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Wer zahlt die Bestattung des ungeliebten Vaters?

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Examensrepetitorium an der Universität Tübingen<br />

Aktuelle Fälle aus der Praxis <strong>des</strong> Verwaltungsgerichts Sigmaringen<br />

Sommersemester 2008<br />

Fall 4: „<strong>Wer</strong> <strong>zahlt</strong> <strong>die</strong> <strong>Bestattung</strong> <strong>des</strong> <strong>ungeliebten</strong> <strong>Vaters</strong>?"<br />

Richterin am VG Nina Philippi<br />

Victor Voss (V) verstarb im Alter von 70 Jahren am 10.07.2007 in der Gemeinde G<br />

(Regierungsbezirk Tübingen), wo er zuletzt allein gewohnt hatte. Nachdem sich niemand<br />

um <strong>die</strong> <strong>Bestattung</strong> gekümmert hatte und <strong>die</strong> Gemeinde G zunächst auch keine<br />

Angehörigen ausfindig machen konnte, veranlasste sie <strong>die</strong> <strong>Bestattung</strong> auf dem örtlichen<br />

Friedhof, <strong>die</strong> am 13.07.2007 stattfand. Dabei wurde eine kurze Trauerfeier<br />

gehalten, anschließend wurde <strong>die</strong> Leiche im Wege der Erdbestattung beigesetzt. Dafür<br />

fielen Kosten in Höhe von insgesamt 1.770,- EUR an (u.a. 200,- EUR für <strong>die</strong> Feierhallenbenutzung<br />

aufgrund der Trauerfeier, 100,- EUR für den Pfarrer und 50,- EUR<br />

für das Orgelspiel <strong>des</strong> Organisten). In der Gemeinde G sind Erd- und Feuerbestattungen<br />

gleichermaßen üblich, Erdbestattungen sind jedoch 70,- EUR teurer.<br />

Da <strong>die</strong> Gemeinde den Betrag erstattet erhalten wollte, stellte sie in der Folgezeit<br />

Nachforschungen zu den Angehörigen <strong>des</strong> V an, <strong>die</strong> nach etwa drei Monaten folgen<strong>des</strong><br />

Ergebnis erbrachten: V hatte zwei Söhne, den nichtehelichen Sohn Christian (C),<br />

geboren 1966, der aus einer Beziehung <strong>des</strong> V mit der Antonia (A) hervorging, sowie<br />

den ehelichen Sohn David (D), geboren 1970, mit der Bertha (B).<br />

Beide Söhne hörte <strong>die</strong> Gemeinde G zum Erlass eines Kostenerstattungsbeschei<strong>des</strong><br />

an. Dabei stellte sich folgen<strong>des</strong> heraus: Noch vor der Geburt von C hatte sich V von<br />

A getrennt und 1968 dann B geheiratet. Im Jahr 1967 hatte A (als gesetzliche Vertreterin<br />

<strong>des</strong> C) ein - rechtskräftiges - <strong>Vaters</strong>chaftsfeststellungsurteil gegen V erwirkt.<br />

1971 war A tödlich verunglückt. Bis dahin gab es keinen Kontakt zwischen C und V.<br />

Obwohl V nach wie vor Zweifel an seiner <strong>Vaters</strong>chaft zu C hatte, nahm er den Jungen<br />

nach dem Tod von A in seinen Haushalt auf. C war in den folgenden Jahren unzähligen<br />

Misshandlungen ausgesetzt. Vor allem, wenn V angetrunken war, schlug er<br />

C (oft auch mit einem Lederriemen) und trat ihn. Einmal trat er ihn derart heftig in den<br />

Rücken, dass C noch heute an einem Hüftschaden leidet. Auch drückte ihm V mehrfach<br />

zur Strafe <strong>die</strong> Hände an den heißen Ölofen. Einmal wurde C so heftig verprügelt,<br />

dass er dabei sogar bewusstlos wurde. Seine Stiefmutter B hatte zwar Mitleid<br />

mit dem Kind und versuchte immer, V von seinen Taten abzuhalten. Sie wurde dann<br />

aber selbst Opfer schwerer Misshandlungen und konnte <strong>die</strong> Taten letztlich nicht verhindern.<br />

Polizei und Jugendamt waren mehrfach vor Ort, einmal hatte V seiner Ehefrau<br />

das Nasenbein zertrümmert. Als V wegen der Misshandlungen von C und B im<br />

Jahr 1978 eine mehrmonatige Gefängnisstrafe verbüßte, trennte sich B von V und<br />

nahm D mit. Die Ehe wurde 1980 geschieden. Im Gegensatz zu C war D keinen<br />

Misshandlungen durch seinen Vater ausgesetzt gewesen, hatte jedoch häufig mit<br />

ansehen müssen, wie seine Mutter und C misshandelt wurden. C kam in der Folge in<br />

ein Kinderheim, wo er bis zu seiner Volljährigkeit blieb. Er hatte nie wieder Kontakt zu<br />

