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Lösungsskizze - Verwaltungsgericht Sigmaringen

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1<br />

Examensrepetitorium an der Universität Tübingen<br />

Aktuelle Fälle aus der Praxis des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />

Sommersemester 2008<br />

<strong>Lösungsskizze</strong> zu Fall 10: „Rote Karte mit Sperrwirkung“<br />

Lösungsvorschlag<br />

Aufgabe 1<br />

VorsRiVG Otto-Paul Bitzer<br />

A. Statthaftigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes im Ver-<br />

fahren nach § 80 Abs. 5 VwGO<br />

P begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die zwei folgenden Regelungen im<br />

Bescheid vom 24.08.2007<br />

1. das Verbot, sich auf dem Gelände des gesamten Stadtgebiets der Stadt<br />

Ü. südlich der Bundesstrasse sowie im Bereich der Bahnhöfe aufzuhalten<br />

2. die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,- Euro<br />

- Hinsichtlich der Regelung in Ziffer 1 hat die Stadt Ü. die sofortige Vollzie-<br />

hung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet. Vorläufiger Rechtsschutz<br />

kann folglich im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO - Antrag auf<br />

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs - er-<br />

langt werden. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §<br />

123 Abs. 1 VwGO ist damit nicht statthaft (§ 123 Abs. 5 VwGO).<br />

- Die sofortige Vollziehung der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 ergibt sich<br />

direkt aus dem Gesetz. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entfällt die aufschie-<br />

bende Wirkung unter anderem auch in für Landesrecht durch Landesge-


2<br />

setz vorgeschriebenen Fällen. Von dieser Ermächtigung hat der Landes-<br />

gesetzgeber Gebrauch gemacht. Nach § 12 Landesverwaltungsvollstre-<br />

ckungsgesetz - LVwVG - haben Widerspruch (und Anfechtungsklage) kei-<br />

ne aufschiebende Wirkung, so weit sie sich gegen Maßnahmen richten, die<br />

in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Die Androhung eines<br />

Zwangsgeldes ist eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung nach §§<br />

18 ff. LVwVG. Vorläufiger Rechtsschutz ist daher ebenfalls nach § 80 Abs.<br />

5 Satz 1 VwGO - Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des<br />

Widerspruchs - statthaft.<br />

I. Zulässigkeit des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des<br />

Widerspruchs gegen das Verbot, sich auf dem Gelände des gesamten Stadtgebiets<br />

der Stadt Ü. südlich der Bundesstrasse sowie im Bereich der Bahnhöfe aufzuhalten<br />

a) Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache nach § 80 Abs. 5,<br />

§ 45 VwGO (sachliche Zuständigkeit), § 52 Nr. 3 VwGO (örtli-<br />

che Zuständigkeit)<br />

Die Große Kreisstadt Ü. liegt im Bodenseekreis und damit im<br />

Regierungsbezirk Tübingen (§ 11 Abs. 1 Landesverwaltungs-<br />

gesetz - LVG). Da der Regierungsbezirk Tübingen gem. § 1<br />

Abs. 2 AGVwGO zum Gerichtsbezirk des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s<br />

<strong>Sigmaringen</strong> gehört, ist das <strong>Verwaltungsgericht</strong> <strong>Sigmaringen</strong><br />

örtlich zuständig.<br />

b) Antragsbefugnis - § 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender An-<br />

wendung<br />

Der Antrag des P als Adressat der ihn belastenden Regelung<br />

ist zulässig.<br />

c) Widerspruch als potenzieller Träger der aufschiebenden<br />

Wirkung ist eingelegt (zur Notwendigkeit der vorherigen Einle-


II. Begründetheit des Antrags<br />

3<br />

gung des Rechtsbehelfs vgl. Bosch/Schmidt, Praktische Ein-<br />

führung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, 8. Aufl. § 50<br />

III; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rdnr. 139).<br />

1. Richtige Antragsgegnerin ist die Stadt Ü.<br />

- § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entspr.<br />

2. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung<br />

a. Besondere Anordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist erfolgt<br />

b. Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO<br />

Die Stadt hat dem formellen Begründungserfordernis im Sinne von<br />

§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprochen.<br />

Zweck des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1<br />

VwGO ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des beson-<br />

deren Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts<br />

anzuhalten. Außerdem sollen dem Betroffenen die für die Sofortvoll-<br />

zugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht wer-<br />

den, so dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Fer-<br />

ner soll die Begründung der Sofortvollzugsanordnung die Grundlage<br />

für eine gerichtliche Kontrolle der Anordnung bilden (vgl. OVG Nord-<br />

rhein-Westfalen, Beschl. v. 22. Januar 2001, NJW 2001, 3427 =<br />

NZV 2001, 396). Demgemäß genügen pauschale und nichtssagen-<br />

de formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis des § 80<br />

Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, aaO.).<br />

Allerdings kann sich die Behörde auf die den Verwaltungsakt selbst<br />

tragenden Erwägungen stützen, wenn die den Erlass des Verwal-<br />

tungsakts rechtfertigenden Gründe zugleich die Dringlichkeit der<br />

Vollziehung belegen. Dies wird bei dringenden Maßnahmen zur Ge-<br />

fahrenabwehr angesichts der bedrohten Rechtsgüter der Fall sein<br />

können. Die speziell in Bezug auf die Anordnung der sofortigen<br />

Vollziehung des Bescheids gegebene Begründung kann hier in der


4<br />

Regel knapp gehalten werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Be-<br />

schluss vom 24.06.2002 - 10 S 985/02). Die Stadt Ü. hat die Anord-<br />

nung der sofortigen Vollziehung ihrer Entscheidung damit begrün-<br />

det, dass der Ausgang eines Rechtsbehelfsverfahrens nicht abge-<br />

wartet werden könne, weil die neuerliche Belästigung und Bedro-<br />

hung anderer Personen zu befürchten sei. Sie hat damit deutlich<br />

gemacht, dass sie sich des Ausnahmecharakters der Anordnung<br />

der sofortigen Vollziehung bewusst war. Zur Begründung der Aus-<br />

dehnung hat sie auf die Dringlichkeit wegen des bevorstehenden<br />

Promenadefestes verwiesen. Damit dürfte dem Begründungserfor-<br />

dernis genüge getan sein (bei einem Verstoß hätte der Antrag Erfolg<br />

- die Anordnung der sofortigen Vollziehung müsste aufgehoben<br />

werden, vgl. hierzu Bosch/Schmidt, Praktische Einführung in das<br />

verwaltungsgerichtliche Verfahren, 8. Aufl., § 49 II 2 b).<br />

c. Einer Anhörung des Betroffenen vor der Anordnung der sofortigen<br />

Vollziehung nach § 28 LVwVfG bedarf es nicht (vgl. VGH Baden -<br />

Württemberg, Beschluss vom 11.06.1990 - 10 S 797/90, NVwZ-RR<br />

1990, 561¸ Beschluss vom 07.01.1994 - 10 S 1942/93, VBlBW<br />

1994, 447). Es handelt sich um eine prozessuale Maßnahme, nicht<br />

um einen Verwaltungsakt.<br />

3. Eigene Ermessensentscheidung des Gerichts über den Fortbestand der<br />

Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgrund einer Interessenabwägung<br />

Maßstab für die Interessenabwägung ist zunächst die Rechtmäßig-<br />

keit der streitigen Verfügung, bei offener Rechtslage ist abzuwägen,<br />

ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das ge-<br />

genläufige private Interesse überwiegt:<br />

a) Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot ist die polizeiliche<br />

Generalklausel (§§ 1, 3 PolG).


