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Bildungs- und Lerngeschichten – - BSCW

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Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich<br />

Departement Schulische Heilpädagogik<br />

Lerngeschichte für Leila Januar 2010<br />

Liebe Leila!<br />

Heute bekommst du endlich<br />

deine neue Lerngeschichte.<br />

Weißt du noch, als dich «Klaramaus» im Adventsstündchen<br />

als Adventskind erschnuppert hat?<br />

Jeden Tag hast du im Adventsstündchen sehnlichst gehofft,<br />

dass Klaramaus den richtigen Riecher hat,<br />

<strong>und</strong> dich als Adventskind erschnuppert.<br />

In der 3. Adventswoche ist es dann endlich soweit gewesen.<br />

Du hast dich riesig gefreut, dein Strahlen reichte über das ganze<br />

Gesicht <strong>und</strong> du hast herzlich gelacht. Dich so glücklich zu sehen,<br />

hat mir sehr viel Freude bereitet.<br />

Schnell bist du an unseren Adventskalender gegangen,<br />

hast dein Zeichen gesucht <strong>und</strong> dein Säckchen abgenommen.<br />

Gespannt hast du hinein geschaut <strong>und</strong> dein kleines Briefchen<br />

heraus geholt. Klaramaus hat deinen Adventswunsch<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

laut vorgelesen.<br />

<strong>Lerngeschichten</strong><br />

Am Montag, den 14.12.09 durftest du gemeinsam<br />

mit Loris <strong>und</strong> Lukas <strong>–</strong><br />

in den Ahornsportpark gehen.<br />

ein Beobachtungs- <strong>und</strong> Dokumentationsverfahren im Kindergarten<br />

von nichts anderem mehr gesprochen. Voller Vorfreude hast du<br />

Wissenschaftliche Arbeit Masterarbeit<br />

auf diesen Tag gewartet.<br />

Du hast dich sehr darauf gefreut <strong>und</strong> in den nächsten Tagen<br />

Endlich ist es dann soweit gewesen. Monika hat<br />

mit euch den Rucksack gepackt Eingereicht <strong>und</strong> dann von konnte es losgehen. Gabriela Brühlmeier-Frey<br />

Im Ahornsportpark habt ihr verschiede Bewegungsspiele <strong>und</strong> ausprobiert,<br />

konntet durch einen Parcours laufen <strong>und</strong> vieles mehr. Sehr motiviert<br />

Marianne Homberger-Schneider<br />

<strong>und</strong> neugierig bist du bei der Sache gewesen.<br />

Mutig bist du allein über die Wackelbrücke balanciert <strong>und</strong> hast<br />

dich sogar getraut, an der Stange herunter zu rutschen.<br />

Es ist schön, zu beobachten, wie viel Spaß du an der Bewegung hast.<br />

Die Kletterwand hat dir auch gut gefallen. Mit viel Eifer hast<br />

du immer wieder gemeinsam mit Leander <strong>und</strong> anderen<br />

Begleitung Simona Brizzi<br />

Kindern versucht, bis ganz oben zu klettern.<br />

Eingereicht am 7. Januar 2011<br />

Das ist ein ganz besonderer <strong>und</strong> aufregender Tag für dich gewesen, <strong>und</strong><br />

du freust dich schon darauf, ab dem nächsten Sommer regelmäßig mit<br />

in den Ahornsportpark zu gehen.


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

Abstract<br />

Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit dem Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>,<br />

einem ressourcenorientierten Beobachtungs- <strong>und</strong> Dokumentationsverfahren aus Neuseeland.<br />

Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern dieses für die Förderung von Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen eingesetzt werden kann <strong>und</strong> welche Rahmenbedingungen für eine Umsetzung in<br />

unseren Kindergärten nötig wären. Dafür wurden zwei Expertinnen befragt, sowie in vier Kindertagesstätten<br />

Deutschlands Interviews durchgeführt <strong>und</strong> anhand qualitativer Inhaltsanalysen<br />

ausgewertet. Es wird aufgezeigt, dass <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ein ideales Instrument für die<br />

Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen sind, wenn sie nach Bedarf mit geeigneten<br />

Kompetenzrastern kombiniert werden. Aus den Interviews konnten wertvolle Umsetzungshinweise<br />

herauskristallisiert <strong>und</strong> eine Handreichung erarbeitet werden.<br />

Vorwort <strong>und</strong> Dank<br />

In den letzten Jahren sind verschiedene Beobachtungsbögen <strong>und</strong> Kompetenzraster entwickelt<br />

worden mit dem Ziel, Kinder in ihrer Verschiedenheit besser wahrnehmen, einschätzen <strong>und</strong> ihrem<br />

Entwicklungsstand entsprechend fördern zu können. Auf der Basis der ICF (International Classification<br />

of Functioning, Disability and Health), der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit,<br />

Behinderung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit wurde unter anderem das «Schulische Standortgespräch»<br />

entwickelt, ein Verfahren zur Förderplanung <strong>und</strong> Zuweisung von sonderpädagogischen Massnahmen,<br />

welches in Elterngesprächen ein gemeinsames Verständnis von Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen ermöglichen soll.<br />

Durch diese neu entwickelten Instrumente gelingt es den an der Erziehung <strong>und</strong> Förderung beteiligten<br />

Erwachsenen, ihren Blick auf die kindliche Entwicklung <strong>und</strong> auf bereits ausgebildete Kompetenzen<br />

immer differenzierter auszubilden. Dabei bestand <strong>und</strong> besteht aber die Gefahr, dass vermehrt der<br />

Entwicklungsbedarf oder sogar die Defizite beachtet <strong>und</strong> die Ressourcen <strong>und</strong> Stärken von Kindern<br />

aus den Augen verloren werden. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> stiessen wir auf das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>, welches einen ressourcenorientierten Blick auf <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Lernprozesse<br />

von Kindern ermöglicht. Durch die Anwendung des Verfahrens wird eine Veränderung der pädagogischen<br />

Haltung eingeleitet, welche den Dialog mit dem Kind <strong>und</strong> die Reflexion des eigenen<br />

pädagogischen Handelns der Erziehenden ins Zentrum rückt. Diese Qualitäten des Verfahrens der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> weckten unseren Enthusiasmus <strong>und</strong> unsere Motivation, uns längerfristig<br />

für eine Umsetzung in den Deutschschweizer Kindergärten einzusetzen.


Vorwort <strong>und</strong> Dank<br />

Die Begeisterung für dieses Beobachtungs- <strong>und</strong> Dokumentationsverfahren hält auch nach intensiver<br />

Auseinandersetzung mit der Thematik unvermindert an.<br />

Unser herzlicher Dank geht nach Deutschland, an die Kindertagesstätten in Reutlingen <strong>und</strong> Paderborn,<br />

welche uns ihre Türen geöffnet <strong>und</strong> ihre Zeit geschenkt haben, um uns einen umfassenden<br />

Einblick in ihre Arbeit mit dem Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> zu gewähren <strong>und</strong><br />

unsere Fragen zu beantworten.<br />

Ein besonderer Dank geht an Frau Margrit Röllin von der Pädagogischen Hochschule in Zürich,<br />

die uns mit dem Thema <strong>Lerngeschichten</strong> inspiriert hat <strong>und</strong> uns ebenso wie Frau Susanne Bosshart<br />

von der Pädagogischen Hochschule St. Gallen für ein Expertinneninterview zur Verfügung<br />

gestanden hat. Auch Frau Wustmann vom Marie Meierhofer-Institut für das Kind in Zürich sind<br />

wir sehr dankbar, dass sie uns ermöglicht hat, einen ersten Überblick über das Thema zu gewinnen<br />

<strong>und</strong> entsprechende Fragestellungen zu entwickeln.<br />

Zu grossem Dank sind wir Frau Simona Brizzi von der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich<br />

verpflichtet, die uns während unserer Masterarbeit kompetent <strong>und</strong> einfühlsam begleitet <strong>und</strong> unterstützt<br />

hat.<br />

Oberrohrdorf <strong>und</strong> Nürensdorf, Dezember 2010<br />

Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einleitung 1<br />

1.1 Projektidee <strong>und</strong> erste Schritte 1<br />

1.2 Persönlicher Bezug <strong>und</strong> heilpädagogische Relevanz 2<br />

1.3 Erk<strong>und</strong>ungsgespräch 4<br />

2 Theoretische Konzeption 7<br />

2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter 7<br />

2.1.1 Gr<strong>und</strong>legende Aspekte der kindlichen Entwicklung 7<br />

2.1.2 Die Entwicklung der Sprache 8<br />

2.1.3 Die Entwicklung des logisch-mathematischen Denkens 8<br />

2.1.4 Die Entwicklung der Wahrnehmung 9<br />

2.1.5 Die Entwicklung des Bindungs- <strong>und</strong> Beziehungsverhaltens<br />

<strong>und</strong> der sozialen Wahrnehmung 10<br />

2.1.6 Die Entwicklung der Motorik 11<br />

2.1.7 Folgerungen für den Unterricht im Kindergartenalter 11<br />

2.1.8 Die Zone der nächsten Entwicklung 13<br />

2.2 Der Konstruktivismus als didaktisches Konzept 14<br />

2.3 Das Erleben von Selbstwirksamkeit als Teil des Lernprozesses 18<br />

2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik 22<br />

2.4.1 Der Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich 22<br />

2.4.2 Das Lernen im Kindergartenalter 24<br />

2.4.3 Aktuelle Lehr- <strong>und</strong> Lernformen im Kindergarten 25<br />

2.5 Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> 28<br />

2.5.1 Die Herkunft des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> 29<br />

2.5.2 Das <strong>Bildungs</strong>verständnis im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> 30<br />

2.5.3 Die praktische Anwendung des Verfahrens 30<br />

2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> 33<br />

2.6.1 Das Beobachten 33<br />

2.6.2 Die Analyse nach Lerndispositionen 37<br />

2.6.3 Der Dialog 42<br />

2.6.4 Die pädagogische Planung, die «nächsten Schritte» 48<br />

2.6.5 Die Lerngeschichte 51<br />

3 Fragestellung 56<br />

3.1 Fragestellung zum Forschungsteil 56<br />

3.2 Fragestellung zum Entwicklungsteil 57


Inhaltsverzeichnis<br />

4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 58<br />

4.1 Zum Verhältnis von quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Forschung 58<br />

4.2 Forschungsdesign 60<br />

4.3 Die Forschungsmethoden 63<br />

4.3.1 Das problemzentrierte Interview in der qualitativen Sozialforschung 63<br />

4.3.2 Wörtliche Transkription 65<br />

4.3.3 Qualitative Inhaltsanalyse 66<br />

4.4 Triangulation 70<br />

4.5 Gütekriterien 73<br />

4.6 Beschreibung der Stichproben 75<br />

5 Dokumentation des Forschungsablaufes 76<br />

5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen,<br />

Baden-Württemberg, Deutschland 76<br />

5.1.1 Die Kindertagesstätte Gmindersdorf in Reutlingen 77<br />

5.1.2 Kinderhaus Heinestrasse 76 83<br />

5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn,<br />

Nordrhein-Westfalen, Deutschland 91<br />

5.2.1 Paderborner Kindertagesstätte 91<br />

5.2.2 Kindergarten St. Vincenz 92<br />

5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung 103<br />

5.4 Beispiel eines für den Forschungsteil kodierten Interviews mit der<br />

Institutionsleitenden des Kindergartens St.Vincenz in Paderborn 109<br />

5.5 Beispiel eines für den Forschungsteil kodierten Interviews<br />

mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte 113<br />

5.6 Bespiel eines für den Entwicklungsteil kodierten Expertinneninterviews<br />

120<br />

6 Ergebnisse für den Forschungsteil 125<br />

6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten<br />

Interviews 125<br />

6.1.1 Kategorie 1: Förderdiagnostik 125<br />

6.1.2 Kategorie 2: Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung 128<br />

6.1.3 Kategorie 3: Austausch 131<br />

6.1.4 Kategorie 4: Förderplanung 133<br />

6.2 Interpretation der Ergebnisse 134<br />

6.3 Beantwortung der Fragestellung für den Forschungsteil 135


Inhaltsverzeichnis<br />

7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 138<br />

7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten<br />

Interviews 138<br />

7.1.1 Kategorie 5: <strong>Bildungs</strong>verständnis 138<br />

7.1.2 Kategorie 6: Organisation 142<br />

7.1.3 Kategorie 7: Ausgestaltung 146<br />

7.1.4 Kategorie 8: Umsetzung des Verfahrens 148<br />

7.2 Interpretation der Ergebnisse 151<br />

7.3 Beantwortung der Fragestellung für den Entwicklungsteil 152<br />

7.4 Handreichung für die Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten 155<br />

8 Reflexion des forschungsmethodischen Vorgehens 160<br />

8.1 Einzelfallanalyse 160<br />

8.2 Problemzentriertes Interview 161<br />

8.3 Wörtliche Transkription 162<br />

8.4 Qualitative Inhaltsanalyse 162<br />

8.5 Triangulation 163<br />

8.6 Gütekriterien 163<br />

9 Schlusswort <strong>und</strong> Ausblick 165<br />

10 Literaturliste 167<br />

Anhang (siehe separate Broschüre)<br />

1 Merkblatt <strong>und</strong> Übersicht Förderplanung 3<br />

2 Beobachtungsbogen «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>» 7<br />

3 Analyse dieser Beobachtung nach Lerndispositionen 8<br />

4 Bogen zum kollegialen Austausch über das Lernen des Kindes 9<br />

5 Reflexionsbogen 10<br />

6 Formatiertes Interview Frau Schlüter (Zeilen 707<strong>–</strong>944) 11<br />

7 Formatiertes Interview zwei Pädagoginnen (Zeilen 1174<strong>–</strong>1685) 26<br />

8 Formatiertes Interview Frau Bosshart (Zeilen 405<strong>–</strong>706) 52<br />

9 Formular «Grenzsteine» der Entwicklung 68


1 Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung 1.1 Projektidee <strong>und</strong> erste Schritte<br />

Um eine bessere Lesbarkeit der Texte zu unterstützen, wird in der Regel für die theoretische Konzeption<br />

der Literatur entsprechend die männliche Form verwendet. In Bezug auf das Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> erscheinen aber ausschliesslich die weiblichen Bezeichnungen.


Inhaltsverzeichnis<br />

Darstellung der Inhalte<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

im Kindergarten<br />

Fragestellung zum Forschungsteil<br />

Inwiefern unterstützt das Verfahren<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> die<br />

Förderung von Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen im Kindergarten?<br />

Fragestellung zum Entwicklungsteil<br />

Welche Rahmenbedingungen<br />

müssen berücksichtigt werden,<br />

damit das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> in der Praxis<br />

umgesetzt werden kann?<br />

Forschungsvorgehen<br />

Forschungsstrategie<br />

Einzelfallanalyse<br />

Forschungsmethoden<br />

Problemzentriertes Interview<br />

als Erhebungsverfahren<br />

Qualitative Inhaltsanalyse<br />

als Auswertungsverfahren<br />

Abbildung 1 Darstellung der Inhalte<br />

Heilpädagogische Relevanz<br />

Kindliche Entwicklung<br />

im Kindergartenalter<br />

Konstruktivismus<br />

als didaktisches Konzept<br />

Erleben von Selbstwirksamkeit<br />

Kindergartendidaktik<br />

Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong><br />

Hospitationen <strong>und</strong> Interviews<br />

in verschiedenen Kindertagesstäten<br />

Deutschlands, die mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> arbeiten<br />

Inhaltsanalyse der Interviews<br />

mit Pädagoginnen, Institutionsleitenden<br />

<strong>und</strong> Expertinnen<br />

Interpretation<br />

der Ergebnisse<br />

<strong>und</strong> Beantwortung<br />

der FragestellungbezüglichAnwendbarkeit<br />

des<br />

Verfahrens für<br />

die Förderung<br />

von Kindern<br />

mit besonderen<br />

Bedürfnissen<br />

Interpretation<br />

der Ergebnisse<br />

<strong>und</strong> Beantwortung<br />

der<br />

Fragestellung<br />

bezüglich<br />

Rahmenbedingungen<br />

Handreichung<br />

für die<br />

Umsetzung<br />

des Verfahrens


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1 Darstellung der Inhalte<br />

Abbildung 2 Das Verfahren 32<br />

Abbildung 3 Thesen zur Beobachtung 37<br />

Abbildung 4 Eisberg-Modell 39<br />

Abbildung 5 Progressiver Filter (Leu et al., 2007, S. 55) 47<br />

Abbildung 6 Theoriebildung <strong>und</strong> Kategoriensystem/deduktiv 68<br />

Abbildung 7 Ablauf einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse 69<br />

Abbildung 8 Datentriangulation 72


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1 Merkmale von starkem vs. schwachem Selbstwirksamkeits-Glauben<br />

(in Schachinger, 2007, S. 176). 21<br />

Tabelle 2 Kodierleitfaden für den Forschungsteil 106<br />

Tabelle 3 Kodierleitfaden für den Entwicklungsteil 107<br />

Tabelle 4 Kodiertes Interview, Institutionsleitende Kindergarten St. Vincenz,<br />

Forschungsteil 109<br />

Tabelle 5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen, Paderborner Kinder-<br />

tagesstätte, Forschungsteil 113<br />

Tabelle 6 Kodiertes Interview Expertin, Entwicklungsteil 120<br />

Tabelle 7 K 1, Förderdiagnostik 125<br />

Tabelle 8 K 2, Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung 128<br />

Tabelle 9 K 3, Austausch 131<br />

Tabelle 10 K 4, Förderplanung 133<br />

Tabelle 11 K 5, <strong>Bildungs</strong>verständnis 138<br />

Tabelle 12 K 6, Organisation 142<br />

Tabelle 13 K 7, Ausgestaltung 146<br />

Tabelle 14 K 8, Umsetzung des Verfahrens 148


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

1 Einleitung<br />

In diesem Kapitel werden die Projektidee <strong>und</strong> die ersten Schritte für die Forschungsarbeit zum<br />

Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> vorgestellt. Es folgen ein persönlicher Bezug <strong>und</strong> die<br />

heilpädagogische Relevanz des Themas. Den Abschluss des Kapitels bildet die Zusammenfassung<br />

des Erk<strong>und</strong>ungsgespräches mit Frau C.Wustmann vom Marie Meierhofer-Institut für das Kind.<br />

1.1 Projektidee <strong>und</strong> erste Schritte<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind Geschichten, die über das Lernen der Kinder berichten.<br />

In gezielten Beobachtungen durch verschiedene Bezugspersonen des Kindes<br />

werden Informationen über seine Tätigkeiten gesammelt <strong>und</strong> später im Team zusammengetragen<br />

<strong>und</strong> analysiert. In einer Lerngeschichte, die für das Kind ein- oder zweimal pro<br />

Jahr verfasst <strong>und</strong> ihm vorgelesen wird, werden diese Erkenntnisse für das Kind erlebbar<br />

gemacht.<br />

Der Begriff «<strong>Lerngeschichten</strong>» tauchte in einer Weiterbildung für Kindergärtnerinnen zum<br />

ersten Mal auf <strong>und</strong> faszinierte uns sofort. Die Verbindung von Lernen <strong>und</strong> Geschichten versprach,<br />

neue Dimensionen in der Beobachtung von Lernprozessen von Kindern zu erschliessen. Die Referentin<br />

der Pädagogischen Hochschule in Zürich, Frau Röllin, zeigte uns auf, wie Beobachtungen<br />

nicht nur nach Kompetenzen, sondern auch nach Lerndispositionen analysiert werden können<br />

<strong>und</strong> im Zentrum dabei die Ermutigung der Kinder auf ihrem eigenen Lernweg steht. Die Möglichkeit,<br />

ein Instrument zur Dokumentation von Lernprozessen kennen zu lernen, welches auf die<br />

Stärken der Kinder baut <strong>und</strong> dabei eine notwendige Einschätzung des Entwicklungsstandes nicht<br />

ausschliesst, motivierte uns für weitere Nachforschungen. Auf den Begriff <strong>Lerngeschichten</strong><br />

stiessen wir dann auch im Kindergartenlehrplan des Kantons Zürich, wo die Anwendung von Lernbiografien,<br />

beziehungsweise <strong>Lerngeschichten</strong> beschrieben sind (vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe<br />

des Kantons Zürich, 2008, S.17).<br />

Auf Empfehlung von Frau Röllin hin suchten wir auf der Internetseite des Deutschen Jugendinstitutes<br />

in München, welches von 2004 bis 2007 ein Projekt zu <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

durchgeführt hatte, nach weiteren Informationen <strong>und</strong> entdeckten dabei das Buch «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>», ein Gr<strong>und</strong>lagenwerk für die Arbeit mit diesem Verfahren, verfasst im Jahr 2007<br />

durch Herrn Dr. Leu <strong>und</strong> weitere Autorinnen <strong>und</strong> Autoren. Durch verschiedene Mailkontakte<br />

mit Mitarbeitenden des Institutes erfuhren wir, dass das Zürcher Marie Meierhofer-Institut für das<br />

1


1 Einleitung 1.1 Projektidee <strong>und</strong> erste Schritte<br />

Kind aktuell ein Projekt zum Thema <strong>Lerngeschichten</strong> in Kindertagesstätten der Schweiz unter der<br />

Leitung von Frau C. Wustmann durchführt. Sie hatte bereits das Projekt in München geleitet <strong>und</strong><br />

ermöglichte uns eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema <strong>und</strong> das Entwickeln von möglichen<br />

Fragestellungen. Durch einen Kontakt mit Frau Bosshart von der Pädagogischen Hochschule<br />

St.Gallen erfuhren wir, dass der Versuch, die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> in verschiedenen Kindergärten<br />

der Ostschweiz einzuführen, wieder aufgegeben worden war.<br />

Von Beginn an war es uns ein Anliegen, einen Einblick in die praktische Anwendung des Verfahrens<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> zu gewinnen, diese Erkenntnisse in Bezug zur Theorie zu setzen<br />

<strong>und</strong> daraus Fragestellungen zu entwickeln, die den Einsatz von <strong>Lerngeschichten</strong> unter Umständen<br />

auch in der Schweiz fördern können. Durch das Deutsche Jugendinstitut in München bekamen<br />

wir Adressen von Konsultations-Kindertagesstätten in Deutschland. Für unseren ersten Besuch<br />

wählten wir zwei Institutionen in Reutlingen, in der Nähe von Stuttgart <strong>und</strong> begannen mit der sorgfältigen<br />

Planung dieser zwei Tage, wobei uns auch unsere Dozentin Simona Brizzi unterstützte.<br />

Ziel unserer Reise war, die Umsetzung des Verfahrens «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>» in verschiedenen<br />

Kindertagesstätten durch Hospitationen <strong>und</strong> Interviews kennen zu lernen. Im Voraus<br />

informierten wir die Leitenden der beiden Kindertagesstätten über unsere Anliegen <strong>und</strong> Erwartungen<br />

<strong>und</strong> stellten ihnen auch unseren Interviewleitfaden zu. Sie gaben uns die Gelegenheit,<br />

mit ihnen <strong>und</strong> mit je einer Pädagogin ein problemzentriertes Interview durchzuführen <strong>und</strong> den<br />

Alltag <strong>und</strong> die Organisation der Kindertagesstätte kennen zu lernen. Von unserer Reise Mitte April<br />

kamen wir mit einer Fülle von Eindrücken <strong>und</strong> Ideen für unsere weitere Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsarbeit<br />

zurück.<br />

Im Juni 2010 folgte dann eine Reise nach Paderborn mit zwei weiteren spannenden Hospitationen.<br />

1.2 Persönlicher Bezug <strong>und</strong> heilpädagogische Relevanz<br />

Wie im Abschnitt 1.1 beschrieben hat bereits der Titel «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>» unser<br />

Interesse geweckt. Als schulische Heilpädagoginnen ist es uns wichtig, Kinder <strong>und</strong> insbesondere<br />

auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen aufgr<strong>und</strong> einer differenzierten Einschätzung der<br />

Lernentwicklung <strong>und</strong> des Lernstandes optimal zu fördern. Buholzer (2006) schreibt in seinem<br />

Buch «Förderdiagnostisches Sehen, Denken <strong>und</strong> Handeln», dass es unbestritten ist, dass förderdiagnostische<br />

Kompetenzen für die Durchführung von adaptiven Förderprozessen von grosser<br />

Bedeutung sind (vgl. S. 6) <strong>und</strong> dass guter Unterricht, wie auch lernwirksame Förderung auf diagnostischen<br />

Erkenntnissen aufbaut (vgl. S. 8). Im schulischen Alltag wurde uns immer wieder klar,<br />

dass es aber nicht nur von zentraler Wichtigkeit ist, «gute» Förderpläne zu schreiben, sondern<br />

auch Kinder, Eltern <strong>und</strong> alle beteiligten Lehrpersonen ins «Boot» zu holen. Oft erleben wir nun<br />

2


1 Einleitung 1.2 Persönlicher Bezug <strong>und</strong> heilpädagogische Relevanz<br />

aber an solchen «r<strong>und</strong>en Tischen», dass der Blick auf das Kind defizitorientiert ist <strong>und</strong> am Ende<br />

einer Besprechung ein Gefühl zurückbleibt, dem Kind nicht gerecht zu werden. Oft wird das Kind<br />

auch nicht in die Planung der Förderung mit einbezogen, was zu Schwierigkeiten bei der eigentlichen<br />

Umsetzung führt. So waren wir von Anfang an begeistert vom Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>, das Kinder in ihrer Entwicklung ressourcenorientiert <strong>und</strong> selbstwertstärkend<br />

fördert. Ein zentraler Punkt des Verfahrens ist die Beobachtung. Auch Buholzer (2006) räumt der<br />

Beobachtung innerhalb der förderdiagnostischen Methoden einen besonderen Stellenwert ein (vgl.<br />

S. 72). Als schulische Heilpädagoginnen übernehmen wir häufig die Aufgabe der Beobachtenden.<br />

Dies zeigt sich auch im Dokument «Übersicht: Förderung von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen mit<br />

besonderen schulischen Bedürfnissen im Rahmen der Integrierten Heilpädagogik» des Kantons<br />

Aargaus (2008), in dem die Beobachtung durch die Heilpädagogin <strong>und</strong> die Klassenlehrperson<br />

der erste Schritt für eine Förderplanung darstellt (siehe Anhang 1). Die Organisation <strong>und</strong> Durchführung<br />

von strukturierten, differenzierten Beobachtungen, wie sie im Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> erforderlich sind passen gut zu unserer Rolle, ja stärken sie sogar, somit ist die<br />

heilpädagogische Relevanz gewährleistet.<br />

Ein weiterer Aspekt, der uns besonders beeindruckt hat ist die Tatsache, dass bei der Arbeit mit<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> nicht über das Kind, sondern mit dem Kind gesprochen wird. Dies<br />

ermöglicht der Lehrperson die Beziehung zum Kind zu stärken, die Lernenden <strong>und</strong> ihre Gedankenwelt<br />

im Dialog besser kennen zu lernen, um Stärken <strong>und</strong> auch Entwicklungsbedarf zu erfassen<br />

<strong>und</strong> eine optimale Förderung mit dem Kind zusammen zu gestalten. Bei unseren Hospitationen ist<br />

uns auch die Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Wertschätzung aufgefallen, die einem Kind bei der Beobachtung<br />

<strong>und</strong> beim Vorlesen der <strong>Lerngeschichten</strong> entgegengebracht wird. Auch der Beobachtende wird<br />

dabei zum Lernenden <strong>und</strong> zwar über das Lernen eines Kindes. Dahinter steht eine veränderte pädagogische<br />

Haltung, mit welcher wir uns in dieser Masterarbeit vertieft auseinandersetzen werden.<br />

Wir sind der Ansicht, dass der ressourcenorientierte Ansatz dieses Verfahrens eine gute Möglichkeit<br />

sein könnte, die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnisse stärkend <strong>und</strong> nachhaltig<br />

für alle Beteiligten zu gestalten.<br />

Durch den Kontakt mit den vier Kindertagesstätten in Deutschland wurde die Frage aufgeworfen,<br />

was wir in der Schweiz unter «Kindern mit besonderen Bedürfnissen» verstehen. Dies werden wir<br />

hier klären <strong>und</strong> dann einen Bezug schaffen zum Verständnis von «Kindern mit besonderem Förderbedarf»<br />

im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>. In allen offiziellen Unterlagen beider<br />

Kantone (AG <strong>und</strong> ZH) haben wir keine eindeutige Definition zum Begriff «Kinder mit besonderen<br />

Bedürfnissen» gef<strong>und</strong>en, obwohl dieser in den Leitfäden zur Förderplanung (siehe Anhang 1)<br />

vorkommt. So erarbeiteten wir aus einem Berufsportrait der IF-Lehrperson die Umschreibung von<br />

«Kindern mit besonderen Bedürfnissen» heraus:<br />

3


1 Einleitung 1.2 Persönlicher Bezug <strong>und</strong> heilpädagogische Relevanz<br />

Bei «Kindern mit besonderen Bedürfnissen» tauchen Schwierigkeiten oder Auffälligkeiten<br />

beim Erwerb oder bei der Festigung der gr<strong>und</strong>legenden Kompetenzen in den zentralen Lern- <strong>und</strong><br />

Entwicklungsbereichen auf. Zu den zentralen Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsbereichen gehören die fünf<br />

im Lehrplan (ZH) beschriebenen Unterrichtsbereiche, sowie auch die Bereiche «Allgemeines<br />

Lernen», «Umgang mit Anforderungen» <strong>und</strong> «Umgang mit Menschen» (vgl. Ramirez Moreno,<br />

2010, S. 5).<br />

Flämig, Musketa <strong>und</strong> Leu (2009) verwenden folgende Umschreibung im Heft «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> für Kinder mit besonderem Förderbedarf»:<br />

Kinder mit besonderem Förderbedarf setzen sich auf ihre Art <strong>und</strong> Weise <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong><br />

individueller Fähigkeiten <strong>und</strong> Einschränkungen mit der Welt auseinander. (...) Einen<br />

besonderen Bedarf an pädagogischer Förderung haben dabei Kinder, deren Entwicklung<br />

in einzelnen Bereichen bisher einen langsameren <strong>und</strong> verkomplizierten Verlauf genommen<br />

hat oder deren Verhaltens- <strong>und</strong> Lernwege für die Fachkräfte eine besondere Herausforderung<br />

darstellen. Aber auch Kinder, deren Entwicklung in bestimmten Bereichen<br />

ungewohnt schnell voranschreitet, bedürfen besonderer Wege <strong>und</strong> Mittel zur Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Förderung ihrer Fähigkeiten, da auch sie sich nicht ihren Möglichkeiten<br />

entsprechend entwickeln können, wenn diese Besonderheit unentdeckt <strong>und</strong> ungefördert<br />

bleibt. (S. 13)<br />

Für unsere Masterarbeit stellt sich nun die Frage, inwiefern die Anwendung des Verfahrens der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> unsere beruflichen Kompetenzen als Schulische Heilpädagoginnen<br />

im Bereich der Förderplanung erweitern könnte.<br />

1.3 Erk<strong>und</strong>ungsgespräch<br />

Wie im Abschnitt 1.1 bereits erwähnt, führten wir mit Frau C.Wustmann vom Marie Meierhofer-<br />

Institut für das Kind in Zürich ein Erk<strong>und</strong>ungsgespräch, um uns im für uns neuen Feld der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> zu orientieren. Unser Ziel war es, vertieftere Informationen zu diesem<br />

Verfahren zu erhalten, um später daraus unsere Fragestellung für diese Masterarbeit zu formulieren.<br />

Dieses Gespräch gab uns auch Gelegenheit herauszuarbeiten, mit welchen Themen sich Kindertagesstätten<br />

auseinandersetzen, die dieses Verfahren bereits umgesetzt haben. Dabei konnten wir<br />

von der grossen Erfahrung von Frau Wustmann profitieren, die am Deutschen Jugendinstitut<br />

das Projekt zur Implementierung der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> in verschiedenen Städten<br />

Deutschlands geleitet hatte <strong>und</strong> momentan als Projektleiterin des Projektes «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

Resilienzförderung im Frühbereich» am Marie Meierhofer-Institut für das Kind arbeitet (siehe<br />

4


1 Einleitung 1.3 Erk<strong>und</strong>ungsgespräch<br />

Literaturliste). Das Gespräch bildete auch die Gr<strong>und</strong>lage für das Erstellen des Interviewleitfadens<br />

für die Befragung der Pädagoginnen <strong>und</strong> Institutionsleitenden anlässlich unserer Hospitationen.<br />

Dieses Erk<strong>und</strong>ungsgespräch wurde nicht als Interview geführt, da es uns als Einstieg in die Thematik<br />

diente, hätte aber zu einem späteren Zeitpunkt unserer Forschung auch als Expertinneninterview<br />

geführt werden können. Die folgenden zentralen Punkte konnten wir aus dem am 1. Dezember 2009<br />

am Marie Meierhofer-Institut für das Kind durchgeführten Erk<strong>und</strong>ungsgespräch für unsere weitere<br />

Arbeit herauskristallisieren:<br />

·· Die Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> erfordert einen Paradigmenwechsel, welcher<br />

Beobachtung, die Reflexion der Beobachtung <strong>und</strong> den Austausch im Team beinhaltet.<br />

·· Um die Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> zu beginnen, muss als erstes die Gr<strong>und</strong>haltung<br />

der Pädagoginnen verändert werden hin zu einer Haltung, die Stärken statt<br />

Schwächen beachtet. Dazu kommen die Motivation <strong>und</strong> der Wille eines Teams, diese neue<br />

Gr<strong>und</strong>haltung zu entwickeln. An <strong>und</strong> für sich könnten auch «Teaching Stories» verfasst<br />

werden. Dies sind nach Margret Carr, welche das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

entwickelt hat, Geschichten über das Lernen <strong>und</strong> Reflektieren von Pädagoginnen<br />

<strong>und</strong> werden durch diese selber verfasst.<br />

·· Eine Didaktik, die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> unterstützt, ist schülerzentriert.<br />

Sie bietet die Möglichkeit, Eigeninitiative <strong>und</strong> Selbstbildungsprozesse der Kinder zu fördern.<br />

Frei gewählte Aktivitäten dürfen sich im Kindergarten aber durchaus mit geführten Sequenzen<br />

abwechseln. Die Gr<strong>und</strong>haltung dabei ist aber, den Schwerpunkt auf mehr Begleitung <strong>und</strong><br />

weniger Anleitung zu legen. Darin besteht eine wesentliche Neuerung <strong>und</strong> häufig auch ein<br />

Unterschied zum schulischen Lernen.<br />

·· Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist der erste Schritt die Beobachtung.<br />

Diese wird üblicherweise zweimal pro Woche durchgeführt. Alle zwei Wochen findet eine<br />

Teamsitzung statt, in welcher die Pädagoginnen ihre Beobachtungen austauschen. Als<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die Beobachtungen dient die Frage der Pädagogin: «Was möchte ich Neues<br />

entdecken bei einem Kind?»<br />

·· In der Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist der kontinuierliche Austausch im<br />

Team wichtig, um die Subjektivität der verschiedenen Beteiligten aufzuheben. Dadurch<br />

wird die eigene Wahrnehmung, der eigene Blickwinkel hinterfragt. Durch das Zusammenführen<br />

der unterschiedlichen Sichtweisen kommt das Team in einen Dialog. Über diesen<br />

Austausch entstehen differenziertere, objektivere <strong>Lerngeschichten</strong>.<br />

·· In <strong>Lerngeschichten</strong> werden Fähigkeiten beschrieben. Sie sind ressourcenorientiert. Bei<br />

Kindern mit besonderen Bedürfnissen haben sie grosse Wirksamkeit, weil die Haltung <strong>und</strong><br />

die Orientierung durch die andere, ressourcenorientierte Sichtweise den Blick auf das<br />

Kind verändert.<br />

5


1 Einleitung 1.3 Erk<strong>und</strong>ungsgespräch<br />

·· <strong>Lerngeschichten</strong> werden im Portfolio abgelegt. Pro Jahr werden nach mehreren Beobachtungen<br />

zwei <strong>Lerngeschichten</strong> für jedes Kind verfasst. Es werden Fähigkeiten <strong>und</strong> Kompetenzen<br />

der Kinder in ähnlichen Situationen, teilweise auch unter veränderten Voraussetzungen<br />

beobachtet.<br />

·· <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> Portfolioarbeit ergeben sehr gute Gr<strong>und</strong>lagen für den Aufbau eines<br />

wertschätzenden Dialogs zwischen Pädagogin <strong>und</strong> Kind. Fotogeschichten können bei<br />

kleineren Kindern die geschriebenen <strong>Lerngeschichten</strong> ersetzen. Bei Dialogen muss immer<br />

wieder überprüft werden, ob sie von einer wertschätzenden, ressourcenorientierten Haltung<br />

geprägt sind.<br />

·· Folgende Bausteine sind für die Umsetzung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

erforderlich: Die Gr<strong>und</strong>haltung, die strukturellen Bedingungen, die Haltung den Kindern<br />

<strong>und</strong> ihrem Lernen gegenüber, die eigenen Ressourcen <strong>und</strong> die eigene Wahrnehmung. Dabei<br />

sollte das ganze Team beteiligt sein.<br />

·· Die Erfahrung mit der Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> zeigt, dass es längere Zeit<br />

braucht, um diese ressourcenorientierte Sichtweise zu integrieren.<br />

·· Der Paradigmenwechsel muss vor der Umsetzung vollzogen werden können.<br />

·· Während der Umsetzung ist ein gutes Zeitmanagement ausschlaggebend.<br />

6


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

2 Theoretische Konzeption<br />

Im folgenden Kapitel werden die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen zum Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> dargelegt, ergänzt durch Aspekte zu weiteren theoretischen Konzepten, die einen<br />

zentralen Bezug zu diesem Instrument haben. Im ersten Abschnitt wird auf die Entwicklungspsychologie<br />

eingegangen, damit Entwicklungsverläufe <strong>und</strong> ihre Bedeutung für das Lernen auf der<br />

Kindergartenstufe einsichtig werden. Im Weiteren werden der Begriff <strong>und</strong> das didaktische Konzept<br />

des Konstruktivismus, sowie das Selbstwirksamkeits-Erleben als Basis von Lernprozessen erläutert.<br />

Die Kindergartendidaktik <strong>und</strong> der Lehrplan dieser Stufe werden im Abschnitt 2.4 vorgestellt, im<br />

darauffolgenden Abschnitt das eigentliche Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>. Wichtige<br />

Themen dabei sind die Herkunft <strong>und</strong> der Ansatz des Verfahrens sowie die praktische Anwendung.<br />

2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

In diesem Abschnitt werden zuerst einige gr<strong>und</strong>legende Aspekte der kindlichen Entwicklung<br />

dargestellt, um eine Basis für das Verständnis des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

im Kindergarten zu schaffen. Anschliessend folgt eine Übersicht über die kindliche Entwicklung<br />

in fünf Bereichen, welche den in Abschnitt 2.4.1 erläuterten <strong>Bildungs</strong>bereichen des Lehrplans<br />

für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich entsprechen. Daraus werden Erkenntnisse für die<br />

Unterrichtsgestaltung im Kindergarten formuliert. Die Einführung des Begriffes der «Zone der<br />

nächsten Entwicklung» von Lew Wygotsky schliesst diesen Abschnitt zum Thema Entwicklungspsychologie<br />

ab.<br />

2.1.1 Gr<strong>und</strong>legende Aspekte der kindlichen Entwicklung<br />

Entwicklung ist ein dynamischer, ganzheitlicher Prozess, das heisst die einzelnen Teilbereiche<br />

stehen in einer ständigen Wechselwirkung zueinander. Dabei weist jeder Bereich der Entwicklung<br />

grosse Unterschiede zwischen den Kindern in Bezug auf den zeitlichen Ablauf <strong>und</strong> auf die Ausprägung<br />

von Entwicklungs- <strong>und</strong> Verhaltensmerkmalen auf. Diese Vielfalt unter den Kindern wird<br />

als interindividuelle Variabilität bezeichnet. Aber auch im Kind selbst sind einzelne Eigenschaften<br />

<strong>und</strong> Fähigkeiten unterschiedlich angelegt <strong>und</strong> reifen verschieden rasch heran, was eine intraindividuelle<br />

Variabilität bewirkt. Durch diese variablen Entwicklungsverläufe sind heterogene<br />

Kindergruppen die Regel <strong>und</strong> erfordern das Beachten von individuellen Eigenschaften <strong>und</strong> auch von<br />

besonderen Bedürfnissen der Kinder. Ziel ist eine Pädagogik der Vielfalt, denn Normvorstellungen<br />

werden dem einzelnen Kind nur zufällig gerecht.<br />

7


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

Ein Kindergartenkind eignet sich gr<strong>und</strong>legende Fähigkeiten in der aktiven Auseinandersetzung<br />

mit der gegenständlichen Umwelt selber an. Seine Interessen <strong>und</strong> Eigenaktivitäten richten sich<br />

nach dem jeweiligen Entwicklungsstand. Dabei ist es ein aktives Wesen, das entwicklungsspezifisch<br />

selektive Erfahrungen macht <strong>und</strong> auf seine Umwelt einwirkt, indem es seine neu erworbenen<br />

Fähigkeiten auf vielfältige Weise anwendet, immer wieder neuen äusseren Gegebenheiten anpasst<br />

<strong>und</strong> dadurch differenziert <strong>und</strong> verinnerlicht (vgl. Largo, 2002, S. 75 f.).<br />

2.1.2 Die Entwicklung der Sprache<br />

«Die Sprache ermöglicht uns einerseits ein differenziertes zwischenmenschliches Beziehungsverhalten<br />

<strong>und</strong> andererseits eine vielseitige Informationsübermittlung» (Walter & Fasseing, 2002,<br />

S. 92). Die Sprachentwicklung ist in den ersten Lebensjahren eng mit dem Beziehungsverhalten<br />

verknüpft, da mit Hilfe von Sprache <strong>und</strong> Nicht-sprachlicher-Kommunikation soziale Beziehungen<br />

unterhalten, sowie emotionales Befinden mitgeteilt werden. Als sprach-unspezifische kognitive<br />

Voraussetzungen werden ausserdem die sensomotorische Entwicklung als Schrittmacher für die<br />

Sprachentwicklung, die vor-sprachlichen Gesten als Vorbereitung für den Erwerb <strong>und</strong> Gebrauch<br />

von Wörtern, sowie verschiedene Strukturen <strong>und</strong> Prozesse allgemeiner kognitiver <strong>und</strong> perzeptueller<br />

Natur genannt (vgl. Grimm, 1998, S. 738). Schon ein Neugeborenes verfügt über ein differenziertes<br />

auditives Wahrnehmungsvermögen, in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres stellt sich<br />

dann ein erstes Verständnis für konkrete Bedeutungen von Wörtern ein, indem diese das Kind<br />

mit Personen in Beziehung setzt. Im anschliessenden Kleinkindesalter ist das Sprachverständnis<br />

bereits deutlich weiter entwickelt als der sprachliche Ausdruck <strong>und</strong> basiert auf vielfältigen Alltagserfahrungen.<br />

Förderlich für die Sprachentwicklung eines Kindes sind das Zuhören, das Erzählen<br />

<strong>und</strong> Kommunizieren <strong>und</strong> eine akzeptierende Gr<strong>und</strong>haltung der Erwachsenen. Im Kindergartenalter<br />

ist die Sprache bei den meisten Kindern so weit entwickelt, dass sie im täglichen Umgang<br />

häufig in vollständigen <strong>und</strong> grammatikalisch korrekten Sätzen sprechen. Manchmal bestehen<br />

noch Auffälligkeiten in der Artikulation <strong>und</strong> im Satzbau (vgl.Walter & Fasseing, 2002, S. 99 f.).<br />

Beeindruckende Fortschritte in der Sprachentwicklung sind im Kindergartenalter die Erweiterung<br />

des Wortschatzes <strong>und</strong> die Fähigkeit des Kindes, seine Aussagen so komplex <strong>und</strong> differenziert<br />

zu formulieren, dass sie die sozialen Regeln der Situationsangemessenheit berücksichtigen (vgl.<br />

Mietzel, 2002, S. 215).<br />

2.1.3 Die Entwicklung des logisch-mathematischen Denkens<br />

«Das logisch-mathematische Denken besteht im weitesten Sinne aus der Einsicht über das Wesen<br />

von Objekten <strong>und</strong> deren Zusammenwirken» (Largo, 2002, S. 100). Damit diese Kompetenz entwickelt<br />

werden kann, braucht es vielfältige, genaue Beobachtungen <strong>und</strong> die Fähigkeit, Kategorien<br />

8


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

systematisch zu erstellen. Bereits Säuglinge verfügen über eine, allerdings noch sehr eingeschränkte,<br />

Mengenvorstellung. Später lernt das Kind anhand der Begriffe «eines» <strong>und</strong> «vieles» die ersten<br />

Unterscheidungen von Mengen kennen. Das Verständnis für kausale Zusammenhänge erschliesst<br />

sich das Kind im Alltag, zum Beispiel im Umgang mit Materialien wie Erde oder Wasser. Bereits<br />

im Kleinkindesalter sortiert es Gegenstände auf Gr<strong>und</strong> bestimmter Eigenschaften <strong>und</strong> bildet also<br />

erste Kategorien. Im Kindergartenalter vollzieht es den Wandel vom wahrnehmungsgeb<strong>und</strong>enen<br />

Denken zum konkret-logischen Denken, es lernt, seine Wahrnehmung durch logische Einsichten<br />

zu relativieren <strong>und</strong> verschiedene Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen. Das Kind braucht vielfältige,<br />

wiederholte Erfahrungen, bis es einen abstrakten Zusammenhang wirklich verstanden hat.<br />

Jedes Kind sollte dabei die Vorgehensweise <strong>und</strong> das Ausmass der Erfahrungen so weit wie möglich<br />

selber bestimmen können, wie es auch im Konstruktivismus als didaktisches Konzept angestrebt<br />

wird. Das Zahlverständnis ist ein Teilbereich der logisch-mathematischen Kompetenz <strong>und</strong> entwickelt<br />

sich vom dritten oder vierten Lebensjahr an. Es ist bis zum Eintritt in die erste Klasse oft<br />

noch auf den Zahlenraum bis fünf beschränkt (vgl. Largo, 2002, S.102 ff.).<br />

Nach Piaget beginnt zwischen dem 16. <strong>und</strong> 24. Lebensmonat das voroperationale Denken, da das<br />

Kind fähig wird, eine Handlung oder ein Ereignis gedanklich abzubilden. Es gelingt ihm, über<br />

konkrete Ereignisse auf der Ebene der Vorstellungen nachzudenken. Allerdings ist es seiner Meinung<br />

nach in dieser voroperationalen Phase, die bis ins Alter von sechs oder sieben Jahren dauert, noch<br />

nicht fähig, auf der Ebene der Vorstellungen aus seinen Erfahrungen logische Schlussfolgerungen<br />

zu ziehen <strong>und</strong> seine Aufmerksamkeit auf mehrere Merkmale einer Situation gleichzeitig zu richten<br />

(vgl. Mietzel, 2002, S.181f.).<br />

2.1.4 Die Entwicklung der Wahrnehmung<br />

Sinneseindrücke sind die Gr<strong>und</strong>steine für Sinneserfahrungen <strong>und</strong> werden durch die Interpretation<br />

dieser Empfindungen zu einer Wahrnehmung (vgl. Walter & Fasseing 2002, S. 127). Die Empfindung<br />

ist dabei der elementare Prozess der Reizaufnahme <strong>und</strong> -registrierung. Die Wahrnehmung<br />

hingegen ist ein höherer Prozess der Organisation <strong>und</strong> Interpretation der Reizinformationen. In<br />

der kindlichen Entwicklung sind die Funktionen <strong>und</strong> Prozesse der Wahrnehmung wohl diejenigen,<br />

die am frühesten vorhanden sind <strong>und</strong> sich am schnellsten entwickeln (vgl. Wilkening & Krist,<br />

1998, S. 488). Zu den Wahrnehmungsfunktionen gehören die taktil-kinästhetische, die vestibuläre,<br />

die auditive <strong>und</strong> visuelle Wahrnehmung mit dem Teilbereich figural-räumliche Wahrnehmung.<br />

Taktil-kinästhetische Erfahrungen macht bereits das ungeborene Kind <strong>und</strong> differenziert sie während<br />

den ersten Lebensjahren. Vom zweiten Lebensjahr an setzt es sich mit räumlichen Beziehungen<br />

auseinander <strong>und</strong> beginnt etwa ein Jahr später, seine räumlichen Vorstellungen im Spiel konstruktiv<br />

umzusetzen. Die räumliche Merkfähigkeit ist im Kindergartenalter weit entwickelt, was sich unter<br />

anderem im Spiel «Memory» zeigt. Die gute figurale Erfassung wirkt sich vorteilhaft in Zusammen-<br />

9


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

setzspielen aus (vgl. Largo, 2002, S.104 f.). Die vestibuläre Wahrnehmung, das heisst der Gleichgewichtssinn,<br />

reguliert einen ständig vorhandenen Zustrom von Sinnesreizen, die als Folge der<br />

Erdschwere von den Gleichgewichtsrezeptoren im Innenohr ausgehen <strong>und</strong> bildet ein Bezugssystem<br />

für alle anderen Sinneswahrnehmungen (vgl. Ayres, 1984, S. 97). Die auditive Wahrnehmung,<br />

also das Hören, ermöglicht es dem Kind, auch nicht sichtbare Ereignisse zu registrieren. Sie ist eine<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzung für die Sprachentwicklung <strong>und</strong> für die zwischenmenschliche Kommunikation.<br />

Die visuelle Wahrnehmung, das Sehen ist für die kleinkindliche Entwicklung von überragender<br />

Bedeutung, da sie beinahe an jeder Handlung beteiligt ist (vgl. Wilkening & Krist, 1998, S. 490 ff.).<br />

Sie ermöglicht dem Kind, visuelle Reize zu erkennen, zu unterscheiden <strong>und</strong> sie durch Assoziationen<br />

mit früheren Erfahrungen zu interpretieren.<br />

2.1.5 Die Entwicklung des Bindungs- <strong>und</strong> Beziehungsverhaltens<br />

<strong>und</strong> der sozialen Wahrnehmung<br />

Für eine gute Entwicklung braucht das Kind unter anderem Geborgenheit, Zuwendung, soziale<br />

Akzeptanz <strong>und</strong> verlässliche Bezugspersonen (vgl. Largo, 2002, S. 71 ff.). «Die gegenseitige Bindung<br />

zwischen den Eltern, anderen Bezugspersonen <strong>und</strong> dem Kind stellt die Ernährung, die Pflege <strong>und</strong><br />

den Schutz des Kindes sicher <strong>und</strong> ermöglicht die Weitergabe von Fertigkeiten <strong>und</strong> Wissen» (Largo,<br />

2002, S. 77 f.). Während diese Beziehungen im Kleinkindalter vorbehaltlos sind, hängen sie im<br />

Kindergartenalter vermehrt davon ab, wie viel Geborgenheit <strong>und</strong> Zuwendung das Kind bis anhin<br />

erhalten hat <strong>und</strong> wie gross die Bereitschaft der Pädagogin ist, sich auf eine Beziehung mit dem Kind<br />

einzulassen. In dieser Entwicklungsphase nehmen die meisten Kinder selbständig, ohne Vermittler<br />

Kontakte zu Gleichaltrigen <strong>und</strong> Erwachsenen auf, wobei letztere so wichtig werden, dass sich ein<br />

Mangel nachteilig auf ihr Wohlbefinden <strong>und</strong> Selbstwertgefühl auswirken kann. Das Kindergartenkind<br />

ist nicht mehr auf die unmittelbare Nähe vertrauter Erwachsener angewiesen, braucht aber<br />

die Gewissheit, dass es jederzeit an eine Bezugsperson gelangen kann. Um soziale Kompetenzen<br />

einzuüben, ist es für das Kind wichtig , sich an Vorbildern orientieren zu können <strong>und</strong> die Möglichkeit<br />

zu haben, die beobachteten Verhaltensweisen zu verinnerlichen. Dieses Verständnis für soziale<br />

Situationen spiegelt sich im Symbolspiel <strong>und</strong> später im Rollenspiel des Kindes. Das Symbolspiel<br />

entsteht dabei über die verzögerte Nachahmung einer Handlung, wodurch sich eine innere Vorstellung<br />

ausbildet, welche unabhängig ist von der örtlichen <strong>und</strong> zeitlichen Gegebenheit <strong>und</strong> damit<br />

auf neue Situationen übertragen werden kann. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung<br />

des Rollenspiels ist die soziale Wahrnehmung, die Selbst- <strong>und</strong> Fremdwahrnehmung, wodurch sich<br />

ein Kind in andere Kinder hineinfühlen <strong>und</strong> sich vorstellen kann, dass diese anders denken, fühlen<br />

<strong>und</strong> handeln. Durch diese Fähigkeit der Perspektivenübernahme werden differenzierte soziale<br />

Verhaltensweisen möglich, wie zum Beispiel Empathie (vgl. Largo, 2002, S. 77 ff.). Gerade durch<br />

das Erleben von Empathie werden günstige Voraussetzungen geschaffen für prosoziale Verhaltensweisen<br />

wie Geben <strong>und</strong> Nehmen, Trösten, Teilen <strong>und</strong> Abwechseln im Spiel (vgl. Mietzel, 2002,<br />

S. 246 f.).<br />

10


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

2.1.6 Die Entwicklung der Motorik<br />

«Die Motorik befähigt das Kind, sich gegen die Schwerkraft zu behaupten, sich fortzubewegen<br />

<strong>und</strong> auf seine Umwelt gezielt einzuwirken» (Largo, 2002, S.107). Ihre Entwicklung beginnt in der<br />

Frühschwangerschaft <strong>und</strong> dauert bis zur Adoleszenz. Ein Säugling weist verschiedene Reflexreaktionen<br />

auf, das heisst motorische Verhaltensweisen, die durch einen Reiz zuverlässig ausgelöst<br />

werden können <strong>und</strong> teilweise lebenswichtig sind. In diesem Alter fallen rhythmische <strong>und</strong> alternierende<br />

Arm- <strong>und</strong> Beinbewegungen auf <strong>und</strong> erste koordinierte Bewegungen der Hände. Am Ende<br />

des ersten Lebensjahres können sich die meisten Kinder auf irgendeine Art fortbewegen <strong>und</strong> haben<br />

auch bereits Greiffunktionen entwickelt. Im zweiten Lebensjahr erlernt das Kind das freie Gehen<br />

<strong>und</strong> ist gelegentlich so mit dieser neuen Erfahrung beschäftigt, dass es in anderen Entwicklungsbereichen<br />

nur noch kleine Fortschritte macht. In den weiteren Lebensjahren erprobt es ebenfalls neu<br />

erworbene motorische Fähigkeiten. Auch im Kindergartenalltag muss der kindliche Bewegungsdrang<br />

berücksichtigt werden, um erzieherischen Schwierigkeiten vorzubeugen. Bis ins Kindergartenalter<br />

hat sich die feinmotorische Geschicklichkeit so weit entwickelt, dass das Kind differenzierte<br />

Tätigkeiten wie Basteln <strong>und</strong> Zeichnen ausführen <strong>und</strong> dadurch wiederum seine Kompetenzen<br />

entwickeln <strong>und</strong> verfeinern kann (vgl. Largo, 2002, S.108). Aufgaben, die eine gut entwickelte Feinmotorik<br />

erfordern, sind meist anspruchsvoller als grosse Bewegungen, setzen sie doch oft Geduld,<br />

eine gut abgestimmte Kontrolle durch die Sinnesorgane <strong>und</strong> eine gewisse Konzentrationsfähigkeit<br />

voraus (vgl. Mietzel, 2002, S. 224).<br />

2.1.7 Folgerungen für den Unterricht im Kindergartenalter<br />

Es stellt sich nun die Frage, welche Erkenntnisse aus den in den vorangehenden Abschnitten<br />

dargestellten Entwicklungspsychologie für den Unterricht im Kindergarten gewonnen werden<br />

können. Eine kindorientierte Erziehung richtet sich nach den altersspezifischen Bedürfnissen<br />

der Kinder <strong>und</strong> lässt sich von den Gesetzmässigkeiten der kindlichen Entwicklung leiten (vgl.<br />

Largo, 2002, S. 68).<br />

«Jede Altersstufe ist durch ein spezifisches Verhältnis zwischen der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Erziehungsarbeit<br />

auf der einen <strong>und</strong> der geistigen Entwicklung des Kindes auf der anderen Seite gekennzeichnet»<br />

