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deutsches Festival 11.–18. Juni 2011

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10 24 JuNI ’11<br />

Kurz KriTiSierT 11 24 JuNI ’11<br />

Kurz KriTiSierT<br />

kuRz kRITIsIERT<br />

Die Kölner premieren DeS vergangenen monaTS<br />

berlusconi und Ruby gehen eine unheilvolle verbindung ein. und was hat das mit der<br />

Mafia zu tun? Foto: © Oliver Fantitsch<br />

FlIEgENDE FakTEN<br />

„mamma mafia“ von anTonio laTella<br />

im SchauSpielhauS<br />

Die mafia ist ein besorgniserregendes phänomen, in italien<br />

wie in Deutschland, und hierzulande ist man sich<br />

dieser Tatsache vermutlich unzureichend bewusst. es ist<br />

also natürlich wichtig, dass der italienische Theatermann<br />

antonio latella uns dies vor augen führt. Doch irgendwie<br />

würde man sich von einem Theaterabend mehr erhoffen<br />

als die eigene, politisch korrekte moralische verurteilung<br />

der mafia bestätigt zu finden. und auch mehr, als mit<br />

fakten bombardiert zu werden, die einem von einer gigantischen<br />

leinwand zunächst so um die ohren fliegen,<br />

dass man sie kaum erfassen kann. es beginnt, in dem der<br />

Schauspieler michael weber sich aus dem publikum erhebt<br />

und eine reportage des „gomorrha“-autors roberto<br />

Saviano rezitiert, der vor einigen wochen im zeit-magazin<br />

erschien – die autobiografie eines ausgestiegenen mafiabosses.<br />

zweifellos ein atemberaubender, erschreckender<br />

Text, zu dessen eindrücklichsten Sätzen gehört, wie<br />

selbst linke autonome durch Drogenkonsum zum mafiareichtum<br />

beitragen. beim lesen wirkt er allerdings stärker.<br />

Dann halten die zwölf italienischen und deutschen<br />

Schauspieler in mafia-einheitskluft (ein schwarzer, etwas<br />

schmierig aussehender maßanzug) einzug und berichten<br />

hinter einer art baby-laufgitter frontal von den krakenartigen<br />

verflechtungen in politik und wirtschaft, die<br />

leinwand lässt fakten und fotos knallen, zwischendurch<br />

hören wir einen Klagegesang des countertenors maurizio<br />

rippa. am eindrücklichsten ist dennoch das Schweigen:<br />

das stille, messerschwingende ballett der zwölf, die<br />

bedrohlich die bewegungscodes der unterwelt zelebrieren<br />

– dann erhält kurzzeitig das emotionale erschrecken<br />

einzug. nach der pause ist es ganz vorbei mit den worten,<br />

lediglich die Kölner verstrickung wird noch erwähnt, damals,<br />

als das müll-problem in neapel eskalierte und auch<br />

die awg dazu beitrug, dass die mafia millionen verdiente.<br />

Dann mündet der abend in eine bravouröse und sehr<br />

lustige verwandlung des Schauspielers Simon eckert in<br />

das berühmteste mädchen italiens, berlusconis bungabunga-fräulein<br />

ruby. mit grinsenden berlusconi-masken<br />

tanzen die akteure schließlich um die hure italien, die<br />

bei birgit walter auch in weiß-rot-grünem Tutu nicht ihre<br />

würde verliert. Doch die erkenntnis, dass berlusconi an<br />

allem Schuld ist, ist letztlich dann doch etwas einfach –<br />

und der deutschen verstricktheit in mafiöse Strukturen<br />

ist man damit erst recht nicht auf die Spur gekommen.<br />

„warum sind wir hier?“ fragt einer der italiener irgendwann<br />

ins publikum und antwortet: „weil wir Distanz zu<br />

uns selbst suchen.“ leider hat diese italienische Selbstbefragung<br />

für den deutschen zuschauer kaum relevanz.<br />

Die mafia ist schlimm, man kann ihr nicht beikommen<br />

– aber die pizza schmeckt trotzdem gut, so die bequeme<br />

abschlusserkenntnis. DOROthEA MARcuS<br />

tERMINE IM JuNI: SchAuSPIEL köLN, 10., 12., 13., 17., 26.<br />

Morgenstunden in einer kantine: Gusztáv Molnár, Jost Grix und Myriam Schröder (v.l.),<br />

