Alfred Böge Technische Mechanik - PP99

Alfred Böge Technische Mechanik - PP99 Alfred Böge Technische Mechanik - PP99

03.06.2013 Aufrufe

380 5.12.3 Spannungsbegriffe 5.12.3.1 Nennspannung Berechnet man die Normal- oder Schubspannung (s, t) mit den klassischen Gleichungen der Festigkeitslehre (wie im Buch), z. B. die Normalspannung sz ¼ F=A in einem Zugstab, wird die Zuspannung als Zug-Nennspannung sz, n bezeichnet. Vereinbart gelten die Bedingungen: a) gleichmäßig verteilter Kraftfluss über dem belasteten Querschnitt, b) es treten nur elastische Verformungen auf, c) die Schnittflächen bleiben dabei eben. 5.12.3.2 Úrtliche Spannung Bei den praktisch verwendeten Bauteilen treten die obigen Bedingungen selten zusammen auf. Die Bauteile weichen von der idealisierten Form des glatten, polierten Probestabs im genormten Zugversuch ab, z. B. durch Kerben aller Art (Rundkerbe, Spitzkerbe), durch Absätze mit unterschiedlichen Abrundungsradien, durch Querbohrungen und Wanddurchbrüche. Dadurch ändern sich Verlauf und Dichte der Kraftflusslinien, sie werden an Querschnittsübergängen zusammengedrängt und die auftretende Spannung wird um eine Formzahl größer als die berechnete Nennspannung sz, n ¼ F=A. Diese Spannung nennt man örtliche Spannung oder Kerbspannung. 5.12.3.3 Zulässige Spannung Die zulässige Spannung wird zur Bestimmung geometrischer Größen am Bauteil gebraucht. Beispielsweise soll der erforderliche Querschnitt Aerf (Durchmesser d) eines Zugankers aus Stahl S235JR bei gegebener maximaler Zugkraft Fmax ¼ 50 MN ermittelt werden. Es liegt schwellende Belastung vor. Für die Zugbeanspruchung gilt die Nennspannungsgleichung sz, n ¼ F=A oder Aerf ¼ Fmax=sz zul. Zur Wahl der zulässigen Spannung sz zul wird der Werkstoffkennwert Kw des Werkstoffs zugrunde gelegt. Bei ruhender Belastung wäre dies die Streckgrenze Re des Werkstoffs: Kw ¼ Re ¼ 235 N/mm 2 (Tabelle 5.8, Seite 385 für S235JR). In festigkeitstechnische Entwurfsberechnungen führt man den Ausnutzungsgrad n < 1 ein und setzt sz zul ¼ sz Entwurf ¼ n Kw ¼ n Re. Bei dynamischer Belastung wird als Werkstoffkennwert Kw die Schwell- oder Wechselfestigkeit (Tabelle 5.8) eingesetzt (Kw ¼ sz Sch oder sz, dW). Mit sz Sch, S235JR ¼ 158 N=mm 2 und Ausnutzungsgrad n ¼ 0,8 für schwellende Belastung und geschmiedetes Bauteil erhält man den gesuchten erforderlichen Durchmesser derf ¼ 22,5 mm. Weitere Rechnungen werden mit dem nächst höheren Normmaß dNorm ¼ 25 mm durchgeführt. Spannungs-Dehnungs-Diagramm (schematisch) ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4Fmax 5 Festigkeitslehre s derf ¼ ¼ p n sz; Sch ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4 50 10 ¼ 3 N mm2 s ¼ 22,5 mm p 0,8 158 N dNorm ¼ 20

5.12 Festigkeit, zulässige Spannung, Sicherheit 381 5.12.3.4 Berechnungen im Buch Aufgaben zur Festigkeitslehre werden im Lehrbuch (Beispiele, Ûbungen) und im Lösungsbuch zur Aufgabensammlung1) auf folgenden Wegen gelöst: a) Gestalt und Bemaßung des Bauteils sind in einer Konstruktionsskizze dargestellt: Mit den Gesetzen der Statik werden die von außen auf das Bauteil einwirkenden Kräfte F (Normal- und Querkräfte) und Momente M (Dreh-, Biege- und Torsionsmomente) ermittelt. Mit diesen Größen lassen sich die inneren Kräfte und Momente bestimmen (siehe 5.1.7, Seite 271). Daraus können die auftretenden Nennspannungen svorh und tvorh und die Formänderungen (z. B. Längenänderungen Dl) am vorhandenen Bauteil berechnet werden. b) Vom geplanten Bauteil sind die Hauptmaße für eine Entwurfsskizze zu berechnen: Die Hauptabmessungen wie Kantenlängen l oder Durchmesser d am Entwurf werden mit einer zulässigen Spannung szul und tzul ermittelt. Man nennt diese Entwurfsberechnung das „Dimensionieren“ des Bauteils. Dazu ist eine „zulässige“ Spannung vorzugeben (szul ¼ sEntwurf), die aus Tabellen entnommen oder aus Erfahrungswerten festgelegt werden kann. Für die Festigkeitsrechnungen im Lehrbuch und für die entsprechenden Aufgaben in der Aufgabensammlung werden die Bezeichnungen szul ¼ sEntwurf methodisch gleichwertig verwendet. 5.12.3.5 Praktische Festigkeitsberechnungen im Maschinenbau Ziel aller Festigkeitsrechnungen ist die Ermittlung der vorhandenen Spannung und der Nachweis, dass ein konstruiertes Bauteil mit Sicherheit „hält“. So muss seine geforderte oder erwartete Tragfähigkeit unter allen denkbaren Umständen gewährleistet sein, es darf z. B. auch bei Dauerbelastung in der vorgeschriebenen Lebensdauer nicht brechen oder seine Form bleibend so verändern, dass es seine Funktion nicht mehr ausreichend erfüllt. Das gilt für den Maschinen- und Gerätebau ebenso wie für den Stahlbau- und Stahlhochbau (Brücken- und Gebäudebau) , den Schiffs- und Flugzeugbau. Am Ende dieser Berechnungen steht der Zahlenwert für die „Sicherheit S geforderter Mindestsicherheit Smin“. Die Festigkeitsrechnung beginnt mit dem Festlegen der Entwurfs- oder Dimensionierungsspannung sEntwurf szul. Damit werden die Hauptmaße der Konstruktion berechnet, z. B. der Durchmesser einer Welle an einer bestimmten Stelle, dem sog. gefährdeten Querschnitt. Mit der Wahl des Werkstoffs liegen die Festigkeitsgrößen vor, z. B. die Zug-, Druck-, Biegeund Torsions-Wechselfestigkeit (szW, sdW, sbW, ttW) oder die entsprechenden 0,2%-Dehngrenzen (Rp 0,2). Diese aus Tabellen greifbaren Werte sind an genormten (glatten, polierten) Probestäben ermittelt worden (also nicht am Maschinenbauteil selbst) oder an Bauteilen mit anderer Oberflächenbeschaffenheit, anderer Form usw. Zur Ermittlung der sog. Gestaltfestigkeit werden Faktoren K in die Berechnung der Sicherheit SD gegen Dauerbruch (Dauerhaltbarkeit) oder gegen bleibende Verformung (Fließgrenze) eingeführt, z. B. der Rauheitsfaktor KFs oder die Kerbwirkungszahl Kf, die aus der Kerbformzahl Kt berechnet werden kann. Auf diese Weise wird z. B. die Biegewechselfestigkeit des Probestabs sbW in die Biegewechselfestigkeit sbWK des gekerbten Stabs umgerechnet. 1) Lösungen zur Aufgabensammlung Technische Mechanik, Böge/Schlemmer, 14. Auflage 2009, Vieweg þ Teubner

