Handlungsempfehlungen Ess-Störungen - Kreis Paderborn
Handlungsempfehlungen Ess-Störungen - Kreis Paderborn
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Kommunale Gesundheitskonferenz<br />
Arbeitskreis „<strong>Ess</strong>störungen“<br />
Anlage 1<br />
Stand: 16-09-08<br />
Bericht und <strong>Handlungsempfehlungen</strong> der Arbeitsgruppe<br />
Frauengesundheit, Arbeitskreis <strong>Ess</strong>störungen zur verbesserten<br />
Versorgung von Menschen mit einer <strong>Ess</strong>störung im<br />
<strong>Kreis</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
Folgende Personen und Institutionen sind Mitglieder des Arbeitskreises und haben an der Entwicklung<br />
der Handlungsempfehlung mitgewirkt:<br />
- Frau Dr. Kuhnert Gesundheitsamt/ Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes – Leiterin<br />
des Arbeitskreises <strong>Ess</strong>störungen<br />
- Frau Mertens Selbsthilfe- Kontaktsstelle <strong>Paderborn</strong><br />
- Frau Enzian Vorsitzende des Psychotherapeutenvereins <strong>Paderborn</strong><br />
- Herr Thiele Barmer Ersatzkasse<br />
- Herr Tönsing Leiter der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche<br />
- Herr Schindel Leiter des Freien Beratungszentrums<br />
- Frau Dr. Knoche LWL-Klinik <strong>Paderborn</strong><br />
- Frau Mandrysch Leiterin der Suchtkrankenhilfe<br />
- Frau Dierkes Suchtkrankenhilfe<br />
- Herr Hoffmann Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
- Frau Brandt Selbsthilfegruppe für Betroffene<br />
- Frau Günther Selbsthilfegruppe für Angehörige<br />
- Frau Timmer Stadtjugendamt<br />
- Frau Hinterthür <strong>Kreis</strong>jugendamt<br />
- Frau Vischedyk Gesundheitsamt, Leiterin der AG Frauengesundheit<br />
- Frau Lubek SPD-Abgeordnete des <strong>Kreis</strong>tages<br />
Frau Riesenberg Leiterin der Geschäftsstelle kommunale Gesundheitskonferenz<br />
Für ein besseres und einheitliches Verständnis der Erkrankung „<strong>Ess</strong>störung“ war es uns ein wichtiges<br />
Anliegen, einen kurzen Überblick über Hintergründe und Auswirkungen einer <strong>Ess</strong>störung zu geben.<br />
1
<strong>Paderborn</strong>, September 2008<br />
Einführung in das Thema<br />
Allgemeine Hintergründe<br />
<strong>Ess</strong>störungen gehören in der westlichen Gesellschaft<br />
zu den häufigsten psychischen <strong>Störungen</strong><br />
mit körperlichen Symptomen– mit mehr<br />
oder weniger deutlichem Suchtcharakter (Kontrollverlust).<br />
<strong>Ess</strong>störungen äußern sich durch ein<br />
gestörtes Verhältnis zum <strong>Ess</strong>en und zum eigenen<br />
Körper. Es gibt verschiedene Formen von<br />
<strong>Ess</strong>störungen, wobei Mischformen häufig und<br />
die Übergänge fließend sind. <strong>Ess</strong>störungen<br />
führen zu gravierenden gesundheitlichen, seelischen<br />
und sozialen Folgen. Gerade in den letzten<br />
Jahren haben sich diese Erkrankungen –<br />
nicht nur bei Frauen, sondern zunehmend auch<br />
bei Männern und auch bei Kindern - zu einer<br />
Problematik mit hoher sozial- und gesundheitspolitischer<br />
Relevanz entwickelt.<br />
<strong>Ess</strong>störungen sind häufig von anderen seelischen<br />
Beschwerden begleitet. Wenn sie nicht<br />
rechtzeitig angemessen behandelt werden,<br />
führen sie zu dauerhaften, erheblichen körperlichen,<br />
seelischen und sozialen Schädigungen,<br />
die in Todesfälle durch die körperlichen Beeinträchtigungen<br />
oder durch Suizid münden können.<br />
Da <strong>Ess</strong>störungen sehr stark mit Selbstwert- und<br />
