biber - Ausgabe JUNI 2013 - Magazin für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund

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70 Von Todor Ovtcharov DIE MACHT DER „DALAVERA“ „BRUDER, LASS MICH DIR DIESE ,DALAVERA‘ ERKLÄREN!“ Jedes Mal wenn ich diesen Satz auf den Straßen Wiens höre, weiß ich, dass Leute vom Balkan in der Nähe sind. Ich weiß nicht, wie man dieses so „balkanische“ Wort „Dalavera“ am besten übersetzen könnte. Ich frage mich, ob es Goethe scha en würde. Ein passendes Äquivalent, welches den ganzen sozio-kulturellen Sinn mit sich trägt, gibt es in der deutschen Sprache nicht. Es gehört nur uns, den Balkanesen, und ganz besonders den Bulgaren. Es stammt vom griechischen νταραβέρι [daraveri] und wird wörtlich übersetzt mit „Lärm, Geräusch, Unmut“. Vielleicht übersetzt man es am besten als „zweifelha es Geschä “. Aber auch das wäre nicht ganz richtig: Die „Dalavera“ ist nicht gerade ein zweifelha es Geschä , sie ist ein beinahe ehrlicher Weg, um an Geld heranzukommen. Die „Dalavera“ ist ein Geschä , das nur MIT SCHARF DIAGNOSE „DALAVERA“: FÜR DIESE KRANKHEIT GIBT ES KEINE HEILUNG. SIE HÄLT LEBENSLANG. auf den ersten Blick zweifelha erscheint, eigentlich soll sie allen Seiten, die in der „Dalavera“ verwickelt sind, Dividenden bringen. Der einzige, der darunter leiden wird, ist der Staat. DER BESTE CELLIST DER WELT Bat Joro ist der König der „Dalavera“. Sein Lächeln setzt er nicht ab. Sogar ohne einen einzigen Cent in der Hosentasche ist Bat Joro immer sauber und parfümiert. Er spricht über sich in der dritten Person. „Bat Joro ist der Größte!“, wiederholt er immer wieder. O ziell ist Bat Joro ein Musiker – ein Cellist. Er hat eine Musikschule abgeschlossen. Ich kann eigentlich nur bestätigen, dass Bat Joro fürchterlich spielt. Sein „Musizieren“ erinnert ein bisschen an eine alte sowjetische Bandsäge, oder an das Schnarchen meines Mitbewohners nach dem dritten Schnaps. Trotz des Fehlens jeglichen musikalischen Talents kann sich Bat Joro nicht über Arbeitslosigkeit beklagen. Dank seines Cellos reist er um die halbe Welt. Wenn er sich bei einem Orchester bewirbt, zeigt er zuerst seinen Lebenslauf. Laut ihm hat er Unterricht bei den besten Cellisten der Welt gehabt. Bat Joro hat tatsächlich Unterricht bei ihnen gehabt und die Daten in seinem Lebenslauf sind ganz korrekt. Natürlich hat er aber vergessen zu schreiben, dass sie ihm dazu geraten haben, das Cellospielen für immer zu lassen und sich etwas zu widmen, was so weit wie möglich von der Musik entfernt ist. Die Dirigenten, denen Bat Joro seinen Lebenslauf zeigt, sind aber so von ihm, wie auch von seinem selbstsicheren und strahlenden Au reten beeindruckt, dass sie ihn sofort ins Orchester aufnehmen, ohne dass er Probe spielen muss. Bei der zweiten Probe erkennt der Dirigent jedoch seinen Fehler. Das Orchester ist aber schon in China oder Indonesien und die einzige Lösung ist, dass Bat Joro gebeten wird, nur so zu tun, als ob er spielen würde. Er versteht die Situation sofort. „Kein anderer spielt besser zum Schein als ich, Brüderchen!“ DIE DUNKLE SEITE Die „Dalavera“ hat auch eine dunkle Seite. Sie übersprang nicht einmal Bat Joro. Er kau e sich günstig ein Violoncello von einem Armenier. Das Instrument hatte ein Zerti kat, dass es 200 Jahre alt ist und dass es von einem berühmten deutschen Geigenbauer stammt. Es stellte sich heraus, dass das Cello aus der Fabrik ist – Made in China. Der Armenier war verschwunden. Bat Joro lief kurz traurig durch die Stadt. Aber nach einigen Wochen kehrte sein Lächeln zurück. „Brüderchen, brauchst du ein Cello? Aus Deutschland, mindestens 200 Jahre alt. Diese ,Dalavera‘ darfst du dir nicht entgehen lassen!“ Als ich hörte, wie Bat Joro mir das Cello andrehen möchte, von dem ich weiß, dass es ein Fake ist, sagte ich zu ihm, dass sein Zustand krankha sei. Leider aber kann ihm auch kein Arzt helfen. Seine Diagnose ist „Dalavera“. Für diese Krankheit gibt es keine Heilung. Sie hält lebenslang. Die „Dalavera“ ist eine Existenzeinstellung. Ein Geisteszustand. Derjenige, der eine Medizin gegen die „Dalavera“ ndet, wird sehr reich! Ganze Völker werden es verwenden! Eine Medizin gegen die „Dalavera“? Das ist aber echt eine „Dalavera“!
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