deutsches Festival 11.â18. Juni 2011
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12 24 JuNI ’11<br />
Kurz KriTiSierT<br />
kuRz kRITIsIERT<br />
ödipus Leben nimmt eine furchtbare wendung – auch wenn er eine Frau ist.<br />
vorne: Jutta Dolle, hinten: Anne Schröder, © vkkbA / Foto: weimer<br />
DIE uNglücksFRau<br />
„König öDipuS“ von SophoKleS im<br />
horizonT TheaTer<br />
Tragisch sind die ereignisse, die ödipus widerfahren:<br />
Trotz aller vorsichtsmaßnahmen erfüllt sich die prophezeiung,<br />
tötet er seinen vater und schläft mit der eigenen<br />
mutter. im horizont Theater lässt regisseur christos nicopoulos<br />
Sophokles große Tragödie über einen mann, der<br />
sich selbst das augenlicht nimmt, weil er sein Schicksal<br />
nicht ertragen kann, ausgerechnet von drei Schauspielerinnen<br />
spielen.<br />
während anne Schröder als ödipus überzeugend einen<br />
herrscher spielt, der nach und nach erkennen muss, dass<br />
sein leben eine fürchterliche wendung nimmt, schlüpfen<br />
Jutta Dolle (u.a. als Kreon und blinder Seher Teiresisas)<br />
und maren pfeiffer (u.a. als iokaste und bote) in mehrere<br />
rollen. Die rollenwechsel werden über das Kostüm<br />
(Sylvia wasserburger) angedeutet, das in schlichten<br />
erdtönen gehalten ist. ein Tuch wird dabei mal zur königlichen<br />
Schärpe, mal zum gewand der Thebaner oder<br />
boten. So behält man trotz der vielzahl der rollen den<br />
überblick. leider fällt die schauspielerische leistung von<br />
maren pfeiffer gegenüber ihren Kolleginnen ab, sie kann<br />
in keiner ihrer rollen völlig überzeugen – was nicht zuletzt<br />
auch einigen verpatzten einsetzern geschuldet ist.<br />
auch von einer „verborgenen Spiritualität“, wie es im<br />
ankündigungstext heißt, die durch rollenverteilung einzig<br />
auf frauen in den vordergrund rücke, ist an diesem<br />
abend wenig zu spüren. vielmehr sind es einfach drei<br />
Schauspielerinnen, die männerrollen spielen, ohne dass<br />
sich dadurch ein neuartiger aspekt des Stückes erkennen<br />
ließe. Jedoch lenkt die reine frauen-besetzung den<br />
fokus vermehrt darauf, dass es in Sophokles Tragödie,<br />
unabhängig von der geschlechtszugehörigkeit, auch um<br />
die macht des Schicksals geht, die hier an ödipus nur<br />
beispielhaft demonstriert wird. Die bühne (Jan pawlowski)<br />
des horizont-Theaters ist, wie die ganze inszenierung,<br />
eher schlicht gehalten. vor schwarzen vorhängen führen<br />
drei holzplatten schräg nach oben. in der mitte ist der<br />
vorhang leicht geöffnet, links und rechts sind hellere<br />
Stoffbahnen, so dass die öffnung wie ein Säuleneingang<br />
zum Königshaus wirkt. bei den proben war ein arbeitskreis<br />
von Schülern des Kölner montessori-gymnasiums<br />
anwesend, die eigene ideen und anmerkungen einbringen<br />
konnten. ziel war es, auch ihnen die antike Tragödie<br />
nahe zu bringen.<br />
Dies gelingt wohl auch durch die Textfassung von Thomas<br />
wenzel (mitbegründer des rose-Theegarten-ensembles),<br />
bei der die Sprache nah am antiken vorbild<br />
bleibt und ödipus’ Tragik dennoch gut nachzuvollziehen<br />
ist. Die rund einstündige inszenierung hat jedoch<br />
besonders gegen ende einige längen. ein solider Theaterabend,<br />
der jedoch trotz der außergewöhnlichen besetzung<br />
des Dramas einzig durch frauen ohne rechten<br />
pfiff bleibt. SOPhIA wIESE-wAGNER<br />
tERMINE IM JuNI: hORIzONt-thEAtER, 12., 21., 28.<br />