Foto: © Oliver Fantitsch<br />

TaTI uND TaRaNTINo<br />

viKTor boDó miT „Der mann an TiSch 2“<br />

in Der halle KalK<br />

Schreie, leute fuchteln mit pistolen herum, Schüsse fallen.<br />

einige krümmen sich, sind getroffen. Dunkel. alles<br />

zurück auf anfang. Knallig beginnt andrás vinnais<br />

Stück „Der mann an Tisch 2“ in der halle Kalk des Kölner<br />

Schauspiels. Der ungar viktor bodó zeigt, warum er<br />

seit seiner nominierung zum berliner Theatertreffen als<br />

regie-Shooting-Star gilt. Doch dann hat der abend erst<br />

einmal eine lange ladehemmung. bodó zeigt mit seiner<br />

Sputnik Shipping company aus budapest und einigen<br />

Kölner Schauspielern die langweiligen morgenstunden<br />

einer Kantine in den sechziger Jahren. ein Taschendieb<br />

klaut mit miesen Tricks ein paar münzen, man stolpert<br />

ein bisschen herum, vertreibt sich die zeit.<br />

Der abend wirkt wie aus kleinen varieténummern zusammengesetzt,<br />

die das ensemble virtuos beherrscht. Da<br />

entflammen Kochtöpfe, jemand rasiert sich mit Kartoffelbrei,<br />

es gibt sogar so etwas wie eine chorus line. entspannt<br />

und unterhaltsam lässt sich das alles anschauen,<br />

eine völlig zweckfreie huldigung an die komplette Kinogeschichte.<br />

egal, was der einzelne zuschauer mag, Tati<br />

oder Tarantino, bunuel oder billigkitsch – hier findet er<br />

anklänge an alles. Das ist charmant und wird mit großer<br />

energie gespielt.<br />

zwischendurch rast die uhr. Sie scheint ein eigenleben zu<br />

führen. Die zeit ist aus den fugen oder in der hand des regisseurs.<br />

Das zeigt sich auch in den Spielszenen, die mal<br />

in zeitlupe, mal in zeitraffer ablaufen. Das Theater befreit<br />

sich aus den vorgaben des normalen lebens. auch das ist<br />

schön und löst Schmunzeln aus. aber auch nicht mehr.<br />

weil sich nichts verdichtet, keine Dringlichkeit entsteht.<br />

alles ist pures Spiel. wer stirbt, steht wieder auf. war doch<br />

nur Spaß. Schauen wir vielleicht auf die vision des paradieses,<br />

wie es sich bodó vorstellt? wer weiß.<br />

„Der mann an Tisch 2“ ist ein nettes bewegungstheater<br />

aus vielen genrefilmzitaten, garniert mit einem Schüsschen<br />

marthaler. Das große geballer am anfang und am<br />

ende macht Spaß, auch ein Damenzweikampf im martialarts-Stil<br />

mit Schuhen statt Schwertern. bodó hat perfekt<br />

choreographiert, das pengpeng-pingpong klappt. Dann<br />

stehen alle wieder auf, nichts ist gewesen. Das ensemble<br />

bildet eine Schlange vor dem Tablettwagen und liefert brav<br />

das geschirr ab. Kein mehrwert, nur oberfläche. viele momente<br />

erinnern an bodós sehr freie handke-adaption „Die<br />

Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ in graz. Doch<br />

da gab es berührende Szenen wie die einer trauernden<br />

frau, die einen mit ihren gefühlen überschwemmte, ohne<br />

dass man die hintergründe kannte. aber solche augenblicke<br />

fehlen in Köln völlig. Diesmal liefert bodó zwei Stunden,<br />

die wir längst schon kannten. auch regie-revolverhelden<br />

sollten mal nachladen. StEFAN kEIM<br />

tERMINE: hALLE kALk, ERSt wIEDER IM JuLI<br />

wozzeck in metaphysischer verlorenheit: Florian boesch, Foto: © bernd uhlig Frisch und frei in die zukunft: ursula Michelis und christian ballhaus,<br />

