Lösungsskizze - Verwaltungsgericht Sigmaringen
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Examensrepetitorium an der Universität Tübingen<br />
Aktuelle Fälle aus der Praxis des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Sommersemester 2011<br />
<strong>Lösungsskizze</strong> zu Fall 4: „Schweine, Puten oder Menschen? "<br />
RiVG Dietmar Reimann<br />
Erfolgsaussichten Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO<br />
I. Zulässigkeit des Antrags<br />
1. Verwaltungsrechtsweg, § 40 VwGO<br />
Unproblematisch gegeben. Die streitentscheidenden Normen stehen im Baugesetz-<br />
buch (BauGB) bzw. der Landesbauordnung (LBO), die beide ö.-r. Natur sind.<br />
2. Statthafte Antragsart:<br />
Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO i.V..m. § 80 VwGO. Danach gilt:<br />
> Wenn in der Hauptsache Anfechtungsklage: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO<br />
> Wenn in der HS andere Klageart: Antrag nach § 123 VwGO<br />
Beachten: Gemeinde wehrt sich gegen zwei Maßnahmen:<br />
a) Ersetzung des Einvernehmens<br />
> Ist VA gegenüber der Gemeinde.<br />
Einzige erörterungsbedürftige VA-Merkmale:<br />
- Regelung? Ja, die nach § 36 BauGB erforderliche Einvernehmensentscheidung<br />
wird ersetzt.<br />
- Außenwirkung? Ja. Regelung ergeht gegenüber der Gemeinde als eigener Rechts-<br />
trägerin.<br />
> Gemeinde begehrt Aufhebung des VA, also Anfechtungssituation.<br />
> Gesetzlicher Sofortvollzug, § 54 Abs. 4 S. 5 LBO, § 80 Abs. 2 Nr. 3 BauGB.<br />
> Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.<br />
b.) Baugenehmigung > unproblematisch VA
Gemeinde begehrt Aufhebung, also Anfechtungssituation<br />
> gesetzlicher Sofortvollzug, § 212 a Abs. 1 BauGB, § 80 Abs. 2 Nr. 3 BauGB<br />
> Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.<br />
2<br />
>> Dass zwei Regelungen angegriffen werden führt nicht dazu, dass zwei getrennte<br />
Verfahren durchgeführt werden. Prozessual gibt es nur ein Antragsverfahren, in dem<br />
dann beide Begehren geprüft werden.<br />
3. Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog.<br />
Gemeinde muss Verletzung eines subjektiven Rechts geltend machen.<br />
>> § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB. Die Vorschrift dient dem Schutz der kommunalen Pla-<br />
nungshoheit, die ihrerseits Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist,<br />
das von Art. 28 Abs. 2 GG geschützt ist.<br />
dazu:<br />
BVerwG, U. v. 20.05.2010 - 4 C 7/09 -, DVBl 2010, 1235 = NVwZ 2010, 1561<br />
BVerwG, U. v. 01.07.2010 - 4 C 4/08 -, DVBl 2010, 1377 = NVwZ 2011, 61<br />
4. Rechtsbehelf in der Hauptsache eingelegt (= VA nicht bestandskräftig)<br />
Ja, Widerspruch ist fristgemäß eingelegt.<br />
5. Alle sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen unproblematisch.<br />
II. Begründetheit des Antrags:<br />
1. Passivlegitimation, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO<br />
Den angefochtenen VA hat das Landratsamt erlassen.<br />
Wer ist Rechtsträger des Landratsamts? LRA kann handeln als<br />
- Behörde des Landkreises oder<br />
- untere Verwaltungsbehörde, dann ist es staatliche Behörde, also Behörde des Lan-<br />
des Baden-Württemberg.<br />
> sog. Doppelstellung des Landratsamts, § 1 Abs. 3 LKrO
3<br />
> hier handelt das Landratsamt als untere Baurechtsbehörde. Dies ist die untere<br />
