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Untersuchungen zur ergonomischen Gestaltung von VR-Systemen

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong><br />

<strong>von</strong><br />

Andreas Pusch<br />

verfasst im WS 2003/2004<br />

Diplomarbeit im Studiengang Medieninformatik<br />

des Fachbereichs Digitale Medien an der Fachhochschule Furtwangen<br />

in Zusammenarbeit mit dem<br />

Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart<br />

Betreuer:<br />

Koreferent:<br />

Institutsbetreuer:<br />

Prof. Arthur Schrödinger<br />

Prof. Daniel Fetzner<br />

Frank Haselberger<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Erklärung gemäß §27, Absatz 1 der Studien- und Prüfungsordnung<br />

für Diplom-Studiengänge der FH Furtwangen<br />

Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit<br />

selbständig und ohne unzulässige fremde Hilfe angefertigt habe. Alle<br />

verwendeten Quellen und Hilfsmittel sind angegeben.<br />

Furtwangen, den ________________________<br />

Andreas Pusch<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

I Einleitung 1<br />

1 Theoretische Vorbetrachtung 2<br />

1.1 Arbeitswissenschaft 2<br />

1.1.1 Ergonomie 4<br />

1.1.2 Arbeitsgestaltung 5<br />

1.2 <strong>VR</strong>/VE 6<br />

1.2.1 Grafikrechner 8<br />

1.2.2 Eingabegeräte 10<br />

1.2.3 Ausgabegeräte 17<br />

1.2.4 Erzeugung der 3D-Wahrnehmung 23<br />

1.2.5 Relevante Systeme 33<br />

1.3 Erleben virtueller Umgebungen 38<br />

1.3.1 Immersion 38<br />

1.3.2 Präsenz 39<br />

1.3.3 Aftereffects 42<br />

1.3.4 Interaktion 43<br />

1.4 Pionierforschungsobjekt <strong>VR</strong>-Ergonomie 45<br />

1.4.1 Evolution im Bereich <strong>VR</strong>-Ergonomie 46<br />

1.4.2 Relevanzfaktoren 47<br />

2 Richtlinienbewertung und Maßnahmenentwicklung im <strong>VR</strong>/VE-Umfeld 49<br />

2.1 Rückblick auf Vorarbeiten, Voraussetzungen, Defizite 49<br />

2.2 Finalisierung der Richtlinienbewertung 50<br />

2.2.1 Relevante Richtlinien und Normen 53<br />

2.2.2 Anforderungskataloge 54<br />

2.2.2.1 Hardware und Umgebung 55<br />

2.2.2.2 Software 55<br />

2.2.2.3 Arbeitspsychologie 56<br />

2.3 Strategien <strong>zur</strong> Maßnahmenentwicklung 56<br />

2.3.1 Systembezogene Erfüllungserhebung 56<br />

2.3.2 Konzept zu Maßnahmenkatalogen 57<br />

2.3.2.1 Hardware und Umgebung 58<br />

2.3.2.2 Software 62<br />

2.3.2.3 Arbeitspsychologie 64<br />

2.4 Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen 66<br />

2.4.1 <strong>VR</strong>-Ergonomie als interdisziplinäres Forschungsobjekt 66<br />

2.4.2 Notwendigkeit der Systematisierung <strong>von</strong> Erhebungsprozessen 67<br />

2.4.3 Umgang mit normativen Defiziten 67<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

3 Systematisierung der Anforderungs- und Maßnahmenerhebung, 68<br />

anwendungsspezifische ergonomiebezogene <strong>VR</strong>-Systembewertung<br />

3.1 Systematiken <strong>zur</strong> Anforderungs- und Maßnahmenerhebung 69<br />

3.1.1 Systematisierungsmethoden 69<br />

3.1.2 Anforderungserhebung 70<br />

3.1.3 Maßnahmenerhebung 74<br />

3.2 Konzept <strong>zur</strong> systematischen, qualitativen Bewertung virtueller, 78<br />

immersiver Systeme<br />

3.2.1 Bewertungsrelevanzen 79<br />

3.2.2 Formalistisches Bewertungsmodell 81<br />

3.3 Schlussfolgerungen 83<br />

4 Praktische Schwerpunktbetrachtungen 84<br />

4.1 Zielsetzungen 84<br />

4.2 Untersuchungsbeispiele 84<br />

4.2.1 Filtergüte 85<br />

4.2.2 Winkelfehlerbelastung 85<br />

4.2.3 Physiologische Belastungsgrößen 86<br />

4.3 Explizite Untersuchung: Filtergüte und Stereoseparation 87<br />

4.3.1 Theoretische Voraussetzungen 87<br />

4.3.2 Untersuchungsmethoden 90<br />

4.3.3 Versuchsaufbau 94<br />

4.3.4 Auswertung, Ergebnisse 97<br />

4.3.4.1 Filterklassifizierung 98<br />

4.3.4.2 Phänomenanalyse und Konsequenzen 104<br />

5 Ausblicke 108<br />

II Zusammenfassung 111<br />

III Quellenverzeichnis 112<br />

IV Abbildungsverzeichnis 116<br />

V Anhänge 119<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

I Einleitung<br />

In einem Zeitalter rasanter technologischer Fortschritte, in dem sich Innovationszyklen ebenso<br />

verkürzen, wie ungeahnte technische Möglichkeiten entstehen, drängen immer häufiger vor<br />

allem ökonomische Richtgrößen die vielleicht wesentlichste Komponente im Geflecht der<br />

Dinge in den Hintergrund: den Menschen. Dabei ist gerade er es, der sich mit den neuesten<br />

Errungenschaften auseinandersetzen muss, mit ihnen lebt und arbeitet, aber auch <strong>von</strong> ihnen<br />

beeinflusst wird. Um so bedeutsamer ist es, sein Wesen, seine Fähigkeiten und seine Grenzen<br />

in die verschiedenen Entwicklungsprozesse einzubinden.<br />

Für ein derartiges Vorgehen ist jedoch die Existenz gemeinsamer normativer Grundlagen eine<br />

notwendige Voraussetzung. Dieses essentielle Fundament zu schaffen, muss, je innovativer<br />

das betreffende Objekt ist, neben der eigentlichen technologischen Entwicklung das<br />

vorrangige Ziel <strong>von</strong> Wissenschaftlern und Ingenieuren sein. Insbesondere die Erreichung<br />

einer allgemeinumfassenden Akzeptanz spielt in diesem Zusammenhang, d.h. in Hinblick auf<br />

eine spätere erfolgreiche Vermarktung eine ganz entscheidende Rolle.<br />

Als geradezu idealtypisch für ein solch hochinnovatives Objekt ist ein revolutionäres<br />

Technologiekonstrukt anzusehen, dass Vielen unter dem Begriff <strong>VR</strong> – Virtual Reality –<br />

bekannt ist. Hier treffen so unterschiedliche Aspekte <strong>von</strong> Technik, Arbeit, Psychologie und<br />

Ökonomie aufeinander, dass ein differenziertes, systematisches Vorgehen <strong>zur</strong> angemessenen<br />

Berücksichtigung der Größe Mensch stets angestrebt werden muss. Dies gilt insbesondere für<br />

die Untersuchung der Referenzsysteme am Fraunhofer IAO und der damit verbundenen<br />

Herausarbeitung <strong>von</strong> spezifischen, <strong>ergonomischen</strong> Relevanzen. Der Gliederungspunkt 1,<br />

später auch 2, wird diese Thematik ausführlich diskutieren.<br />

Aufbauend auf diesen theoretischen Vorbetrachtungen soll die Definition ergonomischer<br />

Anforderungen an <strong>VR</strong>-Systeme, entweder auf Basis z.B. bestehenden Normenmaterials oder<br />

gestützt auf explizit zu gewinnende Studienergebnisse erfolgen. Hierzu müssen einerseits<br />

Vorgehensweisen erarbeitet und überprüft, sowie konkrete Kataloge für die verschiedenen<br />

Anforderungsklassen erstellt werden. Weiterhin sollen Konzepte <strong>zur</strong> gezielten Verbesserung<br />

defizitärer Systeme entwickelt, sowie in exemplarischen Fällen angewandt werden.<br />

Gliederungspunkt 2 spielt für diese Aufgaben die zentrale Rolle.<br />

Um nun die bis dato durchgeführten Prozessschritte in Form <strong>von</strong> universellen Systematiken<br />

für eine generische Benutzung bereitzustellen, muss deren VDI-konforme Synthese erfolgen.<br />

Hierzu sei in allen notwendigen Details auf den Gliederungspunkt 3 verwiesen, der sowohl<br />

für die Anforderungs- und Maßnahmenerhebung, als auch für die ergonomiebezogene <strong>VR</strong>-<br />

Systembewertung die entsprechenden Werkzeuge herleitet.<br />

In Gliederungspunkt 4 wird schließlich ein besonders wichtiger Problemfall (Filtergüte und<br />

Stereoseparation) zum Anlass genommen, die später fortzuführenden, vielfältigen,<br />

praktischen Studien einzuleiten. Aber auch, um zu zeigen, dass im Bereich der <strong>VR</strong>-<br />

Ergonomie trotz anspruchsvollster Technologien noch immer erhebliche Defizite bestehen –<br />

der Mensch als wesentliches Element des Ganzen vernachlässigt wird.<br />

Diese Arbeit soll also nicht nur wissenschaftlicher Analysator, sondern auch Impulsgeber<br />

sein, sich der Tatsache bewusst zu werden, gerade angesichts scheinbar unbegrenzter<br />

technologischer Möglichkeiten die Notwendigkeit ganzheitlicher Betrachtungen nicht außer<br />

Acht zu lassen.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

1 Theoretische Vorbetrachtung<br />

Zum allgemeinen Verständnis der Thematik ist es notwendig, eine Reihe <strong>von</strong> theoretischen<br />

Vorbetrachtungen anzustellen, die Rahmenbedingungen zu beleuchten und so den Grundstein<br />

für das weitere Vorgehen innerhalb dieser Diplomarbeit zu legen.<br />

Zunächst findet eine Einordnung des Begriffs Ergonomie in die Arbeitswissenschaft statt.<br />

Danach wird sowohl der technische Background bezüglich virtueller, immersiver<br />

Umgebungen geschaffen, als auch eine umfassende Begriffsklärung durchgeführt.<br />

Schließlich wird die Betrachtung <strong>von</strong> Ergonomie in virtuellen, immersiven Umgebungen als<br />

völlig neues Forschungsobjekt charakterisiert und so die Eröffnung des Gliederungspunktes 2<br />

formuliert.<br />

1.1 Arbeitswissenschaft<br />

Bei der Arbeitswissenschaft handelt es sich um eine recht junge Forschungsdisziplin, die sich<br />

jedoch etablierter Geistes-, Naturwissenschaften bedient. Erst mit dem deutlich zunehmenden<br />

Industrialisierungsprozess in den letzten hundert Jahren wurde die Arbeit selbst Objekt<br />

wissenschaftlicher Bemühungen. Auslösendes Moment war vor allem das stetig steigende<br />

Problembewusstsein im Zusammenhang mit arbeitenden Menschen und der Bedarf, die Arbeit<br />

unter humanistischen („Arbeit als Einsatz menschlicher Ressourcen“) und rationalisierenden<br />

(„Arbeit als Herstellen“) Aspekten zu sehen. [1, S. 5f.] Arbeit soll also zu gleich human und<br />

effizient sein.<br />

Doch wofür steht der Begriff „Arbeit“ in diesem Kontext? Wladimir Eliasberg formulierte<br />

1926 dazu: „Arbeit ist eine innere und äußere Anstrengung, durch welche Werte geschaffen<br />

werden sollen, als ein Begriff aus der geistigen Sphäre des Seelenlebens. Motivation, Werk<br />

und Wert ergeben die Arbeit.“ Arbeit findet also zweckgebunden und mit der Ausrichtung auf<br />

bestimmte Ziele statt, wobei es dem arbeitenden Menschen direkt oder indirekt v.a. um die<br />

Existenzerhaltung geht. [2, S. 1] Ansätze jüngerer Forschungen zu diesem Thema sprechen<br />

der Arbeit überdies eine essentielle soziale Bedeutung, gleichsam eines Grundbedürfnisses,<br />

zu.<br />

Aus diesen Vorüberlegungen heraus ergibt sich für die Arbeitswissenschaft die Forderung<br />

nach definierten Beurteilungs- und <strong>Gestaltung</strong>sregeln. Dazu geht sie <strong>von</strong> dem in der<br />

nachstehenden Grafik dargestellten Arbeitssystem aus.<br />

Abb. 1, Arbeitssystem<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Als Konsequenz aus diesem System ergeht folgende „Kerndefinition der Arbeitswissenschaft“<br />

nach Luczak und Volpert (1987): „Arbeitswissenschaft ist die Systematik der Analyse,<br />

Ordnung und <strong>Gestaltung</strong> der technischen, organisatorischen und sozialen Bedingungen <strong>von</strong><br />

Arbeitsprozessen mit dem Ziel, dass die arbeitenden Menschen in produktiven und effizienten<br />

Arbeitsprozessen<br />

• schädigungslose, ausführbare, erträgliche u. beeinträchtigungsfreie Arbeitsbed. vorfinden,<br />

• Standards sozialer Angemessenheit nach Arbeitsinhalt, Arbeitsaufgabe, Arbeitsumgebung<br />

sowie Entlohung und Kooperation erfüllt sehen, sowie<br />

• Handlungsspielräume entfalten, Fähigkeiten erwerben und in Kooperation mit anderen<br />

ihre Persönlichkeit erhalten und entwickeln können.“<br />

Im Zentrum arbeitswissenschaftlicher Betrachtungen steht schlussendlich immer der Mensch,<br />

wodurch die Arbeitswissenschaft zu einer „Erfahrungswissenschaft“ wird. [2, S. 1] Mit dem<br />

Menschen als Mittelpunkt versucht sie Arbeitsmittel, Arbeitsplätze, die Arbeitsumgebung und<br />

–organisation, aber auch Produkte und Unternehmen zu beeinflussen. Sie ist also<br />

zwangsläufig Teil des sog. Technologiemanagements und erhält damit neben der humanen<br />

auch eine wirtschaftliche Bedeutung, die in zunehmendem Maße relevanter wird.<br />

Die zentrale Ausrichtung auf den Menschen ist jedoch nicht unidirektional. Vielmehr findet<br />

eine iterative Rückkopplung statt, die auch den Menschen an die Arbeit anpasst. Dies passiert<br />

vornehmlich in Form <strong>von</strong> persönlichem Einsatz und Ausbildung. Auch die Menschen<br />

untereinander stehen in Beziehung und machen so einen erheblichen Teil des Gesamtsystems<br />

Arbeit aus. Die Anpassung unter den Menschen erfolgt vorwiegend nur indirekt über<br />

organisatorische und technische Arbeitsbedingungen. [3]<br />

Um Arbeit auf den Menschen bezogen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten bewerten zu<br />

können, haben Luczak u.a. (1987) eine Hierarchie <strong>von</strong> Kriterien aufgestellt. Diese<br />

Bewertungshierarchie wird nach dem Prinzip angewandt, dass die Kriterien der niedrigeren<br />

Stufen erfüllt sein müssen, um das Tor für höhergelagerte zu öffnen. Sie ist überdies ein<br />

bedeutender Ansatzpunkt für die Ergonomie.<br />

Abb. 2, Bewertungshierarchie<br />

Schädigungslosigkeit<br />

• keine Verletzung physiologischer und<br />

ökologischer Prinzipien<br />

• problemfreie Mehrfachausführbarkeit<br />

Ausführbarkeit<br />

• keine Überschreitung biomechanischer<br />

oder mentaler Grenzen des Arbeitenden<br />

Zumutbarkeit<br />

• Bewahrung eines individuellen<br />

Arbeitsgestaltungsspielraums<br />

Zufriedenheit<br />

• arbeitspsychologisch orientierte<br />

Persönlichkeitsförderung<br />

• u.a. Anerkennung, Motivation, Entlohung,<br />

Führungsverhalten der Vorgesetzten etc.<br />

Sozialverträglichkeit<br />

• Beteiligung der Arbeitenden an der<br />

kooperativen Organisation <strong>von</strong> Produktion<br />

und / oder Dienstleistungen<br />

• Stichwort: Gruppenarbeit<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Auch im Arbeitsrecht schlägt sich die Arbeitswissenschaft spürbar nieder. Bedeutendstes<br />

Indiz dafür ist die Forderung nach „gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen“ in<br />

vielen der Richtlinien, Normen und Gesetze, die sich auch mit der gesellschaftlichen<br />

Relevanz dieses Themas umfassend auseinandersetzen. Um einen kleinen Einblick<br />

dahingehend zu erlangen, sollen nachfolgend kurz die wichtigsten Gesetze und<br />

Regelungskonstrukte benannt werden.<br />

gesellsch.bez. Arbeitsschutz<br />

• Betriebsverfassungsgesetz<br />

• Mitbestimmungsgesetz<br />

• Urlaubsgesetz<br />

• Mutterschutzgesetz<br />

• Jugendschutzgesetz<br />

tätigkeitsbez. Arbeitsschutz<br />

• Arbeitssicherheitsgesetz<br />

• Arbeitsstättenverordnung<br />

• Gefahrenstoffverordnung<br />

• Unfallverhütungsvorschr.<br />

• Arbeitszeitordnung<br />

industr. Standardisierungen<br />

• DIN/ISO-Normen<br />

• VDI-Richtlinien<br />

• EG-Maschinenrichtlinien<br />

• TÜV-Prüfungen<br />

• Berufsgenossensch. (BG-)<br />

Richtlinien<br />

Weitere Fachgebiete, die eng mit der Arbeitswissenschaft zusammenhängen, sind z.B.<br />

Arbeitspsychologie, Arbeitspädagogik (Berufspädagogik), Arbeitssoziologie (Betriebs- und<br />

Industriesoziologie), Arbeitsphysiologie und Arbeitsmedizin. [1, S. 10]<br />

Nach diesem kurzen und konzentrierten Blick in die Arbeitswissenschaft werden nun ihre<br />

beiden inhaltlichen Schwerpunkte näher betrachtet: die Ergonomie und die Arbeitsgestaltung.<br />

1.1.1 Ergonomie<br />

Der Begriff „Ergonomie“ entstammt dem Altgriechischen und ist zusammengesetzt aus<br />

„Ergon“ (Arbeit) und „Nomos“ (Gesetz). In das moderne Umfeld eingeführt wurde er in den<br />

50er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als eine Gruppe englischer Wissenschaftler um Murrell <strong>zur</strong><br />

Untersuchung der Problemstellungen menschlichen Arbeitens eine Forschungsgesellschaft<br />

unter dem Namen „Ergonomics Research Society“ gründeten. Als die entscheidenden<br />

„Mutterwissenschaften“ galten und gelten v.a. die Physiologie, die Psychologie und die<br />

funktionelle Anatomie. Nochmals eine Bekräftigung des o.g. Ansatzes, dass <strong>von</strong> Anfang an<br />

darauf gesetzt wurde, klassische „naturwissenschaftlich arbeitende Humanwissenschaften“ in<br />

einer neuen Form zu vereinen. [4, S. 125] Inhaltlich ähnliche Überlegungen können bei<br />

historischer Betrachtung noch etwas früher datiert werden. So formulierte der russische<br />

Psychologe Mjasischtschew 1921 den Vorschlag, die <strong>von</strong> ihm benannte „Lehre <strong>von</strong> der Arbeit<br />

des Menschen“ mit „Ergologie“ zu bezeichnen. Im gleichen Jahr kreiert Bechterew den<br />

Begriff „Ergonologie“, mit der klaren Basisvision <strong>von</strong> den heute weitläufig bekannten<br />

Hauptzielen der Ergonomie.<br />

Da die Bezeichnung „Lehre <strong>von</strong> der Arbeit des Menschen“ jedoch <strong>zur</strong> alleinigen<br />

Charakterisierung der heutigen Betätigungsfelder <strong>von</strong> Ergonomie nicht mehr genügt, kann<br />

man nach Hans-Jörg Bullinger (1994) folgendes festhalten: „Ergonomie ist die Wissenschaft<br />

<strong>von</strong> der Anpassung der Technik an den Menschen <strong>zur</strong> Erleichterung der Arbeit. Das Ziel, die<br />

Belastung des arbeitenden Menschen so ausgewogen wie möglich zu halten, wird unter<br />

Einsatz technischer, medizinischer, psychologischer sowie sozialer und ökologischer<br />

Erkenntnisse angestrebt.“ Es zeigt sich nicht zuletzt an der Vielzahl <strong>von</strong> relevanten<br />

Partnergebieten, wie groß die Bedeutung der Ergonomie inzwischen geworden ist. Dies sind<br />

insbesondere:<br />

• Arbeitsphysiologie<br />

• Arbeitspsychologie<br />

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• Arbeitsumgebungsgestaltung<br />

• Arbeitsplatzgestaltung<br />

• Integrierte Produktgestaltung<br />

• Mensch-Maschine-Schnittstellen.<br />

Dabei ist es völlig irrelevant, in welchen Bereichen ein Mensch arbeitet. Die Grundideen der<br />

Ergonomie gelten genauso für Rennfahrer, wie für ganz normale Bürokräfte. Allerdings ergibt<br />

sich schon aus dieser Feststellung, dass es spezifische Ansätze für quasi jeden Arbeitsplatz<br />

geben muss. Dieser Forderung wird durch das Vorhandensein eines sehr umfangreichen<br />

Normen- und Richtlinienrepertoires auf nahezu jedem erdenkbaren Gebiet Rechnung<br />

getragen. Aber es gibt auch Defizite. Je jünger die betreffende Technologie, desto größer der<br />

Mangel an fundierten <strong>Gestaltung</strong>s- und Handhabungsvorschlägen. V.a. der Gliederungspunkt<br />

2 wird sich speziell mit dieser Thematik beschäftigen.<br />

Schlussendlich versteht sich die Ergonomie heutzutage als eine Wissenschaft, „<strong>von</strong> der<br />

Erkenntnisse und Regeln <strong>zur</strong> Beurteilung und <strong>Gestaltung</strong> menschlicher Arbeit entwickelt und<br />

angeboten werden“. [5] Ein weiterer wesentlicher Fakt dieser Diplomarbeit, bezogen auf das<br />

Anwendungsfeld <strong>VR</strong>..<br />

1.1.2 Arbeitsgestaltung<br />

Die Arbeitsgestaltung oder auch Anthropotechnik [4, S. 129] beschäftigt sich hauptsächlich<br />

mit der Analyse, <strong>Gestaltung</strong> und Bewertung <strong>von</strong> Mensch-Maschine-<strong>Systemen</strong>. Dabei besteht<br />

das Ziel in der Optimierung bezüglich „Leistung, Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit und<br />

Arbeitsbefriedigung durch Anpassung der Technik an den Menschen“. [6] Diese Zielsetzung<br />

verlangt eine stark ingenieurmäßige Ausrichtung auf arbeitswissenschaftliche Aspekte und<br />

liefert demnach ein angemessenes „Methodeninventar“, das beispielsweise in die<br />

Systemtechnik einfließen kann. Begriffe wie „Human Factors Engineering“ und „Human-<br />

Machine Systems“ sind Äquivalente im englischsprachigen Raum.<br />

Erstmals ernsthaft zum Tragen gekommen ist die Arbeitsgestaltung im 2. Weltkrieg. So<br />

wurde untersucht, warum es insbesondere bei der Benutzung komplexer Waffensysteme<br />

immer wieder zu Handhabungsfehlern und schweren Unfällen kam. Ab Mitte der 60er Jahre<br />

wurde zunehmend die <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> Arbeitsplätzen, Anzeigen und Bedienelementen<br />

bedeutsamer. Mit den Anfängen der Rechnertechnik in den frühen 70ern rückten schließlich<br />

<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> Mensch-Rechner-Interaktion (HCI: Human-Computer Interaction) in den<br />

Mittelpunkt. Inzwischen agiert die Arbeitsgestaltung nicht nur auf diesem Gebiet, sondern<br />

beschäftigt sich v.a. mit dem Zusammenwirken zwischen Menschen und intelligenten bzw.<br />

teilautonomen Automaten. Dabei fließen stärker denn je die kognitiven Eigenschaften und<br />

physiologischen Fähigkeiten des Menschen in den <strong>Systemen</strong>twurf mit ein. [4, S. 130]<br />

Bezogen auf virtuelle, immersive Umgebungen eröffnet sich hierdurch ein Spektrum<br />

anthropotechnischer <strong>Gestaltung</strong>smöglichkeiten u.a. bei der Schnittstellentechnik, der<br />

Informationsein-/ausgabe, der Softwaregestaltung in Bezug auf Benutzungsdialoge,<br />

Handhabungsweisen, Funktionsaufteilungen zwischen Mensch und Automatik u.v.m. Auch<br />

damit wird sich speziell der Gliederungspunkt 2 auseinandersetzen.<br />

Neben diesen Faktoren und in Erweiterung des o.G. finden sich in der wissenschaftlichen<br />

Literatur [2, S. 4f.] noch eine Reihe weiterer bedeutenden Aufgabenbreichen der<br />

Arbeitsgestaltung:<br />

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• Analyse <strong>von</strong> Arbeitstätigkeiten<br />

• Analyse und Planung <strong>von</strong> Produktionsstrukturen<br />

• <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> Arbeitsinhalten und -systemen<br />

• Auslegung <strong>von</strong> Systemkomponenten<br />

• Integration <strong>von</strong> Aufgabenbereichen<br />

• Arbeitsbewertung<br />

• Personal- und Qualifikationsentwicklung<br />

• Arbeitszeit- und Arbeitslohngestaltung<br />

Daraus lässt sich erkennen, dass ein großer Bereich der Arbeitsgestaltung unter<br />

arbeitswissenschaftlichen Gesichtspunkten die Ergonomie logisch umschließt. Sie etabliert<br />

die Ergebnisse ergonomischer Betrachtungen und sorgt für eine sach- und zeitgemäße<br />

Realisierung. Zudem darf man da<strong>von</strong> ausgehen, dass aus der sehr engen Verwandtschaft<br />

zwischen der Ergonomie und des entsprechenden Themenkomplexes der Arbeitsgestaltung<br />

auf absehbare Zeit eine zunehmenden Integration resultieren wird. In der Literatur spricht<br />

man z.T. schon heute an mehren Stellen häufig nur noch <strong>von</strong> Ergonomie, selbst wenn es um<br />

Belange der Arbeitsgestaltung im herkömmlichen Sinne geht.<br />

1.2 <strong>VR</strong>/VE<br />

<strong>VR</strong> – Abbreviatur, Oxymoron und Synonym zugleich. Primär steht <strong>VR</strong> natürlich für nichts<br />

Geringeres als Virtual Reality / Virtuelle Realität - die Verbegrifflichung <strong>von</strong> weit mehr als<br />

nur einer technischen Entwicklung. Geprägt wurde sie erstmals Ende der 80er Jahre durch<br />

Jaron Lanier, der durch sie dem Aufkommen computergenerierter Welten und interaktiver<br />

Mensch-Maschine-Schnittstellen begegnete. Bis dato existierten weitere Wendungen, wie<br />

„Computer Simulation“, „Artificial Reality“, „Virtual Environments“, „Augmented Reality“<br />

(heutige Bedeutung: Compositings aus realen und eingeflochtenen virtuellen Darstellungen),<br />

„Cyberspace“ etc., doch setzte sich v.a. im populären Umfeld „Virtual Reality“ durch. Dies<br />

liege daran, dass jener Begriff eine technologische Zukunft definiere, ein Ziel, auf das es<br />

hinzuarbeiten gelte: die virtuelle Realität, so Boccia, Kim & Levy. [7, S. 4] Zudem beschreibt<br />

das Synonym <strong>VR</strong> auch einen Wunsch. Den Wunsch, etwas Virtuelles, etwas Künstliches zu<br />

schaffen, das ein wahrhaftiges Realitätsempfinden beim Rezipienten hervorruft. Etwas<br />

Nichtexistentes soll erfahrbar werden, ähnlich wie ein Traum, der täuschend echt die Sinne<br />

umschmeichelt. <strong>VR</strong> entsteht also nicht zuletzt im Kopf des Betrachters.<br />

Weit kritischer bewertet ein weites Feld der Spezialisten, darunter renommierte<br />

Wissenschaftler wie Biocca und Blascovich, den Begriff „Virtual Reality“. Man unterstellt<br />

ihm das Wesen eines Oxymorons, eines Widerspruches in sich [7, S. 6] und lehnt ihn deshalb<br />

weitestgehend ab. Stattdessen sei der wesentlich generischere Begriff „Virtual Environments“<br />

(VE) im professionellen Umfeld weit verbreitet und beschreibe deutlich treffender, worum es<br />

der Technologie gehe. [8] Nämlich nicht nur darum, möglichst real wirkende Abbilder der<br />

wirklichen Welt zu erschaffen und erlebbar zu machen, sondern u.a. abstrahierte Prozesse,<br />

Datenrepräsentationen oder Objekte, die bisher überhaupt nicht in der realen Welt existierten,<br />

virtuell, also computergestützt, darzustellen, interaktiv zu entwickeln, zu explorieren und zu<br />

bewerten.<br />

Der Bedeutungsgehalt <strong>von</strong> VE geht jedoch noch weit über diesen Ansatz hinaus.<br />

Fortschreitend wurden in der Vergangenheit verschiedene zuvor autark betrachtete Felder<br />

unter dem Begriff VE zusammengefasst. So steht VE heute neben der o.g. erfahrbaren<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

virtuellen Repräsentation, dem eigentlichen kognitiven Wahrnehmen/Erleben (vgl. 1.3),<br />

insbesondere auch für die zugehörige Software- bzw. Hardware-Umgebung. Diese<br />

Umgebungen sind i.d.R. hochintegriert, sehr anwendungsspezifisch und können demzufolge<br />

in ihrem Systemdesign extrem facettenreich ausfallen. Gemein ist den vielen virtuellen,<br />

immersiven Umgebungen die allgemeine Grundstruktur. So werden sie im Normalfall<br />

gekennzeichnet durch:<br />

• Grafikrechner und –software (vgl. 1.2.1)<br />

• Ein- und Ausgabegeräte (vgl. 1.2.2 und 1.2.3)<br />

• spezifische 3D-Wahrnehmungsanforderungen und -prozesse (vgl. 1.2.4)<br />

• eventuell erweiterte multimodale Rückkopplungssysteme (taktil, olfaktorisch etc.).<br />

Beispielhafte Gesamtsysteme und ihre Einsatzbereiche werden unter 1.2.5 vorgestellt. Wie<br />

virtuelle Umgebungen, u.a. gemessen an den o.g. Charakteristika, anwendungsbezogen<br />

bewertet werden können, ist Inhalt der Systematisierungsentwicklung unter Gliederungspunkt<br />

3.<br />

Abschließend sei zu diesem Abschnitt noch festgehalten, dass aus objektiver Sicht eine u.U.<br />

formulierbare stringente Forderung nach der Entscheidung zugunsten einer der beiden o.g.<br />

Formulierungen (<strong>VR</strong>,VE) im Rahmen dieser Arbeit auch vom wissenschaftlicher Standpunkt<br />

her nur wenig Sinn machen würde. Ergo wird in den nachfolgenden Ausführungen weiterhin<br />

wertungsfrei und kontextbedingt auf den entsprechenden Begriff <strong>zur</strong>ückgegriffen. Trotz der<br />

vielen Berührungspunkte, die es zweifelsohne gibt, sind die relevanten Spezifika beiderseits<br />

einfach <strong>von</strong> zu großer Bedeutung - ob nun rein technischer- oder symbolischerseits.<br />

Abb. 3, Beispielhaftes VE-System<br />

Nachdem die begriffliche Erklärung abgeschlossen ist, stellt sich ebenso die Frage nach dem<br />

Warum <strong>von</strong> <strong>VR</strong>. Wieso beschäftigt man sich überhaupt damit? Worin liegt ihre<br />

Kernbedeutung? Allein zu diesem Thema könnte man sicherlich umfassend diskutieren,<br />

sowohl bezüglich technologischer und wirtschaftlicher Belange, als auch den soziologischen,<br />

psychologischen und philosophischen Ansätzen Rechnung tragend. Da sich diese<br />

Diplomarbeit aber nur am Rande mit den o.g. Themen beschäftigt, sei an dieser Stelle nur die<br />

ökonomische Relevanz herausgestellt. So liegt die ausschlaggebende Bedeutung <strong>von</strong> <strong>VR</strong> v.a.<br />

in folgenden Vorteilen:<br />

• 1-zu-1-Darstellung auch <strong>von</strong> größeren Objekten; dadurch gewohnte Wahrnehmung,<br />

gewohnte Proportionen<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

• bei großen Darstellungssystemen (vgl. 1.2.3) Betrachtung auch durch mehrere Personen<br />

gleichzeitig möglich; dadurch Diskussionspotentiale noch während der Interaktion<br />

• stereoskopische Betrachtungsmöglichkeit; dadurch natürlicheres Erleben, gewohnte<br />

Umgebung<br />

• Objekte in bestimmten <strong>Systemen</strong> be-/umgehbar (z.B. CAVE, vgl. 1.2.5), dadurch<br />

natürliche Erfahrbarkeit (z.B. Architektur, Interieurs)<br />

• qualifiziert realitätsnahe Verifizierung <strong>von</strong> CAD-Modellen aus z.B. Technik, Innen-<br />

/Außenarchitektur, Stadt-/Landschaftsplanung; dadurch gravierende Rationalisierung und<br />

Effizienzsteigerung bei Entwurfs-/Entwicklungsprozessen (virtual prototyping, virtual<br />

mock-ups)<br />

• Ausbildung <strong>von</strong> Ärzten, Ingenieuren, Mechanikern etc. beispielsweise durch Augmented-<br />

Reality (mit spezifischen Eingabe-/Arbeitsgeräten) und der mit ihr verbundenen stark<br />

realitätsverwandten Tätigkeitssimulation<br />

• Prozessplanung & -integration z.B. in Zusammenhang mit effizienter Produktentwicklung<br />

durch Kopplung <strong>von</strong> Entwurf, Design und Verifikation<br />

• beeindruckendes Marketingtool <strong>zur</strong> <strong>Gestaltung</strong> überzeugende Präsentationen und<br />

ungeahnt effektiver Wirkungsverstärkungen (z.B. virtual conferences)<br />

• Entertainment in allen Facetten (TV, Games, Information etc.)<br />

• Einsatz <strong>von</strong> Trackingsystemen (vgl. 1.2.2); dadurch gewohnte Reaktion der VE auf<br />

Positionsänderungen, Kopfdrehungen, Handbewegungen etc. <strong>zur</strong> Förderung des<br />

natürlichen Interaktionsempfindens<br />

• Militär (Zusatzinfos über spezielle Display z.B. in Kampfhubschraubern)<br />

Nach der allgemeinen Begriffs- und Sinnbetrachtung werden nun die wichtigsten<br />

gemeinsamen Systemelemente vorgestellt, auf die auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit<br />

Bezug genommen wird. Dabei wird der Umfang insofern eingeschränkt, dass nur die<br />

allgemein relevanten Komponenten beleuchtet werden.<br />

1.2.1 Grafikrechner<br />

Im sog. „Grafikrechner“ findet jede virtuelle Umgebung über der Hardware gelagert ihr<br />

softwaremäßiges Zentrum, das Daten der Ein- und Ausgabegeräte applikationsspezifisch<br />

interpretiert, verarbeitet und so ggf. die erwünschte Interaktion ermöglicht. Dabei werden die<br />

<strong>von</strong> den Eingabegeräten (vgl. 1.2.2) bereitgestellten und z.B. aus Objektdatenbanken<br />

bezogenen Daten synchronisiert, über z.B. eine entsprechenden 3D-Anwendung verrechnet<br />

(dynamisches Echtzeit-Szenenrendering), für die Ausgabe vorbereitet und auf den<br />

systemabhängigen Ausgabegeräten (vgl. 1.2.3) repräsentiert. Dieser Kommunikationsprozess<br />

(Mensch ↔ VE) erfolgt im Idealfall kontinuierlich und schafft dadurch für den/die Benutzer<br />

der VE aufgrund der direkten Umsetzung des Umgangs mit den Eingabegeräten in eine<br />

visuelle Rückkopplung den Eindruck der unmittelbaren Interaktion.<br />

Abb. 4, <strong>VR</strong>-Struktur<br />

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Der Eindruck des zielgemäßen multimodalen sensorischen Erfahrens/Erlebens der virtuellen<br />

Umgebung (vgl. 1.3) ist somit extrem <strong>von</strong> den technischen Eigenschaften des gesamten VE-<br />

Systems abhängig, sowohl software-, als auch hardwareseitig. Je komplexer die virtuelle<br />

Szene, je mehr Ein- und Ausgabegrößen berücksichtig werden müssen, desto mehr<br />

Rechenleistung und geschwindigkeitsoptimierte Hardware ist notwendig. Jene ist jedoch nicht<br />

immer verfügbar und so entstehen schnell Engpässe in der <strong>VR</strong>-Pipeline. Welche<br />

Systemeigenschaften sich nun besonders auf Immersion (vgl. 1.3.1), Präsenz (vgl. 1.3.2) und<br />

somit auf die Systemqualität auswirken, seien nachfolgend aufgeführt:<br />

• Systemlatenz<br />

• Repräsentationsauflösung/-helligkeit/-kontrast/-farbechtheit<br />

• Bildwiederholfrequenz<br />

• Trackingintegration<br />

• Interaktionsschnittstellen<br />

• Rückkopplungssysteme<br />

• Verfügbarkeit<br />

• Software-/Hardwareergonomie<br />

Da auch für den Einsatz <strong>von</strong> VEs insbesondere finanzielle Rahmenbedingungen als nahezu<br />

unverrückbare Limiter fungieren, stellen heutige Systeme sehr häufig einen Kompromiss dar.<br />

Einerseits möchte man v.a. die Detailfülle aus Gründen der Immersionsförderung so hoch wie<br />

möglich halten, aber auf der anderen Seite immer noch eine akzeptierbar geringe<br />

Systemlatenz bei möglichst guter visueller Qualität erreichen – und das bei vorgegebener<br />

knapper Rechenleistung. Ein hoher Anspruch, nicht zuletzt an die <strong>VR</strong>-Software!<br />

Dank der Forschungen am Fraunhofer IAO ist es jedoch gelungen, die bei wirtschaftlich sehr<br />

bedeutsamen großflächigen Mehrwandprojektionen übliche Architektur einer sehr<br />

kostenintensiven monolithischen Multipipe-Hochleistungsgrafikstation (SGI Onyx 3 IR3)<br />

durch ein skalierbares PC-Multi-Node-System (Unix-PC-Cluster) substituierbar zu machen.<br />

Damit besteht auf Anwenderseite die Möglichkeit einer äußerst flexiblen technologischen<br />

<strong>Gestaltung</strong> der persönlichen virtuellen Umgebung. [9]<br />

Abb. 5, Arbeit in Mehrwandprojektionsraum<br />

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Bei kleineren oder auch Desktopsystemen ist der Bedarf an Rechenleistung im Verhältnis<br />

deutlich geringer. Daher kommen dort entweder kleinere SGI-Grafikstationen oder<br />

entsprechend konfigurierte Einzel- oder Paar-PCs (z.B. bei BARON oder HMD) zum Einsatz.<br />

Wie die Konfigurationen im einzelnen aussehen, ist anwendungs- und anforderungsabhängig.<br />

1.2.2 Eingabegeräte<br />

Die Eingabegeräte - oder vielmehr Mensch-Maschine-Schnittstellen - sind die entscheidenden<br />

Kommunikationsmittel innerhalb einer VE, die es dem Nutzer erst ermöglichen, das virtuelle<br />

Umfeld zu manipulieren, zu explorieren, mit ihm zu interagieren. Grundsätzlich unterscheidet<br />

man zunächst Eingabegeräte mit diskreter oder kontinuierlicher Signalerzeugung.<br />

Unter diskreter Signalerzeugung versteht man die systemseitige Binärimpulsveranlassung<br />

(gedrückt – nicht gedrückt) auf ein eindeutiges Ereignis hin. Solche Ereignisse können sein:<br />

• Tastendruck (z.B. Tasten <strong>von</strong> 3D-Mouse/-Joystick, Tastatur)<br />

• Berührung (z.B. kapazitive Touchscreens, Sensorfolien)<br />

• direkter elektrischer Kontakt (z.B. Fußkontakte, PinchGlove – „Handschuhe“ mit der<br />

Möglichkeit der elektrischen Signalerzeugung durch Zusammenführen zweier Finger)<br />

Problem bei allen elektrokontaktorientierten Eingabegeräten ist die Tatsache, dass sie<br />

„getragen“, also „angezogen“ werden müssen. Vor allem im Mehrbenutzerbetrieb sowohl<br />

ergonomisch (Passform für Hand-/Schuhe etc.), als auch hygienisch u.U. problematisch.<br />

Darüber hinaus sind freiliegend nutzbare Kontakte stets besonderen Beanspruchungen<br />

unterworfen.<br />

Der Hauptvorteil diskreter Eingabegeräte liegt vornehmlich darin, dass die entsprechende<br />

Handhabung, v.a. aber die Ereigniserzeugung für Benutzer und Entwickler eindeutig, schnell<br />

auswert-/verarbeitbar sind und schlussendlich auch mit dem gewohnten Einsatz im<br />

„normalen“ täglichen Bildschirmarbeitsplatzumfeld korrelieren. Die Benutzung bedeutet also<br />

allgemein den Umgang mit Bekanntem, ein intensives Lernen ist nicht notwendig.<br />

Abb. 6, Auswahl diskreter Eingabegeräte<br />

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Unter den kontinuierlichen Eingabegeräten findet man jedoch viel „Unbekanntes“ vor.<br />

Zunächst bedeutet kontinuierlich, dass permanent Eingabedaten vom System eingelesen<br />

werden, die sich im Idealfall unverzüglich auf das <strong>VR</strong>-Erlebnis auswirken. Oberstes Ziel der<br />

kontinuierlichen Eingabeverarbeitung ist neben der technischen Effizienz die Ausrichtung auf<br />

die Nachbildung intuitiver Interaktionsmechanismen. Dazu zählen der Perspektivwechsel bei<br />

Blickrichtungsänderungen oder dem „Laufen um Objekte herum“ und die<br />

Positionsabhängigkeit handgeführter Eingabegeräte (z.B. Hornet, Mike). Das Hauptaugemerk<br />

sei deshalb an dieser Stelle auf das sog. „Tracking“ gerichtet. Tracking in VEs steht allgemein<br />

für das sensorische Erfassen kinematischer Eingaben (Bewegungen z.B. <strong>von</strong> Händen und<br />

Kopf) des Benutzers, im Idealfall in allen 6 Freiheitsgraden (6 DoF – 6 Degrees of Freedom;<br />

d.h.: Position im Raum [x,y,z] und Orientierung im Raum [3D-Richtungsvector, Rotation um<br />

x,y,z]). Dabei kann das Tracking elektromagnetisch, optisch, mechanisch, auf Trägheit oder<br />

Ultraschall basierend oder in Kombination der genannten erfolgen.<br />

Elektromagnetisches Tracking<br />

Hierbei wird <strong>von</strong> drei orthogonal angeordneten Emitterspulen im tatsächlichen<br />

Interaktionsraum ein elektromagnetisches Feld aufgebaut. Der u.a. mit drei analog<br />

angeordneten Empfangsspulen ausgestattete Sensor befindet sich z.B. im Hand- und/oder<br />

Stereosichtgerät (spezielle Brille, vgl. 1.2.4). Über die in diesen Empfangsspulen induzierte<br />

Spannung lassen sich nun Position und Lage (6 DoF) des Sensors über Feldstärke und –<br />

winkel relativ zum Emitter bestimmen. Zur Übertragung der vom Sensor aufgenommenen<br />

Daten wird abermals ein Sendesystem verwendet, welches der Benutzer beispielsweise in<br />

einem Rucksack mit sich führt.<br />

Grundsätzlich ist dieses System recht robust, hinreichend genau und gemäß aktueller<br />

Standards gesundheitlich unbedenklich. Verdeckungen der Sensoren oder Emitter spielen<br />

keine Rolle. Problematisch verhält sich das System jedoch gegenüber magnetischen oder<br />

metallischen Oberflächen, durch die es zu Datenverfälschungen aufgrund <strong>von</strong> Streufeldern<br />

kommen kann. Auch emitterbedingte Magnetfeldschwankungen weisen ähnliche Phänomene<br />

auf. Aus der Forderung nach geeigneten Filtermaßnahmen <strong>zur</strong> Kompensation der genannten<br />

Störeinflüsse resultiert auch eine erhöhte Systemlatenz, die sich anwendungsabhängig<br />

durchaus störend auswirken kann. Aus ergonomischer Sicht ist insbesondere der erwähnte<br />

Rucksack ein Hindernis. In diesem müssen sowohl die <strong>von</strong> den Sensoren belieferte<br />

Sendeanlage, als auch die zugehörigen Akkus zum Betrieb <strong>von</strong> Sendeanlage und<br />

Eingabegeräten untergebracht werden. An einer kabellosen Variante wird noch gearbeitet.<br />

Abb.7, Komponenten für elektromagnetisches Tracking<br />

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Optisches Tracking<br />

Die zweite sehr wichtige Klasse <strong>von</strong> Trackingsystemen ist das optische Tracking. Häufig<br />

werden dazu Eingabegeräte oder Hilfsgeräte <strong>zur</strong> Stereosicht mit sog. entweder passiven<br />

„Targets“ (meist kleine weiße Kugeln) oder aktiven LEDs (Light Emitting Diods) versehen,<br />

die einfallendes Umgebungslicht reflektieren bzw. entsprechendes Licht aussenden. Dieses<br />

wird dann <strong>von</strong> Kameras erfasst und über eine Bilderkennungssoftware <strong>zur</strong> Positions- und<br />

Lagebestimmung (6 DoF) genutzt. Um nun eine 3-dimensionale Orientierung in allen sechs<br />

Freiheitsgraden zu ermöglichen, werden wenigstens zwei Kameras benötigt. Vier oder mehr<br />

kommen zum Einsatz, wenn eine erhöhte Trackinggenauigkeit/-verfügbarkeit bei<br />

vergrößertem Bewegungsraum erzielt werden soll.<br />

Die Verfügbarkeit ist insofern ein Problem, da es bei Verdeckungen der „Targets“ z.B. durch<br />

bestimmte Bewegungen zu Trackingsausfällen kommen kann. Das heißt, die Bewegungen der<br />

Benutzer sind allgemein gegenüber dem elektromagnetischen Tracking eingeschränkt.<br />

Dahingegen sind optische Systeme meist kabellos, unempfindlich gegenüber magnetischen<br />