Autonomiekonflikten verbunden sind, begeben<br />
sich viele Betroffene aus Gründen der Scham<br />
nicht von selbst bzw. nicht aus eigenem Antrieb<br />
bzw. nicht rechtzeitig in Beratung oder Behandlung.<br />
Zum Zeitpunkt des Erstkontakts zu einer<br />
Fachberatung oder -behandlung ist das Krankheitsstadium<br />
oft chronifiziert. Daher wird aus<br />
Sicht spezialisierter medizinischer Einrichtungen<br />
ein Bedarf gesehen, das vorklinische Umfeld<br />
problematischen <strong>Ess</strong>verhaltens in Beratung und<br />
Hilfe einzubeziehen.<br />
Ein Großteil der essgestörten Personen sind<br />
weibliche Jugendliche und junge erwachsene<br />
Frauen. Für Kinder und Jugendliche ist <strong>Ess</strong>en<br />
noch in viel höherem Maße als für Erwachsene<br />
mit Gefühlen verbunden und stellt viel mehr als<br />
reine Nahrungsaufnahme dar. Es bedeutet<br />
Trost, Geborgenheit und Sicherheit. Für Kinder<br />
ist es daher in schwierigen Situationen noch<br />
nahe liegender als für Erwachsene, sich über<br />
das <strong>Ess</strong>en abzureagieren. Kinder und Jugendliche<br />
verweigern das <strong>Ess</strong>en im stummen Protest,<br />
zum Beispiel, weil sie sich von ihrer Umwelt<br />
überfordert fühlen, sie beruhigen sich mit <strong>Ess</strong>en,<br />
wenn sie Ängste haben und trösten sich mit<br />
Süßigkeiten über Enttäuschungen und Verluste<br />
hinweg. <strong>Ess</strong>störungen stehen ursächlich bei<br />
Kindern und Jugendlichen in engem Zusammenhang<br />
mit der Familie und ihrer sozialen<br />
Umwelt. Insofern kann es in der Behandlung<br />
von <strong>Ess</strong>störungen nicht alleine darum gehen,<br />
gegen die akuten Symptome der Nahrungsverweigerung<br />
oder des Überessens und Erbrechens<br />
anzugehen. <strong>Ess</strong>störungen entstehen aus<br />
dem Zusammenspiel biologischer, soziokultureller,<br />
persönlicher und familiär bedingter Faktoren.<br />
Hauptformen der <strong>Ess</strong>störungen<br />
Magersucht – Anorexia Nervosa<br />
Magersucht ist durch einen absichtlichen und<br />
selbst herbeigeführten Gewichtsverlust gekennzeichnet.<br />
Durch Hungern, Kalorienzählen und<br />
sportliche Aktivitäten wird versucht, dem Körper<br />
wenig Nahrung zuzuführen und den Energieverbrauch<br />
zu steigern. Die betroffene Person<br />
findet sich zu dick, obwohl sie schon extremes<br />
Untergewicht hat (Körperschemastörung). Die<br />
Anorexie entsteht meist in der Phase der Adoleszenz,<br />
überwiegend (bis zu 95%) sind Mädchen<br />
betroffen.<br />
Die anfängliche Euphorie über den Gewichtsverlust<br />
schlägt rasch in Depression um. Die<br />
Betroffenen leiden unter starken Wahrnehmungsstörungen<br />
des eigenen Körperbildes.<br />
Weitere gesundheitliche Folgen sind Verringerung<br />
des Grundstoffwechsels, Veränderung des<br />
Hormonhaushaltes, trockene Haut, Unterernährung,<br />
Muskelschwund und Vitamin- und Mineralstoffmangel.<br />
Die Langzeitfolgen sind beispielsweise<br />
Osteoporose und Unfruchtbarkeit.<br />
2
10-20% der Betroffenen sterben, jedoch meist<br />
nicht durch eigentliches Verhungern, sondern<br />
durch Infektionen des geschwächten Körpers,<br />
durch Suizid, Herz-<strong>Kreis</strong>lauf-Versagen und Nierenversagen.<br />
<strong>Ess</strong>-Brech- Sucht – Bulimia Nervosa<br />
Bei der <strong>Ess</strong>-Brech-Sucht sind die Betroffenen<br />
meist normalgewichtig, haben aber große Angst<br />
vor der Gewichtszunahme, dem "Dickwerden";<br />