(Wygotsky, 1987, S. 255). Der Begriff «Unterricht» wird dabei sehr weit gefasst <strong>und</strong> bezieht auch<br />

das Sprechenlernen mit ein. Die Besonderheit des Unterrichts beim Kind bis drei Jahre besteht<br />

dabei darin, dass es nach seinem eigenen Programm lernt, was als spontaner Unterricht bezeichnet<br />

wird. Wenn das Kind später in der Schule von der Pädagogin unterrichtet wird, handelt es sich<br />

um reaktiven Unterricht, wobei oft der spezifische Anteil des eigenen Programms des Kindes relativ<br />

unbedeutend wird. Der Unterricht im Kindergartenalter nimmt nun eine Zwischenstellung ein<br />

<strong>und</strong> kann als spontan-reaktiver Unterricht bezeichnet werden. Das Kind lernt gewissermassen in<br />

11


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

Abhängigkeit davon, in welchem Masse das angebotene Programm zu seinem eigenen wird (vgl.<br />

Wygotsky, 1987, S. 256 ff.).<br />

In jeder Entwicklungsstufe müssen gewisse Eigenschaften bis zu einem bestimmten Grade ausgebildet<br />

sein, damit das Kind unterrichtet werden kann. Doch gerade die zum Zeitpunkt des Unterrichtes<br />

sich noch in Entwicklung befindlichen, noch nicht ausgereiften Prozesse beeinflussen den<br />

Erfolg der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Erziehungsarbeit entscheidend (vgl. Wygotsky, 1987, S. 260 ff.). Im Alter<br />

bis zu drei Jahren wird das gesamte Bewusstsein durch die Wahrnehmungstätigkeit bestimmt. In<br />

dieser Phase ermöglicht das Wiedererkennen, das heisst die Wahrnehmung, ergänzt durch einen<br />

Gedächtnisakt, die Erinnerung. Das Kind kann nur Aufmerksamkeit aufbringen für etwas, was sich<br />

in seinem Wahrnehmungsfeld befindet, sein Denken ist unmittelbar <strong>und</strong> anschaulich. Im Kindergartenalter<br />

wird nun das Gedächtnis zum Zentrum des Bewusstseins <strong>und</strong> spielt eine führende Rolle<br />

im System seiner Funktionen, indem es das Sammeln <strong>und</strong> Verarbeiten unmittelbarer Erfahrungen<br />

ermöglicht. Dabei ändert sich das Denken vom Sichorientieren an den sichtbaren Verbindungen<br />

zum Zurechtfinden in allgemeinen Vorstellungen, das heisst in verallgemeinerten Erinnerungen.<br />

Es kommt also zu einer Loslösung vom rein anschaulichen Denken, das heisst das Kind wird fähig,<br />

«(...) den Gegenstand des Denkens aus der räumlich <strong>und</strong> zeitlich konkreten Situation, in die er<br />

integriert ist, herauszureissen» (Wygotsky, 1987, S. 262). Dies ermöglicht dem Kindergartenkind,<br />

Begriffe herauszubilden, denn diese sind Verallgemeinerungen <strong>und</strong> bewegen sich jeweils genau<br />

auf demjenigen Niveau, auf welchem sich die Kommunikation zwischen Kind <strong>und</strong> Umwelt bewegt.<br />

Diese Existenz von allgemeinen Vorstellungen ermöglicht eine erste Stufe abstrakten Denkens.<br />

Die Vorherrschaft des Gedächtnisses in dieser Entwicklungsstufe zeigt sich weiter darin, dass die<br />

Interessen des Kindes zunehmend nicht mehr allein durch die Situationen an sich determiniert<br />

werden, sondern durch die Bedeutung, die das Kind einer bestimmten Situation beimisst. Seine<br />

Verallgemeinerungen werden also affektiv gefärbt. Ausserdem geht das Kind in dieser Phase zu<br />

schöpferischen Tätigkeiten über, da es die Fähigkeit erlangt, eine Idee darzustellen <strong>und</strong> zwar ausgehend<br />

vom Gedanken bis zur Situation. Die Vorstellung, das Denken geht also der Handlung<br />

voraus. Diese Entwicklung wird in der Arbeit, in Zeichnungen <strong>und</strong> im kindlichen Spiel sichtbar.<br />

In diesem Alter wird auch die kindliche Weltanschauung angebahnt, es bilden sich allgemeine<br />

Vorstellungen von der Welt, von der Gesellschaft <strong>und</strong> von sich selbst heraus <strong>und</strong> es entstehen erste<br />

innere ethische Instanzen.<br />

Welche Bedingungen muss nun der Unterricht im Kindergartenalter erfüllen, um diesen Voraussetzungen<br />

Rechnung zu tragen? Einerseits muss das Kind zu einem bestimmten Ziel geführt werden,<br />

wobei der Lehrplan des Kindergartens in eine Einheit der allgemeinbildenden Arbeit während<br />

der ganzen Schulzeit eingeb<strong>und</strong>en ist. Andererseits muss das Programm auch zum Programm des<br />

Kindes werden, indem es den emotionalen Interessen des Kindes <strong>und</strong> den Besonderheiten seines<br />

12


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

mit allgemeinen Vorstellungen operierenden Denkens gerecht wird (vgl.Wygotsky, 1987, S. 263 ff.).<br />

Der Entwicklungspsychologe Wygotsky veranschaulicht dies am Beispiel eines sechsjährigen<br />

Mädchens: «Jetzt habe ich endlich herausgef<strong>und</strong>en, wie die Flüsse entstanden sind. Wahrscheinlich<br />

haben sich die Menschen einen Platz in der Nähe einer Brücke ausgesucht, dort einen Graben ausgehoben<br />

<strong>und</strong> ihn mit Wasser gefüllt» (Wygotsky, 1987, S. 268). In der Vorstellung des Mädchens<br />

waren also die Brücken das Bestimmende <strong>und</strong> die Flüsse wurden entsprechend geschaffen. Eine<br />

Aufgabe des Kindergartenunterrichtes ist es folglich, mit dem Kind eine verfeinerte Vorstellung<br />

des späteren Unterrichtsgegenstandes zu erarbeiten, das Lernen vorzubereiten <strong>und</strong> differenzierende<br />

Begriffe zu vermitteln. Die folgenden Ziele <strong>und</strong> Aufgaben der Kindergartenstufe werden im Lehrplan<br />

formuliert: Der Kindergarten soll den Kindern das Wissen vermitteln, das ihnen ermöglicht,<br />

die Welt zu verstehen <strong>und</strong> die persönlichen <strong>und</strong> gemeinsamen Ziele durch eigenständiges Handeln<br />

im sozialen Umfeld zu verwirklichen. Im Kindergarten sollen alle Kinder gleichwertige Zugänge<br />

zum Lernen <strong>und</strong> zur Bildung erhalten <strong>und</strong> Normen <strong>und</strong> Werte wie Rücksichtnahme, Sorge <strong>und</strong><br />

Achtung für andere Menschen, für Tiere <strong>und</strong> für die Umwelt kennenlernen. Ausserdem ist es<br />

Aufgabe des Kindergartens, die körperliche, geistige <strong>und</strong> psychische Entwicklung des Kindes zu<br />

unterstützen <strong>und</strong> für das Wohlergehen der Kinder zu sorgen (vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe<br />

des Kantons Zürich, 2008, S. 5). Für eine für den Kindergarten spezifische Didaktik ergibt<br />

sich dabei die folgende Gr<strong>und</strong>lage:<br />

Der deutschschweizerische Kindergarten hat den <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Erziehungsauftrag,<br />

die Kinder in ihrer Selbst-, Sozial- <strong>und</strong> Sachkompetenz zu fördern. Er bietet ihnen die<br />

Möglichkeit, ihre Erfahrungen <strong>und</strong> ihr Wissen, sowie ihre Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten<br />

weiter zu entwickeln. Die Kinder festigen <strong>und</strong> differenzieren vorhandenes Wissen<br />

<strong>und</strong> Können, erkennen Sachverhalte <strong>und</strong> Gesetzmässigkeiten <strong>und</strong> eignen sich neue Fertigkeiten<br />

an. Der Unterricht knüpft an Erfahrungen <strong>und</strong> bereits erworbenem Wissen der<br />

Kinder an (Walter & Fasseing, 2002, S. 136).<br />

2.1.8 Die Zone der nächsten Entwicklung<br />

Um sich Klarheit zu verschaffen über das Verhältnis zwischen Entwicklung <strong>und</strong> Unterricht im<br />

Kindergartenalter, schlägt Wygotsky das Bild der «Zone der nächsten Entwicklung» vor: «Die<br />

Bestimmung des Entwicklungsniveaus <strong>und</strong> seines Verhältnisses zu den Unterrichtsmöglichkeiten<br />

ist also eine unumstössliche, gr<strong>und</strong>legende Tatsache, die unbestritten ist <strong>und</strong> von der wir ohne<br />

Weiteres ausgehen können» (Wygotsky, 1987, S. 298). Im Alltag wird üblicherweise zuerst einmal<br />

das Niveau der aktuellen Entwicklung eines Kindes ermittelt, welches durch die bereits abgeschlossenen<br />

Entwicklungszyklen entstanden ist, zum Beispiel durch Beobachtung oder durch<br />

einen Test. Da dieses «Niveau der aktuellen Entwicklung» den gegenwärtigen Entwicklungsstand<br />

nicht ausreichend widerspiegelt, hat Wygotsky den Begriff der «Zone der nächsten Entwicklung»<br />

eingeführt (vgl. Wygotsky, 1987, S. 299 ff.). Er weist darauf hin, dass sich die geistige Entwicklung<br />

13


2 Theoretische Konzeption 2.1 Die Psychologie der kindlichen Entwicklung im Kindergartenalter<br />

nicht nur durch selbständige Tätigkeiten messen lässt, sondern dass Kinder durch Nachahmung<br />

oder unter Anleitung viel mehr einsichtig zu leisten vermögen (vgl. ebd.). «Die Differenz zwischen<br />

dem Niveau, auf dem die Aufgaben unter Anleitung, unter Mithilfe der Erwachsenen gelöst werden,<br />

<strong>und</strong> dem Niveau, auf dem das Kind Aufgaben selbständig löst, macht die Zone der nächsten Entwicklung<br />

aus» (Wygotsky, 1987, S. 300). Gemeint sind damit also die Entwicklungsmöglichkeiten,<br />

die Dynamik der Entwicklung, die Prozesse, die im Werden <strong>und</strong> Reifen begriffen sind. Die alleinige<br />

Orientierung an bereits durchlaufenen Entwicklungsetappen hat sich vor allem im Unterricht<br />

mit geistig zurückgebliebenen Kindern als unzulänglich erwiesen, da die in Reifung begriffenen<br />

Entwicklungspotentiale dadurch im Keim erstickt wurden. Nach Wygotsky ist es ein wesentliches<br />

Merkmal von Unterricht, dass er Zonen der nächsten Entwicklung schafft, dass also beim Kind<br />

innere Entwicklungsprozesse ins Leben gerufen werden, die es zunächst nur in der Wechselwirkung<br />

mit der Umgebung meistern kann, die aber anschliessend eine innere Entwicklung erfahren <strong>und</strong><br />

zum inneren Besitz des Kindes werden. Die Entwicklungsprozesse folgen also den Unterrichtsprozessen,<br />

wobei letztere die Zone der nächsten Entwicklung schaffen <strong>und</strong> in einer komplizierten,<br />

dynamischen Beziehung zu den Entwicklungsprozessen stehen (vgl. Wygotsky, 1987, S. 301ff.).<br />

2.2 Der Konstruktivismus als didaktisches Konzept<br />

Im folgenden Abschnitt wird der Begriff des Konstruktivismus als Leitbegriff eines Paradigmas des<br />

Lernens <strong>und</strong> der Erkenntnis erklärt <strong>und</strong> in Bezug zu den <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> gebracht.<br />

Die Gr<strong>und</strong>haltung zu Lernen <strong>und</strong> Bildung im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> basiert<br />

auf einem konstruktivistischen Konzept.<br />

Konstruktivismus wird als eine Erkenntnistheorie verstanden, diese wiederum ist eine Teildisziplin<br />

der Philosophie. Über erkenntnistheoretische Fragestellungen wurde schon im alten Griechenland<br />

nachgedacht <strong>und</strong> philosophiert. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie ist es, den Ursprung,<br />

die Gewissheit <strong>und</strong> den Umfang der menschlichen Erkenntnis zu untersuchen.<br />

Der Konstruktivismus ist kein fertiges, klar definiertes Theoriegebäude, sondern ein lebendiges<br />

philosophisches, erkenntnistheoretisches Konstrukt, mit verschiedenen Richtungen. Einige zentrale<br />

Gr<strong>und</strong>annahmen werden im Folgenden erläutert, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

·· Jedes Lebewesen steht in einem ständigen Energieaustausch mit seiner Umgebung. Wissensoder<br />

Informationsaustausch zwischen der Umgebung <strong>und</strong> dem Lebewesen finden jedoch<br />

keine statt. Jedes Lebewesen ist ein «geschlossenes System», das Gehirn ist also nicht nach<br />

aussen gerichtet, sondern deutet <strong>und</strong> bewertet die neuronalen Signale nach Kriterien,<br />

die es selber entwickelt hat.<br />

14


2 Theoretische Konzeption 2.2 Der Konstruktivismus als didaktisches Konzept<br />

·· Im Konstruktivismus wird davon ausgegangen, dass Erkenntnisse <strong>und</strong> Wissen über eine<br />

Sache nicht unmittelbar mit Hilfe der Wahrnehmung, sondern vielmehr durch eigenes<br />

Handeln aufgebaut werden.<br />

·· Lebende Systeme organisieren sich also selbst die kognitiven Strukturen <strong>und</strong> können<br />

sich gr<strong>und</strong>sätzlich nur auf die eigenen Zustände beziehen. Konstruktivisten reden dann von<br />

«selbstorganisiert <strong>und</strong> selbstreferenziell».<br />

·· Die Selbstorganisation verläuft keinesfalls zufällig oder beliebig, sondern wird durch die<br />

eigenen Strukturen des Lebewesens, die biologisch gegeben sind, oder lebensgeschichtlich<br />

entwickelt wurden, bestimmt. Die eigenen inneren Strukturen bestimmen, was <strong>und</strong> wie<br />

jemand die «äussere»Welt wahrnimmt.<br />

·· Die konkrete Ausformung der Selbstorganisation erfolgt nach dem Prinzip der Funktionalität.<br />

Lebewesen wählen natürlicherweise Verhaltensweisen aus, die ihr eigenes Überleben<br />

sichern. Dies gilt auch für die Kognition. Ideen, Theorien <strong>und</strong> Konzepte erweisen sich<br />

dann als funktional, wenn sie nicht in Widerspruch zu unserer Wahrnehmung der Welt,<br />

das heisst zu unserer Wirklichkeitskonstruktion geraten <strong>und</strong> deshalb das mentale Gleichgewicht<br />

nicht gefährden.<br />

·· Durch unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen der einzelnen Lebewesen ist die<br />

Verständigung untereinander einmal besser, einmal weniger gut. Trotzdem ist es erstaunlich,<br />

dass es doch häufig ähnliche Erlebniswelten gibt. Zum einen determiniert die Ähnlichkeit<br />

der Strukturen von Menschen ähnliche Wirklichkeitskonstruktionen, besonders dann,<br />

wenn sie in ähnlicher Umgebung leben. Zum anderen kann das kognitive Konstrukt anderer<br />

Lebewesen zu unserem eigenen Wirklichkeitskonstrukt dazu genommen werden, dies<br />

geschieht von Geburt her. Sie ist die Basis intersubjektiver Verständigung, durch die Lebewesen<br />

erfahren, dass Wissen oder eine Fähigkeit, die sie als viabel, passend, erfahren haben,<br />

sich auch für andere in ähnlicher Weise als viabel erwiesen haben.<br />

·· Die Gr<strong>und</strong>haltung des Konstruktivismus ist, dass nie ein bestimmter Weg, eine bestimmte<br />

Lösung eines Problems oder eine bestimmte Vorstellung von einem Sachverhalt als richtig<br />

<strong>und</strong> wahr bezeichnet werden kann. Jank & Meyer (1991) umschreiben dies in einer These<br />

wie folgt: «Es gibt kein Wissen, das hochwertiger als anderes Wissen wäre, sondern nur<br />

verschiedene viable Möglichkeiten der Weltanschauung» (S. 292).<br />

(vgl. Jank & Meyer,1991, S. 289 ff.)<br />

Diese Gr<strong>und</strong>annahmen haben nun auch einen Einfluss auf das Verständnis von Lernprozessen.<br />

Lernen ist nach konstruktivistischer Auffassung kein empirischer Abbildungsprozess. Gegenstände<br />

werden nicht einfach durch Wahrnehmung registriert oder einfach durch Mitteilungen von<br />

«aussen» übernommen. Die Auseinandersetzung mit der «Aussenwelt» erfolgt immer im inter-<br />

15


2 Theoretische Konzeption 2.2 Der Konstruktivismus als didaktisches Konzept<br />

aktiven Kontext. Jedes Wissen baut auf früher erworbenem Wissen auf, restrukturiert, erweitert<br />

<strong>und</strong> differenziert es. Wissen ist so nie abgeschlossen, sondern ist in einem dynamischen Fluss<br />

(vgl. Reusser, 2006, S.155). Die durch eigenständiges Problemlösen aufgebauten Wissensstrukturen<br />

lassen sich am besten auf neue Situationen übertragen, da diese selber als mentale Modelle aufgebaut<br />

wurden <strong>und</strong> bei neuen Sachverhalten weiterentwickelt <strong>und</strong> vernetzt werden können. Largo<br />

(2009) spricht in seinem Buch «Schülerjahre» von selbstbestimmtem Lernen: «Selbstbestimmtes<br />

Lernen heisst, dass das Kind aktiv <strong>und</strong> selektiv Lernerfahrungen machen kann. Nur so kann es<br />

das frisch Gelernte mit seinem bestehenden Wissen vernetzen» (S. 63). Folglich ist Wissen kein<br />

übertragbares Gut <strong>und</strong> Kommunikation kann nicht eins zu eins dieses Wissen zu den Lernenden<br />

bringen. Alle Konstruktionsschritte müssen auf angebotenen oder selbstgef<strong>und</strong>enen Wegen<br />

individuell <strong>und</strong> in sozialen Bezügen von den Lernenden selber ausgeführt werden, damit Lernen<br />

nachhaltig wird (vgl. Reusser, 2006, S. 154).<br />

Das Gedankengut des Konstruktivismus hat auch Einfluss auf die Gestaltung des Unterrichts.<br />

Nachfolgend werden sieben Merkmale aufgeführt, die in ganz allgemeiner Form den Konstruktivismus<br />

im Unterricht umschreiben, wie Dubs (1997) es darlegt:<br />

·· Der Unterricht orientiert sich an komplexen, lebensnahen <strong>und</strong> ganzheitlich zu betrachtenden<br />

Problembereichen. Das Ganze wird nicht in Teilprobleme aufgegliedert <strong>und</strong> bearbeitet,<br />

sondern in einem komplexen Gesamtzusammenhang betrachtet. Im Unterricht werden<br />

deshalb nicht bestimmte Lerninhalte durch die Lehrkräfte strukturiert, sondern es werden<br />

komplexe Lernumgebungen gestaltet, in denen die Lernenden ihre individuellen Erfahrungen<br />

machen können.<br />

·· Lernen wird als aktiver Prozess verstanden. Das individuelle Wissen <strong>und</strong> Können wird<br />

durch neue Erfahrungen verändert <strong>und</strong> auf die eigene Interpretation <strong>und</strong> das eigene Verstehen<br />

ausgerichtet. Dadurch wird anspruchsvolles Denken erst möglich, weil das dazu<br />

notwendige Wissen im Kontext des individuellen Vorwissens <strong>und</strong> der eigenen Erfahrung so<br />

neu konstruiert wird.<br />

·· Das kollektive Lernen hat bei diesen Lernprozessen eine grosse Bedeutung. Durch den Austausch<br />

der individuellen Interpretation einer komplexen Lernsituation, durch die Diskussion<br />

mit anderen wird es möglich, die eigene Interpretation <strong>und</strong> Sinngebung zu überdenken<br />

oder gewonnene Erkenntnisse anders zu strukturieren. So ist es möglich, dass die Lernenden<br />

ihr eigenes Lernen regulieren <strong>und</strong> in Gang halten.<br />

·· Bei dem erwähnten selbstregulierten Lernen sind Fehler bedeutsam, da die Auseinandersetzung<br />

mit Fehlerüberlegungen in der Diskussion mit anderen Lernenden oder Lehrenden<br />

verständnisfördernd wirkt <strong>und</strong> zu einer besseren Konstruktion von verstandenem Wissen<br />

führt.<br />

16


2 Theoretische Konzeption 2.2 Der Konstruktivismus als didaktisches Konzept<br />

·· Wichtig ist, die komplexen Lernbereiche auf die Vorerfahrung <strong>und</strong> auch auf die Interessen<br />

der Lernenden auszurichten, denn Lerninhalte werden dann zu einer Herausforderung,<br />

wenn sie auf den realen Erfahrungsschatz <strong>und</strong> auf die individuellen Interessen der Lernenden<br />

ausgerichtet sind.<br />

·· Der Konstruktivismus beschränkt sich nicht nur auf die kognitiven Bereiche des Lernens.<br />

Die persönliche Identifikation mit den Lerninhalten, wie auch Gefühle, Umgang mit<br />

Ängsten <strong>und</strong> Freuden sind bedeutsam, denn der Umgang mit Fehlern in komplexen Lernsituationen<br />

<strong>und</strong> das kooperative Lernen, die Selbststeuerung bei den Lernprozessen <strong>und</strong><br />

das Miteinbeziehen der Eigenerfahrung verlangen mehr als nur Rationalität.<br />

·· Im Konstruktivismus wird die eigene Wissenskonstruktion <strong>und</strong> nicht Wissensproduktion<br />

angestrebt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sollte die Evaluation des Lernerfolgs nicht primär auf Lernprodukte<br />

mit ausschliesslich richtigen <strong>und</strong> falschen Lösungen ausgerichtet werden, sondern<br />

die Fortschritte in den komplexen Lernprozessen sollten überprüft werden. Dazu eignet<br />

sich die Selbstevaluation hervorragend, mit welcher die individuellen Lernfortschritte <strong>und</strong><br />

damit die Verbesserung der eigenen Lernstrategien reflektiert werden können.<br />

(vgl. Dubs, S. 26 ff.).<br />

Wie eingangs erwähnt basiert das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> auf einer konstruktivistischen<br />

Gr<strong>und</strong>ansicht. Diese prägt das Verständnis von Bildung <strong>und</strong> Lernen bei Kindern im<br />

frühen Alter von null bis sechs Jahren stark. Bildung wird hier vor allem als ein eigenständiger,<br />

vom Menschen selbst organisierter Vorgang verstanden, indem Menschen sich die Umwelt aktiv<br />

aneignen <strong>und</strong> dabei über Kompetenzen, über den Erwerb von Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Denkmustern,<br />

über eigene Einstellungen ihre gesamte Person weiterentwickeln (vgl. Leu, Flämig, Frankenstein,<br />

Koch, Pack, Schneider <strong>und</strong> Schweizer, 2009, S. 36). Schäfer (2007) verdeutlicht, dass es bei <strong>Bildungs</strong>prozessen<br />

um das Erschliessen des Symbolgehaltes kindlicher Lebensäusserungen geht. Er versteht<br />

Lernen nicht als Rezeption <strong>und</strong> Speicherung von Informationen, sondern als Sinngebungsarbeit<br />

des Kindes. Diese Arbeit <strong>und</strong> die Bedeutungserschliessung finden im selbständigen Handeln seinen<br />

Ausdruck. Jedes Individuum hat seinen eigenen <strong>Bildungs</strong>prozess <strong>und</strong> bildet mit dem Austausch zur<br />

belebten oder unbelebten Umwelt seine individuellen Strukturen. Der Lernende entwickelt sich,<br />

reflektiert, trifft Entscheide, leitet Veränderungen ein <strong>und</strong> gestaltet aktiv das gesellschaftliche Leben<br />

mit. Das Individuum bildet sich selbst, im Austausch mit der Umwelt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sollte<br />

sich Bildung an den Bedürfnissen der Kinder orientieren (vgl. Neuss, 2007, S. 30 f.). «Frühkindliche<br />

Bildung darf daher, wenn sie effektiv sein will, nicht nur die Anforderungen der Gesellschaft oder<br />

Schule an das Kind berücksichtigen, sondern muss sich zunächst am Kind <strong>und</strong> seiner Tätigkeit<br />

orientieren» (Schäfer, zit. nach Neuss, 2007, S. 31). In den Tätigkeiten sieht Schäfer die Form<br />

der eigenen Weltaneignung, die dem Kind hilft, sich <strong>und</strong> die Welt zu erfassen <strong>und</strong> Selbstbildung<br />

voranzutreiben (vgl. Neuss, 2007, S. 31). Der <strong>Bildungs</strong>begriff hat einen umfassenden Anspruch.<br />

Das Lernen wird demgegenüber mehr auf das Individuum <strong>und</strong> seine kognitiven Vorgänge bezogen.<br />

17


2 Theoretische Konzeption 2.2 Der Konstruktivismus als didaktisches Konzept<br />

Lernen ist demnach ein Vorgang, ohne den der Mensch nicht zur Bildung gelangen kann (vgl. Leu<br />

et al., 2007, S. 36).<br />

Beim Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> wird neben der konstruktivistischen auch eine<br />

soziokulturelle Sichtweise auf das Lernen des Kindes berücksichtigt. Demnach ist Lernen kein<br />

isolierter, abgrenzbarer Vorgang, sondern ist immer in Situationen eingebettet. Beziehungen <strong>und</strong><br />

Interaktionen des Kindes mit anderen Kindern <strong>und</strong> Erwachsenen sind Voraussetzung für das Lernen.<br />

Margret Carr versteht Lernen als das zunehmende Beteiligtsein an sozialen Aktivitäten. Der Ansatz<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> zielt darauf, Lernende in der Welt immer mehr handlungsfähig<br />

werden zu lassen, damit sie mit Veränderungen <strong>und</strong> Unterschieden zurechtkommen, Lust<br />

<strong>und</strong> Mut haben, Schwierigkeiten anzugehen, Verantwortung zu übernehmen <strong>und</strong> Beziehungen<br />

zu anderen Menschen aufzubauen <strong>und</strong> so ihre Selbstwirksamkeit erleben können. Dem Kind sollen<br />

zunehmend differenziertere <strong>und</strong> komplexere Handlungs- <strong>und</strong> Orientierungsmuster ermöglicht<br />

werden, damit es sich immer mehr seine Umwelt aneignen kann. Der Ansatz fördert zum einen<br />

die persönlichen Fähigkeiten <strong>und</strong> Eigenschaften <strong>und</strong> zum anderen die Beziehungen des Kindes<br />

zu seiner Umwelt, zu den anderen Menschen <strong>und</strong> zu den Dingen. In diesem Sinne wird beim Verfahren<br />

keine scharfe Abgrenzung der Begriffe Bildung <strong>und</strong> Lernen gemacht. Vielmehr wird Bildung<br />

<strong>und</strong> Lernen als ganzheitlicher lebenslanger Prozess verstanden mit einem hohen Eigenanteil des<br />

Lernenden bei diesem Selbstbildungsprozess (vgl. Leu et al., 2007, S. 37 ff.).<br />

Kinder lernen die Welt durch gemeinsame Aktivitäten mit Anderen schrittweise kennen<br />

<strong>und</strong> zu verstehen. (...) Je grösser die Teilnahme an Aktivitäten <strong>und</strong> Interaktionen des<br />

Kindes, desto umfangreicher werden sein Verständnis <strong>und</strong> Wissen. Es handelt sich dabei<br />

nicht um einen einseitigen Prozess vom Erwachsenen zum Kind, sondern um eine<br />

wechselseitige Partnerschaft, in der Erwachsene <strong>und</strong> Kinder gemeinsam Verständnis <strong>und</strong><br />

Wissen konstruieren. Das soziokulturelle System, in dem Kinder lernen, ist der wichtigste<br />

Qualitätsaspekt in der Frühpädagogik. (Smith, zit. nach Leu et al., 2007, S. 37).<br />

2.3 Das Erleben von Selbstwirksamkeit als Teil des Lernprozesses<br />

In diesem Abschnitt wird zuerst der Begriff «Selbstwirksamkeit» genauer umschrieben, damit<br />

nachher ein Bezug zum Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> gemacht werden kann.<br />

Der Begriff Selbstwirksamkeit wurde in den 70er-Jahren von Professor Albert Bandura, einem<br />

Professor für Social Science in Psychology an der Stanford-Universität in Kalifornien geprägt.<br />

Selbstwirksam ist jemand, wenn er selber, selbstständig etwas tut, selber handeln kann. Bandura<br />

18


2 Theoretische Konzeption 2.3 Das Erleben von Selbstwirksamkeit als Teil des Lernprozesses<br />

definiert das wie folgt: «Wahrgenommene Selbstwirksamkeit bezieht sich auf die Überzeugung<br />

über diejenigen Fähigkeiten, die man benötigt, um eine bestimmte Handlung zu organisieren <strong>und</strong><br />

auszuführen, um damit bestimmte Ziele zu erreichen» (Bandura, zit. nach Schmitz, 2007, S. 23).<br />

Es geht Bandura um die Befähigung des Menschen zur Gestaltung seiner persönlichen Lebensumstände<br />

<strong>und</strong> um den Ausbau <strong>und</strong> die Erweiterung der eigenen Kompetenzen <strong>und</strong> persönlichen<br />

Ressourcen, damit Erfolg erst möglich wird. Gleichzeitig soll der Mensch an seine Gestaltungsmöglichkeiten<br />

glauben, denn je mehr er die von ihm beeinflussbaren Aspekte des Lebens aktiv mitgestaltet,<br />

desto mehr fühlt er sich als Gestalter seiner eigenen Zukunft <strong>und</strong> ist dadurch motiviert,<br />

sich einzusetzen (vgl. Schachinger, 2005, S. 174 f.). Selbstwirksamkeits-Erwartungen gehen dem<br />

Gefühl von Selbstwirksamkeit voraus, denn die Erwartungen sind eine subjektive Meinung über<br />

die eigenen Fähigkeiten. Es geht dabei nicht um individuelle Fähigkeiten in einem messbaren Sinn,<br />

sondern vielmehr darum, was jemand glaubt, in einer gewissen Situation tun zu können. Die Selbstwirksamkeits-Erwartungen<br />

sind nicht im eigentlichen Sinne stabile Persönlichkeitseigenschaften,<br />

sondern variieren innerhalb der jeweiligen Begleitumstände, Aktivitätsbereiche <strong>und</strong> Schwierigkeitsniveaus<br />

(vgl. Schachinger, 2005, S.175). Der Aufbau von Selbstwirksamkeits-Erwartungen kann<br />

durch eigenes, aktives Handeln gefördert werden. Bei Bandura gelten Erfolge, die Bewältigung<br />

schwieriger Aufgaben <strong>und</strong> das Erreichen anspruchsvoller Ziele aus eigener Kraft als Basis für eine<br />

widerstandsfähige Überzeugung der eigenen Selbstwirksamkeit. Weiter sind auch stellvertretende<br />

Erfahrungen, das heisst Modell- <strong>und</strong> Beobachtungslernen förderlich. Die Beobachtung, dass eine<br />

Person in einer bestimmten schwierigen Situation Lösungen findet, erhöht auch den Glauben an<br />

die eigene Selbstwirksamkeit. Von zentraler Bedeutung ist auch der ermutigende Dialog zwischen<br />

Menschen. Eine verbale Mitteilung, die klar macht, dass an die Fähigkeiten des Gegenübers geglaubt<br />

wird, kann zu einer Stärkung der Selbstwirksamkeits-Erwartung führen (vgl. Schmitz, 2007, S. 29).<br />

Dieser Glaube an die eigenen Fähigkeiten, also ein starker Selbstwirksamkeits-Glaube (siehe Tabelle1)<br />

zeigt sich auch in einer aktiven, lern- <strong>und</strong> entwicklungsorientierten Gr<strong>und</strong>haltung, die Aufgabenorientierung<br />

<strong>und</strong> strategisches, lösungsorientiertes Denken auch in schwierigen Situationen fördert<br />

<strong>und</strong> ermöglicht, dass auch neue Herausforderungen mit Mut <strong>und</strong> Zuversicht in Angriff genommen<br />

werden (vgl. Schachinger, 2007, S.176). Solche Fähigkeiten sind auch für eine ges<strong>und</strong>e Entwicklung<br />

von Kindern im Kindergarten oder in der Schule von grosser Bedeutung. Carina Fuchs verwendete<br />

in ihrem Buch «Selbstwirksames Lernen im schulischen Kontext» (2005) den Begriff «Selbstwirksames<br />

Lernen», der durch die Synthese von «Selbstwirksamkeit» <strong>und</strong> «Lernen» entstanden<br />

ist. Ihre Definition dazu lautet: «Selbstwirksames Lernen bezeichnet ein individuell sinn- <strong>und</strong><br />

bedeutungsvolles Lernen, das sich auszeichnet durch das bewusste, selbst verursachte Gelingen eines<br />

herausfordernden Lernvorhabens» (Fuchs, S. 91). In ihrem Abschlusskapitel listet sie wichtige<br />

Kennzeichen für das selbstwirksame Lernen auf:<br />

·· hohe Selbstverantwortung beim Lernen<br />

·· individuelle Kompetenzentwicklung angehen mit Hilfe von Kompetenzrastern<br />

19


2 Theoretische Konzeption 2.3 Das Erleben von Selbstwirksamkeit als Teil des Lernprozesses<br />

·· verstehendes, intrinsisch motiviertes Lernen<br />

·· selbst verursachte Erfolgserlebnisse<br />

·· erarbeiten von Kompetenzrastern im Dialog mit den Beteiligten<br />

(vgl. Fuchs, 2005, S. 91)<br />

Diese Punkte sind auch beim Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> von zentraler Bedeutung,<br />

wie sich bei näherer Betrachtung zeigt.<br />

Leu (2007) umschreibt es so, dass die Motivation eines Kindes zu lernen, zu entdecken <strong>und</strong> zu<br />

forschen eine Gr<strong>und</strong>voraussetzung für das Voranschreiten in seinen individuellen Lernprozessen ist.<br />

Jedes Kind bringt diese Gr<strong>und</strong>voraussetzung, diese Motivation von sich aus mit. Es zeigt von Natur<br />

aus Selbstverantwortung <strong>und</strong> Motivation für sein Lernen. Um dies aufrechtzuerhalten oder zu<br />

aktivieren, bedarf es Menschen, die sich interessiert dem Kind zuwenden, es braucht Räumlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Materialien, die das Interesse des Kindes wecken. Daraus entsteht Aktivität <strong>und</strong> engagiert sein,<br />

das Kind nimmt Kontakt zu anderen Kindern, zu Dingen <strong>und</strong> zu Erwachsenen auf, entwickelt<br />

eigene Ideen <strong>und</strong> versucht, diese in den Alltag umzusetzen (vgl. S. 100). Das Kind spürt dadurch<br />

die eigene Selbstwirksamkeit <strong>und</strong> wird in seinem Selbstwert gestärkt. Es entwickelt eine subjektive<br />

Überzeugung, aus eigener Kraft <strong>und</strong> eigenem Vermögen bestimmte Ergebnisse bewirken zu können<br />

(vgl. Schachinger, 2005, S. 175).<br />

Der ressourcenorientierte Ansatz des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> geht von der<br />

Verschiedenartigkeit der Kinder aus <strong>und</strong> zielt auf die Stärkung der individuellen Interessen <strong>und</strong><br />

Fähigkeiten eines jeden Kindes hin. Die Lehrperson lernt die Fähigkeiten eines Kindes durch die<br />

intensive Beobachtung besser kennen <strong>und</strong> kann auf Gr<strong>und</strong> der Analyse anhand der Lerndispositionen<br />

individuell auf die Interessen <strong>und</strong> Lernfortschritte des Kindes eingehen. Gerade die Lerndispositionen<br />

«interessiert sein», «engagiert sein» <strong>und</strong> «standhalten bei Anforderungen» umschreiben,<br />

wie stark der Selbstwirksamkeits-Glauben bei einem Kind ausgebildet ist (siehe Tabelle 1 <strong>und</strong><br />

Abschnitt 2.6.2, die Analyse nach Lerndispositionen). Durch den intensiven Dialog ermutigt die<br />

Lehrkraft das Kind <strong>und</strong> findet gemeinsam mit ihm die nächsten Entwicklungsschritte. Das Kind<br />

kann eigene Ideen entwickeln, trägt Verantwortung für sein Lernen, ist motiviert <strong>und</strong> engagiert<br />

sich. Gleichzeitig lernt es, durch die Reflexion im Gespräch mit der Lehrperson seine Stärken <strong>und</strong><br />

Grenzen einschätzen. Die Selbstwahrnehmung der Kinder wird durch die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

positiv beeinflusst, da sich die Lernenden in vielen Bereichen durch die ressourcenorientierte<br />

Sichtweise als kompetent erfahren <strong>und</strong> Einfluss haben auf ihre Entwicklungsschritte <strong>und</strong><br />

auf ihr Lernen (vgl. Mohr & Wustmann, 2010, S. 21). So wird das Gefühl von Selbstwirksamkeit<br />

gefördert <strong>und</strong> Kinder können neue Aufgaben mit Mut <strong>und</strong> Zuversicht anpacken. «Kinder zeigen<br />

20


2 Theoretische Konzeption 2.3 Das Erleben von Selbstwirksamkeit als Teil des Lernprozesses<br />

explorierendes Verhalten, probieren Neues aus oder gehen an die Grenzen dessen, was sie können.<br />

Besonders gut können Kinder bei Herausforderungen <strong>und</strong> Schwierigkeiten standhalten, wenn<br />

die Situation <strong>und</strong> Interaktion bestätigend gestaltet ist, so dass Fehler oder Schwierigkeiten als Teil<br />

des Lernprozesses gelten <strong>und</strong> explorierendes Verhalten unterstützt wird» (Leu et al., 2007, S. 52).<br />

Starker Selbstwirksamkeits-Glaube Schwacher Selbstwirksamkeits-Glaube<br />

·· Aktive, lern- <strong>und</strong> entwicklungsorientierte<br />

Gr<strong>und</strong>haltung («ich kann das lernen,<br />

ich schaffe das»).<br />

·· Zugr<strong>und</strong>eliegende Überzeugung:<br />

Fähigkeiten sind keine angeborenen,<br />

unveränderlichenTalente, sondern erlernbare<br />

Fähigkeiten.<br />

·· Schwierige Aufgaben werden als Herausforderungen<br />

gesehen, grosses Interesse<br />

<strong>und</strong> Engagement werden gezeigt.<br />

·· Setzung anspruchsvoller Ziele, denen<br />

man sich verpflichtet fühlt.<br />

·· Kein vorschnelles Aufgeben bei Hindernissen<br />

<strong>und</strong> Schwierigkeiten, sondern<br />

Anstrengungserhöhung.<br />

·· Aufgabenorientierung <strong>und</strong> strategisches,<br />

lösungsorientiertes Denken, auch bei<br />

Schwierigkeiten.<br />

·· Fehler bilden einen natürlichen Bestandteil<br />

jedes Lernprozesses, Motto: «Aus<br />

Fehlern lernen <strong>und</strong> es das nächste Mal<br />

besser machen».<br />

·· Versagen wird auf unzureichende Anstrengung<br />

zurückgeführt, Sinn für<br />

Selbstwirksamkeit stellt sich nach der<br />

Niederlage rasch wieder ein.<br />

·· Neue Aufgaben werden mit Mut <strong>und</strong><br />

Zuversicht in Angriff genommen.<br />

21<br />

·· Passive, hilflose <strong>und</strong> resignative Haltung<br />

(«da kann man nichts machen, dafür bin<br />

ich zu dumm»).<br />

·· Zugr<strong>und</strong>eliegende Überzeugung:<br />

Fähigkeiten sind angeboren <strong>und</strong> unveränderbar,<br />

Versagen <strong>und</strong> Fehler werden auf<br />

fehlende Begabung zurückgeführt,<br />

Lernen <strong>und</strong> Kompetenzaufbau hat daher<br />

keinen Sinn.<br />

·· Man scheut vor schwierigen Aufgaben<br />

zurück, bei Misserfolg Verlust des Interesses<br />

an der Aufgabe.<br />

·· Einmal gesetzten Zielen fühlt man sich<br />

nur wenig verpflichtet.<br />

·· Rasches Aufgeben bei Hindernissen <strong>und</strong><br />

Schwierigkeiten, wenig Ausdauer <strong>und</strong><br />

Anstrengungsbereitschaft.<br />

·· In Prüfungssituationen Konzentration<br />

auf persönliche Defizite <strong>und</strong> mögliche<br />

negative Konsequenzen bei Versagen.<br />

·· Fehler <strong>und</strong> Misserfolg bedeuten, dass<br />

man ein Versager, eine Versagerin ist <strong>und</strong><br />

werden nur schwer <strong>und</strong> erst nach längerer<br />

Zeit weggesteckt.<br />

·· Vermeidungsverhalten unterwandert<br />

den effektiven Einsatz von Bewältigungsstrategien<br />

<strong>und</strong> blockiert den Erwerb <strong>und</strong><br />

Ausbau von Kompetenzen<br />

·· Neue Aufgaben werden aus Angst vor<br />

Versagen nicht in Angriff genommen.<br />

Tabelle 1 Merkmale von starkem vs. schwachem Selbstwirksamkeits-Glauben (in Schachinger, 2007, S. 176).


2 Theoretische Konzeption<br />

2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

Auf der Basis von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen <strong>und</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage des<br />

Konstruktivismus entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine speziell auf den Kindergarten<br />

zugeschnittene Didaktik mit verschiedenen Lehr- <strong>und</strong> Lernformen, welche mit dem Lehrplan<br />

für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, erschienen im Jahre 2008, ausdifferenziert <strong>und</strong> als<br />

verbindlich erklärt wurde. Diese Aspekte werden in den folgenden Abschnitten dargestellt.<br />

2.4.1 Der Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich<br />

«Der Lehrplan ist ein Referenzrahmen für die Diskussion <strong>und</strong> Kommunikation über Bildung,<br />

Erziehung <strong>und</strong> Betreuung der Kinder auf dieser Stufe des Schulsystems» (Lehrplan für die Kindergartenstufe<br />

des Kantons Zürich, 2008, S. 3). Er unterstützt das Recht auf bestmögliche Bildung<br />

des Kindes, bildet die verbindliche Gr<strong>und</strong>lage für die Arbeit im Kindergarten <strong>und</strong> ermöglicht den<br />

Lehrpersonen gleichzeitig eine Orientierung bei der Gestaltung der <strong>Bildungs</strong>prozesse im Kindergarten.<br />

Er ist auch Gr<strong>und</strong>lage für ergänzende Arbeitsmaterialien. Darüber hinaus informiert er<br />

Eltern <strong>und</strong> weitere am <strong>Bildungs</strong>geschehen interessierte Personen über die gr<strong>und</strong>sätzliche Ausrichtung<br />

der Bildung, Erziehung <strong>und</strong> Betreuung auf der Kindergartenstufe (vgl. ebd.).<br />

Im Lehrplan werden vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten von <strong>Bildungs</strong>prozessen vorgestellt.<br />

«Ziel des Kindergartens ist es, durch angemessene Gestaltung der <strong>Bildungs</strong>prozesse Spiel- <strong>und</strong><br />

Lernmöglichkeiten zu schaffen, die den Kindern Gelegenheit bieten, für sich selber oder im<br />

Austausch mit anderen selbständig <strong>und</strong> kompetent zu handeln» (Lehrplan für die Kindergartenstufe<br />

des Kantons Zürich, 2008, S. 14). Neben Lern- <strong>und</strong> Unterrichtsformen wird auch auf die<br />

Gestaltung von Abläufen hingewiesen. Dazu gehören die Rhythmisierung, also die Strukturierung<br />

des Tages in feste, übersichtliche Blöcke <strong>und</strong> die Rituale, eine methodische Form um Übergänge<br />

<strong>und</strong> periodisch wiederkehrende Ereignisse zu gestalten. Eine zentrale Aufgabe der Pädagogin im<br />

Kindergarten ist gemäss Lehrplan für die Kindergartenstufe die Beobachtung, die auch immer mit<br />

einer Beurteilung, das heisst einer Einschätzung des Entwicklungsstandes verb<strong>und</strong>en ist. Diese ist<br />

die Gr<strong>und</strong>lage für eine gezielte, ressourcenorientierte Planung <strong>und</strong> Förderung <strong>und</strong> ein Mittel zur<br />

Orientierung über den Erfolg von pädagogischen Massnahmen. Im Lehrplan wird betont, dass die<br />

Beobachtungen <strong>und</strong> Einschätzungen dem Kind <strong>und</strong> seinen Eltern gegenüber offengelegt werden<br />

sollen, wofür eine Lernbiografie/Lerngeschichte hilfreich ist. Diese zeigt auf, wie sich die Kompetenzen<br />

des Kindes entwickeln <strong>und</strong> umfasst Aufzeichnungen von besonderen Ereignissen auf dem<br />

Lernweg eines Kindes wie das erstmalige Schreiben des eigenen Namens oder die Freude an der<br />

Lösung einer anspruchsvollen Aufgabe. Die Aufzeichnungen dienen der Lehrperson zur Orientierung<br />

im eigenen pädagogischen Handeln <strong>und</strong> sind Gr<strong>und</strong>lage für Elterngespräche <strong>und</strong> für die<br />

Beurteilung der Notwendigkeit von Fördermassnahmen. Bei der Beobachtung <strong>und</strong> Aufzeichnung<br />

22


2 Theoretische Konzeption 2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

von Lernbiografien/<strong>Lerngeschichten</strong> wird neben dem Erwerb von Wissen <strong>und</strong> Können auch auf<br />

Lerndispositionen geachtet. Damit sind situationsbezogene Lernstrategien <strong>und</strong> Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

die Motivation, etwas zu können <strong>und</strong> zu wissen, gemeint. Es ist die Bereitschaft, sich auf das Lernen<br />

einzulassen. Die folgenden fünf Lerndispositionen finden dabei Beachtung. Sie entsprechen den<br />

Lerndispositionen, wie sie von M. Carr im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> formuliert<br />

wurden.<br />

·· Fragen stellen, interessiert sein <strong>und</strong> Neues erfahren wollen<br />

·· engagiert sein, sich einer Sache widmen<br />

·· standhalten bei Herausforderungen <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

·· sich ausdrücken <strong>und</strong> mitteilen<br />

·· an der Gemeinschaft partizipieren <strong>und</strong> Verantwortung übernehmen<br />

(vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S.16 f.).<br />

Auf der Kindergartenstufe richten sich die <strong>Bildungs</strong>prozesse nicht nach Fächern, sondern nach<br />

<strong>Bildungs</strong>bereichen, in welchen sich die Kinder durch verschiedene Aktivitäten, Handlungen <strong>und</strong><br />

Spielformen entsprechende Kompetenzen aneignen. Bei der Gestaltung der <strong>Bildungs</strong>prozesse<br />

hat die Lehrperson folglich die Möglichkeit, Inhalte aus den nachfolgenden fünf <strong>Bildungs</strong>bereichen<br />

auszuwählen:<br />

·· Kommunikation, Sprache <strong>und</strong> Medien<br />

·· Natur, Technik <strong>und</strong> Mathematik<br />

·· Identität, Soziales <strong>und</strong> Werte<br />

·· Wahrnehmung, Gestaltung <strong>und</strong> Künste<br />

·· Körper, Bewegung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

(vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S. 20 f.).<br />

Für jeden <strong>Bildungs</strong>bereich werden zwölf bis achtzehn Basiskompetenzen formuliert, die als<br />

gr<strong>und</strong>legend erachtet <strong>und</strong> von allen Kindern gegen Ende der Kindergartenzeit erwartet werden<br />

(vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S. 24 ff.).<br />

23


2 Theoretische Konzeption 2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

2.4.2 Das Lernen im Kindergartenalter<br />

Lernen ist ein innerer Prozess, der unterschiedlich bewusst stattfindet, wenn Menschen spielen,<br />

arbeiten, Erfahrungen machen, denken, nachahmen, erklären <strong>und</strong> erklärt bekommen, verstehen<br />

<strong>und</strong> üben. Daraus entwickeln sich veränderte Einstellungen, Gefühle, Vorstellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen.<br />

Das Lehr- <strong>und</strong> Unterrichtsverständnis ist abhängig vom Lernverständnis der Pädagogin.<br />

Der Unterricht im Kindergarten ist vom didaktischen Modell des Konstruktivismus geprägt.<br />

Gemeint ist damit, dass die Kinder die Mitwelt <strong>und</strong> Lerninhalte auf der Basis ihres Vorwissens <strong>und</strong><br />

ihrer Sinn- <strong>und</strong> Wertvorstellungen selber konstruieren <strong>und</strong> nicht so wahrnehmen <strong>und</strong> innerlich<br />

abbilden, wie sie ihnen präsentiert werden (vgl. Achermann, 2009, S. 16).<br />

Echtes Lernen zeichnet sich durch Eigenaktivität <strong>und</strong> Selbstbestimmung aus, wozu auch<br />

die Lernerfahrungen wie Erfolgserlebnisse, Umwege, Fehlschläge <strong>und</strong> Enttäuschungen gehören.<br />

Selbstbestimmtes Lernen unterstützt eigene Lern- <strong>und</strong> Problemlösungsstrategien <strong>und</strong> ein gutes<br />

Selbstwertgefühl. Neues Wissen kann nur erworben <strong>und</strong> genutzt werden, wenn es in vorhandene<br />

Wissensstrukturen eingebaut <strong>und</strong> auf der Basis von individuellen Erfahrungen interpretiert wird<br />

(vgl. Schmid, Wettstein, Walter & Fasseing, 2002, S. 121).<br />

Kindliches Lernen wird durch vielfältige Formen bestimmt.<br />

·· Das beiläufige Lernen findet unbeabsichtigt statt <strong>und</strong> das dadurch erworbene Wissen ist<br />

implizit,also unbewusst <strong>und</strong> nicht in Sprache gefasst. Durch die Unterstützung der Pädagogin<br />

wird es in bewusstes, explizites, in Begriffe gefasstes Wissen überführt.<br />

·· Das Lernen durch sinnliche Erfahrungen ist die Gr<strong>und</strong>lage, auf welcher das Kind seine<br />

Vorstellungen über Gegenstände <strong>und</strong> Zusammenhänge aufbaut. Diese Erfahrungen sind<br />

handlungsleitend für weitere Tätigkeiten.<br />

·· Das objektorientierte Lernen ermöglicht dem Kind, sich geistige Fähigkeiten in der eigenständigen<br />

Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Umwelt zu erwerben, zum Beispiel<br />

im Konstruktionsspiel.<br />

·· Das soziale Lernen bestimmt die Sozialisation <strong>und</strong> das Kommunikationsverhalten des Kindes<br />

durch Orientierung an Vorbildern <strong>und</strong> Nachahmung von vertrauten Personen. Im Spiel<br />

mit gleichaltrigen Kindern werden Verhaltensweisen <strong>und</strong> Wertvorstellungen verinnerlicht,<br />

zum Beispiel beim «Einkaufen spielen».<br />

·· Das Lernen durch Unterweisung dient dem Erwerb von Kulturtechniken, dabei übernimmt<br />

das Kind Fähigkeiten <strong>und</strong> Wissen von Erwachsenen. Dieses Lernen findet oft durch sprachliche<br />

Vermittlung statt.<br />

(vgl. Largo, 2002, S. 71 <strong>und</strong> Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S. 11).<br />

24


2 Theoretische Konzeption 2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

Das Ziel von Lernprozessen ist der Erwerb von Kompetenzen, also das Vermögen, in einem bestimmten<br />

Handlungsbereich Leistungen zu erbringen oder Probleme zu lösen. Dazu braucht es<br />

Wissen, Können, Dispositionen <strong>und</strong> die Fähigkeit, die zur Verfügung stehenden Ressourcen gewinnbringend<br />

einzusetzen. Dabei ermöglicht das deklarative Wissen dem Kind, sich in seiner Welt<br />

zu orientieren <strong>und</strong> ihr entsprechende Bedeutungen zuzumessen <strong>und</strong> beinhaltet die Kenntnis von<br />

Fakten <strong>und</strong> Zusammenhängen. Das Können, das prozedurale Wissen, befähigen das Kind, zahlreiche<br />

Fertigkeiten, wie Zählen oder Ball werfen, im Hinblick auf ein Handlungsziel anzuwenden.<br />

Mit Dispositionen werden gr<strong>und</strong>legende Neigungen, Haltungen <strong>und</strong> Einstellungen gegenüber<br />

Sachen <strong>und</strong> Personen bezeichnet. Durch spannende Erfahrungen entstehen positive Dispositionen,<br />

der Wunsch, etwas meistern zu können <strong>und</strong> Interesse <strong>und</strong> Freude am Lernen (vgl. Largo, 2002,<br />

S. 71<strong>und</strong> Lehrplan für die Kindergartenstufe, 2008, S. 12).<br />

Das Kind kann nur so viel von seiner Umwelt aufnehmen, wie ihm von seinem Entwicklungsstand<br />

vorgegeben ist. Ein Angebot, welches über seine Bedürfnisse hinausgeht, bleibt ungenutzt oder<br />

behindert gar seine Entwicklung. Für die Kindergärtnerin bedeutet dies: Das Kind ist kein Gefäss,<br />

das sich mit beliebigem Inhalt füllen lässt. Das Kind sucht also aus einem inneren Bedürfnis heraus<br />

Erfahrungen mit seiner Umwelt. Die Aufgabe der Pädagoginnen ist es daher, dem Kind die Erfahrungsmöglichkeiten<br />

anzubieten, die für seine Entwicklung wesentlich sind <strong>und</strong> das soziale <strong>und</strong><br />

materielle Umfeld so zu gestalten, dass das Kind diese Erfahrungen selbständig machen kann (vgl.<br />

Largo 2002, S. 75 ff.). Um diese Anforderungen zu erfüllen, stehen den Lehrpersonen verschiedene<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernformen zur Verfügung, die den Kindern vielfältige Erfahrungs- <strong>und</strong> Lernfelder<br />

anbieten.<br />

2.4.3 Aktuelle Lehr- <strong>und</strong> Lernformen im Kindergarten<br />

Eine Didaktik, die von der Verschiedenheit der Kinder ausgeht, muss mehrere Merkmale erfüllen.<br />

Dazu gehören die Balance zwischen Instruktion <strong>und</strong> Konstruktion, also zwischen angeleitetem<br />

<strong>und</strong> selbständigem Lernen. Weiter erfordert sie entwicklungsorientierte Lernangebote, die sich<br />

sowohl an individuellen Lernbedürfnissen als auch an Lernzielen orientiert <strong>und</strong> die Differenzierung<br />

der Lernwege berücksichtigt. Diese didaktische Konzeption hat die Förderung des eigenständigen<br />

Lernens zum Ziel <strong>und</strong> bedingt eine förderorientierte, systematische Beobachtung, Erfassung <strong>und</strong><br />

Dokumentation von Lernprozessen des einzelnen Kindes (vgl. Achermann, 2009, S. 15). Durch<br />

die im Folgenden dargestellten vielfältigen methodisch-didaktischen Möglichkeiten werden diese<br />

Erfordernisse im Kindergarten umgesetzt.<br />

25


2 Theoretische Konzeption 2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

·· Lernumgebungen<br />

Eine Haupttätigkeit der Lehrpersonen ist es, Kinder zu Lernumgebungen hinzuführen, mit<br />

ihnen eine Lernumgebung zu entwickeln oder sie selber eine Lernumgebung gestalten zu<br />

lassen. Dabei wird die Lebenswirklichkeit der Kinder, der Raum innerhalb <strong>und</strong> ausserhalb<br />

des Kindergartens <strong>und</strong> das vorhandene oder zur Verfügung gestellte Material berücksichtigt.<br />

Lernumgebungen fördern pädagogisch wertvolle <strong>und</strong> eigenständige Lernprozesse, lassen<br />

die Kinder handelnd aktiv werden <strong>und</strong> vermitteln neue Erfahrungen (vgl. Lehrplan für die<br />

Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S. 14). Lernumgebungen sind die Gr<strong>und</strong>lage<br />

für verschiedene Lern- <strong>und</strong> Unterrichtsformen.<br />

·· Die geführte Aktivität<br />

Ziel der geführten Aktivität ist es, eine gemeinsame Basis für weitere Lernschritte <strong>und</strong><br />

für die selbständige Anwendung erlernter Fertigkeiten aufzubauen. In einer zielorientierten<br />

Unterrichtssequenz <strong>–</strong> meist in der ganzen Gruppe durchgeführt <strong>–</strong>wird durch Spiele <strong>und</strong><br />

Übungen sowohl deklaratives als auch prozedurales Wissen vermittelt. Die geführte Aktivität<br />

ist eine kindergärtnerinnenzentrierte Unterrichtsform, lässt aber methodisch viel<br />

Spielraum offen (vgl. Walter & Fasseing, 2002, S. 160 f.).<br />

·· Die individuelle Vertiefung<br />

Diese Unterrichtsform ermöglicht den Kindern eine persönliche Auseinandersetzung mit<br />

vermittelten <strong>und</strong> erarbeiteten Inhalten in Form einer Aufgabenstellung. Ziel dabei ist, dass<br />

sich die Kinder handelnd mit den neuen Inhalten befassen <strong>und</strong> Entdeckungen mit Gleichaltrigen<br />

austauschen. So werden diese mit den vorhandenen Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten<br />

verknüpft <strong>und</strong> durch Wiederholung gefestigt (vgl. Walter & Fasseing, 2002, S.198).<br />

·· Das Freispiel<br />

«Im Spiel verwirklicht sich, was die hohe Qualität von Lernen ausmacht: Das Interesse, das<br />

Engagement, die Anteilnahme des Kindes, die Fokussierung auf die Tätigkeit, die Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> Konzentration verbinden sich mit der Lust an der Sache» (Lehrplan für die<br />

Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S.15). Es ist eine selbstbestimmte, vielfältige<br />

Tätigkeit <strong>und</strong> eine ganzheitliche Form des Lernens, da das Wissen <strong>und</strong> Können der Kinder<br />

auf integrierte Weise zur Anwendung kommt. Oft werden von den Kindern Spiel- <strong>und</strong><br />

Handlungsziele in Betracht gezogen, doch dürfen keine nützlichen Resultate angestrebt<br />

26


2 Theoretische Konzeption 2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

werden, da sonst der spielerische Charakter, der Selbstzweck des Spielens, verloren ginge<br />

(vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S. 15). Im Spiel gestalten<br />

die Kinder unter Einbezug ihres Körpers, ihrer Sinne <strong>und</strong> oft auch ihrer Sprache eigene<br />

Spielwelten, die ein persönlicher Ausdruck ihres Innenlebens sind <strong>und</strong> bauen ein Beziehungsnetz<br />

auf. Lernfortschritte werden durch die Erweiterung von Spielhandlungen beobachtbar<br />

(vgl. Walter & Fasseing, 2002, S. 206 f.).<br />

·· Die spielerische Förderung<br />

Die spielerische Förderung ist eine Form der individuellen Unterstützung einzelner Kinder<br />

<strong>und</strong> orientiert sich an deren persönlichen Voraussetzungen, Bedürfnissen <strong>und</strong> Motivationen.<br />

Durch gezielte Lernangebote können Kinder in ihrer ganz speziellen Entwicklungssituation<br />

unterstützt <strong>und</strong> begleitet werden. Diese Förderung wird oft durch die Schulische Heilpädagogin<br />

übernommen (vgl. Walter <strong>und</strong> Fasseing, 2002, S. 236).<br />

·· Das Projekt<br />

«Die Kinder <strong>und</strong> die beteiligten Lehrpersonen wirken an einer Art Forschungsveranstaltung<br />

oder Produktion mit» (Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich,<br />

2008, S. 15). Projektideen können von der Lehrperson vorgeschlagen werden oder aus<br />

Wünschen der Kinder entstehen. Sie erlauben ihnen Einsichten in Planungsvorgänge, das<br />

Einbringen von kreativen Ideen <strong>und</strong> die Prüfung derer Realisierbarkeit. Einzelprojekte<br />

von Kindern ermöglichen, ein Thema für längere Zeit zu verfolgen, sich darin zu vertiefen<br />

<strong>und</strong> kompetent zu werden (vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich,<br />

2008, S.16).<br />

·· Das Atelier<br />

Mit dem Begriff Atelier wird ein Raumteil im Kindergarten bezeichnet, der die Kinder<br />

durch seine Einrichtung zur aktiven Gestaltung <strong>und</strong> Verarbeitung von aktuellen Themen<br />

animiert, wie zum Beispiel die Bauecke, das Postbüro etc. «Es sind Lernumgebungen, die je<br />

nach Ausstattung verschiedene Handlungen <strong>und</strong> Erfahrungen, das Lernen am Modell, aber<br />

auch die freie, kreative Gestaltung ermöglichen» (Lehrplan für die Kindergartenstufe des<br />

Kantons Zürich, 2008, S.16). «Eine Spiel- <strong>und</strong> Lernumgebung bildet einen Ort ab, der von<br />

den Kindern vielfältig bespielt werden kann. Die Kinder übernehmen verschiedene Rollen<br />

<strong>und</strong> gestalten die Spiel- <strong>und</strong> Lernumgebung mit den Rollen anderer Kinder aus» (Achermann,<br />

2009, S. 35).<br />

27


2 Theoretische Konzeption 2.4 Die Gr<strong>und</strong>lagen der Kindergartendidaktik<br />

·· Das Portfolio<br />

Das Portfolio ist ein Instrument zur Dokumentation <strong>und</strong> Begleitung von Lernprozessen<br />

<strong>und</strong> wird vom Kind selber zusammengestellt, zum Beispiel in Form einer Schatztruhe.<br />

In der dialogischen Betrachtung der Gegenstände oder Erzeugnisse zusammen mit der Lehrperson<br />

oder mit den Eltern wird sich das Kind seiner Entwicklung <strong>und</strong> seines Lernens<br />

bewusst. Das Portfolio gibt der Lehrperson Einblick in die Kompetenzentwicklung des<br />

Kindes, woraus sich Hinweise für die Förderung des Kindes <strong>und</strong> die Beratung der Eltern<br />

ableiten lassen (vgl. Lehrplan für die Kindergartenstufe des Kantons Zürich, 2008, S. 16).<br />

Die <strong>Lerngeschichten</strong>, die durch das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> entstehen<br />

werden oft in Portfolioordnern, auch Schatz- oder Könnerbücher genannt, abgelegt.<br />

·· Der Werkstattunterricht<br />

Der Werkstattunterricht gehört <strong>–</strong> wie auch die Vertragsarbeit <strong>–</strong> zu den erweiterten Lernformen.<br />

Er verbindet durch sein Angebot an zielorientierten Arbeitsstationen systematisches<br />

Lernen mit Eigenaktivität <strong>und</strong> unterschiedlichen Sozial- <strong>und</strong> Lernformen <strong>und</strong> ermöglicht<br />

individuelles Lernen (vgl. Walter & Fasseing, 2002, S. 250).<br />

·· Die Vertragsarbeit<br />

Im Unterricht können Verträge als Hilfestellung für das persönliche Lernen eingesetzt<br />

werden, indem die Kinder ihre Lernziele selbständig formulieren, mit der Kindergärtnerin<br />

besprechen <strong>und</strong> in einem festgesetzten Zeitraum daran arbeiten. Wichtig ist, dass die<br />

Ziele positiv formuliert <strong>und</strong> im Kindergarten erreichbar sind (vgl. Walter & Fasseing, 2002,<br />

S. 258).<br />

2.5 Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Im folgenden Abschnitt wird nun vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Herkunft <strong>und</strong> des pädagogischen<br />

Ansatzes dieses Beobachtungs- <strong>und</strong> Dokumentationsinstrumentes die praktische Anwendung des<br />

Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> vorgestellt.<br />

28


2 Theoretische Konzeption 2.5 Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

2.5.1 Die Herkunft des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Die «Learning Stories», das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>, wurden am Ende<br />

der 1990er-Jahre durch Margaret Carr von der Waikato Universität in Neuseeland auf folgendem<br />

Hintergr<strong>und</strong> entwickelt:<br />

Neuseeland hatte in jüngerer Zeit eine Vorreiterrolle in Bezug auf die Entwicklung der<br />

Frühpädagogik <strong>und</strong> führte eine staatlich geförderte Elementarerziehung ein. Als Folge davon<br />

wurde die administrative Zuständigkeit für alle Kindertageseinrichtungen dem <strong>Bildungs</strong>system<br />

zugeordnet <strong>und</strong> eine Diplomausbildung für pädagogische Fachkräfte dieser Stufe eingeführt.<br />

Zwischen 1991 <strong>und</strong> 1996 wurde ein Nationales Curriculum entwickelt, an welchem die Wissenschaftlerinnen<br />

Margret Carr <strong>und</strong> Helen May massgeblich beteiligt waren. Die Gr<strong>und</strong>lage für dieses<br />

Curriculum war ein integriertes Verständnis von Erziehung <strong>und</strong> Betreuung <strong>und</strong> ein konstruktivistisches<br />

Verständnis von Lernprozessen, welches die wechselseitige Beziehung zwischen Lernenden<br />

<strong>und</strong> Lerngelegenheit, also zwischen Kindern, Lernumwelt <strong>und</strong> Erwachsenen hervorhebt. Im Fokus<br />

des Interessens standen die Dispositionen zum Lernen <strong>und</strong> nicht der Erwerb von einzelnen Fertigkeiten.<br />

Damit verb<strong>und</strong>en ist das Ziel, dass Kinder «als kompetent <strong>und</strong> selbstbewusst Lernende<br />

<strong>und</strong> Kommunizierende aufwachsen, ges<strong>und</strong> an Körper, Verstand <strong>und</strong> Geist, sich sicher<br />

fühlen durch ein Bewusstsein der Zugehörigkeit <strong>und</strong> in dem Wissen, dass sie einen wertvollen<br />

Beitrag zur Welt darstellen».<br />

(Ministry of Education 1996, May et al., zit. nach Leu et al., 2007, S. 21)<br />

Bei der Entwicklung des Curriculums wurde grossen Wert darauf gelegt, auch den sozialen <strong>und</strong><br />

kulturellen Kontext Neuseelands, wie zum Beispiel die Partnerschaft zwischen Maori <strong>und</strong> Pakeha,<br />

das heisst Nicht-Maori zu berücksichtigen. Der Name des Curriculums, «Te Whariki» stammt aus<br />

dem Kulturkreis der Maori <strong>und</strong> bedeutet «gewobene Matte». Er lässt erkennen, dass das Wissen<br />

<strong>und</strong> Verstehen von Kindern wie ein Wandteppich von zunehmender Feinheit, Komplexität <strong>und</strong><br />

Reinheit ist. Verb<strong>und</strong>en mit der Einführung des Curriculums war die Auflage, ein Verfahren zu<br />

entwickeln, mit welchem Lernprozesse der Kinder erfasst werden können <strong>und</strong> dies war der Ausgangspunkt<br />

für die Entwicklung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>, der «Learning<br />

Stories», welche einen Wandel von den überlieferten Formen der Beobachtung zu einer alternativen<br />

Sicht auf Kinder darstellt <strong>und</strong> im Einklang steht mit den curricularen Rahmenbedingungen<br />

des «Te Whariki» (vgl. Leu et al., 2007, S. 20 ff.).<br />

29


2 Theoretische Konzeption 2.5 Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

2.5.2 Das <strong>Bildungs</strong>verständnis im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Wie bereits in Abschnitt 2.2 <strong>und</strong> 2.3 erwähnt orientiert sich der Ansatz der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

an einem modernen Verständnis von Bildung <strong>und</strong> Lernen, welches gr<strong>und</strong>sätzlich alle<br />

Kinder als kompetente Lerner ansieht <strong>und</strong> Bildung als Vorgang der Auseinandersetzung mit der<br />

Umwelt versteht, wobei sich das Kind die Welt durch erforschende Aktivitäten zunehmend aneignet<br />

<strong>und</strong> nach einem individuellen Bauplan für sich neu konstruiert. In dieses sich entwickelnde Weltbild<br />

werden laufend neue Eindrücke integriert <strong>und</strong> mit neuen Erfahrungen verknüpft. Die Prozesse<br />

des Lernens sind immer eingebettet in die Lebenszusammenhänge <strong>und</strong> basieren auf der Qualität<br />

von Interaktionen <strong>und</strong> Beziehungen. Ziel von Bildung <strong>und</strong> Lernen ist dabei die Erweiterung der<br />

Handlungsfähigkeit in der Welt, was bedeutet, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen,<br />

das eigenen Handeln zu reflektieren, Entscheidungen zu treffen <strong>und</strong> das eigene emotionale Leben<br />

regulieren zu können. Den Kindern soll ein Lernen ermöglicht werden, welches lustbetont <strong>und</strong><br />

erfolgreich verläuft, um das Gefühl von Kompetenz <strong>und</strong> Selbstwirksamkeit zu stärken. Im Ansatz<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> stehen also nicht Auffälligkeiten <strong>und</strong> Defizite, also nicht die<br />

Abweichung von der Norm im Vordergr<strong>und</strong>, sondern die individuellen Interessen, Kompetenzen<br />

<strong>und</strong> Strategien des Lernens. In einer anregungsreichen Umgebung, in welcher alle Kinder die<br />

Möglichkeit haben, vielfältige Erfahrungen zu sammeln, können Pädagoginnen auch lernen, nicht<br />

die Einschränkungen des Kindes sondern seine hinderlichen Entwicklungsbedingungen vermehrt<br />

zu erkennen <strong>und</strong> ihm neue Handlungs- <strong>und</strong> Erk<strong>und</strong>ungsspielräume anzubieten (vgl. Flämig et al.,<br />

2009, S. 21 f.).<br />

Ziel des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist es, Lernwege von Kindern zu verstehen,<br />

Kinder zu unterstützen <strong>und</strong> ihnen schrittweise eine immer differenziertere Partizipation zu ermöglichen.<br />

Dies erfordert einen Wandel der Sicht auf die Kinder, der defizitäre Blick auf Wissenslücken<br />

der Kinder anhand von Beobachtungsbögen wird durch eine ressourcenorientierte Sichtweise<br />

kindlicher Lernprozesse ersetzt (vgl. Leu et al., 2007, S. 48 f.).<br />

2.5.3 Die praktische Anwendung des Verfahrens<br />

Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> umfasst folgende Schritte:<br />

·· Die Beobachtung<br />

Die alltäglichen Aktivitäten eines Kindes bilden den Beobachtungsgegenstand. Die Beobachtungen<br />

werden auf dem Beobachtungsbogen festgehalten (Anhang 2). Nach Möglichkeit<br />

führen verschiedene Bezugspersonen eines Kindes Beobachtungen durch.<br />

30


2 Theoretische Konzeption 2.5 Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

·· Die Analyse nach Lerndispositionen<br />

Die Auswertung der Beobachtungen findet nach den von M. Carr entwickelten Lerndispositionen<br />

statt, die im Abschnitt 2.6.2 genauer erläutert werden (Anhang 3). Im Zentrum<br />

der Aufmerksamkeit sind dabei das Wahrnehmen <strong>und</strong> die Anerkennung der Lernprozesse,<br />

auf welche sich das Kind aufgr<strong>und</strong> seiner individuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> Kompetenzen in<br />

einer bestimmten Situation einlässt.<br />

·· Der Dialog<br />

Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist der Dialog mit dem Kind, im Team<br />

<strong>und</strong> mit den Eltern ein zentrales Element. Anschliessend an die Beobachtung <strong>und</strong> auch<br />

nach dem Vorlesen der Lerngeschichte findet ein Dialog mit dem Kind statt, um es darin zu<br />

unterstützen, die eigenen Lernprozesse <strong>und</strong> Fortschritte zu erkennen <strong>und</strong> um mit ihm die<br />

nächsten Lernschritte zu planen. Im kollegialen Austausch <strong>und</strong> in der Reflexion im Team<br />

werden die Lernprozesse des Kindes aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet <strong>und</strong> dabei<br />

die eigenen subjektiven Einschätzungen erweitert. Auch in Elterngesprächen ermöglicht<br />

das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> den Eltern einen Einblick in den Alltag<br />

<strong>und</strong> in die Lernfortschritte ihres Kindes.<br />

·· Die pädagogische Planung, die «nächsten Schritte»<br />

Durch die dokumentierte <strong>und</strong> analysierte Beobachtung erlangen die kindlichen Aktivitäten<br />

eine immer differenziertere Bedeutung. Die Fachkräfte überlegen sich, inwieweit sie bereits<br />

auf ihre Beobachtungen reagiert haben <strong>und</strong> welche zusätzlichen Anregungen sie dem Kind<br />

bieten könnten. Dadurch wird es möglich, die Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen <strong>und</strong><br />

auch in Elterngesprächen transparent zu machen.<br />

·· Die <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Diese sehr persönlichen Texte werden wie eine Art Briefe an das Kind verfasst <strong>und</strong><br />

beruhen auf den Erkenntnissen des bisher beschriebenen Verfahrens. «Durch die Lerngeschichte<br />

erfährt das Kind etwas über die Wahrnehmung <strong>und</strong> Wertschätzung seiner<br />

Lernprozesse» (Leu et al., 2007, S. 74).<br />

(vgl. Leu et al., 2007, S. 66 ff.).<br />

31


2 Theoretische Konzeption 2.5 Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Abbildung 2 Das Verfahren<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Beobachtung<br />

Dialog mit dem Kind<br />

über die Beobachtung<br />

Analyse der Beobachtung<br />

nach Lerndispositionen<br />

Kollegialer Austausch<br />

über das Lernen des Kindes<br />

Pädagogische Planung,<br />

die «nächsten Schritte»<br />

Lerngeschichte verfassen<br />

Vorlesen der Lerngeschichte,<br />

Dialog mit dem Kind <strong>und</strong> den Eltern<br />

32


2 Theoretische Konzeption<br />

2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Nachdem im vorangehenden Abschnitt die praktische Anwendung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> dargestellt wurde, werden nun die für die Anwendung notwendigen fünf<br />

Bausteine in ihrer theoretischen Verortung <strong>und</strong> im Bezug auf das Verfahren ausführlich erläutert<br />

(vgl. Abbildung 2). Der Dialog als immer wiederkehrendes Element im Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> wird hier im Anschluss an die Analyse nach Lerndispositionen dargelegt.<br />

Die für das Verfahren einsetzbaren Instrumente entstammen dem Buch «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>.<br />

<strong>Bildungs</strong>prozesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren <strong>und</strong> unterstützen.»<br />

(Leu, et al., 2007, Anhang). Sie sind im Anhang 2 bis 5 zu finden.<br />

2.6.1 Das Beobachten<br />

Im Kindergarten ist das Beobachten die am häufigsten angewandte Methode zur Erfassung des<br />

Entwicklungsstandes <strong>und</strong> des möglichen Förderbedarfs eines Kindes. Gr<strong>und</strong>legend dabei ist die<br />

Haltung der Pädagogin, aus welcher heraus beobachtet wird, sowie das fachliche <strong>und</strong> persönliche<br />

Interesse an dem, was das Kind tut <strong>und</strong> daran, wie es dies tut.<br />

Während langer Zeit war die klassische Ausgangsfrage bei Beobachtungen, ob das Kind etwas<br />

Bestimmtes bereits kann <strong>und</strong> wie es dies im Vergleich zu anderen Kindern ausführt. Dieser vergleichende,<br />

einschätzende <strong>und</strong> bewertende Blick wird heute in Frage gestellt. Neu steht die bewusste<br />

<strong>und</strong> systematische Wahrnehmung kindlicher Entwicklung, Kompetenzen, Stärken <strong>und</strong> Interessen<br />

im Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen <strong>und</strong> ist Voraussetzung dafür, den Kindern neue<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Herausforderungen anzubieten, sowie neue Lernwelten <strong>und</strong> Lernumgebungen<br />

zu schaffen (vgl. Irskens, 2005, S. 12 ff.). Beobachtungen sind zielgerichtete, auf einen definierten<br />

Kontext bezogene Tätigkeiten oder Verfahrensweisen im pädagogischen Handlungsfeld. Zielgerichtetheit<br />

bedeutet, dass Beobachtungen ohne Vorstellungen, welche Ziele damit erreicht<br />

werden sollen, wenig sinnvoll sind. Sie gewinnen ihre Bedeutung durch den Stellenwert, den sie in<br />

einer pädagogischen Konzeption einnehmen (vgl. Andres & Laewen, 2005, S. 35). Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

gehört das Thema Beobachtung zur Ausbildung <strong>und</strong> zum Handwerkszeug einer Pädagogin <strong>und</strong> ist<br />

eine Kernaufgabe professioneller Tätigkeit. Ausserdem sind das Beobachten, Wahrnehmen <strong>und</strong><br />

Verstehen Varianten der Beziehungsaufnahme <strong>und</strong> eine Gr<strong>und</strong>lage für die Begleitung kindlicher<br />

Lernprozesse (vgl. Irskens, 2005, S. 13 f.). Beobachtungen beinhalten die Chance, Kinder neu zu<br />

entdecken <strong>und</strong> schaffen eine Brücke, um mit den Kindern in einen Dialog zu treten.<br />

33


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Altrichter <strong>und</strong> Posch unterscheiden beim Beobachten zwei verschiedene Qualitäten,<br />

die sich gegenseitig ergänzen (vgl. Altrichter & Posch, 2007, S. 128 f.):<br />

·· Das intuitive Sehen, also den Blick für die ganze Situation, welcher Sicherheit für das<br />

Handeln der Pädagogin ergibt. Dabei ist die Aufmerksamkeit breit gestreut <strong>und</strong> Details<br />

können übersehen werden. Die gewonnenen Informationen werden unmittelbar für das<br />

Handeln verwertet, ohne intensive Reflexion.<br />

·· Das gezielte Hinschauen, auch direkte Prozessbeobachtung oder teilnehmende Beobachtung<br />

genannt. Diese geht davon aus, dass etwas Bestimmtes zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

beobachtet werden soll. Sie ermöglicht Erkenntnisgewinn, «weil sie an die komplexen<br />

Prozesse des Lehrens <strong>und</strong> Lernens <strong>und</strong> an den Zusammenhang, in dem diese stehen, relativ<br />

nahe heranzukommen erlaubt» (Altrichter & Posch, 2007, S. 129). Da Realität aber aus<br />

den Begriffen der Beobachtenden rekonstruiert wird <strong>und</strong> sich diesen unter Umständen<br />

auch widersetzen kann, müssen gleichzeitig eigene Annahmen <strong>und</strong> Erwartungen bewusst<br />

werden <strong>und</strong> viel Sensibilität für die Situation vorhanden sein (vgl. ebd.).<br />

Da die Beschreibung von Beobachtungssituationen immer einer subjektivenWahrnehmungsselektion<br />

<strong>und</strong> subjektiven Erwartungen unterliegen, müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden, welche<br />

die Qualität von Beobachtungen unter Umständen einschränken:<br />

·· Stereotypien, das heisst feststehende starre Vorstellungen in Bezug auf soziale Objekte<br />

·· Vorschnelle Erklärungen, Interpretationen <strong>und</strong> Wertungen, sowie eine Tendenz zu<br />

Etikettierungen<br />

·· Projektionen, das heisst Übertragungen von eigenen Problemen, Ängsten <strong>und</strong> Erfahrungen<br />

auf das beobachtete Individuum<br />

·· Lücken in der Beobachtungssequenz, die zu Mutmassungen führen<br />

·· Mildeeffekte, wodurch eindeutig negative Aussagen zurückgewiesen werden, um die Entwicklung<br />

des betroffenen Kindes nicht zu gefährden<br />

·· Die Auswahl von Beobachtungssituationen, die zu Verzerrungen führen kann<br />

(vgl. Buholzer, 2006, S. 75 f.).<br />

34


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Die Beobachtung hat innerhalb der förderdiagnostischen Methoden einen besonderen Stellenwert.<br />

Sie ist die wichtigste Form der Informationsgewinnung. Das Beobachten des Kindes, seiner Interessen,<br />

seiner Motive <strong>und</strong> seines Tuns <strong>und</strong> die darauffolgende Analyse, also der Verstehensprozess<br />

sind die Basis, auf welcher pädagogische Angebote gemacht werden. Auch im Denk- <strong>und</strong> Handlungsmodell<br />

der ICF steht die Beschreibung der kindlichen Aktivitäten im Vordergr<strong>und</strong>. Auf Gr<strong>und</strong><br />

der Schilderung wird analysiert, inwiefern umwelt- <strong>und</strong> personenbezogene Faktoren, sowie Körperfunktionen<br />

<strong>und</strong> -strukturen die Qualität der Aktivitäten beeinflussen. Durch diese verstehende<br />

Beobachtung wird gerade im heilpädagogischen Kontext das Erfassen von Sinn <strong>und</strong> Bedeutung<br />

individueller Lebensäusserungen möglich.<br />

In der heutigen Zeit steht ein grosses Angebot an Materialien zur Beobachtung von Kindern zur<br />

Verfügung. Wichtig ist dabei, zwischen Einschätzbögen, die oft fälschlicherweise als Beobachtungsbögen<br />

bezeichnet werden <strong>und</strong> auf welchen der Entwicklungsstand zu bestimmten Merkmalen<br />

beschrieben <strong>und</strong> beurteilt wird <strong>und</strong> Beobachtungsinstrumenten zu unterscheiden. Zu letzteren<br />

gehört auch das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>. Für die Wahl eines Beobachtungsinstrumentes<br />

nennt Lipp-Peetz (2007) folgende Kriterien: Kontextbezug, Trennung zwischen<br />

Wahrnehmung <strong>und</strong> Interpretation, Reflexion der eigenen Gefühle, Perspektivenwechsel, Klarheit<br />

über die «Beobachtungs-Brille», wertschätzende Dokumentation, Dialog mit dem Kind, Anhaltspunkte<br />

für Konsequenzen <strong>und</strong> Austausch mit den Kolleginnen (vgl. Lipp-Peetz, 2007, S. 53).<br />

Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> erfüllt diese Kriterien in hohem Masse.<br />

Wie bereits erwähnt ist die Beobachtung ein zentrales Element des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>. «Ziel dieser prozessorientierten Herangehensweise ist es, die Handlungen zu<br />

verstehen <strong>und</strong> die individuellen Lernprozesse des Kindes zu erkennen» (Leu et al., 2007, S. 67).<br />

Die Lernprozesse von Kindern werden dabei durch Beobachtung wahrgenommen, dokumentiert<br />

<strong>und</strong> später interpretiert. Dabei können die Kinder in den verschiedensten Situationen ihres Alltags<br />

<strong>und</strong> bei unterschiedlichen Tätigkeiten beobachtet werden, denn Lernen findet überall statt (vgl.<br />

Flämig, Musketa <strong>und</strong> Leu, 2009, S. 22). Es werden keine Testsituationen oder künstliche Arrangements<br />

erzeugt. «Dabei zeigt die Erfahrung, dass es für Kinder in der Regel keineswegs unangenehm<br />

ist, beobachtet zu werden. Vielmehr wird die Beobachtung von ihnen als Beachtung wahrgenommen,<br />

als Ausdruck von Interesse <strong>und</strong> aufmerksamer Zuwendung der Fachkraft, durch die auch ihr Selbstwertgefühl<br />

gestärkt wird» (ebd.). «Beobachten ist gezieltes Beachten der Kinder. Demzufolge enthält<br />

die Dokumentation des Beobachteten die Wertschätzung kindlichen Tuns. Kinder beobachten,<br />

heisst ihnen zu zeigen, dass sie wichtig sind <strong>und</strong> dass das, was sie tun, wichtig ist» (Preissing, 2005,<br />

S. 79).<br />

35


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Die Beobachtungssequenzen, die in der Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> von verschiedenen Bezugspersonen<br />

durchgeführt werden, bedeuten eine prozessorientierte Herangehensweise <strong>und</strong> entsprechen<br />

weitgehend der teilnehmenden Beobachtung. Dabei wird der Handlungsverlauf in unmittelbarer<br />

Nähe differenziert <strong>und</strong> detailliert beobachtet <strong>und</strong> gleichzeitig schriftlich festgehalten. Die verschriftlichte<br />

Beobachtung einer kindlichen Aktivität entspricht also einer Beschreibung der einzelnen<br />

Tätigkeiten. Dabei soll die Innenperspektive der Alltagssituation erschlossen werden (vgl. Mayring,<br />

2002, S. 81). Allerdings werden im Unterschied zur teilnehmenden Beobachtung, einem halbstandardisierten<br />

Verfahren, bei der Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> im Vorfeld keine<br />

Beobachtungsdimensionen festgelegt. «Eine Strukturierung der zunächst ‹freien Beobachtung›<br />

[Hervorhebung des Verfassers] erfolgt erst in einem zweiten Schritt durch die Auswertung anhand<br />

der Lerndispositionen...» (Leu et al., 2007, S. 67).<br />

Durch das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> wird die Wahrnehmung für lernrelevante<br />

Momente kindlicher Aktivitäten geschärft <strong>und</strong> es gelingt den Pädagoginnen immer besser, entsprechende<br />

Situationen für die Beobachtung auszuwählen. Damit auch zu einem späteren Zeitpunkt<br />

der Kontext der Beobachtung nachvollzogen werden kann, wird zu Beginn der Beobachtung die<br />

Ausgangslage beschrieben. Bei der Beschreibung des Handlungsverlaufes konzentriert sich der<br />

Beobachter ausschliesslich auf die Aktivitäten eines Kindes <strong>und</strong> achtet zusätzlich auf individuelle<br />

Ausdrucksformen wie verbale Mitteilungen, Dialoge, Mimik <strong>und</strong> Gestik sowie auf Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> Strategien. Des Weiteren muss auf Interpretationen <strong>und</strong> Bewertungen verzichtet werden, da dies<br />

der beobachtenden Pädagogin ermöglicht, Distanz zu gewinnen zu den eigenen Bewertungs- <strong>und</strong><br />

Deutungsmustern. Eine zusätzliche Unterstützung in diesem Prozess bietet der regelmässige Austausch<br />

im Team, wodurch die individuellen Einschätzungen <strong>und</strong> Interpretationen einer einzelnen<br />

Fachkraft durch die anderen Teammitglieder ergänzt <strong>und</strong> gegebenenfalls auch korrigiert werden<br />

(vgl. Leu et al., 2007, S. 67 ff.).<br />

Durch die Anwendung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>-<strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> werden die Beobachtungen<br />

systematisiert <strong>und</strong> verlieren ihren zufälligen Charakter, da jedes Kind in regelmässigen Abständen<br />

beobachtet wird <strong>und</strong> der Blick von besonderen Situationen auf die alltäglichen Aktivitäten <strong>und</strong><br />

Lernprozesse der Kinder gelenkt wird. Alle erleben somit Beobachtung <strong>und</strong> Wertschätzung, wie es<br />

Kazemi-Visari (2005) in ihren zehn Thesen zur Beobachtung darstellt (S. 87).<br />

36


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Von der Beobachtung zur Achtung<br />

Erika Kazemi-Veisari<br />

Zehn Thesen zur Beobachtung<br />

1. Beim Be(ob)achten werden keine Fakten, sondern Botschaften<br />

wahrgenommen: gesehen, gehört, gefühlt, gedacht.<br />

2. Be(ob)achtungen wählen aus; sie heben hervor, übersehen, deuten.<br />

3. Be(ob)achtungen erfassen nur sichtbare <strong>und</strong> hörbare Aspekte;<br />

die Persönlichkeit des Kindes ist mehr als die Summer der beobachteten<br />

Teile.<br />

3. Die Art <strong>und</strong> Weise, wie Kinder sich ausdrücken, ist nicht unmittelbar<br />

zu verstehen.<br />

5. Be(ob)achtungen werden oft durchgeführt, weil Erwachsene ihre<br />

Probleme mit dem Kind lösen wollen.<br />

6. Be(ob)achtungen sind entscheidend geprägt von der Haltung,<br />

mit der sie durchgeführt werden.<br />

7. Kinder reagieren auf Be(ob)achtungen; sie »richten sich darauf<br />

ein«, was sie als Beobachtete spüren.<br />

8. Be(ob)achtungen können nur zu Achtungen führen, wenn sie<br />

dialogisch sind. Sie werden nicht »am Kind« durchgeführt, sondern<br />

sind eine Form der Kommunikation mit dem Kind.<br />

9. Auch Kinder be(ob)achten ständig <strong>und</strong> aufmerksam, auch sie<br />

deuten, was sie wahrnehmen.<br />

10. Aus Be(ob)achtungen lassen sich immer (!) widersprüchliche <strong>und</strong><br />

verschiedene Schlussfolgerungen ziehen.Deshalb müssen Schlussfolgerungen<br />

kommuniziert werden.<br />

Abbildung 3 Thesen zur Beobachtung<br />

2.6.2 Die Analyse nach Lerndispositionen<br />

Lerndispositionen bilden im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> den Kern des Ansatzes<br />

<strong>und</strong> sind bei der Beobachtung <strong>und</strong> Dokumentation von kindlichem Lernen von grosser Bedeutung.<br />

Sie bilden die Gr<strong>und</strong>lage der Analyse. Carr definiert Lerndispositionen als persönliches Repertoire<br />

an Lernstrategien <strong>und</strong> Motivation, mit denen jeder Mensch, die ihm gebotenen Lerngelegenheiten<br />

wahrnimmt, sie erkennt, beantwortet, auswählt oder auch entwickelt. Dieser F<strong>und</strong>us an individuellen<br />

Strategien wird durch die Lernbemühungen auch fortlaufend ergänzt <strong>und</strong> erweitert. Lerndispositionen<br />

sind eine gr<strong>und</strong>legende Vorraussetzung für Lern- <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>prozesse <strong>und</strong> bilden<br />

das F<strong>und</strong>ament für ein lebenslanges Lernen, da in ihnen die Motivation <strong>und</strong> die Fähigkeit zum<br />

Ausdruck kommt, wie sich Menschen mit neuen Anforderungen <strong>und</strong> Situationen auseinandersetzen<br />

(vgl. Leu et al., 2007, S. 49).<br />

87<br />

37


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Bei der Analyse von Beobachtungen orientieren sich die Beobachtenden nicht an Basiskompetenzen,<br />

wie diese im Abschnitt 2.4.1 erwähnt sind, sondern an den folgenden von Carr ausdifferenzierten<br />

Aspekten von Lerndispositionen, die den Blick auf die Ressourcen der Kinder ins Zentrum rücken.<br />

Die fünf Lerndispositionen nach Carr lauten:<br />

interessiert sein<br />

engagiert sein<br />

standhalten bei Herausforderungen <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

sich ausdrücken <strong>und</strong> mitteilen<br />

An einer Lerngemeinschaft mitwirken <strong>und</strong> Verantwortung übernehmen<br />

Jede dieser Lerndispositionen setzt sich im Weiteren aus drei Elementen zusammen:<br />

·· «Being ready» umschreibt, dass das Kind sich als Lerner sieht <strong>und</strong> motiviert ist, zu lernen.<br />

·· «Being willing» bedeutet, dass das Kind eine Situation als Lernmöglichkeit wahrnimmt.<br />

·· «Being able» umschreibt den Aspekt des Wissens <strong>und</strong> der Fähigkeit, die ein Kind braucht,<br />

damit es seinen Neigungen <strong>und</strong> Interessen nachgehen kann.<br />

(vgl. Leu et al., 2007, S. 50)<br />

Bei der Entwicklung dieser drei Komponenten spielen Erwachsene eine wichtige Rolle. Sie sind<br />

diejenigen Bezugspersonen, die die Lernbemühungen eines Kindes wertschätzen, damit sich das<br />

Kind selbst als lernend, erlebt <strong>und</strong> motiviert <strong>und</strong> «ready» ist. Die zentrale Bedeutung von verlässlichen<br />

Beziehungen für die Entwicklung des Kindes wurde auch schon im Abschnitt 2.1.5 erwähnt.<br />

Erwachsene sind verantwortlich dafür, dass Situationen so beschaffen sind, dass das Kind Lerngelegenheiten<br />

auch wahrnehmen kann, also «willing» ist. Ein zentraler Punkt ist letztlich auch, dass<br />

Erwachsene dafür sorgen sollten, dass Kinder «able» sind, also Wissen <strong>und</strong> Fähigkeiten erwerben,<br />

auch indem sie ihnen etwas zeigen, erklären oder auch mit ihnen unterschiedliche Lösungen für<br />

bestimmte Fragen erörtern (vgl. Leu et al., 2007, S. 50).<br />

Die fünf Lerndispositionen stehen auch in Bezug zu den fünf Strängen «Zugehörigkeit»,<br />

«Wohlbefinden», «Exploration», «Kommunikation» <strong>und</strong> «Partizipation» des «Te Whariki»,<br />

des Nationalen Curriculums für Frühpädagogik in Neuseeland. Carr zeigt den Zusammenhang<br />

zwischen den Lerndispositionen <strong>und</strong> den gr<strong>und</strong>legenden Dimensionen des neuseeländischen Curri-<br />

38


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

culums als Metapher des Eisberges auf: Lerndispositionen sind die Spitze der Eisberge, die Stränge<br />

des Curriculums sind das F<strong>und</strong>ament der fünf Lerndispositionen. Das eigentliche F<strong>und</strong>ament ist<br />

sehr umfangreich <strong>und</strong> liegt unter dem Wasser, somit ausserhalb der direkten Wahrnehmung.<br />

Die Lerndispositionen sind als Spitze des Eisberges erkennbar <strong>und</strong> kommen in den Aktivitäten der<br />

Kinder zum Ausdruck (vgl. Leu et al., 2007, S. 50).<br />

interessiert sein engagiert sein standhalten ausdrücken Lerngemeinschaft<br />

Zugehörigkeit Wohlbefinden Exploration Kommunikation Partizipation<br />

Abbildung 4 Eisberg-Modell (Leut et al., 2007, S. 51)<br />

Als Gr<strong>und</strong>lage dafür dass ein Kind Interesse zeigt <strong>und</strong> auf etwas zugeht, gilt die Erfahrung von<br />

Zugehörigkeit. Das eigene Wohlbefinden ist eine Voraussetzung, dass sich ein Kind engagiert <strong>und</strong><br />

sich mit einer Sache auseinandersetzt. Kinder entwickeln Strategien <strong>und</strong> Motivation, wodurch<br />

sie bei Schwierigkeiten standhalten <strong>und</strong> nicht gleich aufgeben oder etwas auf verschiedene Weise<br />

ausprobieren, erforschen <strong>und</strong> explorieren, wenn sie Zeit <strong>und</strong> Möglichkeit haben. Damit Kinder<br />

lernen sich auszudrücken <strong>und</strong> mitzuteilen, brauchen sie immer wieder eine Umgebung, in der sie<br />

auf verschiedene Art <strong>und</strong> Weise kommunizieren können. Kinder entfalten die Disposition, an<br />

Lerngemeinschaften mitzuwirken <strong>und</strong> Verantwortung zu übernehmen, wenn sie bei Aktivitäten<br />

<strong>und</strong> Diskussionen vielfältig miteinbezogen werden <strong>und</strong> partizipieren können (vgl. Leu et al., 2007,<br />

S. 50).<br />

Die Lerndispositionen sind an keine spezifischen Inhalte geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> lassen sich in beliebigen<br />

Situationen <strong>und</strong> Tätigkeiten von Menschen erkennen <strong>und</strong> beobachten. Es entsteht immer eine<br />

Wechselwirkung zwischen dem, was in einer Person steckt <strong>und</strong> dem, was in einer Situation liegt.<br />

Diese beiden Aspekte sind nicht getrennt voneinander zu interpretieren. Wieweit Kinder Interessen<br />

verfolgen <strong>und</strong> ihre Lerndisposition entfalten können, ist demzufolge abhängig von den inhaltlichen<br />

Neigungen des Kindes, aber auch von den äusseren Bedingungen <strong>und</strong> Gelegenheiten, die dem<br />

Kind geboten werden oder zur Verfügung stehen. Lerndispositionen können durch Wertschätzung<br />

gefördert oder auch durch Nichtbeachtung eingeschränkt werden (vgl. Leu et al., 2007, S. 51).<br />

39


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Im Folgenden werden die fünf Lerndispositionen nach Carr kurz erläutert:<br />

·· interessiert sein<br />

Unter der ersten Lerndisposition versteht man, dass Kinder an etwas Interesse zeigen,<br />

sich Personen oder Sachen aufmerksam <strong>und</strong> fokussiert zuwenden <strong>und</strong> sich mit ihnen auseinandersetzen.<br />

Sie erwerben so Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten. Diese Interessen können sich in<br />

körperlichen, künstlerischen oder sozialen Aktivitäten zeigen <strong>und</strong> müssen keineswegs nur<br />

im Bereich von kognitivem Verstehen liegen.<br />

·· engagiert sein<br />

Die zweite Lerndisposition beinhaltet, dass sich Kinder engagiert zeigen <strong>und</strong> bereit sind,<br />

sich auf Personen, Dinge <strong>und</strong> Situationen einzulassen. Wenn sich Kinder für einige Zeit auf<br />

ein Thema einlassen <strong>und</strong> sich vertieft damit beschäftigen, geschieht es, dass sie sich damit<br />

identifizieren. Das Thema wird dann zu einem Teil der eigenen Person. Dadurch setzen sie<br />

sich mit der Situation intensiv auseinander <strong>und</strong> kennen sich mit dem Thema immer besser<br />

aus. Ein solches Engagement setzt voraus, dass sich Kinder über eine längere Zeit vertieft<br />

mit etwas beschäftigen können.<br />

·· standhalten bei Herausforderungen <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

Die dritte Lerndisposition umfasst die Fähigkeit, dass Kinder auch bei Schwierigkeiten <strong>und</strong><br />

Herausforderungen eine Tätigkeit weiterführen, Problemlösungen entwickeln <strong>und</strong> Fragen<br />

stellen, um ihr Wissen zu erweitern. Darin enthalten ist die Erfahrung, dass man aus Fehlern<br />

lernen <strong>und</strong> bei Schwierigkeiten auch selber Lösungen finden kann. Kinder probieren Neues<br />

aus, gehen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, zeigen explorierendes Verhalten, um nächste<br />

Entwicklungsschritte zu machen. Kinder, die erleben, dass Fehler <strong>und</strong> Schwierigkeiten zu<br />

Lernprozessen gehören <strong>und</strong> die in ihrem explorierenden Verhalten durch Situationen <strong>und</strong><br />

Interaktionen bestätigend unterstützt werden, können bei Herausforderungen <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

besonders gut standhalten.<br />

40


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

·· sich ausdrücken <strong>und</strong> mitteilen<br />

Bei der vierten Lerndosposition geht es darum, dass sich Kinder mit anderen austauschen,<br />

sich mitteilen, ihre Gefühle, Ideen, Wünsche <strong>und</strong> Interessen ausdrücken. Hierbei liegt<br />

der Fokus nicht nur auf der gesprochenen Sprache sondern auch auf den nonverbalen<br />

Ausdrucksformen in der Kommunikation. Diese Lerndisposition setzt voraus, dass Lernumgebungen<br />

so gestaltet werden, dass den Kindern zugehört wird <strong>und</strong> sie sich sprachlich<br />

frei äussern können.<br />

·· an einer Lerngemeinschaft mitwirken <strong>und</strong> Verantwortung übernehmen<br />

Die fünfte Lerndisposition besteht darin, dass das Kind die Bereitschaft zeigt, Situationen<br />

<strong>und</strong> Dinge auch von einer anderen Position aus zu sehen, an einer Lerngemeinschaft mitzuwirken<br />

<strong>und</strong> Verantwortung zu übernehmen. Es geht auch darum, eine Vorstellung von<br />

Gerechtigkeit <strong>und</strong> Unrecht zu entwickeln, als Kind Entscheidungen zu treffen <strong>und</strong> über sich<br />

oder eine Situation Auskunft geben zu können. Weiter beinhaltet diese fünfte Disposition<br />

auch, dass Kinder mit anderen zusammen Strategien oder Erklärungen im Austausch entwickeln<br />

können <strong>und</strong> Verantwortung in der Lerngemeinschaft, in der Gruppe übernehmen.<br />

Um diese Lerndisposition zu entfaltet, bedingt es Situationen, die Lerngemeinschaften<br />

begünstigen, so dass die Kinder für jemanden oder etwas auch Verantwortung übernehmen<br />

können. So erleben sie ihr eigenes Mitwirken <strong>und</strong> können in der Lerngemeinschaft partizipieren<br />

(vgl. Leu, et al., 2007, S. 51ff.).<br />

Die einzelnen Lerndispositionen überschneiden sich häufig <strong>und</strong> können nicht immer klar voneinander<br />

abgegrenzt werden. Es gilt die Regel, dass die dritte Lerndisposition «standhalten bei der<br />

aktuellen Herausforderung» jeweils auch «engagiert sein» <strong>und</strong> «interessiert sein» voraussetzt<br />

<strong>und</strong> beinhaltet. Bei der Planung der «nächsten Schritte» geht es darum einzuschätzen, welche<br />

Lerndisposition schon entwickelt ist <strong>und</strong> ob das Kind bereit ist, neue Herausforderungen anzunehmen<br />

(siehe auch Abschnitt 2.6.4). Es müssen auch keineswegs in jeder Analyse alle Lerndispositionen<br />

herausgearbeitet werden <strong>und</strong> sie müssen auch nicht gleichwertig auftreten. Die<br />

Gewichtung <strong>und</strong> Zuordnung ist von Kind zu Kind verschieden <strong>und</strong> somit sehr individuell.<br />

In welchem Masse die Lerndispositionen in den Tätigkeiten der Kinder zum Tragen kommen,<br />

ist ein Indikator für die «<strong>Bildungs</strong>relevanz» ihrer Aktivität. «Setzen sich Kinder interessiert <strong>und</strong><br />

engagiert mit äusseren Anforderungen auseinander, so erwerben sie Kenntnisse <strong>und</strong> Fertigkeiten,<br />

die für ein zunehmend differenzierteres <strong>und</strong> tieferes Verstehen, für selbstständiges Handeln, sowie<br />

für eine zunehmende Partizipation notwendig sind» (Leu et. al., 2007, S. 54).<br />

41


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

2.6.3 Der Dialog<br />

Im Buch «Die Kunst des Dialogs» von Hartkemeyer (2005) wird der Begriff Dialog im ursprünglichen<br />

Wortsinn verstanden: «dia» hindurch, «logos» Wort, Sinn, Bedeutung. Dialog bedeutet<br />

demzufolge «das Fliessen von Sinn». David Bohm, ein anglo-amerikanischer Quantenphysiker<br />

(1917<strong>–</strong>1992) <strong>und</strong> der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878<strong>–</strong>1965) beeinflussten das<br />

Dialogverständnis im letzten Jahrh<strong>und</strong>ert stark. Bohm verstand den Dialog weder als Diskussion,<br />

Debatte noch als Disput, sondern als Möglichkeit «(...) das rein analytisch-rationale Denken<br />

aufzuheben, um hinter die Oberfläche der Erscheinungen zu schauen <strong>und</strong> die zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Zusammenhänge von Problemstellungen besser erkennen zu können» (Bohm, zit. nach Hartkemeyer,<br />

2005, S. 33). Das Führen eines wirklichen Dialoges ist für Bohm ein Mittel, um zu erkennen, wie<br />

unser Denken abläuft, wie unsere Sicht der Welt aufgebaut ist (vgl. Hartkemeyer, 2005, S. 33).<br />

Der jüdische Religionsphilosoph Buber hingegen legt den Schwerpunkt mehr auf das Zwischenmenschliche,<br />

auf die Ich-Du-Beziehung <strong>und</strong> beschreibt den Dialog als Zwiegespräch, als echtes<br />

Zusammentreffen von Menschen. Sein Verständnis von Dialog geht so weit, dass in einem echten<br />

Gespräch die Sprechenden sich nicht nur wahrnehmen, sondern sich auch gegenseitig als Partner<br />

annehmen, also die andere Seite bestätigen, ohne sie billigen zu müssen. Ein echter Dialog ist für<br />

Buber ein Gespräch in dem «(...)jeder der Teilnehmer den oder die Anderen in ihrem Dasein <strong>und</strong><br />

Sosein wirklich meint <strong>und</strong> sich ihnen in der Intention zuwendet, dass lebendige Gegenseitigkeit<br />

sich zwischen ihm <strong>und</strong> ihnen stiftet» (Buber, zit. nach Hartkemeyer, 2005, S. 34).<br />

Bohms Perspektive liegt folglich eher darin, Sicherheiten zu hinterfragen <strong>und</strong> die eigenen Interpretationsmuster<br />

zu überprüfen, während Buber sein Augenmerk vermehrt auf die zwischenmenschlichen<br />

Begegnungen legt. Beide Perspektiven können, sowohl bei einem Individuum wie<br />

auch bei Gruppen, neue Erfahrungs- <strong>und</strong> Gedankenwelten eröffnen (vgl. Hartkemeyer, 2005, S. 34).<br />

Im Dialog geht es immer wieder darum, eine Haltung einzunehmen, die darauf basiert, dass nie<br />

mit absoluter Sicherheit erkannt werden kann, wie die Welt aus einer anderer Perspektive, aus dem<br />

Blickwinkel des Gegenübers aussieht <strong>und</strong> auf welchen Erfahrungen, Gr<strong>und</strong>haltungen <strong>und</strong> Bedürfnissen<br />

er oder sie die Welt interpretiert (vgl. Hartkemeyer, 2005, S. 39). «Wenn ich meinem<br />

Gegenüber als nicht ‹besser›-wissend, sondern als lernbereit entgegentrete, habe ich eine Chance,<br />

mein Verständnis zu vertiefen <strong>und</strong> meine Perspektive zu erweitern» (Hartkemeyer, 2005, S. 39).<br />

Auch im Kindergarten <strong>und</strong> in der Schule ist der Dialog zwischen Lehrenden <strong>und</strong> Lernenden oder<br />

zwischen Lernenden <strong>und</strong> Lernenden ein wichtiges Element im Entwicklungsprozess, wie dies<br />

im Abschnitt 2.1.2 bei der Entwicklung der Sprache betont wurde. Zentral für einen gelingenden<br />

Dialog ist nach Hartkemeyer (2005) die Unterscheidung von Beobachtung <strong>und</strong> Interpretation,<br />

42


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

weil letztere von Bewertung geprägt ist. Bei der Beobachtung <strong>und</strong> dem darauffolgenden Dialog<br />

werden Lernende zur Reflexion ermutigt, die Selbsteinschätzung wird gefördert <strong>und</strong> ein gemeinsamer<br />

Erwartungshorizont kann abgesteckt werden. Daraus werden nächste Entwicklungsziele<br />

formuliert. Eine solche dialogische Lernkultur verändert auch die Rolle der Lehrpersonen. Sie<br />

werden von Unterrichtenden zu Lernprozess-Begleiterinnen, welche die Selbstbildungsprozesse<br />

<strong>und</strong> das Erleben von Selbstwirksamkeit fördern, wie im Abschnitt 2.3 bereits dargelegt wurde. Sie<br />

übernehmen dabei die folgenden Aufgaben:<br />

·· forschendes, entdeckendes Lernen stärken<br />

·· Mitbestimmung <strong>und</strong> Mitbeteiligung ermöglichen<br />

·· Kultur gegenseitiger Wertschätzung entwickeln<br />

·· Ermutigung statt Beschämung pflegen<br />

·· verschiedene Lernzugänge fördern<br />

·· Selbstbewusstsein, Selbständigkeit <strong>und</strong> Selbstgefühl stärken<br />

·· altersübergreifende Gruppen statt Selektion in den Vordergr<strong>und</strong> stellen<br />

·· Förderung sozialer Kompetenzen <strong>und</strong> Kooperationskultur in den Mittelpunkt stellen<br />

·· Persönlichkeitsbildung statt kurzsichtige Fachausbildung stärken<br />

(vgl. Hartkemeyer, S. 165)<br />

Viele dieser oben erwähnten Punkte sind auch bei den <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> von zentraler<br />

Bedeutung <strong>und</strong> werden in Bezug gesetzt zu diesem Verfahren, welches kindliche Lernprozesse <strong>und</strong><br />

die Erweiterung der Lerndispositionen der Kinder fördert. Zugleich geht es darum, die Kinder zu<br />

unterstützen, sich ihrer eigenen Lernprozesse <strong>und</strong> -fortschritte, sowie ihrer Lernstrategien bewusst<br />

zu werden. Durch den Dialog mit dem Kind <strong>und</strong> der Reflexion im Team werden Beobachtungen,<br />

die Lehrpersonen gemacht haben, ergänzt, hinterfragt <strong>und</strong> überprüft. So entsteht eine mögliche,<br />

neue Perspektive, wie dies Bohm in seinem Dialogverständnis umschrieben hat.<br />

Damit Kinder das aktive Lernen mitgestalten können, ist es wichtig, dass die Beziehungen zu ihren<br />

Erziehenden partnerschaftlich <strong>und</strong> gleichwertig aufgebaut sind, auf dem Prinzip der «wechselseitigen<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung» , ein zentraler Punkt im zu Beginn dieses Abschnittes<br />

erläuterten Dialogverständnis von Martin Buber. Diese Gr<strong>und</strong>haltung zeigt sich besonders auch<br />

im Dialog mit dem Kind. «Die elementare Gr<strong>und</strong>lage des Dialogs <strong>und</strong> einer entsprechenden<br />

43


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Haltung ist eine Atmosphäre der Sicherheit. Dies kann entstehen, wenn pädagogische Fachkräfte<br />

dem einzelnen Kind <strong>und</strong> seinen Sichtweisen mit Akzeptanz <strong>und</strong> Toleranz begegnen <strong>und</strong> sich<br />

darüber hinaus bemühen, sich in die Perspektive des Kindes hineinzuversetzen» (Leu et al., S. 110).<br />

Wichtig ist bei diesem Dialog auch, dass die Fachkraft ihre eigenen Gedanken <strong>und</strong> Gefühle zum<br />

Ausdruck bringt, ohne sich zu verstellen, denn echter Dialog beinhaltet Authentizität, Vertrauen<br />

<strong>und</strong> Offenheit auf beiden Seiten. Dieser dialogische Austausch unterstützt die Kinder bei ihren<br />

Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozessen <strong>und</strong> wirkt auch durch seine Offenheit unterstützend bei Elterngesprächen.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich gilt, dass der Austausch mit Kindern individuell gestaltet werden sollte. Berücksichtigt<br />

werden dabei der Entwicklungsstand, die sprachliche Fähigkeit, sowie die Vorlieben <strong>und</strong><br />

Interessen der einzelnen Kinder. Eine dialogische Gr<strong>und</strong>haltung zeichnet sich bei den <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> auch dadurch aus, feinfühlig auf den Gesprächsbedarf der Kinder reagieren<br />

zu können. Dies gilt für den Zeitpunkt, den Ort <strong>und</strong> die Ausgestaltung des Austausches (vgl. Leu<br />

et al., 2007, S.111 ff.).<br />

Im Folgenden werden einige Möglichkeiten umschrieben, wie der Dialog mit den Kindern angeregt<br />

<strong>und</strong> unterstützt werden kann.<br />

·· Austausch mit Kindern anhand von Beobachtungen <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Nach den Beobachtungen bietet sich oft die Gelegenheit, sich mit dem Kind oder einer<br />

Gruppe von Kindern über die Aktivitäten, Interessen <strong>und</strong> Fragen auszutauschen. Eine gute<br />

Möglichkeit bieten auch die verfassten <strong>Lerngeschichten</strong>, die dem Kind vorgelesen werden<br />

<strong>und</strong> über die nachher der Dialog mit dem Kind geführt wird.<br />

·· Aussagen der Kinder dokumentieren<br />

Die im Dialog mit der Lehrperson geäusserten Gedanken <strong>und</strong> Sichtweisen der Kinder<br />

werden in die Dokumentationen (Wanddokumentationen, Portfolios, <strong>Lerngeschichten</strong> unter<br />

anderem) aufgenommen <strong>und</strong> notiert.<br />

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2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

·· Der Austausch mit Kindern anhand von Fotografie <strong>und</strong> digitalen Medien<br />

Fotografien sind sehr wichtig für Kinder. Sie erkennen sich <strong>und</strong> andere darauf wieder <strong>und</strong><br />

erinnern sich gut an die festgehaltenen Situationen. Dies fördert, die eigenen Erlebnisse<br />

<strong>und</strong> Erinnerungen in Worte zu fassen <strong>und</strong> ermöglicht einen intensiven Austausch über die<br />

