Cleversulzbach - Geigerdruck GmbH
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<strong>Cleversulzbach</strong> 1262–2012<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
1262-2012<br />
1262–2012<br />
Ein Streifzug durch 750 Jahre Geschichte<br />
Ein Streifzug durch 750 Jahre Geschichte
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
1262–2012<br />
Ein Streifzug durch 750 Jahre Geschichte
Mit Beiträgen von:<br />
Dr. Wolfram Angerbauer (†)<br />
Robert Aubele<br />
Wilhelm Blank<br />
Michael Domay<br />
Ewald Eisele<br />
Norbert Gessner<br />
Dr. Hartmut Gräf<br />
Dr. Martin Hees<br />
Doris Heuschele<br />
Norbert Heuser<br />
Wilfried Huber<br />
Eckhard Kreeb<br />
Karl Kuhn<br />
Annegret Plenefisch<br />
Gottfried Reichert<br />
Christel Schenk<br />
Friedrich-W. Schlaghoff<br />
Petra Schön<br />
Rudolf Schwan<br />
Michael Speck<br />
Erna Ültzhöfer<br />
Werner Uhlmann<br />
Ulrich Weber<br />
Lektorat: Birgit Schäfer<br />
ISBN 978-3-86595-465-7<br />
Herausgeber und alle Rechte bei:<br />
Stadt Neuenstadt am Kocher, 2012<br />
Geiger-Verlag, 72160 Horb am Neckar<br />
www.geigerverlag.de<br />
1. Auflage 2012<br />
GD 2050 10 12 HB Bo<br />
Herstellung: <strong>Geigerdruck</strong> <strong>GmbH</strong>, 72160 Horb am Neckar<br />
Gedruckt auf 100 % chlorfrei gebleichtem Papier.
INHALT<br />
Grußwort 8<br />
Vorwort 10<br />
Aus der frühen Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong> –<br />
Zeugen der Vergangenheit<br />
12<br />
Die Wüstungen der Markung <strong>Cleversulzbach</strong> – Dr. Hartmut Gräf 12<br />
Archäologische Fundstellen – Dr. Martin Hees 18<br />
Marksteine, Zeugensteine und die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Grenzsteinbücher – Norbert Gessner<br />
19<br />
Die Sage vom Löff elstein 25<br />
Die Gemeinde und das Gemeindewesen in früherer Zeit 26<br />
Erste urkundliche Erwähnung von <strong>Cleversulzbach</strong> 26<br />
im Jahre 1262 – Eckhard Kreeb<br />
Zur Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong> im Mittelalter und in der 29<br />
frühen Neuzeit – Eckhard Kreeb<br />
Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuch von 1626 – Norbert Gessner 43<br />
Die erste Gemeindeordnung von <strong>Cleversulzbach</strong> – Friedrich-W. Schlagho 44<br />
Schultheißen und Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong> seit dem 51<br />
15. Jahrhundert – Norbert Gessner<br />
Ämter und Amtspersonen – Die Ämterbesetzung in 54<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> im Jahre 1872 – Karl Kuhn, Friedrich-W. Schlagho<br />
Rechnungslegung der kommunalen Verpfl ichtungen – 57<br />
Die Bürgermeisteranstandsrechnung des Johann Martin Hesser 1726/27<br />
Karl Kuhn, Friedrich-W. Schlagho<br />
Bevölkerung 62<br />
Die Bevölkerung im 15./16. Jahrhundert – Dr. Wolfram Angerbauer (†) 62<br />
Lebensgrundlagen eines <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgers – 66<br />
Ein Ausschnitt aus dem Dorfbuch 1626<br />
3
4<br />
Zur Bevölkerungsstatistik im 19. Jahrhundert – 67<br />
Aus den Aufzeichnungen des Totenregisters 1842 bis 1871<br />
Norbert Gessner<br />
Einwanderung und Auswanderung – Gottfried Reichert 73<br />
Wirtschaftliche Grundlagen und natürliche Ressourcen 84<br />
Landwirtschaft in <strong>Cleversulzbach</strong> – Wilhelm Blank, Werner Uhlmann 84<br />
Weinbau im Dorf: Tradition und Veränderung 102<br />
Wilhelm Blank, Werner Uhlmann<br />
Die Schäferei – Werner Uhlmann 108<br />
Das Handwerkszeug des Schäfers: Die Schäferschippe 114<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> und sein Wald – Martin Domay 115<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Eichen und ihre Geschichte 124<br />
Gipsabbau – Petra Schön 126<br />
Der Sulzbach und Fischerei – Martin Domay 128<br />
Infrastruktur 130<br />
Die Wette – Norbert Gessner, Werner Uhlmann 130<br />
Brunnen und Wasserversorgung – Norbert Gessner 134<br />
Straßen und Verkehrswege – Norbert Gessner 143<br />
Transport und Verkehr – Rudolf Schwan 154<br />
Post und Telefon – Rudolf Schwan 159<br />
Einzug der Elektrizität in <strong>Cleversulzbach</strong> – Michael Speck 169<br />
Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Feuerwehr – Norbert Gessner 175<br />
Handwerk, Handel und Gewerbe früher und heute 185<br />
Altes Handwerk – Betriebe von heute in <strong>Cleversulzbach</strong> – Petra Schön 185<br />
Metzger, Bäcker und Kolonialwaren: Einkaufen in <strong>Cleversulzbach</strong> 197<br />
Petra Schön<br />
Gastwirtschaften – Rudolf Schwan 202
Von Banken und „Wohnzimmerfi lialen“ – Die Entwicklung des Sparwesens 213<br />
Petra Schön<br />
Gebäude und Einrichtungen in <strong>Cleversulzbach</strong> 216<br />
Das Rathaus von <strong>Cleversulzbach</strong> – Karl Kuhn, Friedrich-W. Schlagho 216<br />
Brechhaus, Flachs und Leineweberei – Gottfried Reichert 230<br />
Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Back-, Wasch- und Armenhaus – Werner Uhlmann 236<br />
Die Waagen im Dorf und das Waaghäusle – Werner Uhlmann 248<br />
Die Milchsammelstelle – Rudolf Schwan 251<br />
Gemeindehaus – Kelter-Halle – Rudolf Schwan 254<br />
Die Keltereiche zu <strong>Cleversulzbach</strong> (1883–2004) 258<br />
Schwierige Zeiten 259<br />
Die Revolution von 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong> 259<br />
Karl Kuhn, Friedrich W.-Schlagho<br />
Unterm Hakenkreuz – Rudolf Schwan 262<br />
Einer der Hauptscharfrichter des Deutschen Reiches 267<br />
Gottlob Bordt stammt aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Gedenken der Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege 268<br />
Rudolf Schwan<br />
Kirche und kirchliches Leben 287<br />
Die evangelische Kirchengemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> – Ulrich Weber 287<br />
Die katholischen Christen in <strong>Cleversulzbach</strong> und ökumenisches Leben<br />
Robert Aubele, Ulrich Weber<br />
304<br />
Versorgung und Betreuung 306<br />
Die Hebammen in <strong>Cleversulzbach</strong> – Norbert Gessner 306<br />
Das Schicksal des <strong>Cleversulzbach</strong>er Knaben Christian Gottlieb Bordt 310<br />
Der <strong>Cleversulzbach</strong>er Kindergarten und seine Entstehung 311<br />
Ewald Eisele, Werner Uhlmann<br />
5
6<br />
Vom Schulwesen in <strong>Cleversulzbach</strong> 322<br />
Zur Geschichte der Schule in <strong>Cleversulzbach</strong> bis um 1800 322<br />
Dr. Wolfram Angerbauer (†)<br />
Der Werdegang des alten Schulhauses an der Kirche – Norbert Gessner 326<br />
Die Schule in <strong>Cleversulzbach</strong> und ihre Lehrer seit dem 18. Jahrhundert 333<br />
Norbert Gessner<br />
Schulunterricht anno dazumal – Norbert Gessner 339<br />
... mit gebotener Strenge – Zucht und Ordnung in Schule und<br />
Alltag im 19. Jahrhundert – Norbert Gessner<br />
343<br />
Lehrerbesoldung im 18. und 19. Jahrhundert – Norbert Gessner 348<br />
Lehrerwohnung im Schulhaus – Das Lehrerwohnhaus an der<br />
Brettacher Straße – Norbert Gessner<br />
352<br />
Einzugsbereich der Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong> – Norbert Gessner 355<br />
Entwicklung zum modernen Gemeinwesen 356<br />
Die Entwicklung von <strong>Cleversulzbach</strong> seit der Eingemeindung<br />
im Jahr 1972 bis heute – Norbert Heuser<br />
356<br />
Gruppen und Vereine, Kultur und Sport 363<br />
Akkordeon-Spielring 1966 <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. – Annegret Plenefi sch 363<br />
Mörike-Chor <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. – Doris Heuschele 364<br />
Freundeskreis Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. – Rudolf Schwan 366<br />
Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong> 1921 e.V. – Wilfried Huber 368<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> – Dorf mit Motorsportgeschichte<br />
Norbert Gessner, Rudolf Schwan, Werner Uhlmann<br />
371<br />
Landfrauenverein Neuenstadt, <strong>Cleversulzbach</strong> und Stein e.V.<br />
Christel Schenk<br />
375<br />
Persönlichkeiten 376<br />
Eduard Mörike (1804 –1875) – Rudolf Schwan 376<br />
Schillers Mutter – Rudolf Schwan 378
Pfarrer Rabausch und der Spuk im Pfarrhaus – Rudolf Schwan 380<br />
Pfarrer Franckh und seine Frau Louise, geb. Schiller – Rudolf Schwan 382<br />
Landrat Eugen Kaiser (1879–1945) – Rudolf Schwan 384<br />
Ortsvorsteher Schultheiß Lambert Herrmann (1872–1947) 385<br />
Rudolf Schwan<br />
Bürgermeister Richard Nef (1917–1993) – Rudolf Schwan 389<br />
Erinnerungen an Mörike 391<br />
Eduard Mörike: Der alte Turmhahn 391<br />
Die Mörike-Stube und die Entstehung des Mörike-Museums 396<br />
Rudolf Schwan<br />
Der Mörike-Pfad – Rudolf Schwan 412<br />
Persönliche Erinnerungen 416<br />
Der Neuanfang im März 1946 – Erna Ültzhöfer 416<br />
Eine junge Lehrerin erinnert sich ... Aus dem Tagebuch von Frl. Freimann 419<br />
Barbara Schlegel/Norbert Gessner<br />
Bildnachweis 432<br />
7
8<br />
Grußwort<br />
Im Jahre 1262 wurde <strong>Cleversulzbach</strong> erstmals<br />
urkundlich als „Glefer Sultzbach“ erwähnt.<br />
750 Jahre sind seither vergangen,<br />
in denen die Menschen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ihre eigene Geschichte schrieben und somit<br />
diesen Ort prägten.<br />
Das Jubiläum wird mit einem Festwochenende<br />
im September 2012 gebührend gefeiert.<br />
Eine bleibende Erinnerung an die<br />
750-Jahr-Feier und ein beeindruckendes<br />
Zeitdokument ist unser nun erschienenes<br />
Ortsbuch: <strong>Cleversulzbach</strong>. 1262–2012. Ein<br />
Streifzug durch 750 Jahre Geschichte.<br />
Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />
Veränderungen nehmen stets<br />
Einfl uss auf die Entwicklung eines Ortes<br />
und seiner Bevölkerung.<br />
Das Ortsbuch über <strong>Cleversulzbach</strong> nimmt<br />
sich verschiedener Stationen im Zeitlauf<br />
der Jahrhunderte an und spiegelt Facetten<br />
des gemeindlichen Lebens und des Lebens<br />
der Einwohner von <strong>Cleversulzbach</strong> wider.<br />
Es beleuchtet Zeitabschnitte und Menschen<br />
in ihrem Dasein, in ihrem alltäglichen<br />
Leben so wie auch in ihrem Wirken<br />
in und für die Gemeinschaft.
