Workshop Nr. 10: Belastete Kinder: Risiko- und Schutzfaktoren
Workshop Nr. 10: Belastete Kinder: Risiko- und Schutzfaktoren
Workshop Nr. 10: Belastete Kinder: Risiko- und Schutzfaktoren
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<strong>Workshop</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>10</strong>: <strong>Belastete</strong> <strong>Kinder</strong>: <strong>Risiko</strong>- <strong>und</strong> <strong>Schutzfaktoren</strong><br />
<strong>Kinder</strong> stärken im Rahmen der Gr<strong>und</strong>schule/ Schule zur Erziehungshilfe<br />
In Gr<strong>und</strong>schulklassen finden wir längst eine Vielfalt an <strong>Kinder</strong>n mit den<br />
unterschiedlichsten Herkunfts- <strong>und</strong> Ausgangsbedingungen. Neben den wirtschaftlich<br />
gut gestellten Akademikerkindern aus „heilen“ Mittelschichtfamilien sitzen <strong>Kinder</strong> mit<br />
Migrationshintergr<strong>und</strong>, aus Patchworkfamilien oder mit schlechten materiellen<br />
Voraussetzungen. Nicht zuletzt die Pisa Studie verweist auf den Zusammenhang<br />
zwischen Bildungschancen <strong>und</strong> sozialem Umfeld eines Kindes. Eine Vielzahl der<br />
<strong>Kinder</strong> scheitert an diesen Bedingungen <strong>und</strong> braucht ein erhöhtes Maß an<br />
Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Unterstützung.<br />
Und dennoch gibt es <strong>Kinder</strong>, die trotz eines Konglomerats aus <strong>Risiko</strong>faktoren die an<br />
sie gestellten Anforderungen erfolgreich bewältigen <strong>und</strong> selbstbewusst ihren Weg<br />
gehen. Wie machen sie das? Welche „Glückshaut“ oder <strong>Schutzfaktoren</strong> unterstützen<br />
sie dabei?<br />
Was nutzt es uns als Pädagoginnen, die Wahrnehmung an den Defiziten zu<br />
orientieren <strong>und</strong> vor Faktoren, die nicht beeinflusst werden können, letztendlich zu<br />
verzweifeln? So ist die Entscheidung, den Blick auf die <strong>Kinder</strong> zu richten, die aktiv<br />
auf ihrem Lebensweg voranschreiten, letztendlich eine pädagogische Entscheidung.<br />
Denn nur wenn klar ist, welche Faktoren diese <strong>Kinder</strong> unterstützen, kann versucht<br />
werden, die pädagogischen Rahmenbedingungen dementsprechend zu gestalten<br />
<strong>und</strong> so eine Vielzahl an <strong>Kinder</strong>n zu fördern.<br />
Anne, 8 Jahre<br />
„Pippi Langstrumpf ist der<br />
literarische Inbegriff eines<br />
solchen<br />
„Stehaufmännchens“ die<br />
Mutter tot, der Vater nur selten<br />
zuhause, von den<br />
Stadtbewohnern misstrauisch<br />
beäugt, gestaltet sie<br />
unbekümmert <strong>und</strong> von ihrer<br />
Selbstwirksamkeit restlos<br />
überzeugt, ihr überaus buntes<br />
Leben.“ (zitiert aus Dr.<br />
Thomas Müller, Innere Armut,<br />
S.119)<br />
Dieser Perspektivenwechsel in der Pädagogik von der Defizitorientierung zu<br />
ressourcenorientierten Ansätzen wird in der Resilienzforschung aufgegriffen.<br />
Resilienz wird als … „die Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Lebenssituationen<br />
umzugehen“ (vgl. Griebel, 2009 S. 1) verstanden. Es ist die „… psychische<br />
Widerstandsfähigkeit von <strong>Kinder</strong>n gegenüber biologischen, psychologischen <strong>und</strong><br />
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psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (vgl. Griebel 2009, S. 2). Resiliente <strong>Kinder</strong><br />
bewältigen altersspezifische Entwicklungsaufgaben aktiv <strong>und</strong> positiv trotz<br />
gefährdender Umweltfaktoren.<br />
Im Gegensatz zu früheren Ansätzen in der Resilienzforschung geht man mittlerweile<br />
davon aus, dass Resilienz keine angeborene Fähigkeit ist, sondern im Verlaufe der<br />
Kind-Umwelt-Interaktionen erworben wird. Sie entsteht in einem komplexen<br />
Zusammenspiel von Merkmalen des Kindes <strong>und</strong> seiner Lebensumwelt. Resilienz „…<br />
kann über Zeit <strong>und</strong> Situationen hinweg unterschiedlich sein“ (vgl. Griebel, 2009, S. 3).<br />
Gerade in sensiblen Phasen, in denen <strong>Kinder</strong> Entwicklungsübergänge bewältigen<br />
müssen, z.B. den Wechsel von <strong>Kinder</strong>garten zur Schule oder der Beginn der<br />
Pubertät …, sind sie „vulnerabel“, d.h. verletzlich <strong>und</strong> durch belastende Bedingungen<br />