V. Bis zu seinem 16. Lebensjahr stotterte er, was sein Arzt auf <strong>die</strong> erlittenen Misshandlungen<br />

zurückführte. C lebt heute in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen<br />

in München, verfügt über ein Einkommen von ca. 2.500,- EUR netto und ist Eigentümer<br />

eines Einfamilienhauses. D lebt in Südfrankreich, ist vermögenslos und bezieht


zur Bestreitung seines Lebensunterhalts Sozialleistungen. Als C vom Tod <strong>des</strong> V erfuhr,<br />

schlug er <strong>die</strong> Erbschaft sofort aus. Allerdings hat V - wie D als Erbe später feststellen<br />

musste - auch kein erwähnenswertes Vermögen hinterlassen; seine Schulden<br />

konnten aus dem Erbe gerade so beglichen werden.<br />

Die Gemeinde G zog mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 den C zur Kostenerstattung<br />

in Höhe der angefallenen <strong>Bestattung</strong>skosten von 1.770,- EUR heran. Rechtsgrundlage<br />

sei das baden-württembergische <strong>Bestattung</strong>sgesetz (BestattG). Begründet<br />

wurde <strong>die</strong> Heranziehung <strong>des</strong> C mit seiner Verwandtschaft zu V. In dem Bescheid ist<br />

weiter ausgeführt, dass eine Heranziehung von D nicht erfolge, da <strong>die</strong>ser vermögenslos<br />

sei und im Ausland lebe.<br />

Diesen Bescheid - mit einfachem Brief übersandt - findet C am Samstag, den 22.<br />

Dezember 2007, in seinem Briefkasten. Da der Rechtsbehelfsbelehrung zu entnehmen<br />

ist, dass „innerhalb eines Monats nach Zugang“ Widerspruch erhoben werden<br />

müsse, sendet C am 21. Januar 2008 eine E-Mail (ohne qualifizierte elektronische<br />

Signatur) an <strong>die</strong> Gemeinde G, der er eine Word-Datei mit einem Widerspruchsschreiben<br />

beifügt. Eine Unterschrift enthält weder <strong>die</strong> Word-Datei noch <strong>die</strong> E-Mail.<br />

C’s Vor- und Nachname befindet sich in Computerschrift am Ende <strong>des</strong> Widerspruchsschreibens.<br />

Anschließend ist C urlaubsbedingt zwei Wochen abwesend. Als<br />

er zurückkehrt und noch keine Reaktion der Gemeinde G vorfindet, schickt er sein<br />

Widerspruchsschreiben sicherheitshalber noch mal per Post - <strong>die</strong>smal mit eigenhändiger<br />

Unterschrift - an <strong>die</strong> Gemeinde G, wo das Schreiben am 7. Februar 2008 eingeht.<br />

Mit Widerspruchsbescheid <strong>des</strong> Landratsamts L vom 11. April 2008 wird der Widerspruch<br />

zurückgewiesen. Dieser sei unzulässig. Im Übrigen - hilfsweise - sei er auch<br />

unbegründet, was sich aus den zutreffenden Ausführungen der Gemeinde G ergebe,<br />

auf <strong>die</strong> man Bezug nehme.<br />

C erhebt am 30. April 2008 Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen. Er findet es<br />

ungerecht, zu den <strong>Bestattung</strong>skosten für V herangezogen zu werden. Aus Gesprächen<br />

mit D wisse er, dass V bis kurz vor seinem Lebensende immer wieder Zweifel<br />

geäußert habe, dass er C’s Vater sei. Im Gegensatz zu D sehe er - C - dem V nicht<br />

ähnlich. V habe das <strong>Vaters</strong>chaftsfeststellungsurteil immer wieder als „Skandalurteil“<br />

bezeichnet. Vielleicht sei er tatsächlich gar nicht V’s Sohn. Außerdem habe er <strong>die</strong><br />

Erbschaft ausgeschlagen. Zivilrechtlich sei er auch aus anderen Vorschriften nicht<br />

verpflichtet, <strong>die</strong> <strong>Bestattung</strong>skosten zu tragen. Dass <strong>die</strong> Gemeinde G ihn nun gleichwohl<br />

zu den <strong>Bestattung</strong>skosten heranziehe, stelle einen <strong>Wer</strong>tungswiderspruch zu<br />

den zivilrechtlichen Vorschriften dar. Warum man gegenüber D nicht wenigstens <strong>die</strong><br />