Das Ortsbuch ist eine reiche Quelle an Informationen.<br />
Seine Leserinnen und Leser<br />
werden Altbekanntes wiederentdecken,<br />
aber auch viel Neues erfahren - aus ferner<br />
wie auch jüngerer Vergangenheit.<br />
„Nur wer seine Vergangenheit kennt, hat<br />
eine Zukunft“, fasste Wilhelm Humboldt<br />
seine Erfahrung über das Nachwirken von<br />
und über den Umgang mit Geschichte<br />
zusammen. Dies gilt nicht nur für die<br />
„große“ Weltgeschichte, es gilt genauso<br />
für die Geschichte eines Ortes und seiner<br />
Menschen.<br />
Wir sind sehr dankbar und stolz auf die<br />
vielen ehrenamtlichen Autoren, die die<br />
Realisierung dieses ehrgeizigen Projektes<br />
durch ihren persönlichen Einsatz ermöglicht<br />
und vielfältige und interessante Einblicke<br />
in das Ortsgeschehen in diesem beeindruckenden<br />
Buch zusammengetragen<br />
haben.<br />
Ein besonderer Dank gilt auch Frau Birgit<br />
Schäfer für das Lektorat und dem Geiger-<br />
Verlag in Horb am Neckar für die Realisierung.<br />
Unser besonderer Dank gilt auch<br />
Herrn Werner Uhlmann, der sich unermüdlich<br />
für die Entstehung des vorliegenden<br />
Bandes einsetzte.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> trägt heute mit dem überregional<br />
bekannten Mörike-Museum maßgeblich<br />
zur kulturellen Vielfalt der Stadt<br />
Neuenstadt am Kocher bei.<br />
Mit der Idylle „Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland<br />
…“ von Eduard Mörike, der als<br />
Pfarrer und Dichter von 1834 bis 1843 im<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Pfarrhaus lebte, hat der<br />
Ort in der deutschen Lyrik einen festen<br />
Platz inne.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen<br />
und beim Eintauchen in die Ortsgeschichte.<br />
Norbert Heuser – Bürgermeister Günther Stahl – Ortsvorsteher<br />
9
10<br />
Vorwort<br />
Ein Geburtstag – nein sicherlich nicht,<br />
schon eher ein Jubiläum eines für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
so denkwürdigen Datums, der<br />
ersten urkundlichen Erwähnung unseres<br />
Heimatortes am 8. Oktober 1262. Sicherlich<br />
sind „Wir“ weitaus älter als 750 Jahre.<br />
Wie sonst hätte Engelhard von Weinsberg<br />
an diesem Tag einen Hof mit Zugehör in<br />
„Glefer Sultzbach“ für 60 Pfund an das<br />
Kloster Lichtenstern verkaufen können.<br />
Was wissen wir, und was wusste oder<br />
kannte ich über die Geschichte und die<br />
Vergangenheit unseres Heimatortes?<br />
Einiges ist in der Beschreibung des Oberamtes<br />
Neckarsulm von 1881 nachzulesen.<br />
Auch waren in den vergangenen Jahren<br />
immer wieder Einzelthemen aufgegriff en,<br />
bearbeitet und in „Am Brunnen vor dem<br />
Tore“, den geschichtlichen und heimatkundlichen<br />
Beiträgen zum Amtsblatt der<br />
Stadt Neuenstadt und ihrer Teilorte, publiziert<br />
worden. Aber reichten die bisher<br />
gewonnenen Kenntnisse aus, um die 750.<br />
Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnung<br />
mit einem größeren Werk über<br />
die Ortsgeschichte gebührend begehen<br />
und feiern zu können?<br />
Dies war die Frage, die sich mir schon vor<br />
einigen Jahren, noch zu meiner Amtszeit<br />
als Ortsvorsteher, stellte. Sollte man das<br />
Wagnis eines Versuchs zur Darstellung<br />
von 750 Jahren wechselvoller Geschichte,<br />
Vergangenheit, Erfahrungen, Freud und<br />
Leid sowie der Entwicklung unserer Heimatgemeinde<br />
von damals bis heute angehen?<br />
Die Antwort war Nein, das reicht<br />
nicht, und doch auch gleichzeitig Ja, das<br />
Wagnis anzugehen.
Der seinerzeitige Ortschaftsrat von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
Bürgermeister Norbert Heuser<br />
von Neuenstadt am Kocher sowie die Vorstandschaft<br />
vom Freundeskreis Mörike-<br />
Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e. V. (hier ist die<br />
Aufarbeitung der Ortsgeschichte Bestandteil<br />
der Vereinssatzung) wurden über diese<br />
Idee, wohlwissend, dass dies keine leichte<br />
Aufgabe sein würde, informiert.<br />
Nachdem es keine Einwände, wohl aber<br />
fragende Gesichter gab, wie dies zu schaffen<br />
sei, sind wir die Sache angegangen. Die<br />
erste offi zielle Besprechung fand am 5. Februar<br />
2009 zusammen mit Kreisarchivarin<br />
Petra Schön, Gudrun Lohmann von der<br />
Stadtverwaltung, Bürgermeister Norbert<br />
Heuser, Pfarrer Ulrich Weber, Rudolf<br />
Schwan und mir auf dem Rathaus in Neuenstadt<br />
statt. Wichtige Punkte – zum Beispiel,<br />
wer sichert das Vorhaben fi nanziell<br />
ab oder wie sieht der zeitliche Ablaufplan<br />
aus – wurden dabei beraten und besprochen.<br />
Dank an Herrn Bürgermeister Heuser<br />
und den Gemeinderat, dass der wichtige<br />
Punkt der Finanzierung zur Sache der<br />
Stadt erklärt wurde – der Rest gehörte<br />
uns. Nun konnte es ganz offi ziell losgehen.<br />
Autoren wurden gesucht und gefunden.<br />
Alle Autoren sind mit einer gewissen Euphorie<br />
das Wagnis mutig angegangen,<br />
und die meisten haben die Strecke über<br />
die zurückliegenden Jahre hinweg durchgehalten.<br />
Allen, die mit dazu beigetragen haben,<br />
und hier ganz besonders den Autorinnen<br />
und Autoren sowie unserer Lektorin Birgit<br />
Schäfer, das Buch, das keinen Anspruch<br />
auf Vollständigkeit erhebt, was bei solchen<br />
Aufarbeitungen auch nicht möglich<br />
ist, zu dem werden zu lassen, was Sie, was<br />
wir heute in Händen halten können (so<br />
manches Mal hatte ich Zweifel, schlafl ose<br />
Nächte und mochte selbst nicht mehr daran<br />
glauben, dass es noch rechtzeitig fertig<br />
wird), möchte ich an dieser Stelle meinen<br />
herzlichsten Dank aussprechen.<br />
In unserer heutigen schnelllebigen Zeit, in<br />
der nichts mehr von längerem Bestand ist,<br />
außer der Gewissheit der ständigen Veränderung<br />
in immer kürzeren Intervallen,<br />
und dabei zunehmender Orientierungslosigkeit,<br />
welche die bisherigen traditionellen<br />
Fundamente menschlichen Daseins,<br />
welche in Glauben, Familie und Heimat<br />
wurzeln, immer mehr erschüttert und in<br />
Frage stellt, mag es für viele unserer Mitbürger<br />
von Interesse sein, sich auch anhand<br />
des vorliegenden Werkes mit der<br />
Vergangenheit, den Ursprüngen sowie der<br />
Entwicklung unseres Heimatdorfes zu befassen,<br />
sich vielleicht auch an die eigenen<br />
Vorfahren zu erinnern.<br />
Die Geschichte kennen, die Gegenwart<br />
verstehen, hilft uns, die Zukunft zu meistern.<br />
Allen an unserem Ortsbuch Interessierten<br />
wünsche ich beim Lesen viel Freude und<br />
neue interessante Einblicke in 750 Jahre<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Ortsgeschichte.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, im September 2012<br />
Werner Uhlmann<br />
11
12<br />
Aus der frühen Geschichte<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> –<br />
Zeugen der Vergangenheit<br />
Die Wüstungen der Markung <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit<br />
war unsere Gegend weitläufi ger besiedelt<br />
als heute. So werden um das Jahr 1500<br />
bei der Beschreibung der Güter und Höfe<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> häufi g bei den Häusern<br />
keine Nachbarn genannt, sondern das<br />
Grundstück stößt „an die Almend“ (Gemeindebesitz<br />
an Wiesen und Wald) oder<br />
an andere Wiesen oder auch Äcker 1 . Insgesamt<br />
können sieben Gruppen von Häusern<br />
unterschieden werden, die untereinander<br />
durch Almende oder Acker getrennt<br />
sind. Von Hof zu Hof konnten also deutliche<br />
Abstände bestehen, es gab noch viel<br />
Platz im Dorf. Bei der Größe der Markung<br />
ist es auch verständlich, dass einzelne<br />
Höfe oder Hofgruppen abseits des Dorfkerns<br />
entstanden. Auf der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Markung sind dies Eberstal, Kiefertal<br />
und vielleicht Binssig – Siedlungen, die<br />
später aufgegeben wurden und nur noch<br />
durch archivalische Notizen und/oder Bodenfunde<br />
nachzuweisen sind. Sie werden<br />
als so genannte Wüstungen erforscht.<br />
Eberstal<br />
Im Sulzbachtal, ca. 1,5 km südlich von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, fi nden wir den Flurnamen<br />
Eberstall. Der Ort wird mehrfach im<br />
Wimpfener Anniversar von 970 bis 1270<br />
als Ebernisdal, dann 1302 und 1350 als<br />
Eberstal und Ebertal genannt 2 . In den<br />
österreichisch/württembergischen Lagerbüchern<br />
ist er nicht erwähnt. Das Lager-<br />
buch des Klosters Schöntal von 1490<br />
nennt ein Eberstall mit einer Mühle und<br />
zwölf Häusern und Gütern, jedoch lassen<br />
sich die Namen der Inhaber nicht mit dem<br />
Amt Neuenstadt in Verbindung bringen;<br />
es handelt sich wohl um den heute noch<br />
bestehenden Weiler Eberstal, fünf Kilometer<br />
nördlich von Ingelfi ngen 3 . Dasselbe Lagerbuch<br />
belegt aber in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Schöntaler Lehen zu Eberstall, erkauft von<br />
den zu Lichtenstern, also dem dortigen<br />
Frauenkloster bei Löwenstein. Peter Zimmermann<br />
und Peter Mertz haben damals<br />
ein Lehen zu Eberstal, zu dem ein Acker<br />
am Schwabbacher Weg, ein anderer an<br />
der Diebsclingen und ein weiterer bei der<br />
Mühlwiese gehören. Hanns Walter und<br />
Contz Krettinger haben ein ebensolches<br />
Lehen mit Äckern in der clingen, im Schelmengraben<br />
und vnderm Hagbaum gelegen.<br />
Contz Krettinger hat außerdem das<br />
Manenberglehen, ebenfalls erkauff t von<br />
den zu Liechtenstern mit Äckern am<br />
Schwappacher Pfat. Adam Enderlin hat<br />
das Masselter Lehen zu Eberstatt, das aber<br />
dieselben Lageangaben wie bei Peter Zimmermann<br />
nennt und ebenfalls vom Kloster<br />
Lichtenstern gekauft wurde – es handelt<br />
sich also wohl um einen Schreibfehler<br />
4 . Somit können wir vier Lehen mit fünf<br />
Leheninhabern feststellen. Das spricht für<br />
einen ursprünglich kleinen Weiler mit<br />
Mühle. Bislang ergaben sich noch keine<br />
Funde.