Momentaufnahmen. Gleichzeitig ist es eine gute Gelegenheit, über die Fotodokumentationen<br />

auch mit den Eltern ins Gespräch zu kommen.<br />

·· Der Austausch mit den Kindern anhand der Portfolios <strong>und</strong> Wanddokumentationen<br />

Auch Wanddokumentationen <strong>und</strong> die individuellen Portfolios ergeben eine vielfältige Möglichkeit<br />

mit den Kindern <strong>und</strong> den Eltern ins Gespräch zu kommen. Gerade die persönlichen<br />

Portfolios, auch Schatzmappen, <strong>Bildungs</strong>- oder Könnerbücher genannt, unterstützen einen<br />

intensiven, wertschätzenden Dialog, da die Kinder ihre Entwicklungsschritte immer wieder<br />

betrachten <strong>und</strong> reflektieren können <strong>und</strong> dies auch sichtbar dokumentiert ist.<br />

·· Interview mit Kindern<br />

Das «Interview» ist eine spezielle Form eines ungestörten Gespräches, zu dem sich ein<br />

Kind <strong>und</strong> eine Lehrperson verabredet haben. Die Themen sind offen <strong>und</strong> werden auch durch<br />

die Interessen der einzelnen Kinder bestimmt. Die Kinder erhalten in diesen Momenten<br />

die ungeteilte Aufmerksamkeit der Lehrperson, die nun auch wieder einen anderen Blick<br />

auf ein Kind bekommen kann durch die Gesprächsmöglichkeit in diesem Ich-Du-Arrangement.<br />

Das Interview wird von der Lehrperson verschriftlicht <strong>und</strong> anschliessend im Portfolio<br />

abgelegt.<br />

·· Die Kinderkonferenz<br />

Kinderkonferenzen ermöglichen den Lernenden die Partizipation <strong>und</strong> fördern das Gefühl<br />

von Selbstwirksamkeit, da sie in die Versammlung von Kindern <strong>und</strong> Lehrpersonen ihre<br />

Gedanken einbringen, nach Lösungen suchen, Ideen entwickeln <strong>und</strong> Wünsche formulieren,<br />

um daraus Projektideen zu verwirklichen <strong>und</strong> «nächste Schritte» zu planen. Auch Konfliktsituationen<br />

können mit Hilfe der Konferenz gelöst werden <strong>und</strong> Gruppenentscheide werden<br />

mit Hilfe von demokratischen Abstimmungsformeln getroffen. Die Ergebnisse der Konferenzen<br />

werden mit den Kindern zusammen dokumentiert <strong>und</strong> für alle zugänglich platziert.<br />

(vgl. Leut et al., 2007, S.114 ff.)<br />

45


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Die beschriebenen Praxisbeispiele erläutern, wie wertvoll der dialogische Austausch im Kindergarten<br />

<strong>und</strong> in der Schule ist. Der Lernprozess der Kinder wird im Dialog begleitet, unterstützt <strong>und</strong><br />

reflektiert. Die Kinder üben, ihre Pläne für ihr weiteres Handeln zu artikulieren, so können sie ihre<br />

Lernstrategien immer bewusster <strong>und</strong> differenzierter einsetzen. Ähnlich wie der Austausch mit den<br />

Kindern sollte auch der Austausch mit den Eltern von einer dialogischen Gr<strong>und</strong>haltung geprägt<br />

sein. Es sollte die Möglichkeit bestehen, im Dialog nicht nur Vorstellungen über die Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Erziehung der Lernenden auszutauschen, sondern auch gemeinsam neue Ideen zu entwickeln,<br />

da das Kind aus verschiedenen Perspektiven beobachtet worden ist. Besonders bei unterschiedlichen<br />

Einschätzungen <strong>und</strong> Vorstellungen ist eine dialogische Gr<strong>und</strong>haltung von grosser Wichtigkeit, da<br />

die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Lehrperson <strong>und</strong> Eltern eine Verbindung zwischen<br />

den Welten der Familie <strong>und</strong> des Kindergartens erzeugt, die das Kind in seiner Entwicklung unterstützt.<br />

Gegenseitiges Vertrauen <strong>und</strong> Wertschätzung zwischen Eltern <strong>und</strong> Lehrpersonen bereiten<br />

den Boden für eine gute Zusammenarbeit (vgl. Leu et al., S.114 ff.).<br />

Beim Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist auch der Austausch, der Dialog mit<br />

anderen Fachkräften von grosser Bedeutung <strong>und</strong> dient dem Austausch über Beobachtungen,<br />

die in diesem Kontext eine neue Bedeutung im pädagogischen Handeln erhalten. Carr erläutert<br />

das Verhältnis zwischen alltäglichem Beobachten <strong>und</strong> Handeln <strong>und</strong> der systematischen Aufzeichnung,<br />

Auswertung <strong>und</strong> Dokumentation von Beobachtungen mithilfe der Metapher eines<br />

«progressiven Filters»:<br />

46


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

wahrnehmen<br />

erkennen<br />

reagieren<br />

dokumentieren<br />

austauschen<br />

Abbildung 5 Progressiver Filter (Leu et al., 2007,S. 55)<br />

Nicht alle Wahrnehmungen einer Pädagogin dringen ins Bewusstsein <strong>und</strong> führen zu einem Erkennen,<br />

sie werden durch einen individuellen Selektionsprozess gefiltert. Da die Erziehenden nicht auf<br />

alle Erkenntnisse reagieren können oder wollen, erfolgt hier ein zweiter Selektionsprozess. Wahrnehmen<br />

<strong>und</strong> Erkennen findet im pädagogischen Alltag ständig statt <strong>und</strong> üblicherweise erfolgt eine<br />

unmittelbare Reaktion. Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> werden nun für ausgewählte<br />

Situationen das Dokumentieren <strong>und</strong> der Austausch mit anderen dem Reagieren, gemeint ist<br />

hier die Planung der «nächsten Schritte», vorangestellt. Dadurch wird der eingeschliffene Ablauf<br />

von Wahrnehmen, Erkennen <strong>und</strong> Reagieren durch eine detaillierte Wahrnehmung, durch eine<br />

systematische Analyse <strong>und</strong> durch den Austausch im Team <strong>und</strong> mit dem Kind abgelöst. Es werden<br />

neue Interpretations- <strong>und</strong> Handlungsräume eröffnet. Eigene Eindrücke von einem Kind werden<br />

verglichen <strong>und</strong> durch die Sicht anderer Lehrpersonen ergänzt. Der Dialog im Team, mit den Eltern<br />

<strong>und</strong> dem Kind tragen dazu bei, Lernprozesse zu erkennen <strong>und</strong> das Kind umfassender einzuschätzen<br />

<strong>und</strong> zu unterstützen (vgl. Leu et al., 2007, S. 55 f.).<br />

47


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

2.6.4 Die pädagogische Planung, die «nächsten Schritte»<br />

In den Volksschulen der Deutschschweiz, die heute nach einem integrativen Verständnis arbeiten,<br />

spielen die Förderdiagnostik <strong>und</strong> die Förderplanung eine zentrale Funktion für die Gestaltung<br />

eines integrativen Unterrichtes. Aus der Förderdiagnostik, aus beschreibenden Daten, werden<br />

Strukturen für das spätere pädagogische, didaktische <strong>und</strong> therapeutische Handeln in der konkreten<br />

Unterrichtssituation abgeleitet. In der Förderplanung werden die künftigen Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsschritte<br />

festgehalten <strong>und</strong> es wird angeführt, wie die vorgenommenen Zielsetzungen am besten<br />

umgesetzt werden können. Im Zentrum des Förderkonzeptes stehen dabei das handelnde Subjekt<br />

<strong>und</strong> die Schaffung von Möglichkeitsräumen. Die daraus formulierten Förderziele beabsichtigen<br />

einerseits, die Auffälligkeiten zu verringern oder andererseits, Kompensationsmöglichkeiten zu<br />

finden, indem Lernsituationen verändert werden, zusätzliche Hilfe angeboten wird oder Lernziele<br />

angepasst werden (vgl. Buholzer, 2006, S. 63 f.).<br />

Im «Merkblatt Förderplanung des Kantons Aargau» wird die Förderplanung folgendermassen<br />

umschrieben: «Die Förderplanung geht vom Ist-Zustand aus (Diagnose), beschreibt einen Soll-<br />

Zustand (Lernziele) <strong>und</strong> definiert notwendige Massnahmen <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten (Umsetzung).<br />

Das Formular Förderplanung dient als Planungsgr<strong>und</strong>lage für alle Beteiligten»(Kt. Aargau,<br />

2008, Merkblatt Förderplanung IHP/UME). Zur Förderplanung gehören das Förderjournal, die<br />

Beschreibung der Kompetenz-, beziehungsweise Fachbereiche, der Lernziele <strong>und</strong> der Fördermassnahmen.<br />

Für diese Formulierungen stehen Begriffe aus dem Schulischen Standortgespräch, sowie<br />

Kompetenzmodelle zur Verfügung. Im Abschnitt Förderjournal wird darauf hingewiesen, dass vor<br />

dem Festlegen der Lernziele eine Analyse vorgenommen werden sollte, welche die schulischen<br />

<strong>und</strong> ausserschulischen Stärken der Schüler berücksichtigt. Ausserdem wird betont, dass bei der Ausarbeitung<br />

der Fördermassnahmen nicht nur die Lernmaterialien <strong>und</strong> Lehrmittel, sondern auch die<br />

besonders zu beachtenden Lernsituationen festgehalten werden sollen, zum Beispiel die Feedbackgespräche<br />

(vgl. ebd.).<br />

Auch im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>-<strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist die gezielte Planung, als «nächste Schritte»<br />

bezeichnet, ein zentrales Anliegen. Damit ist in diesem Kontext die Entscheidung darüber gemeint,<br />

wie das einzelne Kind in seinen <strong>Bildungs</strong>prozessen begleitet, unterstützt <strong>und</strong> vorangebracht<br />

werden kann. Durch die Aktivitäten der Kinder werden Pädagoginnen fortlaufend herausgefordert,<br />

zu reagieren <strong>und</strong> «nächste Schritte» anzuregen, sie tun dies aber häufig intuitiv <strong>und</strong> spontan,<br />

indem sie dem Kind bestätigend oder aufmunternd zunicken, ihr Interesse an den Äusserungen<br />

<strong>und</strong> Handlungen des Kindes zeigen oder anregendes Material zur Verfügung stellen. Diese Reaktionen<br />

werden nicht geplant oder dokumentiert <strong>und</strong> werden von Margret Carr als «deciding as<br />

responding» umschrieben, als Abfolge von Wahrnehmen, Erkennen <strong>und</strong> Reagieren, wie dies im<br />

vorangehenden Abschnitt dargestellt wurde. In der Folge gelingt es den pädagogischen Fachkräften<br />

immer qualifizierter wahrzunehmen, wie ein Kind in seinen <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Lernprozessen begleitet<br />

48


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

<strong>und</strong> unterstützt werden kann, <strong>und</strong> sie erwerben neue Interpretations- <strong>und</strong> Handlungsspielräume.<br />

Die Erfahrungen, die Pädagoginnen durch dieses Vorgehen von Beobachtung, Analyse, kollegialem<br />

Austausch, Planung der nächsten Schritte <strong>und</strong> Verfassen der <strong>Lerngeschichten</strong> machen, bewirken,<br />

dass die Abfolge von Wahrnehmen, Erkennen <strong>und</strong> Reagieren auch in Alltagssituationen qualifizierter<br />

wird <strong>und</strong> sich auf den gesamten pädagogischen Alltag positiv auswirkt.<br />

Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> bilden die Lerndispositionen die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

die pädagogische Planung, da deren Wachstum dem Kind immer komplexere Orientierungs- <strong>und</strong><br />

Handlungsmuster ermöglichen. Lernfortschritte, die als Quelle für Planungen dienen können,<br />

sind unter anderem die zunehmende Komplexität der Lerndispositionen <strong>und</strong> die Häufigkeit <strong>und</strong><br />

Intensität bestimmter Themen <strong>und</strong> Interessen des Kindes. Lernfortschritte bei der Planung von<br />

nächsten Schritten anzustreben, bedeutet also, die Lerndispositionen des Kindes zu stärken <strong>und</strong><br />

das Kind in seinen Handlungen <strong>und</strong> in seinem Verhalten zu ermutigen.<br />

Hilfreich bei der pädagogischen Planung ist das Konzept der «Zonen der nächsten Entwicklung»,<br />

wie es im Abschnitt 2.1.8 bereits detailliert vorgestellt wurde. Dadurch können Entwicklungsschritte,<br />

die entsprechend dem Entwicklungsverlauf kurz bevorstehen, erfasst <strong>und</strong> in die Planung<br />

einbezogen werden <strong>und</strong> es besteht die Möglichkeit, Tätigkeiten zu planen, die das Kind mit Hilfe<br />

eines fortgeschrittenen Kindes oder eines Erwachsenen bereits angehen kann.<br />

Im Folgenden werden die Planung nächster Schritte im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

unter Berücksichtigung der individuellen Motivation, des Wissens <strong>und</strong> Könnens des Kindes <strong>und</strong><br />

des Lernumfeldes erläutert.<br />

·· Planung nächster Schritte unter Berücksichtigung der individuellen Motivation<br />

Der Bogen zum kollegialen Austausch über das Lernen des Kindes (siehe Anhang 4) bildet<br />

die Gr<strong>und</strong>lage für die Planung der nächsten Schritte. Hier werden verschiedene Beobachtungen<br />

<strong>und</strong> Eindrücke zusammengetragen <strong>und</strong> die Fachkräfte gehen der Frage nach, ob<br />

über die verschiedenen Beobachtungen hinweg ein roter Faden erkennbar ist <strong>und</strong> was sie an<br />

ihren Beobachtungen als bemerkenswert empfinden. Sie versuchen dadurch zu erkennen,<br />

welche aktuellen Interessen das Kind motivieren, aktiv mitzuwirken <strong>und</strong> sich zu engagieren<br />

<strong>und</strong> wie sie es dabei unterstützen <strong>und</strong> weiter fördern können.<br />

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2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

·· Planung nächster Schritte unter Berücksichtigung von Wissen <strong>und</strong> Können<br />

Neben den inhaltlichen Interessen <strong>und</strong> der daraus resultierenden Motivation tragen auch<br />

das Wissen <strong>und</strong> Können, das heisst die individuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten eines<br />

Kindes zur Intensivierung <strong>und</strong> Ausgestaltung von Lerndispositionen bei, denn sie beeinflussen<br />

seine Vorlieben <strong>und</strong> die Wahl der Aktivitäten. Deshalb müssen bei der pädagogischen<br />

Planung auch das Wissen <strong>und</strong> das Können eines Kindes berücksichtigt werden.<br />

Dabei sind auch die verschiedenen <strong>Bildungs</strong>bereiche, wie sie in den curricularen Vorgaben<br />

oder in den Lehrplänen vorgegeben sind als Strukturierung hilfreich, um die Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> Fertigkeiten mit Hilfe von Beobachtungen wahrzunehmen, die darin enthaltenen<br />

Lerndispositionen zu analysieren <strong>und</strong> durch geplantes pädagogisches Handeln zu unterstützen.<br />

·· Planung nächster Schritte unter Berücksichtigung des Lernumfeldes<br />

Durch die Analyse von Lerndispositionen werden auch Umweltgegebenheiten erfasst,<br />

welche für die Interessen <strong>und</strong> Kompetenzen eines Kindes hemmend oder förderlich sein<br />

können, denn schwach ausgeprägte Lerndispositionen können ihre Ursachen auch in der<br />

Lernumgebung des Kindes haben. Dazu gehören die Räume, das zur Verfügung stehende<br />

Material, die pädagogischen Fachkräfte, organisatorische Abläufe <strong>und</strong> die Zusammenarbeit<br />

unter den beteiligten Personen, die für eine Entfaltung der Lerndispositionen günstig<br />

oder hinderlich sein können. «Ein gutes Lernumfeld lässt die Kinder zu Wort kommen,<br />

ermöglicht, Fragen zu stellen <strong>und</strong> eigene Vorstellungen zu verwirklichen. Es bietet darüber<br />

hinaus Gelegenheiten für neue Herausforderungen <strong>und</strong> lässt Fehler zu» (Leu et al.,<br />

2007, S. 102). Im Bogen zum kollegialen Austausch über das Lernen des Kindes (Anhang 4)<br />

wird durch die Beantwortung der Frage: «Worauf haben wir bereits reagiert?» geklärt,<br />

inwiefern die Umgebung des Kindes bereits verändert worden ist oder an welchen Stellen<br />

weitergeplant werden kann. Zum Lernumfeld des Kindes gehören alle Personen, die<br />

mit dem Kind zu tun haben, auch die anderen Kinder <strong>und</strong> die Eltern. Die Gestaltung<br />

dieser Interaktionen, so die Bereitschaft zuzuhören <strong>und</strong> die Beachtung jedes einzelnen<br />

Kindes, sind auch als Teil der nächsten Schritte zu verstehen.<br />

(vgl. Leu et al., 2007, S. 98 ff.)<br />

Abschliessend ist auf die Bedeutung der Reflexion des eigenen pädagogischen Verhaltens, der alltäglichen<br />

Handlungsmuster <strong>und</strong> der Planung der nächsten Schritte hinzuweisen. Dies wird durch<br />

bewusste <strong>und</strong> unbewusste Erziehungsziele beeinflusst. Der kollegiale Austausch <strong>und</strong> die Selbstreflexion<br />

sind eine unverzichtbare Basis für professionelles pädagogisches Handeln. Dafür wurde<br />

für das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ein Reflexionsbogen entwickelt, der diesen<br />

50


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Prozess initiiert <strong>und</strong> unterstützt (siehe Anhang 5). Insbesondere, wenn die Planung der nächsten<br />

Schritte schwerfällt, da auf Gr<strong>und</strong> der Beobachtungen <strong>und</strong> der Analyse keine Interessen oder<br />

individuelle Kompetenzen herausgearbeitet werden konnten, kann mit Hilfe des Reflexionsbogens<br />

das eigene pädagogische Verhalten <strong>und</strong> die Beziehung zum Kind reflektiert werden, bevor nächste<br />

Schritte geplant werden müssen (vgl. Leu et al., 2007, S. 103 ff.).<br />

2.6.5 Die Lerngeschichte<br />

Lerngeschichte für Eric April 2010<br />

Lieber Eric<br />

In den letzten Monaten habe ich dich beim Spielen beobachtet. Ein paar<br />

Mal habe ich auch aufgeschrieben, was du gemacht hast, damit ich mich<br />

später besser daran erinnern kann.<br />

Dich zu beobachten <strong>und</strong> dir beim Spielen zuzusehen, hat mir viel Freude<br />

bereitet!<br />

Du bist jetzt schon ein halbes Jahr in der Bärengruppe <strong>und</strong> fühlst dich als<br />

«kleiner Bär» sehr wohl.<br />

Jeden Morgen kommst du freudestrahlend in die Gruppe, verabschiedest<br />

dich von deiner Mama <strong>und</strong> legst los. Du bist immer gut gelaunt <strong>und</strong> lachst<br />

viel!<br />

Im Kuschelraum spielst du am liebsten mit dem blauen Trecker. Schon in<br />

den ersten Wochen in der Bärengruppe ist dieser zu deinem Lieblingsspielzeug<br />

geworden <strong>und</strong> das bis heute.<br />

Aber auch an der kleinen Küche kann man dich häufig finden <strong>und</strong> beobachten,<br />

wie du den Backofen aufmachst, eine Pfanne hineinstellst <strong>und</strong> ihn<br />

wieder zumachst.<br />

Mit dem Kochlöffel rührst du in den Töpfen herum, schaust uns immer wieder<br />

an <strong>und</strong> sagst: «Oh!»<br />

Allerdings kannst du dich auch für den großen Flur begeistern lassen. Im<br />

Kastanienbecken füllst du die Kastanien mit einer kleinen Schüppe von<br />

einem Eimer in den anderen. Dabei zeigst du viel Ausdauer!<br />

Deine großen braunen Augen strahlen dabei <strong>und</strong> an deiner Gestik <strong>und</strong><br />

Mimik erkennt man, dass du viel Freude hast!<br />

In den letzten Wochen hast du viele neue Wörter dazugelernt.<br />

51


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Dein Lieblingswort im Moment lautet: «Nein».<br />

Unser Lied «Lange, lange Reihe…» singst du auch schon etwas mit.<br />

Die Bärenkinder freuen sich über jedes neue Wort, das du lernst <strong>und</strong><br />

warten schon ganz gespannt darauf, dass du «richtig» sprechen kannst.<br />

Du magst Musik <strong>und</strong> freust dich darüber, wenn wir gemeinsam singen.<br />

In den Stuhlkreisen <strong>und</strong> auch am Tisch machst du schon die Bewegungen<br />

bei Liedern <strong>und</strong> Fingerspielen mit <strong>und</strong> freust dich dabei!<br />

Besonders gerne magst du das Fingerspiel «Zehn kleine Zappelmänner…».<br />

Lieber Eric, es macht mir sehr viel Freude, dich beim Spielen zu beobachten<br />

<strong>und</strong> es ist schön zu sehen, wie gerne du zu uns in die Kita kommst. Ich<br />

bin gespannt, was du uns in der nächsten Zeit noch alles zeigen wirst <strong>und</strong><br />

froh, dass ich an deinen Erlebnissen teilhaben darf.<br />

Eine anonymisierte Lerngeschichte aus einer besuchten Kindertagesstätte<br />

Deine Erzieherin Maja<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind Geschichten, die vom Lernen des Kindes im Kindergarten erzählen. Sie werden<br />

individuell für das jeweilige Kind verfasst. Da diese Texte sehr persönlich geschrieben werden<br />

<strong>und</strong> wie eine Art Brief an das Kind formuliert sind, verwenden die meisten Fachkräfte als Anrede<br />

die Du-Form. Die Kinder erleben auf diese Weise, dass ihre Tätigkeiten von den Lehrpersonen<br />

wahrgenommen <strong>und</strong> wertgeschätzt werden. Gleichzeitig sind <strong>Lerngeschichten</strong> auch für die Eltern<br />

eine gute Möglichkeit, etwas über den <strong>Bildungs</strong>prozess ihrer Kinder zu erfahren. <strong>Lerngeschichten</strong><br />

beruhen immer auf dokumentierten <strong>und</strong> analysierten Beobachtungen (siehe Abschnitte 2.6.1 <strong>und</strong><br />

2.6.2). Auch fliessen Erkenntnisse, die im kollegialen Austausch gewonnen wurden oder sich aus<br />

dem Dialog mit dem Kind ergeben haben, beim Verfassen mit ein. Die Anzahl der Beobachtungen,<br />

die zu einer Lerngeschichte führen, sind nicht festgelegt <strong>und</strong> liegen im Ermessen der Fachkräfte.<br />

Es kann sein, dass eine einzelne Beobachtung, die als besonders bemerkenswert empf<strong>und</strong>en wird zu<br />

einer Lerngeschichte führt. Wichtig ist, dass die einzelnen Beobachtungen <strong>und</strong> das Verfassen der<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> zeitlich nicht zu weit auseinander liegen, damit Letztere für das Kind nachvollziehbar<br />

bleibt. Es besteht auch immer die Möglichkeit, alltägliche, nicht dokumentierte Beobachtungen,<br />

als Ergänzung in eine Lerngeschichte einfliessen zu lassen, um einen roten Faden sichtbar<br />

zu machen <strong>und</strong> ein zusammenhängendes Bild von den Entwicklungsprozessen der einzelnen<br />

Kinder <strong>und</strong> deren Interesse aufzuzeigen. Dabei ist jedoch immer zu beachten, dass der Text für die<br />

Kinder, trotz vieler Informationen aus den Beobachtungen <strong>und</strong> Analysen, nicht zu lange oder zu<br />

oberflächlich wird. Die Fachkräfte haben beim Verfassen der Lerngeschichte die Möglichkeit, ihren<br />

eigenen Stil beim Formulieren <strong>und</strong> Gestalten zu entwickeln. Im Zentrum steht immer, dass die<br />

Kinder durch die <strong>Lerngeschichten</strong> etwas über die Wahrnehmung <strong>und</strong> Wertschätzung ihrer Lernprozesse<br />

<strong>und</strong> über ihr eigenes Lernen erfahren.<br />

52


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Damit das Kind in seinem persönlichen Ordner die verschiedenen <strong>Lerngeschichten</strong> unterscheiden<br />

kann, ist es zweckmäßig, diese auch bildlich zu dokumentieren. Fotos eignen sich dazu besonders,<br />

aber auch eigene Zeichnungen der Kinder oder Aufkleber <strong>und</strong> Symbole können als Erkennungsmerkmal<br />

der einzelnen Geschichten dienen. Die Ordner sollten für die Kinder gut zugänglich sein,<br />

damit diese ohne Hilfe die <strong>Lerngeschichten</strong> immer wieder anschauen, sich vorlesen lassen oder<br />

selber dazu erzählen können (vgl. Leu et al., 2007, S. 74).<br />

Damit <strong>Lerngeschichten</strong> im Sinne des Verfahrens verfasst werden können, sind folgende Punkte zu<br />

beachten:<br />

·· Für Kinder verständliche Formulierungen<br />

Bei <strong>Lerngeschichten</strong> ist es wichtig, dass sie klare Sätze, sowie Formulierungen <strong>und</strong> Begriffe<br />

enthalten, die für das Kind verständlich sind. Das Kind soll die Inhalte seiner Lerngeschichte<br />

nachvollziehen können, dann kann es Freude daran haben <strong>und</strong> beginnen, seine eigenen<br />

Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsschritte wahrzunehmen. Es gilt beim Formulieren der Geschichten,<br />

den sprachlichen Entwicklungsstand eines Kindes zu berücksichtigen. Bei kleinen oder<br />

fremdsprachigen Kindern oder Kindern mit einer Sprachentwicklungsverzögerung ist das<br />

Erstellen einer Foto-Lerngeschichte eine gute Möglichkeit, die Sprachbarriere zu umgehen.<br />

In der Lerngeschichte sollten Verallgemeinerungen vermieden werden, da sich das Kind<br />

sonst nicht angesprochen fühlt <strong>und</strong> die Sätze nicht aussagekräftig sind. Fachkräfte sollten<br />

das Verhalten eines Kindes konkret beschreiben <strong>und</strong> auf die beobachteten Situationen<br />

beziehen, damit das Kind erfährt, dass seine individuellen Kompetenzen von ihnen wahrgenommen,<br />

anerkannt <strong>und</strong> wertgeschätzt werden. So kann es Selbstvertrauen entwickeln in<br />

sein eigenes Handeln <strong>und</strong> erlebt persönlichkeitsfördernde Selbstwirksamkeit.<br />

·· Wiedergabe von Beobachtungssituationen<br />

In den <strong>Lerngeschichten</strong> geht es um eine oder mehrere Beobachtungen von einem Kind.<br />

Dieses sollte sich bei der Lerngeschichte an die einzelnen zusammengefassten Handlungsverläufe<br />

erinnern können, damit der Austausch, der Dialog mit dem Kind möglich wird.<br />

Hilfreich kann dabei die Verwendung von wörtlicher Rede sein, die während der Beobachtung<br />

aufgeschrieben wurde, da sich das Kind in seinen eigenen Aussagen wiedererkennen<br />

kann. Durch das Vorlesen der Lerngeschichte kann sich das Kind an die Situation zurückerinnern<br />

<strong>und</strong> kann der Pädagogin auch noch einmal Erklärungen abgeben. So erhält diese<br />

einen tieferen Einblick in die Absichten des Kindes. Es entsteht ein Dialog, bei dem Interpretationen<br />

<strong>und</strong> Einschätzungen der Lehrperson bestätigt, ergänzt oder auch korrigiert<br />

werden können.<br />

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2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

·· Bezug zu den Lerndispositionen<br />

Die Basis von <strong>Lerngeschichten</strong> sind dokumentierte, analysierte Beobachtungen. Die Ergebnisse<br />

der Analyse nach den Lerndispositionen sollten in die Geschichte einfliessen, damit<br />

diese auch wirklich vom Lernen des Kindes erzählen. Wichtig ist hierbei jedoch, dass die<br />

Begriffe für die Kinder verständlich sind. Engagement, Standhalten oder Lerngemeinschaft,<br />

wie einzelne Lerndispositionen benannt werden (siehe Abschnitt 2.6.2) sind für die Kinder<br />

nur bedingt verständlich <strong>und</strong> sollten daher nicht verwendet werden. Hilfreich ist auch hier<br />

wieder, konkrete Beobachtungen zu beschreiben, welche die Lerndispositionen beinhalten.<br />

«Indem die Fachkraft die konkrete Handlung benennt, an der sie die Lerndispositionen<br />

erkennt, wird das Kind im Dialog mit der Fachkraft auf die Lernrelevanz seiner Aktivität aufmerksam»<br />

(Leu, et al., 2007, S. 76). Das Kind wird im Dialog mit der Lehrperson angeregt,<br />

über die eigenen Absichten, Pläne <strong>und</strong> Strategien nachzudenken <strong>und</strong> diese mitzuteilen.<br />

So wird es sich über das eigene Lernen <strong>und</strong> die eigenen Fähigkeiten bewusst.<br />

·· Einschätzungen <strong>und</strong> Interpretationen<br />

Wichtige weitere Einschätzungen <strong>und</strong> Interpretationen der Lehrpersonen können in die<br />

Lerngeschichte einfliessen. Diese basieren immer auf Beobachtungen <strong>und</strong> auf dem kollegialen<br />

Austausch. Oftmals werden die <strong>Lerngeschichten</strong> auch durch Aussagen des Kindes,<br />

die im Dialog mit der Lehrperson entstehen, ergänzt.<br />

·· Anerkennung der Lernaktivität des Kindes<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sollten stets anerkennend <strong>und</strong> wertschätzend formuliert sein, da sie das<br />

Kind in seiner individuellen Lernaktivität unterstützen <strong>und</strong> bestärken sollen. Die individuellen<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Kompetenzen des Kindes werden beachtet <strong>und</strong> fördern so die Freude<br />

am Lernen. Das bedeutet nicht, dass Lehrpersonen die individuellen Schwächen <strong>und</strong><br />

Schwierigkeiten eines Kindes ignorieren oder «schön reden». Vielmehr geht es darum,<br />

in den individuellen <strong>Lerngeschichten</strong> davon zu erzählen, was ein Kind schon alles kann,<br />

woran es interessiert ist, welche Strategien es beim Lernen verwendet. «Die Geschichten<br />

würdigen die Fähigkeiten <strong>und</strong> die Motivation des Kindes, sich ein Bild von seiner Welt zu<br />

machen <strong>und</strong> Zusammenhänge zu verstehen. Dadurch wird die Entwicklung eines positiven<br />

Selbstbildes <strong>und</strong> Vertrauen in die eigenen (Lern-)Fähigkeiten unterstützt» (Leu et al.,<br />

2007, S. 76).<br />

54


2 Theoretische Konzeption 2.6 Bausteine des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

·· Berücksichtigung geplanter «nächster Schritte»<br />

In die verfasste Lerngeschichte können auch die im kollegialen Austausch geplanten<br />

«nächsten Schritte» einfliessen. Beim Vorlesen der Lerngeschichte kann das Kind den<br />

direkten Zusammenhang zwischen seinem derzeitigen Interesse <strong>und</strong> den durch die Pädagogin<br />

formulierten «nächsten Schritten» erkennen. Diese sollten immer nur als Vorschlag<br />

für das Kind formuliert <strong>und</strong> mit dem Kind besprochen werden. Falls das Kind nicht einverstanden<br />

ist, kann es im Dialog mit der Fachkraft eigene Ideen für «nächste Schritte»<br />

einbringen. So wird das eigene aktive Mitgestalten für das Kind erlebbar <strong>und</strong> lässt es spüren,<br />

dass es entsprechend seinen Interessen Einfluss nehmen kann auf die Gestaltung von Aktivitäten.<br />

Gerade dieser Punkt fördert das Erleben von Selbstwirksamkeit in idealer Weise.<br />

Anhand der Formulierungen der «nächsten Schritte» in einer Lerngeschichte wird auch<br />

für die Eltern transparent, welchen Einfluss die Beobachtungen <strong>und</strong> Dokumentationen auf<br />

die individuelle Förderung ihres Kindes haben. Leu betont, dass so die Professionalität des<br />

pädagogischen Handelns in einem Kindergarten oder an einer Schule untermauert werden<br />

kann.<br />

(vgl. Leu, 2007, S. 75 ff.)<br />

55


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

3 Fragestellung<br />

In diesem Kapitel werden auf Gr<strong>und</strong> der Theorie <strong>und</strong> der Auseinandersetzung mit dem Verfahren<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> zwei Fragestellungen für die vorliegende Forschungsarbeit<br />

entwickelt.<br />

Wie bereits mehrfach erwähnt, orientiert sich die Analyse von Beobachtungen anhand von<br />

Lerndispositionen an den Ressourcen der Kinder. Folglich werden Lernprozesse im Zusammenhang<br />

mit der jeweiligen Situation <strong>und</strong> dem sozialen Kontext beschrieben <strong>und</strong> beachten insbesondere<br />

die Individualität von kindlichen Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozessen. Dabei bleiben Schwächen<br />

<strong>und</strong> Defizite nicht unbeachtet, vielmehr können Informationen darüber, wo das Kind Stärken<br />

<strong>und</strong> Interesse zeigt für die Förderung genutzt werden (vgl. Leu et al., 2007, S. 54). Dies macht das<br />

Verfahren interessant für eine auf ein integratives Verständnis aufbauende Schule <strong>und</strong> legt die<br />

Fragestellung nahe, ob das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ein geeignetes Mittel zur<br />

Förderplanung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen im Kindergarten sein könnte <strong>und</strong> auch<br />

bei uns eine Umsetzung möglich wäre. Aus diesen Überlegungen <strong>und</strong> den ersten Einsichten in das<br />

Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> entwickeln wir zwei Fragestellungen, welche für<br />

einen Forschungsteil <strong>und</strong> einen Entwicklungsteil gelten.<br />

3.1 Fragestellung zum Forschungsteil<br />

Wie in der Theorie dargelegt wurde, bedeuten das Beobachten, die Analyse nach Lerndispositionen,<br />

der Austausch im Fachteam <strong>und</strong> das Verfassen einer Lerngeschichte ein intensives zeitliches<br />

<strong>und</strong> persönliches Sicheinlassen auf Mitarbeitende <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> eine Auseinandersetzung mit<br />

den Interessen <strong>und</strong> Lernprozessen der Kinder. Durch die Analyse der Beobachtungen anhand von<br />

Lerndispositionen anstatt Kompetenzen wird ein ressourcenorientierter Blick auf das Kind möglich,<br />

sein individuelles Lernen <strong>und</strong> seine Stärken rücken ins Zentrum der Beachtung. Wie gelingt es<br />

nun, anhand dieser Lerndispositionen, auch die Stärken <strong>und</strong> Ressourcen von Kindern mit besonderem<br />

Förderbedarf zu erkennen <strong>und</strong> daraus eine Förderplanung zu erstellen? Kann auch anhand der<br />

Lerndispositionen der Entwicklungsbedarf dieser Kinder erfasst werden?<br />

Diese Überlegungen führen uns zu folgender Forschungsfrage:<br />

Inwiefern unterstützt das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> die Förderung<br />

von Kindern mit besonderen Bedürfnissen im Kindergarten?<br />

56


3 Fragestellung<br />

3.2 Fragestellung zum Entwicklungsteil<br />

Durch die Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in Regelklassen wird ein ressourcenorientiertes<br />

Beobachtungsverfahren bedeutsam, damit auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen<br />

im Prozess des Lernens <strong>und</strong> Lehrens optimal unterstützt werden können. Wie wir im Kontakt zur<br />

Pädagogischen Hochschule St. Gallen erfahren haben, sind bisherige Versuche, das Verfahren<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> umzusetzen, nicht erfolgreich gewesen. Die Frage taucht auf,<br />

ob dies mit der Angst vor Mehrbelastung oder dem Festhalten an der bestehenden Praxis der<br />

Beobachtung <strong>und</strong> Beurteilung auf Gr<strong>und</strong> von Basiskompetenzen zu tun haben könnte. Aus diesen<br />

Überlegungen entwickeln wir die folgende Fragestellung für den Entwicklungsteil:<br />

Welche Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden, damit das Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> in der Praxis umgesetzt werden kann?<br />

Dazu müssen als Erstes die Erfordernisse zur Umsetzung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

erfasst <strong>und</strong> anschliessend auch eine mögliche Ausgestaltung dargestellt werden.<br />

Dabei ist auch wichtig zu beachten, welche bereits bestehenden Gefässe für den im Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> erforderlichen Austausch genutzt werden können.<br />

Dieser Entwicklungsteil zielt auf eine Umsetzung des Verfahrens <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

in den Kindergärten der Deutschschweiz hin <strong>und</strong> kann möglicherweise im Anschluss an diese<br />

Masterarbeit begonnen werden.<br />

57


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen<br />

Nachdem in den vorangehenden Kapiteln die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> das Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> dargelegt, sowie die Fragestellungen für die vorliegende Masterarbeit<br />

formuliert wurden, muss in diesem Kapitel zuerst einmal begründet werden, weshalb ein<br />

qualitatives Forschungsvorgehen gewählt wird. Um mit der Forschung beginnen zu können, muss<br />

anschliessend das Forschungsdesign, also der Untersuchungsplan, festgelegt <strong>und</strong> begründet werden.<br />

Dieser umfasst auf formaler Ebene Ziel <strong>und</strong> Ablauf der Untersuchung <strong>und</strong> stellt also gewissermassen<br />

Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Regeln auf, die das Verhältnis zwischen dem Forschenden <strong>und</strong><br />

seinem Untersuchungsgegenstand bestimmen. Erst im Anschluss können die entsprechenden<br />

Forschungsmethoden, also die Erhebungs-, Aufbereitungs- <strong>und</strong> Auswertungsverfahren, ausgewählt<br />

<strong>und</strong> im Folgenden dargestellt werden. Da sich für qualitative Sozialforschung vor allem offene<br />

<strong>und</strong> kommunikative Verfahren eignen, bietet sich das problemzentrierte Interview als Erhebungsverfahren<br />

an. Für die Auswertung der durchgeführten Interviews wird nach deren Aufbereitung<br />

durch die Methode der wörtlichen Transkription zur Beantwortung der Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsfrage<br />

die qualitative Inhaltsanalyse ausgewählt <strong>und</strong> hier als Methode erläutert. Zum Abschluss<br />

werden die Triangulation <strong>und</strong> die Gütekriterien qualitativer Forschung, sowie die Auswahl der<br />

Stichproben vorgestellt.<br />

4.1 Zum Verhältnis von quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Forschung<br />

Das Ziel von Forschung ist es, gehaltvolle Aussagen zu erarbeiten, die über eine bestimmte vorgegebene<br />

Situation hinaus gültig sind <strong>und</strong> unser Verständnis in Bezug auf einen bestimmten Forschungsgegenstand<br />

erweitern. Dies kann gr<strong>und</strong>sätzlich durch quantitative oder qualitative Methoden<br />

erreicht werden. «Wenn bei der Erhebung <strong>und</strong> Auswertung Zahlbegriffe verwendet werden <strong>und</strong><br />

diese durch mathematische Operationen zueinander in Beziehung gesetzt werden, spricht man<br />

in der Forschung von quantitativen Verfahren. In allen anderen Fällen spricht man von qualitativen<br />

Verfahren» (Dietrich, 2006, S. 2). Quantitative Forschung hebt das Zusammenspiel von internen<br />

<strong>und</strong> externen Faktoren, also kausale Zusammenhänge, hervor <strong>und</strong> drückt diese durch Messungen<br />

numerisch aus, um festzustellen, in welchem Ausmass die verschiedenen Faktoren einander bedingen<br />

(Cropley, 2008, S.13). Quantitative Methoden basieren auf der erkenntnistheoretischen Anschauung,<br />

dass bestimmte Merkmale bei allen Menschen ähnlich, aber unterschiedlich stark ausgeprägt zu<br />

finden sind. Dieser Grad der Ausprägung ist messbar <strong>und</strong> kann numerisch ausgedrückt werden,<br />

ohne dass sich die Versuchspersonen bewusst sein müssen, was die Forscher messen. Dabei versuchen<br />

Letztere bereits bestehende Gesetze auf neue Situationen zu übertragen, um den Anwendungsbereich<br />

zu erweitern oder zu differenzieren <strong>und</strong> bestehende Hypothesen zu überprüfen. Diese<br />

Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen mittels logischer, widerspruchsfreier Beweisführung<br />

wird als deduktives Denken bezeichnet (vgl. Cropley, 2008, S. 40).<br />

58


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.1 Zum Verhältnis von quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Forschung<br />

Im qualitativen Ansatz hingegen steht nicht die Feststellung interner Merkmale, sondern die<br />

Beschreibung ihres besonderen Charakters im Vordergr<strong>und</strong> (vgl. Cropley, 2008, S.14). Moser (2008)<br />

betont, dass es in qualitativen Studien darum geht, Deutungen zu entwickeln, die etwas Typisches<br />

beschreiben, dass also Theorien generiert werden (vgl. Moser, S. 22 ff.). Die Wurzeln qualitativen<br />

Denkens gehen zurück bis zu Aristoteles (384<strong>–</strong>322 v. Chr.), also auf ein Wissenschaftsverhältnis,<br />

das entwicklungsmässige Aspekte betont, Intentionen, Ziele <strong>und</strong> Zwecke verstehen will <strong>und</strong> damit<br />

auch Werturteile in der wissenschaftlichen Analyse zulässt. In der qualitativen Forschung ist neben<br />

dem deduktiven ein induktives Vorgehen geeignet <strong>und</strong> bildet damit die Gr<strong>und</strong>lage für sinnvolle<br />

Einzelfallanalysen (vgl. Mayring, 2002, S.12). Qualitative Erhebungen basieren auf Beobachtung<br />

<strong>und</strong> Beschreibung menschlichen Verhaltens <strong>und</strong> versuchen, die Perspektive der Teilnehmenden<br />

zu übernehmen, ihre Realität zu verstehen <strong>und</strong> eine Kooperation aufzubauen.<br />

Seit 1980 wurde in den Sozialwissenschaften Kritik laut an den bisher angewandten, meist quantitativen<br />

Methoden, die sich auf standardisierte Fragebögen <strong>und</strong> Beobachtungsschemata abstützen<br />

<strong>und</strong> dadurch nach Ansicht der Kritiker das soziale Feld in seiner Vielfalt einschränken <strong>und</strong> komplexe<br />

Strukturen vereinfacht darstellen (vgl. Lamnek, 2005, S. 4). Mayring (2005) betont aber, dass<br />

in jedem Forschungsprozess sowohl quantitatives als auch qualitatives Denken enthalten sind<br />

(vgl. Mayring, 2005, S. 19).<br />

Für die vorliegende Forschungsarbeit bietet sich ein qualitatives Verfahren an, da zur Beantwortung<br />

der Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsfrage Deutungen entwickelt werden <strong>und</strong> die Perspektive <strong>und</strong><br />

Realität der Teilnehmenden, also die Umsetzung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

<strong>und</strong> ihre Anwendbarkeit auf die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, eine<br />

zentrale Rolle spielen.<br />

Qualitative Forschungsmethoden umfassen entsprechend ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung<br />

teilweise heterogene Vorgehensweisen, die den folgenden gemeinsamen Gr<strong>und</strong>sätzen entsprechen<br />

müssen <strong>und</strong> auch für die vorliegende Arbeit gelten:<br />

·· Qualitative Forschung ist subjektbezogen <strong>und</strong> erfasst subjektive Sichtweisen.<br />

·· Die Qualität der Wirklichkeit, Zusammenhänge <strong>und</strong> innere Strukturen, das Verstehen als<br />

Erkenntnisprinzip stehen im Zentrum.<br />

·· Die qualitative Forschung ist eine nicht standardisierte Form, um dem Untersuchungsgegenstand<br />

offen entgegentreten zu können.<br />

·· Die Regeln in der Forschungsmethodik basieren auf den Regeln des alltäglichen Kommunikationsprozesses.<br />

59


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.1 Zum Verhältnis von quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Forschung<br />

·· Qualitativ orientierte Forschung erhebt deskriptive Daten über Individuen, die als Teil<br />

eines Ganzen gesehen werden.<br />

·· Durch Interpretation wird die gesellschaftliche Realität als Bedeutungszuweisungen<br />

konstruiert <strong>und</strong> nicht als objektiv vorgegeben aufgefasst.<br />

·· Der Forschungsgegenstand wird in seiner natürlichen Umgebung untersucht.<br />

·· Durch den Verallgemeinerungsprozess werden die Ergebnisse generalisiert.<br />

(vgl. Lamnek, 2005, S. 33 <strong>und</strong> Mayring, 2002, S. 19)<br />

4.2 Forschungsdesign<br />

Im Rahmen unserer qualitativen Sozialforschung orientieren wir uns am Untersuchungsplan der<br />

Einzelfallanalyse, da dieser Vorgehensplan nach Mayring (2002) eine klare Struktur aufzeigt, die<br />

eine wissenschaftliche Verwertbarkeit der Ergebnisse sicherstellt (vgl. S. 43). Was in der vorliegenden<br />

Arbeit nicht ins Forschungsdesign einer klassischen Einzelfallanalyse passt ist die Tatsache, dass<br />

aus verschiedenen Institutionen Informationen zu der Forschungsfrage zusammengetragen <strong>und</strong><br />

ausgewertet, aber nicht untereinander verglichen wurden.<br />

Das Ziel von Einzelfallanalysen ist es, das Forschungsobjekt in seiner Individualität <strong>und</strong><br />

seinem konkreten Kontext zu verstehen (vgl. Mayring, 2002, S. 41). «Die Komplexität des ganzen<br />

Falles, die Zusammenhänge der Funktions- <strong>und</strong> Lebensbereiche in der Ganzheit der Person <strong>und</strong><br />

der historische, lebensgeschichtliche Hintergr<strong>und</strong> sollen hier besonders betont werden» (Mayring,<br />

2002, S. 42). Von zentraler Bedeutung bei der Einzelfallstudie ist, dass ein ganzheitliches <strong>und</strong> damit<br />

realistisches Bild der sozialen Welt gezeichnet werden kann, um der Individualität <strong>und</strong> Identität<br />

der zu Untersuchenden gerecht zu werden <strong>und</strong> jeden einzelnen Befragten als Fachmann für die<br />

Deutungen <strong>und</strong> Interpretationen seiner Alltagswelt zu betrachten. Dadurch wird ein genauerer<br />

Einblick in das Zusammenwirken verschiedener Faktoren <strong>und</strong> das Herausarbeiten typischer<br />

Vorgänge möglich (vgl. Lamnek, 2005, S. 299 ff.). Da während des ganzen Analyseprozesses auf den<br />

Fall in seiner Ganzheit zurückgegriffen werden kann, unterstützen Einzelfallanalysen die Suche<br />

nach relevanten Einflussfaktoren <strong>und</strong> nach tief greifenden Ergebnissen, sowie die Interpretation<br />

von Zusammenhängen oder quantitativ gewonnenen Ergebnissen. Einzelfallanalysen durchzuführen<br />

bedeutet, sich in ein Forschungsfeld, in einen natürlichen Bereich der Gesellschaft zu begeben<br />

<strong>und</strong> sich vertraut zu machen mit Handlungs- <strong>und</strong> Sprechweisen der zu Untersuchenden, an ihrem<br />

Wissen zu partizipieren <strong>und</strong> Kenntnisse von Gegenständen <strong>und</strong> Prozessen zu bekommen. Diese<br />

Handlungsmuster sind zwar individuell festzumachen, es manifestieren sich darin aber generelle<br />

Strukturen.<br />

60


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.2 Forschungsdesign<br />

Die Stärken einer Fallstudie sind die Möglichkeit, interessante Fragen aufzuwerfen, also Theorien<br />

zu entwickeln, Hypothesen aufzustellen <strong>und</strong> Fragen zu beantworten, wie Praxisprobleme angegangen<br />

werden können. In der vorliegenden Arbeit wird die Einsetzbarkeit des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> für die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen überprüft <strong>und</strong><br />

es werden Möglichkeiten für die Umsetzung in den Schweizer Kindergärten aufgezeigt. Schwächen<br />

von Fallstudien können darin liegen, dass Verallgemeinerungen schwierig sind (vgl. Fuchs, 2005,<br />

S. 75 f.). Dieser Nachteil fällt bei dieser Forschungsarbeit kaum ins Gewicht, da es nicht darum<br />

geht, Kindertagesstätten untereinander zu vergleichen oder allgemein gültige Aussagen zu machen.<br />

Die von uns angestrebten Forschungsergebnisse zielen auf die Anwendbarkeit <strong>und</strong> Ausgestaltung<br />

des in Neuseeland ausgearbeiteten Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> in Bezug auf<br />

die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen hin. Ausserdem sollen die Erfahrungen,<br />

die verschiedene Institutionen in Europa bereits gemacht haben, Wege für eine Umsetzung in den<br />

Schweizer Kindergärten aufzeigen.<br />

Obwohl bei einer Einzelfallanalyse durch die Realitätsnähe, durch die Begegnung mit handelnden<br />

Individuen ein alltagsweltliches Wahrnehmen <strong>und</strong> Interpretieren, eine auf das Einzigartige<br />

abzielende Studie naheliegen würde, muss ein wissenschaftliches Vorgehen, eine wissenschaftliche<br />

Verwertbarkeit, das heisst die rationale Rekonstruktion der Wirklichkeit durch ein kontrolliertes<br />

Fremdverstehen berücksichtigt werden. In Handlungsmustern von Individuen müssen generelle<br />

Strukturen erkannt <strong>und</strong> als bedeutsame Kennzeichen für das zu untersuchende wissenschaftliche<br />

Problem aufgefasst werden (vgl. Lamnek, 2005, S. 311f.).<br />

Aus diesen Gründen muss sich die gesamte Fallanalyse an einen Vorgehensplan halten,<br />

welcher auf der Theorie von Lamnek (2005) <strong>und</strong> Mayring (2002) basiert <strong>und</strong> im Folgenden, auf<br />

die Erfordernisse der vorliegende Masterarbeit angepasst, vorgestellt wird:<br />

·· Fragestellung<br />

Der Zweck einer Einzelfallanalyse muss expliziert werden, da kein Fall an sich interessant ist.<br />

·· Falldefinition<br />

Als Kernpunkt der Einzelfallanalyse muss definiert werden, was als Fall gelten soll, denn<br />

davon hängt die Bestimmung des Falles <strong>und</strong> das zu untersuchende Material ab.<br />

61


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.2 Forschungsdesign<br />

·· Bestimmung der spezifischen Methoden zur Datenerhebung <strong>und</strong> Materialsammlung<br />

Für Einzelfallanalysen sind verschiedene Methoden zur Datenerhebung möglich, unter<br />

anderem die teilnehmende Beobachtung, Interviews, oder Gruppendiskussionsverfahren.<br />

Es kann auch auf bereits vorliegende Dokumente zurückgegriffen werden.<br />

·· Aufbereitung des Materials<br />

Da die exakte Beschreibung des Forschungsgegenstandes ein besonderes Anliegen qualitativ<br />

orientierter Forschung ist, muss der Aufbereitung des erhobenen Datenmaterials besondere<br />

Beachtung geschenkt werden. Dazu bieten sich die wörtliche oder kommentierte Transkription,<br />

sowie auch das zusammenfassende oder selektive Protokoll an.<br />

·· Kontexteinbindung der Erhebung <strong>und</strong> das Formulieren von besonderen Eindrücken<br />

Im Anschluss an die Datenerhebung soll eine Beschreibung der Umgebung <strong>und</strong> der<br />

Bedingungen, die Fallzusammenfassung, erfolgen, unter denen die Daten erhoben wurden.<br />

Dazu gehören auch persönliche Eindrücke des Forschenden.<br />

·· Fallstrukturierung<br />

Das vorhandene Material wird auf Kernaussagen hin untersucht <strong>und</strong> einzelnen Kategorien<br />

zugeordnet.<br />

·· Fallinterpretation<br />

Die durch die Analyse erarbeiteten Ergebnisse werden dargestellt, interpretiert <strong>und</strong> in einen<br />

grösseren Zusammenhang eingeordnet.<br />

(vgl. Lamnek, 2005, S. 313 ff. <strong>und</strong> Mayring, 2002, S. 43 ff.)<br />

62


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen<br />

4.3 Die Forschungsmethoden<br />

Wie in diesem Kapitel eingangs erwähnt, werden Forschungsmethoden entsprechend dem geeigneten<br />

Forschungsdesign ausgewählt. Deshalb erfolgt eine Darstellung des problemzentrierten Interviews<br />

als Erhebungsverfahren, der wörtlichen Transkription als Aufbereitungsverfahren <strong>und</strong> der<br />

qualitativen Inhaltsanalyse als Auswertungsverfahren.<br />

4.3.1 Das problemzentrierte Interview in der qualitativen Sozialforschung<br />

Als Forschungsmethode bietet sich für die vorliegenden Fragestellungen das problemzentrierte<br />

Interview an, ein qualitatives Erhebungsverfahren, wie es durch die folgenden Erläuterungen<br />

begründet wird. An <strong>und</strong> für sich sind Interviews Weiterentwicklungen von alltäglichen Gesprächen,<br />

mit dem Ziel, Gedanken, Einstellungen <strong>und</strong> Haltungen der Befragten zu erschliessen (vgl. Altrichter<br />

& Posch, 2007, S.150). Durch diese Form der Datenerhebung, die sprachliche Erfassung<br />

von Bedeutungsmustern, werden subjektive Informationen <strong>und</strong> Interpretationen eines Befragten<br />

über einen Forschungsgegenstand in Erfahrung gebracht. Bei einem qualitativen Interview können<br />

Informationen, also die Wirklichkeitsdefinitionen des Befragten unverzerrt, authentisch, intersubjektiv<br />

nachvollziehbar <strong>und</strong> beliebig reproduzierbar aufgezeichnet werden. Durch die Methode<br />

der qualitativen Inhaltsanalyse können die durch die Interviews entstandenen Texte anschliessend<br />

auf methodisch hohem Status analysiert <strong>und</strong> interpretiert werden, wodurch der Forscher in prozesshafter<br />

Weise zu typisierenden Aussagen <strong>und</strong> über theoretische Konzepte <strong>und</strong> über Konstellationen<br />

der sozialen Wirklichkeit gelangt (vgl. Lamnek, 2005, S. 329 ff.). Dabei interessieren häufig die<br />

Aussagen von Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen Gruppen, deren Sichtweise miteinander<br />

verglichen werden. Meist beschränkt man sich bei qualitativen Interviews auf eine kleine Zahl<br />

von Personen, deren Aussagen auf allgemeine Einstellungen <strong>und</strong> Motive hin rekonstruiert werden<br />

(vgl. Moser, 2008, S. 89). Im qualitativen Interview zeigt der Fragende Empathie <strong>und</strong> entwickelt<br />

aus dem Gesagten weitere Fragen. Je nach dem Grad der Standardisierung kommt die Asymmetrie<br />

zwischen Fragenden <strong>und</strong> Antwortenden mehr zum Tragen, denn je freier <strong>und</strong> offener die Situation<br />

gestaltet ist, das heisst je weniger die Fragen <strong>und</strong> ihre Reihenfolge bereits im Voraus festgelegt<br />

wurden, desto ähnlicher ist das Interview einer alltäglichen Gesprächssituation, da sich der Fragende<br />

auch aktiv am Gespräch beteiligen kann. Es ist bei einem qualitativen Interview wichtig, dass offene<br />

Fragen gestellt werden, die nicht in ein vorgegebenes Antwortschema eingefügt werden müssen<br />

<strong>und</strong> der antwortenden Person Spielraum lassen. Zudem sollte der Interviewer einen neutralen<br />

bis weichen Kommunikationsstil pflegen, wodurch er ein sympathisierendes Verständnis für die<br />

spezielle Situation des Befragten zum Ausdruck bringt. Ausserdem sind qualitativ geführte Interviews<br />

offen für unerwartete Informationen <strong>und</strong> für die Bedürfnisse des Befragten <strong>und</strong> werden nach<br />

Möglichkeit in dessen alltäglichem Milieu durchgeführt. Für die Durchführung eines qualitativen<br />

Interviews ist ein Aufnahmegerät wie Videorecorder oder Tonbandgerät unverzichtbar, um die<br />