.<br />
In der multisexuellen zukunft ist es hoffentlich so schön wie auf diesem bild.<br />
Ilias Arustamov in Out trips, Foto: © MEYER ORIGINALS<br />
kREuz uND quER lIEbEN<br />
DaS TheaTerproJeKT „ouT TripS“ beim<br />
SommerbluT-feSTival<br />
weißes paillettensacko, silbernes glitzerhemd, lila hose,<br />
weiße haare. Dieser schräge Showmaster wird für die<br />
nächsten drei Stunden durchs programm leiten. Dabei ist<br />
er mehr reiseführer als moderator: „out Trips“ nimmt die<br />
zuschauer mit zu verschiedenen Schauplätzen außerhalb<br />
des Theaterraums. Die rahmenhandlung bildet eine Show<br />
mit einem schwulen und einem lesbischen Kandidatenpärchen.<br />
Diese werden von den so genannten „2099ern“ – besuchern<br />
aus der zukunft – auf eine zeitreise mitgenommen.<br />
auf dieser reise werden die ängste und Sorgen, die erinnerungen<br />
an unterdrückung und die utopische befreiung<br />
in vielen Szenen zelebriert. als Spiegel dienen die „2099er“,<br />
weil sie in ihrer zukunft ihr ideal einer multisexuellen gesellschaft<br />
verwirklicht haben. im verlauf der reise werden<br />
die zuschauer immer wieder direkt von ihnen angesprochen.<br />
Die meist positiv dargestellte zukunft wird inszeniert<br />
an den futuristisch anmutenden Krangebäuden des<br />
rheinauhafens. Dabei stehen die bilder auch mal ganz ohne<br />
Sprache für sich. Die multisexuelle Körperlichkeit zeigt<br />
sich in einer mischung aus Tanz und akrobatik in androgynen<br />
Kostümen. Kontrastierend dazu wird die vergangenheit<br />
an den historischen gebäuden des hafens inszeniert.<br />
ein hinterhof wird Schauplatz einer düsteren Kz-Szene,<br />
in der ein homosexueller zu Tode gefoltert wird. energetischer<br />
höhepunkt des Stückes ist keine der stark theatral<br />
bearbeiteten historischen Szenen, sondern die letzte Station<br />
des Trips am heumarkt: da feiern die zuschauer mit<br />
den gelöst und euphorisiert wirkenden Darstellern einen<br />
spontanen cSD-umzug. Sie werden Teil des Dargestellten,<br />
weil die passanten sie als Teil des umzugs wahrnehmen.<br />
Da wirkt es auf einmal authentisch und direkt, weil die jugendlichen<br />
laiendarsteller sich nicht an rollen abarbeiten<br />
müssen, denen sie zum Teil nicht gewachsen sind. unter<br />
überaus talentierte Jungdarsteller mischen sich einige, die<br />
ihre Texte recht hölzern und monoton darbieten. Je näher<br />
die Szenen an der lebenswelt der Darsteller sind, desto authentischer<br />
wird ihre Spielweise. Dann können sie auch<br />
den ruf nach einer geschlechterlosen zukunft ohne Diskriminierung<br />
überzeugend formulieren. Diese energie<br />
überträgt sich. auf einmal scheint der zurückgelegte weg,<br />
ob zu fuß oder im bus, einen Sinn zu ergeben, weil man<br />
sich als zuschauer über die vorgeschlagene utopie auszutuschen<br />
beginnt: ein echter Dialog entsteht. insofern<br />
handelt es sich um ein produktives Stück, bei dem man<br />
eingeladen wird, sich im doppelten wortsinn zu unterhalten.<br />
es zeigt nicht nur die als bedrohlich empfundene<br />
lebenswelt – damals, heute und morgen – aus Sicht der<br />
jugendlichen, meist selbst irgendwie außerhalb der norm<br />
liebenden Darsteller, sondern weist sogar auf einen ausweg<br />
hin: eine wirklich multisexuelle gesellschaft, in der<br />
frauen und männer quer durcheinander paare bilden<br />
und niemand das schlimm findet. chRIStOPh OhREM<br />
kEINE tERMINE IM JuNI<br />