Die Wüstungen des ehemaligen Amts Neuenstadt<br />
Die Flurnamen Schwabbacher Pfad und<br />
Diebsklinge sind eindeutig der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Markung zuzuordnen; die Flurnamen<br />
Schelmengraben, Mühlwiese und<br />
Hagbaum werden heute nicht mehr gebraucht.<br />
Schwieriger wird es mit den Namen<br />
der Inhaber der Lehen. Peter Mertz,<br />
Hans Walter und Adam Enderlin sind in<br />
13
14<br />
der Steuerliste von <strong>Cleversulzbach</strong> von<br />
1495 enthalten, wohnten also damals im<br />
Dorf, Hans Walter sitzt dort auch im Gericht.<br />
Peter Mertz und Adam Enderlin werden<br />
auch in der Musterungsliste 1523 geführt,<br />
aber alle drei Genannten erscheinen<br />
nicht im Lagerbuch, d. h. sie haben keine<br />
weiteren Lehen, höchstens Eigenbesitz. Peter<br />
Zimmermann erscheint nicht in <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
wir fi nden ihn 1495 und 1523 in<br />
Neuenstadt am Kocher als Steuerzahler<br />
(51 fl , also nur ein geringes Vermögen)<br />
und in der Musterungsliste als „alt Zymerpeter“.<br />
Contz Krettinger ist weder im Amt<br />
Neuenstadt noch im Amt Weinsberg nachzuweisen,<br />
erst 1545 erscheint in Rappach<br />
ein Melhor Kröttinger, der vielleicht aus<br />
dieser Familie stammen könnte. Diese Zerstreuung<br />
der Leheninhaber von Eberstal<br />
erscheint zunächst verwirrend, könnte<br />
aber ein Hinweis sein, dass der Weiler noch<br />
nicht allzu lange zuvor wüst gefallen war.<br />
Die ehemaligen Bewohner zogen in umliegende<br />
Siedlungen, behielten die Lehen am<br />
alten Ort aber über weitere Generationen<br />
bei.<br />
Spätestens seit 1490 hält sich die Aussprache<br />
Eber-Stall. Sie ist sicher eine Verballhornung<br />
des Namens Eberstal, die<br />
Schreibweise -tall ist im 16. Jahrhundert<br />
auch bei Kiefertal oder Wimmental üblich.<br />
Die Endung -tal deutet auf eine<br />
späte Gründung. Vermutlich gehörte der<br />
Ort zum ursprünglichen Ausstattungsgut<br />
des Klosters Lichtenstern um die Mitte<br />
des 13. Jahrhunderts. Wann der Ort oder<br />
die Wüstung vom Kloster Schöntal übernommen<br />
wurde, ist nicht nachzuweisen.<br />
Er ist spätestens Mitte des 15. Jahrhunderts.<br />
abgegangen.<br />
Kiefertal<br />
Bei der Quelle des Sulzbachs fi ndet sich<br />
eine alte Wegespinne, von der aus Zugangswege<br />
aus dem Sulzbachtal zu den<br />
alten Hochstraßen Weißer Weg und Salz-<br />
weg führten. Unweit mündet auch der<br />
Reiterweg von Brettach her in den Salzweg.<br />
Der Flurname Kiefertal erstreckt sich<br />
auch auf den Walddistrikt oberhalb der<br />
Quelle bis zu den Markungsgrenzen zu<br />
Neuenstadt, Eberstadt, Hölzern, Siebeneich<br />
und Brettach und markiert den<br />
Umfang des ehemaligen Hofes.<br />
Es gibt zahlreiche archivalische Nachweise<br />
für den Hof: W. Heim führt 1416 Besitzungen<br />
der Johanniterkommende in<br />
Schwäbisch Hall u. a. in Kiff erthall an 5 . Das<br />
Lagerbuch 1545 nennt für Lehenträger<br />
aus <strong>Cleversulzbach</strong> nur zwei Wiesen von<br />
zusammen 3,5 M im Kieferthall 6 . Der<br />
ganze Rest, nämlich 21 M Wise gut vnd<br />
bös aneinander … stoßen hinab vf den<br />
Wiß weg genannt der Dinkelacker und<br />
179 M Holtz gut vnd bös aneinander zwischen<br />
Pretacher vnnd Sulzbacher [= Sülzbacher]<br />
Wald gelege stoßen oben vff deren<br />
von Holtzern Wald sind an die Presenzhern<br />
zu Weinsberg nämlich Philip<br />
Conlin vnd alt Englert Schrott ausgegeben<br />
gegen jährlich 1fl 3ß 8d und je zwei Alt-<br />
und Junghennen 7 . Im Forstlagerbuch von<br />
1556 wird Kiefertal der Markung Brettach<br />
zugeschrieben: Die Predsenzherren zu Weinsperg<br />
vnd etlich Bürger zu eberstatt haben<br />
im Prettacher Marckh 179 Morgen<br />
bruen Holtz Im Kiff erthal genannt, in<br />
ain Stuck gelegen zwischen Prettacher<br />
vnd Sultzbacher Wald gelegen, stoßen vff<br />
deren von Höltzern 8 . Kiefertal wurde<br />
demnach von mehreren Orten aus beansprucht<br />
und bewirtschaftet und wurde bei<br />
seinem Abgang wohl unter mehrere Markungen<br />
aufgeteilt.<br />
Ein Foto im Luftbildarchiv des Landesdenkmalamtes<br />
Stuttgart zeigt am Ende<br />
des Sulzbachtals Bodenverfärbungen, die<br />
als drei Hausgrundrisse gedeutet werden<br />
können. Intensive Suche und Probegrabungen<br />
einer örtlichen Gruppe unter Helmut<br />
Braun brachten aber keine Ergebnisse<br />
9 . Heute ist das Gelände um die
Quelle durch Umgestaltungen und Ablagerungen<br />
kaum noch zu erkennen.<br />
Das ganze Gebiet von über 200 Morgen<br />
(ca. 70 Hektar) war nach obiger Notiz von<br />
1545 an die Präsenzherren von Weinsberg<br />
ausgegeben, die es sicher nicht selbst bearbeiteten,<br />
sondern von <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Bauern bewirtschaften ließen. Da bisher<br />
keine Spuren der Siedlung gefunden wurden,<br />
wird sie in der Nähe der Sulzbachquelle<br />
als der natürlichen Lage vermutet.<br />
Sehr gesund ist diese sumpfi ge und schattige<br />
Lage allerdings nicht. So ist zu fragen,<br />
ob diese Stelle je dauernd bewohnt war<br />
oder nur als Lagerort für Ernten und Holz<br />
diente. Allerdings sind die vier im Lagerbuch<br />
von 1545 geforderten Hühner oft<br />
auch eine Abgabe für Herdstellen; jedoch<br />
scheinen vier Herdstellen hier sicher zu<br />
viel und die Unterscheidung zwischen Alt-<br />
und Junghühnern bezieht sich wohl auf<br />
einen andern Grund. Denkbar wäre durchaus<br />
auch eine Lage des Hofs oberhalb des<br />
Tals nahe dem Salzweg, wo ja mehrere<br />
Wege zusammen kamen, ähnlich wie beim<br />
Eberfi rst bei Eberstadt.<br />
Ungewöhnlich ist die Vergabe des Gutes<br />
an die Weinsberger Präsenzherren noch<br />
im Jahr 1545 und 1556. Obigen Einträgen<br />
können wir entnehmen, dass Kiefertal<br />
zwischen 1416 und 1545 von den Johannitern<br />
an die Herrschaft Württemberg<br />
überging, mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />
im Rahmen der Reformation 1535. Dass es<br />
1545 noch (katholische!) Präsenzherren in<br />
Weinsberg im evangelischen Herzogtum<br />
gab, erstaunt. Diese Präsenzherren waren<br />
eine feine Gesellschaft: Sie waren als<br />
Geistliche von Abgaben, Steuern und<br />
Diensten befreit und sind deshalb in den<br />
Akten kaum nachzuweisen. So fi ndet sich<br />
in der Musterungsliste 1553 zwar ein<br />
ebenfalls steuerfreier Jakob Schrot, ansonsten<br />
ist der Name Schrot(t) um diese<br />
Zeit vor allem in Dimbach und Waldbach<br />
vertreten. Der Name Cunlin wird in Weins-<br />
berg damals nicht genannt, 1524 haben<br />
zwei Brüder Cunlin Acker und Wiese in<br />
Schwabbach, 1528 wird in Gochsen ein<br />
Cunlin genannt, der einen Weinberg in<br />
Eberstadt innehat. Die Präsenzherren Philipp<br />
Cunlin und Alt Englert Schrott haben<br />
ihre Stelle wohl in der Zeit vor der Reformation<br />
erworben und über die Umwälzungen<br />
der Zeit erhalten können, weil der<br />
ehemals geistliche Besitz auch im evangelischen<br />
Herzogtum getrennt verwaltet<br />
wurde.<br />
Deutung und Datierung: Der Name auf<br />
-tal deutet auf eine Gründung in der spätesten<br />
Ausbauphase; die Johanniter und<br />
die Präsenzherren zu Weinsberg als Inhaber<br />
können andeuten, dass der Hof nicht<br />
als Lehen ausgegeben war, sondern als<br />
Wirtschaftshof betrieben wurde. Im<br />
16. Jahrhundert war der Hof sicher abgegangen;<br />
ob er 1416 noch bestand, lässt<br />
sich nicht beurteilen.<br />
Auch in Sagen hat sich die Geschichte<br />
dieses Hofs erhalten:<br />
a) In den Waldhöhen bei <strong>Cleversulzbach</strong><br />
rumort der Häldengeist. Manchmal erscheint<br />
er auch auf den Feldern und versucht,<br />
nächtliche Wanderer mit seinem<br />
Irrlicht vom Weg abzubringen.<br />
b) Auf der Grenze zwischen Brettach und<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> steht der Löff elstein. Er soll<br />