man kann das als "Gewichtsphobie" umschreiben.<br />
Sie ergreifen deshalb ungesunde Gegenmaßnahmen<br />
wie Erbrechen, exzessiven Sport,<br />
Abführmittelgebrauch, Fasten oder Einläufe.<br />
Dadurch kommt der Körper in einen<br />
Mangelzustand und es kommt zu so genannten<br />
„<strong>Ess</strong>-Attacken“, wobei große Mengen Nahrung<br />
auf einmal verzehrt werden. Neben diesen<br />
Heißhunger-bedingten Fressattacken kommt es<br />
noch zu stressbedingten. Das Überessen und<br />
Erbrechen wird häufig als "entspannend" erlebt.<br />
Nach außen hin versuchen die Betroffenen, den<br />
Schein zu wahren und das schambesetzte unkontrollierte<br />
<strong>Ess</strong>en und Erbrechen zu verheimlichen.<br />
Soziale Isolation und depressive Verstimmungen<br />
sind häufige Begleiterscheinungen.<br />
Die gesundheitlichen Folgeschäden reichen von<br />
Zahnschäden (Erbrechen), Nierenschäden bis<br />
hin zu Herzrhythmusstörungen. Hinzu kommen<br />
soziale Belastungen wie finanzielle Belastungen<br />
und Verschuldungen.<br />
<strong>Ess</strong>anfälle ohne Regulationsverhalten– Binge-Eating-Disorder<br />
„To Binge“ stammt aus dem Englischen und<br />
bedeutet übersetzt der kurzeitige unmäßige<br />
Konsum von Genussmitteln. „Binge Eaters“<br />
essen in einem kurzen Zeitraum erheblich mehr<br />
als die meisten Menschen in einem ähnlichen<br />
Zeitraum essen würden. Sie erleben dabei ein<br />
Gefühl des Kontrollverlustes, essen meist<br />
schnell und können den <strong>Ess</strong>anfall erst beenden,<br />
wenn sie ein unangenehmes Völlegefühl und oft<br />
Übelkeit und Ekel erreicht haben.<br />
Regulative Verhaltensweisen zur Reduzierung<br />
des Gewichtes sind hier nicht typisch, so dass<br />
diese Menschen als Folge unter deutlichem<br />
Übergewicht (=Adipositas) leiden. Dies hat entsprechende<br />
psychische als auch körperliche<br />
Folgen, wie z.B. depressive Verstimmungen,<br />
Herz-<strong>Kreis</strong>laufbeschwerden, Stoffwechselstörungen,<br />
Bluthochdruck, Diabetis, erhöhte<br />
Schlaganfallgefahr.<br />
Auf das Thema Übergewicht wird nicht eingegangen.<br />
Im Unterschied zu den oben aufgeführten<br />
Krankheitsbildern handelt es sich bei<br />
Adipositas nicht um ein spezifisch gestörtes<br />
Verhalten, sondern um eine körperliche Symptomatik.<br />
Prävalenz der <strong>Ess</strong>störungen<br />
Die aufgeführten Zahlen dienen lediglich der<br />
Orientierungshilfe. Experten gehen von einer<br />
noch höheren Dunkelziffer aus:<br />
Prävalenz Geschlecht Altersgipfel<br />
Anorexia Nervosa 0,5–1% Ca. 95% weiblich 13 bis 23 Jahre/ 14-18<br />
Jahre<br />
Bulimia Nervosa 2-4% Ca. 95% weiblich 20 bis 30 Jahre<br />
Binge-Eating-<br />
Disorder<br />
2% der Bevölkerung,<br />
ca. 4-9% der Adipösen<br />
Ca. 60% weiblich<br />
Ca. 40% männlich<br />
Beginn um die 20 Jahre,<br />
kann auch später<br />
Quellen: Deutsche Hauptsstelle für Suchtfragen e.V. (2004), Suchtmedizinische Reihe, Band 3- <strong>Ess</strong>störungen (2004),<br />
www.medizin.de<br />
Situation in <strong>Paderborn</strong><br />
Die kommunale Gesundheitskonferenz des <strong>Kreis</strong>es<br />
<strong>Paderborn</strong> empfahl im Jahre 2006 der Arbeitsgruppe<br />
Frauengesundheit sich mit dem Thema<br />
<strong>Ess</strong>störungen zu befassen, da der Eindruck<br />
bestand, dass es für Menschen mit <strong>Ess</strong>störungen<br />
keine ausreichenden Hilfsmöglichkeiten im <strong>Kreis</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> gibt. Es wurde im Rahmen einer Untergruppe<br />