Makellos gekleidet zum untergang: Marius bechen (Anwalt), Andreas bittl (Oscar wilde),<br />

© vkkbA / Foto: weimer<br />

Sebastian kolb (bosie), Foto: © MEYER ORIGINALS<br />

WIR aRME lEuT<br />

alban bergS „wozzecK“ im pallaDium/<br />

oper Köln<br />

Der ort spielt mit. Die geschichte vom armen mann<br />

wozzeck passt gut in die karge industriehalle, die unter<br />

dem irreführend varietéhaften namen „palladium“ zur<br />

ausweichspielstätte der Kölner oper geworden ist: ein riesiger<br />

raum, in dem nur das nackte gerüst einer zuschauertribüne<br />

aufgeschlagen ist, rechts und links läuft eine<br />

arbeitsgalerie herum. Das schwarze Spielpodest an der<br />

Stirnseite wird bis auf ganz wenige versatzstücke leer bleiben:<br />

einen weißer plastikvorhang, eine wolldecke, ein paar<br />

requisiten und kaltes, blaues licht – mehr braucht bühnenbildner<br />

gisbert Jäkel hier nicht, um die zuschauer in<br />

die unbehauste welt wozzecks zu versetzen. wozzeck ist<br />

Soldat, geschunden von seinen vorgesetzten; menschliches<br />

versuchskaninchen, das der Doktor für seine experimente<br />

ausbeutet. er fühlt mehr von den abgründen der existenz<br />

als er begreifen kann und wird schließlich zum mörder<br />

aus eifersucht an seiner geliebten marie. er tötet selbst<br />

seinen einzigen lebensinhalt, als er fürchten muss, auch<br />

darum gebracht zu werden. mehr noch als georg büchners<br />

Dramenfragment ist albans bergs oper nicht nur<br />

protest gegen das soziale elend, sondern Klage über die<br />

metaphysische verlorenheit des menschen. und die zeigt<br />

eindringliche wirkung in der neuinszenierung der Kölner<br />

oper. es ist ganz still in der halle während dieser dichten<br />

neunzig minuten, und das bleibt es auch am ende für einige<br />

spürbare augenblicke, ehe der applaus den bann<br />

bricht. Die inszenierung von ingo Kerkhof setzt im leeren<br />

bühnenraum ganz auf die intensität der Situationen und<br />

schafft spannungsvolle Konfrontationen ohne äußerlichen<br />

aktionismus. im zentrum natürlich wozzeck, gesungen<br />

von florian boesch, dem damit ein ganz und gar überzeugendes,<br />

souveränes rollendebüt gelingt. Seine differenzierte<br />

gestaltung, seine klangvolle, beredte Stimme geben der<br />

figur und dem humanen plädoyer, das berg und vor ihm<br />

schon büchner in dieses werk legten, eine zwingende emotionale<br />

Kraft. Dieses niveau erreichen die übrigen protagonisten<br />

– auch sie sämtlich rollendebütanten – noch nicht.<br />

fast alle, einschließlich der jungen litauischen Sopranistin<br />

asmik grigorian als marie, wirken in ihren dramatisch fordernden<br />

partien ein wenig unterbesetzt. aber solche einwände<br />

schmälern am ende die wirkung der aufführung<br />

kaum. Denn markus Stenz und das gürzenich-orchester<br />

– fast komplett unsichtbar unter dem Spielpodest platziert,<br />

aber akustisch trotzdem sehr präsent und transparent –<br />

sind packende interpreten von bergs musik. Sie ergreift<br />

wie ein Totentanz, indem sich grelle groteske und leidenschaftliche<br />

Dramatik abwechseln, die farben im verblassen<br />

noch einmal betörend aufleuchten und die alltagswelt<br />

mit ihren Tänzen, Schnulzen, märschen, ja selbst geräuschen<br />

im „hirnwütigen“ erleben wozzecks ein unergründlicher,<br />

unentrinnbarer Kosmos wird. uLRIkE GONDORF<br />