Feldern, deutlich genauer und schneller als elektromagnetische Systeme.<br />

Abb. 8, Komponenten für optisches Tracking<br />

Mechanisches Tracking<br />

Diese Form das Trackings lässt sich <strong>zur</strong>ückführen auf bekannte haptische Eingabesysteme,<br />

wie Mouse, Trackball und Joystick. Hauptdefizit dieser Gerätetypen ist aber das Fehlen der<br />

räumlichen Orientierbarkeit, sie basieren ausschließlich auf einer 2-dimensionalen Eingabe. In<br />

Erweiterung dessen und die Forderung nach Intuitivität im Fokus wurden die ersten<br />

immersiven Eingabegeräte über kinematische Ketten realisiert.<br />

Abb. 9, Kinematische Kette „Phantom“<br />

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Dabei kommen Sensoren in den Gelenken der Kette zum Einsatz, deren Daten <strong>von</strong> der<br />

entsprechenden Applikation dazu verwendet werden können, um den Endpunkt der Kette zu<br />

kalkulieren. So konnten also zunächst Position (3 DoF), später Position und Lage (6 DoF)<br />

innerhalb eines kleineren Raumareals <strong>zur</strong> 3-dimensionalen Eingabe benutzt werden. Ergänzt<br />

wurde dieses System durch kleine Motoren in den Gelenken, die eine Kraftrückkopplung<br />

(Force Feedback) erlaubten. So ließen sich Begrenzungen und Oberflächen erfühlen und<br />

Vorgänge, wie Schaben, Bohren, Eindrücken etc. auf relativ realistische Art und Weise<br />

nachempfinden. Eine vollständig auf mechanischem Tracking basierende VE ist „BOOM“<br />

(„Binocular Omni Oriented Monitor“), ein an einem vollbeweglichen Schwenkarm<br />

angebrachtes HMD, z.T. mit Force Feedback ausgestattet (s.u. haptische Ausgabegeräte). [10]<br />

Abb. 10, BOOM<br />

Die zweifelsfreien Vorteile mechanischen Trackings liegen insbesondere in der sehr hohen<br />

Genauigkeit in kleinen Raumvolumina, der Geschwindigkeit, sowie der realitätsnahen<br />

haptischen bzw. kinästhetische Erfahrbarkeit. Auch spielen Verdeckungen oder<br />

elektromagnetische Störeinflüsse keine Rolle. [11] Das größte Manko hingegen ist die starke<br />

räumliche Begrenzung und die damit verbundene erhebliche Bewegungseinschränkung. Dies<br />

wiederum zieht Interaktionsverluste nach sich und ist auch einer der Hauptgründe dafür,<br />

weshalb solche Systeme, wenn überhaupt, dann nur noch in Verbindung mit Desktop-VEs<br />

zum Einsatz kommen.<br />

Tracking über Trägheitssensoren<br />

Das Arbeiten mit Trägheitsgrößen bietet v.a. eine kostengünstige und schnelle Möglichkeit,<br />

Trackingdaten zu ermitteln. Abhängig da<strong>von</strong>, ob es sich um ein 3-DoF- oder 6-DoF-Tracking<br />

handelt, werden entsprechend Beschleunigungsmesser (Accelerometer) und Kreisel<br />

(Gyroscope) oder elektronische Kompasse (trotz sehr hoher Genauigkeit mit 5 Hz Datenpush<br />

für viele Anwendungen allerdings zu langsam) eingesetzt. Sie dienen der Bestimmung der<br />

Position entlang bzw. der Rotation um eine Achse in jeweiliger orthogonaler Anordnung.<br />

Wobei sich herausgestellt habe, dass <strong>zur</strong> Rotations-, also Orientierungsbestimmung die<br />

Kreisel erheblich besser geeignet seien, als die Beschleunigungsmesser, deren Ausgangssignal<br />

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neben den eigenen Positionsdaten auch proportional abhängig die Winkelgeschwindigkeit<br />

ergebe. [12] Dennoch werden weiterhin Systeme getestet, die nur Beschleunigungsmesser<br />

enthalten. Übertragen werden die ermittelten Daten via Funk an eine separate Station, die<br />

wiederum über eine RS-232-Schnittstelle an einen Rechner angeschlossen ist. Dort werden<br />

die Daten analog zu den anderen Trackingsystemen verarbeitet.<br />

Hauptnachteil dieser Methode ist die Ungenauigkeit bei langsamen Bewegungen. Auch<br />

pflanzen sich Mess- und Berechnungsfehler kumulierend fort, sofern nicht häufig aufwendig<br />

rekalibriert wird. Dafür sind die Sensoren i.d.R. recht klein, es gibt keine<br />

Verdeckungsprobleme (vgl. z.B. Optisches Tracking), magnetische Interferenzen bleiben aus<br />

und die Bewegungsfreiheit bzw. –reichweite des Benutzers ist theoretisch unbegrenzt (Tragen<br />

des Trackers z.B. als Ring). [11] Hauptsächlich wird diese Form des Trackings in<br />

Kombination mit anderen, z.B. dem akustischen Tracking eingesetzt.<br />

Abb. 11, Komponenten für trägheitsorientiertes Tracking<br />

Akustisches Tracking<br />

Das akustische Tracking mittels Ultraschall (oberhalb 20 kHz) ist im Verhältnis ein recht<br />

einfaches Verfahren, das seine Wurzeln in der Seefahrt bzw. Natur (Fledermäuse, Delphine<br />

etc.) findet. Echolote werden schon sehr lange eingesetzt und funktionieren nach dem<br />

folgenden Prinzip: ein Sender sendet Schallimpulse aus, die <strong>von</strong> irgendeiner Oberfläche<br />

reflektiert und vom Empfänger wieder empfangen wird. Aus der Sende-Empfangs-<br />

Verzögerung, der Signalveränderung etc. können nun die Entfernung und Ausrichtung (6<br />

DoF) des Reflektors berechnet und ggf. Oberflächenbeschaffenheiten (für dieses Verfahren<br />

bislang irrelevant) bestimmt werden. Die Anwendung in VEs ist i.d.R. so konzipiert, dass es<br />

triangulär auswertbar drei Ultraschallemitter und entsprechend drei Mikrophone (angebracht<br />

am Benutzer oder Eingabegerät) gibt.<br />

Aber bereits in der Entfernungsbestimmung liegt der Hauptnachteil des akustischen<br />

Trackings. Aufgrund der Signallaufzeit (Quelle Reflexion Empfänger), die noch dazu<br />

entscheidend <strong>von</strong> Temperatur und Luftfeuchtigkeit beeinflusst wird, kommt es schnell zu<br />

Einschränkungen der Systemlatenz und ungenauen Messwerten. Darüber hinaus existieren<br />

hier ähnlich Verdeckungsprobleme, wie beim optischen Tracking. Auch Schallreflexionen<br />

(Echos „ghost pulses“ [11]) oder Schallinterferenzen können sich negativ auf die<br />

Messergebnisse auswirken. Ähnlich wie beim elektromagnetischen Tracking wird deshalb mit<br />

Filtern gearbeitet, die den Einfluss der zuletzt geschilderten Effekte minimieren sollen.<br />

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Entscheidende positive Faktoren des akustischen Trackings sind der sehr geringe Preis, die<br />

Unempfindlichkeit gegenüber elektromagnetischen Einflüssen, das geringe Gewicht der<br />

Sensoren und die gute Realisierbarkeit kabelloser Lösungen.<br />

Abb. 12, Komponenten für akustisches Tracking<br />

Hybrides Tracking<br />

Wie sich aus den obigen Trackingerläuterungen erkennen lässt, besitzt im Endeffekt jedes<br />

System seine spezifischen Stärken und Schwächen. Damit liegt es nahe, entsprechend<br />

sinnvolle Kombinationen (kombiniertes Tracking = Hybrides Tracking) zu etablieren. Im<br />

Zentrum der Betrachtungen stehen dabei neben Kosten- und Immersionsaspekten vor allem<br />

ergonomische Belange. Leider sind bislang entsprechende Umsetzungen hybrider<br />

Trackingsysteme zumeist nur in wissenschaftlichen Einrichtungen zu finden – sicherlich nicht<br />

selten aus Kostengründen.<br />

Neben dem diskreten und dem kontinuierlichen Eingeben <strong>von</strong> Daten in eine VE besteht noch<br />

die Möglichkeit der Eingabe über Sprach- und Gestenerkennung. Beide sind auf ihre Art<br />

symbolbasiert und werden nachfolgend kurz vorgestellt.<br />

Spracherkennung<br />

Vornehmlich aus dem Office-Bereich bekannt, ist Spracherkennung in VEs v.a. dann ein<br />

Thema, wenn beide Hände bereits mit Eingabegeräten belegt sind – wie bspw. während der<br />

Benutzung <strong>von</strong> Fahrsimulatoren. Um ohne Unterbrechungen jederzeit Befehle an das System<br />

absetzen oder auch alphanumerische Eingaben machen zu können, ist eine Nutzung der<br />

Sprache als zusätzlichem Inputkanal beinahe unumgänglich.<br />

Handicap ist dabei allerdings noch immer, dass das System die Sprache des aktuellen Nutzers<br />

erst „lernen“ muss und eine 100%ige Erkennungen nicht gesichert werden kann. Auch<br />

gestalten sich komplexere Anweisungen recht schwierig. Eine menügesteuerte Anwendung<br />

kann abhängig <strong>von</strong> der Implementierung der Spracherkennung in eine <strong>VR</strong>-Applikation<br />

durchaus integriert werden, wobei eine solche Konstellation nicht der Regelanwendung<br />

entspricht. Häufig müssen die Nutzer ein Vielzahl <strong>von</strong> Befehlen auswendig lernen, um in den<br />

entsprechenden Situationen mit der VE interagieren zu können.<br />

Aufgrund dessen hat sich die Spracheingabe als Zusatzmedium zu den anderen Formen v.a.<br />

<strong>zur</strong> Eingabe <strong>von</strong> kurzen Befehlen und begrenzter Alphanumerik in ansonsten ausgelasteten<br />

Eingabeumfeldern als nützlich erwiesen. Dennoch steht ein Durchbruch auf diesem Gebiet<br />

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aus. Das <strong>zur</strong> Eingabe notwendige Mikrofon wird am Körper des Nutzers angebracht. Je nach<br />

Größe des Mikrofons z.T. ergonomisch bedenklich.<br />

Gestenerkennung<br />

Hierbei kommt der sog. Datenhandschuh zum Einsatz. Über verschiedene Sensoren ist er in<br />

der Lage, Fingerstellungen und -bewegungen zu erkennen. Über diese Gesten können nun<br />

dank Bildverarbeitung Befehle an die Software übermittelt werden, die schließlich<br />

ausgewertet und entsprechend interpretiert werden.<br />

Abb. 13, Datenhandschuh<br />

Allerdings wird diese Ausprägung der Interaktion <strong>von</strong> den Benutzern als nur wenig intuitiv<br />

und schwer erlernbar beschrieben. Auch aus ergonomischer Sicht stellt sich der<br />

Datenhandschuh als grenzwertig heraus. Dies begründet sich einmal darin, dass einerseits nur<br />

Standardgrößen verfügbar sind und andererseits eine Reinigung nur sehr umständlich zu<br />

bewerkstelligen ist. Vermutlich liegt darin auch die Ursache, dass der Datenhandschuh im<br />

Grunde nicht mehr eingesetzt wird.<br />

Alternativ dazu bietet sich das „virtuelle Keyboard“ an. [13] Bei dieser Konfiguration wird<br />

um jede Hand kabellos eine Art große Spange/Klammer getragen, die recht genau<br />

Fingerbewegungen detektiert.<br />

Abb. 14, Senseboard<br />

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Der bisherige Einsatz konzentrierte sich auf die Palm-Welt (Kleinstcomputer ohne Tastatur).<br />

Einziger erwähnenswerter Nachteil am „virtuellen Keyboard“ ist die Voraussetzung des<br />

Zehnfingerschreibvermögens beim Nutzer. Dennoch dürfte diese Variante, da ergonomisch<br />

sinnvoller (bessere Anpassbarkeit an den jeweiligen Benutzer) und leichter zu reinigen, für<br />

kurze und einfache Eingaben/Eingabegesten innerhalb einer VE sehr nützlich und besser<br />

geeignet sein, als dies der Datenhandschuh jemals war.<br />

Hybride Eingabegeräte<br />

Hybride Eingabegeräte vereinen in sich mehrere Interaktionsformen. Dies sind in den<br />

allermeisten Fällen ein bis drei diskrete Eingabefunktionen (unterschiedliche Buttons,<br />

Joysticks etc.) für Bestätigungs- oder Auswahlfunktionen und ein kontinuierliches<br />

kinematisches Tracking <strong>zur</strong> Bewegungsanalyse. Auf Trackingseite werden derzeit die<br />

elektromagnetische und die optische Variante favorisiert. Darüber hinaus werden auch<br />

Kombinationen erprobt, welche zusätzlich die Gestenerkennung oder die Funktionalität des<br />

PinchGlove integrieren. Allerdings konnten sich diese bisher nicht durchsetzen.<br />

Durch intensive Forschungen und die stete Forderung nach ergonomischer Optimierung<br />

(Handhabung, Tragekomfort, intuitive Interaktionspotentiale etc.) hybrider Eingabegeräte<br />

werden dagegen v.a. auch am Fraunhofer IAO entsprechende Kandidaten permanent<br />

perfektioniert. Als Beispiel für ein solches „gereiftes“ und hochaktuelles hybrides<br />

Eingabegerät lässt sich die sog. „Hornet“ (s.o., s. Grafik) anführen. Sie verbindet<br />

elektromagnetisches oder optisches Tracking (variabel modifizierbar) mit diskreten<br />

Eingabefunktionen. Die Akzeptanz und Nachfrage dieser Form hybrider Eingabegeräte zeigt,<br />

dass man sich hierbei konsequenterweise auf dem richtigen Wege befindet.<br />

1.2.3 Ausgabegeräte<br />

Abb. 15, Hybrides Eingabegeräte „Hornet“<br />

Die Kommunikationsrückkanäle einer virtuellen, immersiven Umgebung werden durch<br />

unterschiedliche Ausgabegeräte bzw. Gerätetypen repräsentiert. Entscheidend ist auch hierbei,<br />

dass die Wahrnehmungsmodalitäten so intuitiv und natürlich, wie möglich gestaltet werden.<br />

Da<strong>von</strong> lässt sich wiederum die spezifische Relevanz der Bedienung verschiedener<br />

Wahrnehmungskanäle (visuell, auditiv, haptisch etc.) des Benutzers ableiten. Die Dominanz<br />

visueller Ausgabesysteme begründet sich insbesondere in der Evolutionsgeschichte des<br />

Menschen, der daraus resultierenden generellen Informationsaufnahmequote <strong>von</strong> 80% über<br />

visuelle Reize [14, S.66] und dem damit direkt verknüpften Gewicht des<br />

Immersionspotentials. Akustische Rückkopplungen hingegen spielen häufig nur im<br />

Entertainmentbereich eine größere Rolle, sind jedoch, neben dem haptischen Feedback,<br />

speziell für den Grad der Immersion (vgl. 1.3.1) sehr förderlich. Weitere Möglichkeiten der<br />

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Ausgabe werden nur am Rande behandelt, da sie sich häufig noch im Experimentierstadium<br />

befinden, keine <strong>VR</strong>-spezifische Relevanz besitzen oder aus z.B. medizinischen Gründen<br />

abgelehnt werden müssen.<br />

Visuelle Ausgabegeräte<br />

Hierbei handelt es sich um die wichtigste Ausgabeform (s.o.). Bedeutendstes Merkmal<br />

visueller Ausgabegeräte aus dem VE-Umfeld ist die Fähigkeit <strong>zur</strong> stereoskopischen<br />

Darstellung (vgl. auch 1.2.4). Hauptsächlich wird diese Art der Darstellung dadurch erreicht,<br />

dass jeweils ein Bild für das linke und eines für das rechte Auge bereitgestellt wird<br />

(binokulare Disparität, [15]). Ziel ist es folglich, einen 3-dimensionalen Eindruck<br />

(Querdisparation, Stereopsie [15], vgl. auch 1.2.4), also räumliches Sehen zu simulieren. Aus<br />

technisch-ergonomischer Sicht kommt es dabei speziell in Bezug auf die Bewertung der<br />

Darstellungsqualität auf eine flimmerfreie Wiedergabe an. Laut der EU-Richtlinie<br />

„Bildschirmarbeitsplätze“ wird eine Mindestbildwiederholfrequenz <strong>von</strong> 73 Hz, in diesem Fall<br />

je Auge, empfohlen. Inwieweit dieser und andere Grenzwerte auf das <strong>VR</strong>-Umfeld übertragbar<br />

sind, ist Betrachtungsgegenstand <strong>von</strong> Gliederungspunkt 2. Allgemein durchgesetzt haben sich<br />

zwei grundsätzliche Prinzipien der visuellen Ausgabe: erstens die der sog. „Head Mounted<br />

Display“s (HMD) und zweitens die Projektions- bzw. Rückprojektionssysteme. Der Desktop-<br />

Einsatz ist hingegen eher weniger bedeutend, wird aber der Vollständigkeit halber<br />

untenstehend ebenfalls betrachtet.<br />

Desktopsysteme (CRT)<br />

Angelehnt an den gewohnten Umgang mit Desktop-PC-Offices existieren schon seit geraumer<br />

Zeit Ideen und Ansätze, spezielle Applikationen zu verwenden, die gewisse Inhalte in<br />

„virtueller Form“ darbieten. Das hat jedoch mit <strong>VR</strong> im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Am<br />

besten lässt sich dies am Beispiel <strong>von</strong> 3D-Spielen oder (eher seltenen) 3D-<br />

Datenverwaltungssystemen beschreiben, die praktisch auf einem ganz normalen Monitor<br />

monoskopisch ein 3D-Umfeld repräsentieren, das aufgrund fehlender Stereoskopie nicht<br />

„räumlich erfahrbar“ ist.<br />

Anders verhält es sich mit besonderen Rechnerkonfigurationen (u.a. hinreichend schnelle<br />

Grafikkarte und angemessen schneller Monitor), die die „aktive Stereoskopie“ (vgl. 1.2.4)<br />

erlauben. Kurz gesagt werden abwechselnd die Bilder für das linke und das rechte Auge auf<br />

dem Monitor dargestellt. Dem Benutzer schaltet währenddessen eine sog. Shutterbrille (vgl.<br />

1.2.4) synchron zum Bildwechsel auf dem Monitor über transparente LCDs entsprechend das<br />

linke oder das rechte Auge „dunkel“. Die Synchronisierung erfolgt z.B. über ein IR-Signal.<br />

Durch die alternierende Umschaltung sieht das jeweilige Auge nur das zugehörige Einzelbild<br />

und das Gehirn kann den 3D-Eindruck synthetisieren (vgl. 1.2.4). Auch in größeren VEs bis<br />

hin <strong>zur</strong> CAVE (vgl. 1.2.5) kommt diese Technologie zum Einsatz.<br />

Der Nachteil der oben beschriebenen desktopbasierter Systeme, abgesehen <strong>von</strong> der „unechten<br />

<strong>VR</strong>“, liegt v.a. darin, dass Kopfbewegungen im Normalfall nicht getrackt werden (nur bei<br />

hochspeziellen <strong>Systemen</strong> oder zu Forschungszwecken) und der Blick eher dem Schauen durch<br />

ein kleines Fenster in die Virtuelle Realität gleicht. Interaktionen sind in begrenztem Maße<br />

z.B. über mechanische Tracker und Eingabegeräte (vgl. 1.2.2) realisierbar.<br />

Unterdessen wird am Fraunhofer IAO an einer Desktop-VE gearbeitet, die sich der<br />

Projektionstechnik und bspw. optischem Tracking bedient, aber sehr kompakt bleibt. Zur<br />

allgemeinen Funktionsweise der Projektionssysteme s.u. Als etwas exotisches, inzwischen<br />

aber anwendungsreifes Verfahren im Desktopbereich wäre der Vollständigkeit halber noch<br />

Dresden3D (Bildtrennung erfolgt durch eine vor dem Display platzierte Prismenmaske) zu<br />

nennen. [16]<br />

18


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Abb. 16, Desktop-<strong>VR</strong><br />

HMD<br />

HMD steht für die Gruppe der „Head Mounted Display“s und bezeichnet all jene Systeme,<br />

die, im Regelfall als Helm getragen, die visuelle Darstellung über zwei kleine<br />

LCDs/LCoSs/TFTs/CRTs/CRT-LWLs (je eines für das linke und für das recht Auge,<br />

Fokussierung über Linsen) direkt vor den Augen platzieren. Dadurch wird gegenüber<br />

desktopbasierten <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong> das Problem bei der stereoskopischen Bildtrennung eliminiert<br />

und eine perzeptuell deutlich vergrößerte Immersion erreicht. Zum einen schließt die<br />

künstliche Darstellung den visuellen Apparat des Benutzers ein und außerdem entzieht sie<br />

ihm durch ihre Bauweise den Blick auf die echte Wirklichkeit, bei Einsatz <strong>von</strong> Kopfhörern<br />

auch die auditive Verbindung. Leider geht damit aber ein entscheidendes Präsenzkriterium<br />

verloren: die Propriozeption (Eigenwahrnehmung). Abhilfe wird angesichts dieser<br />

Einschränkung über Avatare (künstliche Stellvertreter, meist humanoid) geschaffen, die<br />

zumindest eine gewisse Form der persönlichen Präsenz widerspiegeln. Kopfbewegungen<br />

werden ggf. z.B. durch elektromagnetisches oder optisches Tracking registriert und in<br />

entsprechende Perspektivanpassungen der <strong>VR</strong> umgerechnet. Interagiert wird im Allgemeinen<br />

ähnlich wie bei Desktopsystemen.<br />

Die größten Nachteile <strong>von</strong> HMDs stellen zweifelsohne deren ergonomische Parameter dar.<br />

Dazu lassen sich folgende kritische Punkte festhalten:<br />

• mangelnder Tragekomfort, aufgrund des Gewichts, der Passform und u.U. der Sperrigkeit<br />

• häufig dürftige Displayauflösung (Consumerbereich:


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Variante des HMDs sollte noch das <strong>VR</strong>D („Virtual Retina Display“) genannt werde. Hierbei<br />

werden die separaten Bilder mit Hilfe <strong>von</strong> Lasern in einer Auflösung <strong>von</strong> 640x480 Pixeln<br />

direkt auf die Netzhaut projiziert. [17] Bedingt durch das aus medizinischer Sicht recht hohe<br />

potentielle Risiko einer Verletzung der Augen, bleibt bis heute eine allgemeine Akzeptanz des<br />

Verfahrens aus.<br />

Abb. 17, HMD<br />

Projektion<br />

Projektionssysteme stellen derzeit den „State of the Art“ in der <strong>VR</strong>-Repräsentation dar. Dabei<br />

kommen bis zu sechs semitransparente Projektionswände (CAVE, vgl. 1.2.5) zum Einsatz, die<br />

im Allgemeinen rückwärtig, also <strong>von</strong> der dem Benutzer abgewandten Seite, <strong>von</strong> Beamern<br />

(meist hochwertige, leuchtstarke CRT-Beamer), z.T. über Spiegel, mit den entsprechenden<br />

Bildern bestrahlt werden. Die entscheidenden Vorteile gegenüber allen anderen visuellen<br />

Ausgabesystemen liegen in der Möglichkeit der relativ beliebig skalierbaren, großenflächig<br />

und gut justierbaren stereoskopischen Darstellung, bei Mehrwandsystemen bis hin zum<br />

vollständigen virtuelle Umschließen der Benutzer, mit einem deutlich erweiterten<br />

Gesichtsfeld und dem dadurch erreichbaren Zugewinn an Immersion, sowie der echten<br />

Propriozeption (der eigene Körper wird innerhalb der <strong>VR</strong> wahrgenommen, eine gänzlich freie<br />

Bewegung innerhalb der Raumbegrenzungen ist möglich). Es können z.B. 1:1-<br />

Repräsentationen <strong>von</strong> Automobil- und Architekturenwürfen, sowie virtuelle Prototypen<br />

vielfältigster technischer Systeme exploriert, tatsächlich be-/umgangen, geplant und<br />

begutachtet werden. Auch das „immersive Modellieren“ (Modellieren direkt innerhalb der<br />

virtuellen, immersiven Umgebung) erscheint hier in einem völlig neuen Licht. Außerdem<br />

bieten großwandige oder Mehrwandkonfigurationen die Gelegenheit, die virtuellen<br />

Repräsentationen in Gruppen zu erfahren, Entwürfe zu diskutieren, gar in der <strong>VR</strong> zu arbeiten.<br />

Um die Stereoprojektion letztendlich auch in eine echte 3-dimensionale Wahrnehmung<br />

umsetzen zu können, wird entweder die aktive (ein Beamer je Fläche notwendig; vgl. 1.2.4<br />

und Desktopsysteme) oder die passive (zwei Beamer je Fläche; vgl. 1.2.4) Stereoprojektion<br />

verwendet. Entsprechend der angewandten Methode müssen bestimmte Stereosichtgeräte<br />

(3D-Brillen, vgl. 1.2.4) <strong>von</strong> den Benutzern getragen werden. Das Tracking <strong>von</strong> Kopf und<br />

Eingabeextremitäten erfolgt zumeist elektromagnetisch, bei kleineren oder<br />

Einzelflächenprojektionen (z.B. Powerwall, Workbench/BARON; vgl. 1.2.5) auch optisch.<br />

Zur akustischen Immersion tragen Lautsprechersysteme in Stereo- oder Surroundanordnung<br />

bei.<br />

Doch haben natürlich auch Projektionssysteme ihre Schattenseiten. So bestehen sie generell<br />

aus einer großen Anzahl unterschiedlichster Komponenten, benötigen zum Teil sehr viel<br />

Platz, der Dank der Projektionsumlenkung über Spiegel etwas reduziert werden kann,<br />

erfordern hochwertige Projektionstechnologien (z.B. CRT-Beamer), sehr leistungsstarke<br />

Rechnersysteme, sind demzufolge oft extrem teuer und bieten am Ende genaugenommen<br />

doch nur einem einzigen Benutzer die absolut korrekte, verzerrungsfrei virtuelle Realität in<br />

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häufig lichtschwacher, kontrastarmer und nicht vollständig farbechter Qualität. Warum setzt<br />

man sie aber dennoch ein? Weil die Vorteile, v.a. die unvergleichbare <strong>VR</strong>-Erfahrung, sowie<br />

die einzigartigen Möglichkeiten im Anwendungsbereich selbst über z.T. gravierende<br />

ergonomische Mängel hinweghelfen. Nichtsdestotrotz kann man aktuell recht sicher da<strong>von</strong><br />

ausgehen, dass mit einer Verbesserung der Technik und dem Ansatz, desktoporientierte<br />

Projektionssysteme zu entwickeln, die allgemeine Akzeptanz noch steigen wird und Kosten<br />

moderater ausfallen.<br />

Abb. 18, Projektionssystem<br />

Akustische Ausgabegeräte<br />

Die akustische Ausgabe verstärkt im Normalfall die Immersion und trägt so einer erhöhten<br />

Präsenz bei. So ließen sich beispielsweise Ereignisse (Berührungen, Inter-/Aktionen etc.) mit<br />

einem Soundfeedback kombinieren. [10] Ähnlich wie bei der visuellen Ausgabe spielt dafür<br />

v.a. die Position des Benutzer bei der Soundausgabe eine erhebliche Rolle. Gemäß der<br />

getrackten Koordinaten, sofern Tracking zum Einsatz kommt, wird die Musik-/Geräusch-<br />

/Sprachausgabe über die <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Lautsprecher verteilt – je nach<br />

Systemvoraussetzung entweder in Stereo oder einer Surroundform (variierende<br />

Speakerarrays). Aufgrund der sehr komplexen Klangmanifestation in der Realität (<strong>von</strong> der<br />

Erzeugung bis <strong>zur</strong> kognitiven Wahrnehmung im Gehirn) und den noch nicht gänzlich<br />

erforschten Hintergründen setzt man in VEs gewöhnlich stark vereinfachte Prinzipien um. Bei<br />

der NASA in Kalifornien versucht man unterdessen mittels HRTF (Head Related Transfer<br />

Functions) die Filtereigenschaften des Außenohrs und des menschlichen Körpers<br />

nachzubilden, um so zu Modellen zu kommen, die ein akustisches Raytracing ermöglichen<br />

(jeweils auf ein Ohr abgebildet unter Einbeziehung <strong>von</strong> Objekteigenschaften, Interferenzen,<br />

Reflexionen etc.). So sollen möglichst realistisch Sounds in Echtzeit berechnet und schließlich<br />

dargeboten werden. Allerdings bedarf der Einsatz solch hochspannender Technologien eines<br />

immensen Rechenaufwands und stellt damit gleichzeitig dessen häufigstes<br />

Ausschlusskriterium dar. [10]<br />

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Wie bereits erwähnt, liegt das Hauptaugenmerk der akustische Ausgabe insbesondere auf dem<br />

Unterhaltungsbereich (<strong>VR</strong>-Projektionskinos, HMDs etc.), spielt aber auch in<br />

wissenschaftlichen Simulationen eine große Rolle. Einen weitläufigen Einsatz neben der<br />

generellen Emotionalisierung scheint es im professionellen Bereich bisher jedoch nicht zu<br />

geben.<br />

Abb. 19, Akustische Ausgabegeräte<br />

Haptische Ausgabegeräte<br />

Ausgabegeräte haptischer bzw. kinästhetischer Modalität können zu einer signifikant höheren<br />

Effizienz <strong>von</strong> VEs bzw. speziellen Applikationen führen, da Oberflächen ertastet, Objekte<br />

durch Hand- oder Armbewegungen verschoben, deren Lage und Position haptisch bestimmt<br />

oder Objekte generell über Kraftrückkopplung manipuliert werden können. Dabei wird<br />

jeweils der menschliche Tastsinn angesprochen. Die Beschränkung auf die Hand und/oder<br />

den Arm bei der Verwendung haptischer Ausgabegeräte erfolgt aufgrund der Tatsache, dass<br />

dort die Tastrezeptoren am höchsten konzentriert vorliegen (v.a. Hand), die entsprechenden<br />

Geräte ein gutes Aufwand-Nutzen-Verhältnis aufweisen und die Komplexität überschaubar<br />

bleibt. Die Einbeziehung anderer Körperteile wird v.a. aus den beiden zuletzt genannten<br />

Gründen kaum kommerziell eingesetzt – lediglich zu Forschungszwecken. Ein wesentliches<br />

Merkmal bleibt auch hier weiterhin die Höhe der DoF. [10]<br />

Einsatz finden haptische Ausgabegeräte insbesondere bei der Ausbildung <strong>von</strong> Ärzten<br />

(„Fühlen virtueller Patienten“), virtuellimmersiven wissenschaftlichen Repräsentationen oder<br />

speziellen Anwendungsgebieten, die sich in relativer bzw. völliger Dunkelheit abspielen. [10]<br />

Allgemein wird zwischen „Touch Feedback“ (Berührungsrückkopplung,<br />

Hautsinneszellenstimulation) und „Force Feedback“ (Kraftrückkopplung, Stimulation muskel-<br />

u. knochenspezifischer Nerven) unterschieden. Unter TF würde demnach etwa das<br />

Antippen/Berühren einer Oberfläche, unter FF z.B. das Schieben eines virtuellen<br />

Gegenstandes fallen.<br />

Dem TF nähert man sich deshalb u.a. dank kleiner in einen Handschuh integrierter<br />

pneumatischer Kissen, Micropin-Arrays (Pin-Matrix z.B. für die Finger, z.T. auch in<br />

Handschuhen) oder elektrischer Reize. Aus ergonomischer, vordergründig aber medizinischer<br />

Sicht werden elektrische Reize oder direkte Nervenbahnenstimulationen aktuell nicht mehr<br />

eingesetzt. Dagegen trifft man zunehmend auf eine um die Temperatur erweiterte Ausgabe.<br />

So wurde an der University of Salford (UK) das sog. „Enhanced Tactile Feedback“<br />

eingeläutet, das genau die Integration der fühlbaren Temperaturausgabe mit einschließt. Über<br />

kleine Wärmepumpen können bis zu 65°K Temperaturdifferenz erzeugt werden. Neben einer<br />

vergrößerten Immersion bietet sich dadurch auch die Möglichkeit, kritische Zustände<br />

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innerhalb einer Applikation (z.B. Näherung an lebenswichtige Organe bei virtuellen<br />

Operationen) durch eine spezifische Erwärmung wiederzugeben.<br />

FF wird häufig mit haptischen Eingabegeräten verknüpft und repräsentiert die direkte<br />

physische Rückkopplung. Sie wird in den allermeisten Fällen durch Motoren realisiert, die<br />

z.B. die an einem Arm angebrachte Gestellkonstruktion über Gelenke etc. in bestimmten<br />

Situationen gegen die Muskelkraft des Benutzer bewegt. In der Unterhaltungsbranche werden<br />

u.a. kleinere Systeme wie FF-Joysticks oder –lenkräder angeboten.<br />

Die bedeutendsten Nachteile <strong>von</strong> TF- und FF-<strong>Systemen</strong> sind neben dem relativ hohen Preis<br />

auch die begrenzten DoF. Gerade bei größeren Geräten stellt sich zudem aus ergonomischer<br />

Sicht die Frage nach dem Gewicht, der Tragbar- und Nutzbarkeit, sowie der<br />

Belastungsgrenzwerte (Tast-, Druck-, Temperaturempfinden, Muskelermüdung etc.) des<br />

jeweiligen Benutzers.<br />

Abb. 20, Haptische Ausgabegeräte (links „Force Feedback“, rechts „Touch Feedback”)<br />

1.2.4 Erzeugung der 3D-Wahrnehmung<br />

Egal ob Desktop-VE, HMD oder Projektions-VE, das wohl wichtigste Kriterium für die<br />

Einordnung eines Systems in den Kanon der virtuellen, immersiven Umgebungen ist die<br />

visuelle Wiedergabe einer künstlichen Szene mit der Maßgabe, dass der Benutzer einen<br />

echten, mit der Wirklichkeit vergleichbaren 3-dimensionalen Eindruck erhält. Doch wodurch<br />

wird diese 3-Dimensionalität gekennzeichnet, was ruft sie hervor und wie wird sie innerhalb<br />

der verschiedenen VEs erreicht?<br />

Um ein echtes 3D-Empfinden beim Betrachter virtuell nachbilden zu können, bedarf es des<br />

Einsatzes spezieller „Täuschungstechniken“, die sich ihrerseits bekannter<br />

Wahrnehmungsprinzipien bedienen. Die Täuschung kann deshalb überhaupt erst erfolgen,<br />

weil einzig das Gehirn für den finalen Eindruck verantwortlich ist. Hier werden die über<br />

Auge, Retina, Augnerven erfassten/gelieferten Bilder miteinander verrechnet, in Erkennungs-<br />

und Vervollständigungsprozessen mit Erfahrungen kombiniert, in kognitive Korrelationen<br />

gesetzt und vieles andere mehr. Welche wichtigsten Faktoren nun im einzelnen dazu<br />

beitragen, dass aus den ursprünglich 2-dimensionalen Einzelbildern ein optischer<br />

Raumeindruck entsteht, auf welchen alternativen Wegen Raum noch erfahrbar gemacht<br />

werden kann und wie diese Einflüsse im <strong>VR</strong>-Umfeld zu berücksichtigen sind, sei nachfolgend<br />

in konzentrierter Weise aufgeschlüsselt. Zunächst werden zwei Effektgruppen unterschieden:<br />

primäre opto-physikalische Faktoren und sekundäre darstellungspsychologische Faktoren.<br />

[15]<br />

Opto-physikalische Faktoren<br />

Dies sind all jene Einflüsse, die auf rein opto-physikalischen Basis <strong>zur</strong> 3D-Wahrnehmung<br />

führen. Sie sind also weniger <strong>von</strong> Erfahrungen, Erlebnissen, Kenntnissen etc. der Benutzer<br />

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abhängig. Zu ihnen zählen die binokulare Disparität, Fokussierung/Akkomodation und die<br />

Konvergenz. Da das Resultat entsprechender Darstellung i.A. sehr benutzerunabhängig ist,<br />

bedient man sich <strong>zur</strong> Darstellung <strong>von</strong> virtueller Realität genau dieser Faktoren, v.a. jedoch der<br />

binokularen Disparität und Konvergenz.<br />

Binokulare Disparität<br />

Dieser auch Querdisparation oder Stereopsie genannte Effekt wird erzeugt, indem jedem<br />

Auge ein um den Augabstand (6-7 cm, binokulare Parallaxe [18]) perspektivisch<br />

verschiedenes Bild der gleichen Umgebung dargeboten wird. Dabei hängt es <strong>von</strong> der<br />

augbezogenen Darstellung ab, ob es zu einer konvergenten (räumlich vor der<br />

Präsentationsebene) oder divergenten (räumlich hinter der Präsentationseben) Disparität und<br />

damit dem entsprechenden Raumeindruck kommt. [19] Für die <strong>VR</strong> bedeutet dies, dass aus<br />

zwei zu den Augen des Benutzers äquivalenten Kamerapositionen die Bilder der aktuellen<br />

Szene gerendert und dargestellt werden müssen. Wichtig ist, dass die Bilder nicht völlig<br />

verschieden, sondern potentiell kognitiv „kombinierbar“ zu einem Gesamten sind. [15] Durch<br />

diese Darstellungsform wird neben der sehr guten und für <strong>VR</strong> essentiellen Illusion <strong>von</strong> Raum<br />

auch erreicht, dass Größen, Entfernungen und andere räumliche Kennwerte einfacher<br />

einschätzbar werden. Der Raum wird erfahrbar – mit der Einschränkung, dass die 3D-<br />

Wirkung aufgrund der Disparität nur für Entfernungen <strong>von</strong> bis zu 10 Metern <strong>von</strong> Bedeutung<br />

ist. [19] Ab dieser Entfernung genügt der Augabstand nicht mehr und die 3D-Wahrnehmung<br />

basiert zunehmend auf darstellungspsychologischen Elementen.<br />

Die technische Umsetzung der Bilddarstellung (Stereotrennung) erfolgt abhängig <strong>von</strong> der<br />

betreffenden VE. Ein HMD, das zwei separate Displays (vgl. 1.2.3, HMD) besitzt, stellt die<br />

beiden Bilder - für das linke und das rechte Auge – jeweils simultan dar.<br />

Steht nur ein Bildschirm bzw. eine Projektionsfläche <strong>zur</strong> Verfügung, gibt es entweder die<br />

Möglichkeit der aktiven oder der passiven Stereotrennung (nur bei Projektionen, da zwei<br />

Projektoren notwendig sind, um gleichzeitig zwei Bilder auf einem Schirm darzustellen). Bei<br />

der aktiven Stereotrennung werden <strong>von</strong> einem Bildschirm/Projektor alternierend das Bild für<br />

das linke und für das rechte Auge dargestellt. Eine synchron arbeitende Shutterbrille (kann<br />

über transparente LCDs die Gläser dunkel schalten; Projektor-Synchronisierung erfolgt über<br />

IR-Signal) gibt entsprechend der Bildwiederholfrequenz der Projektion abwechselnd für das<br />

linke und das recht Auge die Sicht frei. So sieht jedes Auge stets nur das Bild, was es sehen<br />

soll. Die Qualität der Darstellung hängt maßgeblich <strong>von</strong> der maximalen<br />

Bildwiederholfrequenz ab, die jedoch bei diesem Verfahren pro Auge nur die Hälfte des<br />

systemabhängigen technischen Maximums beträgt (z.B. CAVE: je 60 Hz). Auch spielt das<br />

Verdunklungsvermögen der Shutterbrillen eine Rolle, da möglichst kein Licht durch das<br />

dunkel geschaltete Glas fallen soll (Vermeidung <strong>von</strong> Geisterbildern bzw. Ghostings). Auf der<br />

anderen Seite ist man bestrebt, Kontrast und Helligkeit bei „freier“ Sicht durch das Glas so<br />

wenig wie möglich einzuschränken. Auch das Gewicht der Brille (inkl. Elektronik, LCDs etc)<br />

besitzt aus ergonomischer Sicht eine Relevanz. Ein weiterer kritischer Fakt ist die theoretische<br />

Verdeckbarkeit des IR-Sensors und einem damit verbundenen Shutteringausfall.<br />

Bei der passiven Stereotrennung stellen sich mehrere dieser Problem nicht mehr. So<br />

projizieren zwei separate Projektoren gleichzeitig die beiden Stereoteilbilder rückwärtig auf<br />

die Projektionswand. Allerdings werden diesmal verschiedene optische<br />

Polarisationsfilterpaare zwischen Projektor und Auge platziert. Diese Filterpaare haben die<br />

Aufgabe, <strong>von</strong> den Projektoren über einen ersten Filter genau polarisiertes Licht<br />

durchzulassen, das dann dank des auf dem jeweiligen Glas der Stereobrille aufgebrachten<br />

zweiten Filters das analoge Auge erreicht. D.h. jeder Projektor wird über definierte<br />

Polarisationsfilterpaare dazu gebracht, dass nur das entsprechend zugehörige Auge das Licht<br />

sehen kann (Näheres unter 4). Dadurch erreicht man bei simultaner Projektion <strong>von</strong> zwei<br />

Bildern auf einem Schirm dennoch eine Bildtrennung! Da kein Hin- und Herschalten<br />

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zwischen den Bildern mehr nötig ist, fällt auch die Reduktion der Bilderwiederholfrequenz je<br />

Auge weg und die ergonomische Flimmergrenze (73 Hz) wird nicht mehr unterschritten. Die<br />

Filterung kann dabei auf zwei unterschiedlichen Wegen passieren. Variante 1: die lineare<br />

Filterung. D.h., dass das Licht für das eine Auge orthogonal zu dem für das andere polarisiert<br />

wird. Problem: neigt man den Kopf, kommt es zu Störeinstrahlungen unerwünschten Lichts.<br />

Dem wurde über ein zweites Verfahren Abhilfe geschaffen, und zwar der – allerdings<br />

trennungsschwächere – zirkulare Polarisation (links-/rechtzirkular). Somit gelangt man<br />

insbesondere in Mehrwandprojektionssystemen (CAVEs) in die Lage, den Kopf beliebig<br />

drehen und neigen zu können. In jedem Fall ist die für die zirkulare Variante notwendige<br />

Polarisationsstereobrille deutlich leichter, also ergonomisch sinnvoller, als ihr Shutterpendant.<br />

Dennoch hat auch die Polarisationsmethode einige Nachteile. Zuerst entstehen aufgrund des<br />

höheren Gerätebedarfs (u.a. doppelte Anzahl Beamer) auch höhere Kosten. Darüber hinaus<br />

funktioniert die Stereotrennung noch nicht ganz wunschgemäß. Dies wiederum liegt u.a. darin<br />

begründet, dass auf dem Weg zwischen Projektor/Filter Filter/Auge<br />

polarisationsverfälschenden Barrieren (Beschaffenheit der Projektionsschirme, Brillengläser)<br />

vorhanden sein können bzw. die Filterqualität häufig noch un<strong>zur</strong>eichend ist. Auch findet v.a.<br />

wegen der Polarisation auf dem Strahlenweg eine spürbare Lichtabschwächung/-verfälschung<br />

statt, die im Gegenzug bessere Projektoren und bessere Filter voraussetzt, wobei besser meist<br />

auch teurer bedeutet.<br />

Abb. 21, Binokulare Disparität<br />

Interessant ist, dass sich selbst die aus dem Printbereich, <strong>von</strong> normalen Monitordarstellungen<br />

oder Kinovorführungen bekannten Anaglyphenbilder (in Komplementärfarben übereinander<br />

gedrucktes, seitlich leichtverschobenes Bild in rot/grün, rot/cyan, rot/blau) eines<br />

Stereotrennungsverfahrens bedienen, um die beiden Augen bei der Betrachtung mit<br />

verschiedenen Bildern zu beliefern. Nur erfolgt hier die Trennung der Einzelbilder aus dem<br />

„mixed picture“ durch gezielte Farbauslöschungen. Die jeweilige Folie der Anaglyphenbrille<br />

sorgt dafür, dass genau die durch sie markierten Bildbestandteile eliminiert werden (z.B. rote<br />

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Folie eliminiert rote Bildbestandteile). Für den professionellen Einsatz mit der Forderung<br />

nach möglichst farbechten Darstellungen sind diese Stereotrennungsverfahren jedoch nicht<br />

geeignet. Ebenso wenig prädestiniert ist das ChormaDepth-Verfahren der Firma ChromaTek.<br />

Hierbei wird die Disparität in den dargestellten Farben codiert, die durch eine spezielle Brille<br />

gemäß der Prismenlichttrennung in unterschiedlicher Stärke je Auge gebrochen werden.<br />

Abb. 22, Anaglyphenbrille<br />

Fokussierung/Akkomodation<br />

Unter Akkomodation versteht man die sich dynamisch anpassende Wölbung der Linse des<br />

Auges, je nach Fokus bzw. fokussiertem Objekt, um auf der Retina ein scharfes Bild zu<br />

erhalten. Ein einfacher Selbstversuch verdeutlicht den Effekt: bei einem freien recht weiten<br />

Blick (z.B. in die Landschaft), kann man, wenn man den Arm ausstreckt und z.B. den<br />

Zeigefinger nach oben neigt, den Fokus <strong>von</strong> Zeigerfingerspitze und Landschaftshorizont<br />

„wandern“ lassen. Blickt man auf den Zeigerfinger, wird die Landschaft, der Hintergrund,<br />

unscharf und umgekehrt. Würde nun jedoch auf der „unscharfen“ Ebene plötzlich ein Objekt<br />

scharf dargestellt werden, wäre der Eindruck sicherlich sehr sonderbar. Denn im Normalfall<br />

erwartet man, dass Objekte auf der gleichen Schärfeebene sich auch real in einer Ebene<br />

befinden. In der Fotografie ist das Stilmittel der Tiefenschärfe sehr beliebt und zeigt, wie man<br />

die Simulation <strong>von</strong> Raum trotz Äquidistanz erreichen kann. [15] Für den Raumeindruck ist<br />

zusätzlich die <strong>zur</strong> Linsenwölbung notwendige Muskelspannung im Auge <strong>von</strong> besonderer<br />

Bedeutung. Ähnlich verhält es sich auch bei der Konvergenz (s.u.). [18]<br />

Im <strong>VR</strong>-Bereich gestaltet sich dies jedoch ungleich schwieriger. Denn um in Echtzeit auf Basis<br />

der Akkomodation 3D-Grafiken zu modifizieren, müssten man immer genau wissen, wohin<br />

der Benutzer gerade schaut. Dazu wäre z.B. ein Pupillentracking gut geeignet. Dann müssten<br />

all jene Objekte, die nicht in der Fokusebene liegen, abhängig <strong>von</strong> der Distanz zu selbiger mit<br />

einem Unschärfefilter belegt werden. Häufig wird jedoch aufgrund der begrenzten Relevanz<br />

und/oder zu ungenauem Pupillentracking und/oder dem ausschließenden Anwendungsumfeld<br />

(Akkomodationssimulation wäre aufgrund des personengebundenen Pupillentrackings nur im<br />

Einzelbenutzerbetrieb realisierbar) bzw. anderen technischen Unwegsamkeiten auf eine<br />

Integration der Akkomodationssimulation verzichtet. Auch am Fraunhofer IAO war dies<br />

bislang kein Thema.<br />

Abb. 23, Akkomodation<br />

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Konvergenz<br />

Die Konvergenz beschreibt das sehbedingte Zueinanderbewegen/-drehen der Augen,<br />

abhängig <strong>von</strong> der jeweiligen Objektentfernung. Bei weiter entfernten Objekten (ca. >=6-10m)<br />

ist demzufolge die Blickrichtung der beiden Augen nahezu parallel, liegt das fokussierte Ziel<br />

sehr nahe (ca.