„<strong>Ess</strong>störungen“ eine Bestandsaufnahme<br />
und Bedarfsprüfung über die Hilfsmöglichkeiten für<br />
Menschen mit <strong>Ess</strong>störungen im <strong>Kreis</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
durchgeführt.<br />
3
Dem Arbeitskreis ist es wichtig, den Prozess seiner<br />
Arbeit seit 2006 zu verdeutlichen. Deswegen<br />
beschreiben wir zunächst die damalige Ausgangslage,<br />
die einen subjektiven Eindruck der beteiligten<br />
Betroffenen, Angehörigen und Fachdiensten wieder<br />
spiegelt.<br />
In unseren ersten Ergebnissen (ab Seite 4) konnten<br />
wir verschiedene Eindrücke einerseits bestätigen,<br />
anderseits aber auch relativieren. Letztendlich<br />
entwickelten wir aus alldem unsere vorliegende<br />
Handlungsempfehlung (ab Seite 6).<br />
Ausgangslage zu Beginn des Arbeitskreises<br />
2006 aus Sicht der Beteiligten:<br />
1. Alle beteiligten Institutionen haben partiell<br />
mit Betroffenen zu tun, niemand aber stellt<br />
eine gezielte und langfristig angelegte<br />
Versorgung sicher.<br />
2. Im Stadt und <strong>Kreis</strong>gebiet existiert kein<br />
medizinischer Dienst, der sich für die Behandlung<br />
und/oder der diagnostischen<br />
Abklärung einer <strong>Ess</strong>störung zuständig erklärt.<br />
3. Diagnostische Abklärung als Voraussetzung<br />
für weitere Behandlungsempfehlungen<br />
findet nicht statt.<br />
4. Betroffene und Angehörige haben keine<br />
Möglichkeit, sich gezielt zu dem Thema<br />
beraten zu lassen.<br />
5. Es existiert kein Krankenhaus im Stadt-<br />
und <strong>Kreis</strong>gebiet, das sich für Langzeit-<br />
oder Akutbehandlungen von <strong>Ess</strong>störungen<br />
verantwortlich erklärt.<br />
6. Vermittlungstätigkeiten in stationäre Klinikbehandlungen<br />
werden zurzeit nicht geleistet.<br />
7. Aufklärungs-, bzw. Präventionsarbeit wird<br />
fast gar nicht durchgeführt.<br />
8. Es gibt keine speziell ausgewiesenen<br />
Psychotherapeuten/innen im ambulanten<br />
Bereich.<br />
9. Es existiert eine Selbsthilfegruppe für <strong>Ess</strong>störungen.<br />
Die Gruppe ist ausgerichtet auf<br />
erwachsene Personen, deren Erkrankung<br />
bereits behandelt wurde und die ausreichend<br />
stabil sind. Bei einer akuten Problematik<br />
erklärt sich die Gruppe für überfordert.<br />
10. Für Minderjährige existiert kein spezielles<br />
Angebot im Bereich Selbsthilfe.<br />
11. Es existiert eine Selbsthilfegruppe für Angehörige<br />
von <strong>Ess</strong>gestörten.<br />
Erste Ergebnisse des Arbeitskreises – Bestandsaufnahme<br />
und Bewertung<br />
Hauptproblem ist, dass die Schnittstellen nicht<br />
funktionieren und man nicht weiß, wer noch in<br />
diesem Feld tätig ist. Es gibt eine Diskrepanz zwischen<br />
subjektiver Wahrnehmung der Therapieangebote<br />
durch die Betroffenen und der objektiv<br />
vorhandenen Möglichkeiten. Die Koordination und<br />
Öffentlichkeitsarbeit sollte deshalb verbessert werden.<br />
Um dem Versorgungsmangel zu begegnen, haben<br />
die beteiligten Institutionen falsche Eindrücke revidiert<br />
und erste Maßnahmen ergriffen:<br />
1. Die LWL Klinik, sowohl in der Ambulanz<br />
als auch auf den Sektorstationen und auf<br />
der Psychotherapiestation, berät und behandelt<br />
häufig sehr schwer <strong>Ess</strong>gestörte<br />
oder Menschen mit anderen komorbiden<br />
<strong>Störungen</strong>. Dazu gehört auch die Beratung<br />
von Angehörigen. Es wird aber keine<br />
Spezialsprechstunde und keine Gruppentherapie<br />