5<br />

aa) Formelle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts- bzw. Betretungsver-<br />

bots<br />

§ Die Stadt Ü. war als Ortspolizeibehörde sachlich (§§ 66 Abs.<br />

2, 62 Abs. 4 PolG) und örtlich (§ 68 Abs. 1 PolG) zuständig.<br />

§ Die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG grundsätzlich gebotene Anhö-<br />

rung dürfte nach dessen Abs. 2 Nr. 1 entbehrlich gewesen<br />

sein.<br />

Bei der Beurteilung ist von einer ex-ante-Sicht auszugehen,<br />

d. h. maßgeblich ist, wie sich die Situation im Zeitpunkt der<br />

Entscheidung darstellte (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., §<br />

28 Rdnr. 53). Nachdem der Stadt von der Polizei mit Bericht<br />

vom 23.08.2007 mitgeteilt worden war, dass P. an den Vor-<br />

kommnissen in der Innenstadt am 20.08.2007 beteiligt gewe-<br />

sen sei und das Promenadenfest unmittelbar bevorstand,<br />

durfte Ü. von der Dringlichkeit der Entscheidung und damit<br />

von einem Absehen von einer Anhörung ausgehen.<br />

bb) Materielle Rechtmäßigkeit<br />

Nach §§ 1,3 PolG hat die Polizei hat innerhalb der durch das Recht<br />

gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben gem. § 1<br />

PolG diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen erforderlich erscheinen (§ 3 PolG), wobei der verfas-<br />

sungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist<br />

(vgl. auch § 5 PolG). Demgemäß hat die Polizei bei Einzeleingriffs-<br />

akten zu prüfen, ob die Maßnahme geeignet, erforderlich und ver-<br />

hältnismäßig im Sinne einer Mittel-Zweck-Relation zur Bekämpfung<br />

der polizeilichen Gefahr ist.<br />

(1) Hier dürfte es an der Erforderlichkeit der Maßnahme fehlen.


