geldmangel.<br />

Neuer Versuch mit revidiertem Programm<br />

Aber aus den Fehlern lernte man und so konnte 1996 ein neues, auf der globalen WHO-Strategie<br />

basieren<strong>des</strong> Revised National Tuberculosis Control Program (RNTCP) gestartet werden. Die Diagnose<br />

erfolgt dabei über den mikroskopischen Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum. Die ambulante<br />

Behandlung mit Medikamenten dauert sechs bis acht Monate und die Einnahme der Medizin<br />

wird überwacht: Directly Observed Treatment (DOT – Abb. rechts).Unter anderem soll das RNTCP<br />

2


den TB-Status der gesamten indischen Bevölkerung erfassen,<br />

70% der TB-Fälle sollen aufgedeckt, 85 % dieser Fälle geheilt<br />

werden.<br />

Nach und nach wurde das Programm im ganzen Land eingeführt<br />

und ist heute das weltweit größten Gesundheitsprojekt.<br />

Neben dem staatlichen Gesundheitsdienst stehen dem RNTCP<br />

über 300.000 in der <strong>Tuberkulose</strong>bekämpfung geschulte, staatliche<br />

Angestellte (Ärzten, Mikroskopie-Assistenten und Koordinatoren)<br />

zur Verfügung. Entsprechend der föderalen Staatsform<br />

Indiens wickelt jeder der 28 Bun<strong>des</strong>staaten, von der<br />

„Central TB Division“ im „Ministry of Health and Family<br />

Welfare“ in New Delhi zentral koordiniert, das Programm in eigener Verantwortung ab. Das<br />

RNTCP ist in „TB –Distrikte“ gegliedert mit einem „District TB Officer“ an der Spitze, 347 gibt es<br />

derzeit lan<strong>des</strong>weit. Die Distrikte wiederum bestehen aus mehreren „TB-Einheiten“, die jeweils für<br />

rund 500.000 Einwohner verantwortlich sind. Jede „TB-Unit“ wird von einem „TB-Arzt“ geleitet.<br />

Ihm sind ein „Behandlungsüberwacher“ und ein Verantwortlicher für die„Microscopy Centres“ zugeordnet.<br />

Auf jeweils 100.000 Einwohner gibt es ein solches „Microscopy Centre“ mit einem geschulten<br />

Laboranten. Zu den staatlichen Angestellten kommen noch ca. 400.000 sog. „DOT-Provider“ –<br />

das können Gesundheits-Arbeiterinnen oder Vorschullehrerinnen, aber auch Laienärzte sein. Sie<br />

organisieren und überwachen die Therapie vor Ort, wobei jedem Patienten der zu seinem Umfeld<br />

und zu seiner Kaste passende Provider zugeordnet wird.<br />

15 Jahre RNTCP sind ein Erfolg<br />

3<br />

Für private, nichtstaatliche Hilfsorganisationen<br />

bleiben noch ausreichend Aufgaben. So<br />

etwa betreibt die christliche Hilfsorganisation<br />

<strong>wortundtat</strong> ein eigenes Hospital für<br />

Schwerkranke (s. Abb.) in der Stadt<br />

Chilakaluripet, spendet bedürftigen TB-<br />

Kranken Reiszulagen und erleichtert den<br />

Transport von Medikamenten und Untersuchungsmaterial<br />

durch Koordinatoren, die<br />

meist auf Motorrädern unterwegs sind.<br />

1996 wurde das revidierte Nationale Programm zur Bekämpfung der <strong>Tuberkulose</strong> RNTCP gestartet.<br />

Seit März 2006 erreicht das RNTCP die gesamte Indische Nation mit ihren mittlerweile 1,21<br />