Verwaltungsbehörde = LRA; § 46 Abs. 1 Nr. 3 LBO i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Landes-<br />
verwaltungsgesetz (LVG). Hier kein Fall des § 46 Abs. 2 LBO.<br />
> Passivlegitimiert also Land B.-W.<br />
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs<br />
Hier nur Merkposten: Wenn der Sofortvollzug durch die Behörde angeordnet ist,<br />
müssen Sie bei diesem Punkt prüfen, ob der Sofortvollzug<br />
- besonders (= „ausdrücklich“) angeordnet ist, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO<br />
- und gesondert begründet ist, § 80 Abs. 3 VwGO<br />
Besteht - wie hier - der Sofortvollzug kraft Gesetzes, entfällt diese Prüfung.<br />
3. Materielle Rechtmäßigkeit.<br />
Obersatz sollte folgende Punkte enthalten:<br />
Bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht<br />
eine eigene Ermessensentscheidung. Dabei nimmt es eine Interessenabwägung<br />
zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug und dem Interesse des Betrof-<br />
fenen, vom vorläufigen Vollzug verschont zu bleiben vor. Wesentlich für diese Inte-<br />
ressenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache.<br />
Je mehr für einen Erfolg des Rechtsbehelfs spricht, je eher also der VA rechtswidrig<br />
ist, desto eher überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers; spricht um-<br />
gekehrt mehr dafür, dass der VA rechtmäßig und der Rechtsbehelf also erfolglos sein<br />
wird, überwiegt das Vollzugsinteresse. In die Abwägung fließen - je nach Fall - auch<br />
sonstige Interessen ein, bei Baufällen ist typischerweise der Gesichtspunkt wichtig,<br />
dass durch die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz keine irreversiblen Zu-<br />
stände geschaffen werden. Das Gericht nimmt eine summarische Prüfung vor. Das<br />
bedeutet jedoch nur, dass keine Beweiserhebung erfolgt, sondern nach Aktenlage<br />
entschieden wird.<br />
Zu prüfen also: Rechtmäßigkeit der Ersetzung des Einvernehmens.<br />
a.) Erste Frage: Prüfungsmaßstab
§ 36 Abs. 2 S. 1 BauGB.<br />
4<br />
Gemeinde darf also nicht frei oder nach beliebigen Kriterien entscheiden, ob sie das<br />
Einvernehmen erteilt.<br />
Sinn der Regelung: Es geht darum, wie bei der Beurteilung der planungsrechtlichen<br />
Zulässigkeit die Planungshoheit der Gemeinde berücksichtigt wird. Ist das Bauvorha-<br />
ben planungsrechtlich nach § 30 BauGB zu beurteilen, weil die Gemeinde für ein<br />
Gebiet einen Bebauungsplan erstellt hat, ist die Planungshoheit quasi in dem Be-<br />
bauungsplan „verkörpert“. Wird der Bebauungsplan eingehalten, ist im Baugenehmi-<br />
gungsverfahren also keine Beteiligung der Gemeinde mehr erforderlich. Gibt es je-<br />
doch keinen Bebauungsplan (Fälle des § 34 und § 35 BauGB) oder soll vom Be-<br />
bauungsplan abgewichen werden (Fall des § 31 BauGB) oder ist der Bebauungsplan<br />
noch in Aufstellung begriffen (Fall des § 33 BauGB) wird die Planungshoheit durch<br />
das Einvernehmenserfordernis gesichert.<br />
Stellt die Gemeinde fest, dass sie das Einvernehmen erteilen müsste, weil das Vor-<br />
haben nach §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB zulässig ist und will sie es dennoch ver-<br />
hindern, muss die einen Planaufstellungsbeschluss fassen und eine Veränderungs-<br />
sperre nach § 14 BauGB erlassen.<br />
b.) Also zu prüfen, ob Nutzungsänderung nach § 34 BauGB zulässig ist<br />
(Lt. SV unbeplanter Innenbereich, also § 34 BauGB anwendbar).<br />
