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Von Todor Ovtcharov<br />
DIE MACHT DER<br />
„DALAVERA“<br />
„BRUDER, LASS MICH DIR DIESE<br />
,DALAVERA‘ ERKLÄREN!“ Jedes Mal<br />
wenn ich diesen Satz auf den Straßen Wiens<br />
höre, weiß ich, dass Leute vom Balkan<br />
in der Nähe sind. Ich weiß nicht, wie man<br />
dieses so „balkanische“ Wort „Dalavera“<br />
am besten übersetzen könnte. Ich frage<br />
mich, ob es Goethe scha en würde. Ein<br />
passendes Äquivalent, welches den ganzen<br />
sozio-kulturellen Sinn <strong>mit</strong> sich trägt, gibt<br />
es in der deutschen Sprache nicht. Es gehört<br />
nur uns, den Balkanesen, <strong>und</strong> ganz<br />
besonders den Bulgaren. Es stammt vom<br />
griechischen νταραβέρι [daraveri] <strong>und</strong><br />
wird wörtlich übersetzt <strong>mit</strong> „Lärm, Geräusch,<br />
Unmut“. Vielleicht übersetzt man<br />
es am besten als „zweifelha es Geschä “.<br />
Aber auch das wäre nicht ganz richtig:<br />
Die „Dalavera“ ist nicht gerade ein zweifelha<br />
es Geschä , sie ist ein beinahe ehrlicher<br />
Weg, um an Geld heranzukommen.<br />
Die „Dalavera“ ist ein Geschä , das nur<br />
MIT SCHARF<br />
DIAGNOSE „DALAVERA“: FÜR DIESE<br />
KRANKHEIT GIBT ES KEINE HEILUNG.<br />
SIE HÄLT LEBENSLANG.<br />
auf den ersten Blick zweifelha erscheint, eigentlich<br />
soll sie allen Seiten, die in der „Dalavera“<br />
verwickelt sind, Dividenden bringen.<br />
Der einzige, der darunter leiden wird, ist der<br />
Staat.<br />
DER BESTE CELLIST DER WELT<br />
Bat Joro ist der König der „Dalavera“. Sein<br />
Lächeln setzt er nicht ab. Sogar <strong>ohne</strong> einen<br />
einzigen Cent in der Hosentasche ist Bat Joro<br />
immer sauber <strong>und</strong> parfümiert. Er spricht<br />
über sich in der dritten Person. „Bat Joro ist<br />
der Größte!“, wiederholt er immer wieder.<br />
O ziell ist Bat Joro ein Musiker – ein Cellist.<br />
Er hat eine Musikschule abgeschlossen.<br />
Ich kann eigentlich nur bestätigen, dass Bat<br />
Joro <strong>für</strong>chterlich spielt. Sein „Musizieren“<br />
erinnert ein bisschen an eine alte sowjetische<br />
Bandsäge, oder an das Schnarchen<br />
meines Mitbew<strong>ohne</strong>rs nach dem dritten<br />
Schnaps. Trotz des Fehlens jeglichen musikalischen<br />
Talents kann sich Bat Joro nicht<br />
über Arbeitslosigkeit beklagen. Dank seines<br />
Cellos reist er um die halbe Welt. Wenn er<br />
sich bei einem Orchester bewirbt, zeigt er<br />
zuerst seinen Lebenslauf. Laut ihm hat er<br />
Unterricht bei den besten Cellisten der Welt<br />
gehabt. Bat Joro hat tatsächlich Unterricht<br />
bei ihnen gehabt <strong>und</strong> die Daten in seinem<br />
Lebenslauf sind ganz korrekt. Natürlich hat<br />
er aber vergessen zu schreiben, dass sie ihm<br />
dazu geraten haben, das Cellospielen <strong>für</strong><br />
immer zu lassen <strong>und</strong> sich etwas zu widmen,<br />
was so weit wie möglich von der Musik entfernt<br />
ist. Die Dirigenten, denen Bat Joro seinen<br />
Lebenslauf zeigt, sind aber so von ihm,<br />
wie auch von seinem selbstsicheren <strong>und</strong><br />
strahlenden Au reten beeindruckt, dass sie<br />
ihn sofort ins Orchester aufnehmen, <strong>ohne</strong><br />
dass er Probe spielen muss. Bei der zweiten<br />
Probe erkennt der Dirigent jedoch seinen<br />
Fehler. Das Orchester ist aber schon in China<br />
oder Indonesien <strong>und</strong> die einzige Lösung<br />
ist, dass Bat Joro gebeten wird, nur so zu tun,<br />
als ob er spielen würde. Er versteht die Situation<br />
sofort. „Kein anderer spielt besser zum<br />
Schein als ich, Brüderchen!“<br />
DIE DUNKLE SEITE<br />
Die „Dalavera“ hat auch eine dunkle Seite.<br />
Sie übersprang nicht einmal Bat Joro.<br />
Er kau e sich günstig ein Violoncello von<br />
einem Armenier. Das Instrument hatte ein<br />
Zerti kat, dass es 200 Jahre alt ist <strong>und</strong> dass<br />
es von einem berühmten deutschen Geigenbauer<br />
stammt. Es stellte sich heraus, dass<br />
das Cello aus der Fabrik ist – Made in China.<br />
Der Armenier war verschw<strong>und</strong>en. Bat<br />
Joro lief kurz traurig durch die Stadt. Aber<br />
nach einigen Wochen kehrte sein Lächeln<br />
zurück. „Brüderchen, brauchst du ein Cello?<br />
Aus Deutschland, mindestens 200 Jahre alt.<br />
Diese ,Dalavera‘ darfst du dir nicht entgehen<br />
lassen!“ Als ich hörte, wie Bat Joro mir das<br />
Cello andrehen möchte, von dem ich weiß,<br />
dass es ein Fake ist, sagte ich zu ihm, dass<br />
sein Zustand krankha sei. Leider aber kann<br />
ihm auch kein Arzt helfen. Seine Diagnose<br />
ist „Dalavera“. Für diese Krankheit gibt<br />
es keine Heilung. Sie hält lebenslang. Die<br />
„Dalavera“ ist eine Existenzeinstellung. Ein<br />
Geisteszustand. Derjenige, der eine Medizin<br />
gegen die „Dalavera“ ndet, wird sehr reich!<br />
Ganze Völker werden es verwenden! Eine<br />
Medizin gegen die „Dalavera“? Das ist aber<br />
echt eine „Dalavera“!