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adecap - Welthaus Bielefeld

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Wenn man längere Zeit hier wohnt, fallen einem so viele Luxusgüter auf, die man erst als<br />

solche wahrnimmt, wenn man sie nicht mehr hat. Wer denkt schon in Deutschland beim<br />

Rasenmähen daran, wie es wohl wäre, das Ganze ohne Rasenmäher, sondern stattdessen mit<br />

Machete und Gartenschere zu tun? Wenn ich mich zurückerinnere, wie ich mich bis vor vier<br />

Monaten selbst vor dem Ausräumen der Waschmaschine gedrückt habe, wenn es möglich<br />

war… Wieso mir damals nicht aufgefallen ist, welch ein Luxus es ist, die einfach<br />

anzuschalten, zwei Stunden zu warten und saubere Wäsche rauszuholen, egal bei welchem<br />

Wetter, zu welcher Tages- und Jahreszeit und ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass nach<br />

der Hälfte kein Wasser mehr kommt? Ich weiß es nicht. Man sollte meinen, dass mich meine<br />

bisherigen Reisen in andere Länder so was gelehrt hätten, aber ein ganzes Jahr in einem zu<br />

leben, ist eben doch was anderes. Ich frage mich auch, wie lange es nach meiner Rückkehr<br />

wohl dauern wird, bis ich wieder genauso „blind“ durch meinen Alltag laufe, wie ich das<br />

bisher getan habe.<br />

Ich muss die Leute bewundern, die ihr ganzes Leben hier meistern, auf 4000m Höhe<br />

Kartoffeln anpflanzen, die Kühe hüten, auf die Kinder aufpassen, die Familie ernähren. Ich<br />

habe die Möglichkeit, jederzeit in die oficina in Lima fahren, in der man sich nach einem<br />

Pampasaufenthalt fühlt wie in einem Märchenschloss, wenn nach dem Betätigen der<br />

Klospülung tatsächlich immer noch Wasser aus dem Wasserhahn kommt und man WLAN am<br />

eigenen Laptop nutzen kann, bei dessen Tastatur alle Tasten gleich gut funktionieren. Die<br />

Leute in Pampas und den comunidades haben diese Möglichkeit nicht, ebenso wenig wie die,<br />

nach einem Jahr in den gewohnten deutschen Luxus zurückzukehren.<br />

Wir können uns in Deutschland glücklich schätzen, Zugang zu guter Bildung und<br />

ausgezeichneter medizinischer Versorgung zu haben, trinkbares Wasser aus dem Wasserhahn,<br />

obwohl es kaum jemand zum Trinken nutzt, ein flohfreies Bett, in dem man sich nicht im<br />

Schlaf die Beine blutig kratzt, eine Heizung, dank der man selbst abends im Haus nicht<br />

mindestens zwei Jacken anziehen muss, und von klein auf als freies, selbst denkendes und<br />

fühlendes und sein Leben selbst bestimmendes Individuum behandelt zu werden. Wenn man<br />

dann in den Nachrichten ließt, dass mehr als die Hälfte aller Deutschen unzufrieden ist, fehlen<br />

einem Worte.<br />

Zudem habe ich das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Man muss wohl hier gewesen sein,<br />

um wirklich zu verstehen, wovon ich rede, denn wenn ich dieses Thema bei meinen Freunden<br />

in Deutschland anspreche, kriege ich oftmals nur ein „das Leben ist nun mal unfair“ zur<br />

Antwort. Was man sonst antworten sollte? Ich weiß es nicht.<br />

Andere Länder, andere Sitten<br />

Wie Valle fast innerhalb von zwei Stunden seinen Führerschein bekommen hätte…<br />

„… und dann haben Sie innerhalb von 24 Stunden Ihren Führerschein!“ Es war<br />

Donnerstagnachmittag, 15:30 Uhr. Valle schaute vom Verkehrsbeauftragten der<br />

Stadtverwaltung hilfesuchend zu Milagros, einer Freundin aus Pampas. „Das geht nicht, ich<br />

will morgen früh mit dem Motorrad nach Cobriza fahren.“ Milagros kannte zum Glück den<br />

Verkehrsbeauftragten, der kurzerhand beschloss, die Theorie- und Fahrprüfung einfach<br />

wegzulassen. „Aber die Passfotos, den Antrag und das ärztliche Attest brauchen wir!“ Kein<br />

Problem – schnell in den nächsten Fotoladen, in einem Kopiershop einen Antrag ausdrucken<br />

lassen und unterschreiben, dann ab ins Krankenhaus. Hätte die betroffene Abteilung noch<br />

offen gehabt, hätte Valle vielleicht tatsächlich bis zum Schließen der Stadtverwaltung um<br />

17:30 Uhr seinen Führerschein in Händen gehalten, doch so musste er am nächsten Morgen<br />

zurückkommen. Nach einer durchfeierten Nacht (Milagros hatte Geburtstag) also ein

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