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Für die <strong>VR</strong> bedeutet dieser Ansatz, alle Objekte einer virtuellimmersiven Szene<br />

perspektivisch korrekt aus Sicht des Betrachters darzustellen. Dies geschieht v.a. durch den<br />

Einsatz des Trackings <strong>zur</strong> Positionsermittlung (vgl. 1.2.2) und der darauf folgenden<br />

Berücksichtigung der Positionsdaten als Kamerastandpunkt in der Echtzeit-<br />

Szenenberechnung.<br />

Abb. 25, Perspektive<br />

Relative Größe<br />

Die Einschätzung der relativen Größe, <strong>von</strong> Proportionen und den Entfernungsverhältnissen<br />

eines Objektes in einer 3-dimensionalen Umgebung stellt einen wesentlichen Prozess in der<br />

räumlichen Wahrnehmung dar. Der Mensch beurteilt diese Raumgrößen <strong>von</strong> projizierten<br />

Objekten viel weniger durch die perspektivische Darstellung, denn durch aus der allgemeinen<br />

Realitätserfahrung bekannten Objektrelationen. [15] Besonders schwierig stellt sich die<br />

Wahrnehmung bzw. Einschätzung völlig unbekannter Objekte dar. Hierbei ist es essentiell,<br />

dass, mit dem Ziel der Erzeugung eines harmonischen/orientierenden Raumempfindens, v.a.<br />

Vergleiche mit bereits Bekanntem angestellt werden können.<br />

Daraus ergibt sich auch eine der Hauptaufgaben des <strong>VR</strong>-Szenendesigns, innerhalb <strong>von</strong><br />

virtuellen Repräsentationen ggf. für eine Vergleichbarkeit durch Darstellung <strong>von</strong><br />

Vertrautem/Bekanntem zu sorgen. Wie erwähnt spielt dies besonders eine Rolle, wenn man<br />

entweder mit absolut Neuem oder ungewohnten Darstellungen (z.B. technische<br />

Detailvisualisierungen) konfrontiert wird.<br />

Abb. 26, Relative Größe<br />

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Fernperspektive/Texturgradient<br />

Unter Fernperspektive versteht man die visuell beeinflusste Rezeption <strong>von</strong> sehr weit entfernt<br />

befindlichen Objekten (Gebirge am Horizont o.Ä.). Sie erscheinen i.d.R. blauverschoben, also<br />

bläulicher. Außerdem reduzieren sich u.U. Farbsättigung und Schärfe (Texturgradient),<br />

begünstigt durch Dunst und/oder andere Wetterphänomene. [15] So wirken nebulöse<br />

Raumsegmente erheblich weiter entfernt, als betrachtete man sie bei freier Sicht.<br />

Bezogen auf <strong>VR</strong>-Darstellungen beschreibt die Fernperspektive in erster Linie einen Auftrag<br />

des Rendering-Systems, der darin besteht, an den Z-Buffer (Tiefenkoordinate) gebundene<br />

Pixelfarbwertanpassungen (Weißblenden) durchzuführen [22] oder auch parametrisierbare<br />

Masken/3D-Texturen über entsprechende Objekte bzw. Objektbereiche zu legen. Der Effekt<br />

des „nebligen Hintergrundes“ ist auch in der 3D-Computergrafik ein oft bemühtes Stilmittel,<br />

um, abgesehen <strong>von</strong> der Erzeugung dramaturgischer Spannungsmomente, eine weitläufige<br />

räumliche Tiefe zu simulieren.<br />

Abb. 27, Fernperspektive<br />

Relative Helligkeit<br />

Die relative Helligkeit („depth cueing“) ist ebenso wie die Fernperspektive ein stark<br />

distanzabhängiger Faktor. Dieser besagt hier, dass Objekte mit zunehmender Entfernung<br />

schwächer beleuchtet werden und daher weniger Licht reflektieren – ergo erscheinen sie<br />

dunkler. [15]<br />

Für <strong>VR</strong>-Repräsentationen bedeutet dies, dass, ebenfalls abhängig vom Z-Buffer, entsprechend<br />

weit vom Betrachter entfernte Objekte zunehmend mit pixelweiser Sättigungs- und<br />

Helligkeitsreduktionen prozessiert oder verdunkelnden Filtermasken kombiniert werden<br />

müssen. Dabei sollte <strong>zur</strong> realitätskonformen Darstellung der Zusammenhang zwischen<br />

Entfernung (LichtquelleObjekt) und Lichtintensität (an der Objektposition) berücksichtigt<br />

werden (mathematischer Zusammenhang: I~1/d²).<br />

Licht/Schatten<br />

Der visuelle Informationsgewinn durch den Einsatz <strong>von</strong> Licht und Schatten in 3D-<br />

Umgebungen ist enorm. Schatten treten entweder als „attached shadows“ (Schatten auf einem<br />

Objekt) oder „cast shadows“ (vom Objekt geworfener Schatten) auf. Auf diese Weise verraten<br />

Schatten z.B. auf planen Objektflächen sowohl deren Orientierung als auch die relative<br />

Objektposition (z.B. relative Höhe über Grund). Ferner können sie die<br />

Oberflächenbeschaffenheit, Form, u.U. auch das Material (z.B. Betonkörnung, Holzfasern)<br />

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eines Objektes beschreiben. Demzufolge zeigen „unterschiedliche Reflexionsintensitäten<br />

unterschiedliche Oberflächengradienten“ an. [15, Lambertsches Gesetz] Darüber hinaus<br />

tragen Licht und Schatten auch erheblich <strong>zur</strong> emotionalen Wahrnehmung (Stimmung) und<br />

dem damit verbunden realitätsbildenden Identifikationsempfinden bei. Nicht zuletzt ist es die<br />

<strong>von</strong> Licht und Schatten geprägte Welt, die uns täglich umgibt.<br />

Der erfahrungsbedingt subjektiv empfundene Tiefeneindruck <strong>von</strong> Szenen, in denen Licht und<br />

Schatten zum Einsatz kommen, wird <strong>von</strong> einer nahezu unabhängigen generischen Erwartung<br />

überlagert – und zwar dem Lichteinfall <strong>von</strong> oben. Schon die Sonne fördert täglich aufs Neue<br />

diese Grundintention, die bereits seit den 80ern erhebliche Einflüsse auf ergonomische<br />

Interaktionsdesigns im Office-PC-Bereich genommen hat (z.B. Licht/Schatten-Stilisierungen<br />

in grafischen Navigations-, Menü- und Steuerfunktionsinterfaces; siehe Grafik: Licht/Schatten<br />

1).<br />

Unter dieser Prämisse wird an die <strong>VR</strong>-Grafik praktisch in jedem Anwendungsfall die<br />

Forderung gestellt, plausible Licht/Schatten-Verhältnisse zu repräsentieren. Dazu werden in<br />

der virtuellen Szene u.a. globale Lichter (ohne offensichtliche Quelle), Abstrahlungen<br />

sichtbarer Lichtquellen (Straßenlampen, Kontrollleuchten etc.) Hilfs-/Korrekturlichter und<br />

Reflexionssimulationen („reflection maps“) platziert. Häufig setzt man dabei weit mehr in<br />

Farbe und Leuchtkraft variierende Lichter ein, als in einer vergleichbaren Umgebungen in der<br />

Wirklichkeit <strong>zur</strong> Erzeugung des gleichen Eindrucks notwendig wären. Abhängig <strong>von</strong> den<br />

Rechnerkapazitäten, der Szenenkomplexität, den verwendeten Objektmaterialen, den<br />

Echtzeit- und Realitätsansprüchen, sowie den <strong>ergonomischen</strong> Maßgaben<br />

(Bildwiederholfrequenz, Kontrast, Helligkeit etc.), werden entsprechend „lichtsensitive“<br />

Renderingmethoden (meist Gouraud-, selten Phong-Shading) eingesetzt. Raytrace, Radiosity<br />

und Particle Trace [23] als – in Aufzählungsreihenfolge ansteigend - extrem realitätsfördernde<br />

Globalbeleuchtungsrendervarianten sind aufgrund ihres immensen Rechenbedarfs allgemein<br />

nicht für hochauflösende Echtzeitumgebungen geeignet.<br />

Abb. 28, Licht/Schatten 1<br />

Abb. 29, Licht/Schatten 2<br />

Interposition/Occlusion<br />

Bei der Interposition handelt es sich um Objektüberdeckungen. Die Tiefenwahrnehmung<br />

entsteht dadurch, dass Objekte, die anderer Objektes zumindest partiell verdecken, als<br />

vordergründiger platziert wahrgenommen werden. Dieser Eindruck ist selbst dann gegeben,<br />

wenn die Objekte in Gestalt und abgebildeter Größe völlig identisch sind. Allein die<br />

Überschneidung bringt hier den Raumeffekt (vgl. Grafik: Interposition) und wird zunehmend<br />

bedeutsamer, je mehr sich die betreffenden Objekte aus dem disparitätischen<br />

Wahrnehmungsraum herausbewegen.<br />

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Innerhalb einer <strong>VR</strong>-Echtzeit-3D-Anwendung entscheidet der Z-Buffer während des<br />

Renderings, welches Objekt ggf. Überdeckungen besitzt und stellt entsprechende Bereiche<br />

nicht dar („backface culling“). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die überdeckten<br />

Objektsegmente komplett aus dem Rendering ausgeschlossen werden, denn es besteht immer<br />

noch die Möglichkeit, dass sich bestimmte nicht sichtbare Flächen optischerweise indirekt auf<br />

andere auswirken (Reflexionen, Illuminationen etc.).<br />

Abb. 30, Interposition<br />

Gestaltprinzip<br />

Das Gestaltprinzip beschreibt die Bestrebung des Menschen, Gesehenes zu organisieren, zu<br />

antizipieren [„feature detection“, 24] und zu kategorisieren. [15] Sehen wird infolgedessen zu<br />

einem stark kognitiven Prozess, dessen Erfolg maßgeblich <strong>von</strong> den Erfahrungen und<br />

kognitiven Leistungen des Betrachters abhängt. Es werden Assoziationen gebildet, die<br />

wiederum die räumliche Wahrnehmung einerseits unterstützen oder überhaupt erst<br />

ermöglichen. Können keine adäquaten Verknüpfungen gebildet werden, verliert sich das<br />

Gesehene in Chaos und/oder Unverständnis.<br />

Aufgabe des Szenendesigners ist es also, den Benutzer einer VE mit Strukturen zu<br />

konfrontieren, die – früher oder später (je nach Zielsetzung der Repräsentation) – kognitiv<br />

entschlüsselt werden können. Also weder chaotische noch prinzipiell unlogische<br />

Anordnungen, damit die Rezeption schließlich in Verständnis münden kann.<br />

Abb. 31, Gestaltprinzip<br />

Bewegung/-sparallaxe<br />

Tiefeneindrücke werden auch dadurch gekennzeichnet, dass sich z.B. bei Kopfbewegungen/drehungen<br />

die Bewegungsgeschwindigkeit <strong>von</strong> Objekten durch das Blickfeldes mit<br />

zunehmender Entfernung verringert. Objekte werden demnach als näher positioniert<br />

empfunden, je schneller sie das Blickfeld passieren. Ebenso verhält es sich z.B. beim Schauen<br />

aus einem fahrenden Auto. Weiter entfernte Objekte scheinen langsamer vorbei zu „gleiten“,<br />

31


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als nah gelegene. Der so entstehende Tiefeneffekt besitzt für die 3D-Wahrnehmungen einen<br />

beachtlichen Stellenwert und gelangt häufig unbewusst zum Einsatz, wenn scheinbar<br />

unschlüssige Szenen (relative Größen- und Distanzunklarheiten, auch in der realen Welt)<br />

durch die Bewegungsparallaxe <strong>zur</strong> Auflösung bebracht werden. [15]<br />

Für eine <strong>VR</strong>-3D-Szene bedeutet dies, dass die virtuellen Objekte, abhängig <strong>von</strong> der<br />

Betrachterposition und seiner Blickrichtung (Ermittlung ist jeweils Aufgabe des Trackings),<br />

bei Eigenbewegung oder Translationen in der Szene in Position und Lage ein korrektes<br />

Echtzeit-Update erfahren (Perspektiv- & Positionsupdates). Daraus ergibt sich auch das<br />

Problem bei fehlendem Tracking. Insbesondere bei Consumer-HMDs spielt es zumeist keine<br />

Rolle, wohin der Kopf gedreht wird oder in welche Richtung sich der Benutzer bewegt, die<br />

Abbildungen auf den Displays bleiben konstant. Durch die fehlende Bewegungsparallaxe<br />

sinkt schließlich der Immersionsgrad.<br />

Abb. 32, Bewegungsparallaxe<br />

Kinetischer Tiefeneffekt<br />

Der „kinetic depth effect“ (KDE; Wallach, O'Connell 1953) bezeichnet die Entstehung <strong>von</strong><br />

Plastizität aufgrund der Rotation <strong>von</strong> Objekten. Am einfachsten lässt sich dieses Phänomen<br />

verbildlichen, indem man z.B. die Projektion eines komplexen 3D-Wireframe-Modells<br />

betrachtet. Es wirkt i.A. stark planar, ein räumlicher Eindruck entwickelt sich nicht oder nur<br />

extrem schwer. Rotiert nun aber das 3D-Wireframe-Modell, entwickelt sich umgehend ein<br />

räumlicher Eindruck, der jedoch genauso schnell wieder verschwindet, sobald die Rotation<br />

stoppt. Auch bei Vollkörpern kann man beobachten, dass das räumliche Verständnis des<br />

Betrachters erheblich wächst. [15]<br />

Daher ist es sehr bedeutsam, dass vor allem komplexe Objekte z.B. bei Begutachtungen oder<br />

visuellen Bewertungen auf Bedarf beliebig rotiertet werden können. Eine Anforderung<br />

sowohl an das Szenen- und Interaktionsdesign, als auch an die Interface- und<br />

Funktionsgestaltung der jeweiligen <strong>VR</strong>-Applikation.<br />

„Umweltbezogene Interpretation / ökologischer Ansatz“ [15] (nach Gibson, 1979)<br />

Hierbei beruht die räumliche Wahrnehmung auf globalen Rezeptionsprozessen. Es werden<br />

nicht mehr einzelne Objekte als raumbildend verstanden, sondern der allgemeine<br />

Zusammenhang aller in der realen oder virtuellen Szene befindlichen Gebilde, also der<br />

„Gesamteindruck“. [15] Der maßgebliche Wahrnehmungsprozess wird in der Literatur als<br />

„bottom-up“-Methode beschrieben (Gibson 1955, Marr 1976). Danach erfolgt ein<br />

„datenbasiertes“ Analysieren der Szene (Positionen, Orientierungen, Bewegungen, Formen,<br />

Farben, Tiefeneindrücke, Texturen etc.), dem ein Zusammensetzen der Detaileindrücke zu<br />

einem Gesamtbild folgt. Auf die 3-Dimensionalität bezogen wird die Raumwahrnehmung<br />

durch die Kombination <strong>von</strong> „räumlich individuell angeordneten Punkten“ etabliert. [15] Dem<br />

gegenüber steht die hierarchisch wissensbasierte „top-down“-Methode, die besagt, dass der<br />

Mensch, geprägt <strong>von</strong> persönlichem Vorwissen und Erfahrungen, grundsätzlich <strong>von</strong><br />

bestimmten Erwartungen und Vorstellungen während der Wahrnehmung ausgeht. Damit<br />

verbunden ist eine Strategie, die des Erkennen <strong>von</strong> Objekten schon anhand <strong>von</strong> sehr<br />

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rudimentären Anhaltspunkten erlaubt. Die Verfeinerung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt<br />

und erst danach findet das Bilden des Gesamteindruckes statt. [15] Aktuell ist jedoch nicht<br />

belegt, dass entweder die eine oder die andere Methode pragmatischen Gesichtspunkten<br />

vollständig genügt. Viel mehr verheißen jüngere Ansätze, dass die beiden Methoden<br />

situationsbedingt (bottom-up für Unbekanntes, top-down für Bekanntes) oder auch in<br />

Kombination angewendet werden. Ergänzend dazu stützt die Horizontbildung als<br />

perspektivischer Kombinationseffekt zusätzlich die umfassende Raumerfahrung. Der bis ins<br />

Unendliche laufende Horizont grenzt dabei das „Oben“ und das „Unten“ einer Szene, eines<br />

Bildes ab. Unterstützend wirkt sich in jedem Fall der „optische Fluss“ („optic flow“) aus, der<br />

entsteht, wenn man sich z.B. über die komplette Szene hinweg bewegt. Der erzielte Mehrwert<br />

liegt dabei v.a. in der globalen Bewegungsparallaxe.<br />

Im <strong>VR</strong>-Umfeld lässt sich speziell der zuletzt genannte Fakt sinnvoll einsetzen, wenn man<br />

neue Objekte, neue Szenen oder generell neue Umgebungen einführen möchte. Es handelt<br />

sich dabei also um ein fundamentales Designhilfsmittel <strong>zur</strong> Verständnisschaffung und<br />

Immersionsförderung.<br />

Abb. 33, Umweltbezogene Interpretation<br />

Nachdem nun die wichtigsten Wahrnehmungsprinzipien beleuchtet und ihre Relevanz für die<br />

<strong>VR</strong> dargestellt wurde, folgt eine Aufstellung der für diese Arbeit wichtigsten VEs.<br />

Ergonomiebedingte Einflüsse auf die 3D-Wahrnehmung werden essentieller Inhalt der<br />

folgenden Kapitel sein.<br />

1.2.5 Relevante Systeme<br />

Wenn man bedenkt, wie hochvariabel VEs gestaltet sein können, liegt es nahe, speziell die<br />

<strong>ergonomischen</strong> Betrachtungen auf jene Systeme zu begrenzen, die allgemein akzeptiert sind<br />

und sich bereits im kommerziellen Einsatz befinden. Außerdem beschränkt der Rahmen<br />

dieser Arbeit eine Ausweitung auf möglicherweise interessante, aber noch sehr experimentelle<br />

Systeme.<br />

Die folgenden spezifischen VEs sollen im Fokus dieser Arbeit stehen:<br />

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• Virtual Research V8 (HMD Head Mounted Displays; vgl. 1.2.3 „HMD“)<br />

• Erdebox (Powerwall Stereoprojektionswand; vgl. 1.2.3 „Projektion“)<br />

• BARON (Workbench variabler Stereoprojektionstisch; vgl. 1.2.3 „Projektion“)<br />

• HyPI-6 (CAVE Cave Automatic Virtual Environment <br />

Mehrwandstereoprojektionssystem, vgl. 1.2.3 „Projektion“)<br />

Allen <strong>Systemen</strong> ist gemein, dass sie computergenerierte Stereobilder repräsentieren. Dazu<br />

sind, abhängig <strong>von</strong> der Anzahl der Simultandarstellungen, ein oder mehrere in einem<br />

Rechnersystem/-verbund integrierte Grafikkarten notwendig, deren ausgehende Signale über<br />

spezielle Softwaresysteme synchronisiert und <strong>zur</strong> Stereoausgabe verwendet werden. Aus<br />

dieser allgemeingültigen Tatsache heraus ergibt sich nachfolgend der Verzicht auf die<br />

Erwähnung der jeweilig zugrundeliegenden Rechnersysteme, zumal diese häufig sehr<br />

benutzungsspezifisch ausfallen. Nur diesbezüglich außergewöhnliche Konfigurationen (z.B.<br />

bei HyPI-6) werden kurz beleuchtet.<br />

Virtual Research V8 [25]<br />

Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich, wie oben erwähnt, eine komplette virtuelle,<br />

immersive Umgebung in HMD-Form. Helmartig sind dabei alle relevanten Komponenten<br />

angeordnet, wobei es im Normalfall weder Tracking, noch direkt verknüpfte Eingabesysteme<br />

gibt. Diese müssten individuell und abhängig vom Anwendungsfeld nachgerüstet werden. Die<br />

Haupteinsatzgebiete liegen v.a. im Consumerbereich und professionellen Produkt-/<br />

Designevaluationsgebieten. Im Wesentlichen besteht dieses System aus folgenden<br />

ergonomisch interessanten Komponenten, die auch für die späteren Betrachtungen <strong>von</strong> Belang<br />

sein werden:<br />

• zwei 1,3“ (diagonal) große Active Matrix Liquid Crystal Displays (640x480x3[RGB] je<br />

Auge, Kontrastverhältnis 200:1)<br />

• Field of View: 60°<br />

• Bildüberlappung: 100%<br />

• unterstützte Pupillenabstände (IPD - Interpupillary Distance): 52-74mm<br />

• Akkomodationsanpassung: 10-30mm<br />

• Justierhilfen für Passform, IDP und Akkomodationsgläser<br />

• Sennheiser HD25 Kopfhörer (variabel positionierbar, wegklappbar)<br />

• Abmessungen: 43x20x15cm<br />

• Gewicht: 1 kg<br />

• Tracking optional (wenn eingesetzt, dann meist optisch)<br />

Abb. 34, Virtual Research V8<br />

34


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Erdebox [26]<br />

Die Konfiguration der Erdebox entspricht im Wesentlichen der einer Powerwall. Dahinter<br />

verbirgt sich im Normalfall ein einwandiges, meiste planares, sehr großformatiges<br />

Projektionssystem. Speziell in der Automobilindustrie werden diese VEs vermehrt eingesetzt.<br />

Sie können mit nur einem oder mehreren Projektoren betrieben werden. Die Anzahl der<br />

Projektoren hängt dabei nicht nur <strong>von</strong> Darstellungsart (passiv, aktiv) ab, sondern auch <strong>von</strong> der<br />

Größe der zu bedienenden Projektionsfläche. So ist es möglich, mehrere Projektoren so zu<br />

kombinieren, dass die entsprechenden Projektionsbereiche aneinandergrenzen. Häufig wird<br />

im Zuge dessen aus raumökonomischen Gründen auf Spiegelkonstruktionen <strong>zur</strong>ückgegriffen.<br />

Die Erdebox des Fraunhofer IAO hingegen arbeitet mit einer direkten, rückwärtigen<br />

Bestrahlung des Schirms, was einen erheblichen Raumbedarf <strong>zur</strong> Folge hat. Tracking,<br />

Eingabesysteme und Soundausgabe in Verbindung mit diesem VE-Typ sind zusätzlich zu<br />

installieren. Die Erdebox am IAO besitzt folgende auf das Wesentliche beschränkte<br />

Konfiguration:<br />

• zwei Hitachi-CP-sx5500-LCOS-Beamer (Liquid Crystal on Silicon): je 1365x1024 Pixel<br />

RGB, Kontrastverhältnis: 600:1 (lin./zirk. Polarisation)<br />

• Lichtleistung der Projektoren: 1500 ANSI Lumen, 1200 im Whispermode<br />

• Schirm: 3,1m Diagonale (Hochformat)<br />

• Field of View: 76°<br />

• Scanfrequenzen: horizontal: 15-82kHz, vertikal: 56-120Hz<br />

• Soundvorrüstung<br />

• elektromagnetisches oder optisches Tracking<br />

Abb. 35, Erdebox<br />

BARON [27]<br />

Bei diesem System handelt es sich um einen vielseitig einsetzbaren High-Performance-<br />

Projektionstisch. Anwendung findet er v.a. in der Forschung und dem Prototype-Designing.<br />

Mehrere Betrachter können gleichzeitig die <strong>VR</strong> wahrnehmen, Inhalte diskutieren und<br />

modifizieren. Das Problem besteht aber hier darin, dass <strong>von</strong> Hause aus keine Eingabesysteme<br />

vorgerüstet sind. Spezielle Hardwareanpassungen sind also <strong>von</strong>nöten, um eine Interaktion<br />

überhaupt erst zu ermöglichen. Über die folgenden, wichtigsten Spezifikationen verfügt der<br />

BARON:<br />

• 1-2 BarcoReality-908-CRT-Beamer (aktiv/passiv; vgl. 1.2.3 „Projektion“, lin. Pol.): RGB<br />

(180MHz), je 1600x1250 Pixel (max. 3200x2560 Pixel)<br />

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• Lichtleistung: 10% peak white: 603Nit/176ftL<br />

Ausgabemodi: economy (62Nit/19ftL), normal (91Nit/27ftL), boost (103Nit/31ftL)<br />

• Schirm: 1,7m Diagonale, DAB (Diffuse and Bright) Screen, um 90° schwenkbar<br />

• max. Blickwinkel bei min. 50% Helligkeit: horizontal +/-22°, vertikal +/-23°<br />

• Field of View: 68°<br />

• Scanfrequenzen: horizontal 30-180 kHz, vertikal 37-240 Hz<br />

• optisches Tracking<br />

Abb. 36, BARON<br />

HyPI-6 [28, 29]<br />

Hinter dieser Abkürzung steht die wichtigste <strong>VR</strong>-Forschungs- und Entwicklungsplattform des<br />

Fraunhofer IAO und zugleich eine außergewöhnliche virtuelle, immersive Umgebung –<br />

entstanden in Kooperation mit BARCO und sgi. Doch was bezeichnet sie eigentlich? „Hy“<br />

beschreibt den hybriden Charakter dieses hochinnovativen Systems, d.h. seine Variabilität<br />

hinsichtlich der Konfiguration. Es kann sowohl <strong>von</strong> einem skalierbaren PC-Multi-Node-<br />

Cluster oder einer Hochleistungsgrafikworkstation (SGI Onyx 3400, 6 IR3-Grafikpipelines)<br />

betrieben werden (vgl. 1.2.1, 1.2.4). Außerdem stehen entweder die aktive oder die passive<br />

Stereoprojektion <strong>zur</strong> Auswahl (vgl. 1.2.3, 1.2.4). Zum Einsatz kommen dabei 12 CRT-<br />

Projektoren (s.u.) – pro Wand zwei. Demnach versteht sich die o.g. „6“ als Kennzeichen für<br />

die Anzahl der Projektionsflächen. Diese „6-Seiten-CAVE“ ist also in der Lage, den<br />

Betrachter vollständig, in Form eines Würfels zu umschließen und somit einen immensen<br />

Zuwachs an Immersion zu erzeugen. Diese wird noch dadurch verstärkt, dass die so wichtige<br />

Propriozeption gegeben ist. Erst dank dieser wird ein tatsächlich „Begehen“ virtueller<br />

Modelle möglich, genauso wie ein völlig freies Erfahren. „PI“ als letzter offener Bestandteil<br />

der Bezeichnung steht für „Personal Immersion“, ein vom Fraunhofer IAO geprägter Begriff,<br />

der die vollständige Immersion zum Ausdruck bringen soll.<br />

Vorrangiges Ziel dieses Systems ist die Bereitstellung einer virtuellen, immersiven<br />

Entwicklungsumgebung weitestgehend auf Basis <strong>von</strong> Standardkomponenten. Zusätzlich sind<br />

neben dem elektromagnetischen Tracking zahlreich Eingabekonfigurationen möglich (vgl.<br />

1.2.2). Nachfolgend befindet sich eine Liste über die wichtigsten Komponenten und<br />

Kennzahlen der 6-Seiten-CAVE HyPI-6:<br />

36


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• 12 BarcoReality-909-CRT-Beamer (Aktiv-/Passivbetrieb): RGB (180MHz), theoretische<br />

Maximalauflösung: 3200x2560 Pixel (zirk. Pol.)<br />

• Lichtleistung der Projektoren: 10% peak white: 1250 Lumen<br />

Ausgabemodi: economy (195 ANSI Lumen), normal (250 ANSI Lumen), boost (300<br />

ANSI Lumen)<br />

• Aktiv-Mode (vgl. 1.2.4): 1024x1024 Pixel und nur ein Projektor je Wand, Betrieb über 6pipe-Onyx3-IR3-Grafikworkstation,<br />

Stereosicht über CrystalEyes3-Shutterbrillen<br />

• Passiv-Mode (vgl. 1.2.4): 1400x1400 Pixel und zwei Projektoren je Wand, Betrieb über<br />

12 vernetzte Linux-PCs, Stereosicht über Filterbrillen (zirkulare Polarisation)<br />

• Schirme: vier 2,9x2,7m (Wände), zwei 2,9x2,9m (Boden, Decke); jeweils<br />

spezialbeschichtete Kunststoffplatten, Boden aus beschichtetem Mehrschichtglas<br />

• Field of View: horizontal pro Wand 90° (vom Zentrum der CAVE aus), ansonsten<br />

äquivalent zum realen Sichtfeld<br />

• Scanfrequenzen: horizontal 30-180 kHz, vertikal 37-240 Hz<br />

• Tracking: Wireless Motion Star (elektromagnetisch), Auswertung und Steuerung über<br />

separaten PC, User trägt Übermittlungsstation in einem Rucksack (Sender, Akkus etc.)<br />

• Eingabegeräte: standardmäßig 1-2 Hornets (elektromagnetisch), anwendungsspezifisch<br />

aber auch viele andere bis hin zu komplexen Einzellösungen (Fahrsimulator etc.)<br />

Angesichts der technischen Möglichkeiten dieser VE stellt sich natürlich auch die Frage nach<br />

den Einsatzfeldern außerhalb <strong>von</strong> Forschung und Entwicklung. Anwendungsbeispiele lassen<br />

sich beispielsweise in der Automobil- bzw. Luftfahrtindustrie finden. Hier rentieren sich die<br />

hohen Anschaffungskosten relativ schnell, wenn man bedenkt, um wie viel günstiger z.B.<br />

virtuelle 1:1-Interieur-Mock-Ups (Innenraumstudien) gegenüber realen sind. Dennoch fristen<br />

CAVEs, speziell jene mit der HyPI-6 vergleichbaren Systeme, ein Seltenheitsdasein, v.a. weil<br />

der erreichbare Immersionsgrad und die 100%ige Rundumsicht für die allermeisten<br />

Anwendungen nicht notwendig sind.<br />

Abb. 37, HyPI-6<br />

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1.3 Erleben virtueller Umgebungen<br />

Dieser Abschnitt soll klären, wie sich das Zusammentreffen <strong>von</strong> Mensch und virtueller<br />

Realität abspielt, welche Größen Einfluss nehmen, auf welchen Ebenen die Mensch-<br />

Maschine-Interaktion (HCI: Human-Computer-Interaction) abläuft und welche Relevanz dies<br />

für die folgenden ergonomiebezogenen Betrachtungen hat. Im Fokus stehen dafür Immersion,<br />

Präsenz, die Rolle der Aftereffects und die Interaktion.<br />

1.3.1 Immersion<br />

Dieser Begriff (dt.: Eintauchen) spielt eine zentrale Rolle innerhalb virtueller Umgebungen.<br />

Er beschreibt sowohl ein phänomenologisches Erlebnis, als auch einen der wichtigsten<br />

Qualitäts- und damit Erfolgsfaktoren eines <strong>VR</strong>-Systems. Biocca und Levy formulierten 1995<br />

dazu: „The <strong>VR</strong> environment surrounds the senses. The optimist would say <strong>VR</strong> embraces the<br />

senses; the pessimist would say it kidnaps them.“ [7, S. 15] Weiter führt Biocca aus:<br />

„Immersive is a term that refers to the degree to which a virtual environment submerges the<br />

perceptual system of the user in virtual stimuli. The more the system captivates the senses and<br />

blocks out stimuli from the physical world, the more the system is considered immersive.“<br />

[30, S. 25] Schon diese wenigen Worte legen treffend dar, worum es der Immersion im Kern<br />

geht: die möglichst realitätsäquivalente Simulation perzeptiver Prozesse mit dem Ziel, die<br />

Sinne des eintauchenden Benutzers über möglichst vielen Kanäle künstlich, d.h. virtuell zu<br />

bedienen, während die Realität im Idealfall völlig ausgeblendet wird.<br />

Aktuell ist ein effektives künstliches Stimulieren des visuellen und auditiven, in Ansätzen<br />

auch des kinästhetischen Apparates des Menschen relativ problemlos realisierbar (vgl. 1.2.3).<br />

Damit liegen diese Faktoren im bevorzugten Einzugsbereich der <strong>VR</strong> und unterstützen<br />

ihrerseits das Immersionsbemühen beachtlich. Insbesondere die visuellen Reize befinden sich<br />

aufgrund der sehr hohen Bedeutung seitens der menschlichen Wahrnehmung im<br />

Betrachtungsfokus. Olfaktorische (Geruchsinn) und gustatorische (Geschmackssinn)<br />

Momente hingegen sind zwar Objekt <strong>von</strong> Forschungsstudien, im Realeinsatz jedoch kaum<br />

verbreitet.<br />

Auch der Grad der Intuition während der gerätenahen Interaktion (vgl. 1.3.3) spielt eine<br />

erhebliche Rolle für die Immersion, ebenso wie ein intuitives Szenen- und softwareseitiges<br />

Interaktionsdesign.<br />

Jedoch darf man nicht uneingeschränkt annehmen, dass Immersion ein stets anzuvisierendes<br />

Ziel <strong>von</strong> virtuellen Umgebungen ist. So gibt es v.a. im Bereich der Augmented Reality<br />

(„angereicherte“ Realität, Compositings aus <strong>VR</strong> und Wirklichkeit) Anwendungsfälle, wo es<br />

bewusst darauf ankommt, das Künstlich im realen Umfeld identifizieren zu können.<br />

Aus ergonomischer Sicht spielen beinahe alle Aspekte der Immersion eine große Rolle.<br />

Wichtig dafür ist eine objektive Messbarkeit der zu berücksichtigenden Größen und<br />

Elemente. Dazu gehören insbesondere die Aus- und Eingabesysteme (Gestalt, Qualität,<br />

Kenngrößen uvm.), das hard- bzw. softwarespezifische Interaktionsdesign und das<br />

Szenendesign. Die detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Umständen wird Gegenstand<br />

der folgenden Kapitel sein. Inwieweit die Immersion selbst zum Objekt ergonomischer<br />

Betrachtungen werden könnte, ist bislang noch nicht erörtert worden. Deshalb wird dieser<br />

Tatsache ebenfalls in den nachfolgenden Kapiteln besondere Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

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1.3.2 Präsenz<br />

Mit der Präsenz in virtuellen Umgebungen verbindet sich das hochgradig subjektive<br />

Empfinden/Erfahren, d.h. das persönliche Gefühl, in welchem Maße man<br />

„natürlicher/selbstverständlicher“ Bestandteil der künstlichen Welt ist. Dieses Gefühl<br />

beschreibt also im Grunde ein komplexes psychologisches und automatisch subjektives<br />

Immersionsfeedback. 1979 formulierte Gibson in Bezug auf die Wirklichkeit: „Presence is<br />

defined as the sense of being in an environment.“ Adaptiert auf rein medial vermittelte<br />

Realitäten wurde in Anlehnung an stammverwandte Begriffe die Telepräsenz eingeführt.<br />

„Telepresence is definded as the experience of presence in an environment by means of a<br />

communication medium. […] Presence refers to the natural perception of an environment, and<br />

telepresence refers to the mediated perception of an environment.“ [31, S. 76]<br />

Im Idealfall, also der absoluten Immersion in eine virtuelle Umgebung, d.h. der perfekt<br />

simulierten künstlichen Stimulation der Sinne, geht man <strong>von</strong> einer Deckungsgleichheit der<br />

Begriffe Präsenz und Telepräsenz aus Sicht des Benutzers aus. [32] Diesem sollte es dann<br />

nicht mehr möglich sein, Präsenz und Telepräsenz zu unterscheiden. Vor dem Hintergrund<br />

und der äußerst <strong>VR</strong>-spezifischen Verwendung des Begriffes Präsenz in der Fachliteratur, wird<br />

in dieser Arbeit ebenfalls Präsenz im Sinne des oben Geschilderten gebraucht. Auch<br />

Blascovich hielt dazu 2002 fest: „Although a universally accepted definition of presence has<br />

not evolved, scholars and investigators agree that this psychological construct is central to<br />

understanding human experience and behaviour within VEs and IVEs (Anm. d. A.: IVE <br />

Immersive Virtual Environments). We define presence as a psychological state in which the<br />

individual perceives himself or herself are existing within an environment.“ [33, S. 129] Ein<br />

Schlusspunkt unter diese Teilbetrachtung sei durch ein Zitat <strong>von</strong> Witmer und Singer aus dem<br />

Jahre 1998 gesetzt: „Presence is defined as the subjective experience of being in one place or<br />

environment, even when one is physically situated in another.“ [34, S. 225]<br />

Ähnlich wie auch die Immersion bisher nicht als eigenständiges Objekt ergonomischer<br />

Betrachtungen behandelt wurde, ist auch die Präsenz noch ausgeklammert. Allerdings<br />

gestaltet sich hier die Messbarkeit, also die Bewertung ungleich schwieriger, da das<br />

beschriebene Empfinden subjektiv, d.h. <strong>von</strong> Mensch zu Mensch durchaus sehr verschieden<br />

sein kann. Diverse Modelle versuchen, zumindest die technisch orientierten Determinanten<br />

des Präsenserlebens zu finden. Die wichtigsten vier seien nachfolgend in aller Kürze<br />

dargestellt.<br />

39


Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Präsenzmodell <strong>von</strong> Zelter (1992)<br />

Zelter erarbeitete zunächst drei Variablen:<br />

• „autonomy“ (Maß für das systemseitigen Reaktionsvermögen auf Ereignisse)<br />

• „interaction“ (Maß für die Echtzeitmodifizierbarkeit)<br />

• „presence“ (Maß für Art und Anzahl der dem Benutzer bereitgestellten<br />

Kommunikationskanäle)<br />

Abb. 38, Präsenzmodell <strong>von</strong> Zelter<br />

Diese Parameter ordnete Zelter in Form eines Würfels (AIP-Cube) an, wodurch ein<br />

Raumdiagramm entsteht, das besagt, dass nur bei völliger Erfüllung der Einzelkomponenten<br />

<strong>VR</strong> wirklich erfahren werden kann.<br />

Präsenzmodell <strong>von</strong> Sheridan (1992, 1996)<br />

Aus Sheridans Sicht liegen die Determinanten des Präsenzerlebens in:<br />

„extent of sensory information“ (Ausmaß der generierbaren sensorischen Informationen)<br />

„control of sensors“ (Möglichkeit der individuellen Kontrolle der Sensoren)<br />

„ability to modify the environment“ (Möglichkeit, die Umgebung zu modifizieren)<br />

Abb. 39, Präsenzmodell <strong>von</strong> Sheridan<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Auch Sheridan baut ein 3-dimensionales Diagramm auf, nach dem die „perfect presence“ nur<br />

bei voller Erfüllung der Einzelkomponenten erreicht wird. Allerdings bemerkt Sheridan, dass<br />

die genannten Determinanten stark aufgabenabhängig sind (Aufgabenschwierigkeit, -<br />

geschwindigkeit etc.).<br />

Präsenzmodell <strong>von</strong> Steuer (1992)<br />

Steuer stellt sein Modell auf folgende zwei, aus seiner Sicht grundlegende und technisch zu<br />

verstehende Determinanten mit ihren zugehörigen Parametern:<br />

• „vividness“ (Maß für die Vielfalt <strong>von</strong> Wahrnehmungskanälen)<br />

„breadth“ (Anzahl/Breite der Wahrnehmungskanäle)<br />

„depth“ (Auflösung der Wahrnehmungskanäle)<br />

• „interactivity“ (Maß für die Modifizierbarkeit der Umgebung)<br />

„speed“ (Übernahmegeschwindigkeit <strong>von</strong> Daten in die VE)<br />

„range“ (zeitpunktabhängige Anzahl <strong>von</strong> Interaktionsmöglichkeiten)<br />

„mapping“ (Anpassvermögen des System an Benutzerverhalten)<br />

Abb. 40, Präsenzmodell <strong>von</strong> Steuer<br />

Die durch die jeweiligen Parameter bestimmten Determinanten sollen schlussendlich, wie aus<br />

der Grafik erkennbar, bei Erfüllung <strong>zur</strong> „telepresence“, also <strong>zur</strong> Präsenz im Sinne der <strong>VR</strong><br />

führen.<br />

Präsenzmodell <strong>von</strong> Witmer und Singer (1994, 1998)<br />

Dieses letzte der herangezogenen Modelle ist weitestgehend integrativ organisiert. Es bedient<br />

sich der Stärken der genannten bzw. ergänzt diese und setzt sie in folgende durch<br />

verschiedene Studien belegte Faktoren um:<br />

• „control factors“ (Kontrollfaktoren), z.B.:<br />

Umfang und Art der Kontrolle<br />

Möglichkeit, die Umgebung zu manipulieren<br />

Antizipation <strong>von</strong> Ereignissen<br />

• „sensory factors“ (Sensoreneigenschaften), z.B.:<br />

Ausmaß, Multimodalität und Konsistenz der gebotenen sensorischen Information<br />

Grad der Bewegungswahrnehmung<br />

• „distraction factors“ (Störungsfaktoren), z.B.:<br />

Abschirmung gegen Außenreize<br />

Bereitschaft des Rezipienten <strong>zur</strong> selektiven Aufmerksamkeit<br />

Bewusstsein der Interaktionsmodalitäten<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

• „realism factors“ (Realsimusförderung), z.B.:<br />

Realismus in der dargebotenen Szene (v.a. visuell)<br />

Korrelation der vermittelten Informationen mit der Realität<br />

Bedeutungsgehalt der virtuellen Umgebung<br />

Auch hier erfolgt die Bewertung aufgrund des Erfüllungsgrades der vier Basisfaktoren.<br />

Am Ende muss jedoch noch einmal erwähnt werden, dass sämtliches Bemühen um eine<br />

perfekte Präsenz v.a. technisch längerfristig noch scheitern wird. Auch mangelt es derzeit<br />

noch massiv an der Identifikation individueller psychologischer Präsenzfaktoren (z.B.<br />

Adaptionsgeschwindigkeit, Motivation). Künftige Studien werden sich also speziell damit<br />

sehr grundlegend auseinandersetzen müssen, um die Aussagekraft und die Präzision <strong>von</strong><br />

Präsenzermittlungen deutlich steigern zu können.<br />

1.3.3 Aftereffects<br />

In 80-95% der Fälle treten nach dem Aufenthalt in einer virtuellen Umgebung bei den<br />

entsprechenden Personen u.U. verschiedene „Nachwirkungen“ oder auch „Aftereffects“ auf.<br />

Diese unerwünschten Begleiterscheinungen nach einem Kontakt mit einer virtuellen<br />

Umgebung können sich verschiedenartig äußern. Neben den unter dem Begriff „motionsickness“<br />

(z.B. beim Autofahren) bekannten Symptomen (u.a. Übelkeit, Schwindel,<br />

Schläfrigkeit), zählen auch Kopfschmerzen, Überbelastungen der Augen, visuelle Flashbacks,<br />

Desorientierung, Gleichgewichtsstörungen, Probleme bei der Auge-Hand-Koordination und<br />

viele andere mehr zu den Aftereffects. Treten Übelkeit und/oder Erbrechen allein aufgrund<br />

des Aufenthalts in einer virtuellen Umgebung auf, spricht man allgemein <strong>von</strong> „cybersickness“<br />

oder „simulator sickness“. [35]<br />

Die Ursachen für die genannten Symptome und damit essentielle Quellen für ergonomische<br />

Betrachtungen können sehr vielschichtig sein. So spielen beispielsweise das Alter, das<br />

Geschlecht, sowie die persönliche Dispositionen des Benutzers eine genauso entscheidende<br />

Rolle, wie technologischen Systemeigenschaften (u.a. visuelle Auflösung, Helligkeit,<br />

Kontrast, Bildwiederholfrequenz, Stereotrennung, Systemlatenz, Positions- und<br />

Zeitdiskrepanz zwischen Benutzereingabe und Systemfeedback), Interaktions- und<br />

Softwaredesigns (u.a. Sichtbarkeit/Größe <strong>von</strong> Navigations- und Steuermechanismen,<br />

Handhabbarkeit der Umgebung), die Aufenthaltsdauer und die zu bewältigenden Aufgaben.<br />

Zudem nimmt eine besondere Eigenschaft des menschlichen Nervensystems eine<br />

entscheidende Position im Zusammenhang mit den möglichen Ursachen ein, und zwar die<br />

sog. Wahrnehmungsadaption. Im aktuellen Kontext bedeutet dies, dass sich die<br />

Wahrnehmung aufgrund der Plastizität des Nervensystems auch an offensichtliche<br />

Fehldarstellungen/-eindrücke anpasst, also die falsche Informationsdarbietung adaptiert.<br />

Verlässt man nun die virtuelle Umgebung, verhindert die zuvor erfolgte Adaption eine<br />

problemfreie Umstellung auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit – Aftereffects treten auf.<br />

[36] Folgende beispielhafte Adaptionskonsequenz konnte Bricken 1992 in einem Versuch<br />

beobachten: „Adaption to the immaterial nature of virtual objects seemed quite easy for some<br />

students. One girl who seemed particularly at ease in <strong>VR</strong> bent over to fly down and tried to<br />

put her finger below her feet, through the floor of the lab; she seemed surprised that it was<br />

solid.“<br />

Wie erwähnt, spielen die Aftereffects aus ergonomischer Sicht eine besondere Rolle. V.a.<br />

durch gezielte technische Maßnahmen lassen sich viele der genannten Ursachen für die<br />

unerwünschten Nachwirkungen eines Besuchs in der <strong>VR</strong> bewältigen. Unter anderem wurde<br />

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bereits 1997 auf der „Seventh International Conference on Human Computer Interaction“<br />

unter dem Titel „Aftereffects and Sense of Presence in Virtual Environments“ ausführlich<br />

über Probleme und Bewältigungsstrategien diskutiert. Als Hauptschwierigkeit stellt sich nach<br />

wie vor die Messbarkeit der Aftereffects dar, die jedoch ihrerseits eine entscheidende<br />

Grundlage für fundierte Maßnahmen <strong>zur</strong> Vermeidung ist. Aufgrund der äußerst subjektiven<br />

Abhängigkeit können also nur Fragebögen oder vergleichbare Szenarien zumindest zu<br />