durch einen Streit um den Wald entstanden<br />
sein. Die Brettacher wollten den Wald<br />
durch Versetzen des Grenzsteins an sich<br />
bringen. Dabei schwor ein Förster, dass er<br />
auf Brettacher Boden stehe, weil er einen<br />
Schöpfl öff el Brettacher Erde in seine<br />
Schuhe getan hatte. Zur Strafe für seinen<br />
Meineid fand er nach dem Tod keine Ruhe<br />
und irrt als Häldengeist 10 . – Beide Sagen<br />
bewahren die Erinnerung um die Aufteilung<br />
der Wüstungsmarkung.<br />
Bissing (?)<br />
Vielleicht gibt es auf der Markung <strong>Cleversulzbach</strong><br />
noch eine dritte, bisher nicht<br />
15
16<br />
beachtete Wüstung. Das Lagerbuch 1545<br />
nennt insgesamt sieben Morgen Wiesen<br />
zu Bissing oder zu Bissig 11 , die nicht genau<br />
lokalisiert werden können. Sie dürften<br />
aber nahe dem Flurnamen Binzig zu<br />
suchen sein, der im gleichen Lagerbuch<br />
mehrfach erscheint 12 . Die Präposition „zu“<br />
deutet im alten Sprachgebrauch häufi g<br />
eine Ortslage an – aber leider nicht immer.<br />
Es lässt sich deshalb auch nicht entscheiden,<br />
ob es sich dabei um eine Wüstung<br />
handelt, oder ob die Präposition<br />
„zu“ hier nur als Ersatz für „im“ oder „bei“<br />
gebraucht ist. Da es aber mehrfach und<br />
nur vor „Bissi(n)g“ benutzt wird, sollte die<br />
Möglichkeit eines Hinweises auf eine<br />
Wüstung bedacht werden. Auch der benachbarte<br />
„Binsen egarten“ kann auf ein<br />
aufgegebenes Grundstück hinweisen 13 .<br />
Die Inhaber des zu Bissing genannten<br />
Dietmars Lehen, nämlich Hans Gilg, Hieronimus<br />
Knechtlin und Hans Mertz sowie<br />
Ulrich Lump, Xaver Gilg und Georg Mertz,<br />
die Inhaber eines andern Lehens mit Gütern<br />
zu Bissing und Georg Freunds Kinder<br />
und schließlich Georg und Michel Lump,<br />
die zwei weitere Lehen mit Wiesen zu Bissig<br />
haben – sie alle sind auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nachzuweisen. Auff allend sind<br />
hier die mehrfach genannten Familiennamen<br />
Gilg, Mertz und Lump; sie deuten<br />
darauf hin, dass ein früher größeres Lehen<br />
wohl aufgeteilt wurde. Wie bei den<br />
anderen Wüstungen auch, sollten die<br />
Landwirte, die diese Umgebung bearbeiten,<br />
auf Funde oder Bodenverfärbungen<br />
achten. Maulwurfhaufen und Tierhöhlen<br />
können interessante Beweise aus dem<br />
Untergrund zu Tage fördern.<br />
Vermutlich ist der Ortsname Bissig aus<br />
dem Flurnamen Binzig übernommen worden.<br />
Das weist auf eine späte Gründung,<br />
etwa im 13. oder gar erst 14. Jahrhundert.<br />
Das Ende der Siedlung kann wie folgend<br />
beschrieben mit den benachbarten<br />
Wüstungen im Zusammenhang mit der<br />
Verlagerung von Helmbund gesehen werden.<br />
Warum fi elen die Siedlungsplätze wüst?<br />
So ungewiss wie der Anfang ist auch der<br />
Ausklang dieser wüst gefallenen Siedlungen.<br />
Da wir keine Belege für den Abgang<br />
haben, können wir immerhin über die<br />
Gründe im Rahmen der regionalen Entwicklung<br />
spekulieren. Das ist nicht oft<br />
möglich. Natürlich kam das Ende nicht<br />
von heute auf morgen, es ist ein länger<br />
dauernder Vorgang. So lange die Stadt<br />
Helmbund nahe der Brettach bestand,<br />
hatte sie Bedarf von Zulieferung aus der<br />
näheren Umgebung und war ein gut erreichbarer<br />
Mittelpunkt für die umliegenden<br />
Dörfer und Weiler. Als um 1325 die<br />
Herren von Weinsberg die Stadt als „Newe<br />
Statt“ auf den nahen Bergrücken verlegten<br />
und nach einem Streit mit den Weinsberger<br />
Bürgern schließlich ganz nach<br />
Neuenstadt zogen, wurde für die Bauern<br />
im Sulztal der Weg ins Zentrum zwar<br />
schwieriger, aber auch wichtiger. Die Kirche<br />
blieb zwar vorläufi g im alten Helmbund,<br />
die „obern Mul zu Helmet“ wird<br />
1427 noch genannt, hat ihre Bedeutung<br />
aber an die Neuenstadter Stadtmühle abgegeben.<br />
Insgesamt geht im Sulztal durch<br />
diese Verlagerung der Stadt viel an Infrastruktur<br />
verloren. Die ummauerte Stadt<br />
auf der Höhe bietet Sicherheit und Zukunftschancen.<br />
Und Neuenstadt nimmt<br />
ständig an Bedeutung zu. 1382 ist es bereits<br />
weinsbergischer Amtssitz, 1412 bis<br />
1440 wird es pfälzisch und eine von<br />
Weinsberg getrennte Amtsstadt mit eigenem<br />
Amt 14 . Von 1525 bis 1553 wird<br />
Weinsberg wegen der Vorfälle im Bauernkrieg<br />
völlig entrechtet und die Verwaltung<br />
des ganzen Amtes Weinsberg nach Neuenstadt<br />
verlegt 15 .<br />
Wie bereits vermerkt, haben wir keine Belege<br />
für die Beweggründe, die Wohnplätze<br />
im Sulztal aufzugeben, aber die Vorgänge
in der näheren Umgebung machen die<br />
Überlegungen der Abwandernden nachvollziehbar.<br />
Wegen der guten Ausstattung<br />
der Amtstadt ist auch verständlich, dass<br />
1 Gräf, H.: Die Ämter Neuenstadt am Kocher und Weinsberg<br />
an der Wende zur Neuzeit, S. 58.<br />
2 Heim, W.: Die Ortswüstungen des Kreises Heilbronn, in:<br />
Historischer Verein Heilbronn, 22. Veröff entlichung, 1957,<br />
S. 52.<br />
3 HStA Stuttgart H233 Bd. 100, fol. 109f.<br />
4 HStA Stuttgart H233 Bd. 101, fol. 234a und b, 235v.<br />
5 Heim, W.: Ortswüstungen (1957), S. 59.<br />
6 HStA Stuttgart, H 101 Bd. 1301, fol, 452b und 457b.<br />
7 HStA Stuttgart H 101 Bd. 1301, fol. 257a, 260b und 429a<br />
u. b.<br />
8 HStA Stuttgart H 107/13 Bd. 4 fol. 63a.<br />
9 Freundliche Mitteilung vom verstorbenen Herrn Helmut<br />
Braun, Neuenstadt.<br />
10 Krapf, F.: Neckarsulmer Heimatbuch (1925), S. 252.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> keine gute Infrastruktur<br />
entwickeln konnte und das kleinste Dorf<br />
im Amt blieb.<br />
11 HStA Stuttgart H 101 Bd. 1301, fol. 453b, 463a, 468b.<br />
Dort auch: stoßt auf Binsen, im Binsacker, im Binsach (fol.<br />
448a), am Binsenweg. Die nebenliegenden Grundstücke<br />
stoßen an die Kreuzwiese am Bach – auch das ein auff älliger<br />
Name an dieser Stelle.<br />
12 Auf die Namensähnlichkeit mit dem Flurnamen Binzig<br />
– der auch 1545 bereits benutzt wird, wies freundlicherweise<br />
Herr Werner Uhlmann hin.<br />
13 Keinath, Walther, Orts- und Flurnamen in Württemberg,<br />
S. 91.<br />
14 Beschreibung des Oberamts Neckarsulm (1881) Reprint<br />
1980, S. 558 und 568ff .<br />
15 Gräf, H.: Das Amt Weinsberg nach dem Bauernkrieg<br />
(1525 –1553), in: Württembergisch Franken, Jahrbuch 89,<br />
2005, S. 9 – 38.<br />
17
18<br />
Archäologische Fundstellen<br />
In der Datenbank des Landesamtes für<br />
Denkmalpfl ege (ADAB) fi ndet sich lediglich<br />
eine einzige sichere archäologische<br />
Fundstelle auf Gemarkung <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Diese Stelle liegt in der Flur „Kirchweg”<br />
nordwestlich des Orts, zwischen der Kreisstraße<br />
K 2007 und der Autobahn A 81, an<br />
der Gemarkungsgrenze zu Neuenstadt am<br />
Kocher. Entdeckt wurde sie von Gustav<br />
Scholl (1895–1980) aus Neckarsulm.<br />
Scholl fand auf einem Acker Scherben der<br />
Bandkeramik (ca. 5500 bis 5000 v. Chr.)<br />
und der Bronzezeit (ca. 2200 bis 800 v.<br />
Chr.).<br />
Der Verbleib dieser Funde ist unbekannt,<br />
in den entsprechenden Listen des Landesamtes<br />
für Denkmalpfl ege und der Städtischen<br />
Museen Heilbronn sind sie nicht<br />
verzeichnet.<br />
Die Fundstelle war in den 1990er Jahren<br />
auf Luftbildern noch als Gruppe dunkler<br />
Bodenverfärbungen zu erkennen, wurde<br />
aber vermutlich inzwischen durch die<br />
landwirtschaftliche Bodenbearbeitung<br />
zerstört.<br />
Bei der von Scholl entdeckten Fundstelle<br />
in Flur „Kirchweg” handelte es sich wahrscheinlich<br />
um Siedlungsreste der Bandkeramik<br />
und der späten Bronzezeit /Urnenfelderzeit.<br />
Beide Epochen sind auf den<br />
Lößböden im Landkreis Heilbronn mit<br />
zahlreichen Siedlungsfundstellen vertreten.<br />
Am 10. März 2011 wurde die Fundstelle<br />
bei einer Feldbegehung überprüft. Dabei<br />
wurden keine sichtbaren Befunde und<br />