Probe für den untergang: Frank Maier, cornelia Schönwald, Sebastian kemper,<br />
Foto: © MEYER ORIGINALS<br />
MIgRaTIoNsMaschE<br />
„STör ich? waS SinnvolleS miT muSiK“<br />
im TheaTer Der Keller<br />
20 uhr, das licht geht aus und der vorhang auf; die vorführung<br />
beginnt – nichts ungewöhnliches im Theater. Doch<br />
heute ist etwas anders: Schauspielerin bernadette (cornelia<br />
Schönwald) stolpert bei zuschauerlicht auf die bühne,<br />
erschrickt vor dem publikum und verschwindet wieder.<br />
Sollte sich der ein oder andere nun fragen: „Stör ich?“, wird<br />
er kurz darauf von Kai eric (frank maier), einem exzentrischen<br />
regisseur, als besucher der öffentlichen probe seines<br />
Stücks begrüßt – auch der zuschauer spielt also mit.<br />
Schnell wird klar: diese probe wird vom chaos regiert. Der<br />
pianist (Sebastian Kemper) kommt – mit Kaffeebecher und<br />
brötchen – zu spät, die hauptdarstellerin vergisst ihren Text<br />
und dann wird auch noch das finale gestrichen. Die uraufführung<br />
von „Stör ich?“, inszeniert von der hamburger regisseurin<br />
iris matzen, trägt trotz ihrer charmanten Slapstickheiterkeit<br />
züge einer Tragikomödie. auf spielerische und<br />
selbstironische art wird thematisiert, wie schlecht es um die<br />
deutsche Theaterlandschaft steht – vor allem wegen massiver<br />
Sparmaßnahmen. anlass, sich dem Thema zu widmen,<br />
hat das Keller-Theater: nach dem beschluss des Theaterbeirats<br />
wurde ihm 2009 die Konzeptionsförderung gestrichen,<br />
was für das älteste privattheater Kölns fast das aus bedeutete,<br />
hätte es nicht überbrückungsförderung der Stadt gegeben.<br />
und dennoch: das geld reichte eigentlich nur bis zu<br />
„Stör ich“, das folgerichtig als „letzte premiere“ des hauses<br />
angekündigt ist. man konnte ja nicht ahnen, dass die energetische<br />
neue intendantin piamaria gehle nun schon kühn<br />
bis 2012 plant. in ihrer inszenierten probe geht matzen der<br />
frage nach, wie und nach welchen Kriterien Kunst messbar<br />
ist. vor allem aber stoßen die fiktiven Theaterakteure an die<br />
grenzen der künstlerischen freiheit, wenn aufgrund des<br />
fehlenden budgets das lichtpult ausfällt, die Kostüme von<br />
h&m stammen und statt eines flügels ein e-piano herhalten<br />
muss. ein höhnischer blick wird auf die auflagen geworfen,<br />
die definieren, was ein förderwürdiges Konzept ausmacht.<br />
So wird der e-pianist kurzerhand zu ali mit migrationshintergrund,<br />
und eine Kamera muss von den Darstellern stets<br />
angespielt werden, um krampfhaft die förderaspekte integration<br />
und multimedialität zu berücksichtigen – zur zeit<br />
bundesweit ganz große Themen der Spielpläne. „Stör ich?“<br />
ist ein intelligentes Spiel des Theaters mit eigenen mitteln,<br />
was nicht zuletzt an cornelia Schönwald liegt, die durch<br />
ihre extraordinären gesangseinlagen den abend zum musikerlebnis<br />
macht, mit Stücken wie „There’s no business like<br />
showbusiness“ und „The show must go on“. frank maier,<br />
der als gestresster regisseur das Durcheinander zusammen<br />
hält, überzeugt als moderator mit entertainer-Qualitäten.<br />
Die Konzeptlosigkeit, die dem Theater einst fast zum verhängnis<br />
wurde – vor der heutigen intendantin – wird zum<br />
programm gemacht. in aller Deutlichkeit wird hier vorgeführt,<br />
dass unter auflagendruck Kunst nur schwer entstehen<br />
kann. Dafür ist sie gut gelungen. ROMY wEIMANN<br />