Fülle der Informationen systematisch auswerten zu können.<br />

63


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

Das problemzentrierte Interview als spezielle Form des qualitativen Interviews ist ermittelnd,<br />

das heisst der Informationsfluss ist vom Befragten auf den Befragenden gerichtet, dies im Gegensatz<br />

zum vermittelnden Interview, bei welchem durch Ansprechen von bisher unbeachteten<br />

Sachverhalten eine Erkenntnis- oder Bewusstseinsveränderung auf Seite des Befragten provoziert<br />

werden. Es ist aber zu betonen, dass auch in einem ermittelnden Interview für den Befragten<br />

durch die Fragestellung <strong>und</strong> die Beschäftigung mit der Materie neue Aspekte auftauchen können<br />

(vgl. Lamnek, 2005, S. 332 ff.).<br />

Das problemzentrierte Interview ist ausserdem eine offene, halbstrukturierte Befragung,<br />

die den Befragten möglichst frei zu Wort kommen lässt <strong>und</strong> dadurch seine Erzählungen stimuliert.<br />

Dieses Erhebungsverfahren ist aber auf eine bestimmte Problemstellung zentriert, auf die der<br />

Fragende immer wieder zurückkommt. Die Gr<strong>und</strong>lage dafür bildet der Interviewleitfaden, der es<br />

dem Forschenden ermöglicht, alle wichtigen Themenbereiche in beliebiger Reihenfolge zu erfassen.<br />

Er wird auf Gr<strong>und</strong> von theoretischen oder empirischen Erkenntnissen <strong>und</strong> Analysen formuliert.<br />

Durch die teilweise Standardisierung wird die Vergleichbarkeit mehrerer Interviews erleichtert<br />

(vgl. Mayring, 2002, S. 67). Die Konzeptgenerierung durch den Befragten, das heisst die Bedeutungsstrukturierung<br />

der sozialen Wirklichkeit steht im problemzentrierten Interview <strong>–</strong> wie es eine<br />

qualitative Forschung erfordert<strong>–</strong>im Vordergr<strong>und</strong>, doch wird auch gleichzeitig das bereits vorhandene<br />

Vorverständnis des Forschenden durch den Erzählenden erweitert. Es ist also eine Kombination<br />

von induktivem <strong>und</strong> deduktivem Vorgehen, wodurch das theoretische Konzept des Forschers<br />

modifiziert wird (vgl. Lamnek, 2005, S. 364).<br />

Es eignet sich hervorragend für eine theoriegeleitete Forschung, da es keinen rein<br />

explorativen Charakter hat, sondern die Aspekte der vorrangigen Problemanalyse in<br />

das Interview Eingang finden. Überall dort also, wo schon einiges über den Gegenstand<br />

bekannt ist, überall dort, wo dezidierte, spezifischere Fragestellungen im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen, bietet sich diese Methode an. (Mayring, 2002, S. 70)<br />

Eine besondere Anwendungsform von Leitfadeninterviews ist das Experteninterview. Der Befragte<br />

ist für den Interviewer dabei in seiner Eigenschaft als Experte für ein bestimmtes Handlungsfeld<br />

von Interesse, da er über ein Prozess- <strong>und</strong> Deutungswissen in Bezug auf ein professionelles oder<br />

berufliches Handlungsfeld verfügt. Oft besteht dieses Wissen nicht nur aus Fachkenntnissen, sondern<br />

auch aus Praxiswissen, in welches individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen<br />

<strong>und</strong> soziale Deutungsmuster mit einfliessen. Experteninterviews dienen der Exploration <strong>und</strong> der<br />

Orientierung in einem neuen Feld, sowie zur Theoriegenerierung <strong>und</strong> zum Erwerb von Kontextinformationen.<br />

Sie werden häufig in Ergänzung zu anderen Methoden oder zur Vervollständigung<br />

von Informationen aus anderen Befragungen eingesetzt (vgl. Flick, 2010, S. 218). Experteninterviews<br />

dienen der Triangulation, das heisst in Bezug auf die Auswertung <strong>und</strong> den Prozess des Schlussfolgerns<br />

werden die Ergebnisse von Interviews mit direkt Betroffenen <strong>und</strong> Expertinnen kombiniert<br />

mit dem Ziel, den Untersuchungsgegenstand dadurch genauer zu erfassen.<br />

64


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

4.3.2 Wörtliche Transkription<br />

Die Interviewdaten müssen vor der eigentlichen Auswertung <strong>und</strong> Interpretation in eine schriftliche<br />

Form gebracht werden, das heisst sie müssen aufbereitet werden. Dieses Verfahren nennt sich<br />

Transkription. Eine gebräuchliche Definition dazu lautet. «Die Verschriftlichung menschlicher<br />

Kommunikation, meist auf Gr<strong>und</strong>lage von Tonband- oder anderen Aufzeichnungen. Je nach<br />

Untersuchungszweck kann, beziehungsweise muss die Transkription mehr oder weniger umfassend<br />

sein» (ILMES, zit. nach Kuckartz, Dresing, Rädiker & Stefer, 2008, S. 27). Für eine ausführliche<br />

Auswertung ist die Herstellung von wörtlichen oder kommentierten Transkripten von zentraler<br />

Bedeutung, wenn auch sehr aufwändig. Durch die wörtliche Transkription wird es möglich, eine<br />

vollständige Textfassung des verbal erhobenen Materials herzustellen, was die Basis für eine ausführliche<br />

interpretative Auswertung bildet (vgl. Mayring, 2002, S. 89). In einer kommentierten<br />

Transkription werden zusätzlich durch Sonderzeichen Auffälligkeiten der Sprache wie Pausen,<br />

Betonungen, Lachen im Wortprotokoll vermerkt.<br />

Für die Aufbereitung der problemzentrierten Interviews wird in der vorliegenden Forschungsarbeit<br />

die wörtliche Transkription gewählt, da Besonderheiten in der Ausdrucksweise, wie sie in<br />

der kommentierten Transkription festgehalten werden, hier nicht relevant sind.<br />

Transkriptionen im Rahmen qualitativer Sozialforschung müssen natürlich den wissenschaftlichen<br />

Ansprüchen genügen <strong>und</strong> benötigen daher auch feste Regelsysteme. Diese richten sich nach den<br />

erhobenen Daten, nach der Forschungsabsicht <strong>und</strong> der Fragestellung. Beispielsweise wird manchmal<br />

nur der grobe Inhalt einer Aussage benötigt, ein anderes Mal ist sogar die exakte Technik des<br />

Internationalen Phonetischen Alphabets gefragt. Das Regelsystem ermöglicht eine gute, klare<br />

Nachvollziehbarkeit bei der Generierung des Datenmaterials <strong>und</strong> eine einheitliche Gestaltung der<br />

Transkription. Dies ist von zentraler Bedeutung, gerade wenn mehrere Personen in diesem Prozess<br />

involviert sind <strong>und</strong> an der Transkription arbeiten (vgl. Kuckartz et al., 2008, S. 27). Die häufigsten<br />

Regeln für die wörtliche Transkription werden nachfolgend aufgelistet.<br />

·· Es wird wörtlich, nicht zusammenfassend transkribiert.<br />

·· Vorhandene Dialekte werden nicht mit transkribiert.<br />

·· Die Sprache <strong>und</strong> Interpunktion wird für eine gute Lesbarkeit an das Schriftdeutsch angenähert.<br />

·· Alle Angaben, die einen Rückschluss auf eine befragte Person erlauben, werden anonymisiert.<br />

65


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

·· Die interviewende Person wird mit «I», die befragte Person durch ein «B» gekennzeichnet.<br />

·· Jeder Sprecherwechsel wird durch zweimaliges Drücken der Entertaste, also eine Leerzeile<br />

zwischen den Sprechern, deutlich gemacht, damit die Lesbarkeit erhöht werden kann.<br />

(vgl. Kuckartz et al., 2008, S. 27 f.)<br />

Für die Transkription ist es von grossem Vorteil, geeignete Software <strong>und</strong> Geräte zur Verfügung zu<br />

haben. Hilfreich bei der Arbeit sind Geräte, die eine Verlangsamung der Abspielgeschwindigkeit<br />

ermöglichen, über ein automatisches kurzes Rückspulintervall bei Betätigung der Stopptaste verfügen<br />

oder die Möglichkeit haben, einen Fussschalter anzuschliessen. Für die nachfolgende Analyse der<br />

Interviews ist es hilfreich die Transkriptionen mit einer Zeilennummer zu versehen <strong>und</strong> genügend<br />

Platz für Notizen zu lassen. In jedem Fall sollte ausreichend Zeit für die Transkription berechnet<br />

<strong>und</strong> eingeplant werden. Die Dauer der Verarbeitung variiert je nach Tippgeschwindigkeit <strong>und</strong><br />

Verständlichkeit der Aufnahme zwischen dem Vier- bis Achtfachen der eigentlichen Interviewlänge<br />

(vgl. Kuckartz et al., 2008, S. 28).<br />

In der vorliegenden Arbeit werden die wichtigsten Transkriptionsregeln nach Kuckartz et al.,<br />

(2008) angewendet. Die Anonymisierung wurde aufgehoben, da die Institutionen auch als Modelleinrichtungen<br />

des Projektes «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>» im Buch von Leu et al. aufgelistet<br />

sind <strong>und</strong> alle Beteiligten, wie auch die Expertinnen, das Einverständnis gegeben haben, dass Namen<br />

<strong>und</strong> Institution erwähnt werden dürfen.<br />

4.3.3 Qualitative Inhaltsanalyse<br />

Bei einer qualitativen Inhaltsanalyse wird unterschiedliches Textmaterial mittels Verwendung von<br />

Kategorien schrittweise analysiert, um daraus Folgerungen zu ziehen. Mayring (2002) schreibt:<br />

«Die Stärke der Inhaltsanalyse ist, dass sie streng methodisch kontrolliert das Material schrittweise<br />

analysiert» (S. 114).<br />

Es werden von Mayring (2002) drei Gr<strong>und</strong>formen qualitativer Inhaltsanalyse vorgeschlagen:<br />

·· Zusammenfassung<br />

Ziel dieser Analyse ist es, das Material so zu reduzieren, dass die wichtigen <strong>und</strong> wesentlichen<br />

Inhalte eines Textes erhalten bleiben. Durch die Abstraktion wird ein überschaubares Korpus<br />

geschaffen, das immer noch ein Abbild des Gr<strong>und</strong>materials ist.<br />

66


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

·· Explikation<br />

Ziel dieser Analyse ist es, zu einzelnen Textteilen, seien dies einzelne Begriffe oder Sätze,<br />

zusätzliches Material zu suchen, welches das Verständnis erweitert <strong>und</strong> die Textstellen erklärt<br />

oder ausdeutet.<br />

·· Strukturierung<br />

Ziel der Analyse ist es, bestimmte Aspekte aus dem vorliegenden Material herauszufiltern.<br />

Das Material wird auf Gr<strong>und</strong> von bestimmten Kriterien eingeschätzt <strong>und</strong> verglichen.<br />

(vgl. Mayring, 2002, S.115)<br />

Generell empfiehlt Ritsert (1972) in seinem Ablaufschema für alle Arten der Inhaltsanalyse noch<br />

vor der Kategorienbildung den Schritt der Dimensionierung. «Die Frage bei der Dimensionierung<br />

ist die nach einer ersten Möglichkeit kategorialer Zusammenfassungen in Bezug auf die entwickelten<br />

Vermutungen, Fragestellungen <strong>und</strong> Hypothesen» (S. 46 f.).<br />

Für die Kategorienbildung muss ein Selektionskriterium festgelegt werden. Dies ist in jedem Fall<br />

ein deduktives Element <strong>und</strong> muss mit theoretischen Erwägungen begründet werden.<br />

Die gebildeten Kategorien fassen die Inhaltseinheiten zusammen <strong>und</strong> beziehen sich auf wissenschaftliche<br />

Dimensionen <strong>und</strong> sind somit allgemeiner <strong>und</strong> abstrakter als die Kernaussagen. Auf<br />

diese Weise werden die Aussagen der Befragten mit allgemeineren Prinzipien in Zusammenhang<br />

gebracht. Die Kategorienbildung sollte nicht durch Werthaltungen des Forschers beeinflusst<br />

werden (vgl. Mayring, 2002, S.117 f.).<br />

In Abhängigkeit der Fragestellung werden entweder anhand der Theorie (deduktives Vorgehen)<br />

oder der gesammelten Inhaltseinheiten (induktives Vorgehen) einzelne Kategorien gebildet <strong>und</strong><br />

die herausgearbeiteten Textstellen werden diesen zugeordnet. Für die vorliegende Arbeit bietet<br />

sich ein deduktives Vorgehen an, da die Kategorien in Abhängigkeit des vorgestellten Verfahrens<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> den entsprechenden theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen gebildet<br />

werden.<br />

67


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

Hier eine deduktive Vorgehensweise, angelehnt an ein unveröffentlichtes Skript «Was machen mit<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Lerngeschichte<br />

qualitativen Daten?» der HfH (2010):<br />

Textstelle<br />

Textstelle<br />

Textstelle<br />

Textstelle<br />

Textstelle<br />

Kategorie<br />

Kategorie<br />

Unterkategorie<br />

Unterkategorie<br />

Abbildung 6 Theoriebildung <strong>und</strong> Kategoriensystem/deduktiv<br />

Konzept Konzept<br />

spezifisch generell<br />

In dieser Arbeit werden die Interviews mit Pädagoginnen <strong>und</strong> leitenden Personen der Institutionen,<br />

sowie auch zwei Expertinneninterviews mit methodischen Elementen aus der strukturierenden<br />

<strong>und</strong> zusammenfassenden Inhaltsanalyse analysiert <strong>und</strong> ausgewertet, um Kernaussagen in Bezug<br />

auf die Fragestellungen <strong>und</strong> Einschätzungen der Anwendbarkeit des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> herauszufiltern.<br />

68


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

Das folgende Modell zeigt den Ablauf der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring,<br />

2008, Ablauf S. 84): einer strukturierenden, quaslitativen Inhaltsanalyse<br />

Bestimmung<br />

der Strukturierungsdimension<br />

Textstelle<br />

(theoriegeleitet)<br />

<strong>und</strong> Kategorienbildung<br />

Formulierung von Definitionen,<br />

Ankerbeispielen<br />

<strong>und</strong> Kodierregeln<br />

zu den einzelnen Kategorien<br />

Materialdurchlauf:<br />

Bezeichnung <strong>und</strong> Extraktion<br />

der F<strong>und</strong>stellen<br />

Ergebnisaufbereitung<br />

durch Zusammenstellen <strong>und</strong><br />

Zusammenfassen aller Aussagen<br />

zu einer Kategorie,<br />

Generalisierung aller Aussagen<br />

Abbildung 7 Ablauf einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse<br />

Überarbeitung,<br />

gegebenenfalls Revision<br />

von Kategorien<br />

<strong>und</strong> Kategoriensystem<br />

Die strukturierende Inhaltsanalyse ist ein methodisch kontrolliertes Vorgehen. Für die Kategorienbildung<br />

werden folgende drei Schritte vorgeschlagen, die in einem Kodierleitfaden zusammengestellt<br />

werden.<br />

1. Durch die Definition der Kategorien wird explizit definiert, welche Textbestandteile unter<br />

eine Kategorie fallen sollen.<br />

2. Es werden konkrete Textstellen als Ankerbeispiele angeführt, die unter eine Kategorie fallen<br />

<strong>und</strong> als Beispiel für die Kategorie gelten sollen.<br />

69


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.3 Die Forschungsmethoden<br />

3. Dort, wo Abgrenzungsprobleme zwischen Kategorien bestehen, werden Kodierregeln<br />

formuliert, um eindeutige Zuordnungen zu ermöglichen.<br />

Für die Auswertung wird das Material nun anhand dieser Kategorien, Zeile für Zeile, durchgearbeitet.<br />

Bei der ersten Materialsichtung werden die Kategorien <strong>und</strong> der Kodierleitfaden erprobt <strong>und</strong><br />

eventuell überarbeitet. Das Material wird nun in zwei Schritten durchgearbeitet. Zuerst werden<br />

die Textstellen im Material durch Farbe oder Zeilennummern bezeichnet, in denen die Kategorien<br />

angesprochen wurden. In einem zweiten Schritt wird das gekennzeichnete Material herausgefiltert,<br />

in ein Auswertungsraster eingetragen.<strong>und</strong> aufgearbeitet (vgl. Mayring, 2002, S.118 ff.)<br />

Die weitere Auswertung kann nun in zwei Richtungen gehen:<br />

·· Das gesamte Kategoriensystem kann in Bezug auf die Fragestellung <strong>und</strong> die dazugehörende<br />

Theorie interpretiert werden.<br />

·· Die Zuordnung von Textstellen zu Kategorien kann auch quantitativ ausgewertet werden.<br />

(vgl. Mayring, 2002, S.117)<br />

4.4 Triangulation<br />

Der Begriff der Triangulation ist ursprünglich der Trigonometrie entlehnt. Eine unbekannte<br />

Grösse wird von verschiedenen Messpunkten aus betrachtet, um sie genauer bestimmen zu können.<br />

Durch die verschiedenen Variationen des Messvorgangs, beziehungsweise der Bezugspunkte<br />

wird es möglich, das zu Messende präziser zu bestimmen, da die Wahrnehmung des Forschungsgegenstandes<br />

von der gewählten Methode des Messens beeinflusst wird. Die Kombination von<br />

verschiedenen Messverfahren soll eine Wahrnehmungsverzerrung einschränken, bestmöglichst<br />

sogar verhindern (vgl. Lamnek 2005, S.158). Auch innerhalb der qualitativen Forschung lässt<br />

sich mit Hilfe der Triangulation ein höheres Mass an Validität, das heisst an Gültigkeit erreichen.<br />

Verschiedene Methoden, verschiedene Forscher, Untersuchungsgruppen mit örtlich <strong>und</strong> zeitlich<br />

unterschiedlichen Settings sowie auch unterschiedliche theoretische Perspektiven in der Auseinandersetzung<br />

mit einem Phänomen lassen einen objektiveren Blick auf ein bestimmtes Phänomen<br />

zu (vgl. Lamnek, 2005, S. 158 f.). Es werden vier Formen der Triangulation unterschieden:<br />

1. Datentriangulation<br />

Hierbei werden verschiedene Daten, die unterschiedlichen Quellen entstammen <strong>und</strong> zu verschiedenen<br />

Zeitpunkten, an unterschiedlichen Orten oder durch unterschiedliche Personen<br />

erhoben wurden zu einem Phänomen kombiniert.<br />

70


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.4 Triangulation<br />

2. Forschertriangulation<br />

Es werden verschiedene Interviewer oder Beobachter eingesetzt, damit deren subjektiver<br />

Einfluss auf das Untersuchungsergebnis ausgeglichen <strong>und</strong> kontrolliert werden kann.<br />

3. Theorietriangulation<br />

Hierbei werden Daten zu einem Phänomen unter Einbeziehung verschiedener theoretischer<br />

Modelle analysiert <strong>und</strong> interpretiert, damit der Forschungsgegenstand unter verschiedenen<br />

Perspektiven <strong>und</strong> mittels unterschiedlicher Hypothesen durchleuchtet werden kann.<br />

4. Methodentriangulation<br />

Es werden verschiedene Methoden kombiniert oder innerhalb einer Methode Variationen<br />

eingeführt.<br />

(vgl. Lamnek, 2005, S.159)<br />

Die Triangulation wurde anfangs als eine Strategie der Validierung der Ergebnisse, die mit den<br />

einzelnen Methoden gewonnen wurden, konzipiert. Als Folge davon hat sich in den Sozialwissenschaften<br />

ein neuer Fokus gebildet. Zunehmend wird Triangulation als Anreicherung <strong>und</strong> Vervollständigung<br />

der Erkenntnisse verstanden (vgl. Flick, 2010, S. 520).<br />

Die Triangulation von Methoden, Forschern, Theorie <strong>und</strong> Daten wird als die vernünftigste Strategie<br />

der Theoriekonstruktion erachtet (Flick, 2010, S. 520).<br />

Es geht hierbei weniger darum, die Triangulation als Strategie der Validierung der Ergebnisse <strong>und</strong><br />

Vorgehensweisen zu verwenden als vielmehr diese als eine Erweiterung zu verstehen, welche die<br />

Tiefe, die Breite <strong>und</strong> Konsequenzen im methodischen Vorgehen erhöht (vgl. Flick, 2010, S. 520).<br />

In der vorliegenden Arbeit wird vor allem mit der Datentriangulation (1.) gearbeitet. Die<br />

Interviews wurden mit verschiedenen Personen geführt, die in den Institutionen unterschiedliche<br />

Berufsrollen wie Institutionsleitende <strong>und</strong> Pädagoginnen einnehmen. Gleichzeitig fanden die Befragungen<br />

in zwei verschiedenen Städten Deutschlands statt, in Reutlingen <strong>und</strong> Paderborn, die in den<br />

zwei B<strong>und</strong>esländern Baden-Württemberg <strong>und</strong> Nordrhein-Westfalen liegen. Des Weiteren wurden<br />

die Interviews zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt, im April 2010 in Reutlingen <strong>und</strong> im Juni<br />

2010 in Paderborn, geführt. Als Ergänzung <strong>und</strong> Vervollständigung kommen in der Schweiz noch<br />

zwei Expertinneninterviews dazu, die weitere Aspekte zum Forschungsvorhaben liefern. Eine weitere<br />

Triangulation ergibt sich durch die Erkenntnisse aus der erarbeiteten Literatur, aus den Interviews<br />

in den Institutionen <strong>und</strong> mit den Expertinnen. Die Ergebnisse aus diesen verschiedenen Perspektiven<br />

werden zu einem kaleidoskopartigen Bild zusammengesetzt (vgl. Mayring, 2002, S. 148).<br />

71


Datentriangulation<br />

4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.4 Triangulation<br />

Interviews<br />

in Reutlingen<br />

April 2010<br />

KindertagesstätteGmindersdorf<br />

Institutionsleitung<br />

Pädagoginnen<br />

Kinderhaus<br />

Heinestrasse<br />

76<br />

Transkription<br />

Abbildung 8 Datentriangulation<br />

PaderbornerKindertagesstätte<br />

Qualitative Inhaltsanalyse<br />

Interviews<br />

Interviews<br />

in Paderborn<br />

Juni 2010<br />

Institutionsleitung<br />

Pädagogin<br />

Kindertagesstätte<br />

St. Vincenz<br />

Interviews<br />

in der Schweiz<br />

September 2010<br />

72<br />

Zwei Expertinnen<br />

Frau Röllin<br />

Frau Bosshart


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen<br />

4.5 Gütekriterien<br />

Die Qualität der Forschungsarbeit <strong>und</strong> die Wahl der Forschungsmethoden werden durch die<br />

Erfüllung der Gütekriterien der Forschung bestimmt (vgl. Moser, 2008, S.17). Die traditionellen<br />

Gütekriterien der quantitativen Forschung, Validität, Reliabilität, Objektivität, sind unter einer<br />

qualitativen Perspektive oft wenig tragfähig. Deshalb müssen diese Begriffe in der qualitativen<br />

Forschung mit neuen Inhalten gefüllt <strong>und</strong> neu definiert werden. Zentral dabei ist, dass die Massstäbe<br />

zur Erfüllung der Gütekriterien zu Vorgehen <strong>und</strong> Ziel der Analyse passen. Weiter ist es<br />

wichtig, sich bei der qualitativen Forschung darauf einzustellen, dass die Geltungsbegründung der<br />

Ergebnisse viel flexibler sein muss, da man nicht bestimmte Werte errechnen kann, sondern dass<br />

vielmehr argumentativ vorgegangen werden muss <strong>und</strong> Belege angeführt <strong>und</strong> diskutiert werden<br />

sollten (vgl. Mayring, 2002, S. 140).<br />

Mayring (2002) betont, dass gr<strong>und</strong>sätzlich die Gütekriterien der Methode angemessen sein sollten<br />

(vgl. S.142) <strong>und</strong> stellt sechs Kriterien vor, die von allgemeineren Überlegungen in der qualitativen<br />

Sozialforschung abgeleitet wurden:<br />

·· Verfahrensdokumentation<br />

Damit ein Ergebnis wissenschaftlich wertvoll wird, ist es wichtig, das ausgewählte Verfahren<br />

genau zu dokumentieren. Bei der quantitativen Forschung genügt es in der Regel, die<br />

verwendeten Messinstrumente <strong>und</strong> Techniken anzugeben, da diese meistens standardisiert<br />

sind. In qualitativ orientierter Forschung ist das Vorgehen viel spezifischer <strong>und</strong>, wie zuvor<br />

betont, auf den jeweiligen Gegenstand bezogen. Die Methoden werden meist spezifisch für<br />

den Untersuchungsgegenstand entwickelt <strong>und</strong> differenziert. Dieser Vorgang muss dokumentiert<br />

werden, damit der Forschungsprozess für andere nachvollziehbar wird. Wichtig<br />

hierbei ist die Klärung des Vorverständnisses, die Zusammenstellung des Analyseinstrumentariums,<br />

die Durchführung <strong>und</strong> Auswertung der Datenerhebung.<br />

·· Argumentative Interpretationsabsicherung<br />

In qualitativ orientierten Ansätzen spielen Interpretationen eine wichtige Rolle, lassen sich<br />

aber nicht beweisen. Für die Qualitätseinschätzung sind aber besonders interpretative Teile<br />

wichtig. Deshalb muss beachtet werden, dass die Interpretationen nicht gesetzt, sondern<br />

argumentativ abgesichert werden. Verschiedene Kriterien sind dabei entscheidend: Einmal<br />

muss das Vorverständnis der Interpretation in sich stimmig <strong>und</strong> adäquat sein; dadurch wird<br />

die Deutung sinnvoll theoriegeleitet. Weiter sollte die Interpretation in sich schlüssig sein<br />

73


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.5 Gütekriterien<br />

<strong>und</strong> wo eventuelle Brüche <strong>und</strong> Unstimmigkeiten auftreten müssen diese erklärt werden.<br />

Schliesslich ist es auch wichtig, Alternativdeutungen zu suchen <strong>und</strong> diese zu überprüfen.<br />

·· Regelgeleitetheit<br />

Qualitative Forschung muss zwar offen in Bezug auf den zu untersuchenden Gegenstand,<br />

aber auch bereit sein, vorgeplante Analyseschritte zu modifizieren. Dabei darf die Forschung<br />

nicht in ein unsystematisches Vorgehen münden.<br />

«Auch qualitative Forschung muss sich an bestimmte Verfahrensregeln halten, systematisch<br />

ihr Material bearbeiten» (Mayring, 2002, S. 145 f.). Mayring fordert eine Systematisierung,<br />

indem die Analyseschritte vorher festgelegt werden <strong>und</strong> das Material in sinnvolle Einheiten<br />

unterteilt wird. Die Analyse geht nun von einer Einheit zur nächsten. Natürlich bedeutet<br />

Regelgeleitetheit nicht, sich sklavisch an die Vorgaben zu halten. Aber ohne Regeln wird<br />

qualitative Forschung wertlos.<br />

·· Nähe zum Gegenstand<br />

Die Nähe zum Gegenstand, die Gegenstandsangemessenheit, ist in der qualitativen Forschung<br />

von zentraler Bedeutung. Erreicht wird diese Nähe durch die Forschung in der natürlichen<br />

Lebens- <strong>und</strong> Alltagswelt der Beforschten. Man versucht, eine Interessensübereinstimmung<br />

mit diesen zu erreichen, denn qualitative Forschung will an konkreten sozialen Problemen<br />

ansetzen, will Forschung für die Betroffenen machen <strong>und</strong> dabei ein offenes, gleichberechtigtes<br />

Verhältnis herstellen (vgl. Mayring, 2002, S.146). Der Forschungsprozess erreicht<br />

eine grösstmögliche Nähe zum Gegenstand durch diese Interessenannährung. Am Ende des<br />

Prozesses sollte nochmals überprüft werden, inwieweit dies jeweils gelungen ist.<br />

·· Kommunikative Validierung<br />

Die Gültigkeit der Ergebnisse, der Interpretationen kann auch überprüft werden, indem sie<br />

den Beforschten noch einmal vorgelegt, mit ihnen diskutiert werden. Dieser Vorgang wird<br />

als kommunikative Validierung bezeichnet. Ein wichtiges Argument für die Absicherung<br />

der Ergebnisse ergibt sich, wenn sich die Beforschten in den Analyseergebnissen <strong>und</strong><br />

Interpretationen wiederfinden. Dies darf natürlich nicht das ausschliessliche Kriterium<br />

74


4 Forschungsstrategie <strong>und</strong> methodisches Vorgehen 4.5 Gütekriterien<br />

sein, denn sonst müsste die Analyse immer bei den subjektiven Bedeutungsstrukturen der<br />

Betroffenen bleiben. Trotzdem wird in qualitativ orientierter Forschung den Beforschten<br />

eindeutig mehr Kompetenz zugebilligt. Die Beforschten sind nicht Datenlieferanten, sondern<br />

denkende Subjekte wie die Forscher auch. Aus diesem Gr<strong>und</strong> nimmt der Forscher den<br />

Dialog auf <strong>und</strong> kann (...) «<strong>–</strong> vor allem was die Absicherung der Rekonstruktion subjektiver<br />

Bedeutungen angeht <strong>–</strong> aus dem Dialog wichtige Argumente zur Relevanz der Ergebnisse<br />

gewinnen».<br />

·· Triangulation<br />

Die Qualität der Forschung kann durch die Verbindung mehrerer Analysegänge vergrössert<br />

werden. Denzin (1978) hat dies an unterschiedlichen Ebenen festgemacht: Verschiedene<br />

Datenquellen können zur Analyse herangezogen werden, unterschiedliche Interpreten,<br />

Theorieansätze oder auch Methoden. Detailliertere Erläuterungen zur Triangulation sind<br />

im Abschnitt 4.4 nachzulesen.<br />

(vgl. Mayring, 2002, S. 144 ff.)<br />

In der vorliegenden Arbeit werden die sechs Gütekriterien nach Mayring (2002) als Gr<strong>und</strong>lage für<br />

die Reflexion der Forschungsmethoden herangezogen.<br />

4.6 Beschreibung der Stichproben<br />

Für das Forschungsprojekt wurden Modelleinrichtungen des Projekts «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>»<br />

des Deutschen Jugendinstitutes angeschrieben. In der Schweiz lief der Versuch mit<br />

dem Verfahren der «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>» in Kindertagesstätten erst an <strong>und</strong> so war<br />

es in diesen Institutionen zu früh für Erhebungen. Das Ziel war es, je zwei Institutionen in zwei<br />

verschiedenen Orten Deutschlands, wenn möglich in zwei verschiedenen B<strong>und</strong>esländern anzuschreiben,<br />

woraus Hospitationen in je zwei Kindertagesstätten in Reutlingen <strong>und</strong> Paderborn<br />

resultierten. Dort wurden Interviews mit je einer Pädagogin <strong>und</strong> der Institutionsleitung geführt.<br />

Damit die Forschung im Sinne der Triangulation einen weiteren Blickwinkel bekommt, wurden<br />

zwei mit dem Verfahren vertraute Expertinnen angefragt.<br />

75


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

5 Dokumentation des Forschungsablaufes<br />

In diesem Kapitel wird dargelegt, wie die Forschungsarbeit konkret durchgeführt wurde. Dazu<br />

gehören die Kontextinformationen, welche hier durch eine Darstellung der besuchten Kindertagesstätten<br />

realisiert wurden. Dabei ist zu betonen, dass es hier lediglich darum geht, unseren<br />

persönlichen Einblick in die Kindertagesstätten zu dokumentieren <strong>und</strong> keineswegs Anspruch auf<br />

Vollständigkeit besteht.<br />

Anschliessend werden die Datenerhebung, die Datenaufbereitung <strong>und</strong> die Datenauswertung vorgestellt.<br />

Exemplarisch werden drei wörtlich transkribierte, formatierte <strong>und</strong> kodierte Interviews im<br />

Anhang 6 bis 8 aufgeführt, wobei die den Kategorien zugeordneten Aussagen in den Abschnitten<br />

5.4 bis 5.6 dargestellt werden. Alle Interviews wurden sowohl für den Forschungs- wie auch für den<br />

Entwicklungsteil kodiert.<br />

5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen,<br />

Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Die Stadt Reutlingen liegt in zentraler Lage im B<strong>und</strong>esland Baden-Württemberg, am Fusse der<br />

Schwäbischen Alb <strong>und</strong> zählt gut 100’000 Einwohner. Sie verfügt heute über eine hübsche Innenstadt<br />

mit Rathaus <strong>und</strong> Marktplatz. Nach vier schweren Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg lagen<br />

am Ende des Krieges weite Teile der Stadt in Schutt <strong>und</strong> Asche.<br />

Aus verschiedenen Handwerksbetrieben gingen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bedeutende Industriebetriebe<br />

hervor. Dabei war die Textilindustrie bis Ende der 50er-Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts der bedeutendste<br />

Wirtschaftsfaktor.<br />

76


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

5.1.1 Die Kindertagesstätte Gmindersdorf in Reutlingen<br />

Annäherung<br />

Die städtische Kindertagesstätte Theodor-Fischer-Strasse, in Gmindersdorf, Reutlingen,<br />

Baden <strong>–</strong>Württemberg, Deutschland<br />

Theodor-Fischer-Strasse<br />

Die Arbeitersiedlung Gmindersdorf wurde anfangs des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts als «Wohlfahrtseinrichtung»<br />

für Arbeiter in unmittelbarer Nähe des Betriebsgeländes einer neuen Spinnerei der<br />

Reutlinger Textilfirma Ulrich Gminder gebaut. Gmindersdorf wurde vom Stararchitekten Theodor<br />

Fischer, Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart, als Gesamtkunstwerk errichtet <strong>und</strong><br />

hatte den Charakter eines natürlich gewachsenen Dorfes mit einer fortschrittlichen Infrastruktur.<br />

Die Arbeitskräfte, die neu angeworben werden mussten, kamen so in Genuss von Wohnmöglichkeiten,<br />

Kinderbetreuung <strong>und</strong> einem Waschhaus. Das heutige Gebäude der Kindertagesstätte wurde<br />

schon damals für die Kinderbetreuung gebaut <strong>und</strong> genutzt. Wegen Auflagen des Denkmalschutzes<br />

konnte das Gebäude in den letzten Jahren nicht den Bedürfnissen der Kindertagesstätte entsprechend<br />

angepasst werden, zum Beispiel war der Einbau einer Aussentreppe oder eines zweiten Treppenhauses<br />

nicht möglich.<br />

77


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Städtische Kindertagesstätte Theodor-Fischer-Strasse, Gmindersdorf<br />

Aktuell werden 108 Kinder von ein bis dreizehn Jahren in der Kindertagesstätte betreut, früher<br />

konnten bis zu h<strong>und</strong>ertvierzig Kinder aufgenommen werden. Heute sind weniger Plätze verfügbar,<br />

da der Dachstock aus feuerpolizeilichen Gründen nicht mehr benutzt werden darf. Ganz früher<br />

waren dort Zimmer für Erzieherinnen untergebracht.<br />

Neu werden Konferenzzimmer, Arbeitsplätze für Erwachsene <strong>und</strong> ein Experimentierzimmer<br />

für acht Kinder eingerichtet. Die Kindertagesstätte hatte in den letzten Jahren viele Umstrukturierung<br />

zu bewältigen; durch diesen Umbruch waren immer wieder Kapazitäten geb<strong>und</strong>en.<br />

Die Kindertagesstätte bietet auch den Kindergarten an für die Kinder in diesem Einzugsgebiet<br />

der Stadt Reutlingen. In diesem Stadtteil ist der Anteil an Familien mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

hoch. In Deutschland besteht Anspruch auf einen Kindergartenplatz, aber keine Pflicht, ihn<br />

auch in Anspruch zu nehmen. Die Plätze in der Kindertagesstätte Gmindersdorf sind sehr begehrt<br />

wegen der täglichen Betreuungszeit von insgesamt zehn St<strong>und</strong>en. Aktuell besteht eine Warteliste<br />

von h<strong>und</strong>ert Kindern für zwanzig freie Plätze.<br />

Es gibt vereinzelt auch behinderte Kinder, die in Gmindersdorf betreut werden, zum Teil<br />

mit einer Inklusionskraft einmal pro Woche.<br />

Die Kindertagesstätte ist täglich von 6.30 bis 17.00 Uhr geöffnet. Im Ganztagesbereich<br />

sind die Kinder acht bis zehn St<strong>und</strong>en, im Kindergarten sechs St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> im Hort fünf bis sechs<br />

St<strong>und</strong>en anwesend. Die tägliche Arbeitszeit der Erzieherinnen beträgt 7¾ St<strong>und</strong>en.<br />

Die Kindertagesstätte verfügt über eine hauseigene Küche mit vier Mitarbeitenden.<br />

Die Mahlzeiten werden täglich frisch gekocht. Je nach Betreuungszeit sind die Kinder schon zum<br />

Frühstück anwesend. Alle Kinder erhalten etwa um 9.30 Uhr ein Obstvesper, zwischen 11.00 <strong>und</strong><br />

12.00 Uhr ein Mittagessen <strong>und</strong> um 14.00 Uhr einen kleinen Snack.<br />

78


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Die Gestaltung der Räumlichkeiten <strong>und</strong> des Tagesablaufes<br />

Bei unserem Besuch fällt uns auf, wie liebevoll alles gestaltet ist. In diesem Gebäude ist viel Platz<br />

vorhanden, es wirkt grosszügig <strong>und</strong> nicht beengend. Eltern <strong>und</strong> Kinder können sich gut orientieren<br />

<strong>und</strong> informieren.<br />

Beim Haupteingang befindet sich ein Eingangsbereich für die Eltern, wo diese sich während<br />

der Eingewöhnungsphase aufhalten können. Wenn ein Kind neu eintritt, sind die Eltern anfänglich<br />

durchgehend anwesend, dann beginnt eine gestaffelte Trennungsphase, die eine allmähliche Ablösung<br />

ermöglicht.<br />

In der Kindertagesstätte wird drei Mal pro Woche am Vormittag in altershomogenen Kleingruppen<br />

gearbeitet, in der übrigen Zeit werden die Kinder in altersgemischten Gruppen betreut. Im altersdurchmischten<br />

Lernen stehen Veränderungen an. Die Aufteilung der Kinder wird neu gestaltet <strong>und</strong><br />

zwar in Gruppen von Kindern von einem bis drei Jahren <strong>und</strong> von drei bis sechs Jahren.<br />

Im Moment sind in der Sternschnuppengruppe Kinder von einem bis sechs Jahren <strong>und</strong> in<br />

der Sonnengruppe Kinder von drei bis sechs Jahren, die ganztags betreut werden. Wenn die Kinder<br />

drei Jahre alt sind, kommen sie in eine neue Gruppe auf dem gleichen Stock.<br />

79


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

In der Kindertagesstätte Gmindersdorf hat jedes Kind ein «Könnerbuch», in welchem eigene<br />

Werke, wie Zeichnungen, Fotos <strong>und</strong> ähnliches, sowie die <strong>Lerngeschichten</strong> abgeheftet werden.<br />

Sie sind für das Kind jederzeit zugänglich <strong>und</strong> werden auf Kinderhöhe aufbewahrt.<br />

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5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

In älteren Kleingruppen finden öfters Projektarbeiten statt. So wurde zum Beispiel auf dem Spielplatz<br />

ein kleines Haus mit Briefkasten gebaut.<br />

Es gibt Ruheräume für Kinder von drei bis sechs Jahren. Während der Ruhezeit liegt die Erzieherin<br />

auch auf einem Bett, erzählt Geschichten oder macht Massage. Über jedem Bett sind die Fotos der<br />

Erzieherinnen oder des Kindes aufgehängt.<br />

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5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Bei der Ausgestaltung der Räumlichkeiten <strong>und</strong> auch bei täglichen Aufgaben arbeiten Eltern<br />

<strong>und</strong> Kinder mit. Auf den Gängen entdecken wir Abbildungen von Eltern wie auch vom Eltern<strong>und</strong><br />

Kinderrat.<br />

Diese Mauer zur Abgrenzung des Spielplatzes wurde durch die Eltern gebaut. Sie lässt einen geborgenen<br />

Bereich für kleine Kinder entstehen.<br />

82


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

5.1.2 Kinderhaus Heinestrasse 76<br />

Annäherung<br />

Das städtische Kinderhaus Heinestrasse 76 in Reutlingen, Baden-Württemberg,<br />

Deutschland<br />

Das Städtische Kinderhaus Heinestrasse 76 ist in einem Wohnquartier am Rande der Stadt Reutlingen<br />

gelegen. Bei unserem Besuch beeindruckte uns der schlichte Bau, der erst beim Eintreten seine<br />

eigentliche Atmosphäre preisgab <strong>und</strong> uns in eine beeindruckend kindgerechte Welt führte.<br />

«Offenheit beginnt in den Köpfen <strong>und</strong> Herzen der Erwachsenen» (Lill, 2010, Internetseite<br />

der Stadt Reutlingen). Die so formulierte konzeptionelle Gr<strong>und</strong>haltung dieser eindrücklichen<br />

Institution definiert ihr Verständnis einer offenen Arbeit mit Kindern.<br />

Das «Städtische Kinderhaus Heinestrasse 76»<br />

83


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Im «Städtischen Kinderhaus Heinestrasse 76», welches im Jahre 2000 erbaut wurde, stehen<br />

30 Ganztagesplätze <strong>und</strong> 33 Plätze mit verlängerten Öffnungszeiten zur Verfügung. Die Kinder<br />

bleiben dann von 6.45 bis 17.00 Uhr beziehungsweise von 7.00 bis 13.00 Uhr oder von 7.30 bis<br />

13.30 Uhr im Kinderhaus. Die Betreuung der Kinder wird durch neun Erzieherinnen gewährleistet,<br />

vier davon arbeiten in einem 100%-Pensum. Dabei stehen für die «Ganztages-Gruppen»<br />

2,83 Mitarbeiterinnen pro Gruppe <strong>und</strong> für die «Verlängerte-Öffnungszeiten-Gruppe»<br />

1,65 Mitarbeiterinnen zur Verfügung. Entsprechend ihren Zuständigkeiten besuchen sie verschiedene<br />

Fortbildungen. Das Kinderhaus wird von Frau Ingrid Elisabeth Schulz geleitet,<br />

die zu ca. 53% für die Hausleitung <strong>und</strong> zu 47% für Weiterbildungen zur Umsetzung des Baden-<br />

Württembergischen <strong>Bildungs</strong>plans zuständig ist. Ab Sommer 2010 arbeitet Frau Schulz<br />

zu 100% in freier Referentinnentätigkeit.<br />

Im Logo des «Städtischen Kinderhauses Heinestrasse 76»<br />

sind die Bausteine enthalten, welche die Schwerpunkte<br />

der pädagogischen Arbeit darstellen:<br />

84


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Gelb: Beziehung<br />

Täglich findet um 9.15 Uhr ein Morgentreff für alle Kinder statt, die zu dieser Zeit bereits im Haus<br />

anwesend sind. Auch in den altershomogenen Gruppen wird ein täglicher Treff mit der Bezugserzieherin,<br />

welche für die Beziehungsgestaltung <strong>und</strong> Begleitung zuständig ist, durchgeführt. Weiter<br />

gehört die Projektarbeit zu den regelmässigen Aktivitäten im Kinderhaus.<br />

Von 7.00 bis 10.00 Uhr steht den Kindern ein Buffet mit biologischen Produkten zur Verfügung.<br />

Die Kinder selber bringen kein Essen mit. Das Mittagessen wird vom nahen Krankenhaus<br />

geliefert.<br />

Wenn ein Kind neu aufgenommen wird, wird es von einer Eingewöhnungserzieherin während<br />

ungefähr zwei Wochen begleitet. Eingewöhnung ist hier ein Konzept mit festgelegten Handlungsparametern,<br />

um die Eingewöhnung <strong>und</strong> den Übergang der Kinder <strong>und</strong> ihren Familien in das<br />

Kinderhaus hilfreich zu gestalten. Vorerst hält sich das Kind mit der Erzieherin <strong>und</strong> der Mutter<br />

zusammen während etwa einer St<strong>und</strong>e in einem Raum entsprechend seinen Interessen auf.<br />

Nach <strong>und</strong> nach werden neue Räume angeboten <strong>und</strong> die Aufenthaltsdauer wird verlängert.<br />

85


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Mit der Zeit begleitet die Mutter das Kind nicht mehr in die verschiedenen Räume <strong>und</strong> verbringt<br />

die Zeit auf dem Elternsofa im Eingang, ist also nach wie vor im Haus anwesend. Ganztageskinder<br />

werden vorzugsweise am Nachmittag eingewöhnt, da es zu dieser Tageszeit ruhiger ist im Kinderhaus.<br />

In der Gesamtkindergartenzeit finden mindestens zwei Entwicklungsgespräche mit den<br />

Eltern statt. Durch verschiedene Aktivitäten <strong>und</strong> Feste, unter anderem durch eine jährliche<br />

«bewegte» Eltern-Kind-Aktion, beteiligen sich die Eltern am Leben im Kinderhaus Heinestrasse<br />

<strong>und</strong> erhalten einen Einblick in die Tätigkeiten der Erzieherinnen <strong>und</strong> der Kinder.<br />

Grün: Beobachtung <strong>und</strong> Bildung<br />

Die Beobachtung ist eine wesentliche Gr<strong>und</strong>lage für die Arbeit mit den Kindern im Kinderhaus<br />

Heinestrasse. Dabei steht das eigene Lernen des Kindes im Zentrum <strong>und</strong> es wird differenziert,<br />

ob es neues Lernen, also ein Lernfortschritt oder eine alltägliche zu bewältigende Situation ist.<br />

Lernen findet aber auch im Lebensalltag statt, zum Beispiel auf der Treppe, wo beim Gehen die auf<br />

der Treppe aufgeklebten Zahlen, Zahlwörter <strong>und</strong> Mengen verinnerlicht werden. Der pädagogischdidaktischen<br />

Haltung liegt der Konstruktivismus zu Gr<strong>und</strong>e: In Ko-Konstruktion gestaltet das<br />

Kind die Welt mit, es entdeckt Fähigkeiten <strong>und</strong> entwickelt Fertigkeiten, seine Autonomie wächst.<br />

Es erweitert seinen Handlungsspielraum Schritt für Schritt <strong>und</strong> verfeinert sein Abbild in der<br />

Interaktion mit der Umwelt.<br />

Im Kinderhaus Heinestrasse 76 wird seit 2003 mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> gearbeitet.<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind Geschichten, die vom Lernen der Kinder erzählen <strong>und</strong> sie werden im <strong>Bildungs</strong>buch<br />

abgelegt.<br />

86


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

87


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Rot: Bewegung<br />

Das «Städtische Kinderhaus Heinestrasse 76» ist ein bespielbares Haus mit Funktionsräumen<br />

<strong>und</strong> Lernwerkstätten wie Baustelle, Schreibwerkstatt, Bewegungsraum, Werkstatt, Labor <strong>und</strong> Traumzimmer.<br />

Diese liebevoll eingerichteten Räumlichkeiten ermöglichen es den Kindern, denjenigen<br />

Aktivitäten nachzugehen, die ihrem derzeitigen <strong>Bildungs</strong>interesse entsprechen. Auf dem Plan<br />

im Eingangsbereich können die Kinder einsehen, welche Erzieherin für welchen Raum zuständig<br />

ist <strong>und</strong> sie können sich entscheiden, wo sie sich aufhalten möchten. Die Kinder dürfen ihren Tätigkeitsbereich<br />

wechseln, wann immer sie wollen, wobei der Innen- <strong>und</strong> Aussenbereich gleichwertig<br />

sind. Die Institution wurde durch den Landessportb<strong>und</strong> Baden-Württemberg für das Bewegungskonzept<br />

zertifiziert.<br />

Experimente mit Zeit <strong>und</strong> Materialien<br />

Einer dieser Funktionsräume ist als Baustelle für Kinder von drei bis sechs Jahren mit Hohlbausteinen,<br />

Biberbausteinen <strong>und</strong> verschieden hohen Baumstämmen eingerichtet. Eine weitere Baustelle<br />

befindet sich im Freien.<br />

Im selben Raum stehen auch Materialien für den mathematischen Bereich zur Verfügung<br />

<strong>und</strong> können auch mit der Baustelle kombiniert werden: Sanduhren, Gelegenheiten zum Messen,<br />

Wiegen <strong>und</strong> Vergleichen.<br />

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5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

Das «Städtische Kinderhaus Heinestrasse 76» ist wie erwähnt ein bewegungszertifizierter Kindergarten.<br />

Bewegung wird dabei nicht nur als motorische Aktivität verstanden, sondern auch als<br />

Angebot an vielfältigen <strong>Bildungs</strong>möglichkeiten <strong>und</strong> an verschiedenen Erfahrungsfeldern in den für<br />

die Bedürfnisse der Kinder eingerichteten Funktionsräumen.<br />

In der Werkstatt bekommen die Kinder einen Werkstattschein,<br />

wenn sie mit Werkzeugen umgehen<br />

können. Dies bedeutet, dass sie dort auch alleine<br />

arbeiten gehen dürfen.<br />

89


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.1 Die besuchten Kindertagesstätten in Reutlingen, Baden-Württemberg, Deutschland<br />

In der Schreibwerkstatt können Kinder ihre «Spuren hinterlassen» <strong>und</strong> erste Schreiberfahrungen<br />

sammeln, sowie auch Nähen oder Weben. Diese Tätigkeiten sind ideal für «entwicklungsbeschleunigte»<br />

Kinder.<br />

Im Traumzimmer können sich die<br />

Kinder zurückziehen, sich erholen <strong>und</strong><br />

Geschichten <strong>und</strong> sanfte Musik hören.<br />

Im Malatelier entdecken die Kinder<br />

die verschiedenen Farbtöne <strong>und</strong> ihre<br />

Wirkung.<br />

Weitere detaillierte Informationen zum «Städtischen Kinderhaus Heinestrasse 76» sind unter der<br />

Internetadresse www.reutlingen.de/ «Standortbestimmung Kinderhäuser der Stadt Reutlingen»<br />

zu finden.<br />

90


5 Dokumentation des Forschungsablaufes<br />

5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn,<br />

Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Die Universitätsstadt Paderborn liegt im südöstlichen Winkel des Westfälischen Tieflandes,<br />

am Fuss der hier nach Süden <strong>und</strong> Osten ansteigenden Paderborner Hochfläche <strong>und</strong> zählt gut<br />

145’000 Einwohner. Die Bomben des Zweiten Weltkrieges legten Paderborn zu 85% in Trümmer.<br />

Nach dem Wiederaufbau in den 1940er- bis 1960er-Jahren entwickelte sich Paderborn zu einem<br />

der wichtigsten westfälischen Industrieorte, besonders die Hightech-Industrie machte die Stadt zu<br />

einem wichtigen Wirtschaftsplatz. Zu den vielen interessanten Sehenswürdigkeiten zählen unter<br />

anderem der Dom, der im Zentrum der Innenstadt liegt, die Paderquellen <strong>und</strong> das Rathaus.<br />

5.2.1 Paderborner Kindertagesstätte<br />

Geschichte<br />

Institution Paderborner Kindertagesstätte, Ahornallee, Paderborn,<br />

Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Vor fast vierzig Jahren entstanden in Paderborn in der damals jungen Computerindustrie neue<br />

Arbeitsplätze. Viele qualifizierte Arbeitskräfte kamen hierher, darunter auch junge Eltern <strong>und</strong> Alleinerziehende,<br />

die dringend nach Möglichkeiten einer Betreuung während ihrer Arbeitszeit suchten.<br />

Durch die Initiative von Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter der Nixdorf Computer AG wurde schon<br />

1969 der Verein «Paderborner Kindertagesstätte e.V.» gegründet. Aufgr<strong>und</strong> fehlender gesetzlicher<br />

Regelungen <strong>und</strong> massiver behördlichen Auflagen wurde die Einrichtung 1975 geschlossen. Im Jahre<br />

1981 eröffnete die Kindertagesstätte an der Hans-Humpertstrasse wieder <strong>und</strong> wurde 1987 durch<br />

den Neubau in der Ahornallee, der vier Kindergruppen Platz bietet, ergänzt.<br />

Paderborner Kindertagesstätte e.V., Ahornallee<br />

Aktuell werden 60 Kinder im Alter von vier Monaten bis sechs Jahren in der Kindertagesstätte<br />

betreut. Die Kinder sind in vier Gruppen zu je sieben Kindern unter drei Jahren <strong>und</strong> acht Kindern<br />

zwischen drei <strong>und</strong> sechs Jahren eingeteilt. Jede Gruppe wird von drei Lehrpersonen/Erzieherinnen<br />

91


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

betreut. Die Kindertagesstätte ist von 6.30 Uhr bis 17.15 Uhr geöffnet. Die Betreuungszeiten<br />

können nach Absprache von Kind zu Kind verschieden sein <strong>und</strong> richten sich nach den Arbeitszeiten<br />

der Eltern. Nach einem gemeinsamen Frühstück, spätestens um 9.00 Uhr, beginnt der Tag in den<br />

Gruppen oftmals mit Gesang <strong>und</strong> Spiel, mit gemeinsamen <strong>und</strong> individuell abgestimmten Angeboten,<br />

viel Bewegung <strong>und</strong> Sport, aber auch Ausflügen in die nähere Umgebung. In den altersgemischten<br />

Gruppen werden auch gemeinsame Projekte injiziert, um Natur, Wissenschaft, Technik<br />

oder auch Einrichtungen des täglichen Lebens kennen zu lernen. Das Mittagessen findet in der<br />

vertrauten Tischgemeinschaft in der Gruppe statt. Nach dem Essen können sich die Kinder in den<br />

Ruheraum zurückziehen. Meditative Musik oder eine Massage fördern die sinnliche Erfahrung<br />

<strong>und</strong> bringt den Kindern Entspannung.<br />

Nach der Mittagsruhe stehen das freie Spiel oder auch gruppenübergreifende Angebote<br />

im Vordergr<strong>und</strong>. Nach einem kleinen Nachmittagsimbiss beginnt dann die Abholzeit durch die<br />

Eltern.<br />

Die Gestaltung der Räumlichkeiten<br />

Die Kindertagesstätte liegt am westlichen Rand der Stadt Paderborn <strong>und</strong> ist ein ebenerdig angelegtes<br />

Gebäude im Grünen. Bei unserem Besuch fällt uns auf, dass die Räume hell <strong>und</strong> mit vielen<br />

liebevollen Details eingerichtet sind.<br />

Der Eingangsbereich der Kindertagesstätte<br />

mit einem «Kastanienbad»<br />

92


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Vor den einzelnen Gruppenräumen hängen Fotos von den Kindern, von deren Tätigkeiten <strong>und</strong><br />

Lernschritten. Transparenz <strong>und</strong> Offenheit bei der Elternarbeit sind in der Kindertagesstätte von<br />

zentraler Bedeutung.<br />

Bis spätestens um 9.00 Uhr haben alle Kinder in der Gruppe das Frühstück eingenommen, damit<br />

nachher mit den Spielen, dem Singen oder anderen Tätigkeiten begonnen werden kann.<br />

93


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Ein Bewegungsraum animiert die Kinder, sich zu bewegen <strong>und</strong> Neues auszuprobieren.<br />

In der Kindertagesstätte hat jedes Kind ein Portfolio, in welchem seine Werke, wie Zeichnungen,<br />

Fotos <strong>und</strong> ähnliches, sowie die Lerngeschichte abgeheftet werden. Sie werden in den Gruppenräumen<br />

aufbewahrt <strong>und</strong> sind für das Kind jederzeit zugänglich.<br />

Die Portfolios der Kinder<br />

94


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Ein Mädchen zeigt uns sein Portfolio<br />

<strong>und</strong> die <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Nach dem Mittagessen können sich die Kinder in den Ruheraum zurückziehen. Die Erzieherinnen<br />

lassen sanfte Musik spielen, machen eine Massage oder erzählen Geschichten.<br />

95


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Am Nachmittag findet das Freispiel statt. Oft bewegen sich die Kinder auch auf dem grossen Spielplatz,<br />

der zur Kindertagesstätte gehört.<br />

96


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

5.2.2 Kindergarten St. Vincenz<br />

Geschichte<br />

Institution Katholische Kindertageseinrichtung St.Vincenz, Paderborn,<br />

Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Im Jahre1996 wurde die Kindertageseinrichtung St.Vincenz wegen der stetig steigenden Nachfrage<br />

auf Betreiben des örtlichen Jugendamtes eröffnet. Der Kindergarten befindet sich <strong>–</strong> mit separatem<br />

Eingang <strong>–</strong> im Gebäude des Erzbischöflichen Kinderheimes, das von einer grossen Freifläche umgeben<br />

im Kern der Stadtheide liegt. Beide Einrichtungen, Kinderheim <strong>und</strong> Kindergarten, werden<br />

getragen durch den «Verein für Jugendhilfe im Erzbistum Paderborn e.V.» Die Aussenspielfläche<br />

wurde 2004 neu gestaltet <strong>und</strong> ist 1100 Quadratmeter gross.<br />

Katholische Kindertageseinrichtung St.Vincenz<br />

Aktuell werden 65 Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren in der Einrichtung betreut.<br />

Im Kindergarten werden die Kinder 35 St<strong>und</strong>en in der Woche <strong>und</strong> in der Tagesstätte<br />

45 St<strong>und</strong>en in der Woche aufgenommen. Die Kinder verteilen sich auf drei Gruppen zu 22 <strong>und</strong><br />

26 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren <strong>und</strong> eine Gruppe mit 17 Kindern im Alter zwischen<br />

zwei <strong>und</strong> drei Jahren. Gr<strong>und</strong>sätzlich arbeiten zwei Erzieherinnen in der Gruppe, unterstützt durch<br />

eine Praktikantin.<br />

97


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Die Kindertageseinrichtung ist von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet. Der Kindergarten wird ohne,<br />

die Tagesstätte mit Mittagsbetreuung geführt.<br />

Die Kinder nehmen ihr Frühstück selber mit, es wird gemeinsam in der Gruppe eingenommen.<br />

Über Mittag bleiben im Moment 26 Kinder in der Einrichtung. Die anderen gehen zum<br />

Essen nach Hause <strong>und</strong> kommen am Nachmittag wieder. Die meisten Kinder kommen aus dem Stadtteil<br />

in der näheren Umgebung der Kindertageseinrichtung, wo es zahlreiche Einfamilienhäuser<br />

gibt. Viele Familien wohnen über längere Zeit hier. In den letzten Jahren sind aber auch Familien<br />

mit Migrationshintergr<strong>und</strong> zugezogen, die auf Wunsch auch in die Einrichtung aufgenommen<br />

werden. Die Kindertageseinrichtung betreut auch zwei Kinder mit einer anerkannten Behinderung<br />

<strong>und</strong> ein Kind mit dem Antrag auf Unterstützung.<br />

Räumlichkeiten <strong>und</strong> alltägliches Leben in der Einrichtung<br />

Die Räume des Erzbischöflichen Kinderheimes sind nicht kindergartentypisch. Es gibt viele kleine<br />

Räume <strong>und</strong> keine grossen Gruppenräume. Dies ist ein Vorteil für die Arbeit in Kleingruppen,<br />

der Geräuschpegel ist dadurch geringer <strong>und</strong> es kann thematisch in den einzelnen Gruppenräumen<br />

gearbeitet werden. Die Beobachtung der einzelnen Kinder ist gut möglich. Bei unserem Besuch<br />

konnten wir erleben, wie aktiv <strong>und</strong> doch ruhig in den einzelnen Räumen gearbeitet <strong>und</strong> gespielt<br />

wurde.<br />

Kinder beim Spielen in einem Gruppenraum<br />

98


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Einige der Räume des Erzbischöflichen Kinderheimes wie die Sporthalle <strong>und</strong> die integrierte<br />

Kapelle werden auch von den Kindern des Kinderheimes benutzt. Oft werden festliche Rituale<br />

wie Geburtstage oder Weihnachtsfeiern in der Kapelle stimmungsvoll gefeiert.<br />

Die Kapelle für feierliche Rituale<br />

Bei der Ausgestaltung der Räumlichkeiten <strong>und</strong> bei anstehenden Reparaturen arbeiten die Eltern<br />

mit. Alle zwei Jahre gibt es auch ein Familienwochenende, an dem Eltern, Kinder <strong>und</strong> Erzieherinnen<br />

teilnehmen. Auch findet immer wieder ein Familienstammtisch in einer Gaststätte statt, an dem<br />

auch die Erzieherinnen teilnehmen, um den Austausch zwischen Eltern <strong>und</strong> den Betreuenden zu<br />

fördern. Es ist uns aufgefallen, dass der Austausch <strong>und</strong> die Kommunikation zwischen allen Beteiligten<br />

eine wichtige Rolle spielt. Dies zeigt sich auch in den Gängen der Einrichtung, wo überall Informationen<br />

auf Bildern, Plakaten oder Fotos zu finden sind. Sogar ein Monitor mit den neuesten<br />

Informationen steht im Eingangsbereich, damit die Eltern Einsicht in die Prozesse, in die Arbeit<br />

<strong>und</strong> Entwicklung der Kinder haben.<br />

Diese Offenheit, das Engagement <strong>und</strong> die Transparenz in der Elternarbeit sind uns bei<br />

unserem Besuch besonders aufgefallen <strong>und</strong> haben uns beeindruckt.<br />

99


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Monitor mit den aktuellen Themen in der Kindertageseinrichtung St.Vincenz<br />

100<br />

Plakate mit Informationen für die Eltern


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Es gibt Ruheräume für die Kinder. Hier können sie sich nach dem Mittagessen ausruhen, eine<br />

Geschichte hören oder sich entspannen.<br />

101<br />

In der Kindertageseinrichtung hat jedes Kind eine «Schatzmappe». Darin werden selbstausgewählte<br />

Werke der Kinder wie Fotos, Zeichnungen <strong>und</strong> auch die <strong>Lerngeschichten</strong> abgeheftet. Sie sind für<br />

die Kinder jederzeit <strong>und</strong> gut zugänglich.