keine vorgeschichtlichen Funde festgestellt.<br />
Die aufgesammelten Lesefunde<br />
stammen ausschließlich aus Spätmittelalter<br />
und Neuzeit.<br />
Auf allen begangenen Äckern fand sich<br />
eine diff use Streuung von Keramikscher-<br />
ben des 15. bis 20. Jahrhunderts, dazu<br />
Ziegelfragmente und Ofenschlacke. Diese<br />
Fundstreuung ist ein Resultat der bis in<br />
die 1950er Jahre üblichen Düngung der<br />
Felder mit Mist, Fäkalien und Haushaltsabfällen.<br />
Auf den begangenen Äckern sind deutliche<br />
Spuren der Erosion sichtbar. Der Bodenverlust<br />
auf den Kuppen reicht bereits<br />
bis auf den hellbraunen Löß des C-Horizonts,<br />
außerdem fanden sich Lößkonkretionen<br />
an der Oberfl äche frisch gepfl ügter<br />
Äcker.<br />
Mehrere weitere mögliche archäologische<br />
Fundstellen auf der Gemarkung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sind als Bodenverfärbungen<br />
auf Luftbildern erkennbar, haben aber bisher<br />
noch keine vorgeschichtlichen Funde<br />
ergeben.
Marksteine, Zeugensteine und die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Grenzsteinbücher<br />
Schon im Römischen Reich wurden die<br />
Grenzen mit besonderen Steinen gekennzeichnet,<br />
die gesalbt und dem Schwurgott<br />
Jupiter Terminalis geweiht waren. Er galt<br />
als der Hüter von Recht und Wahrheit.<br />
Auch im ehemaligen Mesopotamien stieß<br />
man auf Grenzsteine, die aus dem 3. Jahrtausend<br />
vor Christus stammen. Noch bis<br />
in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts<br />
war es vor allem im schwäbischen<br />
und im bayerischen Raum üblich, die<br />
Grenzen zwischen den einzelnen Feldeigentümern<br />
oder Besitzungen mit Hilfe<br />
von Steinen zu dokumentieren.<br />
Noch heute fi ndet man große und kleine<br />
Grenzsteine, so genannte „Hauptsteine“<br />
und dazwischen „Läufer“, die der deutlicheren<br />
Bezeichnung des Grenzverlaufes<br />
dienen. Die ältesten Steine stammen aus<br />
dem 15. Jahrhundert. Oft fi ndet man auf<br />
der Oberseite der Hauptsteine eine Kerbe,<br />
welche die Richtung des Grenzverlaufes<br />
anzeigt. Die Seitenfl ächen sind meist mit<br />
einem Großbuchstaben oder einem Wappen<br />
versehen, um so die jeweiligen Eigentümer<br />
oder die Dorfmarkung zu benennen,<br />
so z. B. bei uns: S = Sulzbach; BRE = Brettach.<br />
Die ältesten Grenzsteine, die unser<br />
Steinbuch von 1799 1 beschreibt, stammen<br />
aus dem Jahr 1579 (Nr. 40 / 63 und 44 / 67).<br />
Die ältesten noch vorhandenen Steine sind<br />
die von 1582 (Nr. 137/160).<br />
In manchen Gemeinden gab es ein so genanntes<br />
Untergangs- oder Feldgericht.<br />
Dieses Gericht setzte sich aus sieben unbescholtenen<br />
und vertrauensvollen Personen<br />
zusammen, den „Siebenern“, sie waren<br />
für die Überwachung der Grenzen und<br />
für die Schlichtung von Grenzstreitigkeiten<br />
verantwortlich. Um die Grenzsteine zu<br />
sichern, dachten sich die Untergänger<br />
eine besondere Kennzeichnung aus, die so<br />
genannten Zeugensteine, die nur ihnen<br />
bekannt war und die sie unter die Marksteine<br />
vergruben. Dafür benutzten sie bestimmte<br />
unverwesliche Materialien, anfangs<br />
z. B. Eierschalen, Glassplitter, Kiesel,<br />
Kohlestückchen oder fl ache, in zwei Stücke<br />
gebrochenen Sandstein, dann auch<br />
Mostkrugscherben, oder Täfelchen, die aus<br />
gebranntem Ton oder Löß bestanden und<br />
oft mit Buchstaben und Wappen gekennzeichnet<br />
waren, und ordneten diese stummen<br />
Zeugen nach einem ausgedachten<br />
Muster an. So konnte jede Veränderung<br />
nachgewiesen werden.<br />
Eine Verfügung der Ministerien der Justiz,<br />
des Innern und der Finanzen betreff end<br />
der Erhaltung und Fortführung der Flurkarten<br />
und Primärkataster vom 1. September<br />
1899 gibt den Zeugensteinen einen<br />
quasi amtlichen Charakter, wenn dort<br />
zu lesen ist: 2<br />
Den Gemeinden wird überlassen, geheime<br />
Zeichen (Zeugen) unter die Grenzsteine<br />
legen zu lassen, es können aber solche<br />
Unterlagen nicht gegen den durch die<br />
Meßzahlen der Landes- und ortführungsvermessung<br />
bestimmten Ort entscheiden.<br />
Wie wichtig in früherer Zeit, als die Vermessungstechnik<br />
noch mit einfachen Mitteln<br />
und nicht so genau wie heute arbeiten<br />
konnte, die Grenzsteine für die Grundstückseigentümer<br />
waren, die mit einfachem<br />
bäuerlichen Gerät dem oft kargen<br />
Boden Nahrung abringen mussten, belegen<br />
die heftigen Auseinandersetzungen<br />
zwischen den Grundstückeignern, wenn<br />
ein Grenzstein womöglich böswillig verschoben<br />
worden war. Die Behörden reagierten<br />
mit drastischen Strafen. 3<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> 31. July 1834<br />
Vor dem Gemeinderat klagt Christian<br />
Speiser gegen Martin Kayser, „lezter habe<br />
19
20<br />
die neugesezte 2 Steine in der Hölzlenswiese<br />
herausgerissen“. […] „Kayser wurde<br />
gefragt, wie er dazu komme, daß er die 2<br />
Steine herausgerissen zwischen seiner<br />
und des Christian Speisers Wiese im<br />
Hölzle.<br />
Antw. Er seye zu sehr im Zorn gewesen.<br />
Frag Er werde wissen, daß eine strenge<br />
Strafe darauf ruhe, Steine heraus zureißen.<br />
Antw.: Es seyen schon viele herausgerissen<br />
worden, sey noch niemand gestraft<br />
worden. […]<br />
Beschluss nach weiterer Befragung der<br />
Gegenseite: was das Ausreißen der Steine<br />
betri t, will man dem 2. Oberamtsgericht<br />
zu Bestrafung überlassen.“ 4<br />
Die Sache wurde dem „Criminal Senat“<br />
des königlichen Gerichtshofes zu Esslingen<br />
vorgelegt, der Martin Kaiser wegen<br />
eigenmächtiger Entfernung von zwey<br />
Gränz-Steinen, neben der Verbindlichkeit<br />
zu Bezahlung sämtlicher Untersuchungskosten<br />
und zum Ersaz des gestifteten<br />
Schadens zu einer zehntägigen Gefängniß-Strafe<br />
verurteilte. 5<br />
Anders als durch die irdischen Gerichte,<br />
büßten die Straftäter in der Geisterwelt<br />
ihre Untat über ihr irdisches Leben hinaus.<br />
Nach altem Volksglauben musste jener,<br />
der sich einer Grenzsteinverletzung schuldig<br />
gemacht hatte, nach seinem Tod als<br />
Geist umgehen, und fand nie mehr Ruhe.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Tontäfelchen,<br />
zweiteilig. In seiner<br />
Funktion als Zeugenstein<br />
wurde es in der<br />
Mitte auseinandergebrochen<br />
und die zwei Teile<br />
nach einem geheimen,<br />
ausgedachten System<br />
vergraben.<br />
Die Sage vom Löff elstein erinnert daran:<br />
Der meineidige Brettacher Förster soll<br />
noch heute im Wald als Häldengeist des<br />
Nachts umherirren.<br />
Die genaue Lage der Marksteinzeugen<br />
kannten nur wenige Amtspersonen, die<br />
Aufzeichnungen darüber waren streng geheim.<br />
Bei Grenzstreitigkeiten waren sie<br />
wichtige „Zeugen” und mussten beim<br />
Ausgraben des Grenzsteines an der beschriebenen<br />
Stelle liegen. Manche Grenzzeugen<br />
wurden in der Mitte an einer<br />
Bruchrille durchgebrochen. Je eine Hälfte<br />
legte man in die nebeneinander liegenden<br />
Grundstücke nahe dem Grenzstein in den<br />
Boden. Wenn der Schieder die Lage des<br />
Grenzsteins überprüfte, mussten die beiden<br />
Stücke an der richtigen Stelle liegen<br />
und genau zusammenpassen. Den Grenzstein<br />
zu verrücken, war ein schlimmes<br />
Vergehen. Sowohl bei versehentlichem<br />
Herauspfl ügen als auch beim Verdacht,<br />
der Grenzstein sei absichtlich versetzt<br />
worden, musste der so genannte Schieder<br />
an den Ort der Tat geschickt werden. Dieser<br />
Felduntergänger wurde von den Herren<br />
des Gerichts (Gemeinderat) auf Geheiß<br />
der Ortsobrigkeit gewählt und unter Eid<br />
genommen. Unter der Führung des Schieders<br />
fand auch alljährlich der Feldumgang<br />
(auch Felduntergang genannt) statt. Man<br />
prüfte nach, ob vielleicht Steine umgekippt<br />
oder verschoben worden waren.