Hälfte der <strong>Bestattung</strong>skosten geltend mache, könne er nicht nachvollziehen. Immerhin<br />

habe D Kontakt zu seinem Vater gehabt und sei auch nie misshandelt worden. Er<br />

selbst leide noch heute physisch wie psychisch unter den Folgen der Misshandlungen<br />

in seiner Kindheit. Außerdem sei D ein eheliches, er selbst aber - wenn überhaupt<br />

- ein nichteheliches Kind <strong>des</strong> V. Erst im Jahre 1970 sei <strong>die</strong> bis dahin seit Jahrzehnten<br />

geltende gesetzliche Regelung aufgehoben worden, wonach nichteheliche<br />

Kinder mit ihrem Vater nicht verwandt seien. Diese Gesetzesänderung sei ausschließlich<br />

zu dem Zweck erfolgt, <strong>die</strong> Rechte der nichtehelichen Kinder zu stärken,<br />

nicht aber - wie hier - zu verschlechtern. Maßgebend sei daher <strong>die</strong> Rechtslage zum<br />

Zeitpunkt seiner Geburt. Im Übrigen sei es erstaunlich, welch aufwändige <strong>Bestattung</strong><br />

<strong>die</strong> Gemeinde G für V gewählt habe. Eine Feuerbestattung hätte 70,- EUR weniger


gekostet. Die Trauerfeier mit Pfarrer und Orgelspiel sei auch nicht nötig gewesen,<br />

hätte jedoch zusätzliche Kosten in Höhe von 350,- EUR verursacht. Außerdem stelle<br />

sich <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> Gemeinde G in Baden-Württemberg überhaupt <strong>die</strong> Kompetenz<br />

habe, ihm gegenüber einen Kostenerstattungsbescheid zu erlassen, da er in Bayern<br />

wohne. Jedenfalls sei seine Heranziehung für ihn völlig unzumutbar, er habe unter V<br />

genug gelitten. Dass er nun für <strong>des</strong>sen <strong>Bestattung</strong>skosten aufkommen solle, belaste<br />

ihn und lasse <strong>die</strong> Erinnerung an <strong>die</strong> in der Kindheit erlittenen Misshandlungen wieder<br />

hochkommen. Ein befreundeter Rechtsanwalt habe ihn außerdem darauf hingewiesen,<br />

dass seine Heranziehung zu den Kosten möglicherweise schon <strong>des</strong>halb rechtswidrig<br />

sei, weil er Nichtstörer im Sinne <strong>des</strong> Polizeigesetzes <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Baden-<br />

Württemberg (PolG) sei.<br />

G schreibt in der Klageerwiderung, abgesehen davon, dass <strong>die</strong> Klage unzulässig sei,<br />

vertrete man hilfsweise <strong>die</strong> Auffassung, dass auf <strong>die</strong> Beziehung zwischen C und V<br />

keine Rücksicht genommen werden könne. Das <strong>Bestattung</strong>sgesetz ordne <strong>die</strong> Kostentragung<br />

ohne Rücksicht auf <strong>die</strong> Beziehung zwischen dem Verstorbenen und seinen<br />

Angehörigen an. Sollte <strong>die</strong>s für den Angehörigen einen Härtefall darstellen, könne<br />

er beim zuständigen Sozialamt einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Ob C<br />

Nichtstörer im Sinne <strong>des</strong> Polizeigesetzes sei, spiele keine Rolle, da hier auf das <strong>Bestattung</strong>sgesetz<br />

abgestellt werden müsse.<br />

Wie wird das Verwaltungsgericht Sigmaringen entscheiden? Gehen Sie bitte auf alle<br />

angesprochenen Rechtsfragen - ggf. in einem Hilfsgutachten - ein.<br />

Hinweise zur Bearbeitung:<br />

Lassen Sie sich von der - wahrscheinlich - unbekannten Materie <strong>des</strong> <strong>Bestattung</strong>srechts<br />

nicht abschrecken. Ähnliche Fälle waren in den letzten Jahren nicht nur ein<br />

„Dauerbrenner“ bei den Verwaltungsgerichten, sondern auch wiederholt Gegenstand<br />

von Examensklausuren. Bei der Lösung <strong>des</strong> Falles kommt es in erster Linie auf <strong>die</strong><br />

Fähigkeit zur Argumentation und zur Subsumtion unter unbekannte Normen, nicht<br />

auf Detailkenntnisse <strong>des</strong> <strong>Bestattung</strong>srechts an.<br />

Vorschriften der Abgabenordnung, <strong>des</strong> Kommunalabgabengesetzes und <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>gebührengesetzes<br />

bleiben bei der Bearbeitung außer Betracht.<br />

In Baden-Württemberg werden tote Körper nur dann von anatomischen Instituten<br />

übernommen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eine entsprechende Vereinbarung<br />

mit dem Institut abgeschlossen hat. Das war bei V nicht der Fall.

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