für Menschen mit <strong>Ess</strong>störungen<br />
angeboten. Für 2008 ist geplant (wenn es<br />
der Personalschlüssel und die finanziellen<br />
Mittel zulassen) in der Ambulanz eine<br />
Fachärztin für den Bereich <strong>Ess</strong>störungen<br />
einzusetzen, die dann auch bei vorhandenen<br />
Ressourcen ein Gruppenangebot erarbeiten<br />
könnte.<br />
2. Sowohl niedergelassene Psychiater/innen<br />
als auch Psychotherapeuten/innen behandeln<br />
Menschen mit einer <strong>Ess</strong>störung, dies<br />
war aber zu wenig bekannt.<br />
3. Die ambulanten Psychotherapeuten/innen<br />
in <strong>Paderborn</strong> haben bis zu 9 Monate Wartezeit<br />
auf einen ambulanten Behandlungsplatz.<br />
5 Psychotherapeuten/innen mit Kassenzulassung<br />
geben als Schwerpunkt die<br />
Behandlung von <strong>Ess</strong>störungen an, weisen<br />
aber auf begrenzte Kapazitäten hin. Nur<br />
im Einzelfall ist eine schnellere Therapieaufnahme<br />
möglich.<br />
4. Der sozialpsychiatrische Dienst ist schon<br />
immer zuständig für Menschen mit psychischen<br />
<strong>Störungen</strong>. Das betrifft auch Menschen<br />
mit einer <strong>Ess</strong>störung. Er erklärt sich<br />
auch weiterhin als erste Kontaktaufnah-<br />
4
mestelle bereit, Betroffene über bestehende<br />
Hilfsangebote zu informieren und ggf.<br />
weiter zu verweisen. Er kann aber aus<br />
Kapazitätsgründen die Betroffenen nicht<br />
langfristig begleiten und versorgen.<br />
5. Die Ambulanz und Tagesklinik der Kinder<br />
und Jugendpsychiatrie Marsberg bietet für<br />
den <strong>Kreis</strong> <strong>Paderborn</strong> ambulante und teilstationäre<br />
Behandlungsmöglichkeiten an.<br />
Stationäre Hilfen für Kinder und Jugendliche<br />
gibt es im St. Vincenz Krankenhaus<br />
und in der Kinder und Jugendpsychiatrie<br />
Marsberg.<br />
6. Aufklärungs- bzw. Präventionsarbeit wird<br />
nur vereinzelt durchgeführt. Kleinere Veranstaltungen<br />
zu dem Thema werden von<br />
der Präventionsfachkraft der Suchtkrankenhilfe<br />
und vom Leiter der Beratungsstelle<br />
für Eltern, Kinder und Jugendliche<br />
durchgeführt.<br />
7. Die Barmer Ersatzkasse erfasste Im Jahr<br />
2006 ca. 35 Patienten/innen mit Leistungen<br />
bei einer akuten <strong>Ess</strong>störung. Eine Abfrage<br />
der anderen Krankenkassen ergab,<br />
dass <strong>Ess</strong>gestörte nicht speziell erfasst<br />
werden. Konkrete Zahlen über die Anzahl<br />
der <strong>Ess</strong>gestörten im <strong>Kreis</strong> <strong>Paderborn</strong> sind<br />
deshalb nicht vorhanden, da eine spezielle<br />
Dokumentation nicht durchgeführt wird.<br />
8. Angeregt durch den Arbeitskreis hat die<br />
Suchtkrankenhilfe ein ambulantes Gruppenangebot<br />
für erwachsene <strong>Ess</strong>gestörte<br />
initiiert, das von einer Diplom Psychologin<br />
angeleitet wird und psychotherapeutisch<br />
ausgerichtet ist.<br />
9. Rückmeldungen von betroffenen Frauen<br />
aus der Selbsthilfegruppe und der angeleiteten<br />
Gruppe ergaben, dass sie sich subjektiv<br />
unterversorgt fühlen.<br />
10. Die Suchtkrankenhilfe des Caritas-<br />
Verbandes hat sich über ihre Vertragslage<br />
hinaus bereit erklärt, vereinzelt Beratungsgespräche<br />
für die Personengruppe<br />
der Erwachsenen in akuten Krisensituationen<br />
durchzuführen.<br />
11. Das Freie Beratungszentrum und die Beratungsstelle<br />
für Eltern Kinder und Jugendliche<br />
des Caritas-Verbandes <strong>Paderborn</strong><br />