Schieder-Eyd<br />
„Ihr, die Ihr zu einem Schieder verordnet<br />
seid, sollet einen rechten Schieder-Eyd<br />
unterm Himmel erstatten, die Beleg, Gemerk<br />
oder Kennzeichen der Stein unter<br />
der Erden, welche Euch anjetzt durch<br />
die hiezu deputierten Schieder angewiesen<br />
und eröff net werden, jederzeit<br />
fl eißig zu beobachten, davon niemand,<br />
wer der auch sein möge, etwas zu veroff<br />
enbaren, sondern sollet solches als<br />
ein Geheimnuß bis in Eure Grube verschweigen,<br />
behalten, in Klag-, Schied-,<br />
und Steinsachen die Parteien gegeneinander<br />
verhören, die Gemarksteine,<br />
wanns vonnöten, eröff nen, und wo<br />
Steine verloren, mit der Parteien Verwilligung<br />
neue setzen, und also ein recht<br />
gleich Schieder-Urteil sprechen, darinnen<br />
nicht ansehen Geschenk, Mieth,<br />
Gab, Freund-, Feind-, oder Gevatterschaft<br />
oder sonst was, so lieb es Euch<br />
sein mag, den schweren Meineyd, welcher<br />
die ewige Verdammnus mit sich<br />
bringt, zu vermeiden. Alles getreulich<br />
und ohne Gefährde.” 6<br />
Über die „versteinte“ Markung führten die<br />
Gemeinden ein Steinbuch. Dorfmarksteine<br />
trennten die Dörfer voneinander. Innerhalb<br />
des Dorfes gab es die Allmende, die<br />
Gemeinmark und den Privatbesitz, die<br />
Hofmark. So genannte Triebsteine dienten<br />
zur Bestimmung der Weidegrenze; bis zu<br />
diesem Markstein durften die Weidetiere<br />
eines Dorfes getrieben werden.<br />
Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Grenzsteinbücher<br />
Das Archiv in <strong>Cleversulzbach</strong> stellt zwei<br />
Grenzsteinbücher aus alter Zeit bereit, anhand<br />
derer sich der Markungsverlauf recht<br />
genau darstellen lässt:<br />
Feld-Markungs-Grenz-Stein-Buch (1799),<br />
Markungs-Grenz-Steinbuch (neu angelegt<br />
1834)<br />
Das Steinbuch von 1834 ist dabei von besonderem<br />
Interesse, weil es sich mit den<br />
im gleichen Jahr erstellten Flurkarten der<br />
Gemeinde deckt, die für das Auffi nden der<br />
Steine auch heute noch von unschätzbarem<br />
Wert sind.<br />
Eine Gegenüberstellung der beiden genannten<br />
Steinbücher – in einem zeitlichen<br />
Abstand von immerhin mehr als einer<br />
Bevölkerungsgeneration geschrieben<br />
– zeitigt zum Teil erstaunliche Ergebnisse:<br />
Die Anzahl der Steine des Grenzsteinbuches<br />
von 1799 (216 Stück) weicht erheblich<br />
von der Anzahl der im Grenzsteinbuch<br />
1834 aufgeführten Steine (258 Stück) ab.<br />
Da sich die Länge der Markungsgrenze<br />
nicht wesentlich verändert haben dürfte,<br />
wird der Grund für die Zunahme an Steinen<br />
um über 40 Stück in einer durchgeführten<br />
Flurbereinigung zu suchen sein.<br />
Mitunter wird die Lage eines Steines durch<br />
die Namensnennung des Grundstücksbesitzers<br />
defi niert. Man sollte annehmen,<br />
dass Ackerfl ächen – insbesondere in einer<br />
auf Ackerbau basierenden Dorfgemeinschaft<br />
– über längere Zeiträume im Besitz<br />
einer Familie bleiben und vom Vater auf<br />
den Sohn weitergegeben werden. Umso<br />
erstaunlicher ist die Tatsache, dass auch<br />
bei eindeutig identifi zierbaren Grenzsteinen<br />
die Namen der Grundstücksbesitzer in<br />
den Jahren 1799 und 1834 in kaum einem<br />
einzigen Falle deckungsgleich sind.<br />
1799 Nr. 210: auf Georg Kleinknechts<br />
Weinberg<br />
1834 Nr. 253: Konrad Bazer und Got tlieb<br />
Heßers Weinberg<br />
1799 Nr. 212 Johannes Eberle<br />
1834 Nr. 257 Martin Volp<br />
Das Steinbuch von 1834 liefert den Beleg<br />
dafür, dass Signatur und Nummerierung<br />
der Grenzsteine neu vorgenommen wurden.<br />
Entsprechende Anweisungen waren<br />
übrigens behördlicherseits gegeben wor-<br />
21
22<br />
den. Die Umsetzung dieser Anweisungen<br />
ist für <strong>Cleversulzbach</strong> allerdings nur teilweise<br />
nachzuweisen. Besonders im südlichen<br />
Teil der Markung (letzter Abschnitt<br />
des Salzwegs und entlang des Eberstallwegs)<br />
stimmt der heutige Ist-Zustand der<br />
Steine mit der Signatur überein, wie sie im<br />
Steinbuch von 1799 dargestellt ist. Die<br />
Steine wurden zwar im Steinbuch von<br />
1834 neu klassifi ziert, die entsprechende<br />
Angleichung der Steinsignatur unterblieb<br />
auf <strong>Cleversulzbach</strong>er Seite jedoch.<br />
Markstein mit der Jahreszahl 1784 und der<br />
Signatur SB (für Sulzbach) 98, wie sie im<br />
Grenzsteinbuch von 1799 aufgeführt ist.<br />
1799: Signatur SB 98<br />
Jahrzahl 1784<br />
1834: Signatur S 122<br />
ohne Jahrzahl<br />
Wie erwähnt sollten die Markungssteine<br />
bei der Neuvermessung 1834 nach Vorschrift<br />
signiert werden: S und SB (Sulzbach)<br />
oder SC (<strong>Cleversulzbach</strong>) + fortlaufende<br />
Nummer.<br />
Im Steinbuch von 1834 ist dieses Schema<br />
weitgehend durchgehalten.<br />
Ausnahmen:<br />
Nr. 01: ohne Kennzeichnung<br />
Nr. 17: CSB<br />
Nr. 39: ohne Kennzeichnung<br />
Nr. 47: CSB 47<br />
Nr. 79: CSB 79<br />
Nr. 85: CSB 85<br />
Nr. 88: CSB 88<br />
Nr. 91: CSB 91<br />
Nr. 100: CSB 100<br />
Nr. 102: Cb 102<br />
Nr. 151: CSB 151<br />
Nr. 152: CVS 152<br />
Nr. 154: CVB 154<br />
Nr. 175: CSB 175<br />
Nr. 183: CSB 183<br />
Nr. 194: CSB 194<br />
Nr. 214: CSB 214<br />
Nr. 221: CSB 221<br />
Nr. 223: SVB 223<br />
Nr. 225: CSB 225<br />
Nr. 228: SVL 228<br />
Nr. 253: SVL<br />
Nr. 254: SVL 254<br />
Die Markungssteine selbst wurden nur<br />
teilweise angepasst, d. h. sie tragen noch<br />
die alte Signatur von 1799.<br />
– Die Nummerierung der Steine erfolgte<br />
in aufsteigender Zahl jeweils entgegen
dem Uhrzeigersinn, wobei der Anfang-<br />
und Endstein in der Seligen Au/nördlicher<br />
Föhrenberg stand.<br />
– Entlang des alten Eberstädter Weges befi<br />
nden sich etliche Steine, deren Signatur<br />
vom Üblichen abweicht. Eine Nachfrage<br />
u. a. beim Landesvermessungsamt<br />
brachte keine Klärung.<br />
Markstein ohne identifi zierbare Kennzeichnung<br />
an der Eberstädter Straße<br />
– Von den 258 im Steinbuch von 1834 beschriebenen<br />
Steinen sind heute 105 eindeutig<br />
identifi zierbar (davon sind ca. 25<br />
umgefallen oder beschädigt), d. h. etwa<br />
60 Prozent des Bestandes ist abgängig.<br />
Dies mag vielerlei Gründe haben:<br />
– Durch Flurbereinigungen, bzw. Landtausch<br />
mit Nachbargemeinden, befanden<br />
sich Grenzsteine plötzlich mitten<br />
im Acker, waren dort im Wege<br />
und wurden beseitigt. Dies triff t möglicherweise<br />
für die Steine Nr. 4 und<br />
Nr. 5 zu, die sich im Gestrüpp eines<br />
naheliegenden Hanges wiederfanden.<br />
– Durch Wegebau, z. B. der Errichtung<br />
der L 2007 (<strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt).<br />
Hier wurde Nr. 75 im Straßengraben<br />
abgelegt, er sank ein und konnte im<br />
April 2010 nur durch Zufall freigelegt<br />
werden.<br />
– Bau der BAB 81 (ab 1968), z. B. fand<br />
sich Nr. 19 an ganz anderer Stelle, ca.<br />
einen Kilometer entfernt vom angestammten<br />
Platz.<br />
– Rückearbeiten im Wald. Laut Aussagen<br />
des Revierförsters Weinsberg/<br />
Eberstadt kommt es immer wieder vor,<br />
dass Grenzsteine bei Forstarbeiten beschädigt<br />
oder auch abgebrochen und<br />
dann nicht mehr in einen ordentlichen<br />
Zustand versetzt werden. Ob dies<br />
allerdings der einzige Grund für den<br />
Abgang aller Grenzsteine entlang des<br />
Salzweges (ab L 2007 – kurz vor Heuberg-Hütte,<br />
Gem. Eberstadt) ist, mag<br />
bezweifelt werden.<br />
– Das Steinbuch von 1799 erwähnt mitunter,<br />
dass die Steine bei Bedarf „gemeinschaftlich”<br />
mit Vertretern der<br />
Nachbargemeinden gesetzt wurden.<br />
Davon ist im Steinbuch 1834 keine<br />
Rede mehr. Vielleicht hatte es in der<br />
Zwischenzeit tatsächlich Streitereien<br />
um den Grenzverlauf gegeben, wie<br />
uns das die Sage vom Löff elstein<br />
(Stein Nr. 210, gesetzt 1803) berichtet.<br />
Im <strong>Cleversulzbach</strong>er Grenzbesichtigungs-<br />
Protokoll vom 21. Juni 1911 7 fi ndet sich<br />
folgender Eintrag zur Ortslage:<br />
In der ganzen Ortslage fehlen eine große<br />
Zahl von Marksteinen vollständig, viele<br />
derselben sind hauptsächlich bei dem in<br />
letzter Zeit ausgeführten Wasserleitungsbau<br />
abhanden gekommen. Viele der<br />
vorhandenen Steine stehen schief oder<br />
