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DAS MAGAZIN 07/08 2009 - Kölner Philharmonie

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ieren. Und er wird ein weiteres Mal zeigen,<br />

dass in ihm – bei aller stilistischer Vielseitigkeit<br />

– ein besonders großes Herz für die romantische<br />

Seele schlägt. Die romantische<br />

Seele, das weiß Gergiev, ist lyrisch, bewegt<br />

und zerrissen, und eben diese Zerrissenheit<br />

stellt er klar und unsentimental, aber mit<br />

enormem poetischen Feingespür, heraus.<br />

Der dritte Abend ist ganz der progressivsten<br />

Figur der russischen Romantiker gewidmet<br />

– Modest Mussorgksky. Von Haus aus Autodidakt,<br />

gelangen dem jahrelang der Trunksucht<br />

verfallenen ehemaligen Staatsdiener<br />

Mussorgsky, der mit Balakirew, Cui, Borodin<br />

und Rimskij-Korsakow als „Mächtiges Häuflein“<br />

den kompositorischen Kontrapunkt<br />

zur Tschaikowsky-Tradition bildete, um so<br />

kühnere Vorgriffe auf moderne Zeiten. Und<br />

diese wird Gergiev mit Leidenschaft zum<br />

Klingen bringen. Zu Gehör kommen dabei<br />

nicht nur die berühmte, von Rimskij-Korsakow<br />

instrumentierte sinfonische Dichtung<br />

„Eine Nacht auf dem Kahlen Berge“ und<br />

die 1874 ursprünglich für Klavier komponierten,<br />

von einer Schau der Zeichnungen<br />

und Bühnenentwürfe seines verstorbenen<br />

Freundes Viktor Hartmann inspirierten „Bilder<br />

einer Ausstellung“ in der Orchesterfassung<br />

von Ravel, sondern auch der Liederzyklus<br />

„Kinderstube“ und die „Lieder und<br />

Tänze des Todes“. Letzteres ein Zyklus, den<br />

Dmitrij Schostakowitsch 1962 für Bass und<br />

Orchester instrumentierte und im selben<br />

Jahr in Gorkij aufführte. In seiner Düsternis,<br />

seiner existenziellen Dichte erinnert er<br />

an Schuberts „Winterreise“; und er schlägt<br />

den direkten Bogen zur bilanzierenden<br />

Lebensreflexion eines Schnittke sowie zur<br />

introvertierten, abgründigen Düsternis der<br />

sechsten Sinfonie von Tschaikowsky. Insofern<br />

besticht diese Reihe nicht nur durch<br />

die Konzerte an sich, sondern auch durch<br />

ihren Rahmen, der die drei Abende miteinander<br />

verbindet.<br />

Der in St. Petersburg lebende Valery Gergiev<br />

zählt heute zu den großen Dirigenten<br />

unserer Zeit. Als er 1992, unmittelbar<br />

nach seiner erfolgreichen Initiierung des<br />

Festivals „Weiße Nächte“, die Position des<br />

Generaldirektors des Mariinsky-Theaters<br />

übernahm, war er in der internationalen<br />

Konzertwelt beileibe kein Unbekannter<br />

mehr. Sein grandioser Auftritt beim Schleswig-Holstein<br />

Musikfestival hatte ihn be-<br />

reits drei Jahre zuvor international bekannt<br />

gemacht. Beim Rotterdamer Philharmonischen<br />

Orchester hatte er als erster Gastdirigent<br />

stürmische Erfolge gefeiert, und an<br />

der Bayerischen Staatsoper war ihm mit<br />

„Boris Godunow“ ein großer Wurf gelungen.<br />

In Leningrad schließlich war er es gewesen,<br />

der die Kultur stets hochgehalten<br />

und – insbesondere als Chef der Kirov Oper<br />

– entscheidende Akzente gesetzt hatte.<br />

Auch das Mariinsky-Orchester hatte er als<br />

Gastdirigent immer wieder quer durch Europa<br />

geführt. Ein idealer Background also,<br />

um nun diesen seit 1860 existierenden<br />

Klangkörper vollends an die Spitze zu führen.<br />

Einen bravourösen Orchesterapparat<br />

mithin, dessen in der Tradition der großen<br />

russischen Orchester wurzelndes Potenzial<br />

so enorm war wie das riesige Repertoire.<br />

Dieser aber drohte, wohl als Folge der seinerzeit<br />

eher stiefmütterlichen Entwicklung<br />