Dabei ist geklärt, dass die Prüfung nicht durch die von der Gemeinde tatsächlich ge-<br />
machten Einwendungen beschränkt ist, vielmehr ist § 34 BauGB voll zu prüfen.<br />
Dazu nochmals BVerwG, U. v. 20.05.2010 - 4 C 7/09 -, (allerdings zu einem in § 35<br />
BauGB angesiedelten Fall):<br />
Dem Schutz der gemeindlichen Planungshoheit dient die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 1<br />
BauGB. Sie bestimmt u.a., dass für die Zulassung eines Vorhabens im Außenbereich das<br />
Einvernehmen mit der Gemeinde erforderlich ist. Die Gemeinde darf ihr Einvernehmen nur<br />
aus den sich aus § 35 BauGB ergebenden Gründen versagen (§ 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB).<br />
Das bedeutet im Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 35 BauGB auf das Rechtsmittel<br />
der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen sind (Urteile vom 31. Oktober 1990 a.a.O.<br />
und vom 14. April 2000 - BVerwG 4 C 5.99 - NVwZ 2000, 1048 ). Unvereinbar mit<br />
Bundesrecht ist die einschränkende Auffassung des <strong>Verwaltungsgericht</strong>shofs, dass § 35<br />
BauGB nur mit Blick auf diejenigen Gründe zu prüfen ist, auf die die beigeladene Gemeinde<br />
die Versagung ihres Einvernehmens gestützt hat. Das Recht der Gemeinde, ihr Einvernehmen
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zu einem Außenbereichsvorhaben zu verweigern, ist nicht mit der Obliegenheit verbunden, die<br />
Entscheidung zu begründen (vgl. BTDrucks 13/6392 S. 60 zu Nr. 29 und Buchst. b). Der Be-<br />
stimmung des § 36 BauGB kann deshalb auch nicht entnommen werden, dass in den Fällen,<br />
in denen - wie hier - das Einvernehmen rechtzeitig verweigert wurde, die Gemeinde mit Grün-<br />
den, die sie bei ihrer Verweigerung nicht angeführt hat, in einem späteren Rechtsbehelfsver-<br />
fahren präkludiert ist (so zutreffend OVG Weimar, Beschluss vom 29. Januar 2009 - 1 EO<br />
346/08 - juris Rn. 50).<br />
Vorsicht: Die Tatsache, dass es letztlich um die Frage geht, welche und wieviel Tiere<br />
gehalten werden dürfen wird nicht unter dem Tatbestandsmerkmal des Maßes der<br />
baulichen Nutzung geprüft. Mit dem Maß der baulichen Nutzung ist allein die Größe<br />
des Gebäudes, seine sog. Kubatur, gemeint.<br />
Also: Inhalt der Nutzungsänderungsgenehmigung ist der Art der baulichen Nutzung<br />
zuzuordnen.<br />
Dann gilt: Wenn die Umgebung zwanglos in die Typologie der BauNVO passt, ist<br />
hinsichtlich der Art der Nutzung § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der BauNVO anzuwenden.<br />
Ist diese Zuordnung nicht möglich, bleibt es bei bei § 34 Abs. 1 BauGB.<br />
Nach SV (wie auch der Aktenlage im Originalfall) ist unklar, ob eine solche Zuord-<br />
nung möglich ist.<br />
Deshalb alternative Prüfung:<br />
b.a.) Variante 1: Umgebung ist faktisches Dorfgebiet: § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5<br />
BauNVO anzuwenden.<br />
Vorhaben dann nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässig.<br />
Aber: Kann gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen. Dieses gelangt im Fall<br />
des § 34 Abs. 2 BauGB über § 15 Abs. 1 BauGB zur Anwendung.<br />
Prüfung unten.<br />
b.b.) Variante 2: Umgebung lässt sich nicht eindeutig in die BauNVO-Typologie ein-<br />
stufen.<br />
Fügt sich das Vorhaben in die Umgebung i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB ein?