haben ungenügende Form u. Größe. Eine<br />
durchgreifende Neuvermarkung der ganzen<br />
Ortslage mit vorschriftsmäßigen<br />
Steinen ist daher ein dringendes Bedürfnis.<br />
23
24<br />
Grenzbesichtigungsprotokoll vom 21. Juni 1911<br />
1 Grenzsteinbuch von <strong>Cleversulzbach</strong> von 1799.<br />
2 Bürgerliches Gesetzbuch von 1898.<br />
3 Ausführungen über Mark- und Grenzsteine hier und im<br />
Folgenden von und nach Herbert Schlegel: aus „Rückblicke”<br />
des Heimatgeschichtlichen Vereins Langenbrettach<br />
e.V., Nr. 69.<br />
4 CB 16 Gemeinderatsprotokoll<br />
5 CB 8 S. 117b<br />
6 H. Schlegel, Brettach (Manuskript mit freundlicher Genehmigung;<br />
geringfügige Anpassungen bei Drucklegung).<br />
7 CB 58, S. 18
Die Sage vom Löff elstein<br />
Vor langer Zeit gerieten die Brettacher und <strong>Cleversulzbach</strong>er darüber miteinander in<br />
Streit, wem ein Waldstück gehörte. Bei dem Markungsstreit behaupteten die <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />
ihnen sei der Wald durch Versetzen eines Grenzsteines genommen worden.<br />
Ein gottvergessener Förster habe das strittige Gebiet durch einen Schwur, das heißt<br />
durch einen Meineid, an Brettach gebracht.<br />
Der Förster schwor: „ So wahr mein Schöpfer über mir ist, stehe ich auf Brettacher Boden.“<br />
Er hatte aber unter seinen Hut, den er auf dem Kopf hatte, einen Schöpfer (Schöpflöff<br />
el) gesteckt und in seine Schuhe Brettacher Erde getan.<br />
Zur Strafe für seinen falschen Schwur fand er nach seinem Tod keine Ruhe im Grab. Er<br />
musste im Häldenwald, vor allem nachts, als Geist „gehen“, das heißt spuken; er ist der<br />
Häldengeist. Man will ihn besonders am Stephanstag in grauem Jägerrock, von einem<br />
oder auch zwölf Hunden begleitet, gesehen haben, und man hört öfter sein unheimliches<br />
Rufen: „Hau, Hau!“<br />
In letzter Zeit hat man ihn nicht mehr so oft gehört. Manche meinen deshalb, dass er<br />
endlich seine Ruhe gefunden hat. Ob es stimmt, weiß man nicht so genau. Mutige<br />
müssten einmal bei einer Nachtwanderung die Probe aufs Exempel machen.<br />
An der Stelle im Häldenwald, wo der Förster geschworen haben soll, steht auch heute<br />
noch der so genannte „Löff elstein“. Zwei Hinweisschilder, mit einem Löff el als Pfeil,<br />
zeigen am Waldeingang dem Wanderer den Weg. Auf dem viereckigen, ungefähr einen<br />
halben Meter hohen Stein ist auf der Oberseite ein Löff el abgebildet. Auf der Vorderseite<br />
des Steins sind die Buchstaben „LB“ und auf der Rückseite die Jahreszahl 1803<br />
und die Buchstaben „BR“ eingehauen. Der Schwur soll allerdings lange vor 1803 geleistet<br />
worden sein. 1<br />
Vorderseite des „Lö elstein“ mit den Buchstaben<br />
SB für Sulzbach<br />
Rückseite des „Lö elstein“ mit der Jahreszahl<br />
1803 und den Buchstaben BR für<br />
Brettach<br />
1 Nacherzählt von Herbert Schlegel nach Lehrer Luhrer, in: Ortsgebräuche von Brettach. 1900<br />
25
26<br />
Die Gemeinde und das<br />
Gemeindewesen in früherer Zeit<br />
Erste urkundliche<br />
Erwähnung von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> im<br />
Jahre 1262<br />
Als erstes erhaltenes schriftliches Dokument,<br />
das die Existenz <strong>Cleversulzbach</strong>s beweist,<br />
ist für uns heute die Urkunde über<br />
den Verkauf eines Hofs im Dorf vom 8.<br />
Oktober 1262 von besonderer Bedeutung.<br />
Eigentlich stellt sie einen damals beinahe<br />
alltäglichen Nachweis eines gewöhnlichen<br />
Rechtsgeschäfts dar, und sicher<br />
hätte Engelhard von Weinsberg es sich<br />
damals bei der Abfassung der Urkunde<br />
nicht träumen lassen, dass sie einmal für<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> wichtig werden könnte.<br />
Aber weil sie für uns heute praktisch die<br />
Geburtsurkunde für unser Dorf darstellt,<br />
soll sie in ihrem Wortlaut wiedergegeben<br />
werden.<br />
Die Urkunde mit der ersten Erwähnung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
von 1262. Sie ist in einer Abschrift<br />
aus dem 16. Jahrhundert erhalten<br />
(Hauptstaatsarchiv Stuttgart).
28<br />
Engelhard von Weinsberg verkauft dem Kloster Lichtenstern einen Hof zu <strong>Cleversulzbach</strong><br />
unter Verzichtleistung auf jegliche aus demselben von Vogtei oder Precarie<br />
wegen zu erhebende Abgabe. 1<br />
1262. Oktober 8.<br />
In nomine sancte et individue trinitatis. Amen.<br />
Quoniam per prolixitatem temporis hominum<br />
elabitur memoria et negliguntur sepius iura<br />
nescientium, nisi ea, que convenit transire in<br />
posteros, scriptorum continentiis commendentur,<br />
ad notitiam siquidem tam presentium<br />
quam futurorum cupimus devenire, quod nos<br />
Engelhardus de Winspergo claustro quod dicitur<br />
Clara Stella curiam unam tantum sitam in<br />
Glefersultzbach cum omnibus pertinentiis suis<br />
agris, videlicet septem iugeribus, que pro annuali<br />
censu coluntur, exclusis omnibus proprietatibus<br />
aliis quemadmodum ibidem habemus,<br />
pro LX libris Hallensium vendidimus, interposita<br />
tali conditione in remedium anime nostre,<br />
ut nec nos nec aliquis progenitorum nostrorum<br />
nec ratione advocatie nec precaria in bonis<br />
predictis ipsum claustrum presumat gravare.<br />
Ipsi enim claustro curiam antedictam<br />
cum agris prescriptis liberaliter tradidimus perpetualiter<br />
possidendam. Ut igitur hec venditio<br />
fi rmiter observetur ab heredibus nostris, claustro<br />
predicto presentem paginam porreximus<br />
sigilli nostri munimine roboratam. Huius rei<br />
testes sunt: Engelhardus de Winsperg, Cvnradus<br />
dictus [de] Schúppach, Craff to de Haymberg<br />
et alii quam plures.<br />
Acta sunt hec anno domini M . CC . LXII., datum<br />
VIII. idus Octobris.<br />
1 Abschrift aus dem Württembergischen Urkundenbuch Online,<br />
Band VI., Nr. 1683; Stand 7. Mai 2012. Nach Regesten<br />
und Urkundenabschriften zur Geschichte des Klosters<br />
Lichtenstern von der Hand des Archivars Andreas Rüttel<br />
aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vgl. so auch<br />
die Urkunde Nr. 1453 (WUB, Bd. V., S. 220). Statt der ae<br />
sowie statt der Formen Weinspergo und Weinsperg wur-<br />
Übersetzung 2 :<br />
Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit.<br />
Amen. Da ja durch die Dauer der Zeit<br />
das Gedächtnis der Menschen schwach wird<br />
und die Rechte der Unwissenden öfter vernachlässigt<br />
werden, wenn nicht das, was sich<br />
den Nachkommen zu überliefern gehört, den<br />
Inhalten der Schriften anvertraut wird, wollen<br />
wir zur Kenntnis sowohl der jetzt Lebenden als<br />
auch der zukünftig Lebenden bringen, dass wir<br />
Engelhard von Weinsberg dem Kloster, das<br />
Lichtenstern genannt wird, einen in Glefersultzbach<br />
gelegenen Hof, mit allem, was dazu gehört<br />
und den Feldern, nämlich 7 Joch umfassend,<br />
welche für eine jährliche Abgabe bebaut<br />
werden, ausgenommen aller anderer Güter, die<br />
wir dort besitzen, für 60 Pfund Heller verkauft<br />
haben, unter Hinzufügung der Bedingung zu<br />
meinem Seelenheil, dass weder wir noch irgendeiner<br />
unserer Nachkommen es wagt, dasselbe<br />
Kloster weder aufgrund der Vogtei 3 noch<br />
wegen der Leihe 4 bezüglich der genannten Güter<br />
zu belasten. Wir selbst nämlich übertrugen<br />
dem Kloster den vorgenannten Hof mit den<br />
genannten Äckern aus freiem Willen zum ununterbrochenen<br />
Eigentum. Damit also dieser<br />
Verkauf von unseren Erben unbedingt anerkannt<br />
wird, reichen wir vorgenanntem Kloster<br />
vorliegende Urkunde, die durch Befestigung<br />
unseres Siegels bekräftigt wird.<br />
Zeugen von diesem sind: Engelhard von<br />
Weinsberg, Cunrad, genannt von Scheppach,<br />
Cra t von Heimberg und andere mehr.<br />
Verhandelt wurde dies im Jahr des Herrn<br />
1262; gegeben am 8. Tag vor den Iden des Oktober<br />
(8. Oktober).<br />
den indessen die e und die Formen Winspergo und Winsperg<br />
des ursprünglichen Textes wiederhergestellt.<br />
2 Übersetzung und Erläuterungen von Eckhard Kreeb.<br />
3 Das Vogteirecht war das Recht, z. B. kirchliche Institutionen<br />
vor Gericht zu vertreten oder zu schützen.<br />
4 Im Original „precaria“; die Prekarie war eine Form der<br />
Leihe und als solche Bestandteil des Lehnswesens.