gefährdeter.<br />
Wilfried Griebel unterscheidet bei den belastenden Bedingungen zwischen<br />
a) Vulnerabilitätsfaktoren: Das sind psychische <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Probleme des<br />
Kindes, beispielsweise auch alle Aufmerksamkeits- <strong>und</strong> Hyperaktivitätserkrankungen.<br />
b) <strong>Risiko</strong>faktoren: Sie betreffen die Umwelt des Kindes.<br />
<strong>Risiko</strong>faktoren können z.B. durch Migration, Armut, Trennung, Scheidung, Gewalt,<br />
chronische Disharmonie in den Familien, Alkohol- <strong>und</strong> Drogenmissbrauch,<br />
Traumata … entstehen. In der Regel sind die <strong>Kinder</strong> multiplen <strong>Risiko</strong>faktoren<br />
ausgesetzt. So geht Migration oft einher mit Armut. Armut mit schlechter Ernährung<br />
<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Problemen.<br />
Bei der Auflistung der Bedingungen, die die Resilienz eines Kindes unterstützen, den<br />
sogenannten <strong>Schutzfaktoren</strong>, unterscheiden Corinna Wustmann <strong>und</strong> Wilfried<br />
Griebel drei Einflussebenen.<br />
Basiskompetenzen im Kind: ausgeglichenes Temperament, Selbstvertrauen <strong>und</strong><br />
Selbstwertgefühl, internale Kontrollüberzeugungen (im Gegensatz zum Fatalismus),<br />
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Optimismus, Sozialkompetenz, v. a.<br />
Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zu Empathie <strong>und</strong> sozialer<br />
Perspektivenübernahme<br />
<strong>Schutzfaktoren</strong> in der Familie:<br />
o stabile emotional-positive Beziehung zu mindestens einer Bindungsperson <strong>und</strong><br />
daraus resultierend ein sicheres Bindungsmuster<br />
o autoritativ demokratischer Erziehungsstil, der geprägt ist von Struktur,<br />
Wertschätzung <strong>und</strong> Akzeptanz<br />
o harmonische Paarbeziehung der Eltern<br />
o unterstützende Geschwisterbeziehungen<br />
o familiärer Zusammenhalt <strong>und</strong> kommunikative Kompetenz innerhalb der Familie<br />
<strong>Schutzfaktoren</strong> im sozialen Umfeld:<br />
o kompetente <strong>und</strong> fürsorgliche Erwachsene außerhalb der Familie<br />
o positive Peer-Beziehungen<br />
o positive Erfahrungen mit Bildungseinrichtungen, die gekennzeichnet sind von<br />
klaren Strukturen, einer Atmosphäre der Wertschätzung <strong>und</strong> Akzeptanz <strong>und</strong><br />
angemessenen Leistungsstandards<br />
kommunale Ressourcen: Beratungsstellen, Frühförderstellen,<br />
Tagesstättenplätze …<br />
All diese <strong>Schutzfaktoren</strong> sind nie isoliert zu betrachten, sondern immer im<br />
Zusammenspiel. Das so entstehende soziale Netzwerk des Vertrauens ist<br />
letztendlich für die weitere positive Entwicklung des jeweiligen Kindes<br />
ausschlaggebend.<br />
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Bedeutung der Resilienzforschung für die pädagogische Arbeit in der Schule:<br />
Resilienzförderung am Kind beinhaltet neben ges<strong>und</strong>heitlichen Präventionsprogrammen<br />
z.B. zur Ernährung, Bewegung, Freizeitverhalten, Vermittlung von<br />
Entspannungstechniken etc. alles was der Vermittlung der aufgeführten<br />
Basiskompetenzen förderlich ist.<br />
Eine wichtige Rolle hat hierbei die Lehrkraft, die einerseits als soziales Vorbild 1<br />
fungiert <strong>und</strong> andererseits demokratische Prozesse initiiert <strong>und</strong> begleitet.<br />
Die Unterstützung des Familiensystems ist im schulischen Rahmen nur begrenzt<br />
möglich. Zwar werden wir als Lehrkräfte im Rahmen der Elternarbeit beratend tätig<br />
<strong>und</strong> können Hilfestellungen geben, um Eltern gegebenenfalls an außerschulische<br />
Beratungsangebote zu vermitteln oder auf die Möglichkeit von Elterntrainings<br />
hinzuweisen. Wichtig ist in jedem Fall, die Eltern in ihren Erziehungskompetenzen<br />
wahr- <strong>und</strong> ernst zu nehmen <strong>und</strong> ihren jeweiligen kulturellen <strong>und</strong> sozialen Kontext<br />
anzuerkennen.<br />
Haupteinflussbereich im Rahmen der Schule ist das soziale Umfeld. Klare Regeln<br />
<strong>und</strong> Strukturen in einer Atmosphäre der Wertschätzung vermitteln den <strong>Kinder</strong>n<br />
Sicherheit <strong>und</strong> Orientierung. Habe ich ein offenes Ohr für die Nöte <strong>und</strong> Probleme der<br />