Milliarden Menschen. Die Bilanz Indiens nach 15 Jahren Kampf <strong>gegen</strong> die TB kann sich durchaus<br />

sehen lassen:<br />

Die zu Beginn <strong>des</strong> Programms gesteckten Ziele wurden erstmals 2007 erreicht: Die Aufdeckungsquote<br />

liegt seitdem bei 70 % und die Heilungsrate bei 85 %, beide mit ansteigender Tendenz. 2008<br />

wurden 1.51 Millionen Patienten behandelt, 2009 1.53 und 2010 1.52 Millionen. Bis 2010 summierte<br />

sich die Zahl der Behandelten auf 13 Millionen. Mehr als 2,3 Millionen Menschenleben konnten seitdem<br />

gerettet werden. Die <strong>Tuberkulose</strong>-Mortalität sank laut WHO von 42 pro 100.000 Einwohner


im Jahr 1990 auf 23/100.000 im Jahr 2009. Die Prävalenz der <strong>Tuberkulose</strong>, d.h. die Zahl aller zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt erfasster Patienten mit aktiver <strong>Tuberkulose</strong>, konnte im gleichen Zeitraum<br />

halbiert werden. Die Prävalenzrate wurde deutlich von 568/100.000 auf 249/100.000 gesenkt.<br />

Auch die Inzidenzrate, d.h die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen an <strong>Tuberkulose</strong> bezogen auf<br />

100.000 Einwohner, ist, verglichen mit der Rate <strong>des</strong> Jahres 1990, ebenfalls rückläufig (s. Abb.).<br />

4<br />

Abb 1.: Geschätzte <strong>Tuberkulose</strong>-Mortalitätsrate<br />

in Indien, auf 100.000 Einwohner<br />

bezogen (1990 bis 2009).<br />

Abb. 2: Geschätzte <strong>Tuberkulose</strong>-<br />

Prävalenzrate in Indien, auf 100.000<br />

Einwohner bezogen (1990 bis 2009).<br />

Abb. 3: <strong>Tuberkulose</strong>-Inzidenz in Indien,<br />

auf 100.000 Einwohner bezogen,<br />

von 1990 bis 2009: Die geschätzte<br />

Inzidenz-Rate ist als blaues Band<br />

dargestellt, die geschätzte TB+HIV-<br />

Rate orange und die notifizierte Inzidenzrate<br />

(aus RNTCP-Statistik) als<br />

schwarze Kurve.<br />

Allerdings stieg die Gesamtzahl der neu aufgetretenen TB -Fälle leicht an. Die Ursache dafür ist der<br />

rasante Bevölkerungszuwachs im Land, der die Erfolge bei der TB-Bekämpfung wieder „aufgezehrte“.<br />

Es bleiben Herausforderungen<br />

Ungenaue Statistiken<br />

Die WHO greift bei ihren Statistiken auf Zahlen der RNTCP zurück. Diese Zahlen halten jedoch<br />

einer Nachprüfung nicht allesamt stand. Dessen sind sich die Autoren dieses Vortrags sicher, die das<br />

Vorgehen bei der Betreuung TB-Kranker aus persönlicher Erfahrung kennen. Auch neutrale Be-


obachter haben bei Stichproben festgestellt: Sputum (Auswurf beim Husten) wird nur in 62 % der<br />

Fälle kontrolliert und die Arbeit wird meist nur unvollständig dokumentiert. Patienten, die bei privaten<br />

„Gesundheitsanbietern“ auflaufen, tauchen in der WHO-Statistik gar nicht auf, unentdeckte<br />

Fälle natürlich ebenfalls nicht. Das aber sind – wie Gesundheitsexperten schätzen – sicher genauso<br />

viele Erkrankte wie die offiziell registrierten.<br />

HIV/AIDS begünstigen die Verbreitung und beschleunigen den TB-Verlauf<br />

2,39 Millionen Inder leben mit HIV/AIDS. Jährlich rechnen die Behörden mit 120.000 Neuinfektionen<br />

und 172.000 To<strong>des</strong>fällen. Menschen mit positivem HIV-Status, die mit <strong>Tuberkulose</strong> infiziert<br />

sind, haben ein bis zu 40 Mal höheres Risiko, an einer aktiven <strong>Tuberkulose</strong> zu erkranken als HIVnegative.<br />