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.2 Die besuchten Kindertagesstätten in Paderborn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland<br />

Die Kindertageseinrichtung St.Vincenz achtet darauf, dass die Kinder viel Bewegung haben,<br />

auch in Form von Wandertagen, Ausflügen in den Wald oder auf den nahen Spielplatz <strong>und</strong> dies<br />

bei jedem Wetter. Die Einrichtung ist bewegungszertifiziert.<br />

102<br />

Auch die Eltern gestalten manchmal eine<br />

Seite in der «Schatzmappe»<br />

Kinder beim Spielen<br />

im Bewegungszimmer


5 Dokumentation des Forschungsablaufes<br />

5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung<br />

103<br />

Im Folgenden wird aufgezeigt, wie die Forschungsarbeit ausgehend von den Fragestellungen<br />

geplant <strong>und</strong> durchgeführt wurde. Wie in Abschnitt 4.2 bereits dargelegt <strong>und</strong> begründet, wurde<br />

für diese Masterarbeit der Vorgehensplan einer Einzelfallanalyse gewählt, obwohl das Forschungsdesign<br />

nicht einer klassischen Einzelfallanalyse entspricht, da das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> nicht die einzelne Institution im Zentrum unserer Forschung war.<br />

In jeder Kindertagesstätte führten wir ein problemzentriertes Interview mit einer oder<br />

mehreren Pädagoginnen gleichzeitig, wobei die Aussagen im letzteren Fall nicht separat dargestellt<br />

wurden. In drei Kindertagesstätten war es auch möglich, zusätzlich ein Interview mit der Institutionsleitung<br />

zu führen. Später kamen in der Schweiz noch zwei Expertinneninterviews dazu.<br />

Für die Interviews erstellten wir einen Leitfaden, welchen wir durch unsere Erfahrungen in den<br />

ersten Interviews später leicht anpassten. Nachfolgend das Beispiel eines Leitfadens, welcher für<br />

das Interview mit der Institutionsleitung des Kindergartens St. Vincenz in Paderborn verwendet<br />

wurde.


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung<br />

Interviewleitfaden zum Thema <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

(In den Interviewfragen wurde zur Vereinfachung der Begriff «<strong>Lerngeschichten</strong>» verwendet.)<br />

Würden Sie sich uns bitte persönlich vorstellen?<br />

Wie lautet Ihre Definition von <strong>Lerngeschichten</strong>?<br />

Wie, wann <strong>und</strong> warum haben Sie sich für <strong>Lerngeschichten</strong> entschieden?<br />

Wie häufig werden <strong>Lerngeschichten</strong> geschrieben?<br />

Zeiträume/Abläufe/Verantwortlichkeiten?<br />

Wie <strong>und</strong> wie oft findet der Austausch im Zusammenhang mit <strong>Lerngeschichten</strong> im<br />

Team statt?<br />

Welches ist die Rolle der Beteiligten: Kind, Eltern, Pädagoginnen?<br />

Wie werden <strong>Lerngeschichten</strong> den Kindern kommuniziert?<br />

Welche Qualitäten kennzeichnen diese Dialoge?<br />

Welche Rolle spielen <strong>Lerngeschichten</strong> in Elterngesprächen?<br />

Wer ist bei Ihnen für die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen<br />

zuständig?<br />

Welches sind Gelingensfaktoren <strong>und</strong> Stolpersteine für die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong>?<br />

Welches sind Ihrer Meinung nach Chancen <strong>und</strong> Grenzen der <strong>Lerngeschichten</strong>?<br />

Gibt es durch <strong>Lerngeschichten</strong> eine Mehrbelastung? Wenn ja: welche?<br />

Welche Auswirkungen hat die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> auf die Zusammenarbeit<br />

im Team?<br />

Wie werden die Mitarbeitenden für die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> ausgebildet?<br />

Wie werden <strong>Lerngeschichten</strong> aufbewahrt/archiviert? Für wen sind sie zugänglich?<br />

104


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung<br />

Welche Auswirkungen hat die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> auf die Unterrichts<strong>und</strong><br />

Raumgestaltung?<br />

Gibt es Folgeprojekte anschliessend an Ihre Institution z. B. einen Transfer in die Schule?<br />

Welche Entwicklungsperspektiven sehen Sie für Ihre Institution in Bezug auf die Arbeit<br />

mit <strong>Lerngeschichten</strong>?<br />

Welche Empfehlungen würden Sie anderen Institutionen für die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong><br />

geben?<br />

Welches sind Ihre Visionen für die Zukunft?<br />

Welche pädagogischen Gr<strong>und</strong>haltungen zu Entwicklungsprozessen von Kindern sind<br />

die Basis für die Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong>?<br />

Inwieweit unterstützen <strong>Lerngeschichten</strong> die Förderung von Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen?<br />

Erachten Sie <strong>Lerngeschichten</strong> als geeignetes Instrument für die Arbeit mit Kindern mit<br />

besonderen Bedürfnissen?<br />

Wie wird aus den <strong>Lerngeschichten</strong> die Förderung von Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen abgeleitet?<br />

Wo liegt der Gewinn der Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> für ein Kind mit altersgemässer<br />

Entwicklung oder für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen?<br />

Wie werden Ressourcen von Kindern durch <strong>Lerngeschichten</strong> erfasst?<br />

Sind Ihrer Meinung nach <strong>Lerngeschichten</strong> auch ein Instrument zur Beurteilung?<br />

Werden <strong>Lerngeschichten</strong> auch für Schullaufbahnentscheide verwendet?<br />

Welche Stärken nehmen Kinder aus der Arbeit mit <strong>Lerngeschichten</strong> für ihren<br />

zukünftigen Weg mit?<br />

Was zeichnet ein Kind mit altersgemässer Entwicklung oder ein Kind mit besonderen<br />

Bedürfnissen aus, das mit <strong>Lerngeschichten</strong> gefördert wurde?<br />

105


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung<br />

106<br />

Nach der Erhebung mussten die Daten aufbereitet werden. Um die exakte Beschreibung des<br />

Forschungsgegenstandes zu gewährleisten, transkribierten wir die Interviews jeweils wörtlich,<br />

wozu trotz Teamarbeit die drei- bis vierfache Interviewzeit einberechnet werden musste (siehe<br />

Anhang 6 bis 8). Die Kontexteinbindung der Erhebung <strong>und</strong> das Formulieren von besonderen<br />

Eindrücken konnten wir durch unsere in den Abschnitten 5.1 <strong>und</strong> 5.2 vorgestellten Kindertagesstätten<br />

gewährleisten.<br />

Als Auswertungsverfahren wählten wir die qualitative Inhaltsanalyse <strong>und</strong> versahen als erstes die<br />

gesamten transkribierten Interviews mit fortlaufenden Zeilennummern, damit die herausgefilterten<br />

Aussagen jederzeit wieder gef<strong>und</strong>en werden können. Dafür war zuerst eine Fallstrukturierung<br />

notwendig, bei welcher wir deduktiv vorgingen <strong>und</strong> anhand der wir in Kapitel 2 den Forschungsfragen<br />

entsprechend dargestellten Theorie mehrere Kategorien <strong>und</strong> Unterkategorien formulierten.<br />

Bei diesem Arbeitsschritt orientierten wir uns an Begriffen, die einerseits aus dem Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> andererseits aus dem Kontext der Förderung von Kindern<br />

mit besonderen Bedürfnissen stammen. Dem Kategoriensystem ordneten wir nun entsprechende<br />

Kernaussagen inklusive Zeilennummern aus den jeweiligen transkribierten Interviews zu <strong>und</strong> trugen<br />

sie ins Kategoriensystem ein (siehe Abschnitte 5.4 bis 5.6). Anschliessend wurden die Aussagen<br />

aller Befragten aus den einzelnen kodierten Interviews den vier Kategorien zugeordnet, damit sie<br />

anschliessend generalisiert werden konnten. Diese Generalisierungen erscheinen in den Abschnitten<br />

6.1 <strong>und</strong> 7.1<br />

Im Laufe der Kategorienbildung entwickelten wir je einen Kodierleitfaden für den Forschungs<strong>und</strong><br />

den Entwicklungsteil, welche eine eindeutige Zuordnung von Textmaterial zu den Kategorien<br />

ermöglichten (vgl. Mayring, 2002, S.118 f.). Die Interpretation der Ergebnisse folgt in den<br />

Abschnitten 6.2 <strong>und</strong> 7.2.


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung<br />

Kat. Definition Ankerbeispiele Kodierregeln<br />

K 1 Förderdiagnostik<br />

K 2 Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung<br />

K 3 Austausch<br />

K 4 Förderplanung<br />

Mit dem Begriff wird die<br />

Förderung eines Kindes<br />

mit dem Gedanken der<br />

Diagnostik verknüpft, deren<br />

Ziel die Optimierung<br />

der Förderung ist.<br />

Die pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung<br />

ist die professionelle<br />

<strong>und</strong> auch persönliche<br />

Einstellung einer<br />

Lehrperson gegenüber<br />

Lernenden <strong>und</strong> ihrem<br />

Lernen.<br />

Der Austausch mit dem<br />

Kind, den Eltern <strong>und</strong> mit<br />

dem Team meint die dialogische<br />

Gr<strong>und</strong>haltung in<br />

Gesprächen, um gemeinsam<br />

das Kind in seinem<br />

Lernen zu fördern.<br />

In einer Förderplanung<br />

werden künftige Lern<br />

<strong>und</strong> Entwicklungsschritte<br />

geplant <strong>und</strong> festgehalten<br />

(vgl. Buholzer, 2006, S.<br />

59).<br />

Tabelle 2 Kodierleitfaden für den Forschungsteil<br />

·· Individueller auf Lernen <strong>und</strong> Entwicklung<br />

der Kinder zu gucken.<br />

(V/I, 818)<br />

·· ..., es gibt schon mit diesen Lerndispositionen<br />

ganz viele Informationen.<br />

(E/R, 151/152)<br />

·· Es folgt eine unheimliche Wertschätzung<br />

hinterher <strong>und</strong> die<br />

Kinder freuen sich auch schon.<br />

Und fragen dann auch morgens:<br />

«Beobachtest du mich den<br />

Tag?» (V/I, 738/739)<br />

·· ... eine Gesamtsicht auf das Kind,<br />

mit dem besonderen Blick auf die<br />

Stärken. (V/P, 946/947)<br />

·· ..., denn es lebt im dritten Schritt<br />

davon, dass man austauscht<br />

<strong>und</strong> miteinander schaut. (E/B,<br />

552/553)<br />

·· Dass sich im Team erst einmal<br />

auseinandergesetzt wird über die<br />

Arbeit, über das Bild vom Kind...<br />

(V/I, 828/830)<br />

·· ..., was hat sich entwickelt <strong>und</strong><br />

wo muss man den nächsten Impuls<br />

geben. (P/P, 1240/1241)<br />

·· Dass man da auch mit der Umgebung<br />

reagieren kann <strong>und</strong> somit<br />

auch die Förderung oder die Herausforderung<br />

für die Kinder dann<br />

gestaltet ist. (H/P, 2293/2294)<br />

107<br />

··<br />

Alle benannten<br />

Diagnose- <strong>und</strong><br />

Beobachtungsverfahren<br />

··<br />

Aussagen zu besonderen<br />

Bedürfnissen<br />

··<br />

Aussagen über Umgang<br />

mit Stärken<br />

<strong>und</strong> Defiziten<br />

··<br />

Aussagen zur Beziehungsebene<br />

··<br />

Aussagen über<br />

Qualität <strong>und</strong> Gestaltung<br />

von Dialog<br />

<strong>und</strong> Austausch<br />

··<br />

Aussagen über<br />

Sinn <strong>und</strong> Ziel von<br />

Austausch<br />

··<br />

Aussagen zu ganzheitlicherAusgestaltung<br />

von Förderung<br />

··<br />

Aussagen zu Förderzielen


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.3 Datenerhebung, Datenaufbereitung <strong>und</strong> Datenauswertung<br />

Kat. Definition Ankerbeispiele Kodierregeln<br />

K 5 <strong>Bildungs</strong>verständnis<br />

K 6 Organisation<br />

K 7 Ausgestaltung<br />

K 8 Umsetzung des Verfahrens<br />

Das <strong>Bildungs</strong>verständnis<br />

umschreibt, welche<br />

Vorstellungen Menschen<br />

vom Lernen <strong>und</strong> von<br />

Bildung haben.<br />

Mit der Organisation ist<br />

die Planung <strong>und</strong> Einführung<br />

des Verfahrens<br />

innerhalb einer Institution<br />

gemeint.<br />

Mit Ausgestaltung des<br />

Verfahrens ist gemeint,<br />

welche Materialen für<br />

die Umsetzung benötigt<br />

werden, wie die Raumgestaltung<br />

aussieht <strong>und</strong> wie<br />

die Dokumentationen<br />

innerhalb des Verfahrens<br />

gestaltet werden.<br />

Mit dem Begriff wird die<br />

konkrete Umsetzung des<br />

Verfahrens in den Institutionen<br />

beschrieben.<br />

Tabelle 3 Kodierleitfaden für den Entwicklungsteil<br />

·· Denn dann hat Lernen stattgef<strong>und</strong>en,<br />

wenn neue Problemlösungswege<br />

erkennbar sind.<br />

(H/I, 2413/2414)<br />

·· Sehe ich mich als diejenige, die<br />

schon alles weiss <strong>und</strong> Kinder belehren<br />

muss oder sehe ich mich als<br />

jemand, der gemeinsam mit den<br />

Kindern auf Entdeckungsreise<br />

geht. (P/P, 1570<strong>–</strong>1572)<br />

·· Und andere Grenzen sind da die<br />

Zeit <strong>und</strong> die personellen Ressourcen.<br />

(E/B, 567/568)<br />

·· Das ist ein fixes Gefäss, dort ist<br />

dann die Zeit, um quasi über die<br />

Beobachtungen zu sprechen.<br />

(P/P, 1254)<br />

·· Also ich denke, dass das Material<br />

exakt auf die Kinder abgestimmt<br />

wird. ..., dass sich die Kinder im<br />

Haus bewegen können ... (H/P,<br />

2299<strong>–</strong>2301)<br />

·· Aber ich denke, es braucht keine<br />

speziellen Anforderungen, keine<br />

speziellen Instrumente, Räume<br />

<strong>und</strong> Personen. (E/R, 367/368)<br />

·· Also am Schluss steht die Gesamtanalyse<br />

der Beobachtungen <strong>und</strong><br />

die Überlegungen für die nächsten<br />

Schritte. (E/R, 170/171)<br />

·· Die Lerngeschichte ist eine Geschichte,<br />

die wir für das Kind über<br />

das Lernen des Kindes erzählen.<br />

Sie wird dem Kind vorgelesen,<br />

übergeben <strong>und</strong> im Könnerbuch<br />

abgeheftet. (G/P, 1688/1689)<br />

108<br />

··<br />

Aussagen zum generellenVerständnis<br />

von Lernen<br />

··<br />

Aussagen zur Rolle<br />

von Pädagoginnen<br />

<strong>und</strong> zum Umgang<br />

mit besonderen<br />

Bedürfnissen<br />

··<br />

Aussagen zur konkreten<br />

Organisation<br />

des Verfahrens an<br />

einer Institution <strong>und</strong><br />

zu Auswirkungen für<br />

die Betroffenen<br />

··<br />

Aussagen zu Material<br />

<strong>und</strong> Raumgestaltung<br />

··<br />

Aussagen zur Dokumentation<br />

··<br />

Kernaussagen zum<br />

Verfahren der <strong>Bildungs</strong>-<br />

<strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

<strong>und</strong> Hinweise<br />

zu konkreten<br />

Abläufen (entsprechend<br />

2.5.3)


5 Dokumentation des Forschungsablaufes<br />

5.4 Beispiel eines für den Forschungsteil kodierten Interviews mit der<br />

Institutionsleitenden des Kindergartens St. Vincenz in Paderborn<br />

Zeilen 704<strong>–</strong>944<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

V/I 727 ... wenn ich sogenannt magische Momente<br />

wahrnehme. (Magische Moment sind spannende<br />

Entwicklungen)<br />

V/I 743 Dann wird die Beobachtung ausgewertet nach<br />

den Lerndispositionen.<br />

V/I 801 Ausserdem bin ich gr<strong>und</strong>sätzlich der Meinung,<br />

dass jedes Kind besondere Bedürfnisse hat.<br />

V/I 818 Individueller auf Lernen <strong>und</strong> Entwicklung<br />

der Kinder zu gucken.<br />

V/I 891/<br />

892<br />

V/I 895<strong>–</strong><br />

897<br />

V/I 900/<br />

901<br />

... mit den <strong>Lerngeschichten</strong> lernt man<br />

die Bedürfnisse der Kinder richtig einzuschätzen, ...<br />

Das ist besonders bei Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen, ob es jetzt<br />

Entwicklungsverzögerungen oder auch besondere<br />

Begabungen sind, dass man da genau hinguckt,<br />

was für Bedürfnisse hat das Kind.<br />

Bei Kindern mit besonderen Begabungen zum<br />

Beispiel, dass eine Kommunikation über das<br />

Lernen <strong>und</strong> die Lernstrategien <strong>und</strong> Lernwege<br />

stattfindet.<br />

109<br />

K1 Förderdiagnostik<br />

·· Diagnoseinstrumente<br />

·· Beobachtung<br />

·· Analyse<br />

nach Lerndispositionen<br />

·· Aussagen über<br />

besondere Bedürfnisse


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.4 Kodiertes Interview mit der Institutsleitenden des Kindergartens St. Vincenz in Paderborn<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

V/I 714 ... <strong>und</strong> Kinder herausfordern. K 2 Pädagogische<br />

Gr<strong>und</strong>haltung<br />

V/I 738/<br />

739<br />

V/I 780<strong>–</strong><br />

782<br />

Es folgt eine unheimliche Wertschätzung hinterher<br />

<strong>und</strong> die Kinder freuen sich auch schon. Und<br />

fragen dann auch morgens: «Beobachtest du mich<br />

den Tag?»<br />

... dass nach jeder Beobachtung die Kinder<br />

Wertschätzung erfahren <strong>und</strong> mit ihnen über die<br />

Lerngeschichte gesprochen wird, ...<br />

V/I 789 ...: wertschätzende Kommunikation<br />

V/I 830 ... <strong>und</strong> eine Auseinandersetzung mit dem Thema<br />

stärkenorientiertes Arbeiten.<br />

V/I 888<strong>–</strong><br />

890<br />

V/I 892/<br />

893<br />

V/I 918/<br />

919<br />

V/I 932/<br />

933<br />

... Wertschätzung ist eine ganz wichtige<br />

Gr<strong>und</strong>haltung. Stärken stärken <strong>und</strong> das<br />

Entwickeln der Persönlichkeit im eigenen Tempo,<br />

diese Zeit geben.<br />

... die Ressourcen der Kinder kennenzulernen<br />

<strong>und</strong> zu nutzen dann auch.<br />

Durch die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> wäre es<br />

einfach individueller <strong>und</strong> es werden nicht nur<br />

Stärken deutlich ...<br />

Und das Kind kennt eigene Stärken <strong>und</strong><br />

Schwächen.<br />

110<br />

·· Orientierung an<br />

Ressourcen <strong>und</strong><br />

Stärken<br />

·· Aussagen über<br />

Umgang mit<br />

Defiziten<br />

·· Wertschätzung<br />

·· Beziehung


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.4 Kodiertes Interview mit der Institutsleitenden des Kindergartens St. Vincenz in Paderborn<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

V/I 829 Dass sich im Team erst einmal<br />

auseinandergesetzt wird über die Arbeit, über das<br />

Bild vom Kind ...<br />

V/I 887 Ja, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit<br />

Eltern, die dialogische Gr<strong>und</strong>haltung, ...<br />

V/I 831<strong>–</strong><br />

835<br />

V/I 772/<br />

774<br />

V/I 773/<br />

774<br />

V/I 817/<br />

818<br />

Es hat auch Auswirkung auf das Thema<br />

Kommunikation im Team, weil mehr<br />

Kommunikation möglich ist oder sein muss im<br />

Zusammenhang mit dem Thema <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>. Auch Veränderung im Team im<br />

Umgang mit Eltern oder Zugang zu Eltern, dass<br />

das wesentlich offener geworden ist, die<br />

Kommunikation mit Eltern.<br />

Die Rolle der Eltern <strong>und</strong> der Pädagogin ist<br />

Entwicklungsbegleiter zu sein für die Kinder.<br />

Und den Kindern ja ganz viele Erfahrungen<br />

ermöglichen im Sinne von <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>.<br />

Chancen für die Kinder sehe ich in dem<br />

Fortschreiten, die individuelle Förderung mehr in<br />

den Vordergr<strong>und</strong> zu rücken.<br />

K 3 Austausch<br />

·· Dialog mit dem<br />

Kind<br />

·· Dialog im Team<br />

·· Dialog mit den<br />

Eltern<br />

K 4 Förderplanung<br />

·· Förderziele<br />

·· Zone der<br />

nächsten Entwicklung<br />

·· Entwicklungsschritte<br />

111<br />

·· Erweiterte, ganzheitlicheSichtweise<br />

·· Reflexion


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.4 Kodiertes Interview mit der Institutsleitenden des Kindergartens St. Vincenz in Paderborn<br />

Analyseeinheit<br />

V/I 853/<br />

854<br />

V/I 887/<br />

888<br />

V/I 893/<br />

894<br />

V/I 898/<br />

899<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

... weil man sehr situationsorientiert arbeitet <strong>und</strong><br />

guckt, was für Bedürfnisse haben die Kinder. Wo<br />

können sie weiter kommen.<br />

... das Bidungsverständnis, dass nicht von oben<br />

alles eingetrichtert wird,<br />

Und wenn man die Bedürfnisse kennt, dass man<br />

dann bestmöglich interagiert <strong>und</strong> auch reagiert<br />

<strong>und</strong> auf die Kinder zugeht, damit sie Entwicklung<br />

machen können.<br />

... wie man den Kindern Lernwege visualisiert,<br />

das ist ganz wichtig bei Kindern mit<br />

Entwicklungsverzögerungen auch ...<br />

V/I 903 Das ist genau das richtige Instrument (gemeint ist<br />

das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

für die Arbeit von Kindern mit besonderen<br />

Bedürfnissen)<br />

V/I 905<strong>–</strong><br />

908<br />

V/I 930/<br />

931<br />

... dass genau nach den besonderen<br />

Bedürfnissen geguckt wird <strong>und</strong> die abgeleitet<br />

werden aus den <strong>Lerngeschichten</strong>. Und ja daraus<br />

dann auch im Gr<strong>und</strong>e noch Förderpläne erarbeitet<br />

werden, was die Kinder jetzt als nächstes<br />

brauchen, was die nächsten Schritte sind.<br />

Das Bewusstsein, ich kann etwas, ich habe einen<br />

Erfahrungsschatz, ich kann mir selber Ziele<br />

setzen ...<br />

Tabelle 4 Kodiertes Interview, Institutionsleitende Kindergarten St. Vincenz, Forschungsteil<br />

Die wörtliche Transkription dieses Interviews ist im Anhang 6 zu finden<br />

112


5 Dokumentation des Forschungsablaufes<br />

5.5 Beispiel eines für den Forschungsteil kodierten Interviews mit zwei<br />

Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Zeilen 1174<strong>–</strong>1685<br />

Analyseeinheit<br />

P/P<br />

P/P 1607<strong>–</strong><br />

1610<br />

P/P 1189/<br />

1190<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

Ja, absolut, man darf nicht die Defizite der<br />

Kinder aus den Augen lassen, man darf<br />

das Ganze nicht missverstehen. Aber<br />

man kann durch das Positive, was man<br />

positiv an Kindern entdeckt, an deren<br />

wirklichen Stärken, kann man sehr vieles<br />

verändern. Wie ich gesagt habe, Stärken<br />

stärken <strong>und</strong> Schwächen schwächen.<br />

..., es ist noch einmal die Bewusstwerdung<br />

dessen, was ein Kind wirklich schon kann,<br />

ein genaues Betrachten, ...<br />

P/P 1192 ..., fallen viele Dinge nochmals viel viel<br />

mehr ins Auge.<br />

P/P 1208 ... ein genaues Hingucken <strong>und</strong> betrachten<br />

der Entwicklung des Kindes ...<br />

P/P 1214/<br />

1217<br />

Weil viele Augen sehen ganz viele<br />

verschiedene Dinge. Das finde ich auch<br />

ganz wertvoll an diesen Sachen. Man<br />

trägt dann wirklich zusammen, <strong>und</strong> jeder<br />

hat auch eine andere Wahrnehmung <strong>und</strong><br />

ist auch ein Stück subjektiv damit.<br />

113<br />

K1 Förderdiagnostik<br />

·· Diagnoseinstrumente<br />

·· Beobachtung<br />

·· Analyse<br />

nach Lerndispositionen<br />

·· Aussagen über<br />

besondere<br />

Bedürfnisse


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

P/P 1394 ... durch diese intensive Beobachtung für<br />

die Lerngeschichte ...<br />

P/P 1635/<br />

1636<br />

P/P 1656/<br />

1657<br />

P/P 1660/<br />

1661<br />

P/P 1187/<br />

1188<br />

P/P 1192<strong>–</strong><br />

1194<br />

P/P 1205<strong>–</strong><br />

1207<br />

Aber wir beurteilen das Kind nicht nach<br />

einem bestimmten Raster. Wir kreuzen<br />

nichts an. Wir beschreiben die<br />

Entwicklung des Kindes, ...<br />

Und dann sehen wir etwas, was vielleicht<br />

noch nicht so ist, da müssen wir nochmals<br />

gucken.<br />

Wie gesagt, eine Lerngeschichte ist schon<br />

eine Art Beurteilung.<br />

..., sie beschreibt die Stärken eines jeden<br />

Kindes.<br />

Um wirklich dann auch dieses Positive<br />

heraus stellen, oft fallen negative Sachen,<br />

Defizite, viel mehr ins Auge, als das, was<br />

ein Kind wirklich schon kann.<br />

..., man darf auch nicht die Gefahr dabei<br />

laufen, dass man Defizite nicht aus den<br />

Augen verliert, das fänd ich jetzt auch<br />

wichtig: die Stärken stärken <strong>und</strong> die<br />

Schwächen stärken ...<br />

P/P 1271 Kinder wachsen auf dem Sofa ...<br />

K 2 Pädagogische<br />

Gr<strong>und</strong>haltung<br />

114<br />

·· Orientierung an<br />

Ressourcen <strong>und</strong><br />

Stärken<br />

·· Aussagen über<br />

Umgang mit<br />

Defiziten<br />

·· Wertschätzung<br />

·· Beziehung


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

P/P 1286 Wir sprechen jetzt positiv, positiv über<br />

mich.<br />

P/P 1321 Dann wachsen auch die Eltern.<br />

P/P 1356/<br />

1357<br />

P/P 1362/<br />

1363<br />

P/P 1395/<br />

1396<br />

... , dass man die positive Entwicklung des<br />

Kindes sehr in den Vordergr<strong>und</strong> stellt.<br />

... <strong>und</strong> man gibt den Kindern einen<br />

Schatz mit auf den Weg, so eine<br />

Schatztruhe.<br />

...- ich profitiere auch von der<br />

Beobachtung, weil ich dann einfach auch<br />

für mich ein gutes Gefühl habe.<br />

P/P 1407 Und das gibt ihnen wieder so eine positive<br />

Rückmeldung.<br />

P/P 1413/<br />

1414<br />

P/P 1600<strong>–</strong><br />

1603<br />

P/P 1615/<br />

1616<br />

Wir tauschen uns gut aus, das gibt einem<br />

als Team auch so ein gutes Gefühl dann.<br />

Und durch die Beobachtungen, durch das<br />

Schreiben der <strong>Lerngeschichten</strong> haben wir<br />

herausgearbeitet, dass das Kind vieles<br />

schon gut kann, wo es besondere Stärken<br />

auch hat <strong>und</strong> dann mit diesem Wissen,<br />

mit diesen <strong>Lerngeschichten</strong> in die<br />

Besprechung mit den Eltern zu gehen<br />

oder auch mit Therapeuten.<br />

Weil ich denke, die Kinder wissen schon<br />

sehr gut: »Das kann ich oder das kann ich<br />

nicht.» Das spüren Kinder einfach.<br />

P/P 1629 Ressourcen werden durch Beobachtung<br />

<strong>und</strong> Austausch erfasst.<br />

P/P 1640 Es ist eine positive Beurteilung.<br />

115


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Analyseeinheit<br />

P/P 1670<strong>–</strong><br />

1673<br />

P/P 1678/<br />

1679<br />

P/P 1256/<br />

1257<br />

P/P 1278<strong>–</strong><br />

1280<br />

P/P 1302/<br />

1309<br />

P/P<br />

P/P 1369/<br />

1370<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

Ich würde mir wünschen, dass unsere<br />

Kinder, die so mit <strong>Lerngeschichten</strong><br />

gefördert wurden, egal mit besonderen<br />

Bedürfnissen oder nicht, dass sie einfach<br />

ihre Stärkung gut ausdrücken können <strong>und</strong><br />

dass sie auch dazu stehen können. Weil<br />

Stärken hat man.<br />

..., dass sich die Kinder so einschätzen<br />

können: Selbstvertrauen,<br />

Selbstbewusstsein <strong>und</strong> eine gute<br />

Einschätzung.<br />

Sie gucken sich die Fotos an, sie tragen<br />

das so weiter an ihre Eltern.<br />

Die Kinder strahlen, oder allein dies, weil<br />

sie immer wieder diese Geschichte hören<br />

möchten, weil sie ihnen so gut gefallen<br />

haben, das ist ein Kommunizieren<br />

manchmal auch ohne Worte.<br />

Also es gibt interessierte Eltern, die sich<br />

auch öfters mal diese <strong>Lerngeschichten</strong> mit<br />

den Kindern zusammen durch lesen, weil<br />

das Kind sich das auch einfordert.<br />

Das sie einfach noch ein bisschen<br />

Transparenz von unserer Arbeit<br />

bekommen.<br />

K 3 Austausch<br />

·· Dialog mit dem<br />

Kind<br />

116<br />

·· Dialog im Team<br />

·· Dialog mit den<br />

Eltern


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Analyseeinheit<br />

P/P 1382<strong>–</strong><br />

1384<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

Aber unsere Arbeit machen wir dadurch<br />

transparent, dass die Kinder etwas mit<br />

nach Hause nehmen, sondern durch die<br />

Fotodokumentation, einmal dadurch, dass<br />

die Eltern auch da sehr offen mit uns ins<br />

Gespräch kommen.<br />

P/P 1455 Es ist uns wichtig, dass man die Kinder<br />

einbezieht.<br />

P/P 1306/<br />

1308<br />

P/P 1311/<br />

1312<br />

P/P 1374/<br />

1375<br />

P/P 1212/<br />

1213<br />

P/P 1240/<br />

1241<br />

Im Elterngespräch wird es einfach noch<br />

einmal aufgegriffen <strong>und</strong> es ist auch für<br />

uns wichtig einfach auch viele positive<br />

Dinge den Eltern mit auf den Weg geben<br />

zu können.<br />

Eltern haben einen sehr subjektiven Blick,<br />

<strong>und</strong> wir haben ja schon einen objektiveren<br />

Blick.<br />

... über Bilder oder auch über Geschichten<br />

ist es auch für die Eltern ein guter<br />

Einblick.<br />

Da muss man erst mal beim Kind gucken,<br />

wie weit ist das Kind <strong>und</strong> das Kind da<br />

abholen, wo das Kind steht.<br />

..., was hat sich entwickelt <strong>und</strong> wo muss<br />

man den nächsten Impuls geben.<br />

K 4 Förderplanung<br />

·· Förderziele<br />

·· Zone der<br />

nächsten Entwicklung<br />

117<br />

·· Erweiterte, ganzheitlicheSichtweise<br />

·· Reflexion


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Analyseeinheit<br />

P/P 1358<strong>–</strong><br />

1360<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

Wie hat es sich von der einen<br />

Lerngeschichte zur nächsten entwickelt?<br />

Ist die Impulsgebung, die wir gesetzt<br />

haben, die richtige gewesen. Einfach<br />

noch einmal eine Reflexion für die eigene<br />

Arbeit.<br />

P/P 1573 Es ist das Bild vom Kind <strong>und</strong> es ist das<br />

Bild von mir.<br />

P/P 1574<strong>–</strong><br />

1578<br />

P/P 1611<strong>–</strong><br />

1616<br />

Jedes Kind da abholen, wo es steht <strong>und</strong><br />

im Möglichkeiten zu bieten sich zu<br />

entwickeln, aber nicht alles vorzusetzen,<br />

sondern Angebote zu machen. Und ich<br />

denke, wenn man das so verinnerlicht hat,<br />

dass man das Kind begleiten möchte da,<br />

wo es Hilfe braucht <strong>und</strong> da, wo es keine<br />

Hilfe braucht, macht es schon alleine sein<br />

Ding.<br />

Es ist schon so, dass wir bestimmte<br />

Entwicklungsschritte schon mehr ins Auge<br />

fassen: «Wo befindet sich das Kind, wo<br />

sind seine Interessen, was macht es<br />

sonst noch gerne?» Und dort versuchen<br />

wir anzusetzen. Und so versuchen wir<br />

auch, Projekte für die Gruppe zu planen,<br />

aber auch so kleine Sachen für die Kinder<br />

mit den bestimmten Bedürfnissen, so<br />

kleine Projekte für die zu gestalten.<br />

118


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen der Paderborner Kindertagesstätte<br />

Analyseeinheit<br />

P/P 1621<strong>–</strong><br />

1628<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

Ich würde das gar nicht mal münzen für<br />

Kinder mit besonderen Bedürfnissen,<br />

allgemein für alle, weil ich denke, jedes<br />

Kind kann irgendwas besonders gut <strong>und</strong><br />

vielleicht nicht so gut, <strong>und</strong> wir fokussieren<br />

es nicht nur auf Kinder mit speziellen<br />

Bedürfnissen. Klar die sind sicherlich im<br />

Blickpunkt, aber nicht nur. Und ich denke,<br />

da muss man auch aufpassen, dass man<br />

die nicht nur im Blick hat ich denke die<br />

brauchen auch Zeit <strong>und</strong> ein stückweit<br />

Normalität um sich entwickeln zu können<br />

<strong>und</strong> nicht immer so: «Das musst du noch<br />

<strong>und</strong> das musst du noch.» Dann sind die<br />

irgendwann so blockiert, dass gar nichts<br />

mehr geht.<br />

Tabelle 5 Kodiertes Interview mit zwei Pädagoginnen, Paderborner Kindertagesstätte, Forschungsteil<br />

Die wörtliche Transkription dieses Interviews ist im Anhang 7 zu finden<br />

119


5 Dokumentation des Forschungsablaufes<br />

5.6 Bespiel eines für den Entwicklungsteil kodierten Expertinneninterviews<br />

Zeilen 405<strong>–</strong>706<br />

Analyseeinheit<br />

E/B 483/<br />

484<br />

E/B 555/<br />

556<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

Ich würde sagen, ab einem gewissen Level<br />

von besonderem Bedürfnis braucht es noch<br />

etwas anderes.<br />

Ich sehe die Offenheit des Modells als<br />

Chance, da ist nicht irgendein Raster<br />

dahinter, in das die Kinder eingequetscht<br />

werden.<br />

E/B 653<strong>–</strong>655 Und von daher diese <strong>Bildungs</strong>bereiche <strong>und</strong><br />

die Lerndispositionen sind so zwei Dinge,<br />

unterschiedliche Flughöhen, die haben<br />

unterschiedliche Verortungen, das passt<br />

schlecht zusammen.<br />

E/B 681<strong>–</strong>684 Von der schulpolitischen Sicht her, solange<br />

solche Kompetenzraster ..., da ist<br />

jetzt alles auf Kompetenzmodelle gebaut,<br />

es ist im Moment politisch schwer, das zu<br />

verkaufen. Weil dieses Modell eher<br />

ganzheitlich daher daherkommt.<br />

K 5 <strong>Bildungs</strong>verständnis<br />

·· Selbstbildungsprozesse<br />

·· Selbstwirksamkeits-Erleben<br />

120<br />

·· Lehrplan/<br />

<strong>Bildungs</strong>politik<br />

·· Förderung vonKindern<br />

mit besonderen<br />

Bedürfnissen<br />

·· Rolle der Pädagogin


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.6 Kodiertes Expertinnen- interview<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

E/B 422<strong>–</strong>425 Und das Konzept hat mich überzeugt, weil<br />

ich gef<strong>und</strong>en habe, es ist für das jüngere<br />

Kind genau das Richtige. Man macht nicht<br />

künstliche Arrangements, wo man ganz<br />

bestimmte Testsituationen herstellen muss,<br />

sondern man geht von den Situationen aus,<br />

die so oder so stattfinden <strong>und</strong> macht dann<br />

aber systematisch etwas daraus.<br />

E/B 500<strong>–</strong>502 Also für mich stehen <strong>und</strong> fallen die<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> stark mit<br />

dem übrigen Wissen, das eine Lehrperson<br />

hat. Ich glaube <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind viel besser einsetzbar<br />

für erfahrene Lehrpersonen.<br />

E/B 520<strong>–</strong>523 ...das heisst, dass sie das vor allem mit<br />

den jüngeren Kindern in der Basisstufe<br />

durchführen. Und nach einer ersten<br />

Einführung, das war ein ganzer Kurstag, da<br />

habe ich das Modell erklärt, wir haben mit<br />

Videos geübt, Beispiele gemacht.<br />

E/B 531 Und die haben vor allem die Zeit als<br />

Problem genannt.<br />

E/B 540/<br />

541<br />

E/B 567/<br />

568<br />

E/B 587/<br />

588<br />

In der Basisstufe sind die zu zweit, über<br />

grössere Strecken.<br />

Und andere Grenzen sind da die Zeit <strong>und</strong><br />

die personellen Ressourcen.<br />

Die Schritte konnten sie problemlos<br />

durchführen, es ist ein Tandempraktikum.<br />

K 6 Organisation<br />

121<br />

·· Verankerung<br />

innerhalb schon<br />

bestehender<br />

Gefässe<br />

·· Ausbildung<br />

·· Planung<br />

·· Belastung/Entlastung<br />

·· Beteiligung der<br />

Eltern<br />

·· Einführung


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.6 Kodiertes Expertinnen- interview<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

E/B 600<strong>–</strong>602 Also man müsste Möglichkeiten finden,<br />

dass sie von anderen Papierarbeiten<br />

entlastet würden oder dass zum Beispiel<br />

die St<strong>und</strong>enzahl am Kind kleiner ist, ...<br />

E/B 610/<br />

611<br />

E/B 612/<br />

613<br />

E/B 618/<br />

619<br />

E/B 620/<br />

621<br />

E/B 628/<br />

629<br />

Also Zeit <strong>und</strong> Bekanntheitsgrad würde ich<br />

als gesichert betrachten.<br />

Die Rahmenbedingungen klären, unter<br />

denen das dann umgesetzt werden müsste:<br />

Haben die Leute Tandems, haben sie<br />

Zeitgefässe?<br />

Das Paket geschnürt implementieren in<br />

grössere Abläufe als eine mögliche Form.<br />

..., dann müsste sich das Team bewusst<br />

entscheiden <strong>und</strong> alle einigermassen<br />

motiviert sein: ...<br />

Und da würde ich mir jemanden suchen,<br />

der begeistert ist, der damit arbeitet.<br />

E/B 634 Ich glaube, das Üben bei der Einführung ist<br />

ganz wichtig.<br />

E/B 636/<br />

637<br />

..., welche Verbindlichkeit das hat bei<br />

einem Team.<br />

E/B 638<strong>–</strong>640 Und das gibt ja dann auch Motivation <strong>und</strong><br />

es gibt auch eine Zielrichtung. Ich brauche<br />

das dann für das Elterngespräch. Oder wir<br />

wollen es mit dem Ziel der<br />

Unterrichtsentwicklung, ...<br />

E/B 645 Und wo sind die Gefässe, um es<br />

miteinander zu besprechen?<br />

E/B 662/<br />

663<br />

Da wir aber natürlich mit dem Lehrplan<br />

arbeiten müssen, müsste der schon<br />

irgendwie rein.<br />

122


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.6 Kodiertes Expertinnen- interview<br />

Analyseeinheit<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

E/B 667<strong>–</strong>669 Was ich nie gemacht habe, was auch für<br />

Sie von Belangen wäre, diese<br />

Lerndispositionen zu durchleuchten, auch<br />

von der Literatur her. Ja, wie halten die,<br />

wenn man die Forschung anschaut, müsste<br />

man die vielleicht etwas anders<br />

formulieren?<br />

E/B 673/<br />

674<br />

Und dann wird es vielleicht wieder anders<br />

mit der Kompatibilität mit dem Lehrplan.<br />

E/B 676 Auf der institutionellen Ebene habe ich mir<br />

überlegt, man müsste zu zweit sein.<br />

E/B 694<strong>–</strong>696 Dass die Leute einsteigen, braucht es<br />

Ressourcen. Die Work-Life-Balance muss<br />

irgendwie gewährleistet sein. Und wenn<br />

man das als Bestandteil der offiziellen<br />

Arbeitszeit irgendwie integrieren kann, dann<br />

sehe ich da gute Chancen.<br />

E/B 701/<br />

702<br />

E/B 573/<br />

574<br />

Da müsste man es eingrenzen, dass man<br />

sagt, man nimmt den jüngeren Jahrgang.<br />

Und die haben das implementiert als Teile<br />

des Portfolios, was auch Sinn macht <strong>und</strong> an<br />

sich so gedacht ist.<br />

E/B 614<strong>–</strong>616 ..., sondern ich würde die Integration ins<br />

Portfolio, in die Elternarbeit, in die<br />

Lernbegleitung, ich würde das vernetzt<br />

einführen <strong>und</strong> wie ein ganzes Konzept von<br />

Lernbegleitung daraus machen, damit es so<br />

ein ganzes Paket wird.<br />

K 7 Ausgestaltung<br />

123<br />

·· Raumgestaltung<br />

·· Material<br />

·· Portfolio<br />

·· Dokumentation


5 Dokumentation des Forschungsablaufes 5.6 Kodiertes Expertinnen- interview<br />

Analyseeinheit<br />

E/B 429/<br />

430<br />

Zeilen Aussagen Kategorien<br />

...- wird es ein bisschen systematisiert,<br />

ohne aber diese engen Gefässe, wo man<br />

dann nur «Gut» <strong>und</strong> «Sehr gut» ankreuzen<br />

kann.<br />

E/B 434<strong>–</strong>437 Und eine Geschichte ist für mich eine<br />

Situation, in der wir ein Kind oder eine<br />

Kindergruppe beobachtet haben. Die<br />

Verschriftlichung, die Diskussion, das<br />

Schlüsse-Ziehen, das miteinander ergibt<br />

die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Lerngeschichte.<br />

E/B 449 Ich schaue, was aktuell geschieht, <strong>und</strong><br />

denke von dort aus weiter.<br />

E/B 490<strong>–</strong>492 Also die Voraussetzung, um mit <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> zu arbeiten ist, dass<br />

man geübt ist in der freien Beobachtung.<br />

Da muss man den Blick geschärft haben.<br />

Man muss Beobachtung <strong>und</strong> Interpretation<br />

sauber trennen können ...<br />

E/B 568<strong>–</strong>570 Vielleicht noch sprachliche Fähigkeiten der<br />

Kindergartenlehrpersonen, je nach dem wie<br />

geübt die sind, alles noch dann zu<br />

verschriftlichen, manche mögen das gar<br />

nicht.<br />

Tabelle 6 Kodiertes Interview Expertin, Entwicklungsteil<br />

Die wörtliche Transkription dieses Interviews ist im Anhang 8 zu finden<br />

K 8 Umsetzung des<br />

Verfahrens<br />

124<br />

·· Kernaussagen über<br />

das Verfahren<br />

·· Konkreter Ablauf


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

6 Ergebnisse für den Forschungsteil<br />

In diesem Kapitel werden die für den Forschungsteil relevanten Aussagen aus den nach qualitativer<br />

Inhaltsanalyse ausgewerteten Interviews in generalisierter Form vorgestellt, erläutert <strong>und</strong> interpretiert.<br />

Ausgehend von diesen Erkenntnissen wird die für den Forschungsteil formulierte Forschungsfrage<br />

beantwortet.<br />

6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten<br />

Interviews<br />

125<br />

Im Folgenden werden die generalisierten Aussagen nach Kategorien getrennt dargestellt. Jede<br />

Kategorie enthält mehrere separat generalisierte Unterkategorien. Die wichtigen Begriffe sind<br />

jeweils zur Hervorhebung kursiv gedruckt. Anschliessend folgen Erläuterungen zu den zentralen<br />

Inhalten. Dabei wird auf die Häufigkeit von Nennungen Bezug genommen. Durch diese quantifizierenden<br />

Aussagen wird die Gewichtung der Antworten berücksichtigt.<br />

6.1.1 Kategorie 1: Förderdiagnostik<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Unterschied zwischen Lerndispositionen <strong>und</strong> Kompetenzen, Kompetenzen<br />

sind vordefinierte Niveaus, Lerndisposition ist offener, Blick auf Tätigkeit<br />

des Kindes<br />

Für Förderplanung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen braucht es mehr<br />

Wissen<br />

Seriöses Instrument Aussagen, ohne Katalog von 100 Items<br />

Stärken stärken <strong>und</strong> Schwächen schwächen<br />

Lerngeschichte schreiben ist Bewertung<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> eher urteilsfrei, zeigen auf, wo Kind seine Talente <strong>und</strong><br />

Schwierigkeiten hat<br />

Defizite von Kindern nicht aus den Augen lassen<br />

Sogenannt normale Entwicklung: auch Förderbedarf bei besondere Kompetenzen,<br />

Begabungen, Interessen?<br />

K 1 Förderdiagnostik<br />

·· Diagnoseinstrumente


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Nachgehende Kontrolle zum Erkennen von möglichen Entwicklungsverzögerungen<br />

durch «Grenzsteine der Entwicklung», manchmal Assistentin<br />

notwendig für Abklärungen<br />

Beobachtungssequenzen zeigen, wo pädagogische Hilfe, wie Logopädie,<br />

notwendig wird<br />

kein Instrument, das verstärkte Zuwendung zu einem Kind ersatzlos macht<br />

Genaues Hingucken <strong>und</strong> Betrachten der Entwicklung des Kindes<br />

Wertfreies Zuschauen <strong>und</strong> Beschreiben<br />

Lernen <strong>und</strong> Entwicklung werden individuell erfasst, Fähigkeiten werden<br />

bewusst<br />

Qualität des Beobachtens, des Beschreibens, verschiedene Wahrnehmungen<br />

werden zusammengetragen, Wahrnehmungen von Einzelpersonen sind<br />

subjektiv<br />

Beobachtungen auch bei <strong>Lerngeschichten</strong> teilweise spontan<br />

Systematisches Beobachten begann mit den <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Beobachtung ausgewertet nach Lerndispositionen<br />

Lerndispositionen an sich geben viele Informationen<br />

Lerndispositionen nicht so exakt, nageln das Kind nicht fest<br />

Auseinandersetzung mit dem Kind<br />

Bedürfnisse der Kinder richtig einschätzen<br />

Jedes Kind hat besondere Bedürfnisse, ob Entwicklungsverzögerungen oder<br />

auch besondere Begabungen, genau hingucken auf Bedürfnisse des Kindes<br />

Spielt keine grosse Rolle, ob besondere oder gewöhnliche Bedürfnisse<br />

Aus <strong>Lerngeschichten</strong> besondere Bedürfnisse herausfiltern<br />

Bild des Kindes durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>, das eine Kind hat<br />

besondere Bedürfnisse <strong>und</strong> das andere andere Bedürfnisse<br />

Unverstandene Kinder können verhaltensoriginell, verhaltensauffällig werden<br />

Bei besonderen Begabungen findet Kommunikation über das Lernen, die<br />

Lernstrategien <strong>und</strong> Lernwege statt<br />

Bestätigungsessenz für unsichere, ängstliche Kinder<br />

Kindern mit besonderem Förderbedarf wird signalisiert: «Du kannst was!»<br />

Und nicht: «Wir üben, üben, üben.»<br />

Ich erachte es als sehr geeignetes Instrument für Kinder mit anderen Besonderheiten,<br />

die viel Aufmerksamkeit brauchen<br />

Tabelle 7 K 1, Förderdiagnostik<br />

·· Beobachtung<br />

·· Analyse nach Lerndispositionen<br />

126<br />

·· Aussagen über besondere<br />

Bedürfnisse


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

Die Auswertung der erhobenen Daten zeigt, dass die Mehrheit der Befragten das Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> allein für das Erkennen von Entwicklungsverzögerungen nicht als<br />

genügend erachtet. Es sollten weitere Instrumente <strong>und</strong> Fachpersonen verfügbar sein für eine<br />

umfassende Diagnostik. <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> haben nach Ansicht mehrer Befragten einen<br />

Einfluss auf die Qualität des Beobachtens, der Blick auf das Kind <strong>und</strong> seine Entwicklung verändert<br />

sich, seine individuellen Fähigkeiten werden bewusst <strong>und</strong> das Beobachten wird systematisiert.<br />

Es wird als ein wertfreies Beobachten <strong>und</strong> Beschreiben der Aktivitäten durch das Zusammentragen<br />

verschiedener Wahrnehmungen eingeschätzt. Mehrere Befragte stellen einen Bezug zwischen<br />

Lerndispositionen <strong>und</strong> Kompetenzen her, wobei Lerndispositionen als offen <strong>und</strong> nicht vordefiniert,<br />

das heisst auch als weniger exakt aber dadurch weniger einengend beschrieben werden. Weitere<br />

Interviewte betonen, dass aber die Analyse nach Lerndispositionen sehr viele Informationen liefern<br />

<strong>und</strong> eine Auseinandersetzung mit dem Kind, mit seiner Entwicklung <strong>und</strong> seinem Lernen ermöglicht.<br />

Die Beantwortung der Frage, ob <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> auch ein Beurteilungsinstrument<br />

darstellen, wurde uneinheitlich beantwortet. Einige Befragte beurteilen das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> als Bewertungsinstrument, andere bezeichnen es als urteilsfrei, als Möglichkeit,<br />

um Stärken <strong>und</strong> Schwächen aufzuzeigen. Die meisten Interviewten unterstreichen, dass zu<br />

besonderen Bedürfnissen Entwicklungsverzögerungen <strong>und</strong> auch besondere Begabungen gehören<br />

<strong>und</strong> dass so gesehen jedes Kind besondere Bedürfnisse hat, die durch die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

herausgefiltert werden können. Das Verfahren wird von den meisten Befragten als<br />

geeignetes Instrument erachtet für Kinder, die besondere Aufmerksamkeit brauchen, da sich das<br />

Bild des Kindes verändert, denn unsichere Kinder erleben durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Bestätigung in ihrem Lernen, Kinder mit besonderen Begabungen erfahren durch die Kommunikation<br />

über das Lernen mehr über ihre Lernstrategien <strong>und</strong> Lernwege.<br />

127


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

6.1.2 Kategorie 2: Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema stärkenorientiertes Arbeiten, Kind kennt<br />

eigene Stärken <strong>und</strong> Schwächen, auf die Stärken der Kinder fokussieren<br />

Alle Kinder spüren, was sie können, stehen zu ihren Stärken<br />

Nicht ausreichend bewusste negative Bilder von Kindern werden durch<br />

Anwendung des Instrumentariums verändert<br />

Kinder in ihrer Entwicklung begleiten <strong>und</strong> unterstützen. Kinder sind Akteure<br />

ihrer selbst<br />

Stärken stärken <strong>und</strong> das Entwickeln der Persönlichkeit im eigenen Tempo,<br />

dieses Zeit geben<br />

Veränderte Haltung, kein Obendrüberblick , Vorurteile werden abgebaut,<br />

vor allem bei schwierigen Kindern<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind Stärkenorientierung, positive Beurteilung<br />

Bewertung <strong>und</strong> Beurteilung positiv sehen: Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein<br />

<strong>und</strong> eine gute Einschätzung<br />

Besonderer Gewinn für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, Stärken werden<br />

beachtet, nicht nur Defizite<br />

Verständigung mit Eltern zentral<br />

Durch Beobachtungen <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> besondere Stärken herausarbeiten<br />

<strong>und</strong> für Besprechungen mit Eltern oder Therapeuten verwenden<br />

Vertrauen der Eltern auf ihr Kind auch durch die methodische Verfasstheit<br />

<strong>und</strong> Fokussierung des Instruments ausweislich stärken können<br />

Auf Ressourcen gerichtet <strong>und</strong> nicht auf Defizite<br />

Auf Schatzsuche gehen anstatt auf Fehlerfahndung<br />

Durch Anwendung ist Offenheit <strong>und</strong> ganze hohe Reflexion im Team entstanden<br />

Ressourcen der Kinder werden gleich gut erfasst wie mit Kompetenzrastern,<br />

mehr Nähe zum Kind<br />

Kognitive Komponente bei altersgemässer Entwicklung im Zentrum, alle<br />

lernen auf ihrem Niveau<br />

Wahrnehmen, was Kinder können, woran sie Spass haben <strong>und</strong> wo sie auch<br />

selber mitmachen können<br />

Kinder herausfordern<br />

128<br />

K 2 Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung<br />

·· Orientierung an<br />

Ressourcen<br />

<strong>und</strong> Stärken


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Keine Beurteilung von Defiziten<br />

Mehr Individualität durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Positives herausstellen, oft fallen Defizite viel mehr ins Auge, als das, was ein<br />

Kind wirklich schon kann<br />

Defizite nicht aus den Augen verlieren<br />

Umfassendes Bild eines Kindes bekommen <strong>und</strong> nicht Einseitiges, Defizitorientiertes<br />

Lernen der Kinder ist wichtig <strong>und</strong> anerkannt, <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

ermöglicht, dies in Sprache um zu setzen<br />

Eltern erfahren Wertschätzung, die Kind entgegengebracht wird, gestärkt<br />

wird positiver <strong>und</strong> nicht sorgenvoller Blick<br />

Pädagoginnen profitieren auch von der Beobachtung durch eigenes gutes<br />

Gefühl<br />

Selbstbewusstsein, Stärkung der Selbstwahrnehmung, der Sicherheit <strong>und</strong><br />

Reflektionsfähigkeit<br />

respektvoller Umgang mit Menschen, fördert die soziale Kompetenz,<br />

Bei <strong>Lerngeschichten</strong> ist Beobachtung mit Respekt <strong>und</strong> Beachtung verb<strong>und</strong>en<br />

Anerkennung für Kinder, die sich in der Gruppe noch wenig einbringen<br />

können<br />

Nach jeder Beobachtung Wertschätzung erfahren durch Gespräch über <strong>Lerngeschichten</strong><br />

wertschätzende Kommunikation<br />

Kind spürt andere Beachtung <strong>und</strong> Wertschätzung, kleine Schritte werden<br />

Kind bewusst gemacht<br />

Wertschätzung, die Kinder dann erfahren ist Schatz, eine Schatztruhe<br />

Wertschätzende Qualität der Arbeit mit Kind im Mittelpunkt<br />

Verfahren sagt sehr viel aus über Kind, um in Beziehung zu treten<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind Beziehungsarbeit: Kind kommt näher an mich <strong>und</strong> ich<br />

näher ans Kind heran<br />

Enger Kontakt durch Beschreiben der Kinder <strong>und</strong> durch Vorlesen<br />

Gutes Gefühl im Team durch Austausch<br />

Lernen von den Kindern<br />

Tabelle 8 K 2, Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung<br />

·· Aussagen über Umgang<br />

mit Defiziten<br />

·· Wertschätzung<br />

·· Beziehung<br />

129


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

130<br />

Zu Orientierung an Ressourcen <strong>und</strong> Stärken werden auffallend viele <strong>und</strong> oft ähnliche Aussagen<br />

gemacht, das Thema des stärkenorientierten Arbeitens ist dabei für die meisten Interviewten zentral.<br />

Der grössere Teil der Befragten betont, dass durch dieses Verfahren die Aufmerksamkeit auf die<br />

Stärken der Kinder gerichtet wird. Es wird mehrfach genannt, dass diese positive Beachtung das<br />

Selbstvertrauen stärkt <strong>und</strong> die auf Ressourcen bezogene Einschätzung des Entwicklungsstandes der<br />

Kinder in Elterngesprächen hilfreich ist. Eine befragte Person erwähnt die durch die Anwendung<br />

des Verfahrens grössere Reflexionsfähigkeit des Teams. Fast alle Interviewten schätzen das Verfahren<br />

als nicht defizitorientiert ein, wobei sie betonen, dass Defizite nicht aus den Augen verloren werden<br />

dürfen. Sehr viele Aussagen enthalten den Begriff Wertschätzung, obwohl dieser nicht in den<br />

Interviewfragen auftauchte. Damit gemeint ist Wertschätzung bei der Beobachtung, im Dialog,<br />

bei Elterngesprächen <strong>und</strong> vor allem auch eine wertschätzende Gr<strong>und</strong>haltung. Einige Personen<br />

erachten das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> als beziehungsfördernd.


