Betrifft: Betreuung 4
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Hochaltrigkeit, Sterben und Tod<br />
Hochaltrigkeit, Sterben und Tod<br />
Auszug aus dem Vierten Bericht zur Lage der älteren Generation *<br />
Hochaltrigkeit steht – als letzte Lebensphase – in enger Nähe zum Tod. Es gibt<br />
gute Argumente und empirische Hinweise dafür, dass im Alter und insbesondere<br />
im letzten Abschnitt des Alters die Angst vor dem Tod abnimmt oder<br />
sogar verschwindet, weil der Tod erwünscht erscheint, allenfalls die Furcht vor<br />
dem Sterbevorgang erhalten bleibt. Die vermeintlich und teilweise auch tatsächlich<br />
verbreitete Tabuisierung von Tod und Sterben in der Gesellschaft hat<br />
zu einer euphemistisch-mythischen Verklärung eines quasi natürlichen Todeswunsches<br />
am Ende des Lebens aus dem Gefühl einer Sättigung, des „Nun ist<br />
es genug“ heraus geführt. Gerade deswegen muss gegenwärtig bleiben, dass<br />
Todeswunsch und Todessehnsucht weit häufiger aus Leidenssituationen erwachsen,<br />
deren Ursachen zumeist in lebensbedrohlichen oder chronischen<br />
Erkrankungen zu suchen sind oder sich aus belastenden menschlichen Beziehungen,<br />
sozialer Isolierung und Einsamkeit ergeben. Wie die Suizidforschung<br />
lehrt, stellt die Balance zwischen dem Wunsch zu sterben und dem Wunsch zu<br />
leben fast immer einen labilen Zustand der Ambivalenz dar, der im Wechselspiel<br />
zwischen Hoffnung und Verzweiflung und unter dem Druck der Umwelt<br />
zur einen oder anderen Seite ausschlagen kann. Freie Willensbildung und<br />
autonome Entscheidung können außerdem durch psychische Erkrankungen<br />
bzw. psychische Komorbidität, z. B. Depressionen, erheblich beeinträchtigt<br />
oder aufgehoben werden. Dies ist zu berücksichtigen, wenn über Unterlassung<br />
lebensverlängernder Maßnahmen in einer finalen Lebenssituation über passive<br />
und aktive Sterbehilfe diskutiert wird.<br />
Lebensverlängerung und Leidensminderung<br />
Der in diesem Bericht vertretene Standpunkt, dass eine altersrelativierte Begrenzung<br />
ärztlich-medizinischer Maßnahmen ethisch nicht zu rechtfertigen ist,<br />
bedeutet andererseits keine unbedingte Verpflichtung, unaufhaltbar zu Ende<br />
gehendes Leben mit allen technisch möglichen, etwa intensivmedizinischen<br />
und operativen Mitteln zu verlängern. Die Maxime der internationalen gerontologischen<br />
Gesellschaft lautet: „To add life to years, not years to life“. Die<br />
ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung hat ebenfalls nicht den natürlichen<br />
biologischen Alterstod zum Gegner, gegen den es anzukämpfen gilt,<br />
sondern zielt auf den Erhalt des durch Krankheit in seiner Fortexistenz bedroh-<br />
* Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland:<br />
Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksichtigung<br />
demenzieller Erkrankungen. Deutscher Bundestag Drucksache 14/8822<br />
vom 18. 04. 2002, S. 352-353, Autoren dieses Kapitels: Prof. Dr. Siegfried Kanowski,<br />
Prof. Dr. h.c. Hans-Ludwig Schreiber, Prof. Dr. Gerhard Igl.<br />
<strong>Betrifft</strong>: <strong>Betreuung</strong> 4 165