tERMINE IM JuNI: PALLADIuM, 1., 5., 9., 11., 13., 16., 18.<br />

ToPFIT zuM TabubRuch<br />

uraufführung von „wolKe 9“ im<br />

TheaTer im bauTurm<br />

Seit Jahren ist es allseits bekannt: Die alten leben länger,<br />

die Jungen sterben aus. als der filmemacher andreas Dresen<br />

im Jahr 2008 „wolke 9“ drehte, in dem er unverblümt<br />

den Sex von 70-jährigen zeigte, wurde das aber trotzdem<br />

noch als Tabubruch gefeiert. Dabei sind die alten so topfit,<br />

mobil und lebenslustig, wie man es vor fünfzig Jahren<br />

sicher nicht für möglich gehalten hätte. warum also sollten<br />

sie keinen Sex haben? Drei Jahre nach der filmpremiere<br />

wirkt es fast absurd, die vor erotischer energie und<br />

Schönheit sprühende 65-jährige Schauspielerin ursula<br />

michaelis zur alten Schachtel und als sexuell quasi nicht<br />

mehr existent zu erklären. es scheint zunehmend so, als<br />

würden sich die unterschiede zwischen Jung und alt heute<br />

nivellieren, in einer art Jahrzehnte lang andauerndem<br />

beste Jahre-zustand. Dennoch war es ursula michaelis, die<br />

gemeinsam mit dem Darsteller des werner, dem 70-jährigen<br />

walter gontermann, die idee hatte, den Dresen-film<br />

ins Theater zu bringen. wer fürchtet, auf der bühne des<br />

bauturm-Theaters nun greise im peinlichen liebesspiel<br />

zu sehen, kann sich entspannen. regisseur rüdiger pape<br />

gelingt es, gerade die heiklen Stellen dezent und würdevoll<br />

zu inszenieren: Schneiderin inge und der radfahrer Karl<br />

(christian ballhaus) ziehen sich bei ihrer umstürzenden<br />

liebesbegegnung bis auf die unterwäsche aus, stehen einfach<br />

nur hand in hand da und atmen. auch das bühnenbild<br />

von flavia Schwedler ist schön, abstrakt und zugleich<br />

bodenständig: eine breiter Tisch, darauf ein fahrrad, eine<br />

nähmaschine, eine art Sessel, jeder hat im leben eben<br />

seinen eigenen bereich gefunden. immerzu sind die drei<br />

protagonisten gleichzeitig auf der bühne. zuerst singen<br />

sie ein kleines Kinderlied, das auch schön als liebesmetapher<br />

durchgehen kann: „wenn ich ein vöglein wär, flög ich<br />

zu dir...“. Die liebe ist, in welchem alter auch immer, ein<br />

flüchtiges gebilde. Doch was poetisch beginnt, verfliegt:<br />

Die elliptischen Sätze aus dem film wirken auf der bühne<br />

zunehmend flach, die umgangssprachliche Sparsamkeit<br />

entfaltet keine zweite ebene. „wolke 9“ ist zwar auch auf<br />

der bühne eine schön erzählte, zarte und harte liebesgeschichte,<br />

bei der eine schal und alltäglich gewordene beziehung<br />

für eine frische verliebtheit verlassen wird. Doch<br />

warum daraus ein vermeintlich skandalöses Stück über<br />

Sexualität im alter postulieren? was dem abend fehlt, fehlte<br />

auch dem film: alle fragen, die wirklich das alter betreffen.<br />

wie hoch der preis tatsächlich ist, eine jahrzehntelange<br />

zweisamkeit aufzugeben, gemeinsame geschichten,<br />

codes, geheimnisse – und wie schwer es sein kann, mit einem<br />

neuen ein ganzes leben aufholen zu müssen. welche<br />

ängste man hat, wenn man den verliebten mit kleinen und<br />

großen verfallserscheinungen konfrontiert. auf dem Theater<br />

hätte man die chance gehabt, stärker in die Tiefe zu<br />

gehen. leider wurde sie verpasst. DOROthEA MARcuS<br />

tERMINE IM JuNI: thEAtER IM bAutuRM, 1., 2., 3., 16., 17., 18., 30.<br />

DER EWIgE DaNDy<br />