6<br />

- P. müsste Störer im Sinne von § 6 Abs. 1 PolG sein. Von ihm<br />

müsste also die von der Stadt unterstellte Bedrohung für die öffentli-<br />

che Sicherheit ausgehen.<br />

Eine solche Feststellung lässt sich schwerlich treffen. Bei der Frage,<br />

ob von P. eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, ist zu<br />

berücksichtigen, dass bloße Belästigungen, Unbequemlichkeiten<br />

und Geschmacklosigkeiten sowie das bloße Niederlassen von Per-<br />

sonen auf öffentlichen Straßen und Gehwegen und in Grün- und Er-<br />

holungsanlagen ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des<br />

Alkoholgenusses schon nicht von dem polizeirechtlichen Gefahren-<br />

bzw. Schadensbegriff erfasst sind (vgl. VGH Baden-Württemberg,<br />

Beschluss vom 4. Oktober 2002 - 1 S 1963/02 -, ESVGH 53, 65<br />

m.w.N.).<br />

Die Stadt Ü. stützte die Erweiterung des Aufenthalts- bzw. Betre-<br />

tungsverbotes darauf, dass P. das Betretungsverbot aus dem Be-<br />

scheid vom 09.07.2007 am 20.08.2007 verletzt und an den gewalttä-<br />

tigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der rechten Sze-<br />

ne und Polizeibeamten, die sich in dem Bereich ereigneten, auf den<br />

sich das Betretungsverbot vom 09.07.2007 bezogen hat, teilgenom-<br />

men habe.<br />

Gegen die Richtigkeit dieser Annahme bestehen Bedenken. Die un-<br />

terstellte Beteiligung des P. steht nicht fest. Aus den Berichten des<br />

Polizeireviers Ü. ergibt sich eine Beteiligung nicht. In der Mitteilung<br />

der Polizei vom 27.09.2007 wird es nur noch für „durchaus möglich“<br />

gehalten, dass P. an den Vorfällen in der Innenstadt beteiligt gewe-<br />

sen ist. Damit wird der Bericht der Polizei vom 23.08. 2007 entkräf-<br />

tet. Dies zeigt, dass die Polizei selbst keine Kenntnis von der Beteili-<br />

gung des P. an den Vorfällen am 20.08.2007 hatte. Der Frage, ob<br />

sich die Beteiligung des P. etwa durch die Vernehmung von Polizei-<br />

beamten, die am 20.08.2007 in Ü. im Einsatz waren, nachweisen


7<br />

ließe, braucht angesichts dieser von der Polizei dargelegten nur va-<br />

gen Kenntnis nicht weiter nachgegangen werden.<br />

(2) Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren<br />

Sinn<br />

Gegen das Aufenthalts-bzw. Betretungsverbot vom 24.08.2007 be-<br />

stünden auch dann rechtliche Bedenken, wenn die Annahme zutref-<br />

fend wäre, dass P. an den Ereignissen vom 20.08.2007 in der In-<br />

nenstadt von Ü. beteiligt war. Denn die Stadt hat unbeachtet gelas-<br />

sen, dass P. innerhalb des Geltungsbereichs des erweiterten Auf-<br />

enthalts- bzw. Betretungsverbots wohnt.<br />

- Verstoß gegen die Freizügigkeit nach Art. 11 GG und die allgemei-<br />

ne Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG<br />

Die Stadt schränkte mit dem Aufenthalts- bzw. Betretungsverbot das<br />

Grundrecht des P. auf Freizügigkeit nach Art. 11 GG ein. Dies ist<br />

nach Art. 11 Abs. 2 GG u.a. nur zulässig, um strafbaren Handlungen<br />

vorzubeugen. Davon, dass es notwendig war, P. zur Abwendung<br />

von Straftaten von seiner Wohnung fernzuhalten, geht auch die<br />

Stadt nicht aus. Dafür bestehen, selbst wenn P. an den Ereignissen<br />

vom 20.08.2007 in der Innenstadt Ü.s beteiligt gewesen wäre, keine<br />

Anhaltspunkte.<br />

Daneben greift die Stadt ganz erheblich in das Recht des P. auf all-<br />

gemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Das Verbot<br />

gilt für einen Zeitraum von ca. vier Monaten und erstreckt sich in<br />

räumlicher Hinsicht auf nahezu das gesamte Stadtgebiet. Im Ver-<br />

botsbereich befindet sich auch die Wohnung des P. Das Verbot gilt<br />

unabhängig davon, zu welchem Zweck P. den betroffenen Bereich<br />

aufsucht oder aufsuchen will. Das grundsätzlich berechtigte Interes-<br />

se der Stadt am Schutz der Allgemeinheit vor ruhestörendem Lärm


8<br />

(vgl. § 117 OWiG), Straftaten und gewalttätigen Ausschreitungen<br />

rechtfertigt es nicht, den P. dem weiträumigen Verbotsbereich über<br />

mehrere Monate hinweg vollständig fernzuhalten, was ihm praktisch<br />

das Beibehalten seines bisherigen Wohnortes während der Gel-<br />

tungsdauer des Verbots unmöglich machen würde.<br />

Daraus folgt die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs durch die Ver-<br />

fügung vom 24.08.2007.<br />

Das Betretungsverbot kann nicht, wie die Stadt meint, so ausgelegt<br />

werden, als umfasste es die Wohnung und den Weg zur Wohnung<br />

des P. nicht. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG wird der Verwal-<br />

tungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.<br />

Es liegt keine offenbare Unrichtigkeit i. S. von § 42 L VwVfG vor. Un-<br />

richtig i.S. dieser Vorschrift ist die Formulierung eines Verwaltungs-<br />

akts dann, wenn etwas anderes ausgesagt wird, als die Behörde<br />

gewollt hat. Eine Unrichtigkeit liegt dagegen nicht vor, wenn der Be-<br />

hörde bei ihrer Willensbildung ein Fehler unterlaufen ist. Die Stadt<br />

hat in ihrer Verfügung vom 20.08.2007 das zum Ausdruck gebracht,<br />

was sie zum Ausdruck bringen wollte. Dass sie ihren Willen mögli-<br />

cherweise fehlerhaft gebildet hat, weil ihr ein Versehen bei der Tat-<br />

sachenfeststellung oder der Rechtsanwendung unterlaufen ist, ist<br />

unerheblich.<br />

Soweit die Stadt geltend macht, es hätte jederzeit die Möglichkeit<br />

bestanden, notwenige Ausnahmen zu genehmigen, führt dies nicht<br />

zu einer anderen Einschätzung. In dem angefochtenen Bescheid<br />

sind weder selbst Ausnahmen geregelt, noch findet sich ein Hinweis<br />

auf die Möglichkeit, solche zuzulassen. Auch erscheint die Beantra-<br />

gung einer Ausnahmegenehmigung für jeden Einzelfall nicht prakti-<br />

kabel und dem P. nicht zumutbar, da schon wegen der Lage seiner<br />

Wohnung sich tagtäglich die Notwendigkeit einer Ausnahme erge-<br />

ben hätte.


9<br />

(3) Ermessen (beim „Ob“ des Einschreitens) nach §§ 1, 3 PolG<br />

Ermessensentscheidungen können vom <strong>Verwaltungsgericht</strong> nur ein-<br />

geschränkt überprüft werden (vgl. § 114 VwGO). Ein Ermessensfeh-<br />

ler liegt vor, wenn die Behörde ein ihr zustehendes Ermessen nicht<br />

ausübt (Ermessensnichtgebrauch) oder die im Ermessenswege ver-<br />

hängte Rechtsfolge von der gesetzlichen Ermächtigung nicht ge-<br />

deckt ist (Ermessensüberschreitung). Ein Ermessenfehler liegt auch<br />

dann vor, wenn sich die Behörde von sachfremden Erwägungen lei-<br />

ten lässt, sie den Zweck des Gesetzes verkennt, sie nicht von einem<br />

vollständigen und richtigen Sachverhalt ausgeht oder sie einem Ge-<br />

sichtspunkt ein Gewicht beimisst, das ihm objektiv nicht zukommen<br />

kann.<br />

Da die Stadt von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausging,<br />

nachdem der festgestellte Sachverhalt keine ausreichende Grundla-<br />

ge dafür hergibt, dass P. bei den Vorfällen am 20.08.2007 in der In-<br />

nenstadt beteiligt war, und die behördliche Maßnahme von der ge-<br />

setzlichen Ermächtigung auch nicht gedeckt ist, liegt ein vom Gericht<br />

zu beachtender Ermessensfehler vor.<br />

b) Exkurs - besonderes öffentliches Interesse: Für die Anordnung<br />

der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes ist im Übrigen<br />

wegen Art. 19 Abs 4 GG ein auch vom <strong>Verwaltungsgericht</strong> zu beach-<br />

tendes besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes<br />

Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der<br />

Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf<br />

umso weniger zurückstehen, je schwer wiegender die ihm auferlegte<br />

Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderli-<br />

ches bewirkt (vgl. BVerfG, u.a. Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR<br />

304/07 - NVwZ 2007, 946-948).<br />

III. Zulässigkeit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Wi-<br />

derspruchs gegen die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,- Euro


10<br />

Hierzu kann auf die Ausführungen zu I. verwiesen werden.<br />

IV. Begründetheit des Antrags<br />

1. Richtige Antragsgegnerin ist ebenfalls die Stadt Ü.<br />

2. Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende eige-<br />

ne Ermessensentscheidung des Gerichts ergibt, dass das Interesse des P.,<br />

vorläufig von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung verschont zu blei-<br />

ben, dem gesetzlich vorgegebenen öffentlichen Vollzugsinteresse vorgeht.<br />

Denn es besteht kein öffentliches Interesse an der Vollstreckung von<br />

rechtswidrigen Verwaltungsakten.<br />

V. Objektive Antragshäufung<br />

Die beiden Begehren des P.<br />

1. Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und<br />

2. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen<br />

die Regelungen im Bescheid vom 24.08 2007 können in entsprechender Anwendung<br />

von § 44 VwGO in einem Antragsverfahren zusammen verfolgt werden.<br />

Ergebnis: Die Anträge sind begründet.<br />

Aufgabe 2<br />

I. Gegenstand der Klage<br />

Gegenstand der Klage ist nur das Aufenthalts- bzw. Betretungsverbot, nicht die<br />