Vorgehensweise bei der Prüfung des Einfügens:<br />
6<br />
Zunächst wird der für die Beurteilung relevante Umgebungsbereich festgelegt, der<br />
sog. Rahmen. Das ist der Bereich, auf den sich das Vorhaben auswirkt und das sei-<br />
nerseits auf das Vorhaben zurückwirkt. Kann zuverlässig nur an Ort und Stelle beur-<br />
teilt werden.<br />
> SV sagt nur, dass es in der Umgebung auch Tierhaltungen gibt.<br />
> Es besteht die Besonderheit, dass in den Ställen schon Tierhaltung (Schweine-<br />
mast) betrieben wurde.<br />
Für die Frage des Einfügens also mit zu prüfen: Ist die Umgebung durch die frühere<br />
Mastschweinehaltung mitgeprägt? Das ist sie dann, wenn die früheren Baugenehmi-<br />
gungen (für die Schweinemast) nicht gegenstandslos geworden sind.<br />
Frage also: Wie erlöschen Baugenehmigungen? Wie weit reicht der Bestandsschutz?<br />
Damit befassen sich zwei relativ neue Entscheidungen des VGH (Urteil v. 04.03.2009<br />
- 3 S 1467/07 - und Urteil v. 19.10.2009 - 5 S 347/09 -.<br />
Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:<br />
- Es gibt keinen bundesrechtlich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vorgegebenen Be-<br />
standsschutz. Die grundrechtlich vermittelte Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs.<br />
1 Satz 1 GG steht nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unter dem Vorbehalt einer gesetzli-<br />
chen Regelung über Inhalt und Schranken des Eigentums. Es obliegt grundsätzlich<br />
dem Bundes- oder Landesgesetzgeber, Inhalt und Umfang der aus dem Eigentum<br />
fließenden Rechtsposition in formeller und materieller Hinsicht zu bestimmen (ent-<br />
spricht der Rspr. des BVerwG).<br />
- Das sog. „Fristmodell“ des BVerwG ist entwickelt für die Fallgruppe des § 35 Abs. 4<br />
S. 1 Nr. 3 BauGB n.F. („alsbaldige“ Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten<br />
zerstörten Gebäudes) und ist nicht übertragbar auf Fälle, in denen es um die Gel-<br />
tungsdauer einer Baugenehmigung geht.<br />
Einschub: Fristmodell (BVerwG, U. v. 18.05.1995 - 4 C 20/94 -): Im ersten<br />
Jahr nach der Zerstörung eines Gebäudes rechnet die Verkehrsauffassung<br />
stets mit dem Wiederaufbau, im zweiten Jahr gilt eine - widerlegbare - Regel-<br />
vermutung dafür, dass die Verkehrsauffassung mit einem Wiederaufbau rech-<br />
net, nach Ablauf des zweiten Jahres kehr sich diese Regelvermutung im: Ver-<br />
kehrsauffassung soll dann nicht mehr für den Wiederaufbau sprechen.
7<br />
- § 62 Abs. 1 LBO gilt nicht, ist auch nicht analog anwendbar: Vorschrift regelt nach<br />
dem Wortlaut und auch dem Sinn und Zweck nur den Fall, dass eine (neue) Bauge-<br />
nehmigung nicht umgesetzt wird, d.h. das Gebäude nicht errichtet wird.<br />
- Geltungsdauer einer Baugenehmigung bestimmt sich nach der Vorschrift des § 43<br />
Abs. 2 LVwVfG.<br />
Hier relevantes TB-Merkmal: Erledigung „auf andere Weise“.<br />
Dazu VGH:<br />
Eine Erledigung „auf andere Weise“ ist anzunehmen, wenn die Baugenehmi-<br />
gung ihre regelnde Wirkung verliert, vornehmlich, wenn ihr Regelungsobjekt<br />
entfällt. Dies kann durch ausdrücklich erklärten, aber auch durch schlüssiges<br />
Verhalten betätigten Verzicht auf Ausübung der genehmigten bestimmungs-<br />
gemäßen Nutzung geschehen, wobei im letzteren Fall ein entsprechender<br />
dauerhafter und endgültiger Verzichtswille unmissverständlich und unzweifel-<br />
haft zum Ausdruck kommen muss (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom<br />
10.11.1993 - 3 S 1120/92 -, VBlBW 1994, 349 ff. m.w.N.). Hiervon kann etwa<br />
ausgegangen werden, wenn die bisherige Nutzung in ihrer genehmigten<br />
Bandbreite auf Dauer durch eine - insbesondere funktional andere - Nutzung<br />
ersetzt wird. Die bloße zeitliche Nichtweiterführung der genehmigten Nutzung<br />
- zumal bei fortbestehender Nutzungstauglichkeit der baulichen Anlagen - oh-<br />
ne zusätzliche Anhaltspunkte lässt aber noch nicht auf einen dauerhaften Ver-<br />
zichtswillen schließen, zumal im Baurecht keine Rechtspflicht zur fortgesetzten<br />
Nutzung eines genehmigten Baubestands besteht.<br />
Angewandt auf den Fall:<br />
Ausdrücklicher Verzicht liegt nicht vor, auch keine konkludente Verzichtserklärung.<br />
Die 2-jährige, krankheitsbedingte Nutzungsunterbrechung allein lässt nicht auf einen<br />
Verzichtswillen schließen. Auch erfolgte die Schweinemast auf Grund einer Bauge-<br />
nehmigung, es handelte sich nicht um die ungenehmigte Fortsetzung einer ursprüng-<br />
lich anders genehmigten Tierhaltung.<br />
> Die „alte“ Baugenehmigung gilt also noch.<br />
> Schweinemast also als „Vorbelastung“ zu berücksichtigen.<br />
>> Danach ist zunächst davon auszugehen, dass sich die neue Nutzung einfügt.