tERMINE IM JuNI: thEAtER DER kELLER, 1., 2., 7.- 9., 17.-19., 24., 28., 29., 30.<br />
13 24 JuNI ’11<br />
Kurz KriTiSierT<br />
Ob zuhause oder in Panama, schön ist es immer. Mareike Marx und Anne Schröder,<br />
© vkkbA / Foto: weimer<br />
RuNDREIsE zuM glück<br />
DaS horizonT TheaTer zeigT „oh, wie<br />
Schön iST panama!“ von JanoSch<br />
„ist das leben nicht unheimlich schön“, seufzt der kleine<br />
Tiger (mareike marx) und der kleine bär (anne Schröder)<br />
stimmt ihm zu: „Ja, unheimlich! und schön!“ Damit hat vor<br />
allem der bär die ambivalenz der welt gültig zusammengefasst.<br />
glücklich sitzen die beiden freunde auf ihrem<br />
roten Sofa in ihrem häuschen unten am fluss und brauchen<br />
sich vor nichts zu fürchten, denn vor allem zusammen<br />
sind sie unschlagbar stark. „ein Steinschorn (Schornstein)<br />
und ein folpftopf (Kochtopf)“, versucht der kleine<br />
Tiger die besonderheiten seines zuhauses zu beschreiben<br />
und gewinnt mit diesen sprachlichen blödeleien von anfang<br />
an die herzen der kleinen zuschauer. Jan pawlowski<br />
hat die idyllische lebenswelt allein mit hilfe von bemalten<br />
umzugskartons geschaffen: gekonnt gestapelt zeigt<br />
sich auf himmelblauem hintergrund ein rotes Sofa, einmal<br />
gedreht erscheint auf der Kartonwand eine pittoreske<br />
landschaft. auch das boot am fluss, in dem der Tiger<br />
so gerne angelt, ist eine bemalte pappattrappe. es könnte<br />
alles so wunderbar bleiben, wenn der kleine bär nicht eines<br />
Tages eine Kiste mit der aufschrift panama aus dem<br />
fluss gefischt hätte. verheißungsvoll nach bananen duftend,<br />
beschließen der kleine bär und der kleine Tiger, dass<br />
dort alles noch viel schöner und größer als zu hause sein<br />
muss – genug ist nie genug – und machen sich mit Kochtopf,<br />
angelrute und Tigerente auf den weg ins land ihrer<br />
Träume. mareike marx und anne Schröder packt auf der<br />
bühne eine so antreibende aufgeregtheit, dass wohl jeder<br />
im Saal verstehen kann, dass die verlockung überwältigend<br />
sein muss. während ihrer reise treffen die beide auf<br />
einen mümmelnden hasen, eine mürrische Kuh und eine<br />
durchtriebene Krähe. Schauspieler Xolani mdluli kommt<br />
mit seinen wechselnden gesichtsausdrücken den originalen<br />
der Tierwelt erstaunlich nah. Dass der hase findet,<br />
dass bananen stinken, die Kuh einen fremden Dialekt<br />
spricht und die Krähe sie über steiniges gelände (umgeworfene<br />
Kartonage) in die falsche richtung lockt, macht<br />
den freunden wenig aus. am ende kehren sie dahin zurück,<br />
wo sie ursprünglich mal hergekommen sind: in ihr<br />
wunderschönes haus am fluss. Das leben ist eben irgendwie<br />
doch eine vergebliche, fröhliche reise auf der Stelle –<br />
so der philosophische untergrund des berühmten Kinderbuchautors<br />
Janosch, dem das horizont-Theater zu seinem<br />
80. geburtstag am 11. märz <strong>2011</strong> diese hommage widmet.<br />
Dass sie im Kreis gereist sind, bemerken sie selber nicht<br />
und fühlen sich am ziel ihrer Träume. weil sie ihr glück<br />
kaum glauben können, sollen die kleinen zuschauer mit<br />
ihnen zusammen jubeln: „panama!“ mit etwas abstand<br />
betrachtet, sieht manches noch viel schöner aus. manchmal<br />
erkennt man eben nicht, wie gut das nächste wirklich<br />
ist. eine botschaft, die für manchen kleinen zuschauer<br />
nicht gleich zu fassen ist; so wähnen einige am Schluss<br />