Zwangsgeldandrohung. Dies ergibt sich durch die Auslegung des Klagebegehrens<br />

(§ 88 VwGO). Denn P. begründet die Klage mit der beabsichtigten Geltendmachung<br />

von Schadensersatzansprüchen, bestehender Wiederholungsgefahr und dem Inte-


esse auf Rehabilitation nach Grundrechtseingriffen. Diese Umstände richten sich<br />

11<br />

allein gegen das Aufenthalts- bzw. Betretungsverbot.<br />

II. Zulässigkeit der Klage<br />

1. Klageart<br />

Da P. Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt erhebt, nachdem sich<br />

dessen Regelungsgegenstand durch Zeitablauf erledigt hatte, könnte die<br />

Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend (weil die Erledigung schon vor<br />

Klagerhebung eingetreten ist) § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig sein.<br />

2. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen<br />

Für die Fortsetzungsfeststellungsklage als Unterfall der Anfechtungsklage gel-<br />

ten grundsätzlich die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen.<br />

a) In Fällen der Erledigung des Verwaltungsakts vor Klagerhebung bedarf es<br />

keines Vorverfahrens, da dieses seine Aufgabe (u.a. Selbstkontrolle der Ver-<br />

waltung) nicht mehr erfüllen kann (vgl. Bosch/Schmidt, a. a. O., § 45 III 2.). Die<br />

Einhaltung einer Klagefrist ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.<br />

07.1999 - 6 C 7/98, NVwZ 2000,63).<br />

3. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen<br />

P muss ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit<br />

des Aufenthalts- bzw. Betretungsverbotes vom 24.08.2007 haben.<br />

- Konkret beabsichtigte Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen:<br />

Hierauf kann sich P. nicht berufen. Ein solches Interesse an der Erhebung<br />

einer Fortsetzungsfeststellungsklage liegt nicht vor, wenn die Erledigung<br />

bereits vor der Erhebung der Klage beim <strong>Verwaltungsgericht</strong> eingetreten<br />

ist. Auf ein solches Interesse könnte sich P. nur dann berufen, wenn die<br />

Erledigung nach Erhebung einer Anfechtungsklage gegen das Betretungs-<br />

verbot eingetreten wäre (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rdnr. 136).


12<br />

- P kann sich aber auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen. Dieses liegt bei<br />

Grundrechtsverletzungen aufgrund polizeilicher Maßnahmen regelmäßig<br />

dann vor, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt<br />

nach dem typischen Verfahrensvorlauf auf eine Zeitspanne beschränkt ist,<br />

in welcher der Betroffene gerichtlichen Rechtsschutz in der Hauptsache<br />

nicht erlangen kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rdnr. 145 f.<br />

m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Gegenstand der erle-<br />

digten Verfügung vom 24.08.2007 war ein Betretungsverbot für das Stadt-<br />

gebiet Ü.s südlich der Bundesstraße bis zum Geltungsbereich des be-<br />

standskräftig gewordenen Betretungsverbots aus dem Bescheid vom<br />

09.07.2007, welcher sich auf das Gelände der Altstadt und der Seeprome-<br />

nade in Ü. bezog. Die Verfügung vom 24.08.2007 nimmt den räumlichen<br />

Bereich des Betretungsverbotes vom 09.07.2007 nicht in sich auf, sondern<br />

regelt ausschließlich ein Betretungsverbot für einen weiteren Teil des<br />

Stadtgebiets.<br />

In rund vier Monaten ist in der Regel kein gerichtlicher Rechtsschutz in der<br />

Hauptsache zu erlangen. Hier war bei Klagerhebung noch nicht einmal der<br />

Widerspruchsbescheid erlassen.<br />

III. Begründetheit der Klage<br />

Die Erweiterung des Aufenthalts- bzw. Betretungsverbots durch die Verfü-<br />

gung vom 24.08.2007 war rechtswidrig - s.o. Aufgabe 1.<br />

Ergebnis: Auch die Klage ist begründet.

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