8<br />
c. Verstößt die Nutzungsänderungsgenehmigung gegen das Gebot der Rücksicht-<br />
nahme?<br />
GdR wird über § 15 Abs. 1 BauNVO angewandt, wenn § 34 Abs. 2 BauGB ange-<br />
wandt wird, bei Anwendung von § 34 Abs. 1 BauGB ist das GdR im Merkmal des<br />
„Einfügens“ enthalten.<br />
Hält sich nämlich ein Vorhaben etwa nach der Art der Nutzung im vorgefundenen<br />
Rahmen, so fügt es sich gleichwohl nicht ein, wenn es gegen das Gebot der Rück-<br />
sichtnahme verstößt. Das Gebot der Rücksichtnahme dient dem Schutz der sonsti-<br />
gen, d.h. vor allem: der in der unmittelbaren Nähe des Vorhabens vorhandenen Be-<br />
bauung vor nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen. Es hebt auf die gegenseitige<br />
Verflechtung der baulichen Situation benachbarter Grundstücke ab und will einen<br />
angemessenen Ausgleich schaffen, der dem einen das ermöglicht, was für ihn un-<br />
abweisbar ist und den anderen vor unzumutbaren Belästigungen oder Benachteili-<br />
gungen schützt (vgl. zuletzt BVerwG, Urt. v. 16.09.2010 - 4 C 7/10 - m.w.N.).<br />
Allgemein:<br />
Merkposten: Hier angesprochen ist das Gebot der Rücksichtnahme in seinem<br />
objektiv-rechtlichen Gehalt. Geht es um eine Nachbarklage, müssen Sie zu-<br />
sätzlich prüfen, ob des GdR darüber hinaus Nachbarschutz vermittelt. Das tut<br />
es dann, wenn in „qualifizierter und zugleich individualisierter Weise“ auf die<br />
Belange des Nachbarn Rücksicht genommen werden muss (m.a.W. wenn klar<br />
ist, welche Nachbarn beeinträchtigt sind und wenn keine nur ganz geringfügi-<br />
ge Beeinträchtigung vorliegt).<br />
Wann genau das Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist, also eine Beeinträchtigung<br />
unzumutbar ist, ist in der Praxis häufig schwer zu beurteilen. Geht es im Immissio-<br />
nen werden i.d.R. sog. technische Regelwerke (wie etwa die TA Lärm (6. BImSchV),<br />
TA Luft (1. BImSchV), VerkehrslärmschutzVO (16. BImSchV),<br />
SportanlagenlärmschutzVO (18. BImSchV), Verkehrswege-Schallschutz-VO (24.<br />
BImSchV) bzw. eine der zahlreichen VDI-Richtlinien) angewandt, die teils als sog.<br />
antizipierte Sachverständigengutachten, teils als normkonkretisierende Verwaltungs-<br />
vorschriften angewandt werden.<br />
Die Beurteilung von Geruchsimmissionen ist besonders schwierig, weil Geruch tech-<br />
nisch nicht messbar ist und Geruchsempfindlichkeiten individuell noch unterschiedli-
9<br />
cher sind wie Geräuschempfindlichkeit. In der Praxis gibt es verschiedene VDI-<br />
Richtlinien, die Geruchsimmissionsrichtlinie GIRL und verschiedene EDV-<br />
.Programme (z.B. EMIAK) , die Geruchsausbreitung simulieren. Allen gemeinsam ist,<br />
dass sie darauf abstellen, in welchem Bereich mit welcher Häufigkeit der Geruch der<br />
Anlage wahrnehmbar ist. Große Unterschiede bestehen dann darin, ob die Art der<br />
Immissionen, Klima- und sonstige Faktoren berücksichtigt werden. Allen gemeinsam<br />