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5.12.3 Spannungsbegriffe<br />

5.12.3.1 Nennspannung<br />

Berechnet man die Normal- oder Schubspannung (s, t) mit den klassischen Gleichungen der<br />

Festigkeitslehre (wie im Buch), z. B. die Normalspannung sz ¼ F=A in einem Zugstab, wird<br />

die Zuspannung als Zug-Nennspannung sz, n bezeichnet. Vereinbart gelten die Bedingungen:<br />

a) gleichmäßig verteilter Kraftfluss über dem belasteten Querschnitt, b) es treten nur elastische<br />

Verformungen auf, c) die Schnittflächen bleiben dabei eben.<br />

5.12.3.2 Úrtliche Spannung<br />

Bei den praktisch verwendeten Bauteilen treten die obigen Bedingungen selten zusammen auf.<br />

Die Bauteile weichen von der idealisierten Form des glatten, polierten Probestabs im genormten<br />

Zugversuch ab, z. B. durch Kerben aller Art (Rundkerbe, Spitzkerbe), durch Absätze mit unterschiedlichen<br />

Abrundungsradien, durch Querbohrungen und Wanddurchbrüche. Dadurch ändern<br />

sich Verlauf und Dichte der Kraftflusslinien, sie werden an Querschnittsübergängen zusammengedrängt<br />

und die auftretende Spannung wird um eine Formzahl größer als die berechnete Nennspannung<br />

sz, n ¼ F=A. Diese Spannung nennt man örtliche Spannung oder Kerbspannung.<br />

5.12.3.3 Zulässige Spannung<br />

Die zulässige Spannung wird zur Bestimmung geometrischer<br />

Größen am Bauteil gebraucht. Beispielsweise<br />

soll der erforderliche Querschnitt Aerf<br />

(Durchmesser d) eines Zugankers aus Stahl S235JR<br />

bei gegebener maximaler Zugkraft Fmax ¼ 50 MN<br />

ermittelt werden. Es liegt schwellende Belastung<br />

vor. Für die Zugbeanspruchung gilt die Nennspannungsgleichung<br />

sz, n ¼ F=A oder Aerf ¼ Fmax=sz zul.<br />

Zur Wahl der zulässigen Spannung sz zul wird der<br />

Werkstoffkennwert Kw des Werkstoffs zugrunde<br />

gelegt.<br />

Bei ruhender Belastung wäre dies die Streckgrenze<br />

Re des Werkstoffs: Kw ¼ Re ¼ 235 N/mm 2<br />

(Tabelle 5.8, Seite 385 für S235JR).<br />

In festigkeitstechnische Entwurfsberechnungen<br />

führt man den Ausnutzungsgrad n < 1 ein und<br />

setzt sz zul ¼ sz Entwurf ¼ n Kw ¼ n Re.<br />

Bei dynamischer Belastung wird als Werkstoffkennwert<br />

Kw die Schwell- oder Wechselfestigkeit<br />

(Tabelle 5.8) eingesetzt (Kw ¼ sz Sch oder sz, dW).<br />

Mit sz Sch, S235JR ¼ 158 N=mm 2<br />

und Ausnutzungsgrad<br />

n ¼ 0,8 für schwellende Belastung<br />

und geschmiedetes Bauteil erhält man den gesuchten<br />

erforderlichen Durchmesser derf ¼ 22,5 mm.<br />

Weitere Rechnungen werden mit dem nächst höheren<br />

Normmaß dNorm ¼ 25 mm durchgeführt.<br />

Spannungs-Dehnungs-Diagramm (schematisch)<br />

ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi<br />

4Fmax<br />

5 Festigkeitslehre<br />

s<br />

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p n sz; Sch<br />

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¼ 22,5 mm<br />

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