„Der fall oScar wilDe“, verhanDelT<br />

am freien werKSTaTT TheaTer<br />

Der anzug des wegen unzucht angeklagten oscar wilde<br />

sitzt perfekt. Das hemd ist leicht aufgeknöpft, die blasse<br />

blüte am revers zudem farblich makellos zu den roséfarbenen<br />

Strümpfen abgestimmt. als ästhet und Dandy zelebriert<br />

oscar wilde (andreas bittl, stimmgewaltig und physisch<br />

präsent) Schönheit als lebenseinstellung. mit sorgfältig gestylten<br />

haaren und überheblichem lächeln stellt er sich den<br />

fragen des anwalts. einem freispruch folgt bald die erneute<br />

anklage. wildes freund und lektor robert (marius bechen<br />

in einer Doppelrolle vielschichtig und charismatisch), sowie<br />

lord alfred Douglas, kurz bosie (Sebastian Kolb), sein junger<br />

geliebter, drängen darauf england zu verlassen, alles<br />

andere sei Selbstmord. oscar hingegen besteht darauf zu<br />

bleiben, denn: „Das leben des Künstlers ist ein langer und<br />

süßer Selbstmord.“ zwei Jahre zuchthaus sind die folge.<br />

regisseur Kay link und Dramaturgin inken Kautter haben<br />

aus originalprotokollen der prozesse, briefwechseln und<br />

werkausschnitten wildes eine biografische erzählung seines<br />

lebens geschaffen. beleuchtet wird vor allem die zeit<br />

seiner größten erfolge als autor bis zu seinem jähen fall<br />

(1881-1885). privat- und gerichtsszenen wechseln episodenartig<br />

ab, zum Teil auf verschiedenen zeitebenen, das ganze<br />

vor einem reduzierten, aber stimmungsvollen bühnenbild<br />

(peter lehmann): ein schlichtes Dreiersofa, ein projiziertes<br />

rosetti-gemälde, links ein silberner lamettavorhang.<br />

gezeigt werden homoerotische begebenheiten, etwa wenn<br />

oscar und bosie spärlich bekleidet den ersten freispruch<br />

ausgelassen küssend und schmusend „feiern“. wenn es vor<br />

gericht geht, setzt sich oscar einfach vom Sofa auf einen<br />

Stuhl, wo er sich gewandte wortgefechte mit dem anwalt der<br />

anklage liefert – was die Sprachgewandtheit des irischen<br />

Schriftstellers zeigt. beeindruckend ist ein briefwechsel zur<br />

zeit der inhaftierung: oscar, liebhaber bosie und freund<br />

robert stehen versetzt hintereinander und sprechen jeweils<br />

ihre briefe. Durch die plötzliche ruhe auf der bühne entsteht<br />

ungeheure intensität. man hört, wie ihre beziehungen<br />

zerfallen, wie sehr oscar wilde ohne bücher leidet, wie die<br />

tägliche zwangsarbeit ihm wunde hände verursacht. vor<br />

allem andreas bittl (wilde) und marius bechen (robert/<br />

edward carson) geben ihren figuren Tiefe, während Sebastian<br />

Kolb als bosie eher blass bleibt. zu beginn dauert<br />

es eine weile, bis sich die inhaltlichen zusammenhänge<br />

zusammensetzen. Doch zunehmend wird man in den bann<br />

von oscar wildes leben gezogen, der von seinen hedonistischen<br />

überzeugungen um keinen preis abrückt. ein gnadenloser<br />

und bis ins letzte konsequente egozentriker, arrogant,<br />

liebenswert, tragisch. Die rhetorischen girlanden der<br />

Sprache erfordern aufmerksamkeit. eine anspruchsvolle<br />

inszenierung, die beklemmung, neugierde und mitgefühl<br />

auslöst und doch – ganz im Sinne wildes – den humor<br />

nicht zu kurz kommen lässt. ANNEttE GEbuhR<br />

tERMINE IM JuNI: FREIES wERkStAtt thEAtER, 10./17./18./21./22./30.<br />

Schwarz, rot, gold ergibt am Ende braun. Lara Pietjou, Dorothea Förtsch, tomasso tessitori,<br />