Teilergebnissen führen. Ein anerkanntes und häufig eingesetztes Beispiel für ein solches<br />

Vorgehen ist der 1993 erarbeitete „Simulator Sickness Questionnaire“ (SSQ) <strong>von</strong> Kennedy,<br />

Lane, Berbaum und Lilienthal. Er ist als Sonderform aus dem MSQ („Motion Sickness<br />

Questionnaire“, Kennedy, Tolhurst, Grayniel, 1965) entstanden.<br />

Teil dieser Arbeit wird es sein, relevante Faktoren für die unter 1.2.5 genannten System<br />

aufzuzeigen und zu bewerten.<br />

1.3.4 Interaktion<br />

Das wohl Bedeutendste, was eine virtuelle immersive Umgebung ausmacht, ist die<br />

Möglichkeit, mit ihr auf verschiedensten Ebenen, im Idealfall hochgradig intuitiv zu<br />

interagieren. Diese Form der Interaktion kann grundlegend im Kontext der Human Computer<br />

Interaction (HCI) gesehen werden, auch wenn diese sich im Wesentlichen auf die Betrachtung<br />

<strong>von</strong> Desktopsystemen konzentriert. Ohne die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die <strong>VR</strong><br />

bestünde der Sinn der sehr speziellen Präsentationstechnik bestenfalls in einer sicherlich<br />

ungewöhnlichen und interessanten, aber für professionelle Anwendungen unbedeutenden<br />

kino- oder fernsehartigen unidirektionalen stereoskopischen Unterhaltungsdarstellung. Doch<br />

beinhaltet <strong>VR</strong> im eigentlichen Sinne deutlich mehr. Dem Benutzer soll die Fähigkeit verliehen<br />

werden, sein virtuelles Umfeld immersiv zu erleben (vgl. 1.3.1). Nach DIN EN ISO 13407<br />

heißt es in der Begriffsdefinition zu interaktiven <strong>Systemen</strong>: „[...] Kombination <strong>von</strong> Hardware-<br />

und Softwarekomponenten, die Eingaben <strong>von</strong> einem (einer) Benutzer(in) empfangen und<br />

Ausgaben zu einem (einer) Benutzer(in) übermitteln, um ihn (sie) bei der Ausführung einer<br />

Arbeitsaufgabe zu unterstützen.“ [37]<br />

Die Interaktion findet also im Allgemeinen auf zwei Ebenen statt, einerseits auf der bereits<br />

beschriebenen physikalischen (Ein-/Ausgabegeräte, vgl. 1.2.2, 1.2.3) und andererseits auf der<br />

Anwendungsebene. Im Bereich der Anwendung, also der softwaremäßigen<br />

Interaktionsschnittstelle, stehen insbesondere die Navigation innerhalb der Anwendung und<br />

die Manipulation der virtuellen Welt bzw. ihrer Objekte im Vordergrund. Auf welche Punkte<br />

es dabei v.a. ankommt, sei nachfolgend ausgeführt.<br />

Navigation<br />

Unter DIN EN ISO 9241-14 heißt es <strong>zur</strong> Definition <strong>von</strong> Navigation: „Orientierung innerhalb<br />

einer Menüstruktur, das Springen <strong>von</strong> Option zu Option innerhalb eines Menüs sowie das<br />

Springen zwischen Menüs einer Menüstruktur“. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass<br />

die Navigation idealtypischerweise zügig, genau, intuitiv und fehlertolerant zu erfolgen hat. In<br />

der Realität werden, gemessen an den genannten Ansprüchen, jedoch schnell z.T. große<br />

Defizite deutlich. Je komplexer die Anwendung wird, desto weniger intuitiv gestaltet sich die<br />

Navigation. Optionen wirken unüberblickbar, teilweise auch doppeldeutig und die<br />

Fehlertoleranz sinkt. Da speziell <strong>VR</strong>-Applikationen derzeit einen ungewöhnlich hohen Grad<br />

an nichtstandardisierten und stark entwicklerspezifischen Merkmalen aufweisen, finden<br />

Softareinterfaceergonomen gerade hier ein in vielen Facetten neuartiges Betätigungsfeld. So<br />

muss untersucht werden, wann 2D- und wann 3D-Menüs sinnvoll sind, wie diese <strong>zur</strong><br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

optimalen Verwendung positioniert und gestaltet werden müssen, wie die Interaktion<br />

abhängig <strong>von</strong> den existenten Eingabesysteme erfolgen kann u.v.m.<br />

Navigation im <strong>VR</strong>-Umfeld steht aber auch für das orientierende Vorgehen des Benutzers in<br />

der virtuellen Welt. Folgende vier üblichen Modelle <strong>zur</strong> Navigation in der <strong>VR</strong>-Szene werden<br />

unterschieden:<br />

• 3D-Pan (3D-Schwenk): auf Bewegungen des Eingabegerätes hin wird die <strong>VR</strong>-Szene<br />

abhängig <strong>von</strong> den systembedingten Freiheitsgraden isomorph verschoben (Einsatz v.a. bei<br />

einzelnen und/oder kleineren Objekten)<br />

• World in Miniature (WiM): Veränderung des virtuellen Benutzerstandorts durch Anzeigen<br />

der neuen Zielposition auf einer z.B. gesondert eingeblendeten Miniaturversion der<br />

aktuellen <strong>VR</strong>-Welt (Einsatz z.B. bei größeren Szenen oder Szenen mit sehr komplexen<br />

Modellen)<br />

• Flymodell (Fliegemodell): durch Blickrichtung oder Zeigen (abhängig <strong>von</strong> Applikation<br />

und/oder verfügbarem Tracking) wird die komplette Szene kontinuierlich mit einer<br />

bestimmten Geschwindigkeit verschoben, die z.B. durch eine variable Entfernung des<br />

Eingabegerätes vom Körper vorgegeben werden kann (Einsatz v.a. bei Architektur- oder<br />

Geländemodellen)<br />

• Rotieren: ein selektiertes Objekt oder die gesamte Szene wird in dem Maße isomorph<br />

rotiert, wie ein bestimmtes Eingabegerät rotiert wird (allgemein ergänzendes<br />

Navigationprinzip)<br />

Manipulation<br />

Hierunter versteht man die Gesamtheit der Methoden, über die sich verändernd in die <strong>VR</strong>-<br />

Welt eingreifen lässt. Diesen Eingreifen kann im Wesentlichen direkt oder indirekt passieren,<br />

abhängig <strong>von</strong> der entsprechenden Objektdistanz.<br />

Die direkte Form der Manipulation betrifft alle Transformationen <strong>von</strong> Objekten, die sich ohne<br />

besondere virtuelle Hilfsmittel (Zeigestrahl etc., s.u.) im Aktionsraum des Benutzers<br />

selektieren lassen. Auf die Selektion folgt die direkte, meist isomorphe und damit auch<br />

intuitivste Variante der Manipulation.<br />

Entfernte Objekte bedürfen hingegen gesonderter Hilfsmechanismen zum Auswählen und<br />

Manipulieren. Die Auswahl kann erfolgen durch:<br />

• erweiterte Hand: virtuelle Repräsentation der Hand entfernt sich zunehmen <strong>von</strong> der realen<br />

Hand bis zum Erreichen des entfernten Objekts<br />

• Strahl: unendliche Verlängerung des <strong>von</strong> der Hand ausgehenden Zeigevektors, gewählt<br />

wird das auf dem Strahl am nächsten befindliche Objekt [38]<br />

• Zeigefinger: ein durch Blick- und Finger-/Handpunkt gebildeter Strahl, der prinzipiell<br />

genauso funktioniert wie der oben beschriebene Strahl<br />

Die Manipulation entfernter Objekte muss unter dem Gesichtspunkt zunehmender<br />

Ungenauigkeit gesehen werden. Spezielle Modifikationsmethoden setzen an diesem Problem<br />

an und versuchen so, die betreffenden Einflüsse zu kompensieren. Die drei meisteingesetzten<br />

Vorgehensweisen sind:<br />

• handzentrierte Objektmanipulation: das Manipulationszentrum des entfernten Objektes<br />

wird in das Objekt verlegt, während die Manipulation selbst <strong>von</strong> der Hand des Benutzers<br />

beschrieben wird (problematisch: auch hier kann v.a. eine sehr große Entfernung noch zu<br />

gewissen Genauigkeitsproblemen führen)<br />

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• Objektzoom: der Benutzer wird zum Objekt „befördert“, führt dort die Manipulationen<br />

aus und kehrt danach an seinen ursprünglichen Standort <strong>zur</strong>ück (problematisch: Art des<br />

Zooms schnelle kontinuierliche Zooms können Cybersickness verursachen)<br />

• WiM: bestimmte Bereiche oder auch die gesamte Szene können zu<br />

Manipulationszwecken verkleinert und damit für den Benutzer direkt erreichbar<br />

dargestellt werden (problematisch: mangelnden Genauigkeit aufgrund miniaturisierter<br />

Darstellungen)<br />

Wie aus den Beschreibungen zu ersehen ist, bergen die meisten der aufgeführten Navigations-<br />

und Manipulationsmethoden Defizite in sich, die zu analysieren und prototypisch zu lösen<br />

Teil dieser Arbeit sein wird. Eine weitere Schwierigkeit im Zusammenhang mit der<br />

räumlichen Interaktion ist die hohe Anzahl an Freiheitsgraden, deren vollständige<br />

Beherrschung den meisten Benutzern große Probleme bereitet. Existierende Ansätze<br />

beschreiten daher den Weg der Beschränkung <strong>von</strong> Freiheitsgraden, abhängig vom Niveau der<br />

gewünschten Genauigkeit [38]. D.h., dass um so weniger Freiheitsgrade <strong>zur</strong> Verfügung<br />

gestellt werden, je genauer die Tätigkeit ausgeführt werden soll (Rasterungen,<br />

koordinatenbezogene Bewegungsconstraints etc.). Da <strong>Untersuchungen</strong> zu diesem Thema<br />

bislang kaum oder nur un<strong>zur</strong>eichend durchgeführt wurden, soll auch dazu eine<br />

Randbetrachtung innerhalb dieser Arbeit stattfinden.<br />

1.4 Pionierforschungsobjekt <strong>VR</strong>-Ergonomie<br />

Nachdem die Begriffe <strong>VR</strong>/VE und Ergonomie vorangehend in sehr umfassenden<br />

Ausführungen in ihren Einzelbedeutungen betrachtet wurden, soll an dieser Stelle deren<br />

Integration erfolgen. Prinzipiell versteht sich die <strong>VR</strong>-Ergonomie als eine noch sehr junge<br />

Spezialdisziplin der Arbeitswissenschaften. Sie versucht zunächst, die besonderen<br />

Anforderungen an Hard-, Software und Umgebungsbedingungen <strong>von</strong> VEs zu erarbeiten (vgl.<br />

2), Empfehlungen für die <strong>Gestaltung</strong> zu formulieren und auf diese Weise Standards zu<br />

schaffen, an denen sich Forschung und Industrie orientieren können – oder vielmehr müssen.<br />

Ziel ist es überdies, arbeitsorganisatorische Optimierungen und prozessintegrative<br />

Effizienzsteigerungen zu erzielen, um die Potentiale <strong>von</strong> <strong>VR</strong> je nach Anwendungsgebiet voll<br />

ausschöpfen zu können.<br />

Der Pioniergedanke in diesem Zusammenhang erwächst v.a. aus der Tatsache, dass <strong>VR</strong> bis<br />

heute kaum irgendwelchen industriellen Standards unterliegt, bzw. sich teilweise adaptive<br />

Standards nur bedingt auf <strong>VR</strong> anwenden lassen. Zu neu ist das gesamt <strong>VR</strong>-Feld, zu speziell<br />

die Lösungen und somit zu unausgereift die Prozessintegration als wichtiges ökonomisches<br />

Argument für den Einsatz <strong>von</strong> <strong>VR</strong>. Weltweit werden deshalb inzwischen große<br />

Spezialistenkongresse abgehalten, auf denen immer häufiger neben den technoökonomischen<br />

Möglichkeiten und Visionen zunehmend auch ergonomiemotivierte Diskussionen geführt<br />

werden. Man darf es also als ein gutes Zeichen ansehen, dass man nun endlich damit beginnt,<br />

einer Technologie mit gewaltigen Potentialen die dringend notwendige Basis zu geben, <strong>von</strong><br />

der aus der Einzug in die verschiedensten Bereiche erfolgen kann. Und diese Basis sind<br />

allgemeingültige Standards, auch und v.a. in Bezug auf die Ergonomie künftiger Systeme.<br />

An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an, deren höhergelagertes Ziel darin bestehen<br />

wird, Impulse zu schaffen, an denen sich möglichst schon in naher Zukunft weiterführende<br />

Forschungsaktivitäten orientieren können. Sämtliche zu erarbeitenden Empfehlungen,<br />

Vorgehensmuster, Bewertungskriterien etc. finden bisher nirgendwo Entsprechungen und so<br />

ist jede/s ein innovativer Akt <strong>von</strong> großer Bedeutung.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

1.4.1 Evolution im Bereich <strong>VR</strong>-Ergonomie<br />

Die Wurzeln der <strong>VR</strong>-Ergonomie liegen in sehr unterschiedlichen Gebieten, was abermals<br />

verdeutlicht, welch hochintegratives Untersuchungsobjekt sich hinter ihr verbirgt. Dabei<br />

kristallisieren sich nach vielen Jahren <strong>von</strong> Forschung und Entwicklung eine Reihe besonders<br />

bedeutsamer Voraussetzungen heraus, die in ihrem Zutragen <strong>zur</strong> <strong>VR</strong>-Ergonomie nachfolgend<br />

kurz beleuchtet werden.<br />

Bereits genannt wurde die Arbeitswissenschaft (vgl. 1.1) als fundamentale Mutterdisziplin<br />

aller <strong>ergonomischen</strong> Sichtweisen und erstes wesentliches Standbein der <strong>VR</strong>-Ergonomie. Da<br />

die historischen arbeitswissenschaftlichen Bezüge bereits in 1.1 sehr ausführlich dargelegt<br />

wurden, sei an dieser Stelle lediglich auf entsprechenden Punkt verwiesen.<br />

Das zweite Standbein bildet die <strong>VR</strong>-Technologie (vgl. 1.2) selbst. Noch viel stärker, d.h.<br />

schneller als die Arbeitswissenschaften haben sich die technologischen Vorgaben in den<br />

letzten Jahren/Jahrzehnten entwickelt. Aus dem anfänglichen Umfeld <strong>von</strong> computergestützten<br />

Arbeitsplätzen mit üblichen Eingabegeräten, wie Tastaturen und Mäusen (nur 2 DoF) gingen<br />

immer speziellere Konfigurationen hervor, die immer intuitivere Interaktionen bei<br />

Verbesserung <strong>von</strong> Eingabe- und Darstellungssystemen zuließen. Logische Ergebnisse auf<br />

dem Weg zu heutigen VEs waren die Entwicklung der stereoskopischen Repräsentation (vgl.<br />

1.2.3 u. 1.3), die Erweiterung der DoF bei den Eingabegeräten, sowie das für ein effektives<br />

Präsenzerleben notwendige Tracking <strong>von</strong> z.B. Kopf- und Handbewegungen (vgl. 1.2.2).<br />

Zusätzlich wurde stetig daran gearbeitet, die multimodale Bedienung der Sinne (vgl. 1.3.1) zu<br />

perfektionieren [39]. Zentrales Anliegen für all diese Bemühungen war und ist nach wie vor<br />

der Wunsch nach einer dem Menschlichen nachempfundenen künstlichen Möglichkeit des<br />

Sehens und Arbeitens. Dieser anfangs eher visionäre Wunsch wurde zunehmend zu einem<br />

Motor für eine hochinnovative Anwendungsforschung, deren einzelne Zentren sich<br />

mittlerweile über die gesamte Welt verteilen.<br />

Das dritte Standbein wird durch die Umgebungsbedingungen (Beleuchtung, Klima, Akustik,<br />

Strahlung etc.) <strong>von</strong> VEs gebildet. Hier sind Grundlagen ebenfalls in den<br />

Arbeitswissenschaften zu finden, die sich ihrerseits schon verhältnismäßig lange mit den<br />

rahmenbildenden Arbeitsbedingungen beschäftigen. Aus dieser Voraussetzung heraus ist auch<br />

begründbar, wieso dahingehend bereits sehr umfassende wissenschaftliche Betrachtungen<br />

angestellt wurden. Problematisch zeigen sich jedoch hochspezifische Bedingungen, die so <strong>von</strong><br />

keinem bisherigen Arbeitssystem auf den arbeitenden Menschen eingewirkt haben. In Kapitel<br />

2 werden im allgemeinen Anforderungskatalog u.a. auch solche Anforderungen zu finden und<br />

zu formulieren sein. Genau dort setzt die konsequente Fortsetzungen, Modifikation oder auch<br />

Evolution bestehender Richtlinien und Maßgaben an und schafft eine entscheidende<br />

Grundlage für die <strong>VR</strong>-Ergonomie, ebenso wie für die Ergebnisse dieser Arbeit.<br />

Es kann also festgehalten werden, dass trotz der ausgeprägten Eigenständigkeit aktueller VEs,<br />

doch die unvermeidliche Verknüpfung zu den nach wie vor verwandten Desktopsystemen<br />

bleibt, wie sie seit mehreren Jahrzehnten Büros, Produktionsstätten, aber auch das heimische<br />

Umfeld bereichern. Daher verwundert es nicht, dass selbst die ausgefallensten <strong>VR</strong>-<br />

Technologien sich an gewachsenen informatorischen und arbeitswissenschaftlichen<br />

Richtwerten orientieren, wobei eine starke Filterung und Weiterentwicklung unerlässlich ist.<br />

Das Bestreben ist groß, die Benutzer in einem gewissen Maße an Gewohntes zu erinnern,<br />

während sie sich „in“ das völlig Neue begeben, wobei gerade im <strong>VR</strong>-Bereich die<br />

Konfrontationstendenz bezüglich neuer Erfahrungen erheblich ist. Das betrifft u.a.<br />

Sehgewohnheiten, Bewegungsgewohnheiten, Arbeitsgewohnheiten und psychologische<br />

Grundmuster. Genauso wie sich die genannten Erfahrungswerte mit der Zeit geformt haben,<br />

sind sie es nun, die den Rahmen für das Neue bilden. Eine gegenseitig verknüpfte Bedingung<br />

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stellt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselformel dar und wird auch in Zukunft der Quell<br />

für Nachhaltigkeit, Effizienz und Sicherheit nicht nur im <strong>VR</strong>-Umfeld sein. Speziell die<br />

Entwicklungen in den Standardisierungen spielen daher für die <strong>VR</strong>-Ergonomie eine sehr<br />

bedeutende Rolle, wie im Gegenzug die Forschungen in diesem Bereich für die für einen<br />

umfassenden Durchbruch essentielle und fundamentbildende Standardisierungsentwicklung.<br />

1.4.2 Relevanzfaktoren<br />

Nach den umfassenden theoretischen Vorbetrachtungen, Querverflechtungen <strong>von</strong> Technik,<br />

Psychologie und philosophischen Rahmenkonstrukten, sollen nun all jene Faktoren<br />

(Relevanzfaktoren) herausgestellt werden, die in den wissenschaftlichen<br />

Auseinandersetzungen der folgenden Kapitel mit der <strong>VR</strong>-Ergonomie <strong>von</strong> besonderer<br />

Bedeutung sind, d.h. welche Ziele im Detail gesetzt werden.<br />

Unter 1.2.5 wurden bereits die vier VEs vorgestellt, die den technischen Rahmen bilden. Zur<br />

Erinnerung, dies waren:<br />

• Virtual Research V8<br />

• Erdebox (Powerwall)<br />

• BARON (Workbench)<br />

• HyPI-6 (CAVE)<br />

Anhand dieser beispielhaften Systeme wird unter Einbeziehung anthropometrischer<br />

Bedingungen zu klären sein, welche <strong>ergonomischen</strong> Anforderungen an <strong>VR</strong>-Systeme<br />

(Hardware, Software) allgemein gestellt werden müssen, wie diese ggf. erhoben und<br />

entsprechende Maßnahmen <strong>zur</strong> normgerechten Modifikation unspezifisch erarbeitet werden<br />

können (vgl. 3). Auch den bereits angesprochenen Umgebungsbedingungen wird eine<br />

erhebliche Bedeutung und damit Berücksichtigungen bei die <strong>Untersuchungen</strong> beigemessen.<br />

Den normativen Rahmen dafür stellen v.a. sämtliche deutschen und Euronormen, sowie<br />

fundierte wissenschaftliche Publikationen, aber auch Normäquivalente ohne regionale<br />

Einschränkungen. Anhand dieser und noch zu erarbeitende Systematiken (vgl.3) soll ein<br />

integrativer Richtlinienkatalog abgeleitet werden (vgl. 2), über den z.B. die oben aufgeführten<br />

Stellvertretersysteme bewertet (vgl. 3) und künftige, völlig neue Systeme orientiert werden<br />

können. Dieser Richtlinienkatalog oder auch Anfrorderungskatalog ist in Zusammenhang mit<br />

der zu konzipierenden Bewertungsmatrix (vgl. 3) als dynamisch ausgelegtes<br />

Bewertungsmittel ein offenes und flexibles Produkt, das spezifischen Anforderungen jederzeit<br />

Rechnung tragen kann und einem steten Anpassungsprozess unterworfen bleibt. Es existiert<br />

die Idee, im Rahmen kooperativer Diskussionen eine Plattform/ein Forum zu schaffen, über<br />

welches weltweit durch Wissenstransfers ein generischer Rahmen für die<br />

Standardentwicklung geschaffen werden kann.<br />

Ein weiteres Ziel des Richtlinienkataloges und der mit ihm verflochtenen Systematiken<br />

besteht darin, normative Defizite aufzudecken, Lösungsvorschläge zu definieren, um darüber<br />

Initialimpulse für eventuell notwendige Forschungen zu geben. D.h., es geht darum,<br />

Anforderungen an <strong>VR</strong>-Systeme, die keinerlei normative Entsprechungen zulassen, durch<br />

wissenschaftliche Methoden zu untersuchen und aufgrund dieser Nachforschungen<br />

Empfehlungen/Maßgaben zu formulieren, die qualitativ einen normäquivalenten Charakter<br />

besitzen. Unter 4 wird eine Auswahl (v.a. Polarisationseigenschaften) der zuvor erkannten<br />

Defizite auf wissenschaftlich fundierte Weise untersucht.<br />

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Damit wären die maßgeblichen Voraussetzungen und Ziele genannt, die es in dieser Arbeit zu<br />

behandeln gilt. Mit dem folgenden Kapitel 2 werden die existenten Schnittstellen <strong>zur</strong><br />

Diplomarbeit aufgezeigt und deren Bedeutungen für den weiteren Verlauf präzisiert, sowie<br />

u.a. der Anforderungskatalog als das zentrale Instrument erarbeitet.<br />

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2 Richtlinienbewertung und Maßnahmenentwicklung im <strong>VR</strong>/VE-Umfeld<br />

Ziel dieses Gliederungspunktes ist es, die Vorarbeiten im Bereich der Richtlinienbewertung<br />

und Maßnahmenentwicklung zu spezifizieren, dadurch die Schnittstellen <strong>zur</strong> vorliegenden<br />

Arbeit zu klären, Defizite in den Vorarbeiten aufzudecken und schließlich eine verifizierbare<br />

Basis für die kommenden Betrachtungen zu schaffen. Diese Basis wird in erster Linie in einen<br />

integrativen Richtlinienkatalog münden, der darlegt, welche <strong>ergonomischen</strong> Anforderungen<br />

(HW, SW etc.) an eine virtuelle, immersive Umgebung gestellt werden sollten, welche Richt-<br />

bzw. Grenzwerte dafür idealerweise gelten, welche Quellen herangezogen wurden und<br />

insbesondere welche <strong>ergonomischen</strong> Belange im <strong>VR</strong>/VE-Umfeld bisher durch keine<br />

Richtlinie, Norm, wissenschaftliche Arbeit etc. abgedeckt werden. Schließlich wird diskutiert,<br />

welche grundsätzlichen Herangehensweisen für die spezifischen Maßnahmenentwicklungen<br />

abhängig vom Anwendungsfeld <strong>von</strong> Bedeutung sind.<br />

Die Erkenntnisse aus diesem Prozess werden jene Schritte bereiten, die in den<br />

Gliederungspunkten 3 (Entwicklung <strong>von</strong> Systematiken) und 4 (praktische <strong>Untersuchungen</strong>)<br />

die wissenschaftlichen Betrachtungen begleiten.<br />

2.1 Rückblick auf Vorarbeiten, Voraussetzungen, Defizite<br />

Hier werden nun all jene bereits existierenden Bearbeitungen kurz beleuchtet, die in ihrem<br />

Gehalt Relevanz für die vorliegende Arbeit besitzen. Es soll klar werden, worin die<br />

Voraussetzungen bestehen, inwiefern Umfang, Tiefgründigkeit und Qualität der Vorarbeiten<br />

wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und v.a. wo die Defizite liegen. Erforderliche<br />

Lösungen bzw. Lösungsstrategien werden unter 2.2 und 2.3 erarbeitet.<br />

Richtlinienbewertung<br />

Bei der Richtlinienbewertung handelt es sich allgemein um ein analytisches Vorgehen <strong>zur</strong><br />

Synthese anwendbarer Grenzwertquellen. Entgegen möglicher Vermutungen handelt es sich<br />

nicht um eine ausschließlich auf Richtlinien ausgerichtete Untersuchung, sondern bezieht<br />

sowohl Normen, Gesetze, wissenschaftliche Arbeiten etc. mit ein. Der Richtlinienbegriff steht<br />

hier also für den Empfehlungscharakter.<br />

Eine dem gemäße Richtlinienbewertung wurde bereits vor Beginn dieser Arbeit<br />

vorgenommen. Dabei wurden anhand technischer und softwarebezogener Anforderungen an<br />

die genannten <strong>VR</strong>-Referenzsysteme insbesondere Entsprechungen aus dem Normen- und<br />

Richtlinienumfeld <strong>von</strong> Bildschirmarbeitsplatztätigkeiten recherchiert. Dies betraf u.a.<br />

Grenzwerte zu den Ein- und Ausgabesystemen, sowie der generellen Körperhaltung während<br />

sitzender oder stehender Tätigkeiten.<br />

Da man sich jedoch an einem klassischen Bildschirmarbeitsplatz weder gehend bewegt, noch<br />

3-dimensionale Bewegungen mit Armen oder Händen durchführt, war es erforderlich,<br />

generischere Erhebungsstrategien für die Ermittlung ergonomischer Belastungsgrenzen<br />

anzuwenden. Auch hierzu wurden erste Schritte bereits im Vorfeld dieser Arbeit<br />

unternommen. So erweiterte man den Betrachtungsrahmen auf industrielle Tätigkeiten, bei<br />

denen speziell das Arbeiten mit Stellteilen (Hebel, Griffe, Anzeigen etc.) oder zusätzlichen<br />

Schutzbekleidungen (Helme, Schutzbrillen etc.) eine Rolle spielt.<br />

Für das Umfeld der <strong>VR</strong>-Systeme, d.h. Raumbedarf, Raumklima, Raumhelligkeit etc. wurden<br />

erste Richtwerte aus allgemeinen Arbeitsplatznormen und Architekturmaßgaben gewonnen.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Obwohl man mit den geschilderten Voraussetzungen eine gute Grundlage für weitergehende<br />

<strong>Untersuchungen</strong> vorfindet, waren die erhobenen Referenzen diffus, häufig <strong>von</strong> zu geringem<br />

Detailgrad, schlecht organisiert und trotz entsprechender Ansätze wenig systematisch. Auch<br />

wurden mehrfach Belastungsverknüpfungen aufgrund eher intuitiver Ansätze angedeutet, wo<br />

bei exakter Analyse keine haltbaren Verbindungen zu definieren sind. Es wurden bis auf<br />

anthropometrische Grundparameter normferne humanbiologische Faktoren nur minimal<br />

berücksichtigt, was eine Erschließung weitere Grenzwertquellen verhinderte. Definitiv nicht<br />

durch bestehendes Normenmaterial zu untermauernde Anforderungen wurden kaum<br />

herausgearbeitet, wie auch ein brauchbarer Anforderungskatalog als gehaltvolles Destillat aus<br />

den umfangreichen Entsprechungsrecherchen nicht existierte.<br />

Maßnahmenentwicklung<br />

Hierunter versteht man generell den Prozess der anforderungsbezogenen Entwicklung <strong>von</strong><br />

Anpassungsmaßnahmen bezüglich der bekannten Referenz-VEs. Es soll also untersucht<br />

werden, welche Modifikationen an den bestehenden <strong>Systemen</strong> vorgenommen werden müssen,<br />

um sie den zuvor erhobenen <strong>ergonomischen</strong> Anforderungen gerecht zu gestalten. Dabei sind<br />

die relevanten Anforderungen dem Anforderungskatalog zu entnehmen, der Erfüllungsgrad<br />

festzustellen und zu analysieren, welche Lösungsmöglichkeiten existieren. Aus diesen werden<br />

schließlich die technologisch und ökonomisch sinnvollsten ausgewählt und umgesetzt. Die<br />

Maßnahmenentwicklung versteht sich zusätzlich als Hilfsmittel, um über bekannte<br />

Kreativitätstechniken zunächst Wege zu eröffnen, auf denen dann wiederum effektiv nach<br />

entsprechenden Lösungen auf Basis etablierter Schemata gesucht werden kann. Genauer wird<br />

das allgemeingültige systematische Vorgehen <strong>zur</strong> Maßnahmenerhebung unter 3.1.3<br />

beleuchtet.<br />

Die vorgefundene Maßnahmenentwicklung war hochgradig <strong>von</strong> intuitiven<br />

Herangehensweisen geprägt und aufgrund der bruchstückhaften Anforderungsliste nur äußerst<br />

eingeschränkt dem maßgeblichen Zweck zuführbar. Demzufolge war auch der<br />

Maßnahmenkatalog als Resultat der Maßnahmenentwicklung mangels wissenschaftlicher<br />

Fundierung noch sehr weit <strong>von</strong> einem plausiblen Werkzeug <strong>zur</strong> allgemeinen Anwendung<br />

entfernt. Nichtsdestotrotz wurden zumindest erste Ideen festgehalten, wie entsprechende VE-<br />

Elemente ergonomisch günstiger gestaltet werden könnten, wenn auch effektive<br />

Lösungsstrategien gänzlich fehlten.<br />

Ziel wird es also sein, auf Basis wissenschaftlicher Methoden über die Richtlinienbewertung<br />

zu einem Anforderungskatalog zu kommen, der dann wiederum <strong>zur</strong> systemabhängigen<br />

Maßnahmenentwicklung dient. Diese soll in Form einer prinzipiellen strategischen<br />

Vorgehensempfehlung entstehen. Dabei werden die Resultate empfehlungsorientiert<br />

erarbeitet, d.h. ein abgeschlossener Normungscharakter wird im Rahmen dieser Arbeit nicht<br />

angestrebt.<br />

2.2 Finalisierung der Richtlinienbewertung<br />

Für eine haltbare Richtlinienbewertung ist es notwendig, einem methodischen<br />

Erhebungsprozess zu folgen. Aufgrund der kaum überschaubare Masse an bereits existenten<br />

Normen und Richtlinien ist es also sinnvoll, ein Erhebungsmodell zu entwerfen, das es<br />

ermöglicht, eine schrittweise Eingrenzung relevanter Quellen zu erreichen. In Ergänzung dazu<br />

sind empirische Methoden stets eine hilfreiche Unterstützung (Expertengespräche,<br />

Benutzerstudien etc.). Nachfolgend soll in wesentlichen Zügen das in dieser Arbeit<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

entwickelte und angewandte Modell vorgestellt und in seinen wichtigsten Funktionen<br />

erläutert werden.<br />

Ebene 1 – Analyse der Basisfaktoren<br />

Auf welche primären, ergonomisch interessanten technischen Parameter gestützt sind die zu<br />

untersuchenden VEs grundlegend zu bewerten? Zur Klärung dieser Frage werden die<br />

Systemdaten gemäß Gliederungspunkt 1.2.5 herangezogen. Es ergeben sich daraus folgende<br />

Relevanzen:<br />

• Bildauflösung (effektive Auflösung)<br />

• Leuchtstärke, Kontrast<br />

• Farbechtheit<br />

• winkel-, entfernungsabhängige Leuchtstärke<br />

• Field of View (horizontal, vertikal)<br />

• Bildschirmgröße (Diagonale, horizontale und vertikale Ausdehnung)<br />

• Bildwiederholfrequenzen (horizontal, vertikal)<br />

• Akkomodationsabstand (statisch, dynamisch)<br />

• Passform für kopf-, handgetragene Geräte<br />

• akustische <strong>Gestaltung</strong><br />

• Gewicht für getragene Geräte (z.B. Hand-, Kopfgeräte, Rucksack)<br />

• Bewegungsmodalitäten<br />

• Körperhaltungen<br />

• Strahlenbelastung (Tracking, Visualisierungsgeräte etc.)<br />

Ebene 2 – Analyse unmittelbarer Umgebungsparameter<br />

Welche sekundären Beeinflussungsgrößen wirken weitestgehend unabhängig <strong>von</strong> den in<br />

Ebene 1 genannten Basisfaktoren auf den Benutzer zumeist kontinuierlich ein? Hierbei dient<br />

<strong>zur</strong> Klärung die exakte Beobachtung und Bewertung chemischer und physikalischer<br />

Einflussgrößen im jeweiligen Einsatzumfeld. Da bis auf Sonderkonfigurationen jede der<br />

Referenz-VEs in architektonisch betrachteten Innenräumen eingesetzt werden, findet eine<br />

Berufung auf entsprechend spezifische Anforderungen statt. Die gefundenen Größen lassen<br />

sich in folgende Liste zusammenfassen, wobei allgemein eine starke<br />

Personenzahlabhängigkeit besteht:<br />

• Umgebungsbeleuchtung<br />

• Umgebungstemperatur<br />

• Luftfeuchtigkeit<br />

• Luftverunreinigungen<br />

• Sauerstoff-, Kohlendioxidgehalt<br />

• Luftstromgeschwindigkeit (Zug)<br />

• Luftwechselrate<br />

• allgemeiner Geräuschpegel<br />

Ebene 3 – Analyse der Wahrnehmungsparameter<br />

Die zentrale Fragestellung dieser Ebene befasst sich mit der Gesamtheit multimodaler<br />

Wahrnehmungseinflüsse und den mit ihr verknüpften physischen, als auch psychischen<br />

Belastungen des Benutzers. Hierbei spielen v.a. die Themen Ausgabegeräte (vgl. 1.2.3), 3D-<br />

Wahrnehmung (vgl. 1.2.4), Immersion (vgl. 1.3.1), Präsenz (vgl. 1.3.2) und die Interaktion<br />

(vgl. 1.3.4) eine besondere Rolle. Entsprechend differenziert müssen die relevanten Parameter<br />

aufgeschlüsselt werden.<br />

• Ausgabeparameter<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

o visuell: Helligkeit, Kontrast, Bildwiederholfrequenz, Farbechtheit<br />

o auditiv: Hörschwelle, Schmerzgrenze, Schallrichtung, Beschallungsdauer<br />

o taktil: Reizauflösung, Schmerzgrenze, Belastungsdauer, Berührungsverträglichkeit<br />

o olfaktorisch/gustatorisch: Intensität, Einwirkungsdauer, chemische Verträglichkeit<br />

• 3D-Wahrnehmung<br />

o Akkomodationsweite/-dynamik (Abstand <strong>zur</strong> Präsentationsfläche)<br />

o Akkomodations-Konvergenz-Diskrepanz (vgl. 1.3.3, Aftereffects)<br />

o Effektivität der Bildtrennung (Shutter-, Filterqualität etc.)<br />

o Szenen-/Interaktionsdesign <strong>zur</strong> Förderung darstellungspsychologischer Faktoren<br />

• Immersion/Präsenz<br />

o Grad der sensuellen Abschottung gegen die unmittelbare Umgebung<br />

(Gefahrenpotentiale, Arbeitseffizienz)<br />

o Grad der multisensuellen Vereinnahmung (Immersion, kognitive Reizüberflutung)<br />

• Interaktion<br />

o softwareseitiges Interaktionsdesign (Navigation, Steuerung etc.)<br />

o hardwareseitiges Interaktionsdesign (Schnittstellengerätedesign, i.V.m. Ebene 1)<br />

o Intuitivität, Interaktionsstrategien<br />

Ebene 4 – Analyse arbeitspsychologischer Belastungsparameter<br />

Welche Auswirkungen hat das Arbeiten in einer VE auf die Psyche eines Menschen und<br />

wo<strong>von</strong> hängen diese Auswirkungen ab? Auch wenn die erwiesenermaßen psychischen<br />

Effekte als Resultat aus zwischenmenschlichen Konfrontationen (vgl. 1.1) eine große Rolle<br />

bei den Betrachtungen spielen, sei der Fokus hier v.a. auf die technologisch motivierten<br />

Einflüsse gerichtet. Dabei soll jedoch nur ein Überblick über wesentliche Faktoren erreicht<br />

werden. Diese sind im Grundsatz:<br />

• Isolation<br />

• Arbeitszeit<br />

• künstliches Umfeld<br />

• wahrnehmungspsychologische Belastungen<br />

Nach Aufschlüsselung der Kernthemen der Richtlinienerhebung muss klar sein, dass die<br />

Ebenen des Erhebungsmodells nicht als streng hierarchisch unidirektional organisiert zu<br />

verstehen sind, sondern als ein intrakooperierendes Schalenkonstrukt. Die nachfolgende<br />

Grafik soll dies verdeutlichen.<br />

Abb. 41, Erhebungsmodell<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Es wird also in Schritten <strong>von</strong> der technologischen Basis bis <strong>zur</strong> psychischen Belastung des<br />

Menschen das gesamte Kontaktspektrum zwischen Benutzer und VE herausgearbeitet. Infolge<br />

dessen kann nun die Aufschlüsselung relevanter normativer Verweise entsprechend den<br />

Ebenen erfolgen, wobei eventuelle Redundanzen vernachlässigt werden.<br />

2.2.1 Relevante Richtlinien und Normen<br />

Für die Berücksichtigung ergonomischer Bezüge zu den Referenz-VEs seien gemäß des<br />

ebenenorientierten Erhebungsmodells <strong>von</strong> 2.1 jeweilige exakte oder verwandte normative<br />

Entsprechungen, wissenschaftlich fundierte <strong>Untersuchungen</strong> bzw. generelle<br />

Forschungsansätze konzeptionell aufgeschlüsselt. Es lassen sich im Zuge dessen drei<br />

grundsätzliche Kategorien definieren, in welchen differenzierbare Richtlinienbewertungen<br />

durchgeführt werden können. Im Einzelnen sind dies:<br />

• Anforderungen an die Hardware (VE, Umgebung)<br />

• Anforderungen an die Software (Interaktion, Design)<br />

• Anforderungen an arbeitspsychologische Prinzipien<br />

Entsprechend unterteilt zeigt nachfolgende Tabelle die in den Erhebungsebenen erarbeiteten<br />

Phänomene und normative Referenzen, so weit Referenzierungen möglich sind. Fehlt die<br />

Möglichkeit einer Entsprechung, werden die verantwortlichen Phänomene gesondert markiert.<br />

Phänomen allgemeine normative Entsprechung<br />

Bildauflösung (effektive Auflösung) DIN 5340<br />

Leuchtstärke, Kontrast EN ISO 9241-3<br />

Farbechtheit EN ISO 9241-8<br />

winkel-, entfernungsabhängige<br />

Leuchtstärke<br />

EN ISO 9241-3<br />

Field of View (horizontal, vertikal) EN ISO 9241-5 (z.T.)<br />

Bildschirmgröße (Diagonale, horizontale<br />

und vertikale Ausdehnung)<br />

EN ISO 9241-5<br />

Bildwiederholfrequenzen (horizontal,<br />

vertikal)<br />

BildschArbV, GUV 5012<br />

Passform für kopf-, handgetragene Geräte DIN EN 397, EN ISO 9241-9<br />

akustische <strong>Gestaltung</strong> BildschArbV<br />

Gewicht für getragene Geräte (z.B. Hand-, EN ISO 9241-9 (Handgeräte), DIN EN 166<br />

Kopfgeräte, Rucksack)<br />

(Augenschutz)<br />

Bewegungsmodalitäten DIN 33411, DIN 33402, Teil 3, DIN EN 894<br />

Körperhaltungen EN ISO 9241-5, -9,<br />

Strahlenbelastung (Tracking,<br />

Visualisierungsgeräte etc.)<br />

BimSchV, TCO '99<br />

Umgebungsbeleuchtung DIN 5035-2<br />

Umgebungstemperatur EnEV, DIN 1946<br />

Luftfeuchtigkeit EnEV, DIN 1946<br />

Luftverunreinigungen EnEV, DIN 1946<br />

Sauerstoff-, Kohlendioxidgehalt EnEV, DIN 1946<br />

Luftstromgeschwindigkeit (Zug) EnEV, DIN 1946<br />

Luftwechselrate EnEV, DIN 1946<br />

allgemeiner Geräuschpegel BildschArbV<br />

visuell: Helligkeit, Kontrast, EN ISO 9241<br />

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Bildwiederholfrequenz, Farbechtheit<br />

auditiv: Hörschwelle, Schmerzgrenze,<br />

Schallrichtung, Beschallungsdauer<br />

taktil: Reizauflösung, Schmerzgrenze,<br />

Belastungsdauer,<br />

Berührungsverträglichkeit<br />

olfaktorisch/gustatorisch: Intensität,<br />

Einwirkungsdauer, chemische<br />

Verträglichkeit<br />

Akkomodationsweite/-dynamik (Abstand<br />

<strong>zur</strong> Präsentationsfläche)<br />

BildschArbV (z.T.)<br />

???<br />

???<br />

EN ISO 9241-5 (z.T.)<br />

hardwareseitiges Interaktionsdesign EN ISO 9241, DIN 33401<br />

(Schnittstellengerätedesign, in<br />

Verbindung mit Ebene 1, s.o.)<br />

Effektivität der Bildtrennung (Shutter-, ???<br />

Filterqualität etc.)<br />

Präsentationsinhaltsdesign EN ISO 9241<br />

Szenen-/Interaktionsdesign <strong>zur</strong> Förderung EN ISO 14915 (z.T.), EN ISO 9241 (z.T.)<br />

darstellungspsychologischer Faktoren<br />

softwareseitiges Interaktionsdesign EN ISO 14915 (z.T.)<br />

(Navigation, Steuerung etc.)<br />

Intuitivität, Interaktionsstrategien EN ISO 14915 (z.T.), EN ISO 9241 (z.T.)<br />

Grad der sensuellen Abschottung gegen ???<br />

die unmittelbare Umgebung<br />

(Gefahrenpotentiale, Arbeitseffizienz)<br />

Grad der multisensuellen Vereinnahmung ???<br />

(Immersion, kognitive Reizüberflutung)<br />

Akkomodations-Konvergenz-Diskrepanz ???<br />

(vgl. 1.3.3, Aftereffects)<br />

Isolation ???<br />

Arbeitszeit ???<br />

künstliches Umfeld ???<br />

wahrnehmungspsychologische<br />

Belastungen<br />

???<br />

Durch die Zuweisung der Referenzen zu den Phänomenen fand eine implizite Bewertung der<br />

Quellen statt. Eine Quelle gilt solange als irrelevant, bis ein normativer Bezug zu einem<br />

Phänomen hergestellt werden kann. Fehlen generell entsprechende normative Verweise,<br />

handelt es sich um potentielle praktische Untersuchungsgebiete (vgl. 4). Das<br />

Auswahlverfahren wurde somit gemessenen am geforderten konzeptionellen<br />

Bewertungsanspruch abgeschlossen.<br />

2.2.2 Anforderungskataloge<br />

Im Folgenden werden die Resultate bzw. Vorgehensstrategien ausgeführt, mit deren Hilfe<br />

eine ergonomische Bewertung <strong>von</strong> <strong>Systemen</strong> prinzipiell vorgenommen werden kann. Die<br />

Werkzeuge, die speziell diesem Zwecke dienen sollen, sind die Anforderungskataloge zu den<br />

drei Kategoriekomplexen <strong>von</strong> 2.2.1.<br />

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Die dort erarbeiteten <strong>ergonomischen</strong> Grenz- bzw. Empfehlungswerte genügen nachweislich<br />

wissenschaftlichen Ansprüchen, da ihre qualitative Untermauerung sichergestellt ist.<br />

Diesbezüglich defizitäre Ansätze bedürfen weitergehender praktischer Studien und<br />

kennzeichnen indirekt vielleicht am allerbesten den Pioniergedanken des Forschungsgebietes<br />

<strong>VR</strong>-Ergonomie (vgl. 1.4).<br />

Wichtig für alle kategoriebezogenen Anforderungskataloge ist der Grundgedanke eines<br />

offenen, flexiblen und dynamischen Orientierungsmittels, das auch durch extrem<br />

anwendungsfallabhängige Betrachtungen erweitert werden kann. Wie bereits unter 1.4.2<br />

beleuchtet, sind die theoretischen Produkte der Forschungen <strong>zur</strong> <strong>VR</strong>-Ergonomie einem steten<br />

Entwicklungsprozess unterworfen. In Dialogen mit Experten und über umfassende<br />

Benutzerstudien soll im Idealfall ein weltweites Forum geschaffen werden, um aktuelle<br />

Erkenntnisse, neue Forschungsberichte u.Ä. für die Definition <strong>von</strong> <strong>ergonomischen</strong> Richtlinien<br />

<strong>zur</strong> <strong>Gestaltung</strong>, zum interaktiven Umgang, <strong>zur</strong> Arbeitorganisation mit und in virtuellen,<br />

immersiven Umgebungen schnell und stark facettiert zusammenzutragen. Näher wird speziell<br />

dieser Ansatz unter 2.4 diskutiert.<br />

2.2.2.1 Hardware und Umgebung<br />

Der im Anhang (S. 119 ff.) aufgeführte Anforderungskatalog <strong>zur</strong> Bewertung <strong>von</strong> VEs anhand<br />

klar definierter Grenzwerte stellt eine wissenschaftlich fundierte Basis zum allgemeinen VE-<br />

Hardwaredesign dar. Prinzipiell werden nur funktionelle Anforderungen benannt. Ungeklärte<br />

Phänomene erfahren, wie bereits erwähnt, eine gesonderte Kennzeichnung, wie auch in den<br />

Folgekatalogen.<br />

2.2.2.2 Software<br />

Die starke Verwandtschaft mit künstlichen Präsentationstechnologien klassischer<br />