der Klassik-Szene der postkommunistischen<br />

Ära, zwischenzeitlich zu erodieren,<br />

wenn nicht gar zu zerfallen. Doch der neue<br />

Mariinsky-Generaldirektor Gergiev setzte<br />

von Anfang an all seine Energie in das<br />

Projekt, und so gelang es ihm schließlich,<br />

das traditionsreiche Ensemble zu erneuern<br />

und zu einem weltweit renommierten orchestralen<br />

Klangkörper aufzubauen. Heute<br />

sind Gergiev und das Orchester praktisch<br />

eine Einheit, ein konzertantes „Markenprodukt“,<br />

das an Stärke und Authentizität seinesgleichen<br />

sucht. Tourneen führen Gergiev<br />

und sein Ensemble auf Konzert- und<br />

Opernbühnen rund um den Erdball, und<br />

auch im Plattenstudio gelingen Gergiev<br />

weltweit gefeierte Aufnahmen. Angefangen<br />

bei den Sinfonien Schostakowitschs<br />

über Tschaikowsky bis hin zu Rachmaninow<br />

und Prokofjew. Gergiev: „Das Mariinsky-Theater<br />

und ich sind sehr miteinander<br />

verbunden. Wir arbeiten im Grunde fast<br />

jeden Tag 24 Stunden, fast ohne Pause<br />

zusammen. Ja, man kann sagen, dass das<br />

Mariinsky und ich rund 250 Tage im Jahr<br />

miteinander verbringen“. Das hindert den<br />

Maestro nicht daran, die verschiedensten<br />

anderen Aufgaben wahrzunehmen. So<br />

seine weiteren Chefdirigentenpositionen<br />

beim London Symphony Orchestra und<br />

beim Rotterdamer Philharmonischen Orchester<br />

oder – seit 1997 – sein Wirken als<br />

erster Gastdirigent der Metropolitan Opera<br />

in New York. Doch wo immer er gerade am<br />

Pult steht: Routine kommt für ihn nicht auf.<br />

8<br />

9<br />

Valery Gergiev und das<br />

Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg<br />

Der Dirigent<br />

Der 1953 in Moskau geborene Valery Gergiev<br />

wächst in Vladikavkaz im Kaukasus auf. An<br />

der dortigen, heute nach ihm benannten<br />

Musikschule erhält er ersten Klavierunterricht.<br />

Schon bald wird er in das Förderprogramm der<br />

damaligen UdSSR aufgenommen. Er beginnt<br />

eine Klavierausbildung in Ordschonikidse,<br />

wechselt dann jedoch bald zum Orchesterfach.<br />

Am Leningrader Konservatorium studiert er<br />

Dirigieren beim legendären Ilya Musin.<br />

1977 wird er mit dem ersten Preis des Herbertvon-Karajan-Wettbewerbs<br />

in Berlin ausgezeichnet.<br />

Diese Ehrung erweist sich als Initialzündung<br />

für seine erste wichtige Position: 1977<br />

sammelt Gergiev wegweisende Erfahrungen als<br />

Assistent von Yuri Temirkanov an der Kirov Oper<br />

in St. Petersburg, und nun geht es für den aufstrebenden<br />

jungen Spitzenmusiker steil bergauf.<br />

Von 1981 bis 1985 leitet er das Armenische<br />

Staatsorchester. 1988 wird er Chefdirigent der<br />

Kirov Oper. Seit 1996 wirkt Gergiev außerdem<br />

als Generaldirektor des Mariinsky-Theaters/<br />

Kirov Oper. Weitere Aufgaben wie die Chefdirigentenposition<br />

des Rotterdamer Philharmonischen<br />

Orchesters (ab 1995) und des London<br />

Symphony Orchestra kommen hinzu.<br />

Gergiev wird mit vielen internationalen Preisen<br />

ausgezeichnet (u. a. Classic Music Award der<br />

Royal Albert Hall 1993) und ist Initiator verschiedener<br />

Festivals. Auch Konzertreisen rund<br />

um den Erdball und TV-Produktionen steigern<br />

sein Ansehen beträchtlich. Viel beachtet<br />

sind auch seine CD-Einspielungen, u. a. die<br />

Aufnahmen der Sinfonien Schostakowitschs.<br />

Zu seinen aktuellen Produktionen zählt das<br />

2006 erschienene „Russian Album“, das Gergiev<br />

zusammen mit der von ihm geförderten Anna<br />

Netrebko aufnahm.

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