Das Risiko einer aktiven <strong>Tuberkulose</strong>erkrankung liegt jährlich bei 10-15 % und über das<br />

ganze Leben gerechnet bei 60 %. Da die Ko-Infektion von AIDS und TB besonders schlechte Heilungschancen<br />

hat, wundert es nicht, dass die <strong>Tuberkulose</strong> heute in Indien die häufigste To<strong>des</strong>ursache<br />

bei AIDS-Kranken ist.<br />

Umgekehrt ist bei etwa 5 % der <strong>Tuberkulose</strong>kranken auch der HIV–Test positiv, die Zahlen<br />

schwanken allerdings regional erheblich. So werden in den „TB-Units“ von Andhra Pra<strong>des</strong>h, dem<br />

Staat, in dem die Autoren tätig sind, Quoten bis zu 20 % erreicht. Meist breitet sich die Seuche entlang<br />

der National Highways aus. Wanderarbeiter, von denen es in Indien mehr als 200 Millionen<br />

gibt, Fernfahrer, Erntearbeiter und Straßenbauer infizieren sich bei den „sexual workers“, wie man<br />

Prostituierte hier euphemistisch nennt, und tragen die Seuche weiter ins Land, auch zu ihren Frauen.<br />

Über 5 % der Fernfahrer sind hier HIV–positiv und die Quote der HIV–positiven schwangeren<br />

Frauen liegt bei 3 %. In Indien erfolgt die Ansteckung mit HIV überwiegend durch heterosexuellen<br />

Kontakt.<br />

Beim Kampf <strong>gegen</strong> HIV/AIDS hat die Indische Regierung in den vergangenen zehn Jahren vorwiegend<br />

durch Aufklärung der Öffentlichkeit und Prävention bedeutsame Fortschritte erzielt. Auch in<br />

Diagnostik und Therapie bessert sich die Situation für die Betroffenen stetig: Jedermann kann sich in<br />

staatlichen Ambulanzen testen und beraten lassen. In einigen Bun<strong>des</strong>staaten bekommt der AIDS–<br />

Kranke auch unentgeltliche Hilfe. Die standardisierte antiretrovirale Therapie wird bei Lungen–TB–<br />

Kranken ab einer CD4-Zellzahl 2 < 350 pro µl Blut verabreicht. Auch ist es gelungen, die beiden<br />

staatlichen Programme zur Bekämpfung von <strong>Tuberkulose</strong> (RNTCP) und HIV/AIDS (NACO = National<br />

AIDS Control Organization) mittlerweile gut miteinander vernetzt. Die Zahl der HIV- Neuinfektionen<br />

geht lan<strong>des</strong>weit langsam zurück, wenngleich es regional erhebliche Unterschiede gibt.<br />

Immer mehr Medikamenten-Resistenzen<br />

Von multi-drug-resistance (MDR) 3 spricht man bei in vitro-Resistenz <strong>gegen</strong>über Rifampicin und<br />

Isoniazid, von extensive-drug-resistance (XDR) bei weiteren Resistenzen. Für die Diagnose greift<br />

man am besten auf die in vitro-Testung zurück, die jedoch mehrere Wochen benötigt. Immer öfter<br />

lösen daher molekularbiologische „Schnell“-Tests die bakteriologischen Methoden ab – auch in Indien.<br />

2 Anhand der CD 4-Zellzahl wird bestimmt, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist.<br />

3 Bei MDR-TB lassen sich die TB-Erreger nicht mehr mit den sonst üblichen Antibiotika behandeln.<br />

5


Weltweit wird von einer halben<br />

Million multiresistenter <strong>Tuberkulose</strong>fälle<br />

ausgegangen. In Indien<br />

leben mit geschätzten 90.000<br />

MDR-TB-Patienten pro Jahr die<br />

meisten Betroffenen (Tabelle<br />

rechts). Geschätzte 10 % dieser<br />

Patienten weisen noch weitere<br />

Resistenzen auf (XDR-TB). Bei der 300mal so teuren, langwierigen und oft schlecht verträglichen<br />