Desktopsysteme legte den Schluss nahe, zunächst alle relevanten Anforderungen an<br />

weitestgehend äquivalente Bildschirmarbeitsplätze zu berücksichtigen. Diese sind definiert in<br />

einschlägigen DIN- bzw./und Euronormen (u.a. EN ISO 14915, EN ISO 9241). Zusätzlich ist<br />

eine Erweiterung der Inhalte notwendig, um auch den kategoriebezogenen Spezifika<br />

Rechnung zu tragen. Dazu zählen insbesondere das Inhaltsdesign, Szenen-/Interaktionsdesign<br />

<strong>zur</strong> Förderung darstellungspsychologischer Faktoren, softwareseitiges Interaktionsdesigns<br />

bezüglich Navigation, Steuerung etc. und die Berücksichtigung benutzertypischer<br />

Intuitivitätserwartungen und Interaktionsstrategien. Hierbei werden gerade die zuletzt<br />

genannten spezifischen Elemente auch für zukünftige <strong>Untersuchungen</strong> eine entscheidende<br />

Rollen spielen, können im Rahmen dieser Arbeit jedoch nur grundsätzlich erörtert werden.<br />

Demnach stellen die im Anhang (S. 132) aufgeschlüsselten additionalen <strong>ergonomischen</strong><br />

Anforderungen an das Softwaresystem nur einen ersten Anstoß dar und sollen entsprechend<br />

des formulierten Richtungsgedankens Initiatoren für weitergehende Forschungen<br />

repräsentieren, besitzen also in der Mehrzahl Hypothesencharakter. Auch ist eine klare<br />

Grenzwertempfehlung aufgrund des Betrachtungsgegenstandes so nicht realisierbar. Eher<br />

werden ganzheitliche Empfehlungen ausgesprochen, deren Evaluation Bestandteil künftiger<br />

separater Forschungsarbeiten sein muss.<br />

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2.2.2.3 Arbeitspsychologie<br />

An dieser Stelle wird einmal mehr der extrem interdisziplinäre Hintergrund der <strong>VR</strong>-<br />

Ergonomie erkennbar. Arbeitswissenschaften, Technologie, Politik und Psychologie greifen<br />

hier ineinander. Dieses Thema gestaltet sich daher zu komplex, um es in allen Details<br />

innerhalb dieser Arbeit zu berücksichtigen. Deshalb wird hier, ähnlich wie zu 2.2.2.1, der<br />

Hypothesencharakter in den Vordergrund gestellt. Inhaltlich werden die unter 2.2 gefundenen<br />

Faktoren beleuchtet. Eine normative Entsprechung ist in den meisten Fällen aus Mangel an<br />

existenten wissenschaftlichen Belegen kaum realisierbar. Es ergibt sich daraus wiederholt die<br />

Aufforderung, in spezifischen <strong>Untersuchungen</strong> die Empfehlungen zu den erkannten<br />

Phänomene zu evaluieren bzw. neue Empfehlungen und Anforderungen, demnach auch die<br />

zugehörigen Katalogäquivalente, zu erarbeiten.<br />

2.3 Strategien <strong>zur</strong> Maßnahmenentwicklung<br />

Im Gegensatz zu Richtlinienbewertung und Anforderungserhebung liegt das Ziel der<br />

Auseinandersetzung mit der Maßnahmenentwicklung in erster Linie im Finden <strong>von</strong><br />

geeigneten Strategien <strong>zur</strong> Erarbeitung <strong>von</strong> Maßnahmen <strong>zur</strong> Systemanpassung. Das Aufstellen<br />

<strong>von</strong> konkreten Maßnahmenlisten ist hingegen nicht Bestandteil dieser Arbeit. Dies wird<br />

Aufgabe der Strategieanwendung im realen Umfeld sein. Dazu werden v.a.<br />

Expertenbefragungen, wissenschaftliche Diskussionen und systematische Erhebungen dienen.<br />

Um zunächst den Änderungsbedarf <strong>von</strong> VEs, gemessen an den erhobenen Anforderungen,<br />

festzustellen, ist es erforderlich, jedes einzelne System auf den Erfüllungsgrad aller relevanten<br />

Anforderungen hin zu untersuchen (vgl. 2.3.1). Wird dabei ein Erfüllungsmangel ermittelt,<br />

besteht generell Anpassungsbedarf. Unter 2.3.2 werden dazu Vorschläge erarbeitet, die<br />

ihrerseits Grundlage für die Systematik <strong>zur</strong> Maßnahmenerhebung bilden. Es wird also zu<br />

untersuchen sein, inwiefern unter den verschiedenen Voraussetzungen in den einzelnen<br />

Anforderungskategorien eine homogene Vorgehensweise zu extrahieren ist, die dann<br />

wiederum systematisiert werden kann (vgl. 3).<br />

2.3.1 Systembezogene Erfüllungserhebung<br />

Ausgerichtet an den jeweiligen Anforderungen besteht die Hauptaufgabe der<br />

Erfüllungserhebung in der Feststellung spezifischen Erfüllungsgrade. Darunter versteht man<br />

das Maß, zu welchem jede einzelne Anforderung an das <strong>VR</strong>-System <strong>von</strong> diesem tatsächlich<br />

erfüllt wird. Das Maß ist zudem erheblich da<strong>von</strong> abhängig, in welchem Kontext die<br />

betreffende VE eingesetzt wird, d.h. für welche Aufgaben, über welchen Zeitraum, <strong>von</strong> wem<br />

und vieles andere mehr. Daraufhin lässt sich eine hinreichend exakte anforderungsbezogene<br />

Kennzahl definieren, die den prozentualen Erfüllungsgrad repräsentiert.<br />

Nun ließen sich in Abhängigkeit <strong>von</strong> zuvor definierten Grenzwerten bzw. Grenzwertzonen<br />

entsprechende Maßnahmenpakete <strong>zur</strong> Behebung <strong>von</strong> Erfüllungsmängeln für jede einzelne<br />

Anforderung zusammenstellen. Die Einbeziehung <strong>von</strong> Zonen könnte hier neben der<br />

Empfehlung <strong>von</strong> Ober- und Untergrenzen v.a. unter ökonomischen Gesichtspunkten eine<br />

bedeutende Position einnehmen. Dabei verstünden die Zonen sich in diesem Zusammenhang<br />

als gestaffelte Modifikationsintensitäten. Nicht immer wird es notwendig und angemessen<br />

sein, das Anpassungsmaximum zum erklärten Systemänderungsziel zu machen. Viel eher<br />

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sollten, sofern es die jeweiligen Anforderungen in ihrem Erfüllungsspektrum erlauben,<br />

genannte Kosten/Nutzen-optimierte Modifikationsintensitäten ins Auge gefasst werden.<br />

Für die Realisierung eines zonengeführten Maßnahmenkonzeptes müssen alle entsprechenden<br />

Anforderungen in Bezug auf prinzipiell jede VE in ihren Erfüllungsstufen differenziert<br />

werden. Ergebnis eines solchen Schrittes wäre ein separater Anforderungskatalog bzw. eine<br />

Erweiterung der o.g. Katalogvarianten. Schon allein angesichts dieses Ansatzes wird schnell<br />

klar, dass hierzu sehr umfangreiche <strong>Untersuchungen</strong> anzustellen sind. Wie Vorgehensweisen<br />

<strong>zur</strong> Berücksichtigung <strong>von</strong> Grenzwertzonen in Bezug zu betreffenden Maßnahmenerhebungen<br />

aussehen könnten, wird im folgenden Gliederungspunkt 2.3.2 diskutiert.<br />

2.3.2 Konzept zu Maßnahmenkatalogen<br />

Wie bereits unter 2.3.1 verdeutlicht, handelt es sich bei den Maßnahmenkatalogen<br />

grundsätzlich um explizite Empfehlungswerke <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> Optimierung bestehender<br />

VEs, aber auch um <strong>Gestaltung</strong>srichtlinien für völlig neue Systeme. Man muss dabei jedoch<br />

differenzieren. Auf der einen Seite existieren klare Parameter, zu denen Erfüllungsgrade ohne<br />

Weiteres ermittelt und auf deren Ausprägungen hin angemessene Modifikationen<br />

durchgeführt werden können. Deutlich schwierig gestaltet sich diese pragmatische<br />

Herangehensweise in Verbindung mit weniger „greifbaren“ Anforderungen. Speziell<br />

mental/kognitiv orientierte Maßgaben bedürfen einer spezifischen Behandlung.<br />

Ein weiteres wesentliches Kriterium sind die benannten Modifikationsintensitäten. In ihnen<br />

kann der Schlüssel zu wirtschaftlich und technologisch hocheffizienten Anpassungen<br />

bestehender Systeme gesehen werden. So wird es allen voran dem professionellen Anwender<br />

<strong>von</strong> Virtual Reality möglich sein, gemessen an seinen Mitteln, der eingesetzten VE und den<br />

minimal zu erreichenden <strong>ergonomischen</strong> Zielen, maßgeschneiderte Lösungen zu erarbeiten.<br />

Da die Bedeutung der Erfüllungsgrade für die einzelnen Anforderungen ebenfalls sehr<br />

anwendungsspezifisch sind, ist es angebracht, Gewichtungen in die Bewertung einzuführen.<br />

Beispielsweise spielt für <strong>VR</strong>-Konferenzen die effektive Präsentationsauflösung eine geringe<br />

Rolle als für CAD-Evaluierungen oder immersives Modellieren. Auch ist das FoV für einen<br />

Chemiker, der Molekülstrukturen virtuell visualisiert weniger relevant, als z.B. für einen<br />

Architekten, der Begehungen durchführen und Innenraumgestaltungen überprüfen möchte.<br />

Die Entwicklungsstrategie sieht vor, aufgedeckten Erfüllungsmängeln durch ingenieurmäßige<br />

Problemlösungsprozesse zu begegnen. Das heißt, dass zunächst verschiedene<br />

Voraussetzungen für die Maßnahmenentwicklung geschaffen bzw. beachtet werden müssen.<br />

Dazu zählen im Allgemeinen folgende Schritte:<br />

• Systembewertung auf Basis des Anforderungskataloges, ggf. implizite<br />

Anforderungserhebung<br />

• Isolation <strong>von</strong> kritischen Erfüllungsgrößen, ggf. Einordnung in Zonenkonzepte<br />

• Bestimmung der jeweiligen Relevanzen für das Gesamtsystem<br />

• Festlegung <strong>von</strong> Gewichtungen bezüglich des Einsatzgebietes und zugehöriger<br />

Rahmenparameter<br />

• Verifizierung und klare Definition des Änderungsbedarfs bzw. Änderungsspielraums<br />

(technologisch, ökonomisch)<br />

Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, wie in den jeweiligen Kategorieumfeldern auf den<br />

o.g. Voraussetzungen aufbauend vorgegangen werden kann, um optimale Ergebnisse bei der<br />

Maßnahmenerhebung zu erzielen. Einige aktuelle exemplarische Anpassungen werden<br />

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vorgestellt. Über die Erhebungs- und Anwendungsstrategien soll es schließlich möglich<br />

werden, fundierte Maßnahmenkataloge zu erstellen. Die Beantwortung der Frage nach der<br />

Umsetzungen gefundener Maßnahmen ist nicht Bestandteil dieser Arbeit.<br />

2.3.2.1 Hardware und Umgebung<br />

Nachdem anhand <strong>von</strong> expliziten Anforderungen sowohl der definitive Änderungsbedarf<br />

festgestellt, als auch der entsprechende Änderungsumfang anhand <strong>von</strong> technologischen,<br />

ökonomischen, selbst politischen Rahmenbedingungen klar definiert wurde, können spezielle<br />

Vorgehensweisen <strong>zur</strong> Behebung technischer Defizite aus ergonomischer Sicht analysiert<br />

werden. Dafür dienen v.a. die VDI-Richtlinien 2221 (Methodik zum Entwickeln und<br />

Konstruieren technischer Systeme und Produkte) und 2222, Blatt 1 (Methodisches Entwickeln<br />

<strong>von</strong> Lösungsprinzipien), die auch tragendes Element für die Systematisierungen in Kapitel 3<br />

der vorliegenden Arbeit sind.<br />

Folgende Phasen lassen sich aus dem VDI-gemäßen Vorgehensmodell eines zyklischen<br />

Problemlösungsprozesses extrahieren [VDI 2221, Grundlagen der Methodik]:<br />

• Problemanalyse („[...] Gegenüberstellung mit mehr oder weniger Unbekanntem<br />

hinsichtlich der Lösung des Problems.“)<br />

• Problemformulierung („[...] Formulierung und vor allem Präzisierung des zu lösenden<br />

Problems aufgrund des vollständigeren Informationsstandes [...]“)<br />

• Systemsynthese („Beim Suchen nach Lösungen [...] werden Lösungsideen oder schon<br />

konkrete Lösungen erarbeitet und kombiniert. Wesentliches Merkmal ist das Entwickeln<br />

bzw. Erkennen [...] mehrerer Lösungen.“)<br />

• Systemanalyse („[...] wird dann dieses Lösungsfeld hinsichtlich der Eigenschaften seiner<br />

Lösungen analysiert, um die für eine Lösungsauswahl erforderlicher Informationen zu<br />

gewinnen.“)<br />

• Beurteilung und Entscheidung („[...] ist Grundlage für eine [...] Entscheidung über eine<br />

bevorzugte und <strong>zur</strong> Weiterführung der <strong>Systemen</strong>twicklung geeigneten Lösung oder über<br />

einen Abbruch der Entwicklungen.“)<br />

Abb. 42, Systemtechnische Problemlösungszyklen<br />

58


Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Es muss gerade bei der Modifikation technischer Systeme die modulare Integrität im Fokus<br />

der Anpassungsmaßnahmen bleiben. Dies bedeutet, dass es notwendig ist, bei der zyklischen<br />

Maßnahmenerfolgskontrolle auch potentielle Auswirkungen auf alle in der Systemhierarchie<br />

benachbarten Module zu betrachten, um dort ggf. Erfüllungsparameter zu überwachen.<br />

Weiterhin gilt insbesondere hier der Grundsatz vom „Erkennen der Kombinierbarkeit <strong>von</strong><br />

Einzellösungen zu Teillösungen und Gesamtlösungen“ [VDI 2221, G.d.M.]. Entscheidend für<br />

viele Fälle im Bereich der <strong>VR</strong>-Hardware ist überdies die Maßgabe, gewisse Grundfunktionen<br />

<strong>von</strong> Geräten durch notwendige funktionelle Anpassungen optimalerweise nicht zu<br />

beeinflussen. Im folgenden Beispiel der in der CAVE eingesetzten Stereobrille <strong>zur</strong><br />

Bildtrennung im passiven Projektionsmodus (gilt im übertragenen Sinne auch für die aktive<br />

Stereobrille) sollen die o.g. Schritte <strong>von</strong> der anforderungsbasierten Erfüllungsbewertung bis<br />

zum Lösungskonzept durchlaufen werden.<br />

Problemanalyse<br />

Die passive Stereobrille, die z.B. in der CAVE einerseits als binokularer Einzelbildseparator<br />

(vgl. 1.2.4), andererseits aber auch als Träger für den Kopfpositions-/lagesensor<br />

(elektromagnetisches Tracking, vgl. 1.2.2) dient, weist z.T. gravierende ergonomische Mängel<br />

auf und ist damit geradezu prädestiniert für eine exemplarische Behandlung. Umfassende<br />

Benutzerstudien ergaben folgende elementaren Defizite:<br />

• Auflagefläche auf der Nase ist zu schmal und zu hart, wodurch ein übermäßiger<br />

Schmerzdruck erzeugt wird<br />

• Gewicht des einseitig angebrachten (meist am vorderen Außenbereich des linken Bügels)<br />

Kopfpositions-/lagesensors und des <strong>von</strong> ihm ohne weitere Zugentlastungen vertikal<br />

freihängenden Kabels zum Rucksack bewirkt durch ein ungünstiges Drehmoment eine<br />

Schrägstellung der Brille und dadurch einen nochmals vergrößerten Schmerzdruck<br />

• zirkularen Polarisationsfilter auf den Gläsern bewirken visuelles Übersprechen der<br />

Einzelbilder für das linke und das rechte Auge und einer damit verbundenen Störung der<br />

3D-Wahrnehmung<br />

• Filter bewirken Lichtminderung und damit Kontrastreduktion, aber Farbverfälschungen<br />

Problemformulierung<br />

Auf die Problemanalyse kann nun die exakte Problemformulierung folgen. Dabei geht man im<br />

Regelfall so vor, dass die Einzelprobleme zunächst separat bearbeitet werden. Für den<br />

vorliegenden Fall sei deshalb beispielhaft die ungleichmäßigem Gewichtsverteilung gewählt.<br />

Die ungleichförmige Gewichtsverteilung (Links Rechts) muss ausgeglichen werden. Es<br />

muss eine Drehmomentverringerung/-verlagerung (Sensor, hängendes Kabel) erfolgen, um<br />

sowohl die stark linksseitige Schmerzbelastung, als auch die Schrägstellung der Brille<br />

aus<strong>zur</strong>äumen. Der Sensor muss <strong>zur</strong> Kopfpositions-/Lageerkennung nutzbar und allgemein<br />

entfernbar bleiben. Darüber hinaus dürfen die grundlegenden Eigenschaften der Brille<br />

(aufsetzbar, tragbar, keine weitere Einschränkung des Gesichtsfeldes) nicht eingeschränkt<br />

werden und es dürfen keine neuen Belastungen hinzu kommen. Weiterhin sind sowohl<br />

limitierte Umsetzungszeit, als auch begrenzte Finanzen zu beachten.<br />

Systemsynthese<br />

Zwei zentrale Faktoren konnten identifiziert werden, die <strong>zur</strong> belastenden Gewichtsverteilung<br />

führen. Nachfolgend seien diese wichtigsten Faktoren genannt und Lösungsvorschläge<br />

erarbeitet:<br />

• Position des Sensors (Drehmoment, einseitiges Gewicht):<br />

In früheren Versuchen wurde festgestellt, dass eine Platzierung (augennah für korrekte<br />

Positionsbestimmung und damit Szenenberechnung) des Sensors mittig zwischen den<br />

59


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Augen aufgrund seiner Größe eine allgemein sehr störende Einschränkung des<br />

Gesichtsfeldes darstellt. Auch die Anbringung eines Kopfgurtes wurde wegen zusätzlicher<br />

Belastungen und einem zu aufwendigen Anlegen ausgeschlossen.<br />

Um weder das Gesichtsfeld weiter einzuschränken, noch eine Zusatzbelastung auf die<br />

Kopfoberseite zu verursachen, wäre es sinnvoll, nicht den Sensor zu verlegen, sondern ein<br />

Gegengewicht <strong>zur</strong> Lagestabilisierung für die Brille am rechten Bügel zu installieren.<br />

Dieses Gegengewicht muss ebenso entfernbar sein, wie der Sensor. Ergibt sich daraus ein<br />

verifizierbar verstärkter Druck auf Nasenrücken und/oder Ohrenansatz, sollte diesem im<br />

Zuge der Behandlung des Problems „Auflagefläche“ Rechnung getragen werden<br />

(Ausnutzung <strong>von</strong> Effektverwandtschaft).<br />

Alternativ könnte ein kleinerer ergo leichterer Sensor eingesetzt werden. In Verbindung<br />

mit dem Faktor „Kabelverlauf“ (s.u.) ist eine zusätzliche Drehmomentverlagerung und<br />

somit kumulierte Belastungsverminderung zu erreichen.<br />

• Kabelverlauf (Drehmoment- und Gewichtsverstärkung)<br />

Das Kabel ist bisher notwenig, um die Sensordaten (Position, Lage) an den im Rucksack<br />

mitgeführten Sender zu übertragen. Da der Sensor an der Außenseite des linken<br />

Brillenbügels angebracht ist, wirkt das Kabel durch die Schwerkraft besonders<br />

drehmomentverstärkend.<br />

Das Kabel muss also einen anderen Weg zum Rucksack finden. Ein Führen über Kopf<br />

oder durch das Gesichtsfeld ist dabei aus o.g. Gründen ausgeschlossen. Bleibt zunächst<br />

nur der Weg über den linken Bügel (außen am Bügel oder im Bügel), was wiederum eine<br />

Verlagerung des Drehmoments <strong>von</strong> der Bodenausrichtung nach hinten über das Ohr<br />

bedeutet. Dies entlastet in erster Linie die problematische Auflagefläche auf dem<br />

Nasenrücken. Ein positiver Nebeneffekt ist der Wegfall der durch das Kabel zuvor<br />

verursachten leichten Gesichtsfeldstörung. Weiterhin wird die Schrägstellung der Brille<br />

verringert, was die Masse des notwendigen Gegengewichtes am rechten Bügel und somit<br />

die Gesamtbelastung der Auflageflächen reduziert.<br />

Alternativ könnte ein kabelloser Sensor eingesetzt werden. Jedoch verknüpft sich damit<br />

der Bedarf einer Subsendeeinheit, sowie einer Energiequelle im Sensor, um die Daten an<br />

den Hauptsender im Rucksack zu übertragen. Dies bedeutet einen höheren Aufwand an<br />

Technologie und dadurch an Masse, die entsprechend ausgeglichen werden müsste. Eine<br />

erhöhte Gesamtmasse erhöht ihrerseits den Druck auf die Auflageflächen, die dann stärker<br />

gepolstert werden sollten.<br />

Systemanalyse<br />

Um die potentiell beste Lösungen objektiv beurteilen zu können, ist eine genaue Analyse der<br />

Ergebnisse aus der Systemsynthese notwendig. Zentral sind besonders die folgenden Fakten<br />

<strong>von</strong> Bedeutung:<br />

• technischer Aufwand<br />

• geschätzter zeitlicher Aufwand<br />

• geschätzter finanzieller Aufwand<br />

• tendenzielle Neuentwicklung <strong>von</strong> einzelnen Elemente/Module<br />

• Einflussnahme auf benachbarte Elemente/Module<br />

60


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Konkret ergibt sich daraus für die behandelten Problemkomplexe nachstehende<br />

Analysematrix:<br />

Lösungsansatz<br />

(Kurzbezeichnung)<br />

techn.<br />

Aufwand<br />

<br />

Gegengewicht gering<br />

<br />

kleinerer/leichterer groß<br />

Sensor<br />

<br />

Kabelführung über mittel<br />

Brillenbügel <br />

kabelloser Sensor groß<br />

<br />

zeitl.<br />

Aufwand<br />

<br />

gering<br />

<br />

groß<br />

<br />

gering<br />

<br />

groß<br />

<br />

finanz.<br />

Aufwand<br />

<br />

mittel<br />

<br />

groß<br />

<br />

gering<br />

<br />

groß<br />

<br />

Neuentwicklungen<br />

<br />

minimal<br />

<br />

ja<br />

<br />

teilweise<br />

<br />

ja<br />

<br />

Querbeeinflussungen<br />

<br />

ja (+/-)<br />

<br />

ja (+)<br />

<br />

ja (+)<br />

<br />

ja (+/-)<br />

<br />

Lösungskennzahl<br />

max: 63<br />

53<br />

Beurteilung und Entscheidung<br />

Auf Grundlage der oben erstellten Analysematrix werden nun die optimalsten Lösungsansätze<br />

ausgewählt. Dazu sollte eine angemessen detaillierte Bewertung erfolgen, die sich auf ein<br />

übliches Gewichtungsmodell stützt. Zu diesem Zweck werden wertgrößenabhängig generelle<br />

Bewertungen für die Analysefakten vergeben (z.B. 0-9) und anschließend für jedes Faktum<br />

eine Gewichtung (z.B. 0-2) festgelegt (in spitzen Klammern). Daraus ergibt sich für jeden<br />

Lösungsansatz eine objektive Kennzahl, die nach Prüfung aller relevanten Kriterien eine<br />

fundierte Vergleichsreferenz liefert (größte Kennzahl entspricht potentiell bester Lösung).<br />

Gemäß des VDI-konformen Problemlösungskonzeptes erhält man auf diesem Wege eine<br />

Auswahl realisierbarer ergonomischer Verbesserungen, auf deren Basis die exakte<br />

technologische Umsetzung geplant werden kann. Nachfolgend ist die beispielhafte Lösung<br />

[nach Frank Haselberger, IAO] des Gewichtsverteilungsproblems bezüglich der passiven<br />

Stereobrille zu sehen. Diese Lösung ließe sich in geringer Modifikation ebenso auch auf die<br />

prinzipiell problemverwandte aktive Stereobrille anwenden.<br />

Abb. 43, Modifizierte Stereobrillen (oben: passiv, unten: aktiv, rechts: CAD-Modell für Gegengewicht)<br />

24<br />

49<br />

17<br />

61


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2.3.2.2 Software<br />

Zur Erinnerung, der relativ allgemein überschriebene Bereich Software umfasst die<br />

kompletten softwareseitigen Interaktions- und Darstellungstechniken. Da die Darstellung<br />

wiederum eng mit der Wahrnehmung verknüpft ist, sind auch hierin wichtige Faktoren unter<br />

o.g. Gesichtspunkt zu sehen. Damit ergeben sich stark integrative Lösungsanforderungen, die<br />

dennoch in ihre Einzelspezifika differenziert gesehen werden müssen. Keine<br />

Berücksichtigung finden unterdessen Softwareoptimierungen, die beispielsweise größere<br />

Systemstabilität oder Systemperfomance zum Ziel haben, wobei das Thema Performance<br />

immer ein wichtiges Bewertungskriterium bleibt.<br />

Gezeigt werden soll die zumeist verwobene Problemstruktur an einem akuten<br />

Interaktionsdefizit. Dabei geht es um die Darstellungs- und Designmodalitäten <strong>von</strong><br />

Navigations- und Steuerungseinblendungen (Menüs) innerhalb <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-Szenen. Zur<br />

Bearbeitung wird ein <strong>zur</strong> Hardwarebetrachtung hinreichend modifiziertes<br />

Vorgehensäquivalent gewählt.<br />

Problemanalyse<br />

Der Umgang mit Menüs in virtuellen, immersiven Welten wird durch viele<br />

Negativeigenschaften sehr erschwert. Da die Anzahl dieser Mängel verhältnismäßig groß ist,<br />

seien im Anschluss nur die wichtigsten genannt:<br />

• stark anwendungsspezifische, d.h. inhomogene Menüformen (z.B. Kugel, verschiedene<br />

Fläche)<br />

• häufige Außerkraftsetzung der üblichen Lesrichtung (z.B. strahlenweise Optionen)<br />

• Nichtbeachtung <strong>von</strong> Sehgewohnheiten für Lestexte (z.B. außerhalb der<br />

Akkomodationsebene)<br />

• sehwinkelbedingt verdeckte Optionen (z.B. Kugelmenü)<br />

• sehwinkelbedingt verfärbte Optionen (z.B. verfälschte Farbdarstellung bei gekippten,<br />

beleuchteten Farbselektionsmenüs)<br />

• inkonsequente Präsentationsmodalitäten (variable Entfernung, Größe, Winkel etc.)<br />

• häufig inkorrespondente Interaktion-/Präsentationszustände (z.B. zeigendes Eingabegerät<br />

angewendet auf gesteuertes Kugelmenü)<br />

• instabile Menürepräsentationen (Menü drehen sich abhängig <strong>von</strong> Drehung der Welt)<br />

• mangelnde Intuitivität<br />

Abb. 44, Interaktionstools (v.l.n.r.: BOULE, SAMUEL, HYMOD, TULIP)<br />

62


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Da analog zu 2.3.2.1 an dieser Stelle nur eine exemplarische Maßnahmenerhebung stattfinden<br />

soll, wird das Augenmerk auf das Phänomen der Nichtbeachtung <strong>von</strong> Sehgewohnheiten für<br />

Lestexte gelegt.<br />

Problemformulierung<br />

Unabhängig <strong>von</strong> der zumeist festen Akkomodationsweite <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-Ausgabeschirmen, werden<br />

Menüs vor oder hinter der Akkomodationsebene dargestellt. Wissenschaftliche Studien haben<br />

ergeben, dass das Lesen <strong>von</strong> Texten außerhalb der Akkomodationsebene eine starke<br />

Beanspruchung der Augen verursacht. Beim Lesen finden ständig Fokussierungen auf den<br />

Text bzw. dessen Wörter statt, was zu Wahrnehmungsbedingungen gemäß herkömmlicher<br />

Bildschirme oder Papiermedien führt. Das Rezipieren <strong>von</strong> akkomodationsfernen Texten<br />

fördert jedoch aufgrund der Diskrepanz zwischen Konvergenz und Akkomodation erheblich<br />

vergrößerte Anstrengungen und somit übermäßige Belastungen der Augen. Gerade ein<br />

häufiges Arbeiten mit Menüeinblendungen würde die effektive Arbeitszeit ohne nachhaltige<br />

visuelle Entkopplungen (vgl. 1.3.3) enorm verringern, was im Endeffekt eine unnötig<br />

reduzierte Produktivität <strong>zur</strong> Folge hätte.<br />

Systemsynthese<br />

Die Problematik im geschilderten Zusammenhang ist damit klar, Navigations- und<br />

Steuerungspräsentationen sollten stets in der Akkomodations- also Bildschirmebene<br />

manifestiert werden. Damit verbunden ist eine Menüfixierung, die bei Verdrehungen der Welt<br />

nicht auch zu Verdrehungen der Menüs führen. Es ist dabei zusätzlich auf eine genügend<br />

große Darstellung zu achten, um die generelle Lesbarkeit zu gewährleisten.<br />

Denkbar ist eine u.U. teiltransparente Darstellung, um den Bezug <strong>von</strong> Optionsanwendungen<br />

zu Objekten o.ä. nicht zu verlieren, da entsprechend groß eingeblendete Menüs in der<br />

Bildschirmebene größere Szenenteile verdecken könnten. Auf der anderen Seite dürfen<br />

vordergründige Objekte nicht zu Verdeckungen <strong>von</strong> Menüteilen führen. Sind Menüs nur <strong>von</strong><br />

begrenzter Größe, könnte die Software sie neben den im Vordergrund befindlichen Objekten<br />

anordnen, so lange dafür genügend Raum besteht. Fehlt der Platz oder ist eine konsequente<br />

Darstellungsmodalität angestrebt, ist z.B. ein Ausblenden oder hinreichend opakes<br />

Wiedergeben <strong>von</strong> Objekten zwischen Benutzer und Bildschirm möglich.<br />

Alternativ könnte man generell bei Menüeinblendungen die gesamte Szene abdunkeln und das<br />

Menü in gewohnter Helligkeitsumgebung an fixer Position anzeigen. Auch ist bei<br />

Menüaktivierung die Einblendung eines variablen Szenenrahmens zu erwägen, der den<br />

Szenenausschnitt um die Menügröße beschränkt. In jedem Fall aber müssen die Menüs in<br />

Akkomodationsweite und angemessener Größe, sowie Auflösung präsentiert werden.<br />

Systemanalyse<br />

Für die Systemanalyse wird das Modell aus 2.3.2.1 gewählt, um die potentiellen Lösungen in<br />

ihren Rahmenparametern zu systematisieren. Daraus ergeben sich für den bearbeiteten Fall<br />

der Nichtbeachtung <strong>von</strong> Sehgewohnheiten für Lestexte folgende Ergebnisse:<br />

63


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Lösungsansatz<br />

(Kurzbezeichnung)<br />

Menüpräsentationen<br />

in Akkomodationsentfernung<br />

Menügröße und<br />

-auflösung<br />

Szenenverdunklung<br />

b. Menüeinblendg.<br />

fixe Menüs (z.B.<br />

techn.<br />

Aufwand<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

mit Szenenrahmen) <br />

variable Menüs mittel<br />

<br />

zeitl.<br />

Aufwand<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

<br />

groß<br />

<br />

groß<br />

<br />

finanz.<br />

Aufwand<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

<br />

mittel<br />

<br />

groß<br />

<br />

groß<br />

<br />

Neuentwicklungen<br />

<br />

ja<br />

<br />

ja<br />

<br />

ja<br />

<br />

ja<br />

<br />

ja<br />

<br />

Querbeeinflussungen<br />

<br />

ja (+/-)<br />

<br />

ja (+)<br />

<br />

ja (+/-)<br />

<br />

ja (+)<br />

<br />

ja (+/-)<br />

<br />

Die Unterteilung soll verdeutlichen, in welchen Problemgruppen Alternativlösungen<br />

existieren.<br />

Lösungskennzahl<br />

max: 63<br />

44<br />

Beurteilung und Entscheidung<br />

Auch hier kann analog zu 2.3.2.1 gearbeitet werden. Es ergibt sich daher unter Einbeziehung<br />

der abgeschlossenen Systemanalyse die oben integrierte Bewertungsmatrix:<br />

Entsprechend lassen sich zunächst verschiedene realisierbare Konzeptentwürfe gestalten. Für<br />

eine endgültige Entscheidung ist jedoch, wie oben angesprochen, eine Perfomanceanalyse für<br />

die Softwarearchitektur anzustellen. Diese Maßgabe ist den meisten Modifikationen an<br />

Softwaresystemen gemein, doch insbesondere für rechenlastige Echtzeitanwendungen<br />

ausgesprochen relevant.<br />

2.3.2.3 Arbeitspsychologie<br />

Die arbeitspsychologischen Faktoren stellen neben den hochinnovativen technologischen<br />

Elementen die bislang am un<strong>zur</strong>eichendsten untersuchten der <strong>VR</strong>-Ergonomie dar. Schon unter<br />

2.2.2.3 wird in diesem Zusammenhang verdeutlicht, wo die zentralen Schwierigkeiten liegen.<br />

Um so komplizierter ist es, für die beobachteten Phänomene passende Maßnahmen zu<br />

formulieren bzw. zunächst zu erheben. Im Ansatz wird natürlich ein verwandtes Prinzip <strong>zur</strong><br />

Anwendung kommen, wenn auch eine konkrete Auseinandersetzung in allen notwendigen<br />

Details den Psychologiespezialisten überlassen werden sollte. Demnach finden sich<br />

nachfolgend weitestgehend hypothetische Erhebungsstrategien mit dem Ziel zumindest einen<br />

Grundstein auch in diesem Bereich zu legen.<br />

Problemanalyse<br />

Die Facetten der Arbeitspsychologie sind erwähntermaßen sehr vielschichtig. Aus diesem<br />

Grunde kann, basierend auf den allgemeinen Anforderungen, ein nur sehr begrenztes<br />

Problemfeld berücksichtigt werden:<br />

• sensuellen Abschottung/Vereinnahmung (z.T. vollständige Bedienung der Sinne mit<br />

künstlichen Eindrücken)<br />

• kommunikative Isolation (z.B. Verlust <strong>von</strong> Mimik und Gestik im menschlichen<br />

Miteinander)<br />

• Arbeitszeit (Dauer und Auswirkung der Arbeit in/mit VEs)<br />

40<br />

41<br />

33<br />

30<br />

64


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• Konfrontation mit künstlichem Umfeld (Auswirkung der „Virtualisierung“)<br />

• wahrnehmungsbedingte Belastungen (Auswirkungen auf Wahrnehmungsprozesse)<br />

Ein den Recherchen nach prinzipiell kaum untersuchtes Problem ist die Arbeits- oder auch<br />

„Eintauchzeit“. Eine Einordnung, Bewertung oder gar Empfehlung für den Umgang mit VEs<br />

existiert bislang nicht. Dieser Umstand soll im Folgenden zum Anlass genommen werden, um<br />

ein exemplarisches Erhebungskonzept für arbeitspsychologische Problemlösungen zu<br />

erarbeiten.<br />

Problemformulierung<br />

Zunächst sollte „Arbeitszeit“ im Zusammenspiel mit <strong>VR</strong>-Ergonomie <strong>zur</strong> konkreteren<br />

Einordnung definiert werden. In erster Linie steht sie natürlich für die eigentliche Dauer des<br />

Eintauchens in die virtuelle Realität. Hierbei muss u.a. untersucht werden, welche<br />

psychologischen/ psychosomatischen Effekte in Abhängigkeit <strong>von</strong> der Immersionsdauer<br />

auftreten. Gerade der Bereich der Aftereffects (vgl. 1.3.3) spielt hierbei eine erhebliche Rolle.<br />

So wurde z.B. festgestellt, dass Wahrnehmungskonflikte stark da<strong>von</strong> abhängen, wie lange ein<br />

Nutzer den verursachenden Einflüssen ausgesetzt war (Entkopplung <strong>von</strong> propriozeptiver<br />

Aktion und artifiziellrezeptiver Reaktion, Entkopplung <strong>von</strong> Akkomodation und Konvergenz).<br />

Daraus ergeben sich folgende zu klärende Faktoren:<br />

• generelle Immersionsdauer (ohne längeranhaltende psychologische/ psychosomatische<br />

Effekte)<br />

• tageszeitabhängige <strong>VR</strong>-Nutzung (z.B. Beachtung der temporären Myopia)<br />

• Arbeitsintervalle/Pausen (optimale Staffelung, Tagesmaximaldauer etc.)<br />

• positive/negative Förderungsfaktoren (Verbesserung/Verschlechterung der Effekte)<br />

• ggf. Eignungsfeststellung für professionelle VE-Nutzer (siehe auch DIN 33430)<br />

• Forderung nach <strong>VR</strong>-Beauftragten für die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Benutzung<br />

bei Dauereinsätzen<br />

Wie schon aus diesen wenigen Eckpunkten eines einzelnen Phänomens zu erkennen ist,<br />

ziehen die arbeitspsychologischen Effekte weite Kreise, weit über den bisher gezeichneten<br />

Rahmen hinaus. Deshalb ist für den weiteren Erhebungsprozess das für die Hard- und<br />

Softwarebelange vorgeschlagene strikte Vorgehen nur noch bedingt anwendbar.<br />

Wichtig ist, dass unterschieden werden muss, um welche grundsätzliche Art <strong>von</strong> Problem es<br />

sich handelt. So lassen sich anhand der obigen Aufstellung folgende beispielhafte<br />

Problemtypen festhalten:<br />

• psychologische Probleme<br />

• psychosomatische Probleme<br />

• kognitive Probleme<br />

• problematische Beeinflussungsgrößen<br />

• personalstrategische/unternehmenspolitische Probleme<br />

Direkt ergonomisch relevant sind da<strong>von</strong> prinzipiell die ersten vier Positionen, die jedoch alle<br />

ein gesondertes, v.a. aber spezialisiertes Problemlösungsvorgehen erfordern.<br />

Problembehebung<br />

Aus den angestellten Überlegungen kann der Ansatz gewonnen werden, dass ein einfach zu<br />

vollziehendes, schematisches Vorgehenskonzept <strong>zur</strong> Behebung der mit der <strong>VR</strong>-Ergonomie<br />

verknüpften arbeitspsychologischen Defizite nicht ohne Weiteres zu entwerfen ist. Es sind<br />

extrem spezifische Herangehensweisen notwendig, um den wissenschaftlichen Ansprüchen an<br />

die reich facettierten Phänomene der menschlichen Psyche gerecht zu werden. Diesen<br />

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Ansprüchen wiederum genügen nur Spezialisten, die sich in fundierten Studien mit den<br />

benannten Problemen auseinander zu setzen vermögen. Aus diesem Grunde sollte hier nun<br />

das Untersuchungszepter vernünftigerweise an die entsprechende Klientel weitergereicht bzw.<br />

in gemeinsamer Arbeit angepackt werden. Das heißt, dass im vorliegende Kontext der<br />

Arbeitspsychologie leider kein vollständiges Ergebnis erwartet werden darf.<br />

Dennoch ist die verfolgte Linie nach wie vor erkennbar. Bis <strong>zur</strong> Identifikation möglicher<br />

Problemquellen kann die Erhebungsstrategie angewendet werden. Sind die Probleme<br />

formuliert, sollten diese interdisziplinär mit Spezialisten z.B. aus der Psychologie bearbeitet<br />

werden.<br />

2.4 Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen<br />

Mit dem Abschluss der Vorbetrachtungen, sowie der umfangreichen Nachbearbeitungen des<br />

Basismaterials, werden nun die entscheidenden Schlussfolgerungen aus den angestellten<br />

<strong>Untersuchungen</strong> gezogen, um zu den Kapiteln 3 und 4 führen. Grundsätzlich lässt sich<br />

festhalten, dass nur über die detaillierte Beschäftigung mit den technologischen und<br />

normativen Voraussetzungen eine fundierte Hinleitung <strong>zur</strong> konsequenten Auseinandersetzung<br />

mit den innovativen theoretischen und praktischen Elementen der <strong>VR</strong>-Ergonomie zu<br />

erreichen war. Dabei sind Theorie und Praxis nicht nur untrennbar miteinander verbunden,<br />

sondern jeweils für sich essentielle Bestandteile des Forschungsobjektes <strong>VR</strong>-Ergonomie. So<br />

ist es auch nicht verwunderlich, dass genau diesen beiden Kernpunkten nachfolgend die<br />

erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt wird.<br />

Drei hauptsächliche Konsequenzen lassen sich aus den bisherigen Studien ableiten.<br />

2.4.1 <strong>VR</strong>-Ergonomie als interdisziplinäres Forschungsobjekt<br />

Die Erhebung <strong>von</strong> Richtlinien für die <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-Neusystemen und<br />

Anpassungsmaßnahmen für die Modifikation bestehender VEs im Sinne ergonomischer<br />

Anforderungen ist ein im höchsten Maße dynamischer Prozess. Dieser kann mit dem<br />

aktuellen Stand keineswegs als abgeschlossen gewertet werden. Natürlich auch, weil das<br />

Voranschreiten technologischer Rahmenbedingungen stete Weiterentwicklungen<br />

unaufhaltsam fördert, die Forschungen in allen Berührungspunkten der verschiedenen<br />

Einzelaspekte der <strong>VR</strong>-Ergonomie ungeahnte Potentiale eröffnen und dadurch unzählige<br />

bislang nicht untersuchte Fragen aufwerfen. Das Konstrukt <strong>VR</strong>-Ergonomie muss also als<br />

offener Pool mit der Pflicht <strong>zur</strong> ständigen Erweiterung angesehen werden.<br />

In Zeiten globaler Forschungsaktivitäten macht also gerade eine nationale Selbstbeschränkung<br />

kaum Sinn. Viel eher sollte ernsthaft die Schaffung eines ständigen Forums weltweiter<br />

Ausprägung in Erwägung gezogen werden. In kooperativen Kongressen bzw. auf medial<br />

gestützten, internationalen Plattformen müssen Entwicklungsingenieure,<br />

Ergonomiewissenschaftler, Psychologen und viele andere Spezialisten durch die Festlegung<br />

und Verfolgen gemeinsamer Ziele/Visionen das Fundament für das Produkt Virtual Reality<br />

schaffen. Teilweise existieren dahingehend bereits brauchbare Ansätze.<br />

Die Einsatzfelder <strong>von</strong> <strong>VR</strong> sind, wie schon im ersten Kapitel verdeutlicht wurde, quasi<br />

grenzenlos. Eindrucksvoll demonstriert dies das Spektrum, welches <strong>von</strong> Großanlagen wie<br />

CAVEs bis hin zu Desktopsystemen wie dem PICASSO reicht. Doch hat eine Technologie<br />

Zukunft, wenn sie aufgrund fehlender Qualitäts-/Standards der allgemeinen Akzeptanz in<br />

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Wissenschaft, Wirtschaft und auf Consumerseite hinterher eilt? Worin liegen politische<br />

Gründe für die Qualitätssicherung einer ganzen Technologiefamilie? Mit diesen generellen<br />

Fragen muss man sich ebenso auseinandersetzen, wie mit konkreten Technologiedesigns. Und<br />

dies kann unter den genannten Voraussetzungen nur interdisziplinär auf einer gemeinsamen,<br />

internationalen Bühne gelingen. Verzichtet jedoch weiterhin jedes Forschungsinstitut bzw.<br />

jede industrielle Technologieschmiede auf einen normativen Entwicklungskern, um den<br />

herum selbstverständlich Spezifika ohne Einschränkungen entwickelt werden können, darf<br />

man einen Durchbruch <strong>von</strong> <strong>VR</strong> hinein in die prognostizierten Einsatzfelder in naher Zukunft<br />

kaum erwarten. Hier besteht v.a. politischer Handlungsbedarf.<br />

2.4.2 Notwendigkeit der Systematisierung <strong>von</strong> Erhebungsprozessen<br />

Die <strong>ergonomischen</strong> Anforderungen an ein <strong>VR</strong>-System sind nach wie vor stark<br />

anwendungsbezogen. Das bedeutet, dass ein und dieselbe VE abhängig vom Einsatzfeld<br />

durchaus sehr unterschiedlich in ihren technischen Kenndaten ausfallen kann. Um nun nicht<br />

bei jedem neuen Problem oder jeder neuen Anforderung die Erhebungsprozesse <strong>von</strong> vorn zu<br />

entwerfen, ist eine Systematisierung aller relevanten Prozesse unumgänglich. Dies betrifft im<br />

einzelnen die Anforderungserhebung, die Maßnahmenerhebung/-entwicklung und die<br />

Systembewertung. Sowohl Anforderungserhebungen, als auch Maßnahmenentwicklungen<br />

wurden in den vergangenen Schritten (vgl. 2.2.2 und 2.3.2) bereits umfassend beschrieben.<br />

Die Systembewertung soll darüber hinaus potentiellen Nutzern <strong>von</strong> <strong>VR</strong> ein Hilfsmittel sein,<br />

mit dem sie bestimmen können, inwieweit das anvisierte System überhaupt den spezifischen<br />

Anforderungen entspricht. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise Vergleiche anstellen,<br />

die schlussendlich v.a. ökonomische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen können.<br />

Es geht also im Wesentlichen darum, generische Werkzeuge bereitzustellen, über die schnell<br />

und effektiv Systembewertungen durchgeführt, Anforderungen an ein System erhoben und<br />

ggf. Anpassungsmaßnahmen gefunden werden können. Ziel ist das Finden eines unter<br />

<strong>ergonomischen</strong>, ökonomischen und technologischen Gesichtspunkten optimalen Systems, das<br />

auch <strong>von</strong> einem „normalen Nutzer“ auf nachvollziehbaren Wegen erschlossen werden kann.<br />

Inhaltlich wird sich speziell mit dieser Thematik das Kapitel 3 im Detail befassen.<br />

2.4.3 Umgang mit normativen Defiziten<br />

Allen voran zeigte die Richtlinienbewertung in Verbindung mit der Anforderungserhebung<br />

ganz deutlich, dass es eine Vielzahl <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-spezifischen Phänomenen gibt, die durch<br />

keinerlei normative Entsprechungen abzudecken sind. Da zumeist auch DIN-EN-ferne, aber<br />

dennoch verwandte Empfehlungen oder sonstige wissenschaftliche Studien fehlen, ist es<br />

erforderlich, aus den Defiziten heraus selbst Ansätze zu formulieren, denen durch praktische<br />

Forschungsaktivitäten auf den Grund gegangen wird.<br />

Daraus ergibt sich die Vorgabe, nicht nur bisher unerforschte Relevanzen durch<br />

systematisches Vorgehen aufzudecken, sondern diese in ordentlichen wissenschaftlichen<br />