bieten im Einzelfall Beratungsmöglichkeiten<br />
an, können sich aber aus Kapazitätsgründen<br />
nicht gänzlich auf diese<br />
Zielgruppe ausrichten.<br />
12. Die Ev. Kinder- und Jugendhilfe St. Johannisstift<br />
eröffnet eine Wohngruppe am<br />
1.10.08 für Mädchen und junge Frauen mit<br />
<strong>Ess</strong>störungen.<br />
13. Über eine zweitägige Fortbildungsveranstaltung<br />
zu diesem Thema konnte eine<br />
erste Schulung von Fachkräften erfolgreich<br />
durchgeführt werden.<br />
14. Darüber hinaus fanden erste systematische<br />
Präventionsveranstaltungen in verschiedenen<br />
Klassen der Jahrgangsstufe 8<br />
an der Gesamtschule in Elsen statt. Diese<br />
sollen langfristig für alle <strong>Paderborn</strong>er<br />
Schulen angeboten werden. Eine Schulung<br />
der Pädagogen schließt daran an.<br />
15. Innerhalb der letzten drei Jahre registrierte<br />
die Selbsthilfe-Kontaktstelle <strong>Paderborn</strong><br />
durchschnittlich 8% aller Anfragen zu dem<br />
Thema <strong>Ess</strong>störungen.<br />
16. Bricht man die bundesweiten Zahlen von<br />
<strong>Ess</strong>störungen auf die Gesamtbevölkerungsanzahl<br />
in <strong>Paderborn</strong> herunter, so gibt<br />
es im Stadt- und <strong>Kreis</strong>gebiet:<br />
- ca. 700 Magersüchtige<br />
- ca. 5600 Bulimieerkrankte<br />
- ca. 5600 Menschen mit Binge-Eating-Disorder<br />
5
Handlungsempfehlung des Arbeitskreises „<strong>Ess</strong>störung“:<br />
In <strong>Paderborn</strong> findet bisher keine integrierte Versorgung<br />
von Menschen die an einer <strong>Ess</strong>störung<br />
erkrankt sind statt. Wünschenswert wäre ein spezialisiertes<br />
und auch niedrigschwelliges Angebot<br />
für diese Patientengruppe.<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass<br />
frühzeitige Diagnose und Intervention die Heilungschancen<br />
erhöhen. Die Maßnahmen sollten<br />
dabei individuell an den Bedürfnissen der Betroffenen<br />
ausgerichtet sein, da die Hintergründe sehr<br />
variabel sind. Ein bedarfsdeckendes Angebot der<br />
Hilfe muss somit auf eine differenzierte Palette von<br />
Einrichtungen und Angeboten zurückgreifen können.<br />
Kernstück so einer Versorgungslandschaft<br />
bildet eine ambulante Anlauf- bzw. Beratungsstelle,<br />
die mit der entsprechenden Schlüsselposition<br />
Modell:<br />
beauftragt wird und in der alle Fäden zusammenlaufen<br />
und von der alle Impulse ausgehen.<br />
Vor dem Hintergrund einer intensiven Recherche<br />
und Versorgungsanalyse wird von der Arbeitsgruppe<br />
demnach folgende Empfehlung ausgesprochen:<br />
Entwicklung eines ambulanten und<br />
spezialisierten Versorgungsangebotes<br />
für Menschen mit einer <strong>Ess</strong>störung innerhalb<br />
des Stadt- und <strong>Kreis</strong>gebietes<br />
<strong>Paderborn</strong><br />
6
Selbsthilfegruppen<br />
Folgende drei Tätigkeits- bzw. Arbeitsschwerpunkte<br />
sollte eine Anlauf- und Beratungsstelle<br />
beinhalten:<br />
1. Niedrigschwellige und flächendeckend<br />
zugängliche Information und Beratung<br />
Niedrigschwelliger Zugang, unter anderem<br />
auch über anonymisierte Online-<br />
Informations- und Beratungsmöglichkeiten<br />
Allgemeine Informationsvermittlung für<br />
Betroffene und Angehörige<br />
Früherkennung und Frühdiagnostik um<br />
Behandlung abzustimmen und empfehlen<br />
zu können<br />
Beratung von Betroffenen und Angehörigen<br />
Frühintervention von vorklinischen <strong>Ess</strong>störungen<br />
bei Kindern, Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen<br />