Behandlung der MDR-TB muss der Patienten gut mitarbeiten. Bis zu 30 % der Behandelten schaffen<br />

das nicht. Derzeit haben nur 4 % der MDR-TB-Patienten in Indien Zugang zu wirksamen Medikamenten<br />

Es gibt aber auch eine gute Botschaft: Die MDR-Rate in Indien ist über die letzten Jahren<br />

nicht angestiegen, sie liegt unverändert um 3 % bei den Erstbehandlungen und zwischen 12-17% bei<br />

der Wiederholungsbehandlungen.<br />

Hunger und Armut<br />

Eine wesentliche Ursache für die hohe Infektionsrate sind die extrem schlechten Lebensbedingungen<br />

der Menschen in Indien, wo vielerorts Hunger und Armut all<strong>gegen</strong>wärtig sind. Ein Drittel der indischen<br />

Bevölkerung lebt immer noch unterhalb der Armutsgrenze, muss also mit weniger als 1 US<br />

$ pro Tag auskommen. 35 % aller Kinder sind unter- und fehlernährt. Mangelernährung aber führt<br />

zu einem geschwächten Immunsystem und Armut sorgt dafür, dass Menschen dicht gedrängt in<br />

schlecht belüfteten Behausungen leben. Das begünstigt die Ausbreitung der TB enorm.<br />

Der Faktor Armut hängt auch eng mit dem erschwerten Zugang zu<br />

Bildung zusammen. Unwissenheit und Analphabetismus sind ein<br />

großes Hemmnis bei der frühen Erkennung der TB und bei ihrer<br />

konsequenten Behandlung. Erkrankt der Familienvater fällt der<br />

Hauptverdiener aus und bis zu 40 % <strong>des</strong> Jahreseinkommens gehen<br />

der betroffenen Familie verloren. Deswegen werden in wirtschaftlich<br />

schwachen Regionen viele Therapien abgebrochen. Die Rückfallquoten<br />

sind dort besonders hoch. Denn sobald der Kranke sich<br />

wegen der Medikamente besser fühlt, meist nach sechs bis acht<br />

Wochen, geht er wieder arbeiten und bricht die Behandlung vorzeitig<br />

ab. Hier kann die regelmäßige Ausgabe von Nahrung an bedürftige<br />

Kranken helfen, wie die Erfahrung bei <strong>wortundtat</strong> zeigt. Die<br />

Organisation praktiziert die monatliche Verteilung von Lebensmitteln<br />

an Erkrankte seit zehn Jahren mit Erfolg (Abb. rechts).<br />

Der private Gesundheitsmarkt<br />

Etwa die Hälfte der indischen TB-Kranken nimmt nicht am RNTCP teil, sondern geht zu privaten,<br />

nichtstaatlichen „Gesundheitsanbietern“. Dort behandeln sie fachlich inkompetente Ärzte oder<br />

Quacksalber mehr oder weniger nach Gutdünken. Zum Teil versorgen sich die Menschen auch<br />

selbstständig mit TB-Medikamenten, die Apotheker rezeptfrei verkaufen. Das kostet die Kranken<br />

viel – im Jahr 2006 immerhin 70 Millionen US-Dollar – dabei stellt das RNTCP die TB-<br />

6


Medikamente unentgeldlich bereit. Die Ursache für dieses Verhalten: Die Bevölkerung traut dem<br />

staatlichen Gesundheitsdienst so gut wie nicht über den Weg.<br />

Die indische Gesundheitspolitik<br />

All das konterkariert natürlich die Bemühungen <strong>des</strong> Regierungsprogramms. Die Lösung dieser unerträglichen<br />