Studien zu untersuchen und somit zu Empfehlungen zu kommen, die dann wiederum<br />

Anforderungs- bzw. Maßnahmenkataloge wertvoll ergänzen können. An dieser Stelle sei<br />

innerhalb der vorliegenden Arbeit für weitergehende Vertiefungen und ausgewählte<br />

Anwendungsfälle auf Kapitel 4 verwiesen.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

3 Systematisierung der Anforderungs- und Maßnahmenerhebung,<br />

anwendungsspezifische ergonomiebezogene <strong>VR</strong>-Systembewertung<br />

Ein effizienter, anwendungsspezifischer Einsatz <strong>von</strong> <strong>VR</strong> erfordert ein möglichst einheitliches<br />

und gut nachzuvollziehendes Verfahren <strong>zur</strong> verlässlichen Bewertung <strong>von</strong> VEs, <strong>zur</strong> Erhebung<br />

<strong>von</strong> <strong>ergonomischen</strong> Anforderungen und ggf. <strong>zur</strong> Initiierung <strong>von</strong> Modifikationsmaßnahmen an<br />

bestehenden <strong>Systemen</strong>. Nur so kann ein breiter Einzug in die vielen bereits angesprochenen<br />

professionellen Anwendungsbereiche gelingen.<br />

Ein Hauptgrund für diesen Ansatz ist die Tatsache, dass professionell eingesetzte VEs in ihren<br />

allgemeinen Ausprägungen bis heute hochgradig <strong>von</strong> den jeweiligen Einsatzfeldern abhängen.<br />

Ein und dieselbe Anlage wird beispielsweise in der Fahrzeugindustrie ganz andere<br />

Detailparameter aufweisen als ein System im Dienste der Architektur. Prinzipiell identische<br />

Kleingeräte wie typgleiche HMDs unterscheiden sich bestenfalls in ihren Tracking- und<br />

Interaktionseigenschaften, großflächige Mehrwandprojektionssysteme jedoch in weit<br />

größerem Maße.<br />

Weiterhin spielt natürlich die Ökonomie eine sehr große Rolle. Die Anschaffung <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<br />

<strong>Systemen</strong> ist meist eine kostspielige Angelegenheit, die exakt geplant werden sollte. Und<br />

dafür sind u.a. Bewertungsgrundlagen in der Vergleichsphase besonders wichtig. Auch sollte<br />

der Bedarf an Modifikationsmaßnahmen ermittelt werden können, die notwendig sind, um das<br />

System nicht nur den eigenen Bedürfnissen, sondern minimalen <strong>ergonomischen</strong><br />

Erfordernissen anzupassen – abermals ein z.T. beachtlicher Kostenfaktor.<br />

Bevor jedoch eine Entscheidung zugunsten eines bestimmten <strong>VR</strong>-Systems getroffen wird,<br />

sollte noch ein dritter essentieller Fakt berücksichtigt werden. Und zwar ist dies das Thema<br />

Prozessintegration. Was bringt eine mehrere hunderttausend Euro teuer Anlage, wenn sie<br />

nicht in die unternehmerische Entwicklungs-/Produktionsprozesskette eingearbeitet wird?<br />

Sicherlich mag es Prestigeprojekte geben, aber die Mehrzahl professioneller Benutzungen<br />

setzt eine effektive Eingliederung in die Unternehmensprozesse voraus. Mit diesem Thema<br />

wird sich diese Arbeit allerdings trotz der engen Verknüpfung nicht tiefgründiger<br />

beschäftigen. Hier sei auf Arbeiten des IAO verwiesen, das sich schon länger mit diesen<br />

Fragestellungen auseinandersetzt.<br />

Nach dem kurzen Exkurs in das Ursachenfeld für die Notwendigkeit <strong>von</strong> Systematiken im<br />

vorliegenden Kontext, wird das Hauptaugenmerk wieder auf das zentrale Anliegen dieses<br />

Gliederungspunktes gerichtet. Erwartungsgemäß sollen die zu erstellenden Systematisierungs-<br />

und Bewertungskonzepte neben den wissenschaftlichen v.a. folgenden grundsätzlichen<br />

Ansprüchen genügen:<br />

• unabhängig <strong>von</strong> konkreten Fällen universell einsetzbar<br />

• dynamisch an veränderliche Rahmenbedingungen anpassbar<br />

• Ermöglichung <strong>von</strong> systematischen <strong>VR</strong>-Systemdesigns bzw. -Optimierungen<br />

Für die Erreichung dieser Ziele müssen die unter 2 angewandten Methoden generalisiert<br />

werden, was auf Basis normativer Grundlagen (u.a. VDI 2221 und 2222) <strong>zur</strong> Schaffung des<br />

notwendigen wissenschaftlichen Backgrounds geschehen wird. Zur späteren Verifikation der<br />

erarbeiteten Konzepte sollten sowohl bereits betrachtete Phänomene <strong>von</strong> 2 (jeweils aus der<br />

Anforderungs- und Maßnahmenerhebung) beispielhaft untersucht, als auch völlig neue<br />

Problemstellungen auf grundlegende Weise in weiterführenden Studien beleuchtet werden.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

3.1 Systematiken <strong>zur</strong> Anforderungs- und Maßnahmenerhebung<br />

Im Folgenden werden die beiden Kernthemen ergonomiebezogener Erhebungsverfahren in<br />

ihrer Entstehung, systematischen Struktur und Wirkungsweise erläutert. Die zu diesem Zweck<br />

herangezogenen Methoden sind Thema des Punktes 3.1.1. Die zu synthetisierenden<br />

Systematiken werden in schematischer Form präsentiert, wobei entsprechend externe<br />

Schnittstellen, Zwischenstufen und Endprodukte in die jeweiligen Erhebungsprozessen<br />

eingearbeitet sind.<br />

3.1.1 Systematisierungsmethoden<br />

Grundsätzlich finden zwei Methodenkomplexe entweder einzeln oder in Kombination<br />

Anwendung im Rahmen der vorliegenden Systematisierungsfälle:<br />

• Abstraktion empirischer Prozesse:<br />

Unter empirischen Prozessen sind alle geplanten, rekonstruierbaren und wiederholbaren<br />

Schritte zu verstehen, die zum vorgegebenen Zielfindungszweck mittels durchgeführter<br />

Anwendungsuntersuchungen verifizierbare Ergebnisse liefern. Klassische Beispiele<br />

hierfür sind Vorgehensweisen, die in ganz bestimmten Kontexten erstmals angewandt<br />

werden und durch stete Entwicklung Fallsicherheit gewinnen, d.h. die selbst in<br />

Spezialfällen ihre generelle Anwendbarkeit nicht verlieren. Dadurch werden diese<br />

Vorgehensweisen generalisierbar und können in klar definierte Prozessschritte<br />

untergliedert werden.<br />

Diese generalisierbare Gliederungsfähigkeit wiederum eröffnet schließlich die<br />

Möglichkeit <strong>zur</strong> Ablaufabstraktion. In Form <strong>von</strong> Schicht-, Ebenen-, Stufen-, Phasen- oder<br />

anderen zeitbasierten Prozessmodellen ist über die isolierten Prozessschritte und die<br />

Einhaltung formaler <strong>Gestaltung</strong>sgrundsätze die Schaffung ganz neuer Systematiken<br />

realisierbar. Eine weitere Aufgabe der Abstraktion in diesem Zusammenhang besteht in<br />

der sinnvollen Berücksichtigung aller prinzipiell relevanten Verlaufseventualitäten.<br />

Zusätzlich müssen Ein- und Ausgangsparameter, sowie potentielle Zwischenprodukte<br />

gesondert ausgewiesen werden.<br />

Wichtig für die erläuterten Ansätze ist deren eindeutige Verifikation. Nur dadurch kann<br />

sichergestellt werden, dass die systematisierten Prozesse im Sinne des ausgegebenen<br />

Anwendungszwecks sinnerfüllend konstruiert sind. Während der späteren<br />

Verifikationsphase können auf diese Weise Unklarheiten bereinigt werden, wodurch<br />

schlussendlich der iterativ angelegte Erstellungskreislauf geschlossen wird. Dennoch<br />

gestaltet sich dieses Vorgehen weniger strikt als rein normativ gestützte Varianten und<br />

bietet somit reichlich Spielraum für optionale Moduleingliederungen, was auch einer der<br />

wesentlichsten Forderung an die Systematiken entspricht.<br />

• normativ gestützte Systematisierung:<br />

Hier basieren die Systematisierungsansätze auf klaren normativen Vorgaben. Diese finden<br />

sich v.a. für technische Systeme in folgenden VDI-Richtlinien:<br />

o VDI 2220 (Produktplanung)<br />

o VDI 2221 (Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und<br />

Produkte)<br />

o VDI 2222, Blatt 1 (Methodisches Entwickeln <strong>von</strong> Lösungsprinzipien)<br />

o VDI 2223 (Methodisches Gestalten)<br />

Insbesondere VDI 2221 und VDI 2222, Blatt 1 markieren im aufgeführten Reigen den<br />

hauptsächlichen Rahmen bedeutender Vorgehensempfehlungen und werden daher die<br />

entscheidende Grundlage für die normativ gestützten Systematisierungskomponenten<br />

bilden. Eine detaillierte Aufschlüsselung der verschiedenen Herangehensweisen ist in den<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

entsprechenden Richtlinien ausführlich festgehalten. Analog zum Abstraktionsprinzip ist<br />

auch hier der Verifikationsabschnitt gestaltet. Es werden also trotz normativer Vorgaben<br />

zwangsläufig iterative Verfeinerungsschritte durchlaufen, was sich v.a. darin begründet,<br />

dass sich bei jeder Synthese neuer Verfahren die stets wachsende modulare Integration<br />

selbst als zu berücksichtigender Optimierungsprozess versteht.<br />

Das methodische Vorgehen nach den obigen Prinzipien wird in der realen Anwendung nur in<br />

ausgewogener Kombination zu realisieren sein. Dies liegt in erster Linie natürlich an den zu<br />

systematisierenden Thematiken, aber auch den Rahmenbedingungen der <strong>VR</strong>-Ergonomie,<br />

sowie prinzipiellen Zielvorgaben (<strong>Gestaltung</strong> dynamischer, offener Systeme etc.). Daraus<br />

ergeben sich folgende Arbeitsschritte für die Konzeption der Systematiken:<br />

• empirische Ansätze<br />

• normative Ansätze<br />

• vollständige Prozesssynthese<br />

• Verifikation<br />

3.1.2 Anforderungserhebung<br />

Das oberste Ziel der Anforderungserhebung besteht darin, gemessen an <strong>ergonomischen</strong><br />

Vorgaben physikalische, chemische, arbeitsorganisatorische und softwareseitige Größen zu<br />

identifizieren und zugehörige Grenzwertempfehlungen festzulegen, an denen sich schließlich<br />

<strong>VR</strong>-Systemdesigns orientieren können. Entscheidend hierbei ist die Tatsache, dass auf diesem<br />

Wege durchaus Anforderungen gefunden werden, die durch keinerlei exakte normative<br />

Entsprechungen abgedeckt werden können. Häufigste Ursachen dafür sind sowohl der<br />

technologische Fortschritt im <strong>VR</strong>-Umfeld, als auch die mit ihm verbundene innovative<br />

Arbeitsgestaltung. Um diesem Innovationsdruck standzuhalten, muss auf Designseite schnell<br />

reagiert werden können und dies ermöglicht ein stets aktueller Anforderungs- bzw.<br />

Richtlinienkatalog, der wiederum Produkt einer systematischen Erhebung ist. Die nachhaltige<br />

Synthese dieser Systematisierung ist Aufgabe dieses Gliederungspunktes.<br />

empirische Ansätze<br />

Der Anfang einer jeden Anforderung an ein bestimmtes System wird durch das Bestehen<br />

eines entsprechend definierbaren Defizits bzw. dem grundsätzliche Bedarf einer klaren<br />

Grenzwertformulierung beschrieben. D.h., dass sich erst aus erkannten <strong>ergonomischen</strong><br />

Mängeln und/oder potentiellen Rahmendefinitionen überhaupt exakte Anforderungen<br />

entwickeln lassen. Angesichts dieser Erkenntnis stellt sich die Frage, wie derartige<br />

Ansatzpunkte entdeckt werden können. Eine Reihe <strong>von</strong> Vorgehensempfehlungen sei hierzu<br />

nachfolgend aufgeführt:<br />

• Vergleich mit bestehenden Anforderungen:<br />

Bei der systematischen Suche nach möglichen Defiziten sollte an erster Stelle immer ein<br />

Abgleich mit bereits existenten Anforderungen stehen. Dazu werden für die einzelnen<br />

Systemparameter anwendbare Entsprechungen gesucht und die Grenzwerte mit den vom<br />

betrachteten System gelieferten Werten (Messdaten, Kenndaten etc.) verglichen. So lässt<br />

sich auf der einen Seite feststellen, wie der genaue Erfüllungsgrad ausfällt und ob die<br />

angewandte Richtlinie dem gesuchten Rahmen genügt. Wäre dies der Fall, würde der<br />

Prozess des Suchens nach neuen Anforderungen schon hier beendet sein. Im Gegenzug<br />

kommt man einem potentiellen Kandidaten für die Neuaufnahmen auf exakt dem gleichen<br />

Weg durchaus näher, nämlich genau dann, wenn bestehende Empfehlungen nicht<br />

problemlos angewandt werden können.<br />

• Expertengespräch:<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Hierhinter verbirgt sich eine vielseitig einsetzbare, anerkannte wissenschaftliche Methode,<br />

die an dieser Stelle aufgrund der bekannten Verfahrensweisen nicht näher erläutert werden<br />

soll. Ergebnis der spezifischen Diskussion sind auch hier mögliche Quellen<br />

ergonomischer Mängel und damit potentieller ergonomischer Anforderungen an <strong>VR</strong>-<br />

Systeme. Im Anschluss an dieses problemorientierte Suchverfahren erfolgt der Abgleich<br />

mit bestehenden Anforderungen (s.o.), der zeigen soll, ob eine exakte Entsprechung<br />

bereits vorliegt oder weiter Analyseschritte zu unternehmen sind (s.u.).<br />

• empirische Studien:<br />

Benutzerbefragungen, Benutzerberichte und systematische Benutzerstudien stellen das<br />

Kontingent dieses vorrangig empirischen Analyseansatzes. Es ist empfehlenswert, die<br />

oben geschilderten Schritte den Benutzeruntersuchungen voranzustellen, um auf Basis der<br />

vorherigen Problemdefinitionen und -eingrenzungen Tests, Fragebögen etc. optimal<br />

gestalten zu können. So findet bereits eine Vorabverifikation potentieller ergonomischer<br />

Mängel statt, d.h. es kann untersucht werden, inwieweit in den gefundenen Ansätzen<br />

bereits reale Belastungsfaktoren existieren. Sind mutmaßliche Probleme identifiziert, kann<br />

zunächst ebenso verfahren werden, wie oben.<br />

Über die beschriebenen Vorgehensweisen lässt sich eine Liste potentieller ergonomischer<br />

Defizite aufstellen, die in normativen Analysephasen (s.u.), aber mittels empirischer<br />

Instrumente weiter untersucht wird. Das zentrale empirische Instrument an dieser Stelle ist die<br />

systematische Entsprechungsanalyse, die sich am schon früher in dieser Arbeit erwähnten<br />

Quellenpool (national und international) orientiert. Mögliche Kandidaten sind:<br />

• bestehender VE-Richtlinienkatalog<br />

• im Richtlinienkatalog nicht referenzierte Richtlinien und Normen<br />

• Richtlinien und Normen, die verwandte Probleme abdecken<br />

• wissenschaftliche Studien, die (verwandte) Probleme abdecken<br />

Der Umgang mit diesem Instrument hat gezeigt, dass eine chronologische Abfolge (s.o.)<br />

aufgrund der im Verlauf zunehmenden Quellendiffusion sinnvoll erscheint. Entscheidend<br />

dafür ist das relative hohe Organisationsmaß unter den bestehenden Normierungen.<br />

Das nächste empirische Element in der Anforderungserhebung rückt in den Fokus, sobald<br />

über die genannten Quellen keinerlei brauchbare Entsprechungen zu finden sind. Ähnlich wie<br />

die Benutzerstudien schon <strong>zur</strong> Defiziterhebung eingesetzt werden, kommen sie auch hier zum<br />

Einsatz. Eine vorgeschaltete exakte Problemformulierung ermöglicht das fundierte<br />

Entwickeln explizit defizitbezogener Studien, an die darüber hinaus der Anspruch gestellt<br />

werden muss, referenzierbare Empfehlungen mit anforderungstypischen<br />

Grenzwertdefinitionen zu liefern. Ist dieser Anspruch erfüllt und konnte die neue<br />

Anforderung in den bestehenden Anforderungskatalog aufgenommen werden, wird das<br />

System in hinreichenden Iterationen abermals untersucht, wodurch eine Verifikation der<br />

erhobenen Anforderung erfolgt. Bestätigt sich in diesem Zusammenhang das systemseitige<br />

Defizit, bildet es gleichzeitig die Schnittstelle <strong>zur</strong> Maßnahmenerhebung.<br />

normative Ansätze<br />

Für eine systematische Integration der erläuterten empirischen Ansätze und deren<br />

Verknüpfung mit etablierten Prozessen ist das Einbetten in einen normativen Rahmen<br />

unumgänglich. Wie bereits unter 3.1.1 dargelegt gibt es speziell dafür eine Reihe <strong>von</strong> VDI-<br />

Richtlinien, die sich mit dem methodischen Entwickeln <strong>von</strong> generischen Systematiken<br />

eingehend auseinandersetzen. Alle dort geschilderten Methoden besitzen durchgehend<br />

Empfehlungscharakter, was es ermöglicht, relativ flexible Systematiken zu entwerfen. Dies ist<br />

auch notwendig, will man den formulierten Zielsetzungen gerecht werden.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Insbesondere spielen dafür die Lebensphasen des Systems, sowie dessen Syntheseschritte<br />

(Problemlösungsprozess) eine wichtige Rolle, die ihrerseits bereits unter 2.3.2.1 ausführlich<br />

beleuchtet werden [VDI 2221, S.3 ff.]. Da es innerhalb der Systematiken vorrangig um<br />

theoretische Themen geht, dürfen jene Teile, die sich in den VDI-Richtlinien mit der<br />

technischen Umsetzung (Produktionsplanung etc.) auseinandersetzen, vernachlässigt werden.<br />

Wie früher schon erwähnt, gehorchen generelle technische Konzeptumsetzungen etablierten<br />

ingenieurmäßigen Vorgehensweisen, die im Kern nur wenig in expliziten Systemumfeldern<br />

differieren. Für den vorliegenden Fall werden folgende methodische Empfehlungen nach den<br />

genannten VDI-Quellen berücksichtigt:<br />

• Vorgehensmodell nach dem Problemlösungsprozess<br />

• systemtechnische Problemlösungszyklen<br />

• Produktentstehungs-/-lebensphasen<br />

• Entwicklungs-/Konstruktionsprozesse<br />

• formaler Symbolismus<br />

Über diese Methoden wird es möglich, auch die empirischen Teilprozesse normgerecht zu<br />

ordnen und zu präsentieren. Eine exakte prozessbegleitende Dokumentation ist zudem zu<br />

erstellen.<br />

vollständige Prozesssynthese<br />

Die nachfolgende Grafik zeigt die synthetisierte Systematik <strong>zur</strong> Anforderungserhebung unter<br />

Berücksichtigung der o.g. methodischen Ansätze. Es wurde auf definierte Ein- und<br />

Ausstiegspunkte, die gleichermaßen Schnittstellen zum System und <strong>zur</strong> Maßnahmenerhebung<br />

repräsentieren, sowie eine generelle vertikale Chronologie mit <strong>von</strong> den jeweiligen<br />

Erfordernissen abhängigen horizontalen Verfeinerungen geachtet. Die formale Symbolik<br />

entspricht den geforderten VDI-Vorgaben.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Abb. 45, Systematik der Anforderungserhebung<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Verifikation<br />

Die Anwendungsuntersuchung muss Aufgabe späterer Arbeiten sein. In umfassenden Studien<br />

sollte diese Systematik in Verbindung mit dem gesamten Anforderungskatalog geprüft und<br />

damit entweder bestätigt werden oder dazu dienen, mögliche Schwachstellen im Detail<br />

aufzudecken. Auf diese Weise wird dem kontinuierlichen Optimierungsanspruch Rechnung<br />

getragen.<br />

3.1.3 Maßnahmenerhebung<br />

Das zentrale Anliegen der Maßnahmenerhebung besteht in der systematischen Erarbeitung<br />

<strong>von</strong> Modifikationsmaßnahmen un<strong>zur</strong>eichend erfüllter Anforderungen sowohl an Hardware,<br />

Software, als auch an integrierte Wahrnehmungs- und Arbeitsparameter. Wie aus 2.3.2.3 zu<br />

erkennen ist, müssen innerhalb dieser Arbeit Betrachtungen arbeitspsychologischer<br />

Anforderungen ausgeklammert werden. Wahrnehmungsparameter hingegen finden sich im<br />

Wesentlichen im Hard- und Softwareumfeld wieder.<br />

Aus diesen Vorbemerkungen heraus sei also festgestellt, dass sich die Maßnahmenerhebung<br />

im geschilderten Kontext auf Hard- und Softwareaspekte konzentriert, ohne jedoch deren<br />

explizite Umsetzung zu definieren. Wie schon mehrfach erwähnt, ist dies nicht Teil der<br />

Erhebungsprozesse, sondern unterliegt etablierten ingenieurmäßigen Vorgehensweisen, die<br />

normativ bereits erschöpfend beschrieben sind. Nichtsdestotrotz sind natürlich in den<br />

kreativen Phasen der Erhebung Überlegungen anzustellen, die eine weitere Verfolgung mit<br />

Hinblick auf einen Umsetzung rechtfertigen.<br />

Analog zum in der Anforderungserhebung angewandten methodischen Syntheseverfahren sei<br />

nun die Systematik <strong>zur</strong> Maßnahmenerhebung prozessiert.<br />

empirische Ansätze<br />

Der Einsatz empirischer Methoden wird im Rahmen der Maßnahmenerhebung einen deutlich<br />

größeren Raum einnehmen. Dies begründet sich nicht nur im erweiterten Komplexitätsgrad,<br />

sondern auch in der erforderlichen Anwendung kreativer Prozesse. Im Detail gliedern sich die<br />

empirischen Ansätze wie folgt:<br />

• anforderungsbezogene Untersuchung auf Eigenschaften und ergonomische Ansprüche:<br />

Zunächst muss in der Analysephase unterschieden werden, an welche Systemgruppe<br />

(Hardware, Software) sich die betrachtete Anforderung richtet. Daraufhin sind<br />

verschiedene Basisansätze zu berücksichtigen.<br />

So stellt die Forderung nach der ureigenen Zweckerfüllung eines Gerätes ein besonderes<br />

Kriterium für die meisten ergonomisch relevanten Hardwarekomponenten dar. Das heißt<br />

nicht nur, dass z.B. bei eine Stereobrille (vgl. 2.3.2.1) trotz potentieller Modifikationen<br />

darauf geachtet werden muss, dass sie nach wie vor als Brille zu tragen ist, sondern auch,<br />

dass eventuell neu entstehende Aufgaben analog formuliert werden. In kooperativer<br />

Rückkopplung dazu werden die bestehenden Anforderungen auf die entsprechenden<br />

Komponenten angewandt, um so spezifische Modifikationsansprüche zu identifizieren.<br />

Resultat dieses Vorgehen ist eine Liste relevanter Merkmale und Funktionsstrukturen, auf<br />

der die späteren Prozessschritte aufbauen werden.<br />

Spezifisch für die Bearbeitung <strong>von</strong> Softwareproblemen ist die differenzierte Betrachtung<br />

<strong>von</strong> anforderungsabhängigen funktionellen und visuellen Defiziten. Es ergibt sich aus<br />

dieser Betrachtung die Aufstellung einer exakten Anforderungsliste, in der spezifische<br />

funktionelle und visuelle Eigenschaften benannt werden, nach deren Umsetzung die<br />

Behebung des Eingangsdefizits erzielt werden kann.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

• Recherche <strong>von</strong> Lösungsprinzipien:<br />

Um eine Anpassung der zuvor betrachteten Systemgruppen auf Basis definierter<br />

Modifikationsansprüche durchführen zu können, ist es notwendig, passende<br />

Lösungsprinzipien zu finden. Dies kann über verschiedene Archive und/oder in<br />

Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Spezialisten erfolgen. Wichtig dabei ist, dass trotz<br />

möglichen Konkretisierungsbedarfs in erster Linie die modulare Wiederverwendbarkeit in<br />

Betracht gezogen wird. Muss diese jedoch aufgrund <strong>von</strong> Nichtverfügbarkeit selbst<br />

verwandter Prinzipien ausgeschlossen werden, greift die nachfolgend zu erläuternde<br />

kreative Synthese. In jedem Fall bedient die Recherche einen Pool prinzipieller Lösungen.<br />

• kreative Synthese:<br />

Hierunter sind zunächst alle kreativen Methoden zu verstehen, die im Rahmen <strong>von</strong><br />

Problemlösungsprozessen eingesetzt werden. Abhängig <strong>von</strong> der spezifischen<br />

Problemsituation werden z.B. die für den entsprechenden Fall optimalsten<br />

Kreativitätstechniken eingesetzt. Wie diese im Detail gestaltet sein können, wird in<br />

einschlägigen normativen Quellen näher beleuchtet und daher an dieser Stelle nicht weiter<br />

berücksichtigt.<br />

Dennoch darf man das Anliegen der kreativen Synthese nicht nur darauf reduziert<br />

betrachten. Ebenso können auch streng systematische Vorgehensweisen Anwendung<br />

finden, wie sie z.B. in den o.g. VDI-Richtlinien beschrieben werden. Das Optimum bildet<br />

darüber hinaus in den meisten Fällen der individuell abgestimmte Mix aus beidem.<br />

Ebenso wie auch schon die oben beschrieben Recherche <strong>von</strong> Lösungsprinzipien, erweitert<br />

auch die kreative Synthese die Menge prinzipieller Lösungen.<br />

• empirische Bewertung potentieller Lösungen:<br />

Nachdem eine Auswahl an möglichen Lösungen (inkl. hinreichender Alternativen)<br />

zusammengetragen wurde, kann über verschiedene Bewertungsverfahren eruiert werden,<br />

welche der Lösungen zu welchem Grad die Eingangsdefizite am effektivsten beheben.<br />

Üblicherweise werden dazu Bewertungsmatrizen auf Basis <strong>von</strong> statistischen<br />

Erfahrungswerten aufgestellt, die anhand ausgewählter Kriterien und zugehöriger<br />

Gewichtungen eine objektive Vergleichsgröße liefern. Im Wesentlichen müssen folgende<br />

Punkte bezüglich der diskutierten Lösungen untersucht werden:<br />

o technische Realisierbarkeit und Integrationsfähigkeit in das bestehende System<br />

o Erfüllung gesetzlicher, normativer Rahmenbedingungen (z.B.<br />

Anforderungskatalog)<br />

o Erfüllung wirtschaftlicher Ansprüche (z.B. target costs)<br />

Die daraus resultierenden Ergebnisse werden schließlich dafür ausschlaggebend sein, ob<br />

ein Lösungsvorschlag in die Liste umsetzbarer Maßnahmekonzepte aufgenommen werden<br />

kann oder Nacharbeiten anzustellen sind.<br />

Auch in der Maßnahmenerhebung findet auf allen Ebenen eine iterative Überprüfung der<br />

Belastungsfaktoren statt, um frühzeitig in den Problemlösungsprozess eingreifen zu können.<br />

Auch die zuletzt ausgeführten Bewertungsmethoden implizieren bereits angedeutete<br />

integrierte Lösungsfindungsiterationen. Es ist dabei immer das spezifische<br />

Erfüllungsspektrum zu beobachten und daher im Rahmen empirischer Studien zu entscheiden,<br />

über welche Folgemaßnahmen die Lösungsfindung optimiert bzw. präzisiert werden kann.<br />

Die Schnittstellen bilden dabei die Eingangsdefizite (<strong>zur</strong> Anforderungserhebung) und die<br />

entwickelten Lösungsvorschläge (<strong>zur</strong> direkten Umsetzung).<br />

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Man erkennt an den konzipierten Prozessschritten den hohen Bedarf an empirischen<br />

Elementen innerhalb der Maßnahmenerhebung. Damit wird klar, dass sie sowohl mit der Zeit,<br />

aber auch der Erfahrung der Benutzer wachsen wird und kann. Um dies wiederum<br />

sicherzustellen, ist <strong>zur</strong> Wahrung der allgemeinen Anwendbarkeit das Einbetten in ein<br />

normatives Umfeld zwingende Voraussetzung.<br />

normative Ansätze<br />

Der normative Rahmen gestaltet sich analog <strong>zur</strong> Anforderungserhebung (vgl. 3.1.2) und wird<br />

daher nicht noch einmal ausgeführt.<br />

vollständige Prozesssynthese<br />

Da auch die Prozesssynthese vergleichbar zu 3.1.2 verläuft, sei <strong>zur</strong> näheren Information auf<br />

den entsprechenden Punkt verwiesen und nachfolgend nur das Resultat in Bezug auf die<br />

Maßnahmenerhebung dargestellt.<br />

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Abb. 46, Systematik der Maßnahmenerhebung<br />

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Verifikation<br />

Die Verifikation der Systematik gestaltet sich hier als optimierungsbegleitender Vorgang. Erst<br />

in realen Anwendungsfällen kann jeder Schritt genau analysiert in infolge dessen ggf.<br />

optimiert werden. Es ist also Aufgabe künftiger Systemverbesserungsbemühungen, die<br />

Verifikation im tatsächlichen Feldeinsatz voranzutreiben.<br />

3.2 Konzept <strong>zur</strong> systematischen, qualitativen Bewertung virtueller, immersiver Systeme<br />

Die Bewertung virtueller, immersiver Umgebungen besitzt eine vielfältige Bedeutsamkeit.<br />

Vor allem sind es drei Aspekte, die diese Bedeutsamkeit ausmachen:<br />

• Funktion als Vergleichsinstrument:<br />

Es wurde bereits dargestellt, dass gerade für den professionellen Einsatz <strong>von</strong> <strong>VR</strong> die<br />

Notwendigkeit besteht, potentiell interessante <strong>VR</strong>-Systeme gemessen an den eigenen<br />

Ansprüchen, die darüber hinaus dank der Bewertungssystematik spezifiziert werden<br />

können, objektiv zu vergleichen. Dies schließt alle ergonomisch relevanten<br />

Systemparameter mit ein. Ein plakativer Wert, wie beispielsweise die ergonomische<br />

Gesamtqualität, stellt in diesem Zusammenhang neben verschiedenen<br />

anwendungstypischen Einzelanforderungen eines der bezeichnendsten Kriterien für die<br />

systematische Bewertung <strong>von</strong> VEs dar. Er muss also das Wesen eines statistischen<br />

Vergleichesmaßes repräsentieren, wodurch die Richtung für die spätere Entwicklung<br />

praktisch schon klar benannt ist.<br />

• Funktion als Bewertungsinstrument aus ergonomischer Sicht:<br />

Neben der Feststellung, ob eine VE grundsätzlich den eigenen Ansprüchen genügt, bietet<br />

die Bewertung außerdem die Möglichkeit, eine fundierte ergonomische Bewertung<br />

durchzuführen. Dabei kann offen bleiben, ob es sich um eine neue oder bereits im Einsatz<br />

befindliche Anlage handelt. In jedem Fall kann so festgestellt werden, wo u.U.<br />

Modifikationsbedarf besteht, d.h. dass hier die Schnittstelle <strong>zur</strong> Anforderungserhebung<br />

geschaffen wird. Auf Basis der vor diesem Hintergrund durchgeführten Bewertungen<br />

können dann ggf. erforderliche Maßnahmen <strong>zur</strong> Anpassungen geprüft werden.<br />

• Funktion als Bewertungsinstrument aus ökonomischer Sicht:<br />

Im Grunde implizieren die beiden vorangegangen Kriterien bereits die ökonomische<br />

Bedeutung. Es kann jeweils eine parallele Kosten-Nutzen-Untersuchung durchgeführt<br />

werden, eben dank der exakten Resultate aus der systematischen Bewertung. Natürlich<br />

stellt dies nur einen Teilaspekt für die wirtschaftliche Bewertung einer VE dar. So müssen<br />

im Vorfeld die schon erwähnte Prozessintegration, sowie unternehmerische und<br />

personelle Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, bevor eine Entscheidung<br />

zugunsten eines bestimmten Systems getroffen werden kann. Dennoch ist die Relevanz<br />

der Bewertung hiermit unumstritten.<br />

Die Systematik muss also sicherstellen, dass durch eine exakte Untersuchung subjektiver<br />

Anforderungen eine objektive Bewertbarkeit erreicht wird. Es ist vorstellbar, über eine<br />

datenbankgestützte Software, die ihre Grenzwertdefinitionen aus dem Anforderungskatalog<br />

bzw. den Anforderungskatalogen (vgl. 2.2.2) bezieht, unter Berücksichtigung<br />

benutzspezifischer Eingabeparameter eine interaktive Bewertung durchführt. Der unten<br />

beschriebene Prototyp für die Bewertung wurde jedoch zunächst als interaktives Tabellenblatt<br />

erstellt, wobei eine spätere informatorische Umsetzung anhand des entwickelten Konzeptes<br />

problemlos zu bewerkstelligen sein sollte.<br />

78


Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Nachfolgend findet zuerst die Aufschlüsselung aller Bewertungsrelevanzen, also<br />

einzubeziehender Parameter statt, um darauf folgend die kalkulatorische Systematik zu<br />

synthetisieren.<br />

3.2.1 Bewertungsrelevanzen<br />

Um die Bewertung eines komplexen Gesamtsystems vornehmen zu können, ist zunächst die<br />

Bewertung seiner Teile durchzuführen. Die Teilbewertungen beziehen sich dabei auf die<br />

Erfüllung <strong>von</strong> relevanten Anforderungen, abhängig vom Bewertungskontext.<br />

Für die Einzelbewertungen kann demzufolge unter Bezugnahme auf folgende Basisparameter<br />

(auch später mit jeweils vorgesehenem Formelzeichen) ein einheitliches Vorgehen<br />

beschrieben werden:<br />

• definiertes Kriterium (idealerweise aufgrund des VE-Richtlinien/-Anforderungskatalogs)<br />

i<br />

• definierte Anforderung gemäß Kriterium (Sollwert für untersuchtes Phänomen)<br />

Ksoll,i<br />

• ermittelter Systemzustand gegenüber Kriterium (Istwert des untersuchten Phänomens)<br />

Kist,i<br />

• Erfüllungsgrad (prozentuale Angabe aus Istwert zu Sollwert, könnte auch bei massiver<br />

Übererfüllung <strong>zur</strong> Reduktion des Erfüllungsgrades führen, z.B.: extreme Leuchtdichte)<br />

Ei in %<br />

Auf die Basisparameter folgen die kriteriumsfixierten Einzelgewichtungen mit individuell<br />

beeinflussbaren Generalgewichtungsparametern. Folgende Zuweisung wird zu Grunde gelegt:<br />

• Relevanz des Gewichtungsgrades<br />

RE,i mit der allgemeinen Gewichtung gE<br />

• Relevanz bezüglich der durchschnittlichen täglichen Nutzungsdauer (Kurz-, Mittel-,<br />

Langzeit)<br />

Rt,i mit der allgemeinen Gewichtung gN<br />

Relevanzspezifikationen (zugehörige Gewichtungen besitzen eine niedrigere Priorität als<br />

die übergeordneten Gewichtungen, formalistisch erkennbar am kleinen Index):<br />

o t


Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

RA,Modellieren,i mit der allgemeinen Gewichtung gmod<br />

• Gesamtgewichtungsfaktor (Hilfsgröße je Kriterium <strong>zur</strong> Integration aller relevanten<br />

Gewichtungseinflüsse)<br />

Gi<br />

Die komplexe Gewichtungsstruktur samt der auftretenden Relevanzspezifikationen ist<br />

notwendig, um die exakte Bedeutung jedes Einzelkriteriums für die Gesamtbewertung<br />

herauszustellen. Es ist auf diese Weise für den Benutzer/Verantwortlichen problemlos<br />

möglich, höchstindividuelle Bewertungsmuster zu erstellen. Im Einzelnen wird dies im<br />

folgenden Gliederungspunkt dargelegt.<br />

Für eine Systemübergreifende Bewertung muss außerdem eine Größe eingeführt werden, die<br />

den Mangel eines Kriterium in Abhängigkeit <strong>von</strong> den zugewiesenen Gewichtungen und deren<br />

Verhältnismäßigkeit zum Gesamtsystem berücksichtigt. Diese Größe sei die Defizität, die<br />

folgendermaßen differenziert wird:<br />

• absolute Defizität (Hilfsgröße für die Bestimmung des Mangelgrads eines Kriteriums<br />

ohne Bezug zum Gesamtsystem)<br />

Da,i in %<br />

• relative Defizität (relativer Mangelgrad eines Kriteriums gegenüber des Gesamtsystems)<br />

Dr,i in %<br />

Über die genannten Größen kann nun jedes Kriterium exakt bewertet werden, wobei speziell<br />

über die relative Defizität die Verbindung zum Gesamtsystem geschaffen wird, das<br />

folgendermaßen definiert sei:<br />

• ergonomische Gesamtqualität (ergibt sich aus der Berücksichtung der relativen<br />

Einzeldefizitäten)<br />

Q in %<br />

Im nun folgenden Gliederungspunkt 3.2.2 werden alle relevanten formalistischen<br />

Zusammenhänge erarbeiten und der Bewertungsprototyp vorgestellt.<br />

80


Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

3.2.2 Formalistisches Bewertungsmodell<br />

Nachdem unter 3.2.1 alle Relevanzen aufgeführt wurden, soll an dieser Stelle deren<br />

mathematische Integration erfolgen. Das so zu entwickelnde formalistische<br />

Bewertungsmodell kann dann als Basis für mögliche Implementationen genutzt werden.<br />

Optimalerweise sollte zu diesem Zweck z.B. eine Datenbank für den Bezug der Grenzwerte<br />

bzw. ggf. Grenzwertzonen angebunden werden, auch um die softwareseitige Unabhängigkeit<br />

<strong>von</strong> Modifikationen aufgrund neuer Erkenntnisse zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Arbeit<br />

wird nur ein Prototyp auf Tabellenblattbasis mit einigen exemplarischen Einzelanforderungen<br />

vorgestellt, der jedoch prinzipiell den vollen Umfang in den wesentlichen Funktionen liefert.<br />

Alle Parameter, die berechnet werden müssen, seien nachfolgend inklusive formalistischer<br />

Beschreibungen und ggf. Zusatzerläuterungen aufgeführt:<br />

⎡ Kist,<br />

i<br />

⎤<br />

⎢<br />

⋅100<br />

E<br />

⎥<br />

i = Ksoll,<br />

i<br />

⎢<br />

⎥<br />

⎢⎣<br />

100, für Kist,<br />

i > Ksoll,<br />

i⎥⎦<br />

Der Fall der massiven Übererfüllung (vgl. 3.2.1) wird hier noch nicht betrachtet, ließe<br />

sich jedoch problemlos als weitere Bedingungsdefinition einflechten.<br />

⎛ gk<br />

⋅ Rt,<br />

k , i + gm<br />

⋅ Rt,<br />

m,<br />

i + gl<br />

⋅ Rt,<br />

l,<br />

i ⎞<br />

Gi = gE<br />

⋅ RE,<br />

i ⋅ gN<br />

⋅ ⎜<br />

⎟ ⋅ gG<br />

⋅ RG,<br />

i ⋅ gA<br />

⎝<br />

2<br />

⎠<br />

⎛ ga<br />

⋅ RA<br />

Architektur,<br />

i + gd<br />

⋅ RA,<br />

Design,<br />

i + gv<br />

⋅ RA,<br />

VisSim,<br />

i + gc<br />

⋅ RA,<br />

VisSim,<br />

i + g mod⋅<br />

RA,<br />

⋅ ⎜<br />

⎝<br />

2<br />

Die Summenquotienten stellen hier die reduzierte Priorität der Gewichtungen der<br />

Relevanzspezifikationen gegenüber den Generalgewichtungen dar.<br />

, Modellieren,<br />

i<br />

Da, i = 100 − Ei<br />

Kehrwert des Erfüllungsgrades und damit Ausdruck für den Erfüllungsmangel.<br />

D<br />

r,<br />

i<br />

=<br />

D<br />

a,<br />

i<br />

∑<br />

i<br />

⋅Gi<br />

Gi<br />

∑<br />

Q = 100 − Dr,<br />

i<br />

i<br />

Kehrwert der Summe der relativen Defizitäten und damit Ausdruck für die Qualität und<br />

nicht den Mangel des Systems.<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Abb. 47, Systematik der ergonomiebezogenen <strong>VR</strong>-Systembewertung<br />

82


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Wie aus der Tabelle erkennbar ist, lassen sich die Generalgewichtungen, sowie die<br />

Gewichtungen der Relevanzspezifikationen durch den Benutzer modifizieren. Die<br />

zeilenweisen Gewichtungen je Kriterium sind hingegen empirische Werte, die aus<br />

Erfahrungen, Studien etc. resultieren. Demnach sollten diese <strong>von</strong> Benutzern nicht modifiziert<br />

werden, sondern eher aus der oben erwähnten Anforderungsdatenbank als<br />

Zusatzinformationen bezogen werden.<br />

3.3 Schlussfolgerungen<br />

Hiermit kann die konzeptionelle Systematisierungsphase als prinzipiell abgeschlossen<br />

gewertet werden. Die Systematiken zu den Themen Anforderungserhebung,<br />

Maßnahmenerhebung und <strong>zur</strong> ergonomiebezogenen <strong>VR</strong>-Systembewertung sind bereit für<br />

Feldversuche im realen Einsatz. Dort muss schließlich in vielfältigsten Anwendungsfällen die<br />

Wirksamkeit umfassend verifiziert werden, um so mögliche Schwächen zu erkennen, durch<br />

die entsprechende Verbesserungsaktivitäten <strong>zur</strong> Optimierung der bewusst offen gestalteten<br />

Konstrukte initiiert werden können.<br />

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4 Praktische Schwerpunktbetrachtungen<br />

Dieses Kapitel wird aufbauend auf den theoretischen Erkenntnissen der bisherigen Arbeit<br />

praktische Studien begleiten, die neben einer Reihe <strong>von</strong> spezifischen Zielen (vgl. 4.1) auch<br />

zeigen sollen, dass es nach wie vor sehr wichtige, noch unerkannte Zusammenhänge im <strong>VR</strong>-<br />

Umfeld gibt. Diesen muss im Zuge der allgemeinen Etablierung jener hochinnovativen<br />

Technologie zwingend Rechnung getragen werden, was natürlich auch in Zukunft ein<br />

konsequentes Vorantreiben verschiedenster Forschungen erfordert.<br />

Der Fokus für das zentrale Untersuchungsobjekt (vgl. 4.3) wird entsprechend eng gefasst, um<br />

hier sicher fundierte Ergebnisse zu gewährleisten. Vorgehensweise, Methoden und<br />

wissenschaftliche Hintergründe bilden dabei inhaltliche Stützen der Ausführungen.<br />

4.1 Zielsetzungen<br />

Die zentralen Anliegen der praktischen <strong>Untersuchungen</strong> bestehen v.a. in der experimentellen<br />

Auseinandersetzung mit ergonomisch relevanten Phänomenen, deren maßgebliche Effekte<br />

bislang nur un<strong>zur</strong>eichend bzw. gar nicht betrachtet wurden. Die Phänomene selbst sind<br />

ihrerseits meist Ergebnisse gezielter empirischer Studien, d.h. der verschiedenen<br />

Prozessphasen sowohl in der Anforderungs-, als auch der Maßnahmenerhebung. Selbst die<br />

umfangreichen bereits existenten Anforderungen weisen ergänzend dazu einen großen<br />

Forschungsbedarf auf.<br />

Neben der generellen Klärung <strong>von</strong> spezifischen Effekten, liegt ein weiteres wesentliches Ziel<br />

der <strong>Untersuchungen</strong> in einer <strong>ergonomischen</strong> Optimierung <strong>von</strong> VE-Merkmalen (Hardware,<br />

Software, Umfeld, Arbeitsbedingungen etc.). Diese Optimierung soll sich im Idealfall in der<br />

Form ausdrücken, dass aus den erarbeiteten Untersuchungsergebnissen entsprechende<br />

Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden können, um so wiederum die bekannten<br />

Kataloge (vgl. 2) zu erweitern.<br />

Weiterhin muss auch der Anspruch, den technologischen Entwicklungen umfassend<br />

gesicherte Erkenntnisse zugrunde zu legen, ein bedeutender Initiator sein. Stellt sich dieser<br />

Denkansatz als prinzipiell gegenwärtig heraus, ist der beschriebenen integrativen Disziplin<br />

auch der so wichtige Akzeptanzboden geebnet, samt der daraus notwendigerweise<br />

resultierenden makrospezifischen Konsequenzen.<br />

4.2 Untersuchungsbeispiele<br />

Die nachfolgenden Betrachtungen bilden einen begrenzten Ausblick auf erkannte und somit<br />

zu untersuchende Phänomene. Es kann dabei jedoch nicht auf umfassende Vollständigkeit<br />

verwiesen werden, da der Rahmen, wie bereits aus den angestellten theoretischen Arbeiten<br />

der vorangegangenen Kapitel klar zu erkennen ist, für eine solche Maßgabe nicht genügend<br />

dimensioniert ist. Viel mehr soll an wenigen Bespielen exemplarisch gezeigt werden, worin<br />

die erkannten Defizite bestehen und auf welche Weise Untersuchungsansätze gestaltet sein<br />

können. Der Gliederungspunkt 4.3 wird sich schließlich mit einem expliziten Phänomen in<br />

allen notwendigen Details, inkl. experimenteller Forschungen, auseinandersetzen.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

4.2.1 Filtergüte<br />

Hinter dieser vermeintlich schlichten Bezeichnung verbirgt sich ein ganzer Themenkomplex,<br />

der Anforderungen beinahe aller unter 2.2 erläuterten Schichten des Erhebungsmodells<br />

umfasst. Grundsätzlich geht es um die Auswirkung der <strong>zur</strong> Stereotrennung bei<br />

Simultanprojektionen (Passivstereo, vgl. 1.2.3, 1.2.4, 1.3) eingesetzten Filter zwischen<br />

Projektor und Auge. Da die beobachteten, z.T. aber nur vermuteten Phänomene sehr<br />

verschieden geartet sind, ist im Vorfeld eine möglichst exakte Differenzierung vorzunehmen.<br />