Familientherapie bzw. Familienberatung<br />
Vermittlung in weiterführende ambulante<br />
und/oder stationäre Hilfen<br />
Leichter Zugang auch online, Primärprävention<br />
durch Information und Aufklärung der Öffentlichkeit/<br />
Bevölkerung<br />
Anlauf- und Beratungsstelle<br />
für Erwachsene, Kinder und Jugendliche<br />
mit einer <strong>Ess</strong>störung<br />
sowie<br />
deren Angehörigen<br />
Ambulante<br />
ärztliche und<br />
psychotherapeutische<br />
Behandlung<br />
Integrierte Versorgung:<br />
Einzeltherapie<br />
Ernährungsberatung<br />
Gruppenarbeit<br />
Stationäre<br />
Behandlung<br />
Eingliederungshilfen<br />
Begleitung bei Überbrückung von Wartezeiten<br />
in entsprechende Weiterbehandlungen<br />
Ambulante Nachsorgeangebote (Einzel-<br />
oder Gruppenangebote)<br />
Psychosoziale und therapeutische<br />
Gruppenangebote für Betroffene und<br />
Angehörige, differenziert nach Alter,<br />
Geschlecht und Erkrankungsgrad<br />
2. Vernetzung und Bildung von Kooperationen<br />
Vernetzung unter den verschiedenartigen Hilfsangeboten<br />
trägt dazu bei, einen lückenlosen<br />
Übergang zwischen einer Hilfsmaßnahme in die<br />
nächste zu ermöglichen. Erst danach kann eine<br />
flächendeckende, integrierte Versorgung gewährleistet<br />
werden. Der Auftrag einer Anlauf-<br />
oder Beratungsstelle muss sein, diese Vernetzung<br />
anzustreben und fehlende Hilfsmaßnahmen<br />
in Kooperation mit anderen Anbietern ins<br />
Leben zu rufen. Neben der professionellen<br />
Klientenarbeit gilt es, eine systematische Ver-<br />
7
netzung von flankierenden Hilfsangeboten zu<br />
organisieren.<br />
Aufbau einer akut und langfristig angelegten<br />
Versorgungslandschaft (im medizinischen<br />
und psychosozialen Bereich)<br />
innerhalb von <strong>Paderborn</strong><br />
Gewinnung von Fachleuten unterschiedlichster<br />
Professionen aus der<br />
Psychosomatik<br />
Systematische Vernetzung von bereits<br />
vorhandenen flankierenden Hilfsangeboten<br />
für Betroffene<br />
3. Prävention<br />
Prävention bezogen auf <strong>Ess</strong>störungen zielt zunächst<br />
auf Information und Aufklärung ab, des<br />
Weiteren auf allgemeine Persönlichkeitsstärkung,<br />
auf die Förderung eines gesunden Bezugs<br />
zum Körper und auf konstruktive Bewältigungsstrategien<br />
bei Konflikten und Entwicklungsstress.<br />
Gleichzeitig muss eine Sensibilisierung<br />
sowohl im familiären Umfeld als auch im<br />
professionellen Bereich angeregt werden, um<br />
eine <strong>Ess</strong>störung möglichst frühzeitig wahrzunehmen<br />
und adäquate Hilfestellung anbieten zu<br />
können.<br />
Vermittlung von Grundwissen über <strong>Ess</strong>störungen<br />
und deren alters- und geschlechtsspezifische<br />
Hintergründe<br />
Präventionsangebote im Bereich Primärprävention<br />
Sekundärprävention<br />
Schulung von MultiplikatorInnen<br />
Schulveranstaltungen<br />
Ein ausdifferenziertes, spezialisiertes<br />
Beratungsangebot ist Voraussetzung für<br />
eine flächendeckende Hilfe und der<br />
wichtigste Schritt, um langfristig und<br />
nachhaltig eine Versorgung von Menschen<br />
mit einer <strong>Ess</strong>störung für das<br />
Stadt- und <strong>Kreis</strong>gebiet sicher zu stellen.<br />
Nur so kann tatsächlich eine frühzeitige<br />
Aufklärung und Erkennung sowie eine<br />
wirksame Beratung und Behandlung der<br />
<strong>Ess</strong>störungen gelingen.<br />
Zusammenfassung:<br />
Es fand erstmalig eingegenseitiger Informationsaustausch<br />