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

6.1.3 Kategorie 3: Austausch<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Dreiergespräch: Eltern, Erzieherin <strong>und</strong> Kind<br />

Spannendes Konzept, um mit Kindern in Dialog zu treten<br />

Der Dialog, das Zweiergespräch mit dem Kind beginnt, in dem das Kind<br />

gefragt wird, ob man es beobachten darf<br />

Neue Gesprächskultur, Kinder erhalten das Gefühl: Ich bin wichtig, meine<br />

Meinung zählt. Unsere Haltung ist: Ich beurteile dich nicht, ich beachte<br />

dich, ich dokumentiere deinen Lernprozess<br />

Gespräche über das eigene Lernen werden mit dem Kind ausgeführt<br />

Kolleginnen sensibilisiert, eher in Dialog zu treten als in Imperativ<br />

Aufmerksamkeit, der Blickkontakt, nonverbaler Kontakt im Dialog<br />

Auseinandersetzung im Team über die Arbeit, über das Bild vom Kind<br />

Auswirkung auf das Thema Kommunikation im Team: mehr Kommunikation<br />

möglich oder nötig<br />

Verändertes Bewusstsein für den Dialog, für die dialogische Haltung<br />

Verfeinerung der Fachlichkeit, miteinander zu wachsen, Fragen zu stellen,<br />

wieder in Dialog zu treten <strong>und</strong> immer Lernende zu bleiben<br />

Grössere Selbständigkeit der Erzieherinnenteams auch gegenüber Institutionsleitung<br />

Veränderung im Team im Umgang mit Eltern, offenerer Zugang zu Eltern<br />

Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Eltern, dialogische Gr<strong>und</strong>haltung<br />

partnerschaftliches Verhältnis zu Eltern<br />

Hilfreich für Elterngespräch <strong>und</strong> für Lernbegleitung<br />

Interessant für Eltern Einblick zu nehmen, den Eltern Arbeit transparent<br />

machen<br />

Bild des Kindes den Eltern zeigen<br />

Eltern auch mit ins Boot holen, Kinder mit ins Boot holen<br />

Hineinfliessen der reflektierten Wahrnehmungen der Erzieherinnen in<br />

Elterngespräche<br />

Andere Haltung für Eltern im Entwicklungsgespräch, sie erfahren, was Kind<br />

kann, auch wenn es nicht altersgemässe Entwicklung ist<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> von Eltern positiv aufgenommen<br />

K 3 Austausch<br />

131<br />

·· Dialog mit dem Kind<br />

·· Dialog im Team<br />

·· Dialog mit den Eltern


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Arbeit durch die Fotodokumentation transparent<br />

W<strong>und</strong>erschöne Dokumentation für Kinder mit altersgemässer Entwicklung<br />

Den Eltern positive Dinge mit auf den Weg geben<br />

Tabelle 9 K 3, Austausch<br />

Von vielen Befragten wird das Verfahren als spannendes Konzept beurteilt, um mit einem Kind in<br />

einen Dialog zu treten <strong>und</strong> zwar nach der Beobachtung oder beim Vorlesen der verfassten Lerngeschichte.<br />

Eine Person hebt hervor, dass es dadurch möglich wird, mit dem Kind vermehrt in einen<br />

Dialog zu treten als im Imperativ zu kommunizieren. In Bezug auf den Austausch im Team wird<br />

häufig betont, dass sich durch das Verfahren eine dialogische Haltung entwickelt. Je eine befragte<br />

Person erwähnt die Verfeinerung der Fachlichkeit <strong>und</strong> die grössere Selbständigkeit des Teams<br />

gegenüber der Institutionsleitung als Gewinn. Durch die Befragung wird ersichtlich, dass durch<br />

das Verfahren für die Eltern vermehrt Einblick in die Arbeit in der Kindertagesstätte möglich wird<br />

<strong>und</strong> die dialogische Gr<strong>und</strong>haltung zu einem partnerschaftlichen Verhältnis führt. <strong>Lerngeschichten</strong><br />

unterstützen nach Ansicht der meisten Befragten die Vorbereitung <strong>und</strong> Durchführung von<br />

Elterngesprächen, da sie Gelegenheit geben, das Bild des Kindes transparent zu machen.<br />

132


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

6.1.4 Kategorie 4: Förderplanung<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Tätigkeit des Kindes aufschreiben, daraus Schlüsse ziehen, Förderungsüberlegungen<br />

ableiten<br />

Letzter Teil der Lerngeschichte immer Ausblick auf nächste Schritte,<br />

Umsetzung wird geplant<br />

Bilder von Kindern überprüfen <strong>und</strong> in positiver Weise ergänzen, Lernprozesse<br />

unterstützen <strong>und</strong> begleiten durch Wissen über Kinder<br />

Nächste Schritte planen durch Feststellen, was Kinder an Material brauchen<br />

oder sie weiterbringt<br />

Chancen für Kinder, dass individuelle Förderung mehr in den Vordergr<strong>und</strong><br />

rückt<br />

Durch individuelleres Arbeiten Konflikt mit Kleingruppenarbeit<br />

Was braucht Kind für die weitere Entwicklung<br />

Beim Kind gucken, wie weit ist es <strong>und</strong> da abholen, wo es steht<br />

Eltern <strong>und</strong> Pädagogin als Entwicklungsbegleiter für Kinder<br />

Modell kommt dem ganzheitlichen, entwicklungsorientierten Kindergarten<br />

zugute<br />

Grosse Chancen, auch für Team, gemeinsamen Blick <strong>und</strong> gemeinsames Verstehen<br />

zu entwickeln<br />

Verschiebung des Blickwinkels: nicht nur am Kind therapieren sondern auch<br />

Umfeld anschauen<br />

Auswertung nach Stärken, das heisst nach Lernbereitschaften führt über<br />

Reflexion zur Überlegung, was Kind durch die gestaltete Umgebung zur<br />

Verfügung steht<br />

Entwicklungen bei Kindern sehen <strong>und</strong> reflektieren, wie nächste Schritte<br />

umgesetzt worden sind<br />

Tabelle 10 K 4, Förderplanung<br />

K 4 Förderplanung<br />

·· Förderziele<br />

·· Zone der nächsten<br />

Entwicklung<br />

·· Erweiterte, ganzheitliche<br />

Sichtweise<br />

·· Reflexion<br />

133


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchge führten Interviews<br />

134<br />

Zu diesem Kategoriensystem werden zahlenmässig wenig Aussagen gemacht. Die «nächsten<br />

Schritte» werden im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> aus Beobachtung <strong>und</strong> Analyse<br />

abgeleitet <strong>und</strong> bilden nach Ansicht der meisten Befragten einen entscheidenden Bestandteil des<br />

Verfahrens. Sie werden in der Lerngeschichte festgehalten. Als Chance wird von zwei Befragten<br />

bewertet, dass die individuelle Förderung mehr in den Vordergr<strong>und</strong> rückt <strong>und</strong> das Bild des Kindes<br />

erweitert wird. Zwei Befragte zeigen auch das Spannungsfeld zwischen der individuellen Förderung<br />

<strong>und</strong> der Arbeit mit der ganzen Gruppe auf. Mehrere Befragte erklären, dass <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

helfen, die Zone der nächsten Entwicklung zu erkennen <strong>und</strong> aufzuzeigen, wo neue<br />

Impulse notwendig sind. Nach Aussage einer Person wirken die Bezugspersonen dabei als Entwicklungsbegleiter.<br />

Verschiedene Interviewte betonen, dass im Team ein gemeinsames Verstehen des<br />

Kindes entwickelt wird <strong>und</strong> dass die Reflexion der pädagogischen Arbeit einen wichtigen Stellenwert<br />

einnimmt.<br />

6.2 Interpretation der Ergebnisse<br />

In diesem Abschnitt werden die durch die qualitative Inhaltsanalyse erarbeiteten <strong>und</strong> erläuterten<br />

Ergebnisse interpretiert.<br />

Durch die Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> entwickeln die Betroffenen offenbar<br />

die pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung, dass alle Kinder besondere Bedürfnisse haben, die durch die<br />

Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> wahrgenommen <strong>und</strong> herausgefiltert werden können.<br />

Dieser Gewinn wird durch verschiedene Aspekte des Verfahrens erzielt: Durch die erhöhte Qualität<br />

<strong>und</strong> das Systematisieren von Beobachtungen, durch den Austausch im Team <strong>und</strong> durch die Analyse<br />

nach Lerndispositionen, die die Stärken eines Kindes in Bezug auf seinen Lernprozess aufzeigen,<br />

ohne sich an einem Kompetenzraster zu orientieren oder sich auf einen spezifischen Inhalt zu<br />

beschränken. <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> können durchaus eine Bewertung darstellen, dies ist<br />

aber davon abhängig, wie das Kind Beurteilung bisher erfahren hat. Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> verändert den Blick auf das Kind <strong>und</strong> auch das Bild des Kindes, es genügt<br />

allerdings nicht für eine genaue Förderdiagnostik bei Kindern mit Entwicklungsverzögerungen.<br />

Allgemein ausgedrückt kommt das Verfahren einem ganzheitlichen, entwicklungsorientierten<br />

Kindergarten entgegen.<br />

Das Erkennen von Ressourcen der Kinder <strong>und</strong> die Wertschätzung kindlichen Lernens<br />

sind die pädagogischen Gr<strong>und</strong>haltungen, die das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

auszeichnet <strong>und</strong> von anderen Instrumenten unterscheidet. Diese positive Beachtung ist auch für<br />

Elterngespräche hilfreich, da sie sowohl eine wertschätzende Kommunikation unterstützt als auch<br />

eine ressourcenorientierte Sichtweise der Eltern stärkt. Trotzdem ist es möglich, den Entwicklungsstand<br />

des Kindes transparent aufzuzeigen <strong>und</strong> Defizite nicht aus den Augen zu verlieren. Durch<br />

die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> entsteht eine neue Gesprächskultur, indem sich sowohl dem Kind<br />

<strong>und</strong> den Eltern gegenüber als auch im Team eine dialogisch geprägte Gr<strong>und</strong>haltung entwickelt.


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.2 Interpretation der Ergebnisse<br />

135<br />

Das Erkennen der nächsten Schritte, das gemeinsame Verstehen eines Kindes <strong>und</strong> das<br />

Aufzeigen möglicher neuer Impulse sind wichtige Bestandteile des Verfahrens <strong>und</strong> finden auch<br />

Niederschlag in der Reflexion des pädagogischen Handelns im Team. Im Allgemeinen werden<br />

wenig Aussagen gemacht zur Förderplanung. Offenbar fehlt bei der Formulierung <strong>und</strong> Umsetzung<br />

dieser nächsten Schritte oft noch der «rote Faden», die Erkenntnisse werden öfters aus den Augen<br />

verloren <strong>und</strong> die Einbettung im pädagogischen Alltag wird von den Beteiligten als Herausforderung<br />

erlebt.<br />

6.3 Beantwortung der Fragestellung für den Forschungsteil<br />

Ausgehend von den erläuterten <strong>und</strong> interpretierten Ergebnissen wird die für den Forschungsteil<br />

formulierte Forschungsfrage beantwortet <strong>und</strong> mit Hinweisen zur bearbeiteten Literatur <strong>und</strong> zum<br />

Abschlussbericht des Projektes «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> als Instrument zur Konkretisierung<br />

<strong>und</strong> Umsetzung des <strong>Bildungs</strong>auftrags im Elementarbereich» des Deutschen Jugendinstituts<br />

in München (im Literaturverzeichnis aufgeführt) ergänzt.<br />

Die für den Forschungsteil durchgeführte Forschung baut auf der noch einmal aufgeführten<br />

Fragestellung auf:<br />

Inwiefern unterstützt das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> die Förderung<br />

von Kindern mit besonderen Bedürfnissen im Kindergarten?<br />

Diese Frage kann auf Gr<strong>und</strong> der Ergebnisse der vorangehenden Analysen folgendermassen beantwortet<br />

werden:<br />

Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist ein geeignetes Instrument, um Entwicklungen<br />

von Kindern wahrzunehmen <strong>und</strong> einzuschätzen. Es unterstützt insofern die Förderung<br />

von Kindern mit besonderen Bedürfnissen im Kindergarten, als durch die systematisierte Beobachtung,<br />

durch den Austausch im Team, durch die Analyse anhand von Lerndispositionen <strong>und</strong><br />

durch die Lerngeschichte in Form eines Briefes ein differenziertes, ressourcenorientiertes Bild vom<br />

Entwicklungsstand eines Kindes entsteht. Margret Carr betont,<br />

dass es darum geht, von den Beziehungen des Kindes zu Menschen, Orten <strong>und</strong> Dingen<br />

auszugehen <strong>und</strong> jedes Kind darin zu unterstützen, sein Repertoire <strong>und</strong> seinen Handlungsrahmen<br />

auszuweiten, damit es immer mehr teilhat an der Gestaltung des Alltags in<br />

der Kindertageseinrichtung <strong>und</strong> in seinem Lebensumfeld (Stichwort «Partizipation»).<br />

(Abschlussbericht, 2007, S. 41)


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.3 Beantwortung der Fragestellung für den Forschungsteil<br />

136<br />

Das Kind wird in diesen Prozess mit einbezogen, ernst genommen <strong>und</strong> erlebt Wertschätzung <strong>und</strong><br />

Selbstwirksamkeit. Dies ist auch für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen eine Qualität, welche<br />

sie durch andere Verfahren nicht in diesem Masse erleben. Ihre Fortschritte werden auch bei<br />

langsamen Lernentwicklungen für alle Beteiligten sichtbar. Im Abschlussbericht des Deutschen<br />

Jugendinstitutes wird zusätzlich erwähnt, dass sich störende Verhaltensweisen von Kindern anders<br />

ausnehmen, wenn sie unter dem Gesichtspunkt von Lerndispositionen betrachtet werden<br />

(vgl. Abschlussbericht, 2007, S. 59).<br />

Allerdings schliesst die Arbeit mit dem Verfahren die zusätzliche Anwendung anderer<br />

diagnostischer Instrumente nicht aus, diese sollten zur Unterstützung bei fraglichen Entwicklungsverläufen<br />

<strong>und</strong> zur Überprüfung der Wahrnehmung <strong>und</strong> Beobachtung von Pädagoginnen auch<br />

einbezogen werden, damit unter Umständen zusätzliche Fördermassnahmen eingeleitet werden<br />

können. Hauptsächlich hingewiesen wird dabei auf das Formular «Grenzsteine der Entwicklung»<br />

(siehe Anhang 9). Nach Flämig (2009) verwenden viele Fachkräfte, die mit Kindern mit besonderem<br />

Förderbedarf arbeiten, mehrere Verfahren parallel. Dabei sehen viele von ihnen in den <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> ein gewinnbringendes Verfahren, weil es vor allem die Kompetenzen des<br />

Kindes ins Zentrum rückt, an denen eine weitere Förderung sinnvoll ansetzen kann (vgl. Flämig et<br />

al., S. 56).<br />

Durch das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> können den Eltern Entwicklungsschritte<br />

des Kindes in positiver Weise transparent gemacht werden, es muss aber auch immer aufgezeigt<br />

werden können, wenn der Entwicklungsstand eines Kindes nicht altersgemäss einzuschätzen<br />

ist. Im Abschlussbericht des Deutschen Jugendinstitutes wird nachgewiesen, dass über 60 Prozent<br />

der befragten Eltern durch den Austausch mit den pädagogischen Fachkräften auf die Stärken ihres<br />

Kindes aufmerksam gemacht wurden, was gerade im heilpädagogischen Kontext eine Rolle spielt<br />

<strong>und</strong> dass über 70 Prozent der Eltern mit Migrationshintergr<strong>und</strong> den Austausch mit Fachkräften in<br />

dieser Form als positiv bewerteten (vgl. Abschlussbericht, 2007, S. 83).<br />

Die Förderplanung wird im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> durch die<br />

pädagogische Planung, das heisst durch das Formulieren der «nächsten Schritte» realisiert, welche<br />

auf der Theorie der «Zonen der nächsten Entwicklung» nach Wygotsky basiert <strong>und</strong> auch einen<br />

Bestandteil der verschriftlichen <strong>Lerngeschichten</strong> bildet. Letztere schliessen jeweils einen Beobachtungszyklus<br />

ab <strong>und</strong> geben Gelegenheit für eine achtsame Begegnung mit dem Kind. Sie bilden<br />

einen von fünf Bausteinen des Verfahrens <strong>und</strong> nicht das eigentliche Ziel, sind aber Ausgangspunkt<br />

für die Umsetzung der «nächsten Schritte» <strong>und</strong> somit heilpädagogisch relevant für die Förderung<br />

von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Dies wird auch im Abschlussbericht betont, nämlich<br />

dass Fachlehrpersonen die Erkenntnisse aus den Beobachtungen als Planungsgr<strong>und</strong>lage für die<br />

individuelle Förderung nutzen (vgl. Abschlussbericht, 2007, S. 31).<br />

Das Verfahren unterstützt die Integration jedes Kindes in idealer Weise, da die Bedürfnisse<br />

aller Kinder gleichermassen beachtet werden <strong>und</strong> vorderhand kein Kind eine Sonderstellung einnimmt,<br />

wie es auch in der bearbeiteten Literatur nachzulesen ist:


6 Ergebnisse für den Forschungsteil 6.3 Beantwortung der Fragestellung für den Forschungsteil<br />

«Die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ermöglichen eine Entwicklungsunterstützung<br />

aller Kinder unabhängig von derer sozialen Herkunft, Nationalität oder dem Vorliegen<br />

einer Behinderung. Sie unterstützen eine pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung, die in der Einzigartigkeit<br />

jedes Kindes einen Gewinn sieht <strong>und</strong> Unterschiede als Bereicherung erkennt.<br />

Kinder mit besonderem Förderbedarf werden in den <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

nicht als gesonderte Zielgruppe betrachtet, für die auf Gr<strong>und</strong> umfassender Andersartigkeit<br />

andere Regeln <strong>und</strong> Gesetzt der Entwicklung gelten würden.»<br />

(Flämig et al., 2009, S. 13)<br />

137


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil<br />

138<br />

In diesem Kapitel werden die für den Entwicklungsteil relevanten Aussagen aus den nach qualitativer<br />

Inhaltsanalyse ausgewerteten Interviews in generalisierter Form vorgestellt, erläutert <strong>und</strong> interpretiert.<br />

Ausgehend von diesen Erkenntnissen wird die für den Entwicklungsteil formulierte<br />

Forschungsfrage beantwortet. Das Kapitel schliesst mit einer Handreichung für eine geplante<br />

Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten.<br />

7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten<br />

Interviews<br />

Im Folgenden werden die generalisierten Aussagen nach Kategorien getrennt dargestellt. Jede<br />

Kategorie enthält mehrere separat generalisierte Unterkategorien. Die zentralen Begriffe sind jeweils<br />

zur Hervorhebung kursiv gedruckt. Anschliessend folgen Erläuterungen zu den zentralen Inhalten.<br />

Dabei wird auf die Häufigkeit von Nennungen Bezug genommen. Durch diese quantifizierenden<br />

Aussagen wird die Gewichtung der Antworten berücksichtigt.<br />

7.1.1 Kategorie 5: <strong>Bildungs</strong>verständnis<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Kinder nicht stören in Handlungen, notwendige Räume <strong>und</strong> notwendiges<br />

Material, Stichwort Lernumgebungen schaffen, Umfeld gestalten, in dem<br />

Kind Selbstbildungskräfte entfaltet<br />

Hohe Konzentration zeigt sich durch Zufriedenheit, Freudiges<br />

Wenn Kind sich hoch engagiert, kommt es an Grenzen, dann fängt Denken,<br />

Problemlösen, Lernen an<br />

Dann hat Lernen stattgef<strong>und</strong>en, wenn neue Problemlösungswege erkennbar<br />

sind <strong>und</strong> Kind über sein Lernen sprechen kann<br />

Kind muss Zeit haben, etwas selber zu konstruieren, zu überlegen<br />

<strong>Bildungs</strong>verständnis, dass ein Kind aus Eigeninitiative heraus lernt <strong>und</strong> nicht<br />

mit Wissen angefüllt wird, Trichter existiert nicht<br />

K 5 <strong>Bildungs</strong>verständnis<br />

Selbstbildungsprozesse


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Selbstbildung als Bezugspunkt auch des Pädagogen, Kind ist Akteur seiner<br />

Entwicklung<br />

Recht auf Selbstbildungsprozesse ernst nehmen, wesentlicher Kern von Freiheit<br />

gewährleisten, dass Kinder das in ihrem Tempo <strong>und</strong> auf ihre Weise tun<br />

Verständnis der Selbstbildung ist entscheidend, Mensch muss eigene Erfahrungen<br />

machen, <strong>und</strong> das zuzulassen, dafür Raum zu geben, Zeit zu geben, ist<br />

Basis dafür, <strong>und</strong> aber auch eine eigene Freude daran zu haben<br />

Kinder erleben eigene Selbstwirksamkeit, etwas bewirken können in Lernen<br />

<strong>und</strong> Entwicklung<br />

Bei <strong>Lerngeschichten</strong> können Kinder selber mitwirken<br />

Das macht <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> aus: Die Kinder haben eine aktive<br />

Rolle<br />

Schatzmappen sind Eigentum des Kindes, für Eltern, Grosseltern zugänglich,<br />

auch um nach Hause zu nehmen am Wochenende<br />

Sich selber einschätzen, sich selber Sachen zutrauen, offen sein für neue Dinge<br />

<strong>und</strong> ausprobieren, mutiger werden durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>,<br />

weil eigene Lernschritte <strong>und</strong> Lernerfolge deutlich werden.<br />

<strong>Bildungs</strong>bereiche <strong>und</strong> Lerndispositionen haben unterschiedliche Flughöhen,<br />

unterschiedliche Verortungen, passen schlecht zusammen<br />

Kompetenzen bestehen aus Wissen über einen Gegenstand, aus Können.<br />

Wichtigstes ist Disposition, wenn das zu eng ist, bleibt man beim Wissen<br />

hängen<br />

Aus schulpolitischer Sicht solange Kompetenzmodelle, ist im Moment politisch<br />

schwer zu verkaufen, weil Modell ganzheitlich<br />

Damit hängen aktuelle Fragen zur «frühkindlich Bildung» zusammen<br />

Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Basisstufe wäre so eine Sache gewesen<br />

Verständnis von Eltern <strong>und</strong> Behörden steht gegenüber, Verständnis von<br />

Unterricht als sehr strukturierter Ablauf<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind grosse Chance, neues <strong>Bildungs</strong>verständnis nach aussen<br />

zu tragen<br />

Bei <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> nicht Ziele der Lehrperson erreichen,<br />

sondern eigene Ziele des Kindes<br />

Ausstehende Erweiterung <strong>und</strong> Auseinandersetzung in Frage gruppenorientierte<br />

Pädagogik oder Individualisierungstendenz durch Konzept der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Individualisierung <strong>und</strong> Gruppenstruktur in gegenseitiger Wechselwirkung<br />

sehen<br />

Fokus auf individuellem Lernen, Möglichkeit für Interessensgruppen<br />

Selbstwirksamkeits-<br />

Erleben<br />

139<br />

Lehrplan, <strong>Bildungs</strong>politik


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Bei gewissem Level von besonderem Bedürfnis braucht es noch etwas anderes<br />

Zusammenarbeit mit Ergotherapeuten <strong>und</strong> Logopäden, die Kinder in der<br />

Einrichtung therapieren<br />

Alle Erzieherinnen sind <strong>und</strong> fühlen sich zuständig, obwohl spezielle Kraft für<br />

Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder Behinderungen eingestellt<br />

Was es nicht ersetzt, ist zum Beispiel ein Sprachtest, wo es auch fachlicher<br />

wird<br />

Offenheit des Modells als Chance, nicht irgendein Raster dahinter<br />

Haltung, <strong>Bildungs</strong>prozesse erkennen <strong>und</strong> dokumentieren<br />

Pädagogische Gr<strong>und</strong>haltung, das Kind <strong>und</strong> seine Lernprozesse entdecken,<br />

sich selber zurücknehmen, achtsam sein, etwas aushalten können, sich von<br />

eng gestecktem Tagesablauf entfernen, immer wieder Hinterfragung, Reflexion,<br />

ob das Kind genügend Zeit zum Lernen hat, oder ob zu viele Unterbrechungen<br />

sind<br />

Rolle der Pädagogin als Begleitung der Kinder in Entwicklungsprozessen,<br />

Kindern das Verfahren der <strong>Lerngeschichten</strong> transparent machen, Zugang zu<br />

Schatzmappen ermöglichen <strong>und</strong> sie ermuntern, sich aktiv daran zu beteiligen<br />

Grenzen liegen eher bei Kolleginnen, die noch nicht Blick für notwendige<br />

Veränderungen haben, dies bedeutet ja immer auch Unannehmlichkeit<br />

Massgeblich für Ausrichtung ist Beobachtung bzw., was wir daraus lernen,<br />

eigenes Forschen im Umgang mit Kindern, immer wieder merken, wir wollen<br />

auch Lernende sein<br />

Durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> hat Umdenken stattgef<strong>und</strong>en<br />

Jeder hat andere Wahrnehmung, das bestärkt Team<br />

Fairness dem Kind gegenüber durch Analyse nach Lerndispositionen<br />

Nach situationsorientiertem Ansatz arbeiten, Interessen der Kinder<br />

Gemeinsam mit dem Kind auf Entdeckungsreise gehen<br />

Bewusst Frage stellen, ob es richtig ist, wie es gesehen wurde, auch Kommentare<br />

der Kinder in den <strong>Lerngeschichten</strong> vermerken<br />

Tabelle 11 K 5, <strong>Bildungs</strong>verständnis<br />

140<br />

Umgang Kinder mit<br />

besonderen Bedürfnissen<br />

Rolle/Haltung der<br />

Pädagogin


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

141<br />

Mehrere Befragte äussern sich zum Begriff von Selbstbildungsprozessen bei Kindern <strong>und</strong> sprechen<br />

das Einrichten von geeigneten Räumlichkeiten <strong>und</strong> Materialien an, die anregende Lernumgebungen<br />

für die Kinder bilden. Sie betonen, dass in einem so gestalteten Umfeld das Kind seine Selbstbildungskräfte<br />

entfalten kann. Nach ihrer Ansicht zeigt sich das durch konzentriertes, vertieftes<br />

<strong>und</strong> zufriedenes Arbeiten, da in diesem Moment Denken, Problemlösen <strong>und</strong> Lernen stattfindet.<br />

Sehr häufig betonen die Interviewten die Selbstbildungsprozesse eines Kindes, nämlich, dass<br />

Kinder aus Eigeninitiative in ihrem eigenen Tempo <strong>und</strong> auf ihre eigene Weise lernen <strong>und</strong> nicht<br />

mit Wissen angefüllt werden sollen. Aus mehreren Aussagen wird die aktive Rolle des Kindes<br />

beim Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ersichtlich, denn Kinder können in Lernen<br />

<strong>und</strong> Entwicklung etwas bewirken <strong>und</strong> erleben dadurch ihre Selbstwirksamkeit. Einige Befragte<br />

erwähnen, dass sich Kinder durch das Verfahren besser einschätzen lernen, <strong>und</strong> zwei Personen<br />

erkennen unterschiedliche Verortungen von Lerndispositionen <strong>und</strong> Kompetenzen, beziehungsweise<br />

<strong>Bildungs</strong>bereichen des Lehrplans. Eine Befragte betont die grosse Chance, durch das Verfahren<br />

der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ein neues <strong>Bildungs</strong>verständnis nach aussen zu tragen. Einige<br />

Antworten beziehen sich auf die Balance zwischen Individualsierung <strong>und</strong> gruppenorientierter<br />

Pädagogik. Die allermeisten Interviewten sind der Ansicht, dass bei einem bestimmten Grad von<br />

besonderen Bedürfnissen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit <strong>und</strong> der Einsatz von Kompetenzrastern<br />

notwendig sind. In beinahe allen Interviews werden die Haltung <strong>und</strong> die Rolle der Pädagogin<br />

angesprochen. Damit gemeint ist die Gr<strong>und</strong>haltung, als Entwicklungsbegleiterin das Kind<br />

<strong>und</strong> seine Lernprozesse zu entdecken. Viele erwähnen die Wichtigkeit der eigenen Veränderungen<br />

im Prozess der Anwendung des Verfahrens.


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

7.1.2 Kategorie 6: Organisation<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Konzept überzeugt, weil es für jüngeres Kind das Richtige ist, keine künstlichen<br />

Arrangements, keine Testsituationen, alltägliche Situationen <strong>und</strong> daraus<br />

systematisch etwas machen<br />

In Basisstufe/Tandempraktika zu zweit über grössere Strecke<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> hängen mit übrigen Wissen einer Lehrperson,<br />

sind viel besser einsetzbar für erfahrene Lehrpersonen<br />

Selbstverständlichkeit, Aufforderung an neue Kollegin, einfach zu schreiben<br />

Keine spezielle Ausbildung für Formulierungen in <strong>Lerngeschichten</strong>, persönlichen<br />

Stil entwickeln, nur Tipps in Ausbildung, für kleine oder fremdsprachige<br />

Kinder formulieren, kurze Sätze <strong>und</strong> einfachen Begriffe<br />

Gr<strong>und</strong>kenntnisschulung für Kolleginnen, die noch nichts davon gehört haben<br />

Aufbauschulung für Kolleginnen, die schon Kenntnisse haben, die eine<br />

Vertiefung wollen, regelmässige trägerübergreifend organisierte Ausbildungen<br />

Modell erklären an einem ganzen Kurstag, üben mit Videos <strong>und</strong> Beispielen<br />

Sich die Zeit konsequent vornehmen, einplanen in Wochenablauf, wann<br />

beobachtet wird, einen Schreibplatz bereitlegen, sich disziplinieren, Routine<br />

entwickeln<br />

Austausch in den fixen Teamzeiten, eine halbe St<strong>und</strong>e reserviert, manchmal<br />

Beobachtungen auch zu zweit austauschen<br />

Braucht hohes Mass an Disziplin, eigenen Rhythmus finden<br />

Fester Teil der Institution, macht dann nicht so viel Arbeit<br />

Eingrenzen, nur jüngeren Jahrgang nehmen<br />

Jede Kollegin Verantwortung für fünf Kinder<br />

Pro Jahr mindestens ein Entwicklungsgespräch, meist um Geburtstag des<br />

Kindes herum<br />

Pro Jahr werden mindestens zwei individuelle <strong>Lerngeschichten</strong> für das Kind<br />

geschrieben<br />

Aber hier im Haus wird es so gemacht: einmal pro Jahr<br />

K 6 Organisation<br />

142<br />

Verankerung innerhalb<br />

schon bestehender Gefässe<br />

Ausbildung<br />

Planung


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Schwierig zu beantworten, ob es Arbeit erleichtert<br />

Immer Zusatzaufgabe für eine Lehrperson, Beobachten kommt einfach noch<br />

dazu<br />

Lücken für Austausch finden, Raum schaffen, das war Mehrbelastung,<br />

herausfinden, was anderes weglassen werden konnte, Beobachten, Reflexion,<br />

Organisation <strong>und</strong> Planung nehmen Zeit in Anspruch<br />

Integration ein Stück Weg mit Mehrbelastung, wenn diese Zeiten eingeplant<br />

sind, dieses keine Mehrbelastung, höchstens bei wenig Computerkenntnissen,<br />

für Kolleginnen im Alltagsgeschäft vielleicht<br />

Möglichkeiten finden, sie von anderen Papierarbeiten zu entlasten oder<br />

kleinere St<strong>und</strong>enzahl am Kind<br />

Dass man ja auch selber ein gutes Gefühl hat, dass man seine Arbeit gut<br />

macht<br />

Zusammentragen in der Gruppenbesprechung, wird es alltäglich, keine<br />

Mehrbelastung mehr, weil viel Positives daraus<br />

Keine Mehrbelastung für Arbeit mit Kindern, sogar erleichternd, bei Gefühl<br />

von Stress bei Rückzug zum Beobachten ist Veränderung spürbar, mehr<br />

Ruhe, veränderte Atmosphäre im Haus, überträgt sich auch auf die Kinder<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> keine Mehrbelastung, anderer Schwerpunkt in der Arbeit<br />

Grenzen sind Zeit <strong>und</strong> personelle Ressourcen<br />

Faszination für das Instrument, muss sich aber ins Gesamtkonzept <strong>und</strong> die<br />

vorhandenen Ressourcen einpassen<br />

Vom zeitlichen Rahmen <strong>und</strong> vom Umfang her müsste sich etwas ändern:<br />

Zukunftsperspektiven<br />

Familienseite gestaltet für das Portfolio, Eltern mit beteiligen am Schreiben<br />

Eltern ermutigen, Schatzmappe anzuschauen <strong>und</strong> eine Seite aktiv zu gestalten<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> haben festen Bestandteil, zentrale Rolle in Elterngesprächen,<br />

auch bei Kindern wo eine leichte Verhaltensauffälligkeit oder eine Entwicklungsverzögerung<br />

ist, wo die Eltern verunsichert sind<br />

Empfehlenswert, offen mit Verfahren umzugehen, andere Beobachtungsverfahren<br />

schliessen Eltern aus<br />

Vorbereitete Beobachtungsbogen für Elterngespräche, einfach so als roten<br />

Faden durch alle Bereiche, damit an alles gedacht wird<br />

Belastung/Entlastung<br />

Beteiligung der Eltern<br />

143


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Rahmenbedingungen klären für Umsetzung: Tandems, Zeitgefässe<br />

Kompatibilität mit dem Lehrplan, geht nicht mit starren St<strong>und</strong>enplänen<br />

Auf institutionellen Ebene: man müsste zu zweit sein<br />

Ressourcen notwendig zum Einsteigen, Gewährleisten der Work-Life-Balance<br />

, als Bestandteil der offiziellen Arbeitszeit integrieren, dann gute Chancen<br />

Keine speziellen Rahmenbedingungen setzen, Lehrperson muss sich Zeit<br />

nehmen, im täglichen Ablauf ein Kind zu beobachten<br />

Wichtigkeit soll von ganz oben erkannt <strong>und</strong> genügend Gelder gesprochen<br />

werden, dass es gut zu meistern ist, Mitarbeiter stehen hinter dem Modell<br />

<strong>und</strong> erachten es als gut, Fortbildung <strong>und</strong> Qualifikation sind nötig, Kleinmengenbudget<br />

für Material, Infrastruktur<br />

Paket geschnürt implementieren in grössere Abläufe als eine mögliche Form<br />

Entscheidung, Verbindlichkeit <strong>und</strong> Motivation des Teams<br />

Üben bei der Einführung ist wichtig<br />

Gibt Motivation <strong>und</strong> Zielrichtung, nutzbar für Elterngespräch oder für<br />

Unterrichtsentwicklung<br />

Zuerst mit Lehrpersonen arbeiten<br />

Nicht obligatorisch machen<br />

Gute Einführung der Lehrpersonen ist Wichtigstes, müssen wissen, womit<br />

sie sich beschäftigen <strong>und</strong> worauf sie sich einlassen, langsames Hineinwachsen<br />

Ruhe bewahren, ausprobieren, <strong>und</strong> dann für sich, für die Einrichtung, für die<br />

Gruppe einen Weg finden, Strukturen schaffen<br />

Gefässe für Gruppenbesprechung , überlegen welche drei Kinder beobachten<br />

werden, die Woche darauf Beobachtungen zusammentragen <strong>und</strong> über die<br />

Kinder sprechen<br />

Gruppenteam funktioniert, gut eingearbeitet <strong>und</strong> eingespielt sein<br />

Alltagsbezug ist da, <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> sind überall möglich,<br />

Grenzen durch technische Ausstattung <strong>und</strong> beim Übergang in die Gr<strong>und</strong>schule<br />

Als Leitung Motor sein für die Umsetzung , wenn es in Hintergr<strong>und</strong> tritt<br />

Mit Buch arbeiten, wo <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> beschrieben sind<br />

<strong>und</strong> ausprobieren, beobachten, ins Gespräch gehen, durch Übung entsteht<br />

Fachkenntnis<br />

Über die Fotodokumentation gehen, das sind kleine <strong>Lerngeschichten</strong> für die<br />

Kinder<br />

Routine in Abläufen bekommen<br />

Fortbildungsphase ermöglichte ein langsames zur Routine kommen, der<br />

Austausch <strong>und</strong> die Übungsphase ermöglichte das Dahinterstehen des Teams,<br />

eigenen Weg finden<br />

Tabelle 12 K 6, Organisation<br />

Einführung<br />

144


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

145<br />

Durch die Aussagen in einigen Interviews wird ersichtlich, dass Teamteaching <strong>und</strong> Erfahrung hilfreich<br />

sind für die Umsetzung von <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> dass neue Kolleginnen beim<br />

Einarbeiten unterstützt werden können durch erfahrene Kolleginnen aus dem Team, einerseits<br />

durch Ermunterung, andererseits durch die Dokumentationen über das Verfahren, dass aber auch<br />

regelmässige Ausbildungen <strong>und</strong> Aufbauschulungen nötig sind.<br />

Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass es ein hohes Mass an Disziplin braucht,<br />

um die Schritte des Verfahrens konsequent durchzuführen <strong>und</strong> dass es wichtig ist, den eigenen<br />

Rhythmus zu finden. In vielen Institutionen sind die Verantwortlichkeiten zur Durchführung des<br />

Verfahrens klar aufgeteilt. Oft finden die Beobachtungen, die Niederschrift der <strong>Lerngeschichten</strong><br />

<strong>und</strong> die Entwicklungsgespräche um den Geburtstag des Kindes herum statt. Für den Austausch<br />

im Team werden meistens fixe Zeitgefässe festgelegt. Die Frage nach der Mehrbelastung wird von<br />

den Befragten unterschiedlich beantwortet. In der Anfangsphase, während der Implementierung<br />

des Verfahrens, wird es zu einer Mehrbelastung, wenn Routine <strong>und</strong> Erfahrung noch fehlen. Sobald<br />

Raum geschaffen werden kann <strong>–</strong> unter Umständen auch dadurch, dass etwas anderes weggelassen<br />

wird <strong>–</strong> schätzen die meisten Interviewten die Aufgabe nicht länger als Mehrbelastung ein, sondern<br />

als veränderten Schwerpunkt in der Arbeit. Zusätzlich betonen einige Personen, dass die Arbeit<br />

mit dem Verfahren positive Auswirkungen hat auf die eigenen Gefühle <strong>und</strong> die Atmosphäre in der<br />

Institution. Als Grenzen werden von fast allen Befragten die zeitlichen <strong>und</strong> personellen Ressourcen<br />

beschrieben.<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> sind nach Aussagen der meisten Interviewten ein fester Bestandteil von<br />

Elterngesprächen, auch bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen, wo die Eltern unter Umständen<br />

verunsichert sind. In einigen Institutionen werden Letztere zur Mitgestaltung bei den Schatzmappen<br />

ermuntert. Eine Person betont, dass das gesamte Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

die Eltern in den Prozess einbezieht. Für eine erfolgreiche Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> erwähnen die Betroffenen unter anderem die Kompatibilität mit dem<br />

Lehrplan, verfügbare Ressourcen, festgelegte Zeitgefässe <strong>und</strong> die Möglichkeit, zu zweit zu arbeiten.<br />

Viele Befragte erachten es als wichtig, dass das Team über die Einführung der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

entscheiden <strong>und</strong> motiviert dahinter stehen kann. Als zentral wird von vielen erachtet,<br />

dass eine gute Einführung <strong>und</strong> ein allmähliches Hineinwachsen hilfreich sind, sodass es gelingt,<br />

Routine zu bekommen in den Abläufen des Verfahrens.


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

7.1.3 Kategorie 7: Ausgestaltung<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Keine speziellen Anforderungen, Instrumente, Räume <strong>und</strong> Personen notwendig<br />

Grenzen sind auch in der Ausstattung<br />

Durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> wurde bewusste Beobachtung gestärkt <strong>–</strong><br />

daraus Impulse zur Raumgestaltung<br />

Raumgestaltung hat sich nicht so verändert, immer schon Wert darauf gelegt,<br />

dass die Sachen gut zugänglich sind für die Kinder<br />

Mit den vielen Räumlichkeiten gut möglich, gruppenübergreifend Kinder zusammenfassen<br />

mit gleichen Interessen, hat Auswirkungen auf Raumgestaltung<br />

Material wird exakt auf die Kinder abgestimmt, Kinder können sich im Haus<br />

bewegen<br />

Jedes Team hat Digitalkamera <strong>und</strong> Laptop zur Verfügung, Sequenzen werden<br />

im Team angeschaut <strong>und</strong> Beobachtungen daraus formuliert, Klemmbretter mit<br />

Formularen in jedem Raum bereit<br />

Voraussetzung ist gute Ausstattung, trägt zum Gelingen bei<br />

Als Teile des Portfolios implementieren macht Sinn<br />

Integration ins Portfolio, in Elternarbeit, in Lernbegleitung, vernetzt einführen,<br />

als ganzes Konzept von Lernbegleitung<br />

Wie ein Gespann: das Portfolio <strong>und</strong> die Lerngeschichte<br />

Kind macht sein Portfolio, Lerngeschichte ist Sache der Lehrpersonen<br />

Portfolios haben sehr grosse Bedeutung für Kinder , möchten immer wieder die<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> vorgelesen haben<br />

K 7 Ausgestaltung<br />

Raumgestaltung<br />

Material<br />

Portfolio<br />

146


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Greifbar in Gestalt der «Könnerbücher», in denen Kinder <strong>Lerngeschichten</strong><br />

sammeln <strong>und</strong> sichtbar schätzen<br />

Bei Kleinen <strong>Lerngeschichten</strong> als Bildergeschichten, Fotogeschichten mit wenig<br />

Text um Erinnerung wach zu halten<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> in Besitz des Kindes, auf Kinderhöhe aufbewahren, immer<br />

zugänglich<br />

Über Fotos dokumentieren <strong>und</strong> diese den Eltern aushängen<br />

Nicht zwei <strong>Lerngeschichten</strong> pro Jahr schreiben, nur eine schreiben <strong>und</strong> viele<br />

Fotos machen<br />

Auswertungen werden für Pädagoginnen aufbewahrt, nicht für alle zugänglich,<br />

zur Reflexion über Planung der nächsten Schritte, zum Erkennen eines roten<br />

Fadens im Lernen des Kindes durch gute Dokumentation<br />

Tabelle 13 K 7, Ausgestaltung<br />

Dokumentation<br />

147<br />

Verschiedene Personen erklären, dass es für die Einführung des Verfahrens keine speziellen Anforderungen<br />

an die Räumlichkeiten gibt, dass es hingegen aus der Anwendung des Verfahrens Impulse<br />

gibt für die Raumgestaltung. Sie erläutern auch, dass eine gute materielle Ausstattung zum Gelingen<br />

beiträgt. Viele Befragte betonen, dass es sinnvoll ist, die <strong>Lerngeschichten</strong> gleichzeitig mit dem<br />

Portfolio einzuführen. In Bezug auf die Dokumentation von <strong>Lerngeschichten</strong> äussern fast alle<br />

Interviewten, dass die Schatz- oder Könnerbücher jederzeit zugänglich sein müssen für die Kinder<br />

<strong>und</strong> dass <strong>Lerngeschichten</strong> auch als Bilder- oder Fotogeschichten ausgestaltet werden können,<br />

insbesondere für jüngere Kinder.


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

7.1.4 Kategorie 8: Umsetzung des Verfahrens<br />

Generalisierung<br />

Aussagen Kategorien<br />

Instrument, wo individuelle Lernprozesse dokumentiert werden<br />

Fokus auf Wahrnehmung <strong>und</strong> Austausch des unmittelbaren Geschehens<br />

Unterschied zu vorher: Entwicklung von Themen für Unterrichtsgestaltung werden<br />

aus Beobachtungen abgeleitet, vor allem Entwicklungsschritte für das einzelne<br />

Kind, früher bestimmte eher Kleingruppe die Themenwahl<br />

<strong>Bildungs</strong>biographie des Kindes dokumentieren, mit Kind reflektieren <strong>und</strong> über<br />

Lernen sprechen<br />

Überzeugt von dem Instrument, sehr dialog- <strong>und</strong> ressourcenorientiert<br />

Nicht immer Grosses, manchmal Kleinigkeiten, die nur durch dieses Beobachtungsverfahren<br />

erkennbar sind, nicht Quantität<br />

Mit Begleitung einsteigen, sich Zeit lassen, lange üben, was beschreiben <strong>und</strong> nicht<br />

bewerten heisst, die Analyse als Herzstück des Instrumentes ansehen, als Vorteil<br />

für ein Team, gemeinsam weg vom defizitären Blick<br />

Umsetzen der nächsten Schritte ist immer noch Thema, ebenso Reflexion, wo<br />

Lernen stattgef<strong>und</strong>en hat, Lernprozesse erkennen, aufmerksam werden für kleine<br />

Sachen<br />

Schwierig ist roten Faden bei Entwicklung der Kinder zu verfolgen <strong>und</strong> Erkenntnisse<br />

aus Beobachtung ziehen, schwierig auch Umsetzung der nächsten Schritte<br />

Grenzen des Verfahrens: nicht möglich all zu breit Geschichten zu sammeln<br />

Keine Grenzen der <strong>Lerngeschichten</strong>, immer <strong>und</strong> überall möglich<br />

Mit Beobachtung fängt alles an, Übung in freier Beobachtung, geschärfter Blick,<br />

Beobachtung <strong>und</strong> Interpretation sauber trennen können<br />

Analyse von Beobachtungen anhand Lerndispositionen, sonst wertlos<br />

Lerndispositionen von Entwicklung her aufbauend, nur bei Interesse für Thema,<br />

für Dinge, für Personen ist Engagement <strong>und</strong> Kontakt möglich<br />

Wichtig: Dispositionen festhalten, sagen viel aus über Verhalten <strong>und</strong> Handlungen<br />

des Kindes<br />

Geschichte ist Situation, in der wir Kind oder Kindergruppe beobachtet haben,<br />

unter bestimmten Kriterien beobachten, auf bestimmte Weise analysieren, Verschriftlichung,<br />

Diskussion, Schlüsse-Ziehen, das ergibt <strong>Bildungs</strong>-<strong>und</strong> Lerngeschichte<br />

Lerngeschichte besteht aus Sammlung von kurzen Beobachtungen in zeitlichen<br />

Abständen, die individuelle Handlungen des Kindes beschreiben, Lernwege, <strong>und</strong><br />

Lernzustände oder Lernentwicklungen<br />

K 8 Umsetzung des<br />

Verfahrens<br />

148<br />

Kernaussagen über das<br />

Verfahren


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Lerngeschichte ist Geschichte, die über Lernen des Kindes erzählt, wird vorgelesen,<br />

übergeben <strong>und</strong> im Könnerbuch abgeheftet<br />

Nicht irgendeine Geschichte, sondern geschrieben für das Kind, zum Entwicklungsstand,<br />

aber auch für eine Fachkraft, die genau sieht, wo Kind Probleme<br />

gelöst hat. Wie wird das für Kind beschrieben <strong>und</strong> wie kann es Fachkraft wieder<br />

herauslesen<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> gehen immer Beobachtungen voraus, dann Auswertung der<br />

strukturierten Beobachtung, Analyse nach Lerndispositionen, nach Austausch im<br />

Team entsteht manchmal eine Lerngeschichte, falls nicht sofort Zeit, kann Beobachtung<br />

erst später notiert werden<br />

Sequenzen haben, wo Kinder über längere Zeit etwas tun, um Ablauf beobachten<br />

zu können<br />

Abläufe, nicht starr, bei besonderer Beobachtungssituation muss nicht am festgelegten<br />

Beobachtungstag beobachtet werden, kann spontan sein<br />

Bei schriftlichen Beobachtungen fragen, ob man Kind beim Spielen beobachten<br />

kann, war anfänglich grosses Thema in Institution, manchmal ist Antwort Nein,<br />

Kinder haben Beobachtung vielleicht schon negativ erlebt, wegen Rügen oder<br />

Sanktionen<br />

Wenn Kinder Beobachtung zustimmen, vergessen sie schnell, dass sie beobachtet<br />

werden<br />

Den Kindern berichten oder vorlesen, was beobachtet wurde<br />

Durch Dialog sichtbar machen: Ich habe dich beobachtet <strong>und</strong> erzähle dir das, ist<br />

am Anfang ungewohnt, dann mögen es Kinder, ergibt lange Gespräche, Beziehungen<br />

verändern sich<br />

Analyse der Lerndispositionen ist schriftliche Arbeit<br />

Impuls, der durch Lerngeschichte gegeben wird, im Alltag weiterverfolgen , wie<br />

Projekte für einzelne Kinder, die an Beobachtung anschliessen<br />

Nächste Schritte in Lerngeschichte schreiben, ist Begleitung vom Kind, dran<br />

bleiben, weiter beobachten, manchmal stehen nach Dokumentation der nächsten<br />

Schritte schon wieder nächste Schritte an<br />

Lerngeschichte weitergeben wenn notwendig, Schlüsse ziehen, was Kind braucht<br />

als Förderung<br />

Am Schluss Gesamtanalyse der Beobachtungen <strong>und</strong> Überlegungen für nächste<br />

Schritte<br />

Nächste Schritte nach Sequenzen besprechen, anbieten, reflektieren, dokumentieren,<br />

dann erst, diese Dokumentation, diese Bewertung schreiben<br />

In Analyse Frage nach Thema <strong>und</strong> Interesse des Kindes <strong>und</strong> nach Angeboten für<br />

nächste Entwicklungsschritte, anfänglich explizite Vorschläge gemacht für Kind<br />

Nächster Schritt: «Ich bin gespannt, wann du es schaffst nach oben zu kommen.<br />

Und wann du weißt, wie du nach oben kommst.»<br />

Für eine Lerngeschichte zwei bis drei Beobachtungen<br />

Konkrete Abläufe<br />

149


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.1 Darstellungen der generalisierten Aussagen aus den durchgeführten Interviews<br />

Aussagen Kategorien<br />

Wenn Lerngeschichte geschrieben ist, wird sie Kind vorgelesen, Kommentare<br />

werden auch aufgenommen<br />

Günstige Orte <strong>und</strong> Momente, gemütliche Atmosphäre, geschützter Rahmen, Bei<br />

magischen Momenten, wenn Veränderungen/spannende Entwicklungen stattfinden,<br />

schreiben wir <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Dann wird Geschichte geschrieben, kommt in Buch, <strong>und</strong> dann ist es beendet <strong>und</strong><br />

eigentliche pädagogische Arbeit beginnt<br />

Tabelle 14 Umsetzung des Verfahrens<br />

150<br />

Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> wird von vielen Befragten als Instrument zur<br />

Dokumentation von individuellen Lernprozessen beschrieben, wobei aus den Beobachtungen<br />

Entwicklungsschritte für das einzelne Kind abgeleitet werden. Die meisten Interviewten geben<br />

an, dass sie es als wichtig einschätzen, das Kind zu fragen, ob es einer Beobachtung zustimmt <strong>und</strong><br />

einige erwähnen, dass das Kind beim Spielen schnell wieder vergisst, dass es beobachtet wird.<br />

Immer wieder wird bemerkt, dass das Umsetzen der «nächsten Schritte» schwierig zu verfolgen ist<br />

<strong>und</strong> noch weiter zu entwickeln wäre. Die «nächsten Schritte» aus der Beobachtung zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> in einer Lerngeschichte zu formulieren, beschreibt eine Person als Begleitung des Kindes in<br />

seinem Entwicklungsprozess. Einige Befragte erklären, dass die nächsten Schritte aus dem aktuellen<br />

Geschehen, aus Themen <strong>und</strong> Interessen des Kindes entwickelt werden. In einer Institution wird<br />

betont, dass seit der Einführung des Verfahrens immer weniger explizite Vorschläge gemacht werden<br />

für das Kind. Alle Beteiligten geben an, dass den <strong>Lerngeschichten</strong> zuerst strukturierte Beobachtungen<br />

vorausgehen <strong>und</strong> diese meistens im Team anhand der Lerndispositionen ausgewertet werden.<br />

Nach dem Austausch im Team wird dann eine Lerngeschichte geschrieben, die dem Kind vorgelesen<br />

<strong>und</strong> für das Könnerbuch abgegeben wird. Eine Person erwähnt, dass in ihrer Institution keine<br />

Verschriftlichung der Beobachtungen gemacht, sondern kurze Sequenzen mit dem Fotoapparat<br />

gefilmt werden. Mehrere Interviewte sagen aus, dass für das Vorlesen eine gemütliche Atmosphäre,<br />

ein geschützter Rahmen <strong>und</strong> günstige Moment wichtig sind. Kaum jemand erwähnt das Verfassen<br />

der <strong>Lerngeschichten</strong> als Schwierigkeit.