die beiden tatsächlich in panama. MAREN StEINGROSS<br />
tERMINE IM JuNI: hORIzONt-thEAtER, 2., Ab 3 JAhREN<br />
Romeo und Julia waren auch in Mülheim, wo es mehr regnet als in verona.<br />
Foto: © Johanna Leistner<br />
shakEsPEaRE IM ghETTo<br />
DaS DoKumenTariSche TheaTerproJeKT<br />
„mülheim Sehen unD STerben“<br />
Köln-mülheim besitzt keine üppig sprießende Kulturlandschaft.<br />
wer hier etwas zum erblühen bringen möchte,<br />
muss immer auch kämpfen. zur zeit kämpft die Kölner<br />
„mütze“: Dem bürgerhaus geht die städtische förderung<br />
aus. Deswegen kann das seit 20 Jahren bestehende haus<br />
demnächst vielleicht seine breite angebotspalette nicht<br />
mehr aufrechterhalten. gerade wegen dieser Kämpfe – und<br />
weil mülheim ihn ein bisschen an berlin-neukölln erinnert<br />
– lebt der Theaterpädagoge bassam ghazi mit leidenschaft<br />
im Stadtteil. mit vorliebe arbeitet er mit den leuten, die<br />
hier zu hause sind.<br />
Sein neuestes projekt mit dem ironisch schimmernden<br />
Titel „mülheim sehen und sterben“ hat der gebürtige libanese<br />
nun im Kulturbunker, schräg gegenüber der „mütze“,<br />
zur aufführung gebracht. Die Darsteller des Stücks,<br />
die acht verschiedenen nationen angehören, sind absolute<br />
laien. ihre einzige Qualifikation: Sie sind einwohner<br />
des Stadtviertels. Sie kennen sich aus in der Keupstraße,<br />
wissen um die hässlichkeit des wiener platzes und<br />
schätzen sich glücklich, weil der rhein so nahe ist. mit<br />
bassam ghazi an ihrer Seite haben sie sich nun die vergangenheit<br />
ihres Stadtteils angeeignet – mit hilfe der<br />
Shakespeare-figuren romeo und Julia, die auf den Spuren<br />
von historischen mülheimer menschen wandeln. ein<br />
charmanter Kunstgriff: Die zuschauer erfahren in kleinen<br />
Szenen, wer, ähnlich wie romeo und Julia, über die Jahrhunderte<br />
hinweg in Köln-mülheim gelitten und geliebt<br />
hat, gleichzeitig rezitieren die teilweise sehr jungen Darsteller<br />
Shakespeare-orginal-Ton. wenn sie dabei ihren<br />
„ghetto“-Slang „es war die nachtigall und nicht die lersche“<br />
mit einbringen, hat das auf eigentümliche weise etwas<br />
anrührendes. Dennoch gelingt das Stück vor allem,<br />
wenn die Darsteller sie selbst sein können. wenn sie ihre<br />
ureigenen posen einnehmen und über ihre eigenen Träume<br />
berichten. Dann sprühen die bühnen-neulinge und<br />
verbreiten eine energie, die professionellen Schauspielern<br />
zuweilen abhanden kommt. aus dieser authentizität<br />
beziehen derlei inszenierungen ihre attraktivität. Das haben<br />
auch die ungleich professionelleren Stücke, die kürzlich<br />
im rahmen des festivals „heimspiel <strong>2011</strong>“ in Köln<br />
aufgeführt wurden, gezeigt. arbeiten wie „mülheim sehen<br />
und sterben“ sind wertvoll, weil sie disparate Stadtteile<br />
wie Köln-mülheim für einen moment lang glänzen lassen<br />
und seinen bewohnern vorführen, dass Kultur nicht unbedingt<br />
in gediegenen Theatersälen und mit profi-Darstellen<br />
stattfinden muss, sondern genausogut in einem grauen,<br />
abweisenden bunker. zweitrangig ist dabei letztendlich<br />
die frage, ob solche projekte mehr mit pädagogik als mit<br />
Theater zu tun haben. Sie sind vonnöten, weil es den murats<br />
und maryams ermöglicht wird, auf der bühne über<br />
sich hinaus zu wachsen – und die gewonnene größe tragen<br />
sie wieder in ihren Stadtteil hinein. NINA GIARAMItA<br />