Auf diese Weise können dann diskrete Einzelbetrachtungen durchgeführt werden.<br />

Folgende Phänomene (Hypothesen) wurden durch die bekannten Erhebungsprozesse isoliert:<br />

• Helligkeits- und Kontrastminderung durch Filtereinsatz<br />

• Farbverzerrung abhängig vom relativen Verdrehwinkel<br />

• bei zirkularer Polarisationsseparation (vgl. 4.3.1) unterschiedliche Filterwirkungen<br />

abhängig vom relativen Verdrehwinkel (z.B. Brille zum projektorseitigen Filter)<br />

• sowohl bei linearer, als auch zirkularer Polarisationsseparation un<strong>zur</strong>eichende<br />

Trennungsleistung (vgl. 4.3.1) und daraus folgende Ghostings (vgl. 1.2.4)<br />

• verminderte Filterwirkung durch „Alterung“ (Überhitzung aufgrund <strong>von</strong> IR-Absorption)<br />

Diese Auflistung zeigt über die oben erwähnte Verschiedenartigkeit die <strong>von</strong>einander<br />

abgrenzbaren Phänomene und rechtfertigt damit den Ansatz spezifischer <strong>Untersuchungen</strong>, wie<br />

sie unter 4.3.1 schließlich auch angewandt werden.<br />

Ebenfalls erkennt man, dass die Palette <strong>von</strong> geräteabhängigen Darstellungs- bis hin zu<br />

individuellen Wahrnehmungsmodalitäten reicht. Überdies lassen sich Wertigkeiten definieren.<br />

So darf man da<strong>von</strong> ausgehen, dass die für die eigentliche Stereotrennung erforderlichen<br />

Filtereigenschaften wichtiger einzustufen sind, als z.B. korrekte Farbwiedergaben oder auch<br />

Helligkeits- und Kontrastwirkungen, wobei gerade diese im Bereich des Langzeiteinsatzes<br />

wiederum an Wertigkeit gewinnen.<br />

Materialalterungen sind hingegen omnipräsente Probleme. Speziell die IR-Absorption wurde<br />

inzwischen in Anwendungsstudien durch die Einbringung eines freistehend luftgekühlten IR-<br />

Filters in den Strahlenverlauf aufgehoben. So werden jene Lichtanteile wirkungsvoll<br />

reduziert, die in den Pol-Filtern über Absorptionsprozesse bis hin <strong>zur</strong> völligen, hitzebedingten<br />

Filterzerstörung führen können.<br />

Nicht zuletzt liegt es an den aufgeführten Voraussetzungen, dass sich der zentrale praktische<br />

Teil der vorliegenden Arbeit, erweitert um filterbezogene Klassifizierungen, speziell mit der<br />

Filterwirkung bzw. –güte in Verbindung mit der Stereoseparation beschäftigt (Näheres unter<br />

4.3). Es soll allerdings selbst durch die vorgenommene Wertigkeit nicht der Bedarf<br />

geschmälert werden, auch den anderen genannten Phänomen in wissenschaftlichen<br />

Folgestudien alsbald auf den Grund zu gehen. Am Ende aller <strong>Untersuchungen</strong> sollten<br />

natürlich im Idealfall die geforderten Verbesserungsvorschläge und Maßnahmenkonzepte<br />

stehen, die als Grundlage für Systemoptimierungen herangezogen werden können.<br />

4.2.2 Winkelfehlerbelastung<br />

Hierunter ist ein auf technischen Ursachen basierendes, definitiv wahrnehmungsbezogenes<br />

Phänomen zu verstehen. Es wurde festgestellt, dass der Wahrnehmungsapparat <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<br />

Benutzern zunehmend beansprucht wird (Augen-, Kopfschmerzen, Sehstörungen etc.), je<br />

weiter die Einzelbilder – unabhängig vom Stereotrennungsverfahren – gegeneinander<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

verdreht/verschoben dargestellt werden. Dies kann dann auftreten, wenn der Benutzer seinen<br />

Kopf relativ <strong>zur</strong> Projektionsfläche verdreht oder bei ausreichendem FoV eine Blickrichtung<br />

wählt, die beim Szenenrendering zu abnormalen Einzelbildverschiebungen führt. Auch nicht<br />

korrekt ausgerichtete Projektoren können derartige Auswirkungen haben.<br />

Die zu diesen Phänomenen bisher angestellten <strong>Untersuchungen</strong> sind, ähnlich wie die <strong>zur</strong><br />

filterbedingten Stereotrennung, äußerst dürftig, besitzen aber eine durchaus große Relevanz.<br />

Je häufiger potentielle Situationen eintreten, um so größer sind die Negativauswirkungen,<br />

Aftereffects (vgl. 1.3.3) nicht ausgeschlossen. Es muss also ermittelt werden, wo die genauen<br />

Grenzwerte für die Abweichungen liegen, ab wann die kognitive Wahrnehmungsleistung<br />

überschritten wird und wie entsprechende Maßnahmen <strong>zur</strong> Behebung aussehen können.<br />

Da jedoch alle reinen Wahrnehmungsparameter extrem benutzerspezifischer Ausprägung<br />

sind, müssen für eine fundierte Einschätzung sehr umfangreiche Benutzerstudien<br />

durchgeführt werden. In diesen sollten repräsentative Benutzergruppen u.a. in verschiedene<br />

Referenzszenen aus verschiedenen Blickwinkeln bestimmte Aufgaben erfüllen, wobei die<br />

Szenen in ihren Stereoeinzelbildern variabel verschieb-/verdrehbar sind. So kann durch<br />

gezielte Verlagerungen die Wahrnehmungsbelastung erzeugt und stufenweise ausgedehnt<br />

werden, was dann <strong>von</strong> den Benutzern beispielsweise über Live-Befragungen bewertet bzw. an<br />

der Effizienz der Aufgabenerfüllung gemessen wird. Die Ausfüllung der Fragebögen sollte<br />

dann z.B. <strong>von</strong> einem Assistenten vorgenommen werden, damit die Benutzer durch „Blicke auf<br />

ihr Blatt“ den Szenenfokus nicht verlieren, es sei denn, die simulierten Arbeitsprozesse sehen<br />

etwas Vergleichbares vor.<br />

Auf diese Weise dürfte es möglich sein, durchschnittliche Grenzwerte für die verschiedenen<br />

Referenzsituationen zu ermitteln und dadurch für die unterschiedlichen Arbeiten, Umfelder<br />

etc. wirksame <strong>Gestaltung</strong>sempfehlungen zu erarbeiten. Die auf diesem Wege erreichbaren<br />

<strong>ergonomischen</strong> Systemoptimierungen könnten dann in den unter 2 aufgeführten Katalogen<br />

eingeordnet werden und stünden somit für die Allgemeinheit <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

4.2.3 Physiologische Belastungsgrößen<br />

Wie dem Anforderungskatalog an die Hardwareumgebung zu entnehmen ist, gibt es eine<br />

Reihe <strong>von</strong> normativ bislang nicht referenzierbaren Belastungsgrößen, die an dieser Stelle<br />

beispielhaft beleuchtet werden. Es sollte bei allen Gerätschaften, die ein Benutzer während<br />

der Arbeit mit/in virtuellen Umgebungen auf irgendeine Weise tragen muss, darauf geachtet<br />

werden, dass physiologische Grenzwerte nicht überschritten werden, d.h. Schmerzen<br />

auftreten, die ein effektives, sicheres und psychologisch unbeeinträchtigtes Arbeiten<br />

verhindern. Gerade im Bereich der Arbeitswissenschaften werden dazu sehr viele nützliche<br />

Anregungen gegeben.<br />

Allerdings fehlen spezifische Grenzwertdefinitionen u.a. für folgende Systemkomponenten:<br />

• Gewicht <strong>von</strong> Brillen (Stereotrennung)<br />

• Gewicht und Beschaffenheit <strong>von</strong> Rucksäcken (z.B. den Wireless Motion Star, vgl. 1.2.2,<br />

elektromagnetisches Tracking)<br />

Die genannten Geräte sind für die jeweiligen Einsatzfelder unersetzbar, stellen jedoch u.U.<br />

erhebliche Belastungsgrößen dar. Gerade die Brillen sind aufgrund der angebrachten Sensoren<br />

z.T. so schwer, dass sie in Verbindung mit ihrem schlechten Design an den Auflagestellen auf<br />

Nasenrücken und Ohren schmerzverursachend sind. Natürlich sind diese Effekte abermals<br />

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sehr benutzerspezifisch, können jedoch in expliziten Studien hinreichend untersucht werden.<br />

Man vermutet, dass bei den Brillen weniger das Gewicht, als ihre schlechte <strong>Gestaltung</strong> das<br />

ausschlaggebende Moment sind. Es sollten also verschiedene Gewichtsklassen bei<br />

unterschiedlichen Polsterungen unter Wahrung einer hygienisch problemlosen Handhabung<br />

(z.B. leichte Reinigung), einer möglichst universalen Gestalt und Einsetzbarkeit (Sichtfeld<br />

etc.), sowie einer angemessenen Robustheit überprüft werden. So ließen sich neben der<br />

generellen Form auch Materialeigenschaften definieren. Aktuell ist eine Diplomandin am IAO<br />

damit beschäftigt, im Bereich des Produktdesigns das Brillenproblem zu lösen.<br />

Ähnlich wie beim Ansatz zu den Stereobrillen muss auch die Frage nach der optimalen<br />

Rucksackgestaltung gestellt werden. Hier kommt hinzu, dass die Bewegung des Benutzers<br />

nicht eingeschränkt werden darf und Belastungen <strong>von</strong> Schulter-/Rückenmuskulatur<br />

entsprechende Überanstrengungen ausschließen müssen. Zu diesem Zwecke sollten in<br />

Zusammenarbeit mit Anthropologen und Physiotherapeuten Versuche erarbeitet werden, aus<br />

denen jene ausstehenden Empfehlungen formuliert werden können. Denkbar ist, dass dadurch<br />

neben dem allgemeinen Design (Form, Größe, Polsterungen, Einstellbarkeit uvm.) gerade für<br />

Personen mit chronische Rückenleiden zeitliche Einschränkungen bei definiertem<br />

Rucksackgewicht gefunden werden.<br />

Generell muss man sich in jedem Fall auch dieser Phänomene unbedingt annehmen, da gerade<br />

sie aufgrund der bedeutenden gesundheitlichen Relevanz eine unüberwindbare Hürde für<br />

einen breiten Einsatz der entsprechenden VEs darstellen können.<br />

4.3 Explizite Untersuchung: Filtergüte und Stereoseparation<br />

Wie unter 4.2.1 bereits umrissen, werden sich die praktischen <strong>Untersuchungen</strong> dieser Arbeit<br />

mit dem Thema Filtergüte und Stereoseparation beschäftigen. Es sollen dabei jene der o.g.<br />

Phänomene betrachtet werden, die über die Polarisationsmethoden (linear, zirkular) <strong>zur</strong><br />

Bildtrennung beitragen. Aus diesen Betrachtungen sollen dann ggf. Anforderungen und<br />

Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden. Überdies wünschte das IAO eine<br />

Klassifizierung der verwendeten Polarisationsfilterbrillen.<br />

Nachfolgend werden zunächst die Prinzipien näher betrachtet, die für die Polarisation<br />

allgemein <strong>von</strong> Bedeutung sind. Danach wird geklärt, über welche experimentellen<br />

Vorgehensmethoden die relevanten Messdaten erhoben werden, welche potentiellen Fehler<br />

entstehen können und wie das eingesetzte Untersuchungsmodell im Detail aufgebaut ist bzw.<br />

verwendet werden muss. Schließlich erfolgt die Auswertung der gemessenen Daten und eine<br />

aus den beobachteten/erkannten Effekten resultierende Konsequenzendiskussion.<br />

4.3.1 Theoretische Voraussetzungen<br />

Polarisationsmechanismen gehören neben dem Shuttering (Aktivstereo) und der echten<br />

Einzelbildbereitstellung für jedes Auge (z.B. HMDs) zu den entscheidenden<br />

Bildtrennungsmethoden für die Erzeugung der künstlichen 3D-Wahrnehmung im <strong>VR</strong>-Umfeld.<br />

Dies trifft v.a. auf die Klasse der großflächigen Projektionssysteme zu. Dabei ist das<br />

angewandte Prinzip einfach, wie genial: durch den gezielten Einsatz <strong>von</strong> Filterelementen<br />

zwischen den Systemprojektoren und den Augen des Benutzers wird trotz gleichzeitiger<br />

Darstellung der Einzelbilder auf einem Schirm eine wirksame Separation erreicht. Auf die<br />

beim Shuttering notwendige Halbierung der Bildwiederholrate aufgrund <strong>von</strong><br />

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Bildumschaltungen kann demzufolge, allerdings zum Preis der Hinzunahme eines weiteren<br />

Projektors, verzichtet werden. Dabei trägt der betrachtende Benutzer mit Sonnenbrillen<br />

vergleichbare, filtertragende Augengläser, die völlig ohne weitere Steuerelektronik<br />

(abgesehen <strong>von</strong> möglichen zusätzlichen Trackingsensoren) auskommen. Die Brille wird damit<br />

leicht, robust, ist einfach zu pflegen und darüber hinaus im Verhältnis deutlich<br />

kostengünstiger.<br />

Doch wie funktioniert die Polarisation prinzipiell, worin unterscheiden sich lineare und<br />

zirkulare Polarisation und wo wird welche Art der Bildtrennung bevorzugt? Den Antworten<br />

auf diese Fragen wird sich der nun folgende Abschnitt widmen.<br />

Lineare Polarisation<br />

Für die Polarisation <strong>von</strong> Licht macht man sich dessen transversale Eigenschaften zunutze<br />

[40]. D.h. man bedient sich spezifischer Effekte, die aufgrund der senkrecht zueinander<br />

orientierten elektrischen (überwiegender Effektor) und magnetischen Lichtkomponenten<br />

innerhalb <strong>von</strong> bestimmten Materialien auftreten. Diese Materialen müssen anisotroper, also<br />

physikalisch asymmetrischer Natur sein, was eine unterschiedlich Beeinflussung <strong>von</strong><br />

ordentlichem und außerordentlichem Lichtstrahl bewirkt, die in ihren Polarisationsebenen<br />

jeweils senkrecht aufeinander stehen. Prinzipiell kommen für lineare Polarisationsvorgänge<br />

folgende grundsätzliche optophysikalische Mechanismen zum Tragen [41]:<br />

• Dichroismus (selektive Absorption verschiedener Feldkomponenten)<br />

• Reflexion<br />

• Streuung<br />

• Doppelbrechung<br />

Dadurch erhält das Licht senkrecht zu seiner Ausbreitungsrichtung außerdem eine<br />

schwingungsbezogene Vorzugsrichtung. Das <strong>von</strong> einer Lichtquelle idealtypischerweise<br />

ausgesandte unpolarisierte Licht (genauer: Licht mit regellos verteilten, chaotischen<br />

Polarisationsrichtungen) kann dadurch in eine definierte Schwingungsebene gebracht werden.<br />

Für reale Anwendungszwecke werden dazu zwei Prismen so gegeneinander justiert, dass der<br />

ordentliche Strahl an deren Grenzfläche totalreflektiert und an einer entsprechenden<br />

Rahmenbeschichtung absorbiert, der polarisierte außerordentliche Strahl jedoch<br />

durchgelassen wird [42]. Je nach Stellung eines solchen Filters (Polarisator) kann die<br />

Polarisationsausrichtung verändert werden. Benutzt man nun als Analysator einen zweiten,<br />

gleichartigen Filter hinter dem Polarisator, kann die auf der optischen Achse hinter ihm<br />

geltenden Vorzugsrichtung des Lichtes bestimmt werden. Dabei gilt, dass im Idealfall bei<br />

einer relativen Verdrehung <strong>von</strong> 90° des Analysators gegen den Polarisator eine Auslöschung<br />

des Lichtes erreicht wird, wohingegen bei paralleler Orientierung das Licht mit maximaler<br />

Intensität passieren kann.<br />

Diese Effekte können nun für die 3D-Einzelbildseparation in der Form genutzt werden, dass<br />

entsprechende lineare Polarisationsfilter vor den jeweiligen Projektoren um 90° verschieden<br />

installiert werden. Es gibt darüber hinaus die Möglichkeit der Einbringung eines Lambda-<br />

Halbe-Plättchens (Phasenverschiebungsplättchen, Verschiebung um halbe Wellenlänge)<br />

hinter einen der somit gleich orientierbaren Einzelfilter (z.B. beim Einsatz <strong>von</strong> Projektoren,<br />

die bereits eine interne lineare Polarisierung vornehmen). Durch eine Orientierung <strong>von</strong> 45°<br />

des Plättchens <strong>zur</strong> Durchlassrichtung des zugehörigen linearen Polfilters, kann man dessen<br />

polarisiertes Licht um 90° drehen. Negativer Nebeneffekt ist hierbei allerdings die<br />

Rotationsdispersion, die zu winkelabhängigen Farbverschiebungen führt. [43]<br />

In jedem Fall müssen die Fitlergläser der passiven Stereobrille zum Betrachten der <strong>VR</strong> eine<br />

zum o.g. Analysatorenprinzip analoge Orientierung erfahren. Dadurch erreicht man trotz der<br />

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gemeinsamen Darstellung der polarisierten Einzelbilder auf einem einzelnen,<br />

polarisationserhaltenden Schirm eine gezielte Auftrennung der Inhalte und kann jedes Auge<br />

mit dem vorgesehenem Bild beliefern. Im realen Einsatz befinden sich die Filter für das linke<br />

und das rechte Auge im Verhältnis <strong>zur</strong> Senkrechten in jeweiliger Stellungen <strong>von</strong> +/-45°.<br />

Das zentrale Problem für diese Art der Polarisation ist die zwingende Abhängigkeit der<br />

Analysatorenausrichtung (Brillen-/Kopfneigung) relativ zu den projektorseitigen Filtern. D.h.<br />

wenn der Benutzer seinen Kopf im Verhältnis zu o.g. Senkrechten neigt, nehmen<br />

Durchlässigkeits-, aber auch Verschlusswirkung der Analysatoren ab – optisches<br />

Übersprechen bzw. Ghostings entstehen und die 3D-Wahrnehmung wird gestört. Obwohl die<br />

generelle Separationsleistung bei annähernd orthogonaler Orientierung recht groß ist, muss<br />

das Einsatzfeld auf jene Arbeitsplätze beschränkt werden, wo stärkere Kopfneigungen eher<br />

untypisch sind, also v.a. auf den Desktopbereich. Für den Einsatz bei großwandigen<br />

Projektionssystemen oder gar CAVEs, wo mitunter sehr differenzierte Blickwinkel entstehen<br />

können, muss man sich deshalb eines anderen Ansatzes bedienen, der zirkularen Polarisation.<br />

Zirkulare Polarisation<br />

Die Anforderung an die Entwickler bestand darin, ein optisches System zu schaffen, bei dem<br />

es unabhängig ist, wohin und in welchem Winkel ein Benutzer innerhalb der <strong>VR</strong>-<br />

Repräsentation schaut. Es darf keine signifikanten Intensitätsunterschiede geben, sowohl auf<br />

Seiten des Durchlasses, als auch auf jener des Verschlusses. Die Lösung bestand in der<br />

Anwendung weitestgehend winkelunabhängiger Polarisationsmechanismen.<br />

Hier werden ordentlicher und außerordentlicher Strahl zunächst ebenfalls getrennt (über<br />

Linearpolarisation), bleiben jedoch um eine gemeinsame Achse in Ausbreitungsrichtung<br />

zentriert. Nun kann über ein Lambda-Viertel-Plättchen oder auch Viertelwellenplättchen [42],<br />

das über unterschiedliche schnelle, orthogonale optische Achsen verfügt, eine<br />

Gangverschiebung zwischen den beiden Einzelkomponenten erreicht werden. Diese<br />

Phasenverschiebung um eine viertel Wellenlänge bewirkt, blickt man <strong>von</strong> vorn gegen die<br />

Ausbreitungsrichtung des Lichts, eine rotierende Vektorresultierende. Je nach Kenngrößen<br />

der Phasenverschiebung ist auch elliptisch polarisiertes Licht möglich, das jedoch für die hier<br />

beschriebene Anwendung keine Bedeutung besitzt.<br />

Um nun die erwünschte Einzelbildseparation zu erzeugen, wird hinter die Zirkularanordnung<br />

eines Projektors zusätzlich noch ein Lambda-Halbe-Plättchen eingebracht, das hier eine<br />

Umkehrung der Drehrichtung des zirkular polarisierten E-Vektors der Lichtwelle bewirkt<br />

[41]. Auf diesem Wege erhält man schließlich das erforderliche links- bzw. rechtszirkulare<br />

Licht.<br />

Für Bildtrennung bedient man sich nun der Tatsache, dass ein linkszirkularer Analysator kein<br />

rechtszirkulares Licht passieren lässt – und umgekehrt. Für diese Anwendungsart müssen<br />

sowohl vor den betreffenden Projektoren, als auch in den zu tragenden passiven Stereobrillen<br />

jeweils zusammengehörige Filterpaare installiert werden. Der große Vorteil besteht nun darin,<br />

dass aufgrund des zirkulierenden Komponentenvektors es im Idealfall keine Rolle mehr<br />

spielt, in welcher Stellung sich die Analysatoren in Bezug zu den Polarisatoren befinden. Es<br />

hat sich allerdings gezeigt, dass abhängig <strong>von</strong> der relativen Verdrehung <strong>von</strong> Analysator zu<br />

Polarisator Farbverschiebungen (zu Gelb oder zu Blau) auftreten. Diese werden durch die o.g.<br />

Rotationsdispersion erzeugt und sind das Ergebnis der an den Viertel- und/oder<br />

Halbwellenplättchen auftretenden Phasenverschiebungen.<br />

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Zur allgemeinen Veranschaulichung sei nachfolgend ein Überblick über die genannten<br />

Polarisationszustände gegeben.<br />

Abb. 48, Polarisationszustände (v.l.n.r.: lineare, zirkulare, elliptische Polaristion)<br />

Nachdem hiermit der notwendige Überblick über die den Studien zugrunde liegende Theorie<br />

geschaffen wurde, soll nun geklärt werden, worauf es in den <strong>Untersuchungen</strong> insbesondere<br />

ankommt. Ein Aspekt ist die bereits erwähnte Klassifizierung der am IAO am häufigsten<br />

eingesetzten Filter. Dies kann z.B. über die Feststellung der Mini- und Maxima der<br />

Lichtintensitäten bei Durchlass und Verschluss bzw. Durchlass/Verschluss-Verhältnisse<br />

erfolgen. Darüber hinaus ist zu untersuchen, wie sich die Filter in den verschiedenen relativen<br />

Verdrehsituationen verhalten. Dabei könnte z.B. der Polarisator fixiert und der Analysator in<br />

definierten Schritten verdreht werden, woraufhin wiederum die entsprechenden<br />

Lichtintensitäten gemessen werden (Näheres zu den geplanten Untersuchungsmethoden unter<br />

4.3.2). Der genaue Aufbau, wie er sich aus den unter 4.3.2 präzisierten Forderungen ergibt,<br />

wird unter 4.3.3 im Detail vorgestellt.<br />

Die so erhobenen Daten werden schließlich einer systematischen Auswertung dienen, die sich<br />

nicht zuletzt auf die Suche nach bislang unerkannten Effekten im Zusammenhang mit der<br />

Filtergüte begibt. Es sollte idealerweise möglich werden, aus den Beobachtungen allgemeine<br />

Empfehlungen zu formulieren, die <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> Optimierung <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong><br />

beitragen können. Diese Empfehlungen stellen sich dann ggf. als Anforderungen und/oder<br />

Maßnahmenkonzepte dar.<br />

4.3.2 Untersuchungsmethoden<br />

An dieser Stelle soll erörtert werden, wie welche Daten zu welchem expliziten Zweck über<br />

eine noch zu entwerfende Versuchsanordnung erhoben werden können. Im Zuge dessen<br />

müssen alle potentiell relevanten Fehlerquellen identifiziert und bei der späteren Konzeption<br />

des Versuchsmodells berücksichtigt werden.<br />

Gemäß der Beschreibungen zu den o.g. Polarisationsarten müssen die durchzuführenden<br />

Messungen trotz der verkürzten und damit lichtstärkeren Experimentalanordnung auf Basis<br />

eines möglichst authentischen Lichtweges erfolgen, wie er z.B. in den benannten<br />

Projektionssituationen auftritt. Für die <strong>Untersuchungen</strong> bedeutet dies, dass das <strong>von</strong> einem<br />

Projektor (DLP) ausgesandte unpolarisierte Licht zunächst einen Polarisator durchläuft, dann<br />

eine Projektionsscheibe passiert, um schließlich durch einen rotierbaren Analysator zu treten.<br />

Am Ende dieses Lichtweges misst ein Lichtmessgerät die resultierende Beleuchtungsstärke in<br />

cd/m² bzw. Lux und gibt damit an, wie viel Licht die gesamte Anordnung durchdringen kann.<br />

Für die Versuche werden eine Reihe <strong>von</strong> Filterproben <strong>zur</strong> Verfügung stehen. Diese werden<br />

eindeutig nummeriert und bestehen aus folgenden Sätzen:<br />

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• lineare Polfilter:<br />

1: Referenzpolarisator<br />

1.1 bis 1.5: exemplarische Analysatoren (zwei Brillen, drei Schraubfilter)<br />

Abb. 49, Lineare Filterproben<br />

• zirkulare Polfilter:<br />

2: Referenzpolarisator<br />

2.1 bis 2.5: exemplarische Analysatoren (fünf Brillen)<br />

Abb. 50, Zirkulare Filterproben<br />

Dabei müssen aufgrund der Polarisationscharakteristika und der potentiellen<br />

Benutzungssituationen die linearen Analysatoren um bis zu 90° relativ zum Polarisator<br />

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verdreht werden, die zirkularen um 180°. Zusätzlich müssen die zirkularen Analysatoren<br />

aufgrund ihrer durch verschiedene optischen Komponentenkombinationen bewirkten<br />

Durchlass- und Verschlusseigenschaften differenziert untersucht werden. Dies ist für die<br />

linearen Filter nicht erforderlich, da sie für die Links-Rechts-Separation gleich beschaffen und<br />

nur um 90° zueinander verdreht sind. Als Drehrasterweite werden jeweils hinreichend feine<br />

5°-Intervalle gewählt. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Messvorgänge für lineare und<br />

zirkulare Polfilter, werden weiter unten die diesbezüglich notwendigen Betrachtungen<br />

vorgenommen.<br />

Weiterhin liegen 8 verschiedene Proben <strong>von</strong> Projektionsscheiben bereit. Für den späteren<br />

Versuch soll aus diesen Proben eine einzige Scheibe gewählt werden, und zwar jene mit der<br />

geringsten Lichtdurchlässigkeit. Dieses Vorgehen bietet sich an, um später möglichst kleine<br />

und damit deutlich exakter messbare Beleuchtungsstärken zu erhalten. Im Vorfeld müssen<br />

deshalb die Scheibenproben im Versuchsaufbau ohne Filtereinsatz auf ihre unbeeinflusste<br />

Lichtdurchlässigkeit untersucht werden. Über das auch später eingesetzte Lichtmessgerät<br />

werden dazu die Beleuchtungsstärken in der Referenzsektion gemessen und verglichen.<br />

Abb. 51, Projektionsflächenproben<br />

Nachdem nun die allgemeinen Rahmenparameter geklärt sind, seien nachfolgend die für die<br />

unterschiedlichen Messungen relevanten Spezifika ausgeführt.<br />

Messverlauf – lineare Polfilter<br />

Grundsätzlich folgt jede der durchzuführenden Messreihen vorbestimmten Einzelschritten. Da<br />

für alle linearen Analysatoren der Polarisator unverändert orientiert bleibt, muss er nur einmal<br />

vor Beginn aller Messungen justiert werden. Danach sollte sich für alle linearen Filterproben<br />

(bei den Brillen das linke Glas) das Maximum für den Durchlass in der Senkrechten und für<br />

den Verschluss in der Waagerechten befinden. Unter diesen Vorgaben bleibt auch der<br />

festzuhaltende Referenzwert für die Beleuchtungsstärke ohne Analysator konstant. Für die<br />

Schraubfilter muss jedoch zuvor die zu den Brillengläsern äquivalente Vorzugsrichtung<br />

bestimmt werden. Dazu ermittelt man über den definiert geschnittenen Referenzpolarisator<br />

(Dreieck, vgl. Grafik: lineare Polfilter) die Orientierung für das Durchlassmaximum. Die<br />

Messreihen selbst werden folgendermaßen durchgeführt:<br />

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• Einbringen/Justieren des Analysators<br />

• Messen der Beleuchtungsstärken für die Nullstellung<br />

• inkrementelles Drehen des Analysators um 5 Grad bis zu einer maximalen relativen<br />

Verdrehung um 90°, danach jeweils Messung der aktuellen Beleuchtungsstärke<br />

• Protokollierung der Messwerte<br />

Messverlauf – zirkulare Polfilter<br />

Der Verlauf für die Messungen der Beleuchtungsstärken an den zirkularen Polfiltern gestaltet<br />

sich indes völlig anders. Zunächst wird der Polarisator hier nicht für alle Analysatorenobjekte<br />

fix justiert. Da für den Durchlass unterschiedliche Lichtintensitäten abhängig <strong>von</strong> der<br />

relativen Verdrehung vermutet werden, muss man den Polarisator für jedes Versuchsobjekt<br />

neu einstellen:<br />

• Fixierung des jeweiligen Analysators (Brille in 0°-Stellung)<br />

• Justierung des Polarisators, bis maximaler Durchlass für das jeweilige linke Brillenglas<br />

erreicht ist<br />

Im Anschluss daran kann der Analysator wieder entfernt werden, um die Beleuchtungsstärke<br />

gemäß der obigen Vorgehensweise nur mit Polarisator zu messen. Ist dies geschehen, kann<br />

der Durchlass (linkes Brillenglas) analog zu dem bei den linearen Polfiltern angewandten<br />

Verfahren ermittelt werden, außer der Tatsache, dass hier die relative Verdrehung bis zu<br />

einem Winkel <strong>von</strong> 180° vollführt wird. Danach wird am gleichen Objekt (aber: rechtes<br />

Brillenglas) die Verschlusswirkung in gleicher Weise gemessen, so dass pro Objekt je zwei<br />

Messenreihen zu erheben sind.<br />

Fehlerquellen<br />

Potentiellen Störeinflüsse lassen sich über eine systematische Beobachtung (ohne explizite<br />

Untergliederung in statische und dynamische Einflüsse) des Strahlenverlaufs vom Projektor<br />

bis zum Messgerät zuverlässig identifizieren. Zu diesem Zwecke sei die nachfolgende<br />

Auseinandersetzung zu berücksichtigen:<br />

• globale Einflüsse:<br />

Hierunter sollen all jene Einflüsse verstanden werden, die nicht vom Versuch selbst<br />

hervorgerufen werden. Dazu zählen in erster Linie Fehleinstreuungen <strong>von</strong> Fremdlicht<br />

(Tageslicht, Raumbeleuchtungen). Diese können einen erheblichen Einfluss auf die<br />

Messdaten nehmen und sind daher unbedingt durch gezielte Maßnahmen auszuschalten.<br />

So ließen sich die Experimente z.B. in einem verdunkelbaren Raum durchführen und/oder<br />

die Anordnung durch eine hinreichend sichtdichte Abdeckung abschotten. Ein weiterer<br />

globaler Faktor könnten Vibrationen sein, über die die justierten Filter u.U. in ihrer Lage<br />

oder Position verändert werden. Man sollte die Versuche also auf einer seismisch<br />

möglichst ruhigen Grundfläche durchführen, aber auch für eine hinreichend stabile<br />

Befestigung der Proben sorgen.<br />

• Projektor:<br />

Dem Projektor kommt innerhalb des Versuchs zweifelsohne eine äußerst wichtige Rolle<br />

zu. Von ihm hängt ab, dass möglichst gleichmäßiges, unpolarisiertes Licht (10 Minuten<br />

Einlaufzeit, weiße Fläche) ausgesandt wird. Durch Fokus, Shifting und andere<br />

projektorabhängige interne Effekte könnten bereits hier ungewollte Polarisation und/oder<br />

Intensitätswolkenbildungen stattfinden.. Da im realen Umfeld zwischen Projektor und<br />

Filter bisher jedoch keine weiteren optischen Elemente <strong>zur</strong> Korrektur eingefügt werden<br />

(außer: IR-Absorber, vgl. 4.2.1), bleibt auch im Versuch dieser optische Raum frei. Ein<br />

etwas größeres Problem stellen mögliche Reflexionen am Versuchsaufbau durch vom<br />

Projektor ausgesandtes Streulicht dar. Diesem könnte einerseits durch Lochblenden<br />

(direkt hinter dem Projektorobjektiv und hinter dem ersten Filter), andererseits aber auch<br />

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durch eine Einkopplungsreduktion am Messgerät (nichtreflektive Verlängerung des<br />

Objektivrohrs) entgegengewirkt werden.<br />

• Filter (Polarisator, Analysator):<br />

Durch Abnutzung, Verschmutzung und materielle Inhomogenität könnte die Filterwirkung<br />

beeinträchtigt sein. Die Filter sollten also in jedem Fall vor Benutzung gereinigt werden.<br />

Materielle Fehler, die nicht mir dem bloßen Auge festzustellen sind, können leider nicht<br />

berücksichtigt werden, da die aufwendigen Analyseverfahren im Rahmen des<br />

Experiments leider nicht unterzubringen sind.<br />

• Projektionsscheibe:<br />

Auch den Projektionsflächen kommt als Träger der visuellen Informationen eine<br />

besondere Wichtigkeit zu. Einerseits müssen sie eine hinreichend große Lichtmenge<br />

passieren lassen, andererseits aber auch für ausreichend Kontrast und v.a. die unbedingte<br />

Polarisationserhaltung sorgen. Und hierin könnten durchaus Probleme bestehen. Gerade<br />

„dunkle“ Scheiben sind aufgrund der Pigmenteinlagerungen einer besonderen<br />

Fertigungssorgfalt unterworfen, bringen jedoch die besten Resultate im Kontrast- und<br />

Farbbereich. Die vom Hersteller garantierte Polarisationserhaltung wird für den Versuch<br />

vorausgesetzt. Ebenfalls können sich Unebenheiten bzw. Materialverbiegungen negativ<br />

auf die Basiseigenschaften auswirken. Die für die Versuche gewählte Scheibenprobe ist<br />

mit Abmessungen <strong>von</strong> 28x21,7x1,2 cm dahingehend als hinreichend stabil zu betrachten.<br />

• Messgerät:<br />

Hier kommen vier wesentliche Aspekte zum Tragen. Zunächst natürlich die Mess-<br />

/Ablesefehler, denen über gewissenhafte Handhabung weitestgehend entgegengewirkt<br />

werden kann. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass die interne Stromversorgung des<br />

Messgeräts (9V-Block) un<strong>zur</strong>eichend ist, was durch Betätigung des Prüfknopfes am Gerät<br />

umgehend überprüft werden kann. Anschließend muss das Gerät ggf. über eine spezielle<br />

Stellschraube auf seine Umgebung geeicht („genullt“) werden, um statische<br />

Messwertfehler zu vermeiden. Zuletzt muss das bereits zum Projektor beschrieben<br />

Einkopplungsphänomen gemäß der dortigen Empfehlungen behandelt werden.<br />

• Sonstiges:<br />

Wichtig ist, dass alle optischen Elemente uniaxial angeordnet sind. Dafür sollte eine<br />

fixierte Schiene dienen, die alle relevanten Komponenten sicher trägt. Auch muss<br />

sichergestellt sein, dass die Rotation der Analysatoren exakt erfolgt. Idealerweise sollte<br />

hierzu eine Skala (360° in 5°-Schritten) an entsprechender Stelle im Versuchsaufbau<br />

angebracht werden, an der die späteren Verdrehschritte orientiert werden können.<br />

Die meisten Fehlerquellen lassen sich also durch gezielte Maßnahmen durchaus wirksam<br />

eindämmen, wohingegen die Existenz weniger potentieller, statischer Fehlerquellen akzeptiert<br />

werden muss. Die Umsetzung der angestellten konzeptionellen Vorbetrachtungen in ein<br />

Versuchsmodell ist Aufgabe des kommenden Gliederungspunktes 4.3.3.<br />

4.3.3 Versuchsaufbau<br />

An dieser Stelle soll nun die Umsetzung der erörterten Entwurfskonzepte für den<br />

Experimentalaufbau erfolgen. Dabei wird der handwerkliche Entstehungsprozess nicht näher<br />

beleuchtet. Grundsätzlich besteht der Aufbau aus verschiedenen Modulen, die variabel<br />

positionierbar sind und so verschiedene Versuchskonstellationen zulassen.<br />

Basisaufbau<br />

Auf einem stabilen 80 cm langen Holzbrett wird eine bestückbare Montageschiene so fixiert,<br />

dass drei der vier Schienenseiten für die Anbringungen <strong>von</strong> Halterungen und Instrumenten<br />

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frei verwendet werden können. Um den Projektionsscheibenproben (28 x 21,7 cm) später<br />

ausreichend Halt zu bieten, werden an entsprechender Stelle über Winkel zwei<br />

Stützschienenstücke links und rechts der Montageschiene angebracht. Zum Basisaufbau<br />

zählen außerdem zwei „Träger-U’s“ mit den Abmessungen 35 x 50 x 9 cm und ein dichtes<br />

schwarzes Tuch. Diese drei Elemente sollen schließlich <strong>zur</strong> kompletten Abdeckung des<br />

späteren Aufbaus dienen (s.u.).<br />

Primäraufbauten<br />

Nun werden verschiebbare, gegenläufige Winkelpaare <strong>zur</strong> Fixierung der Lochblenden und<br />

zum unkomplizierten Wechsel der Projektionsscheiben oben auf der Führungsschiene<br />

verschraubt. Außerdem wird eine 5 cm hohe U-Halterung als Träger für das Messgerät<br />

montiert. An der rechten Außenseite der Hauptschiene werden zwei frei bewegliche, mit<br />

Gummi ausgekleidete Klemmhilfen befestigt, die künftig die Filterproben tragen sollen.<br />

Sekundäraufbauten<br />

Über die Primäraufbauten lassen sich nun die Sekundäraufbauten (Experimentunterstützer)<br />

anbringen. Dazu zählen die beiden Lochblenden (17 x 20 cm, Loch auf ca. 7 cm Höhe,<br />

Lochdurchmesser 2,5 cm orientiert am Messfeld des Photometers), das Messgerät (Hagner<br />

Universal Photometer S2) und die am Messgerätobjektiv angebrachte 20 cm lange Röhre <strong>zur</strong><br />

Dämmung der Fremdlichteinkopplung. Die dem Messgerät nahe Lochblende wird zusätzlich<br />

mit einem Winkelmaß (Durchmesser 7 cm, Ringstärke 1 cm, Rasterweite 5°) um das<br />

Blendenloch ausgestattet. Als externe Sekundärkomponente dient der DLP-Projektor „ddv<br />

1500“ der Firma Liesegang. Dieser wird in entsprechender Höhe, ausgerichtet an der<br />

optischen Achse, so aufgestellt, das sich ein ca. 80 cm langer Lichtweg ergibt (Projektor <br />

Polarisator: 40 cm, Polarisator Scheibe Analysator: 5 cm, Analysator Messgerät <br />

35 cm).<br />

Tertiäraufbauten<br />

In der letzten Aufbaustufe folgen die zu untersuchenden Proben. Dazu zählen die 8 Proben<br />

der Projektionsscheiben und die insgesamt 12 Polfilterproben (17 bei Berücksichtigung der<br />

Links-Rechts-Betrachtung bei den zirkularen Brillen). Die Projektionsscheiben werden mit<br />

der zweiten Lochblende (mit Winkelmesser) in die zentralen Stützwinkel eingespannt, die mit<br />

Orientierungsmarken versehenen Polfilter sorgfältig in die mit Gummi ausgekleideten<br />

Klemmen verbracht.<br />

Nachfolgend sei der finale Versuchsaufbau in allen wesentlichen Details bei exemplarischer<br />

Ausstattung festgehalten, wie er schließlich in einem ruhigen und abdunkelbaren Raum auch<br />

eingesetzt wird:<br />

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Abb. 53, Blick auf Winkelmesser<br />

Abb. 55, Verhüllung Schritt 1<br />

Abb. 52, Versuchsaufbau in der Totalen<br />

Abb. 55, Verhüllung Schritt 2<br />

Abb. 54, Blick auf Referenzfilter (linear)<br />

Abb. 55, Verhüllung Schritt 3<br />

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4.3.4 Auswertung, Ergebnisse<br />

Innerhalb der Auswertung werden drei zentrale Ziele verfolgt. Einerseits ist dies die<br />

angestrebte filtergütenbasierte Klassifizierung der Proben. Darüber hinaus sollen die<br />

genannten Phänomene auch unter der Prämisse beobachtet werden, all jene Effekte zu<br />

isolieren, die bisher unberücksichtig/unbekannt sind. Aus der Klassifizierung und den<br />

Beobachtungen der Phänomene soll es schließlich möglich werden, gezielte Konsequenzen<br />

(z.B. Verbesserungsmaßnahmen) zu formulieren.<br />

Voraussetzung für alle <strong>Untersuchungen</strong> an den Polfiltern in Bezug auf die anzustellenden<br />

Messungen und Beobachtungen, ist die Wahl der geeignetsten der 8 <strong>zur</strong> Verfügung stehenden<br />

Projektionsscheiben. Gemäß des unter 4.3.2 genannten Ziels (kleinere und damit exaktere<br />

Messdaten) ergibt die Messreihe an den Scheiben, dass die Probe „Graphite 100 1/2“ mit<br />

2350 Lux die geringste und damit für die Messungen beste Beleuchtungsstärke liefert. Die<br />

Messwerte an den anderen Scheibenproben werden in der nachfolgenden Grafik dargestellt.<br />

Abb. 58: Scheibenproben (Beleuchtungsstärke)<br />

Nachdem somit alle fixen Komponenten des Versuchsaufbaus komplettiert sind, können nun<br />

die Messungen an den Filtern erfolgen. Die vollständigen Messwerttabellen sowohl zu den<br />

linearen, als auch den zirkularen Filterproben befinden sich im Anhang. Im folgenden<br />

Abschnitt soll zunächst die Klassifizierung stattfinden.<br />

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4.3.4.1 Filterklassifizierung<br />

Um eine angemessene Klassifizierung der Analysatoren überhaupt vornehmen zu können,<br />

müssen entsprechende Klassifizierungskriterien definiert werden. Diese wiederum hängen<br />

explizit <strong>von</strong> der Filterart ab. Daher gilt neben der konstanten Referenzbeleuchtung (farbfreie,<br />

d.h. weiße Projektion) für:<br />

Lineare Polfilter<br />

Prinzipiell wird die objektive Filtergüte bei linearen Polarisationsfiltern <strong>von</strong> folgenden, in<br />

ihrer Reihenfolge abnehmend relevanten Faktoren bestimmt:<br />

• maximales Verhältnis zwischen Durchlass und Verschluss<br />

• minimaler Durchlass (maximaler Verschluss)<br />

• maximaler Durchlass<br />

• ideale Beleuchtungskurve (flacher Ein- und Ausstieg, steiler Mittelverlauf)<br />

Demnach ist es am bedeutsamsten, dass ein Filter ein möglichst hohes Verhältnis zwischen<br />

Durchlass- und Verschlusswirkung aufweist, um maximale Helligkeits-/Kontrastunterschiede<br />

und damit beste Bildtrennungseindrücke zu gewährleisten. Danach sollte der Filter v.a. in<br />

seiner Verschlussstellung das Licht möglichst stark reduzieren, denn gerade hier<strong>von</strong> können<br />

die Ghostingeffekte abhängen. Erst dann rückt die allgemeine Helligkeit aus ergonomischer<br />

Sicht in den Vordergrund und schlussendlich das Filterverhalten bei Kopfbewegungen.<br />

Die Auswertung der Messungen ergibt daher über signifikante Unterscheidungsmerkmale<br />

anhand nachstehender Grafiken folgende Klassifizierung:<br />

Abb. 59, Lineare Polfilter (Beleuchtungsstärke)<br />

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1. 1.5<br />

2. 1.2<br />

3. 1.1<br />

4. 1.4<br />

5. 1.3<br />

Abb. 60, Lineare Polfilter (D/V-Verhältnis)<br />

D.h., dass Objekt 1.5 die besten Charakteristika besitzt. Da die Objekte 1.1 und 1.2 auf den<br />

ersten beiden Auswertungsstufen (Verhältnisgrad, Verschluss) keine signifikanten<br />

Unterschiede aufweisen, entscheidet hier schließlich der Durchlasswert.<br />

Interessant ist neben den o.g. primären Eigenschaften auch der prozentuale Durchlass, den<br />

jedes der Objekte gegen den Basiswert <strong>von</strong> 880 Lux (ohne Analysator) erzielt. Dort gibt es<br />

beim maximalen Durchlass einen Unterschied <strong>von</strong> max. 15,3%, beim Verschluss <strong>von</strong> 2,7%.<br />

Dies zeigt und bestätigt aufgrund der verhältnismäßig geringen Varianz bei der<br />

Verschlusswirkung, dass besonders hierauf während der Filterproduktion geachtet wurde.<br />

Dennoch muss man im Gegenzug festhalten, dass allein am durchlassstärksten Analysator<br />

28,4% der auf ihn auftreffenden Lichtmenge verloren geht. Dieser Wert erscheint allerdings<br />

noch relativ gering, wenn man bedenkt, dass der Referenzpolarisator die ursprüngliche<br />

Beleuchtungsstärke <strong>von</strong> 2350 Lux (Referenzscheibe ohne Filter) um 62,6% reduziert.<br />

Insgesamt bedeutet dies für den durchlassstärksten Filter einen Verlust <strong>von</strong> 73,2%.<br />

Zirkulare Polfilter<br />

Für die zirkularen Filterproben gilt folgende Anforderungsliste absteigender Relevanz <strong>zur</strong><br />

qualitativen Güteklassifizierung:<br />

• maximales Verhältnis zwischen Durchlass und Verschluss (durchschnittlich)<br />

• minimaler Durchlass für rechtes Glas (durchschnittlicher Verschlussgrad, prozentual<br />

gegen Referenzwert ohne Analysator)<br />

• minimales Verhältnis zwischen Extremwerten während Analysatorverdrehung je für<br />

Durchlass und Verschluss<br />

• maximaler Durchlass für linkes Glas (durchschnittlicher Durchlassgrad, prozentual gegen<br />

Referenzwert ohne Analysator)<br />

• ideale Beleuchtungskurve (möglichst geringe Varianz im Verlauf)<br />

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Die Bewertung des Durchlass-/Verschlussverhältnisses kann hier nur auf Basis der<br />