ist die Unsicherheit: Die Geruchsentwicklung und -ausbreitung hängt von einer Viel-<br />
zahl von Faktoren ab: Angefangen von der Fütterung der Tiere über deren Anzahl,<br />
die Lüftungstechnik des Stalles, der Witterung, der (Haupt-) Windrichtung bis hin zur<br />
Geländetopografie.<br />
Angewandt auf den Fall:<br />
Das Gebot der Rücksichtnahme ist jedenfalls nicht verletzt, wenn die neue Nutzung<br />
die Umgebung weniger beeinträchtigt als die bisherige genehmigte Nutzung. Die<br />
angewandten Prognoseinstrumente lassen diese Aussage aber sicher zu.<br />
Deshalb hier kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.<br />
>> Vorhaben verstößt nicht gegen § 34 BauGB<br />
>> Einvernehmen durfte nicht versagt werden<br />
>> Baugenehmigung mußte erteilt werden.<br />
Hauptsache hat also keine Erfolgsaussichten. Spricht für eine Interessenabwägung<br />
zu Lasten der Gemeinde.<br />
Gibt es andere, für die Gemeinde sprechende Interessen?<br />
> Gesichtspunkt der Irreversibilität? Nein: Entscheidung ist nicht unumkehrbar. Ob-<br />
siegt die Gemeinde in der Hauptsache, darf B keine Puten in dem Stall halten. Die<br />
technischen Umbaumaßnahmen (Fütterung, Tränken, Entmistung) waren dann eben<br />
sinnlos. Dieses Risiko trägt B, wenn er aufgrund der Entscheidung im vorläufigen<br />
Rechtsschutzverfahren baut.<br />
> Und was ist mit den städtebaulichen Erwägungen zur Förderung der Wohnnut-<br />
zung?
10<br />
Diese sind sachgerecht und legitim. Um sie sicher durchführen zu können, müssen<br />
die Ziele planerisch abgesichert sein. Für eine solche gestaltende Planung muss die<br />
Gemeinde aber einen Bebauungsplan aufstellen und ggf. zur Absicherung eine Ver-<br />
änderungssperre erlassen. Dazu wäre noch Zeit gewesen, als sie zur Erteilung des<br />
Einvernehmens aufgefordert wurde. Allein die Verweigerung des Einvernehmens<br />
reicht nicht, um die angestrebte positive Gestaltung zu realisieren.<br />
Ergebnis: Es bleibt bei der Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin.<br />
Der Antrag ist unbegründet und abzulehnen.<br />
Entscheidungstenor:<br />
Der Antrag wird abgelehnt.<br />
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich/mit Ausnahme (*)<br />
der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.<br />
(*): Je nachdem, wie die Kammer entscheidet. Maßstab § 162 Abs. 3 VwGO<br />
Ergänzung zu den außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen: Dazu neue<br />
Rspr. des VGH Baden-Württemberg:<br />
Die Auferlegung von Kosten eines Beigeladenen entspricht im Regelfall nur<br />
dann der Billigkeit nach § 162 Abs. 3 VwGO, wenn er i. S. des § 154 Abs. 3<br />
VwGO einen Antrag gestellt oder das Verfahren wesentlich gefördert hat. Für<br />
einen notwendig Beigeladenen gilt grundsätzlich nichts Anderes, auch nicht im<br />
Baunachbarstreit (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2011 -<br />
8 S 2567/10 - unter Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).