© vkkbA / Foto: weimer<br />

ExkREMENTE RühREN<br />

lulu von franK weDeKinD vom analog-<br />

TheaTer an Der STuDiobühneKöln<br />

Daniel Schüßler vom analog-Theater gibt sich als enfant Terrible<br />

der Kölner Theaterszene. es gibt wohl kaum einen regisseur,<br />

der so verschwenderisch effekte einsetzt, grell collagiert<br />

und wüst dekonstruiert. eigentlich genau der richtige,<br />

um wedekinds „lulu“ in die gegenwart zu versetzen. auch<br />

wedekind war ein provokateur, schockierte das bürgertum,<br />

um es aus der Selbstzufriedenheit zu reißen – vor allem<br />

mit seinem hauptwerk „lulu“, an dem er von 1892 bis 1913<br />

arbeitete und das ihm Theaterskandale und gerichtsprozesse<br />

einbrachte. luder lulu ist männer-projektionsfläche<br />

schlechthin, eine feuchte, verführerische fantasie. Sie wird<br />

von männern von der Straße geholt, gemalt, zur geliebten<br />

gemacht, sie verfallen ihr reihenweise, während sie, die natürliche<br />

mit dem Dauerappetit auf Sex, sie betrügt und tötet<br />

– bis sie von Jack the ripper selbst ermordet wird. Daniel<br />

Schüßler tut alles, um das damals tabubrechende Stück zum<br />

Schockerlebnis von heute zu machen. lulu (lara pietjou)<br />

steht zunächst liebreizend, grazil und harmlos im kleinen<br />

Schwarzen in einem mit plastikfolie umwickelten pavillon,<br />

die männer ihres lebens werden in personalunion von ingmar<br />

Skrinjar dargestellt, dessen massive körperliche präsenz<br />

fast erschlagend wirkt. als sich beide ausziehen und auf<br />

einem Stuhl einen täuschend echt aussehenden Sexualakt<br />

hinlegen, ahnt man, dass hier vor keinem mittel zurückgeschreckt<br />

wird. Kapitelüberschriften auf dem fernseher bezeichnen<br />

die etappen der eskalation. es fließt blut, man bewirft<br />

sich mit farbe und mehl, schnupft weißes puder, tanzt<br />

hektisch, reibt sich mit extrementen ein („huch, ich bin so<br />

radikal“) – gosch, Schlingensief und castorf lassen grüßen.<br />

Schüßlers „lulu“-adaption ist auch eine auseinandersetzung<br />

mit dem Deutschsein, das werfen von schwarz-rot-goldenen<br />

farbkübeln ergibt braune Scheiße, so platt sprechen<br />

die bilder. aber es thematisiert vor allem die herstellung<br />

von Kunst: Tomasso Tessitori in frauenkleid und Soldatenhelm<br />

sowie Dorothea förtsch als lesbische gräfin sprechen<br />

die selbstreflexiven zitate: in der Kunst geht es um unseren<br />

Schmerz. endlich mit der utopielosen Scheiße aufhören.<br />

Kunst hat die totale zumutung zu sein! Schließlich hat der<br />

besudelte Künstler keinen bock mehr auf „Kunstkacke“ und<br />

wird von assistentinnen abgeduscht, einer der wenigen ironischen<br />

momente. lulu ist schon lange kaum noch zu erkennen,<br />

bis aufs höschen nackt und unter farbe verschwunden,<br />

die leinwand der projektion. fast ist rührend, wie Schüßler<br />

mit kindlich wirkender energie und protziger geste versucht,<br />

Tabumauern einzurennen, die auf deutschen bühnen<br />

längst zusammengestürzt sind. Dennoch agieren die Schauspieler<br />

mit großer präsenz und energie. Das beste, was man<br />

von dem abend sagen kann, ist, dass er eine permanente<br />

überforderung ist und viele große Themen zusammenrührt,<br />

Künstlertum, Deutschland, die unmöglichkeit der liebe. Das<br />

ergebnis ist trotzdem ungenießbar. DOROthEA MARcuS<br />

kEINE tERMINE IM JuNI uND JuLI

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