Durchschnittswerte je Filtermessreihen erfolgen, da Durchlass und Verschluss gegen den<br />

Referenzpolarisator mit unterschiedlichen Einzelfiltern (linkes, rechtes Brillenglas) erfolgen.<br />

Auch die Vergleichswerte für Verschluss und Durchlass werden auf Durchschnittswerte<br />

gestützt. Zusätzlich wird eine Verhältnisgröße eingeführt, die den Verlauf der jeweiligen<br />

Einzelkurven in ihren Extremwerten beschreibt.<br />

Für die Auswertung der Messungen sind hier zwei besondere Aspekte zu beachten. Erstens<br />

existiert kein fixer Referenzwert, der mit den 880 Lux (s.o., nur Referenzpolarisator)<br />

vergleichbar wäre. Es muss für jedes Objekt der Polarisator neu justiert werden, was durchaus<br />

zu Unterschieden zwischen den jeweiligen Referenzbeleuchtungsstärken führen kann.<br />

Zusätzlich ergibt sich aus dieser Tatsache, dass auch die absoluten Werte für Durchlass und<br />

Verschluss je Probe nicht mehr ohne Weiteres miteinander vergleichbar sind, da eben der<br />

gemeinsame Basiswert fehlt. Deshalb wird hier auf einer relativen Größe in Form der<br />

prozentualen Beleuchtungsstärke gegen den Referenzwert verglichen.<br />

Für die ermittelten Referenzbeleuchtungsstärken soll folgendes Diagramm <strong>zur</strong><br />

Veranschaulichung dienen. Es zeigt, dass es abhängig <strong>von</strong> der Polarisatorjustierung<br />

tatsächlich zu unterschiedlichen Referenzmesswerten kommt und die relative<br />

Betrachtungsbasis zu Recht gewählt wird.<br />

Abb. 61, Zirkulare Polfilter (Referenzbeleuchtungsstärke)<br />

Aus diesen Überlegungen und der Anwendung der Signifikanzunterscheidung ergeht gemäß<br />

der dargestellten Grafiken folgende zunächst separierte Teilklassifizierung für:<br />

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• Durchlass:<br />

Abb. 62, Zirkulare Polfilter (prozentualer Durchlass gegen Referenzwert)<br />

Abb. 63, Zirkulare Polfilter (durchschnittlicher prozentualer Durchlass)<br />

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1. 2.1<br />

2. 2.3<br />

3. 2.5<br />

4. 2.4<br />

5. 2.2<br />

Abb. 64, Zirkulare Polfilter (Durchlass-Verhältnis zwischen max. und min. Messwert)<br />

Zwischen 2.4 und 2.2 entscheidet erst deren D-Verhältnis, das hier zugunsten <strong>von</strong> 2.4<br />

ausfällt. Bemerkenswert ist außerdem, dass zwischen den Filterproben z.T. erhebliche<br />

Unterschiede bezüglich des durchschnittlichen Durchlasses bestehen.<br />

• Verschluss:<br />

Abb. 65, Zirkulare Polfilter (prozentualer Verschluss gegen Referenzwert)<br />

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1. 2.4<br />

2. 2.2<br />

3. 2.5<br />

4. 2.1<br />

5. 2.3<br />

Abb. 66, Zirkulare Polfilter (durchschnittlicher prozentualer Verschluss)<br />

Abb. 67, Zirkulare Polfilter (Verschluss-Verhältnis zwischen max. und min. Messwert)<br />

Die ersten drei Proben liegen sehr nahe beieinander, dennoch erlaubt die durchschnittliche<br />

Verschlusswirkung bereits eine sichere Gliederung. Markant ist, dass z.B. Objekt 2.3 trotz<br />

seines guten Kurvenverlauf (wenig Varianz) im Vergleich zu den anderen Proben das<br />

meiste Licht passieren lässt. Auch zeigen die Messungen an Objekt 2.1 die größte radiale<br />

Inkonsistenz.<br />

Die Gesamtbewertung ergibt sich nun aus einer kombinierten Betrachtung <strong>von</strong> Durchlass und<br />

Verschluss. Die optimale Gesamtfiltergüte ist nur dann gegeben, wenn gleichzeitig die<br />

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Durchlass- und Verschlusswirkung maximal sind, also bei einem möglichst großen D/V-<br />

Verhältnis. Unter Berücksichtigung der oben angeführten Qualitätskriterien ergibt sich<br />

folgende Gesamtklassifizierung:<br />

1. 2.4<br />

2. 2.2<br />

3. 2.5<br />

4. 2.1<br />

5. 2.3<br />

Abb. 68, Zirkulare Polfilter (durchschnittliches D/V-Verhältnis)<br />

Diese Rangliste verdeutlich sehr gut, worin die essentielle Bedeutung der globalen<br />

Klassifizierung in Verbindung mit zirkularen Polfiltern besteht. Nämlich im optimalen<br />

Zusammenspiel <strong>von</strong> Durchlass und Verschluss innerhalb eines Versuchsobjektes. Wenn man<br />

sich die Teilklassifizierungen genauer ansieht, erkennt man, dass jene Filterproben, die einen<br />

guten Durchlass gewährleisten, beim Verschluss an Leistung einbüßen – und umgekehrt. D.h.<br />

also, dass bei derzeit bestehenden Filtern aus den genannten Teilcharakteristika, orientiert an<br />

festgehaltenen Referenzwerten (z.B. erhoben am eigenen <strong>VR</strong>-System), gewisse Tendenzen<br />

für die Gesamtfiltergüte zu prognostizieren sind. Inwieweit sich Voraussagen auch für<br />

künftige Filter treffen lassen, muss zu gegebener Zeit überprüft werden. Für lineare Polfilter<br />

gilt die hier beschriebene Prognosemöglichkeit nicht.<br />

4.3.4.2 Phänomenanalyse und Konsequenzen<br />

An dieser Stelle sollen nun neben den vermuteten alle ungewöhnlichen Phänomene beleuchtet<br />

werden, die während der Messungen zu beobachten waren und bisher möglicherweise<br />

keinerlei Erwähnung fanden. Einige der Phänomene treten nur bei einem der beiden<br />

Polarisationsverfahren auf, was nachfolgend spezifisch markiert wird. Die aus den<br />

aufgeführten Problemen resultierenden Konsequenzen werden anschließend an die<br />

Phänomenanalyse diskutiert. Begonnen wird nun mit den unter 4.2.1 vermuteten Effekten.<br />

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Helligkeits- und Kontrastminderung durch Filtereinsatz<br />

Hierbei handelt es sich um eine Tatsache, die generell bekannt ist, in den Versuchen jedoch<br />

noch einmal im Detail nachvollzogen werden kann. Gerade die Lichtreduktion durch den<br />

Polarisator, aber auch später durch den Analysator wurde oben bereits beschrieben. Die<br />

Verminderung der Beleuchtungsstärke hängt dabei ganz entscheidend mit den optischen<br />

Effekten (z.B. Strahlauftrennung etc.) zusammen, die letztendlich die Polarisation überhaupt<br />

erst ermöglichen. Aus einer Verminderung der Gesamthelligkeit und dem gemessenen<br />

Lichtdurchlass selbst bei Verschlussstellung der Filter, muss auch auf eine teilweise<br />

Kontrastminderung geschlossen werden, die jedoch nicht näher untersucht wurde.<br />

Konsequenzen:<br />

Helligkeitsminderungen kann am einfachsten durch höhere Projektorleistungen entgegen<br />

gewirkt werden. Über feinere und höherwertigere Filtermaterialien ist überdies ebenfalls eine<br />

Verbesserung der Helligkeit zu erreichen, ebenso wie durch weniger dunkle Szenen. Auch<br />

sollten die Filterpaare (Polarisator, Analysator) im Idealfall aufeinander abgestimmt werden,<br />

was derzeit nicht der Fall ist. Für die Kontrastproblematik gilt Ähnliches, außer dass schon<br />

beim Szenenkontrastdesign auf hinreichend Differenzierung geachtet werden sollte.<br />

Farbverzerrung abhängig vom relativen Verdrehwinkel<br />

Auch dieses Phänomen kann bestätigt werden. Verursacht durch die Rotationsdispersion<br />

konnte speziell bei den zirkularen Filterproben beobachtet werden, dass mit zunehmender<br />

Verdrehung Farbverschiebungen auftraten. In welchem Maß dies vorhersagbar zu beschreiben<br />

ist und welche Auswirkung sich daraus auf die Wahrnehmung/Immersion ergeben, müsste in<br />

späteren Folgeuntersuchungen überprüft werden. Bei den linearen Polfiltern waren diese<br />

Effekte in für sie üblichen Einsatzsituationen kaum zu beobachten.<br />

Konsequenzen:<br />

Es ist vorstellbar, bei entsprechenden Anlagen die Szenen pro Auge (d.h. pro Projektor/Pipe)<br />

in dem Maße leicht farbverschoben zu generieren, dass jene Effekte der Rotationsdispersion<br />

wiederum ein möglichst farbtreues Bild erzeugen. Hierzu ist jedoch festzustellen, wie die<br />

expliziten Farbverschiebungen für die verwendeten Filterpaare in statistischen Einsatzfällen<br />

genau aussehen. Daraufhin kann dann die optimale Pre-Farbkorrektur (Filtering) erfolgen,<br />

abhängig vom Polarisationsverfahren.<br />

Unterschiedliche Filterwirkungen abhängig vom relativen Verdrehwinkel (zirk. Polfilter)<br />

Die Versuche haben gezeigt, dass alle zirkularen Polfilter radial inhomogene<br />

Durchlasseigenschaften aufweisen. Sehr gut ist dies aus den obigen Diagrammen zu erkennen.<br />

Dabei folgen die Beleuchtungsstärkeschwankungen sinusartigen Kurven und haben ihre<br />

maximale Abweichung jeweils in den orthogonale Filterstellungen. Das Bedeutsame in<br />

diesem Zusammenhang ist die prinzipiell unerwünschte Korrelation der Abweichungen, d.h.<br />

in einem relativen Verdrehwinkel <strong>von</strong> 90° weichen sowohl Durchlass-, als auch<br />

Verschlussleistung maximal ab (vermindern sich) und zwar jeweils zum Nachteil des<br />

potentiellen Benutzers. Dadurch kann es im ungünstigsten Falle gerade bei einer Verdrehung<br />

in die Nähe der Orthogonalen zu einer signifikanten Verstärkung <strong>von</strong> Ghostings kommen.<br />

Konsequenzen:<br />

Da es sich hierbei um rein filterbedingte Fehler handelt, muss <strong>zur</strong> Problemlösung an den<br />

Filtern selbst angesetzt werden. D.h. einerseits könnten höherwertigere Filtermaterialien mit<br />

homogeneren Eigenschaften eingesetzt werden, was jedoch die bekannte Kosten-Nutzen-<br />

Frage provoziert. Alternativ ist eine Justierung der Analysatoren in den Brillen so vorstellbar,<br />

dass das D/V-Verhältnis über den gesamten Rotationsbereich nahezu konstant bleibt, und<br />

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nicht wie in allen vorliegenden Fällen am kleinsten bei einer Verdrehung um 90° ist. So<br />

bliebe das Differenzniveau zwischen Durchlass und Verschluss, trotz möglicherweise etwas<br />

geringerer Ausgangsleistung, über die relevanten Rotationswinkel durchschnittlich auf einem<br />

günstigeren Level und bietet damit stabilere 3D-Wahrnehmungsparameter.<br />

Un<strong>zur</strong>eichende Trennleistung der Filterkombinationen<br />

Dieses Phänomen wurde nicht explizit untersucht, da die Messungen ohne Benutzerstudien<br />

stattfanden. Dennoch lassen sich an dieser Stelle einige interessante Sachverhalte klären. So<br />

haben die Messungen gezeigt, dass das D/V-Verhältnis bei den linearen Polarisatoren im<br />

Durchschnitt deutlich besser ausfällt. Sie leisten zwar insgesamt einen etwas geringen<br />

Durchlass, sorgen aber für einen insgesamt besseren Verschluss.<br />

Konsequenzen:<br />

Man kann also sagen, dass lineare Polarisatoren bei einer für sie optimalen Einsatzform<br />

(Desktop-<strong>VR</strong>-Systeme) zirkularen Polarisatoren vorzuziehen sind. Nur dann, wenn die<br />

Kopfbewegungen des Benutzers potentiell freier gestaltbar sind, wären zirkulare Polfilter zu<br />

empfehlen. Ab wann die Trennleistungen den minimalen Wahrnehmungsanforderungen<br />

genügen, muss in weiteren Studien untersucht werden.<br />

Verminderte Filterwirkung durch „Alterung“<br />

Aufgrund des verhältnismäßig kurzen Einsatzes der Filter können hierzu keine Aussagen<br />

gemacht werden. Generell ist natürlich beim Einsatz optischer Elemente darauf zu achten,<br />

dass eine möglichst lange Einsatzdauer gewährleistet wird. Dabei sollten die meist<br />

hitzeempfindlichen Materialien besonders geschützt werden, z.B. über die bereits genannten<br />

IR-Absorber oder ähnliche Elemente.<br />

Polarisationsbezogen inhomogene Lichtquellen<br />

Insbesondere die Referenzwertmessungen zu den zirkularen Filterproben haben gezeigt, dass<br />

abhängig <strong>von</strong> der Justierung des Polarisators unterschiedliche Referenzbeleuchtungsstärken<br />

erreicht werden. Neben Randeinflüssen liegt insbesondere eine Ursache für diesen Umstand<br />

nahe: das ausgesandte Licht könnte aufgrund seiner Verbreitungsart (im Versuch eingesetzter<br />

DLP-Projektor: Spiegelsystem, dazu Zoom- und Shiftelemente) bereits eine bestimmte<br />

Polarisationsneigung besitzen.<br />

Es muss also da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass Projektoren durchaus bereits mehr oder minder<br />

polarisiertes Licht aussenden. Wenn man sich zusätzlich vor Augen führt, dass bei passiven<br />

Stereoprojektionsverfahren zwei Projektoren für die jeweilige Bedienung des linken und des<br />

rechten Auges eingesetzt werden, kann eine unerkannte Polarisationsneigung der Projektoren<br />

im ungünstigsten Falle zu deutlich stärkeren Ghostings führen, als sie allein bedingt durch die<br />

oben beschriebenen inhomogenen Filtereigenschaften auftreten. Diese Situation spitzt sich zu,<br />

je mehr Projektoren pro Projektionsfläche zum Einsatz kommen.<br />

Konsequenzen:<br />

Es bieten sich zwei grundsätzliche Varianten an, wie diesem Phänomen begegnet werden<br />

kann. Zunächst könnte man versuchen dafür zu sorgen, dass das ausgesandte Licht möglichst<br />

unpolarisiert ist. Dies erreicht man durch eine Reduktion der optischen Elemente auf dem<br />

Lichtweg und ggf. die Wahl <strong>von</strong> Projektoren (z.B. CRT), die für die Lichtverteilung<br />

weitestgehend unabhängig <strong>von</strong> optischen Elementen (Spiegel bei DLP) sind. Außerdem<br />

sollten die Lampen aus polarisationsbezogener Sicht einer idealen Beschaffenheit nahe sein<br />

(Gleichverteilung aller Polarisationszustände über alle Raumwinkel).<br />

Die zweite Möglichkeit besteht darin, das ausgesandte teilpolarisierte Licht nach Verlassen<br />

aller Projektorkomponenten wieder zu depolarisieren noch bevor es den ordentlichen<br />

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Polarisator erreicht. Allerdings sind bislang alle Depolarisatoren derart beschaffen, dass sie<br />

aufgrund ihrer funktionsbedingten Streuwirkung für eine Beibehaltung der Bildschärfe<br />

ungeeignet sind. Man benötigt für diesen Weg optimalerweise einen klaren Depolarisator,<br />

dessen Herstellung aus optophysikalischer Sicht jedoch ein großes Problem darstellt. Auf<br />

absehbare Zeit darf man mit einer Einführung eines solchen Bauteils also nicht rechnen.<br />

Demnach bleibt nur die o.g. Optimierung des Projektoreinsatzes.<br />

Radial verteilte D/V-Maxima<br />

Schon die Notwendigkeit zum Justieren des zirkularen Polarisators gegenüber jedem der fünf<br />

Analysatoren beweist die Abhängigkeit der Filterleistungen <strong>von</strong> der exakten Einstellung<br />

zwischen den jeweiligen Filterpaaren. D.h. mit unterschiedlichen Polarisationsfilterbrillen<br />

(verschiedene Modelle, Hersteller etc.) erreicht man an ein und dem selben <strong>VR</strong>-System<br />

(konstanter Polarisator) deutlich messbare D/V-Varianzen. Dies begründet sich v.a. in den<br />

oben beschriebenen Prinzipien <strong>zur</strong> relativen Filterverdrehung und den spezifischen<br />

Lichtquelleneigenschaften.<br />

Konsequenzen:<br />

Um für alle Benutzer eines <strong>VR</strong>-Systems gleichbleibende Qualität bei der Stereotrennung und<br />

eine generelle Leistungssicherheit zu gewährleisten, ist eine definierte Abstimmung zwischen<br />

Polarisator und Analysatoren unumgänglich. Dazu muss sichergestellt sein, dass alle<br />

Filterbrillen im Wesentlichen identisch beschaffen sind (gleiches Filtermaterial, gleiche<br />

Filterorientierung). Damit erreicht man auf Analysatorenseite eine hinreichende ergonomische<br />

Konstanz. Wenn man nun, wie im Versuch praktiziert, den Polarisator in die zu den<br />

Analysatoren optimalste Stellung bringt (D/V maximal bei waagerechter Brillenorientierung),<br />

kann eine systemweite Sicherheit bezüglich konstanter Bildtrennungsleistungen bewirkt<br />

werden.<br />

Für CRT-Projektoren, wo jede der drei additiven Farbkomponenten (RGB) über eine separate<br />

Röhre projiziert wird, ist entsprechend für jede der Farbkomponenten eine Filterjustierung<br />

durchzuführen. Selbstversuche an einigen der in der HyPI-6 eingesetzten BARCO-CRT-<br />

Projektoren zeigten, dass wenigstens eine Farbkomponente pro Projektor aufgrund fehlender<br />

Justierbarkeit des zugehörigen Filters (fest verankert in rechteckigen Halterungen) nicht<br />

behebbare leichte Ghosting-Eigenschaften aufwies. Nimmt man nun an, dass je eine der<br />

Teilkomponenten der insgesamt 12 Projektoren leicht fehlorientiert projiziert wird, ergibt das<br />

im Durchschnitt eine 33%ige Leistungsbeeinträchtigung über den gesamten immersiven<br />

Raum und damit ein erhebliches Potential <strong>zur</strong> Störung der 3D-Wahrnehmung. Es ist also<br />

dringend anzustreben, die Filter vor den Projektoren, ganz gleich welcher Art diese sind, nicht<br />

fix, sondern justierbar (rotierbar) zu montieren.<br />

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5 Ausblicke<br />

Aus den bisherigen <strong>Untersuchungen</strong> wird zweifelsfrei deutlich, dass es auf dem sehr<br />

weitreichenden Gebiet der <strong>VR</strong>-Ergonomie noch sehr viel zu tun gibt. Obwohl mit der Arbeit<br />

wirksame Ansätze geschaffen wurden, bestehen insbesondere folgende Notwendigkeiten:<br />

• dringender Bedarf an Studienausweitung auf alle noch offenen Bereiche (z.B. Aspekte der<br />

un<strong>zur</strong>eichend abgedeckten Arbeitspsychologie in virtuellen, immersiven Umgebungen)<br />

• vertiefender Auseinandersetzung mit isolierten <strong>ergonomischen</strong> Defiziten (z.B. vgl. 4.2:<br />

Winkelfehlerbelastung, physiologische Belastungsgrößen; Anforderungsmängel)<br />

• Fortführung der Verifizierungsprozesse (vgl. 3.1.2 und 3.1.3, Anforderungskataloge etc.)<br />

• Schaffung <strong>von</strong> internationalen Spezialistenforen für interdisziplinäre<br />

Problembewältigungen<br />

• Diskussion potentieller Problemfelder über stete Analysen der Schichten des<br />

Erhebungsmodells unter 2.2, auch anhand neuer technologischer Entwicklungen<br />

• Erweiterung der Ansätze zu Standardisierungen (Überführung der Neuansätze in den<br />

erarbeiteten Katalogen in definierte Standards)<br />

Als logische Konsequenz aus den formulierten Notwendigkeiten muss eine Reihe <strong>von</strong><br />

zentralen Zielen resultieren, die zu erreichen <strong>von</strong> größter Wichtigkeit ist. Im einzelnen sind<br />

diesbezüglich folgende Punkte zu sehen:<br />

• Definition allgemeiner, industrieller Standards (gemessen am Potential und Bestreben <strong>von</strong><br />

<strong>VR</strong> sollte die Definition internationalen Charakter besitzen, offen u. flexibel gestaltet sein)<br />

• Etablierung einer generischen <strong>VR</strong>-Basis über o.g. Standardisierung mit der Zielsetzung,<br />

einen internationalen Wettbewerb trotz gemeinsamer Voraussetzungen nicht zu behindern<br />

• breitgefächerte Erschließung möglicher Anwendungsfelder dank erzielter<br />

Richtlinienformulierungen (durch die geschaffene gemeinsame Grundlage besteht neben<br />

der ökonomischen nur noch eine inhaltliche Grenze für den generellen Einsatz <strong>von</strong> <strong>VR</strong>)<br />

• Entwicklung ökonomischerer Technologien (durch und auf Basis definierter Standards)<br />

• Akzeptanzverbesserung und damit Marktchancensteigerung durch o.g. Ziele<br />

Über eine baldige Erreichung der genannten Ziele wird es mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

möglich sein, alle erdenklichen Einsatzgebiete auf absehbare Zeit zu erobern. Dabei werden<br />

die unterschiedlichsten Domänen mit <strong>VR</strong> gemeinsam oder auch zusammenwachsen, wobei<br />

die anfängliche Ausrichtung auf stärker visualisierungsorientierte Anwendungen durch eine<br />

rasche Ausweitung selbst in scheinbar fremde Disziplinen erweitert werden wird. Natürlich<br />

gibt es kaum Grenzen bei Berücksichtigung der Potentiale <strong>von</strong> <strong>VR</strong>, wodurch es sich auch in<br />

dieser Arbeit nicht vermeiden lässt, einige visionäre Ansätze mit einem zumindest latentem<br />

Realisierbarkeitsgehalt kurz zu beleuchten. Dabei stellt die folgende Liste nur einen kleinen<br />

und ausgesprochen hypothetischen Ausblick auf <strong>VR</strong> im Generellen dar:<br />

• BCI-<strong>VR</strong> (Brain-Comupter-Interfaces als innovative HCI-Schnittstelle zu <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>):<br />

Hiermit sei eine interessante Kombination zweier – für sich gesehen – sehr ferner und<br />

doch recht naher Forschungszweige genannt. BCI wird über EEG-Analysen ermöglichen,<br />

an rechnergestützte Systeme spezielle Befehle allein durch Gedankenkraft abzusetzen.<br />

Nicht nur für behinderte Menschen ein großes Stück mehr Lebens- und Arbeitsqualität,<br />

sondern auch aus therapeutische Sicht und natürlich für virtuelle, immersive Umgebungen<br />

eine durchaus vielversprechende Perspektive. Es ließen sich zunächst bestimmte, z.B.<br />

über Eingabesysteme schwer zu realisierende Aktionen allein dank mentaler Befehle<br />

steuern. In Erweiterung dessen ist es vorstellbar, bei hinreichendem Datendurchsatz und<br />

ergonomischer Handhabbarkeit der BCI-Interfaces, sämtliche dafür geeignete Aktionen<br />

innerhalb virtueller Welten auf diese Weise zu bewältigen. Somit wären selbst die<br />

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komplexesten Tätigkeiten sehr effizient und damit kostengünstig zu gestalten. Verknüpft<br />

man nun ein solches Interaktionsmodell z.B. mit einer retinalen Projektion, kann auch der<br />

tatsächliche Arbeitsraum und der bisherige Geräteaufwand drastisch verkleinert werden.<br />

Welche Möglichkeiten und Probleme sich auf diesem offiziell völlig unerschlossenen<br />

Terrain ergeben könnten, muss selbstverständlich erst untersucht werden.<br />

Abb. 69, BCI-EEG<br />

Abb. 70, BCI-Anwendung<br />

• Virtual Society (z.B. als Erweiterung <strong>von</strong> BCI-<strong>VR</strong>):<br />

Es wird die Zeit kommen, in der virtuelle, immersive Umgebungen in beeindruckender<br />

Qualität, zu massenvertriebstauglichen Preisen und mit für den Consumerbereich<br />

reizvollen Eigenschaften angeboten werden können. Damit stünde dem weitestgehend<br />

medialisierten Menschen der Neuzeit auch der Weg in eine vollwertig erlebbare<br />

künstliche Welt offen, die der realen in bestimmten Fällen durchaus den Rang ablaufen<br />

könnte. Doch bevor man sich in erschreckenden Visionen <strong>von</strong> zunehmenden<br />

Gesellschaftsseparationen, Massenisolation und ungeahnten sozialen Spannungen verliert,<br />

sollte man zunächst an einen deutlich näheren Einsatz denken, wie z.B. eine völlig neue<br />

Version des heutigen Internets. Dieses in seiner momentan Art noch immer sehr abstrakte<br />

Gebilde könnte in eine ungleich intuitivere Welt überführt werden, in der die künstliche<br />

Präsenz einen ganz neuen Wert erhält. Man wirkt tatsächlich präsent und erhält dadurch<br />

vollkommen neue Interaktionsmöglichkeiten. Auch ist nicht auszuschließen, dass sich<br />

damit ganz neue Arbeitsformen entwickeln, sofern es die Branchenspezifika erlauben.<br />

• Virtual Government (als Ausprägung <strong>von</strong> VS, s.o.):<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

Volksnähe ist für Regierungen und Behörden häufig ein großes Problem und die<br />

erwünschte Omnipräsenz <strong>zur</strong> Schaffung <strong>von</strong> Vertrauen und Unterstützung ist nur schwer<br />

zu bewerkstelligen. Wie wäre es aber, wenn dem Bürger dank <strong>VR</strong> die Nähe erfolgreich<br />

suggeriert werden könnte? Was ergäben sich für Chancen, wenn der einzelne Bürger<br />

erlebbaren Kontakt mit Menschen aus Regierung, Behörden, ja seinem nächsten<br />

zuständigen Umfeld in gewisser Regelmäßigkeit pflegen könnte? Wie könnten Kräfte des<br />

Volkes effizienter gebündelt werden, wenn es die Möglichkeit gäbe, sich virtuell zu<br />

organisieren? Sicherlich nicht für jedermann eine Wunschvorstellung, doch sollten auch<br />

diese Potentiale in ernsthaften Studien untersucht werden. Denkbar, dass wir uns einer<br />

solchen Zukunft sicherer nähern, als wir es uns derzeit vorstellen.<br />

Mit diesen vielleicht inspirierenden, vielleicht erschütternden, vielleicht aber auch nur<br />

erheiternden visionären Ausblicken auf künftige, mögliche Einsatzformen <strong>von</strong> <strong>VR</strong>, fern ab<br />

aktueller ökonomischer Interessen, aber dennoch bei Beachtung ergonomischer Grundsätze,<br />

sei der Kreis um die Diplomarbeit geschlossen. Mit Rückblick auf den Beginn der<br />

Ausführungen kann man eines schlussendlich festhalten: die Verwirklichungspotentiale <strong>von</strong><br />

<strong>VR</strong> sind theoretisch fast grenzenlos, wenn man nur den Menschen bei allem Drang <strong>zur</strong><br />

fortwährenden Innovation nicht vergisst.<br />

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II Zusammenfassung<br />

Hauptziel dieser Arbeit war es, durch die Auseinandersetzung mit den verschiedenartigen<br />

Aspekten <strong>von</strong> Virtual Reality und Ergonomie zu zeigen, dass unter dem neu zu definierenden<br />

Dach der <strong>VR</strong>-Ergonomie eine Vielzahl <strong>von</strong> notwendigen <strong>Untersuchungen</strong> anzustellen sind,<br />

die nicht nur die technologischen Zukunftspotentiale <strong>von</strong> <strong>VR</strong> künftig besser nutzbar machen<br />

sollen, sondern auch, um diese viel stärker als bisher mit humanorientierten Fragestellungen<br />

zu integrieren.<br />

Dazu wurde nach der Zusammenführung <strong>von</strong> <strong>VR</strong> und Teilgebieten der Arbeitswissenschaften<br />

zunächst untersucht, welche <strong>ergonomischen</strong> Anforderungen auf Basis bestehender, auch<br />

internationalen Normen, Richtlinien, wissenschaftlichen Arbeiten etc. für repräsentative<br />

Referenzsysteme erhoben werden können. Innerhalb dieser z.T. neu zu konzipierenden<br />

Erhebungsprozesse konnte festgestellt werden, dass es in vielen Bereichen, v.a. aber in Bezug<br />

auf Wahrnehmungs- und Arbeitsmodalitäten nicht nur erhebliche ergonomische Defizite gibt,<br />

sondern schlicht keinerlei anwendbares, normatives Quellenmaterial existiert. Häufig sind die<br />

Probleme viel zu spezifisch, als dass eine problemlose Adaption selbst verwandter Themen<br />

möglich wäre. Dann kann nur eine auf die explizite Problemsituation zugeschnittene Studie<br />

<strong>zur</strong> Ermittlung <strong>von</strong> Belastungsgrenzwerten o.ä. entworfen und durchgeführt werden.<br />

Bei all den Aktivitäten stand stets ein ingenieurmäßig wissenschaftliches Vorgehen im<br />

Vordergrund, weswegen eine Orientierung an VDI-konformen Herangehensweisen erfolgte.<br />

Im Zuge dieser Aktivitäten wurden zwei wesentliche Phasen innerhalb dieser Arbeit<br />

durchlaufen: die Konzeptsynthese in Verbindung mit den vorangegangenen Arbeitsschritten<br />

und die Prozessgeneralisierung in Form <strong>von</strong> Systematiken <strong>zur</strong> Anforderungs- und<br />

Maßnahmenerhebung, sowie <strong>zur</strong> anwendungsspezifisch ergonomiebezogenen <strong>VR</strong>-<br />

Systembewertung. Weiterhin wurden Anforderungskataloge für die <strong>VR</strong>-Hardware und<br />

additionale Betrachtungsrelevanzen für die <strong>VR</strong>-Software erstellt.<br />

Im praktischen Teil der Arbeit spielte die Untersuchung eines besonderen Problemfalls und<br />

zwar der Filtergüte im Zusammenhang mit der Stereoseparation bei Projektionssystemen die<br />

zentrale Rolle. Es wurde eine Klassifizierung der am Fraunhofer IAO eingesetzten<br />

Polarisatoren und Analysatoren vorgenommen, eine Überprüfung <strong>von</strong> verschiedenen<br />

polarisationsabhängigen Hypothesen durchgeführt und im Verlauf der Studien festgestellte<br />

und bislang nicht berücksichtigte Phänomene (polarisationsbezogen inhomogene<br />

Lichtquellen, radial verteilte Durchlass/Verschluss-Maxima) isoliert. Zu den überprüften<br />

Hypothesen und gefunden Phänomenen wurden denkbare Konsequenzen, also mögliche<br />

Verbesserungsmaßnahmen formuliert.<br />

Schlussendlich konnte durch die Gesamtheit der <strong>Untersuchungen</strong> gezeigt werden, dass im<br />

Bereich <strong>VR</strong> zum Teil immense ergonomische Mängel bestehen und das häufig nur deshalb,<br />

weil über weite Strecken einfach am Menschen vorbei entwickelt wurde. Die Ausblicke<br />

führen dazu klare Notwendigkeiten und Ziele für die Zukunft aus.<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

III Quellenverzeichnis<br />

[1] H. Luczak, Arbeitswissenschaften, 2. Auflage, Springer 1998<br />

[2] Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. e.h. Dr. h.c. H.-J. Bullinger, Ergonomie Produkt- und<br />

Arbeitsplatzgestaltung, B.G. Teubner Stuttgart, 1994<br />

[3] H.-J. Kirchner, Einführung in die Arbeitswissenschaft, Abt. Arbeitswissenschaft des<br />

Instituts für Wirtschaftswissenschaften der TU Braunschweig, Vorlesungsmanuskript<br />

1992<br />

[4] H. Luczak & Walter Volpert, Handbuch Arbeitswissenschaft, Schäffer-Poeschel<br />

Verlag Stuttgart 1997<br />

[5] W. Laurig, Wissenschaftstheoretische Inhaltsbestimmung des Begriffs <strong>von</strong><br />

Ergonomie, Z. Arb. wiss., 37 (9 NF), 129-133, 1983<br />

und<br />

UNESCO, Ergonomics – impact of science on society, No. 165 (vol. 42, No.1),<br />

Taylor & Francis London, 1992<br />

[6] R. Bernotat, Anthropotechnik in der Fahrzeugführung, Ergonomics, 353-377, 1970<br />

[7] F. Boccia, T. Kim & M.R. Levy, The vision of virtual reality, Lawrence Erlbaum<br />

Associates, 1995<br />

[8] T.B. Sheridan, Musings on telepresence and virtual presence, Teleoperators und<br />

Virtual Environments (120-126), 1992<br />

[9] Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation Stuttgart<br />

[10] http://cg.cs.tu-berlin.de/~kai/tablet/vr_out.html, 2003<br />

[11] http://www.google.de/search?q=cache:S6f5jvHvn7gJ:www.cs.uta.fi/~grse/<br />

ACAI_2003/HeadMovements/HeadMovements.ppt+6+dof+intertial+tracker&hl=de&i<br />

e=UTF-8, 2003<br />

[12] http://www.villa-kunterbunt-schardt.de/priv/Tom/paper/Schardt1999c.pdf, 2003<br />

[13] http://www.senseboard.com/, 2003<br />

[14] F. Biocca & B. Delaney, Immersive virtual reality technology, Lawrence Erlbaum<br />

Associates, 1995<br />

[15] http://www.jszw.de/3d_wahrnehmung/tiefe.html, 2003<br />

[16] http://www.seereal.com/DE/products_principle_js.de.htm, 2003<br />

[17] http://www.hitl.washington.edu/projects/vrd/, 2003<br />

[18] http://www.philart.de/magisterarbeit/kap2.pdf, 2003<br />

112


Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

[19] Prof. Dr. M. Waldowski, Digitale Bildverarbeitung I, SG Medieninformatik im<br />

Fachbereich Digitale Medien der Fachhochschule Furtwangen, Vorlesungsskript, 2001<br />

[20] House, 1982 (genannt in [15])<br />

[21] S.Y. Edgerton, Die Entdeckung der Perspektive, Wilhelm Finke Verlag, 2002<br />

[22] http://www.3dsource.de/deutsch/basics.htm, 2003<br />

[23] http://www.arch.tu-dresden.de/bauoekcad/Seminararbeiten_2002/<br />

Radiocity_Particletrace/, 2003<br />

[24] Kelsey, 1993 (genannt in [15])<br />

[25] http://www.virtualresearch.com/products/v8.htm, 2003<br />

[26] http://www.vd-media.de/archiv/Hitachi_CP-SX5500.html, 2003<br />

[27] http://www.barco.com/projection_systems/virtual_and_augmented_reality/<br />

content/products/product_specs.asp?element=312, 2003<br />

[28] http://vr.iao.fhg.de/6-Side-Cave/index.de.html, 2003<br />

[29] http://www.barco.com/Projection_systems/virtual_and_augmented_reality/<br />

content/products/product_specs.asp?element=860, 2003<br />

[30] F. Biocca, Virtual reality technology: A tutorial, Journal of Communication,<br />

23-72, 1992<br />

[31] J. Steuer, Defining virtual relatity: Dimensions determining telepresence, Journal<br />

of Communication, 1992<br />

[32] T.B. Sheridan, Further Musings on the psychophysics of presence, Teleoperators<br />

and Virtual Environments (241-246), 1996<br />

[33] J. Blascovich, Social influence within immersive virtual environments, Springer<br />

London, 2002<br />

[34] B.G. Witmer & M.J. Singer, Measuring presence in virtual environments: a presence<br />

questionnaire, Teleoperators and Virtual Environments (225-240), 1998<br />

[35] K. Stanney & G. Salvendy, Aftereffects and sense of presence in virtual environments:<br />

Formulation of a Research and Development Agenda, International Journal of Human-<br />

Computer Interaction (135-187), 1998<br />

[36] http://www.personal.uni-jena.de/~sth/angst/bericht.htm, 2003<br />

[37] DIN EN ISO 13407, Benutzerorientierte <strong>Gestaltung</strong> interaktiver Systeme<br />

[38] D. A. Bowman, Interaction Techniques for common Tasks in immersive<br />

Virtual Environments, Georgia Institute of Technology, 1999<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

[39] Mixed Fantasy: An Integrated System for Delivering MR Experiences, University<br />

of Central Florida, ISMAR 2003<br />

[40] http://www.chemie.tu-muenchen.de/biotech/ord.pdf, 2003<br />

[41] Eugene Hecht, Optik, Addison-Wesley, 1991<br />

[42] http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2003/0088/pdf/3_-_Geraete_und_Methoden.pdf,<br />

2003<br />

[43] http://pluslucis.univie.ac.at/FBA/FBA95/Schloegl/schloegl.html, 2003<br />

[44] http://www.chemie.tu-muenchen.de/biotech/ord.pdf, 2003<br />

[45] D. Zelter, Autonomy, interaction and presence, Teleoperators and Virtual<br />

Environments (127-132), 1992<br />

Normen und Richtlinien:<br />

VDI 2220 (Produktplanung)<br />

VDI 2221 (Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte)<br />

VDI 2222, Blatt 1 (Methodisches Entwickeln <strong>von</strong> Lösungsprinzipien)<br />

VDI 2223 (Methodisches Gestalten)<br />

DIN 5340 (Begriffe der physiologischen Optik)<br />

DIN EN 397 (Industrieschutzhelme)<br />

DIN EN 166 (Persönlicher Augenschutz)<br />

DIN 33411 (Körperkräfte des Menschen)<br />

DIN 33402 (Körpermaße des Menschen)<br />

DIN EN 894 (Sicherheit <strong>von</strong> Maschinen - Ergonomische Anforderungen an die <strong>Gestaltung</strong><br />

<strong>von</strong> Anzeigen und Stellteilen [früher: DIN 33401])<br />

DIN 5035-2 (Beleuchtung mit künstlichem Licht; Richtwerte für Arbeitsstätten in<br />

Innenräumen und im Freien)<br />

DIN 1946 (Lüftungstechnische Anlagen)<br />

DIN 33430 (Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz<br />

bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen)<br />

EN ISO 9241 (Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten)<br />

EN ISO 14915 (Software-Ergonomie für Multimedia-Benutzungsschnittstellen)<br />

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Diplomarbeit „<strong>Untersuchungen</strong> <strong>zur</strong> <strong>ergonomischen</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong> <strong>VR</strong>-<strong>Systemen</strong>“ <strong>von</strong> Andreas Pusch, FHF 2003/2004<br />

BildschArbV (Bildschirmarbeitsverordnung)<br />

BimSchV 26 (Verordnung über elektromagnetische Felder)<br />

EnEV (Energieeinsparverordnung)<br />

GUV 50.12 (Gesetzliche Unfallversicherung, sichere und gesundheitsgerechte <strong>Gestaltung</strong> <strong>von</strong><br />

Bildschirmarbeitsplätzen)<br />

TCO '99 (Tjänstemännens Centralorganisation, Strahlungsgrenzwerte bei Bildschirmarbeit)<br />

Weitere allgemeine Quellen:<br />

G. Bente, N.C. Krämer & A. Petersen, Virtuelle Realitäten, Hogrefe, 2002<br />

B. Schray, Virtuelle Interaktionsformen in immersiven Umgebungen: Die Auswirkung <strong>von</strong><br />

direkter vs. indirekter Bedienschnittstelle auf die Performanz am Beispiel <strong>von</strong> Größen- und<br />

Distanzschätzungen in der CAVE, Diplomarbeit im Fach Psychologie an der Eberhard-Karls-<br />

Universität Tübingen, 2003<br />

J. Rauschenbach, <strong>Gestaltung</strong> eines Interfaces für die Visualisierung und Evaluierung <strong>von</strong> 3D-<br />

CAD-Dateien in Virtual Reality, Diplomarbeit an der TU Dresden, 2002<br />

J. Deisinger, Entwicklung eines hybriden Modelliersystems <strong>zur</strong> immersiven konzeptionellen<br />

Formgestaltung, Dissertation, Jost-Jetter Verlag, 2002<br />

http://haptic.mech.nwu.edu/HapticResearch.html, 2003<br />

http://medien.informatik.uni-ulm.de/lehre/courses/ss02/ModellingAndRendering/01-<br />

3dwahrnehmung.pdf, 2003<br />

http://cg.cs.tu-berlin.de/~kai/tablet/vr_out.html, 2003<br />

http://www.3dsource.de/deutsch/basics.htm, 2003<br />

http://www.ikarus.uni-dortmund.de/Virtual_Reality/publish/einfuehr/, 2003<br />

http://www.est-kl.com/, 2003<br />

http://www.barco.com/VirtualReality/en/stereoscopic/lumens.asp, 2003<br />

Arbeitsgesetz, Verordnung 3 (Schweiz)<br />

http://www.systec.de/de/support/fwb/wiederholgenauigkeit.shtml, 2003<br />

http://www.virart.nottingham.ac.uk/overview/h&sintro.html, 2003<br />

http://www.barco.com/VirtualReality/, 2003<br />

Angaben in den Anforderungskatalogen (z.T. bezogen aus Vorarbeiten)<br />

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IV Abbildungsverzeichnis<br />

Titel HyPI-6-Schema [9, Oliver Stefanie]<br />

Abb. 1 Arbeitssystem [2, Bild 1.2]<br />

Abb. 2 Bewertungshierarchie [2, Bild 1.10]<br />

Abb. 3 Beispielhaftes <strong>VR</strong>-System [9]<br />

Abb. 4 <strong>VR</strong>-Struktur [9]<br />

Abb. 5 Arbeit in Mehrwandprojektionsraum [9]<br />

Abb. 6 Auswahl diskreter Eingabegeräte [9]<br />

Abb. 7 Komponenten für elektromagnetisches Tracking [9]<br />

Abb. 8 Komponenten für optisches Tracking [9]<br />

Abb. 9 Kinematische Kette „Phantom“ [9]<br />

Abb. 10 BOOM [9]<br />

Abb. 11 Komponenten für trägheitsorientiertes Tracking [9]<br />

Abb. 12 Komponenten für akustisches Tracking [9]<br />

Abb. 13 Datenhandschuh [9]<br />

Abb. 14 Senseboard [9]<br />

Abb. 15 Hybrides Eingabegeräte „Hornet“ [9]<br />

Abb. 16 Desktop-<strong>VR</strong> [9]<br />

Abb. 17 HMD [9]<br />

Abb. 18 Projektionssystem [9]<br />

Abb. 19 Akustische Ausgabegeräte [9]<br />

Abb. 20 Haptische Ausgabegeräte [9]<br />

Abb. 21 Binokulare Disparität [7]<br />

Abb. 22 Anaglyphenbrille [7]<br />

Abb. 23 Akkomodation [7]<br />

Abb. 24 Konvergenz [7]<br />

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Abb. 25 Perspektive [7]<br />

Abb. 26 Relative Größe [7]<br />

Abb. 27 Fernperspektive [7]<br />

Abb. 28 Licht/Schatten 1 [7]<br />

Abb. 29 Licht/Schatten 2 [7]<br />

Abb. 30 Interposition [7]<br />

Abb. 31 Gestaltprinzip [7]<br />

Abb. 32 Bewegungsparallaxe [7]<br />

Abb. 33 Umweltbezogene Interpretation [7]<br />

Abb. 34 Virtual Research V8 [9]<br />

Abb. 35 Erdebox<br />

Abb. 36 BARON [9]<br />

Abb. 37 HyPI-6 [9]<br />

Abb. 38 Präsenzmodell <strong>von</strong> Zelter [45]<br />

Abb. 39 Präsenzmodell <strong>von</strong> Sheridan [32]<br />

Abb. 40 Präsenzmodell <strong>von</strong> Steuer [31]<br />

Abb. 41 Erhebungsmodell<br />

Abb. 42 Systemtechnische Problemlösungszyklen, [VDI 2221, Bild 2.2]<br />

Abb. 43 Modifizierte Stereobrillen<br />

Abb. 44 Interaktionstools [9]<br />

Abb. 45 Systematik der Anforderungserhebung<br />

Abb. 46 Systematik der Maßnahmenerhebung<br />

Abb. 47 Systematik der ergonomiebezogenen <strong>VR</strong>-Systembewertung<br />

Abb. 48 Polarisationszustände [44]<br />

Abb. 49 Lineare Filterproben<br />

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Abb. 50 Zirkulare Filterproben<br />

Abb. 51 Projektionsflächenproben<br />

Abb. 52 Versuchsaufbau in der Totalen<br />

Abb. 53 Blick auf Winkelmesser<br />

Abb. 54 Blick auf Referenzfilter (linear)<br />

Abb. 55 Verhüllung Schritt 1<br />

Abb. 56 Verhüllung Schritt 2<br />

Abb. 57 Verhüllung Schritt 3<br />

Abb. 58 Scheibenproben (Beleuchtungsstärke)<br />

Abb. 59 Lineare Polfilter (Beleuchtungsstärke)<br />

Abb. 60 Lineare Polfilter (D/V-Verhältnis)<br />

Abb. 61 Zirkulare Polfilter (Referenzbeleuchtungsstärke)<br />

Abb. 62 Zirkulare Polfilter (prozentualer Durchlass gegen Referenzwert)<br />

Abb. 63 Zirkulare Polfilter (durchschnittlicher prozentualer Durchlass)<br />

Abb. 64 Zirkulare Polfilter (Durchlass-Verhältnis zwischen max. und min.<br />

Messwert)<br />

Abb. 65 Zirkulare Polfilter (prozentualer Verschluss gegen Referenzwert)<br />

Abb. 66 Zirkulare Polfilter (prozentualer Verschluss gegen Referenzwert)<br />

Abb. 67 Zirkulare Polfilter (Verschluss-Verhältnis zwischen max. und min.<br />

Messwert)<br />

Abb. 68 Zirkulare Polfilter (durchschnittliches D/V-Verhältnis)<br />

Abb. 69 BCI-EEG [9]<br />

Abb. 70 BCI-Anwendung [9]<br />

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V Anhänge<br />

Anforderungskatalog „Hardware und Umgebung“<br />

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Additionaler Anforderungskatalog „Software“<br />

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Mess- und Ermittlungsdaten aus den praktischen <strong>Untersuchungen</strong> (vgl. 4)<br />

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