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil<br />

7.2 Interpretation der Ergebnisse<br />

Im Folgenden werden die durch qualitative Inhaltsanalyse gewonnenen <strong>und</strong> erläuterten Ergebnisse<br />

für den Entwicklungsteil interpretiert. Dabei konzentriert sich die Interpretation auf die Bereiche<br />

<strong>Bildungs</strong>verständnis, Mehrbelastung <strong>und</strong> Kernaussagen zum Verfahren, da die anderen Erkenntnisse<br />

zur Beantwortung der Fragestellung dienen.<br />

Immer wieder werden im Verlaufe der Interviews Aussagen gemacht zum <strong>Bildungs</strong>verständnis,<br />

welches offenbar Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> von zentraler Bedeutung ist für die Anwendung des<br />

Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> innerhalb dieses Prozesses auch ständig weiterentwickelt<br />

wird. Diese Tatsache fällt besonders deshalb auf, weil in den Interviews nicht explizit<br />

nach diesem Thema gefragt wurde. Zum <strong>Bildungs</strong>verständnis gehören nach den Erkenntnissen aus<br />

den Interviews das Selbstwirksamkeits-Erleben als Gr<strong>und</strong>lage für Selbstbildungs-Prozesse <strong>und</strong> die<br />

Rolle <strong>und</strong> Haltung der Pädagoginnen, die als Begleiterinnen der Kinder in Entwicklungsprozessen<br />

verstanden werden. Das Kind ist im Verständnis des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong><br />

Akteur seiner Entwicklung, echtes Lernen findet folglich in Lernumgebungen statt, die von den<br />

Räumlichkeiten <strong>und</strong> vom Material her <strong>und</strong> durch die Impulse der Erzieherinnen anregend gestaltet<br />

sind. Beeindruckend sind die Aussagen, dass Kinder in ihren Handlungen nicht gestört werden<br />

sollen <strong>und</strong> oft längere Sequenzen notwendig wären, damit das Lernen <strong>und</strong> Problemlösen der Kinder<br />

einsetzt, was der aktuellen Unterrichtsform mit ihren festgelegten St<strong>und</strong>enplänen häufig entgegensteht.<br />

Die Auseinandersetzung mit individuellem Lernen <strong>und</strong> Gruppenerfahrungen beschäftigt<br />

die besuchten Institutionen im selben Masse wie die Lehrpersonen in unserem Schulsystem <strong>und</strong><br />

dieses Spannungsfeld kann offenbar durch das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> nicht<br />

entkräftet werden. Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> rücken die Ziele des Kindes<br />

ins Zentrum, nicht die Anforderungen einer Pädagogin oder eines Lehrplans <strong>und</strong> die Offenheit des<br />

Verfahrens, das Fehlen von Kompetenzrastern ist eine Chance für alle Kinder, in ihrer Entwicklung<br />

wahrgenommen <strong>und</strong> nicht mit einer Norm verglichen zu werden. Schön ist die Aussage, dass die<br />

Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> den Pädagoginnen selber ein positives Gefühl gibt, ihre<br />

Arbeit gut zu machen, dass also offensichtlich auch die einzelnen Lehrpersonen <strong>und</strong> das gesamte<br />

Team gestärkt werden, zumal das Verfahren nach einer Einführungszeit nicht mehr als zusätzliche<br />

Belastung empf<strong>und</strong>en wird, sondern in einigen Fällen sogar zu einer Entlastung führt. Es fällt auf,<br />

dass der Reflexionsbogen nicht zur Sprache kommt, sondern nur allgemein die vermehrte Reflexion<br />

im Team erwähnt wird. Offensichtlich ist dieser Schritt im Verfahren noch nicht im Ablauf integriert.<br />

Es erwies sich als sinnvoll, die Einzelaussagen nicht zu stark zu generalisieren, da aufgezeigt<br />

werden sollte, wie die einzelnen Institutionen das Verfahren individuell anpassen. Es geht hier ja<br />

nicht um das Verfahren in den theoretischen Gr<strong>und</strong>zügen, sondern um die Umsetzung in den verschiedenen<br />

Institutionen <strong>und</strong> da gibt es unterschiedliche Ausgestaltungen.<br />

Die Kernaussagen zum Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> lassen sich folgendermassen<br />

interpretieren: <strong>Lerngeschichten</strong> beschreiben individuelle Handlungen eines Kindes, seine<br />

Lernwege, Lernzustände oder Lernentwicklungen. Dies macht das Verfahren zu einem dialog- <strong>und</strong><br />

151


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.2 Interpretation der Ergebnisse<br />

152<br />

ressourcenorientierten Instrument, welches durch die Analyse als Herzstück ermöglicht, sich<br />

immer mehr von einem defizitären Blick zu lösen <strong>und</strong> aufmerksam zu werden für die durch dieses<br />

Beobachtungsverfahren erkennbaren kleinen Fortschritte im Alltag <strong>und</strong> für gelungene Entwicklungen.<br />

7.3 Beantwortung der Fragestellung für den Entwicklungsteil<br />

In diesem Abschnitt wird ausgehend von den erläuterten <strong>und</strong> interpretierten Ergebnissen die für<br />

den Entwicklungsteil formulierte Fragestellung beantwortet <strong>und</strong> mit den Erkenntnissen verglichen,<br />

welche dem Abschlussbericht des Projektes «<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> als Instrument<br />

zur Konkretisierung <strong>und</strong> Umsetzung des <strong>Bildungs</strong>auftrags im Elementarbereich» des Deutschen<br />

Jugendinstituts in München (im Literaturverzeichnis aufgeführt) zu entnehmen sind.<br />

Die für den Entwicklungsteil durchgeführte Forschung geht von der hier noch einmal aufgeführten<br />

Fragestellung aus:<br />

Welche Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden, damit das Verfahren der<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> in der Praxis umgesetzt werden kann?


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.3 Beantwortung der Fragestellung für den Entwicklungsteil<br />

Zu den Rahmenbedingungen für eine Umsetzung in der Praxis gehören folgende Erfordernisse:<br />

·· Ein <strong>Bildungs</strong>verständnis, welches die aktive Rolle des Kindes in seinen <strong>Bildungs</strong>prozessen<br />

ins Zentrum rückt<br />

·· Räumlichkeiten mit anregenden Lernumgebungen<br />

·· Beobachtungen werden in einem ersten Schritt nach Lerndispositionen analysiert,<br />

Kompetenzraster <strong>und</strong> Fachkräfte können nach Bedarf beigezogen werden<br />

·· Begeisterung <strong>und</strong> Motivation des Teams<br />

·· Bereitschaft, das Verfahren diszipliniert anzuwenden<br />

·· Bereitschaft, die pädagogische Arbeit den Eltern transparent zu machen<br />

·· Bereitschaft zur Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns<br />

·· Genügende zeitliche <strong>und</strong> personelle Ressourcen<br />

·· Teamteaching als mögliche Unterrichtsform<br />

·· Klare Strukturen in den Abläufen <strong>und</strong> in den Verantwortlichkeiten<br />

·· Eine genügende Infrastruktur wie Digitalkamera, Laptops, Büromaterial <strong>und</strong><br />

weitere<br />

·· Ein gut zugänglicher Platz für die Könnerbücher/Schatzmappen<br />

·· Aus- <strong>und</strong> Fortbildung der Pädagoginnen<br />

·· Gemeinsame Übungsphasen zu den einzelnen Bausteinen<br />

153


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.3 Beantwortung der Fragestellung für den Entwicklungsteil<br />

In Bezug auf die Ausgestaltung kann die Frage folgendermassen beantwortet werden:<br />

154<br />

Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> kann überzeugend umgesetzt werden,<br />

wenn die Beobachtungszeiten <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten klar festgelegt sind <strong>und</strong> bereits bestehende<br />

Besprechungszeiten genutzt werden, wobei jeweils eine bestimmte Dauer für den Austausch<br />

über ein Kind vereinbart wird. Wichtig ist ausserdem, dass für die Kinder längere Lern- <strong>und</strong> Spielsequenzen<br />

geplant werden, in denen Lernprozesse <strong>und</strong> Beobachtungen möglich sind. Beobachtungsbögen<br />

auf einem Klemmbrett, sowie Digitalkameras müssen jederzeit bereitliegen. Die Analyse<br />

nach Lerndispositionen als Herzstück des Verfahrens kann sowohl einzeln als auch im Team durchgeführt<br />

werden. Besondere Beachtung muss der Umsetzung der nächsten Schritte, dem «roten<br />

Faden» in der Entwicklung <strong>und</strong> im eigenen pädagogischen Handeln geschenkt werden. Das Verfassen<br />

der schriftlichen Lerngeschichte in Briefform ist eine individuelle Aufgabe der Pädagogin<br />

<strong>und</strong> es ist wichtig, dass das Vorlesen in einer achtsam gestalteten Umgebung <strong>und</strong> persönlichen<br />

Atmosphäre stattfindet. <strong>Lerngeschichten</strong> werden als Chance zum wertschätzenden Austausch <strong>und</strong><br />

zur Beziehungsförderung, sowie als Impuls für nächste Schritte verstanden.<br />

Auch im Projekt des Deutschen Jugendinstitutes wurden bei der Evaluation nahezu die gleichen<br />

Erkenntnisse herauskristallisiert. Eine Ausnahme zeigt sich in der Zusammenfassung des Evaluationsberichtes,<br />

wo festgehalten wird, dass das Verfahren eine Veränderung pädagogischer Überzeugungen<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze initiieren kann (vgl. Abschlussbericht, 2007, S. 97). Durch die Erhebungen der<br />

vorliegenden Arbeit hingegen wird ersichtlich, dass dieses veränderte <strong>Bildungs</strong>verständnis eine<br />

Rahmenbedingung zur Umsetzung des Verfahrens darstellt <strong>und</strong> es günstig ist, bereits bei oder<br />

sogar vor der Einführung auf diesen Paradigmenwechsel hinzuarbeiten.


7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil<br />

Lerngeschichte für Leila Januar 2010<br />

7.4 Handreichung für die Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten<br />

Liebe Leila!<br />

1. Das Beobachten<br />

Heute bekommst du endlich<br />

deine neue Lerngeschichte.<br />

Gegenstand der Beobachtung sind alltäg-<br />

Weißt liche Handlungen du noch, <strong>und</strong> Äusserungen als dich eines«Klaramaus»<br />

im Advents-<br />

stündchen Kindes. als Adventskind erschnuppert hat?<br />

Jeden Beobachtung Tag hast ist gezielte du Beachtung im Adventsstündchen sehnlichst gehofft,<br />

dass Klaramaus <strong>und</strong> Wertschätzung kindlichen Tuns. den richtigen 2. Riecher Die Analyse hat, nach Lerndispositionen<br />

<strong>und</strong> dich als Adventskind erschnuppert.<br />

Lerndispositionen sind das persönliche<br />

In der 3. Adventswoche ist es dann endlich Repertoire soweit angewesen. Lernstrategien <strong>und</strong><br />

Motivation, mit dem jeder Mensch Lern-<br />

Gesicht <strong>und</strong> du hast herzlich gelacht. Dich gelegenheiten so wahrnimmt glücklich <strong>und</strong> zu beant- sehen,<br />

hat mir sehr viel wortet. Freude bereitet.<br />

Du hast dich riesig gefreut, dein Strahlen reichte über das ganze<br />

Schnell bist du an unseren Adventskalender gegangen,<br />

hast dein Zeichen gesucht <strong>und</strong> dein Säckchen abgenommen.<br />

Gespannt hast 3. Der du Dialog hinein geschaut <strong>und</strong> dein kleines Briefchen<br />

heraus geholt. Klaramaus hat deinen Adventswunsch<br />

Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Lern- laut vorgelesen.<br />

geschichten findet der Dialog mit dem<br />

Am Montag, den 14.12.09 durftest du gemeinsam<br />

Kind, im Team <strong>und</strong> mit den Eltern statt.<br />

mit Loris <strong>und</strong> Lukas in den Ahornsportpark gehen.<br />

Du hast dich sehr darauf gefreut <strong>und</strong> in den nächsten Tagen<br />

von nichts anderem mehr gesprochen. Voller Vorfreude hast du<br />

4. Die Planung der «nächsten Schritte»<br />

auf diesen Tag gewartet.<br />

Endlich ist es dann soweit gewesen. Monika hat<br />

mit euch<br />

Die Begleitung<br />

den Rucksack<br />

des Kindes<br />

gepackt<br />

in seinen<br />

<strong>und</strong> dann konnte es losgehen.<br />

<strong>Bildungs</strong>prozessen, das heisst die Planung<br />

Im Ahornsportpark der «nächsten Schritte» habt erfolgt ihr auf verschiede Bewegungsspiele ausprobiert,<br />

konntet Gr<strong>und</strong>lage durch der einen Lerndispositionen. Parcours laufen <strong>und</strong> vieles mehr. Sehr motiviert<br />

<strong>und</strong> neugierig bist 5. Die du Lerngeschichte bei der Sache gewesen.<br />

Mutig bist du allein über die Wackelbrücke <strong>Lerngeschichten</strong> balanciert sind<strong>und</strong> Geschichten, hast<br />

dich sogar getraut, an der dieStange über das Lernen herunter der Kinder zu berichten. rutschen.<br />

Es ist schön, zu beobachten, wie viel Spaß du an der Bewegung hast.<br />

Die Kletterwand hat dir auch gut gefallen.<br />

Sie werden<br />

Mit<br />

meist<br />

viel<br />

in Form<br />

Eifer<br />

eines<br />

hast<br />

Briefes an ein Kind verfasst.<br />

Kindern versucht, bis ganz oben zu klettern.<br />

du immer wieder gemeinsam mit Leander <strong>und</strong> anderen<br />

Das ist ein ganz besonderer <strong>und</strong> aufregender Tag für dich gewesen, <strong>und</strong><br />

du freust dich schon darauf, ab dem nächsten Sommer regelmäßig mit<br />

155


hat mir sehr viel Freude bereitet.<br />

Schnell bist du an unseren Adventskalender gegangen,<br />

7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.4 Handreichung für die Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten<br />

hast dein Zeichen gesucht <strong>und</strong> dein Säckchen abgenommen.<br />

Gespannt hast du hinein geschaut <strong>und</strong> dein kleines Briefchen<br />

heraus Was sindgeholt. <strong>Bildungs</strong>-Klaramaus <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong>? hat deinen Adventswunsch<br />

laut vorgelesen.<br />

Das Verfahren der Am <strong>Bildungs</strong>- Montag, <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> den 14.12.09 wurdedurftest Ende der 1990er-Jahre du gemeinsam<br />

durch Margret<br />

Carr von der Waikato Universität in Neuseeland entwickelt.<br />

mit Loris <strong>und</strong> Lukas in den Ahornsportpark gehen.<br />

Du hast <strong>Bildungs</strong>- dich <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> sehr darauf sind gefreut ein ressourcenorientiertes <strong>und</strong> in den nächsten Beobachtungs- Tagen <strong>und</strong><br />

Dokumentationsverfahren, von nichts anderem welches auf die mehr Stärkengesprochen. der Kinder bautVoller <strong>und</strong> dabei Vorfreude eine notwendige hast du<br />

Einschätzung des Entwicklungsstandes auf nicht diesen ausschliesst. Tag gewartet.<br />

In systematischen Endlich ist Beobachtungen es dann soweit durch verschiedene gewesen. Bezugspersonen Monika des Kindeshat werden<br />

mit Informationen euch den über Rucksack seine Tätigkeiten gepackt gesammelt <strong>und</strong> <strong>und</strong> dann mit dem konnte Kind <strong>und</strong> es losgehen.<br />

im Team reflektiert.<br />

Die Analyse der Beobachtungen erfolgt anhand von Lerndispositionen. In einer Lerngeschichte,<br />

Im Ahornsportpark habt ihr verschiede Bewegungsspiele ausprobiert,<br />

die für das Kind ein- oder zweimal pro Jahr verfasst <strong>und</strong> ihm vorgelesen wird, werden diese<br />

konntet durch einen Parcours laufen <strong>und</strong> vieles mehr. Sehr motiviert<br />

Erkenntnisse für das Kind <strong>und</strong> für die Eltern erlebbar gemacht.<br />

<strong>und</strong> neugierig bist du bei der Sache gewesen.<br />

Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> stehen die individuellen Interessen <strong>und</strong><br />

Mutig bist du allein über die Wackelbrücke balanciert <strong>und</strong> hast<br />

Lernentwicklungen eines Kindes im Zentrum. Ziel dabei ist es, die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> Lernwege von<br />

dich sogar getraut, an der Stange herunter zu rutschen.<br />

Kindern zu unterstützen <strong>und</strong> ihnen schrittweise eine immer grössere Partizipation zu ermöglichen.<br />

Es ist schön, zu beobachten, wie viel Spaß du an der Bewegung hast.<br />

Die Kletterwand hat dir auch gut gefallen. Mit viel Eifer hast<br />

du immer wieder gemeinsam mit Leander <strong>und</strong> anderen<br />

Kindern Bausteine des Verfahrens versucht, bis ganz oben zu klettern.<br />

Das ist ein ganz besonderer <strong>und</strong> aufregender Tag für dich gewesen, <strong>und</strong><br />

du freust dich schon darauf, ab dem nächsten Sommer regelmäßig mit<br />

Das Beobachten<br />

in den Ahornsportpark zu gehen.<br />

Dann Gegenstand kam erst der Beobachtung einmal die sindWeihnachtszeit, alltägliche Handlungenauf <strong>und</strong> die Äusserungen du dich eines Kindes. schon sehr<br />

gefreut hast. Immer wieder hast du davon erzählt, dass du Weihnachten<br />

Die Tätigkeit des Kindes wird aus unmittelbarer Nähe differenziert beobachtet <strong>und</strong> auf<br />

mit Mama bei Oma <strong>und</strong> Opa in Wiesheim feiern wirst.<br />

dem Beobachtungsbogen gleichzeitig schriftlich festgehalten.<br />

Alle Bärenkinder konnten erst einmal 2 Wochen Ferien<br />

Beobachtungen werden durch verschiedene Bezugspersonen eines Kindes durch-<br />

genießen. . .<br />

geführt.<br />

. . .Und nach den Weihnachtsferien war es endlich soweit! Dein 4.<br />

Durch die Anwendung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> werden<br />

Beobachtungen systematisiert, da jedes Kind regelmässig beobachtet wird.<br />

lie gefeiert <strong>und</strong> dann haben wir ihn endlich in der Kita mit allen<br />

Bärenkindern Dadurch wird Beobachtung zu gezielter nachgefeiert. Beachtung <strong>und</strong> Ganz Wertschätzung aufgeregt kindlichen bist du morgens<br />

Tuns. in die Kita gekommen <strong>und</strong> hast so viel erzählt. Mittags haben wir im<br />

Kuschelraum deinen Geburtstagsstuhlkreis vorbereitet. Du hast im Flur<br />

gewartet, bis dich der Geburtstagszug hereinholt. Mit einem lauten Ri-Ra-<br />

Rutsch sind deine Fre<strong>und</strong>e Joyce <strong>und</strong> Leander zu dir gekommen, <strong>und</strong><br />

haben dich in den Kuschelraum geholt. Die beiden durften auch bei dir am<br />

Geburtstagtisch sitzen.<br />

Geburtstag. Den hast du schon in den Ferien mit deiner Fami-<br />

Ganz stolz hast du den Bärenkindern von deinen Geburtstagsgeschenken<br />

156


Dann kam erst einmal die Weihnachtszeit, auf die du dich schon sehr<br />

gefreut hast. Immer wieder hast du davon erzählt, dass du Weihnachten<br />

7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.4 Handreichung für die Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten<br />

mit Mama bei Oma <strong>und</strong> Opa in Wiesheim feiern wirst.<br />

Alle Bärenkinder konnten erst einmal 2 Wochen Ferien<br />

genießen. . .<br />

Der Dialog<br />

. . .Und nach den Weihnachtsferien war es endlich soweit! Dein 4.<br />

Geburtstag. Im Verfahren Den der hast <strong>Bildungs</strong>- du <strong>und</strong>schon <strong>Lerngeschichten</strong> in den findet Ferien der Dialog mit deiner mit dem Kind, Fami-<br />

im Team<br />

lie <strong>und</strong> gefeiert mit den<strong>und</strong> Elterndann statt. haben wir ihn endlich in der Kita mit allen<br />

Bärenkindern nachgefeiert. Ganz aufgeregt bist du mor-<br />

Im Anschluss an die Beobachtung findet der Dialog mit dem Kind über die beobachtete<br />

gens in die Kita gekommen <strong>und</strong> hast so viel erzählt. Mittags haben wir im<br />

Situation unter Einbeziehung seiner eigenen Sicht auf das Lernen statt. Dabei werden auch<br />

Kuschelraum nächste Lernschritte deinen entwickelt Geburtstagsstuhlkreis <strong>und</strong> geplant. vorbereitet. Du hast im Flur<br />

gewartet, bis dich der Geburtstagszug hereinholt. Mit einem lauten Ri-Ra-<br />

Rutsch sind Imdeine kollegialen Fre<strong>und</strong>e AustauschJoyce <strong>und</strong> in der <strong>und</strong> Reflexion Leander im Team zu werden dir gekommen, die Lernprozesse <strong>und</strong><br />

haben des dich Kindes in den aus verschiedenen Kuschelraum Blickwinkeln geholt. betrachtet Die beiden <strong>und</strong> Besonderheiten durften <strong>und</strong> auch Ergebnisse bei dir am<br />

verdeutlicht.<br />

Geburtstagtisch sitzen.<br />

Ganz stolz Das hast Verfahren du den derBärenkindern <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> von deinen ermöglicht Geburtstagsgeschenken<br />

den Eltern, Einblick in<br />

berichtet. den Alltag Die <strong>und</strong> Kinder in die Lernfortschritte haben dir Geburtstagsorden, ihrer Kinder zu gewinnen. Die die Arbeit Kappe im Kindergarten <strong>und</strong> eine<br />

bunte Geburtstagskarte wird für die Eltern dadurchgebracht, transparent. Zugleich damit du werden wie dieein Erfahrungen richtiges der Eltern Geburtstags- <strong>und</strong><br />

ihre Sicht auf das Lernen ihres Kindes mit einbezogen.<br />

kind aussiehst. Als nächstes hast du dir von der Gruppe das Lied «Weil du<br />

heut Geburtstag Gr<strong>und</strong>lage hast» für einen gewünscht. gelingendenNatürlich Dialog ist die Begegnung mit Instrumenten in einer Atmosphäre <strong>und</strong> der du<br />

selbst Sicherheit hast auch <strong>und</strong>eine die Akzeptanz Rassel des gespielt. Gegenübers, seine Einstellungen <strong>und</strong> Sichtweisen.<br />

Danach bist du endlich auf die Suche nach der Geburtstagsschatztruhe<br />

gegangen <strong>und</strong> sie auch ganz schnell gef<strong>und</strong>en. Die Bärengruppe hat dir<br />

eine rosa Prinzessinen-spardose <strong>und</strong> einen pinken Spiegel geschenkt. Du<br />

hast dich sehr darüber gefreut! Ich glaube, das war genau das richtige<br />

Geschenk für dich.<br />

Anschließend hast du dir noch das Lied «Theo Theo» gewünscht <strong>und</strong> alle<br />

Kinder haben mit viel Spaß dazu getanzt.<br />

Dann ist leider schon wieder Zeit für das Mittagessen gewesen. Du hast für<br />

alle Kinder Eis zum Nachtisch mitgebracht <strong>und</strong> bist im Schlafraum voller<br />

Erschöpfung von dem aufregenden Tag sofort eingeschlafen.<br />

Liebe Leila, ich bin schon sehr gespannt, was wir in Zukunft noch alles<br />

gemeinsam erleben.<br />

Bleib weiterhin so offen <strong>und</strong> fröhlich wie du bist!<br />

Deine Erzieherin Tina<br />

157


mit Mama bei Oma <strong>und</strong> Opa in Wiesheim feiern wirst.<br />

Alle Bärenkinder konnten erst einmal 2 Wochen Ferien<br />

7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.4 Handreichung für die Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten<br />

158<br />

genießen. . .<br />

. . .Und nach den Weihnachtsferien war es endlich soweit! Dein 4.<br />

Geburtstag. Den hast du schon in den Ferien mit deiner Fami-<br />

Die Analyse nach Lerndispositionen<br />

lie gefeiert <strong>und</strong> dann haben wir ihn endlich in der Kita mit allen<br />

Bärenkindern Im Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> nachgefeiert. erfolgt dieGanz Auswertung aufgeregt der Beobachtungen bist du morgens<br />

nach in die Lerndispositionen. Kita gekommen <strong>und</strong> hast so viel erzählt. Mittags haben wir im<br />

Kuschelraum deinen Geburtstagsstuhlkreis vorbereitet. Du hast im Flur<br />

Lerndispositionen sind das persönliche Repertoire an Lernstrategien <strong>und</strong> Motivation,<br />

gewartet, bis dich der Geburtstagszug hereinholt. Mit einem lauten Ri-Ramit<br />

dem jeder Mensch Lerngelegenheiten wahrnimmt, beantwortet, auswählt oder auch<br />

Rutsch sind deine Fre<strong>und</strong>e Joyce <strong>und</strong> Leander zu dir gekommen, <strong>und</strong><br />

entwickelt. Diese individuellen Strategien werden durch die Lernbemühungen fortlaufend<br />

haben dich in den Kuschelraum geholt. Die beiden durften auch bei dir am<br />

erweitert.<br />

Geburtstagtisch sitzen.<br />

Ganz stolz hast du den Bärenkindern von deinen Geburtstagsgeschenken<br />

Die fünf Lerndispositionen sind:<br />

berichtet. Die Kinder haben dir Geburtstagsorden, die Kappe <strong>und</strong> eine<br />

bunte<br />

1.<br />

Geburtstagskarte<br />

interessiert sein<br />

gebracht, damit du wie ein richtiges Geburtstagskind<br />

2. aussiehst. engagiertAls sein nächstes hast du dir von der Gruppe das Lied «Weil du<br />

heut 3. Geburtstag standhaltenhast» bei Herausforderungen gewünscht. <strong>und</strong> Natürlich Schwierigkeiten mit Instrumenten <strong>und</strong> du<br />

selbst hast auch eine Rassel gespielt.<br />

4. sich mitteilen, ausdrücken <strong>und</strong> mit anderen austauschen<br />

Danach 5. bist an der du Lerngemeinschaft endlich auf mitwirken die Suche <strong>und</strong>nach Verantwortung der Geburtstagsschatztruhe<br />

übernehmen<br />

gegangen <strong>und</strong> sie auch ganz schnell gef<strong>und</strong>en. Die Bärengruppe hat dir<br />

eine rosa Prinzessinen-spardose <strong>und</strong> einen pinken Spiegel geschenkt. Du<br />

hast Lerndispositionen dich sehr darüber sind Voraussetzung gefreut! fürIch Lern- glaube, <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>prozesse das war genau <strong>und</strong> lebenslanges das richtige Lernen.<br />

Geschenk Bei für derdich. Analyse nach Lerndispositionen stehen das Wahrnehmen <strong>und</strong> die Anerkennung<br />

Anschließend der Lernprozesse hast des Kindes du dir imnoch Zentrumdas der Lied Aufmerksamkeit. «Theo Theo» gewünscht <strong>und</strong> alle<br />

Kinder haben mit viel Spaß dazu getanzt.<br />

Dann ist leider schon wieder Zeit für das Mittagessen gewesen. Du hast für<br />

alle Kinder Eis zum Nachtisch mitgebracht <strong>und</strong> bist im Schlafraum voller<br />

Erschöpfung von dem aufregenden Tag sofort eingeschlafen.<br />

Liebe Leila, ich bin schon sehr gespannt, was wir in Zukunft noch alles<br />

gemeinsam erleben.<br />

Bleib weiterhin so offen <strong>und</strong> fröhlich wie du bist!<br />

Deine Erzieherin Tina


dich sogar getraut, an der Stange herunter zu rutschen.<br />

Es ist schön, zu beobachten, wie viel Spaß du an der Bewegung hast.<br />

7 Ergebnisse für den Entwicklungsteil 7.4 Handreichung für die Einführung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> im Kindergarten<br />

159<br />

Die Kletterwand hat dir auch gut gefallen. Mit viel Eifer hast<br />

Kindern versucht, bis ganz oben zu klettern.<br />

du immer wieder gemeinsam mit Leander <strong>und</strong> anderen<br />

Die Planung der «nächsten Schritte»<br />

Das ist ein ganz besonderer <strong>und</strong> aufregender Tag für dich gewesen, <strong>und</strong><br />

du freust Die Begleitung dich des schon Kindesdarauf, in seinen <strong>Bildungs</strong>prozessen, ab dem nächsten das heisst Sommer die Planung regelmäßig der «nächstenmit<br />

in den Schritte», Ahornsportpark erfolgt auf Gr<strong>und</strong>lage zu gehen. der Lerndispositionen.<br />

Dann kam erst einmal die Weihnachtszeit, auf die du dich schon sehr<br />

Durch die dokumentierte <strong>und</strong> analysierte Beobachtung erlangen die kindlichen<br />

gefreut Aktivitäten hast. Immer eine immer wieder differenziertere hast du Bedeutung. davon Quelle erzählt, der Planung dass sind du die Weihnachten<br />

zunehmende<br />

mit Mama Komplexität der Lerndispositionen bei Oma <strong>und</strong> <strong>und</strong> dieOpa Intensität <strong>und</strong> in Häufigkeit Wiesheim bestimmter feiern Themen. wirst.<br />

Alle Bärenkinder konnten erst einmal 2 Wochen Ferien<br />

Die Fachkräfte überlegen sich, inwieweit sie schon auf ihre Beobachtungen reagiert<br />

genießen. . .<br />

haben <strong>und</strong> welche zusätzlichen Anregungen sie dem Kind bieten könnten. Zur Planung der<br />

. . .Und «nächsten nach den Schritte» Weihnachtsferien gehört deshalb auch die war Reflexion es endlich des eigenen soweit! pädagogischen Dein Verhaltens. 4.<br />

Geburtstag. Den hast du schon in den Ferien mit deiner Fami-<br />

Lernfortschritte bei der Planung von nächsten Schritten anzustreben, bedeutet die<br />

lie gefeiert <strong>und</strong> dann haben wir ihn endlich in der Kita mit allen<br />

Lerndispositionen des Kindes zu stärken <strong>und</strong> das Kind in seinen Handlungen <strong>und</strong> in seinem<br />

Bärenkindern Verhalten zu ermutigen. nachgefeiert. Ganz aufgeregt bist du morgens<br />

in die Kita gekommen <strong>und</strong> hast so viel erzählt. Mittags haben wir im<br />

Kuschelraum deinen Geburtstagsstuhlkreis vorbereitet. Du hast im Flur<br />

gewartet, bis dich der Geburtstagszug hereinholt. Mit einem lauten Ri-Ra-<br />

Die Lerngeschichte<br />

Rutsch sind deine Fre<strong>und</strong>e Joyce <strong>und</strong> Leander zu dir gekommen, <strong>und</strong><br />

haben <strong>Lerngeschichten</strong> dich in den sind Kuschelraum Geschichten, diegeholt. über das Lernen Die beiden der Kinder durften berichten. auch bei dir am<br />

Geburtstagtisch sitzen.<br />

Diese sehr persönlichen Texte werden wie eine Art Briefe an das Kind verfasst.<br />

Ganz stolz hast du den Bärenkindern von deinen Geburtstagsgeschenken<br />

berichtet. Die <strong>Lerngeschichten</strong> Kinder haben beruhendir auf dokumentierten Geburtstagsorden, <strong>und</strong> analysierten die Beobachtungen Kappe <strong>und</strong> <strong>und</strong> eine aus<br />

bunte Erkenntnissen Geburtstagskarte aus kollegialem gebracht, Austausch damit <strong>und</strong> Dialog du mit wie demein Kind, richtiges wobei auchGeburtstags die Planung<br />

kind aussiehst. der «nächstenAls Schritte» nächstes mit einfliesst. hast du dir von der Gruppe das Lied «Weil du<br />

heut Geburtstag hast» gewünscht. Natürlich mit Instrumenten <strong>und</strong> du<br />

Die von den Bezugspersonen verfassten <strong>Lerngeschichten</strong> werden den Kindern vor-<br />

selbst gelesen hast <strong>und</strong> auch für diese eine gut Rassel zugänglich gespielt. aufbewahrt.<br />

Danach bist du endlich auf die Suche nach der Geburtstagsschatztruhe<br />

Durch die Lerngeschichte erfährt das Kind etwas über die Wahrnehmung <strong>und</strong> Wert-<br />

gegangen <strong>und</strong> sie auch ganz schnell gef<strong>und</strong>en. Die Bärengruppe hat dir<br />

schätzung seiner Lernprozesse.<br />

eine rosa Prinzessinen-spardose <strong>und</strong> einen pinken Spiegel geschenkt. Du<br />

hast dich sehr darüber gefreut! Ich glaube, das war genau das richtige<br />

Geschenk für dich.<br />

Anschließend hast du dir noch das Lied «Theo Theo» gewünscht <strong>und</strong> alle<br />

Kinder haben mit viel Spaß dazu getanzt.<br />

Dann ist leider schon wieder Zeit für das Mittagessen gewesen. Du hast für<br />

alle Kinder Eis zum Nachtisch mitgebracht <strong>und</strong> bist im Schlafraum voller<br />

Erschöpfung von dem aufregenden Tag sofort eingeschlafen.<br />

Liebe Leila, ich bin schon sehr gespannt, was wir in Zukunft noch alles<br />

gemeinsam erleben.


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider 160<br />

8 Reflexion des forschungsmethodischen Vorgehens<br />

In diesem Kapitel wird ein Blick zurück geworfen auf den Ablauf der Forschung, auf Gelungenes<br />

<strong>und</strong> auch auf Aspekte, die wir in einer weiteren Forschungsarbeit anders angehen würden.<br />

Die Reflexion wird entlang dem in Kapitel 4 vorgestellten Forschungsdesign <strong>und</strong> den Forschungsmethoden<br />

aufgebaut.<br />

Ausgangspunkt für die Forschung war ja unsere Begeisterung für das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>. Durch die beeindruckenden Hospitationen, die im Ablauf des Forschungsprozesses<br />

früh angesetzt waren, bekamen wir einen ganzheitlichen Blick für das Thema <strong>und</strong> eine<br />

emotionale Verb<strong>und</strong>enheit. Das Erarbeiten der Theorie wurde dadurch zielgerichtet <strong>und</strong> geschah<br />

mit viel Überzeugung. Ausserdem wurde die Zusammenarbeit zwischen uns beiden Studierenden<br />

durch schöne gemeinsame Erlebnisse in Deutschland bereichert <strong>und</strong> dadurch auch für anspruchsvolle<br />

Momente gestärkt. Neben den wissenschaftlichen Ansprüchen konnte aus diesen Gründen<br />

auch ein persönlicher Bezug einfliessen <strong>und</strong> die theoretische Konzeption wurde von Anfang an mit<br />

Inhalten <strong>und</strong> konkreten Vorstellungen gefüllt. Das gewählte Vorgehen erwies sich also als günstig,<br />

vor allem auch da wir uns die Möglichkeit offenhielten, während der Analyse der Interviews<br />

Rückfragen an die Institutionen zu stellen, was aber letztlich nicht notwendig war. Unsere Erkenntnisse<br />

<strong>und</strong> Erfahrungen während unseres Forschungsprozesses bestärken uns in unserem Ziel,<br />

die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> in den Kindergärten der Deutschschweiz bekannt zu machen.<br />

8.1 Einzelfallanalyse<br />

Wie bereits in Abschnitt 4.2 betont, ist uns bewusst, dass es sich bei unserer Forschung nicht um<br />

eine Einzelfallanalyse im klassischen Sinn handelt, da die einzelnen Institutionen nicht detailliert<br />

analysiert <strong>und</strong> untereinander verglichen wurden. Hilfreich für uns war aber die klare Struktur, der<br />

Vorgehensplan dieses Forschungsdesigns, der uns Übersicht <strong>und</strong> Orientierung bei der Bearbeitung<br />

dieses komplexen Themas bot.<br />

Die vier Kindertagesstätten mussten zuerst wie Einzelfälle erfasst werden, damit wir uns<br />

ins Thema vertiefen <strong>und</strong> erkennen konnten, wie die einzelnen Institutionen die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong> einschätzen <strong>und</strong> umsetzen. Dadurch wurde es möglich, im Forschungsfeld ein<br />

Gesamtbild mit verschiedenen Aspekten zu erhalten, welches aber die komplexen Inhalte des<br />

Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> die verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />

beinhaltet.<br />

Vor unseren Hospitationen hatten wir uns überlegt, was an Fotos gebraucht würde, um<br />

bei Besuchen zielgerichtet die wichtigen Bilder erfassen zu können, wie zum Beispiel die Räumlichkeiten<br />

<strong>und</strong> die Schatzmappen.


8 Reflexion des forschungsmethodischen Vorgehens<br />

8.2 Problemzentriertes Interview<br />

161<br />

Durch diese Interviewmethode gelang es uns, vielfältige <strong>und</strong> ausführliche Informationen zum<br />

Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> <strong>und</strong> deren Anwendbarkeit für die Förderung von<br />

Kindern mit besonderen Bedürfnissen einzuholen. Die Befragten berichteten in authentischer <strong>und</strong><br />

nachvollziehbarer Weise von ihren Praxiserfahrungen, von bereits Umgesetztem <strong>und</strong> von Stolpersteinen.<br />

Je nach Besuchsprogramm, welches die jeweilige Institution für uns vorbereitet hatte,<br />

wurden die Interviews unterschiedlich organisiert. So fand manchmal zuerst ein ungezwungenes<br />

Vorgespräch statt, welchem wir vor allem Informationen über die Institution entnehmen konnten.<br />

In einigen Kindertagesstätten interviewten wir zuerst die Institutionsleitenden, an anderen Orten<br />

eine Pädagogin oder sogar zwei zusammen, wobei wir in diesen Fällen die Aussagen der Pädagoginnen<br />

beim Transkribieren nicht trennten, da sie sich in ihren Aussagen gegenseitig ergänzten <strong>und</strong> so ein<br />

ganzheitliches Bild entstand.<br />

Vor den Hospitationen hatten wir jeweils einen Interviewleitfaden erstellt, welchen wir<br />

im Voraus per Mail zur Verfügung stellten. Einige Befragte bereiteten sich in der Folge gewissenhaft<br />

vor <strong>und</strong> notierten sich Stichworte. Anfänglich stellten wir Zwischenfragen, merkten aber, dass<br />

das Transkribieren angesichts der bereits vorhandenen Fülle von Informationen dadurch sehr<br />

anspruchsvoll wurde. Mehr <strong>und</strong> mehr unterbrachen wir die Befragten nur noch bei Verständnisproblemen<br />

oder für notwendige Ergänzungen. Die Interviews erhielten dadurch einen stark<br />

strukturierten, ermittelnden Charakter <strong>und</strong> wurden weniger in der Form eines Gesprächs geführt.<br />

Dies empfanden einige Interviewte als etwas unnatürlich, war für uns aber ein sinnvolles Vorgehen.<br />

Entsprechend unseren Erfahrungen passten wir den Leitfaden im Laufe unserer Hospitationen<br />

immer wieder an, was wir für die Beantwortung unserer Forschungsfragen als zulässig erachteten,<br />

da es uns darum ging, möglichst umfassende Erkenntnisse zu gewinnen <strong>und</strong> die Institutionen<br />

untereinander nicht verglichen wurden.<br />

Zur Absicherung der erhobenen Daten wurde das Interview zu zweit geführt, auf Tonband<br />

aufgenommen <strong>und</strong> zugleich stichwortartig festgehalten. So konnten wir eventuelle technische<br />

Pannen auffangen, was sich bei einem Interview als hilfreich erwies. Es ist wichtig, dass bei Schweizer<br />

Interviews die Hochsprache verwendet wird, da sonst eine wörtliche Transkription kaum möglich<br />

ist. Darauf sollten die zu Befragenden bereits beim vorgängigen Zustellen des Interviewleitfadens<br />

aufmerksam gemacht werden.


8 Reflexion des forschungsmethodischen Vorgehens<br />

8.3 Wörtliche Transkription<br />

162<br />

Die wörtliche Transkription diente in der der vorliegenden Arbeit dazu, die Interviews in eine<br />

schriftliche Form zu bringen. Diese Form der Datenaufbereitung erwies sich als sehr zeitaufwändig<br />

<strong>und</strong> es war wichtig, sich die notwendige Zeit dafür einzuplanen. Schön war für uns dabei, die<br />

Situationen <strong>und</strong> die Aussagen der Befragten inhaltlich noch einmal genau zu erfassen. Es war hilfreich,<br />

die Arbeit zu zweit zu erledigen zwecks laufender Klärung von Unklarheiten <strong>und</strong> Vermeidung<br />

von Hörfehlern. In der Folge konnte das transkribierte Material umfassend genutzt werden. Alle<br />

Aussagen wurden in Hochsprache transkribiert <strong>und</strong> die Regionaldialekte wurden leicht angepasst.<br />

Die in Abschnitt 4.3.2 dargelegten Transkriptionsregeln nach Kuckartz (2008) <strong>und</strong> das gewählte<br />

Vorgehen haben sich bewährt.<br />

8.4 Qualitative Inhaltsanalyse<br />

Die Forschungsmethode der qualitativen Analysen erwies sich als ergiebig, wobei wir ein vorwiegend<br />

deduktives Vorgehen wählten. Es war notwendig, sich sorgfältig einzuarbeiten <strong>und</strong> gut<br />

verwendbare Vorlagen mit Zeilennummern <strong>und</strong> Platz für Notizen einzurichten. Durch die klar<br />

formulierten Forschungsfragen <strong>und</strong> durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Verfahren<br />

waren die Definition der Kategorien <strong>und</strong> die Zuordnung einfach. Allerdings sind Kategorien nicht<br />

immer trennscharf <strong>und</strong> es musste jeweils gemeinsam entschieden werden, auf welche Aussage bei<br />

der Zuordnung im Satz Wert gelegt wurde. Die Bezeichnungen für einige Unterkategorien mussten<br />

bei der Generalisierung teilweise noch präziser formuliert werden. Da durch die offen gestellten<br />

Interviewfragen differenzierte, vielfältige Aspekte erfasst wurden, die einen guten Einblick in die<br />

individuelle Ausgestaltung des Verfahrens der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> in den verschiedenen<br />

Institutionen gaben, konnten sie bei der Generalisierung nicht auf kurze prägnante Aussagen<br />

reduziert werden.<br />

Durch die Anpassung des Leitfadens konnten die Daten nicht mehr quantitativ ausgewertet<br />

werden, es waren nur noch Hinweise auf die Häufigkeit von Aussagen möglich. Dafür gab es eine<br />

ganzheitliche Sicht mit vielen interessanten Aspekten in Bezug auf die Anwendbarkeit des Verfahrens<br />

für die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen <strong>und</strong> die Umsetzung bei uns, also eher<br />

komplexe Fragestellungen, die durch quantitative Analysen nicht differenziert genug hätten erfasst<br />

werden können. Für eine mengenmässige Auswertung wären geschlossenere Interviewfragen oder<br />

Fragebögen nötig gewesen.


8 Reflexion des forschungsmethodischen Vorgehens<br />

8.5 Triangulation<br />

163<br />

Die gewählte Form der Datentriangulation hat sich bewährt. Da verschiedene Perspektiven ein<br />

dichteres <strong>und</strong> vielschichtiges Bild ermöglichen, wurden die Interviews mit verschiedenen Personen<br />

aus verschiedenen Orten <strong>und</strong> mit verschiedenen Rollen wie Expertinnen, Pädagoginnen <strong>und</strong><br />

Institutionsleitenden geführt. Dies ergab verschiedene Sichtweisen auf das Verfahren der <strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>, da Leute aus der Praxis, aus der operativen Führung <strong>und</strong> aus der Fortbildung<br />

befragt wurden.<br />

Mit dem Ziel einer Methodentriangulation wäre es auch möglich gewesen, zusätzliche<br />

Fragebögen einzusetzen <strong>und</strong> verschiedene Kindertagesstätten zu vergleichen. Die Methode der<br />

teilnehmenden Beobachtung konnten wir nicht anwenden, da wir über längere Zeit in den Kindertagesstätten<br />

hätten bleiben müssen. Unter Berücksichtigung des Datenschutzes beschlossen wir,<br />

anlässlich unserer Hospitationen keine Videoaufnahmen zu machen.<br />

8.6 Gütekriterien<br />

In unserem qualitativen Forschungsvorhaben war die Verfahrensdokumentation wichtig <strong>und</strong><br />

wir begründeten durch unseren relativ umfassenden Theorieteil differenziert, warum wir welche<br />

Methoden anwendeten.<br />

Die argumentative Interpretationsabsicherung, also die Forderung, dass Deutungen sinnvoll<br />

theoriegeleitet erfolgen, wurde in dieser Masterarbeit durch ein deduktives Vorgehen realisiert.<br />

Durch die Bearbeitung <strong>und</strong> Diskussion der Theorie kristallisierten sich die für die vorliegende<br />

Arbeit sinnvollen Regeln heraus <strong>und</strong> wurden durch klare Abläufe umgesetzt. Die Nähe zum Gegenstand<br />

war durch die Besuche vor Ort gegeben, wodurch die Lebenswelt der Beforschten einsichtig<br />

wurde. Schön war, dass es auch für die Befragten interessant war, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen,<br />

neue Aspekte zu erkennen <strong>und</strong> eine erweiterte Sichtweise durch den Austausch über<br />

das Verfahren zu gewinnen.<br />

Wir vereinbarten anlässlich unserer Hospitationen, dass wir dir Interviews zum Gegenlesen<br />

zustellen würden. Dies wurde vor Ort sehr begrüsst. Nach unserer Erfahrung führte dies für die<br />

Betroffenen im Alltag aber zu Mehrbelastungen, wodurch sich die Rücksendung verzögerte. Eine<br />

weitere Erkenntnis war, dass wir den Befragten im Vorfeld hätten deklarieren sollen, dass wörtliche<br />

Transkriptionen vorgenommen würden, denn die Gegenleser waren über ihre sprachlichen Unzulänglichkeiten<br />

erstaunt. Ausserdem sollten die Interviewten im Voraus genau verstehen, wie <strong>und</strong> in<br />

welcher Form ihr Interview verwendet wird, dass die wörtliche Transkription höchstens <strong>und</strong> nur<br />

nach Absprache im Anhang erscheint <strong>und</strong> durch die Inhaltsanalyse zentrale Aussagen herausgefiltert<br />

werden. Dies hatten wir nach unserer Einschätzung zwar mitgeteilt, es wurde aber offenbar


8 Reflexion des forschungsmethodischen Vorgehens 8.6 Gütekriterien<br />

164<br />

nicht wirklich erfasst <strong>und</strong> beim Lesen entstanden Unsicherheiten oder sogar Ängste. Einige Personen<br />

wollten die Interviews später abändern. Die Abmachung war aber, dass nur missverständliche<br />

oder falsch verstandene Aussagen korrigiert werden sollten, um die ursprünglichen Aussagen nicht<br />

zu verwässern. Nachträglich wurde uns bewusst, dass die kommunikative Validierung anhand der<br />

generalisierten Interviews einfacher gewesen wäre <strong>und</strong> dass wir in einer weiteren Forschungsarbeit<br />

dieses Vorgehen wählen würden. Die Triangulation wurde bereits im vorangehenden Abschnitt<br />

reflektiert.


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

9 Schlusswort <strong>und</strong> Ausblick<br />

165<br />

In diesem Kapitel werden die Erkenntnisse aus dem Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsteil in einen<br />

grösseren Zusammenhang gebracht, die persönlichen Einsichten erläutert <strong>und</strong> mit einem Blick in<br />

die Zukunft abger<strong>und</strong>et.<br />

Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ist ein geeignetes Instrument, um Entwicklungen<br />

von Kindern wahrzunehmen <strong>und</strong> einzuschätzen. Dadurch, dass sich Lehrpersonen verstärkt an<br />

den individuellen Ressourcen der Kinder orientieren, verändert sich der Blick <strong>und</strong> es wird möglich,<br />

kindliche Entwicklungen wahrzunehmen <strong>und</strong> zu fördern. Durch den intensiven Austausch im<br />

Team rücken die <strong>Bildungs</strong>prozesse der Kinder in den Mittelpunkt <strong>und</strong> werden anhand von Lerndispositionen<br />

analysiert <strong>und</strong> reflektiert. Die konsequente Orientierung an den Stärken <strong>und</strong> Interessen<br />

der Kinder, an der individuellen Förderung von Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozessen führen zu einem<br />

Paradigmenwechsel (vgl. Abschlussbericht, 2007, S. 98), der es mit sich bringt, dass eine Institution<br />

ihre pädagogische Arbeit verändert. Die Aussagen aus einem Interview in Gmindersdorf unterstreichen<br />

die Auswirkungen auf die Kinder eindrücklich:<br />

Die Kinder werden gestärkt <strong>und</strong> selbstbewusst. Ihr Lernen ist wichtig <strong>und</strong> anerkannt.<br />

Sie haben gelernt, was sind meine Bedürfnisse, was ist wichtig für mich. Und was kann<br />

ich gut. Die Arbeit mit <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> ermöglicht den Kindern,<br />

dies in Sprache umzusetzen. Und für sich einzustehen. Das ist ein respektvoller Umgang<br />

mit Menschen. Das fördert die soziale Kompetenz, denn was mir selber wiederfährt,<br />

gebe ich weiter.<br />

Auch Largo (2009) erwähnt in seinem Buch «Schülerjahre», dass eine kindgerechte Schule Ziele<br />

wie die Stärkung des Selbstwertgefühls <strong>und</strong> das Erleben von Selbstwirksamkeit haben sollte.<br />

Kinder lernen ihre Schwächen <strong>und</strong> vor allem ihre Stärken kennen, können die eigenen Lernstrategien<br />

erfassen <strong>und</strong> ausbauen <strong>und</strong> entwickeln soziale Kompetenzen <strong>und</strong> Sinn für die Gemeinschaft<br />

(vgl. S.160). Das Verfahren der <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> fördert diese Bereiche auf ideale Art<br />

<strong>und</strong> Weise <strong>und</strong> ist nach einer bewussten Entscheidung, mit der entsprechenden Motivation <strong>und</strong><br />

einer sorgfältigen Einführung an Kindergärten einsetzbar. Dies zu erreichen, ist für uns beiden<br />

Studierenden ein erklärtes Ziel für die Zukunft. Dazu gehört die Einführung an unseren eigenen<br />

Arbeitsstellen <strong>und</strong> durch passende Kursangebote auch an anderen Kindergärten. Entsprechende<br />

Unterlagen werden wir in naher Zukunft entwickeln, da uns dieses Verfahren, insbesondere seine<br />

pädagogischen Hintergründe begeistern <strong>und</strong> wir der Überzeugung sind, dass Kinder mit besonderen<br />

Bedürfnisse, wie auch alle anderen Kinder durch <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> nachhaltig<br />

gefördert werden können <strong>und</strong> auch die Erwachsenen profitieren.


9 Schlusswort <strong>und</strong> Ausblick<br />

166<br />

Gespannt erwarten wir auch den Bericht zur Evaluation, der das Projekt der Implementierung<br />

systematischer <strong>Bildungs</strong>beobachtung <strong>und</strong> -dokumentation anhand des Verfahrens der «<strong>Bildungs</strong><strong>und</strong><br />

<strong>Lerngeschichten</strong>» in Schweizer Kindertageseinrichtungen beschreibt, verfasst durch das<br />

Marie Meierhofer-Institut für das Kind in Zürich. Das Projekt endet im Sommer 2011. Aus Zwischenberichten,<br />

nachzulesen im Newsletter des Marie Meierhofer-Instituts, ist die Begeisterung der<br />

Erzieherinnen für das Verfahren spürbar (siehe www.mmizuerich.ch).<br />

Das Instrument scheint also allmählich auch in der Schweiz vermehrt angewendet zu<br />

werden, dies vor allem auf der Stufe der Kindertagesstätten, was zu weiterführenden Forschungsvorhaben<br />

anregt. Eine interessante Frage wäre, inwiefern sich Ressourcenorientierung in den verfassten<br />

<strong>Lerngeschichten</strong> zeigt. Hierbei wären neben qualitativer Inhaltsanalyse auch quantitative<br />

Analysen in Bezug auf die Sprache möglich. Eine weitere Forschungsrichtung ergibt sich durch die<br />

Einführung an Kindergärten <strong>und</strong> eventuell auf der Basisstufe. Hier stellt sich die Frage, inwiefern<br />

<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> mit den Lehrplänen kompatibel sind. Im Lehrplan des Kantons<br />

Zürich sind Lerndispositionen immerhin bereits erwähnt. Aufgefallen ist uns auch die Tatsache,<br />

dass die «5 Stränge» des neuseeländischen Curriculums eine gewisse Übereinstimmung haben mit<br />

der ICF. Es würde sich lohnen, diesen Sachverhalt genauer zu analysieren. Für die Zukunft hoffen<br />

wir, dass dieses ressourcenorientierte Beobachtungs- <strong>und</strong> Dokumentationsverfahren möglichst<br />

viele Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen kann, denn:<br />

«<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> sind das ideale Beobachtungsinstrument in unserer<br />

defizitär orientierten Gesellschaft. Sie sollten jedem Kind <strong>und</strong> seinen Eltern zugestanden<br />

werden <strong>und</strong> gehören als dringend notwendiges Kompetenzen-Feedback vor allem in<br />

integrativ <strong>und</strong> heilpädagogisch arbeitende Kindertageseinrichtungen» (Flämig, et al.,<br />

2009, S. 66)!


<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lerngeschichten</strong> Masterarbeit Gabriela Brühlmeier-Frey <strong>und</strong> Marianne Homberger-Schneider<br />

10 Literaturliste<br />

167<br />

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Köln: Pahl <strong>–</strong> Rugenstein Verlag.<br />

171

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