kEINE tERMINE IM JuNI<br />
horst Naumann als thomas hilft der schüchternen Sharon (uta krüger) in den bikini,<br />
© vkkbA / Foto: weimer<br />
FRauENhElD MIT 85<br />
„Der luSTige wiTwer“ am TheaTer am Dom<br />
harriet maddison ist am ende. Jeden moment kann ihr<br />
Schwiegervater Thomas eintreffen, der sich nach dem<br />
Tod seiner frau völlig ungeniert selbst eingeladen hat.<br />
und wohin bloß mit dem Schlüssel zum alkoholschränkchen?<br />
Schon nüchtern ist Thomas nahezu unerträglich,<br />
gott bewahre er bekommt den whisky in die finger. noch<br />
ehe harriets aspirin wirken kann, steht Thomas in der<br />
Tür. weit entfernt von einem trauernden witwer, zeigt er<br />
sich zu allen Schandtaten bereit. Der fast 86-jährige horst<br />
naumann, ehemaliger Schwarzwaldklinik- und Traumschiff-Star,<br />
spielt ihn als charmanten, energetischen und<br />
erstaunlich jung gebliebenen frauenheld – vom klapprigen<br />
rentner ist nichts zu spüren. Seinem ziel, sich mit<br />
jungen Damen ins londoner nachtleben zu stürzen, hat<br />
er bereits im zug vorarbeit geleistet: schon klingelt das<br />
haustelefon. Die schüchterne Sharon (uta Krüger) würde<br />
Thomas gerne den Schal zurückgeben, der wie durch<br />
geisterhand in ihre Tasche geriet – doch das passiert dem<br />
Schal von Schwerenöter Thomas durchaus öfter. Das anschließende<br />
Date läuft jedoch etwas aus dem ruder, denn<br />
am nächsten morgen erwacht nicht sie, sondern ein resolutes<br />
call-girl (leena fahje) in seinem bett, mit ausgeprägtem<br />
gespür für erbschaften. hätte Thomas doch<br />
bloß weniger getrunken, dann wüsste er jetzt wenigstens<br />
ihren namen. und wie versteckt er sie nur vor richard<br />
und harriet? auf den Schreck ein Schlückchen whisky.<br />
„Der lustige witwer“ ist eine Komödie des engländers Simon<br />
moss, die auf der fernsehserie „Tom, Dick and harriet“<br />
basiert und ins Deutsche übertragen wurde von wolfgang<br />
Spier, dem erst im märz verstorbenen deutschen<br />
„König des boulevards“, der eigentlich die hauptrolle<br />
übernehmen sollte. Sie erinnert in ihrem humor stark an<br />
charmante, aber etwas abgestandene Komödien der 50er<br />
und 60er Jahre mit peter alexander, gunther philipp oder<br />
gar Jerry lewis. Die protagonisten verpassen sich mehrfach<br />
um haaresbreite, stolpern über einrichtungsgegenstände,<br />
laufen gegen wände, stoßen sich den Kopf oder<br />
sind betrunken, kalauerhafte witze, die ihr verfallsdatum<br />
ein wenig überschritten haben – das publikum aber zu<br />
mehrfachem Szenenapplaus hinreißen. liegt es an der altersklasse,<br />
dass bei den schlichten witzen hochstimmung<br />
herrscht? oder kann eine 31-jährige heute nicht mehr verstehen,<br />
woher der lachreiz kommt bei Szenen, in denen<br />
Thomas seinen Sohn richard fragt, wo seine manieren<br />
geblieben sind und dieser antwortet: „ich habe keine! erstaunlich,<br />
wie sich so etwas vererbt!“. regisseur Jürgen<br />
wölffer gelingt im unauffälligen wohnzimmerambiente<br />
eine solide Slapstick-Komödie mit viel krachender, seit<br />
Jahrzehnten auf boulevardbühnen bewährter Situationskomik,<br />
und das publikum amüsiert sich königlich. auch<br />
wenn es für jüngere Semester auf dieser welt definitiv bessere<br />
witze gibt. ANNEttE GEbuhR<br />
tERMINE IM JuNI: thEAtER AM DOM, täGLIch AuSSER: 6./13./27./28.<br />
täGLIch 20 uhR, SAMStAGS uND/ODER SONNtAGS Auch 17 uhR