<strong>Kinder</strong>, so werden sie mit Sicherheit lernen, dass es hilfreich sein kann zu erzählen<br />
<strong>und</strong> sich unterstützen zu lassen. Eine empathische, beziehungsorientierte<br />
Gr<strong>und</strong>haltung der Lehrkraft den <strong>Kinder</strong>n gegenüber vermittelt ihnen Sicherheit, Ruhe,<br />
Entspannung <strong>und</strong> Zuversicht. Angemessene Leistungsanforderungen, die die <strong>Kinder</strong><br />
bewältigen können, ermöglichen es ihnen, Erfolge zu erzielen <strong>und</strong> neue<br />
Anforderungen als Herausforderung zu begreifen.<br />
Fazit: Resilienz ist ein in sozialen Interaktionen erworbener Zustand, der<br />
veränderlich <strong>und</strong> beeinflussbar ist.<br />
D.h. ich kann <strong>Kinder</strong> stärken <strong>und</strong> sie darin unterstützen, ihren Weg zu finden <strong>und</strong> sich<br />
selbstbewusst neuen Herausforderungen <strong>und</strong> Aufgaben zu stellen, auch wenn sie in<br />
ihrem häuslichen Umfeld einem hohen <strong>Risiko</strong> ausgesetzt sind.<br />
„Ein resilientes Kind sagt …<br />
… ich habe (I have)<br />
Menschen um mich, die mir vertrauen <strong>und</strong> mich bedingungslos lieben,<br />
Menschen um mich, die mir Grenzen setzen, an denen ich mich orientieren kann <strong>und</strong><br />
die mich vor Gefahren schützen.<br />
Menschen um mich, die mir als Vorbilder dienen <strong>und</strong> von denen ich lernen kann,<br />
Menschen um mich, die mich dabei unterstützen <strong>und</strong> bestärken, selbstbestimmt zu<br />
handeln,<br />
Menschen um mich, die mir helfen, wenn ich krank oder in Gefahr bin <strong>und</strong> die mich<br />
darin unterstützen, Neues zu lernen.<br />
… ich bin (I am)<br />
eine Person, die von anderen wertgeschätzt <strong>und</strong> geliebt wird,<br />
froh, anderen helfen zu können <strong>und</strong> ihnen meine Anteilnahme zu signalisieren,<br />
respektvoll gegenüber mir selbst <strong>und</strong> anderen,<br />
1 Wie gut sorge ich selbst für mich (Ges<strong>und</strong>heitserziehung)? Wie gehe ich selbst mit<br />
Konflikten um (soziales Vorbild)? …<br />
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verantwortungsbewusst für das, was ich tue,<br />
zuversichtlich, dass alles gut wird.<br />
… ich kann (I can)<br />
mit anderen sprechen, wenn mich etwas ängstigt oder mir Sorgen bereitet,<br />
Lösungen für Probleme finden, mit denen ich konfrontiert werde,<br />
mein Verhalten in schwierigen Situationen kontrollieren,<br />
spüren, wann es richtig ist, eigenständig zu handeln oder ein Gespräch mit<br />
jemandem zu suchen,<br />
jemanden finden, der mir hilft, wenn ich Unterstützung brauche.“<br />
(Edith Grotberg, zitiert nach Corinna Wustmann, 2007, S. 118)<br />
Literatur:<br />
Wilfried Griebel: Resilienz - Die Widerstandskraft von jungen Menschen stärken<br />
http://www.vhs-nord.de/documents/5000/resilienz_vortrag.pdf<br />
Andrea Lanfranchi: <strong>Kinder</strong> aus Kriegsgebieten in europäischen<br />
Einwanderungsländern<br />
http://www.systemagazin.de/bibliothek/texte/lanfranchi_Kriegstrauma<strong>Kinder</strong>.pdf<br />
Thomas Müller: Innere Armut. <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jugendliche zwischen Mangel <strong>und</strong><br />
Überfluss. Wiesbaden 2008<br />
Corinna Wustmann: Das Konzept der Resilienz <strong>und</strong> seine Bedeutung für das<br />
pädagogische Handeln<br />
http://iss.activeelements.de/fileadmin/user_upload/pdfs/doku_ft_resilienz_2006_09.pdf<br />
Corinna Wustmann: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von <strong>Kinder</strong>n in<br />
Tageseinrichtungen fördern. Berlin 2007<br />
Birgit Wolter: „Resilienzforschung“ – das Geheimnis der inneren Stärke<br />
http://www.ifweinheim.de/download/Systhema_pdfs/Sys_2005/3_2005/Sys_3_2005_Wolter.pdf<br />
Hinweis: Dieser Artikel wird voraussichtlich im Frühsommer 20<strong>10</strong> veröffentlicht im<br />
Rahmen der Online-Zeitschrift: ErziehungKonkret, zu beziehen über<br />
www.isb.bayern.de – bislang veröffentlicht: ErziehungKonkret1: Klassenklima;<br />
ErziehungKonket2: Präventives Lehrerverhalten; demnächst ErziehungKonkret3:<br />
Soziales Lernen<br />
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