Situation könnte aber einfach sein. Der freie Verkauf hoch wirksamer Medikamente muss<br />

verboten, Antibiotika und Antituberkulotika müssen unter Rezeptzwang gestellt werden. Es wäre<br />

zudem sinnvoll, die <strong>Tuberkulose</strong> als meldepflichtige Krankheit zu deklarieren. Der private Sektor<br />

müsste dann die Regierung über seine TB-Patienten informieren und würde sie langfristig in das<br />

RNTCP-Programm bringen. Fragwürdige Labortests müssen als solche von den Aufsichtsbehörden<br />

benannt und aus dem Untersuchungskatalog gestrichen werden. Aber mangelnder politischer Wille<br />

und eine korrupte Administration verhindern immer wieder rationale Entscheidungen wie diese.<br />

Indien hat – wie viele andere Länder – die TB zu lange als ernsthaftes Problem der Gesundheitspolitik<br />

vernachlässigt. Gleichzeitig wurde viel Hilfe von der Völkergemeinschaft angenommen: 22 Milliarden<br />

US-Dollar hat der Global Fund zwischen 2001 und 2011 weltweit in die Bekämpfung von<br />

AIDS, TB und Malaria gesteckt. Im November 2011 entschied jedoch der Vorstand der Initiative<br />

die für 2011 bis 2013 bereits budgetierten 1,55 Milliarden US-Dollar zu stoppen. Begründung: Betrug<br />

und Korruption bei nicht näher bezeichneten Regierungen, Indien war jedoch nicht darunter.<br />

Das war ein schwerer Rückschlag im Kampf <strong>gegen</strong> TB und andere Seuchen, birgt für Indien aber<br />

auch eine Chance: Das Schwellenland kann jetzt beweisen, dass es aus eigener Kraft den Rückschlag<br />

seines Programms verhindern und den weiteren Ausbau <strong>des</strong> RNTCP selbst schultern kann. Die<br />

Struktur <strong>des</strong> RNTCP ist intakt, ihre Finanzierung hängt vom politischen Willen der Regierung ab.<br />

Bei einer nach wie vor florierender Wirtschaft mit einem stetig wachsenden Bruttoinlandsprodukt –<br />

von 6-9,3 % im letzten Jahrzehnt – sollte dies gelingen. Ein ermutigen<strong>des</strong> Beispiel für die Indische<br />

Regierung kann der Erfolg bei der Ausrottung der Kinderlähmung sein: Indien ist seit letztem Jahr<br />

poliofrei. Der letzte Fall– ein zweijähriges Mädchen in Westbengalen– wurde am 13. Januar 2011<br />

verzeichnet.<br />

Zusammenfassung und Ausblick<br />

Indien hat weltweit die meisten TB-Toten zu beklagen: Jeder fünfte TB-Tote ist Inder. Das 1997<br />

begonnene Revised National Tuberculosis Control Program hat den Zugang der Bevölkerung zu<br />

besserer Diagnostik und angemessener Kurzzeittherapie mit zeitgemäßen Medikamenten ermöglicht.<br />

Seitdem sanken TB-Prävalenz, -Inzidenzrate und -Mortalität immer weiter. Doch gibt es noch zahlreiche<br />

Probleme, die den Kampf <strong>gegen</strong> die Seuche erschweren: das Bevölkerungswachstum im Land<br />

zehrt den Erfolg teilweise auf, die HIV/AIDS-Epidemie und resistente <strong>Tuberkulose</strong>keime erschweren<br />

die Behandlung und eher strukturelle Probleme bei Finanzierung, konkurrierenden privaten<br />

Anbietern und einem zu schwachen politischen Willen bis hin zu Korruption. Am schwersten aber<br />

wiegt die Armut der Menschen. Nur wenn sie sich lindern lässt und der Wohlstand im Land gleichmäßiger<br />

verteilt werden kann, lässt sich auch die TB besiegen. Gelingt Indien diese Anstrengung<br />

nicht, so kann auch die WHO das anspruchsvolle Ziel nicht erreichen, die Welt bis 2050 tuberkulosefrei<br />

zu machen.<br />

7

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