statt<br />
Die Teilnehmer der Arbeitsgruppe <strong>Ess</strong>störungen<br />
der KGK prüften die derzeitige Versorgungssituation<br />
und stellten fest, welche Angebote<br />
es im <strong>Kreis</strong> <strong>Paderborn</strong> für <strong>Ess</strong>gestörte gibt.<br />
Ferner wurde geprüft, was mit den vorhandenen<br />
Ressourcen verbessert werden könnte.<br />
Es wurde eine 2 -tägige Fortbildung für Multiplikatoren<br />
(Ärzte/innnen, Psychotherapeuten/innen<br />
und Sozialarbeiter/innen) zum Thema <strong>Ess</strong>störungen<br />
durchgeführt.<br />
Es wurde ein Flyer über Hilfsangebote für Menschen<br />
mit <strong>Ess</strong>störungen erstellt.<br />
Die Suchtkrankenhilfe des Caritas Verbandes<br />
<strong>Paderborn</strong> gründete eine angeleitete Selbsthilfegruppe.<br />
Der Sozialpsychiatrische Dienst informiert jetzt<br />
auch über Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten<br />
für Menschen mit <strong>Ess</strong>störungen und<br />
deren Angehörige, incl. Adressliste über Hilfsangebote,<br />
Aufklärung zum Betreuten Wohnen<br />
nach Klinikentlassung, Information über Krankheitsbilder.<br />
Die Träger des Betreuten Wohnens bieten jetzt<br />
auch Hilfen für <strong>Ess</strong>gestörte an.<br />
Die Arbeitsgruppe empfiehlt die:<br />
1. Finanzierung der angeleiteten Selbsthilfegruppe<br />
für Menschen mit <strong>Ess</strong>störungen<br />
2. Klärung der Finanzierung einer niedrigschwelligen<br />
Beratungsstelle für Kinder,<br />
Jugendliche und Erwachsene.<br />
3. Entwicklung eines Präventionskonzeptes<br />
für Lehrer/innen und Schüler/innen<br />
und Durchführung von Präventionsveranstaltungen<br />
für dieselbigen<br />
4. eine bessere Vernetzung der Angebote<br />
5. Fortbildung der Hausärzte/innen und<br />
Multiplikatoren (z. B. Lehrer/innen)<br />
Personalkapazitäten für eine niedrigschwellige<br />
Beratungsstelle:<br />
Um dem o.g. Bedarf gerecht werden zu können,<br />
müsste mindestens eine Vollzeitstelle angesetzt<br />
werden. Nur dann können Präsenz- und verbindliche<br />
Erreichbarkeitszeiten, aber auch Eingangsdiagnostik,<br />
darauf aufbauende Beratung<br />
8
und eine indikations- und bedarfsorientierte<br />
Vermittlung gewährleistet werden.<br />
Kosteneinsparungen könnten im verwaltungstechnischen<br />
Bereich erfolgen, indem beide Stellen<br />
in eine bestehende Beratungsstelle integriert<br />
werden. Hier können sich bewährte Synergieeffekte<br />
ergeben. Dadurch könnten vorhandene<br />
Ressourcen für das Stadt - und <strong>Kreis</strong>gebiet<br />
optimal genutzt, die Wirtschaftlichkeit und der<br />
fachliche Austausch gewährleistet und alle zuvor<br />
erwähnten Zielgruppen bedient werden.<br />
Verwendete Literatur und Quellen:<br />
- „Leitlinien zur Behandlung von <strong>Ess</strong>störungen“,<br />
Bundes Fachverband <strong>Ess</strong>störungen e.V., 2007<br />
- „Zahlen, Daten, Fakten“, Deutsche Hauptsstelle<br />
für Suchtgefahren, 2004<br />
- „<strong>Ess</strong>störungen – Leitfaden für Eltern, Angehörige,<br />
Partner, Freunde, Lehrer und Kollegen“, Bundeszentrale<br />
für gesundheitliche Aufklärung, 2007<br />
- „Hilfen bei <strong>Ess</strong>-<strong>Störungen</strong> - Expertise über die bestehenden<br />
Angebote in NRW“, Ministerium für Ar-<br />
beit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westafeln,<br />
2005<br />
- www.medizin.de<br />
- Lehrbuch der psychotherapeutischen Medizin, Ahrens,<br />
Stephan: Schattauer, Stuttgart 1997<br />
9