Zur Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong> im Mittelalter<br />
und in der frühen Neuzeit<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> von 1262 bis 1789: Das<br />
sind 517 Jahre Geschichte in einem kleinen<br />
Ort in der schon sehr früh besiedelten<br />
Region der Neckarnebenfl üsse Kocher,<br />
Jagst und Brettach, in denen sich sowohl<br />
die großen Linien der verschiedenen Epochen<br />
als auch die örtlichen Besonderheiten,<br />
die das Dorf von anderen unterscheidet,<br />
widerspiegeln. Beides soll hier, einerseits<br />
durch einen kurzen Gang durch die<br />
Jahrhunderte, der die Ereignisse in ihrer<br />
zeitlichen Abfolge darstellt, andererseits<br />
durch einen genaueren Blick auf einige<br />
für die Geschichte des Orts wichtige<br />
Zeugnisse, versucht werden.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> im Mittelalter –<br />
Ursprünge, Name, Wappen, frühe<br />
Geschichte<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> wird in der schriftlichen<br />
Überlieferung zum ersten Mal in einer Urkunde<br />
vom 8. Oktober 1262 genannt, in<br />
der Engelhard IV. von Weinsberg (gestorben<br />
1279) bestätigt, dem Kloster Lichtenstern<br />
einen Hof in „Glefersultzbach“<br />
mit sieben Joch Äckern (ca. 3,5 Hektar)<br />
und der sonstigen zugehörigen Ausstattung<br />
für 60 Pfund Heller verkauft zu haben.<br />
1 Damit beginnt die belegte Geschichte<br />
des Dorfes.<br />
Sicherlich ist <strong>Cleversulzbach</strong> älter, denn<br />
die Orte mit der Namensendung „-bach“<br />
wurden meist in der jüngeren Ausbauphase<br />
gegründet, die ihren Höhepunkt<br />
ungefähr im 10. bzw. 11. Jahrhundert erreichte.<br />
2 Der Name „Sulzbach“ begegnet<br />
zwar bereits im Lorscher Kodex von 782,<br />
aber die Forschung hat diesen Eintrag in<br />
dem für die Geschichte unseres Raumes<br />
wichtigen Urkundenbuch dieses karolingischen<br />
Klosters eher mit der Gemeinde<br />
Sülzbach im Weinsberger Tal in Verbin-<br />
dung gebracht. 3 Da es gerade auch für die<br />
Eindeutigkeit von Rechtsakten wichtig<br />
war, Verwechslungen mit dem weiter südlich<br />
gelegenen heutigen Sülzbach (in den<br />
alten Urkunden oft auch Sulzbach genannt)<br />
zu vermeiden, erhielt unser Sulzbach<br />
seinen charakteristischen Namenszusatz<br />
(wie es ähnlich z. B auch für die verschiedenen<br />
Bischofsheims, wie Neckarbischofsheim<br />
und Tauberbischofsheim oder<br />
auch bei Kochersteinsfeld geschah).<br />
Als alte Bezeichnungen für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
begegnen in den Urkunden u. a. „Glefersulzbach“<br />
„Clephartsulzbach“ oder „Glepfhartsulzbach“<br />
4 , so dass man bei dem Namenszusatz<br />
„Clever“ davon ausgeht, dass es<br />
sich um eine Zusammenziehung von zwei<br />
Begriff en handelt. Mögliche Herleitungen<br />
für die erste Silbe wären das althochdeutsche<br />
5 Wort „Kleb“ für Kleber, klebriger Stoff<br />
oder „klebar“ für klebrig, zäh bzw. „Kleibar“<br />
für Lehm, Erdpech 6 oder auch „Kleib“ für<br />
tonig-lehmigen Grund. 7 In Frage käme vielleicht<br />
auch ahd. „Clif“ für Fels, Berg. 8 Immerhin<br />
möglich wäre auch noch „Klepper“<br />
als abwertende Bezeichnung für Pferd, die<br />
ja auch heute noch im Sprachgebrauch ist. 9<br />
Die zweite Silbe „Hart“ bezeichnet wahrscheinlich<br />
das den Ort umgebende Waldgebiet.<br />
10 Der zweite Namensteil „Sulzbach“<br />
weist auf einen Bach mit salzhaltigem<br />
Wasser hin („Sulz“ für Salz). In Bezug auf<br />
den Boden steht „Sulz“ für versumpfte,<br />
salzhaltige, oft morastige Böden, die saures<br />
und bitteres Futter liefern. 11<br />
Einer Fehlinterpretation des Namenszusatzes<br />
„Clever“ soll <strong>Cleversulzbach</strong> sein Wappen<br />
verdanken: Die amtliche Beschreibung<br />
lautet: „In Gold eine blaue Traube, beiderseits<br />
begleitet von je einer pfahlweise gestellten<br />
blauen Weinberghape.“ 12 Angeblich<br />
leitete man den Namenszusatz „Clever“<br />
29
30<br />
Ruine der Helmbunder Kirche. Bis 1592<br />
Pfarrkirche <strong>Cleversulzbach</strong>s.<br />
von der Rebsorte Clevner ab, was zu dem<br />
Wappen geführt haben soll. 13 Dass der<br />
Wein im Dorf schon seit frühesten Zeiten<br />
eine Rolle spielte, ist aber unbestritten<br />
(siehe unten). Das Wappen war im Deutschen<br />
Reich mindestens seit Anfang des<br />
20. Jahrhunderts in dieser Form in Gebrauch<br />
und wurde so auch 1956 von der<br />
Landesarchivdirektion Baden-Württemberg<br />
festgelegt. 14 Tatsächlich ist es aber<br />
wesentlich älter, denn auf dem Ziff ernblatt<br />
der früheren Kirchturmuhr von 1776,<br />
das heute im Mörike-Museum in <strong>Cleversulzbach</strong>aufbewahrt<br />
wird,<br />
befi ndet sich<br />
bereits dasselbeWappen.<br />
15<br />
Eine weitere<br />
frühe schriftliche<br />
Nennung<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
nach<br />
der Ersterwähnung erfolgte im Wimpfener<br />
Rentenverzeichnis, das auf 1295 datiert<br />
wird. Dieses Dokument führt unter den<br />
Einkünften und Besitzungen, die das Ritterstift<br />
St. Peter zu Wimpfen in der näheren<br />
Umgebung hatte u. a. auch zwei Joch<br />
(ca. ein Hektar) Weinberge in „Glefhart<br />
Sulcebach“ auf. 16<br />
Auch in einer sicher noch älteren Quelle<br />
desselben Ritterstifts, dem Nekrolog17 , in<br />
dem die Namen Verstorbener, die dem<br />
Stift zu Lebzeiten im Interesse ihres Seelenheils<br />
eine Schenkung gemacht hatten,<br />
aufgeführt sind, wird ein Ort mit dem Namen<br />
Sulzbach erwähnt: „An einem Freitag,<br />
den 29. September (Festtag des Erzengels<br />
Michael) starben Mehtilt und Nibelunc,<br />
der dem Stift zwei Marken von einem<br />
Weinberg zu Sulzebach gab.“ 18 Könnte<br />
sich dieser Eintrag auch noch auf Sülzbach<br />
im Weinsberger Tal beziehen, so ist<br />
ein anderer wohl eindeutiger: Unter dem<br />
2. November (Festtag des Heiligen Eustachius<br />
und seiner Genossen) wird der Tod<br />
einer Adelhet von Clebem und ihrer Mutter<br />
Hetdewic erwähnt. 19 Man geht davon<br />
aus, dass es sich bei dieser Herkunftsbezeichnung<br />
um <strong>Cleversulzbach</strong> handeln<br />
muss. Leider fehlen bei den Einträgen dieser<br />
Quelle die Jahreszahlen. Die Datierung<br />
ist daher unsicher. 20 Man geht jedoch davon<br />
aus, dass der Beginn der Aufzeichnungen<br />
dieses Nekrologs, der auch im 14.<br />
Jahrhundert weitergeführt wurde, noch<br />
vor dem des Rentenverzeichnisses liegt.<br />
Neben dem Ritterstift Wimpfen und dem<br />
Kloster Lichtenstern hatten zu dieser frühen<br />
Zeit (13./14. Jahrhundert) wohl auch<br />
die Grafen von Dürn, die Schenken von<br />
Limpurg, das Kloster Schöntal, 21 die Herren<br />
von Gosheim, 22 die auf der später Bürg<br />
genannten Burg ihren Sitz hatten, und<br />
vielleicht auch die Herren von Aschhausen<br />
23 Rechte; dann auch die Herren von<br />
Gemmingen 24 und der Deutsche Orden. 25<br />
Man kann aber davon ausgehen, dass das,<br />
was später wesentliche Bestandteile der<br />
landesherrlichen Gewalt für ein Gebiet<br />
ausmachte (z. B. die hohe Gerichtsbarkeit,<br />
also die Kompetenz, Recht bei schwereren<br />
Delikten zu sprechen), im Dorf schon zur<br />
Zeit der Ersterwähnung bei den Herren<br />
von Weinsberg lag, 26 und dass <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
was die Verwaltung betriff t, auch<br />
damals schon in Zusammenhang zu Neuenstadt<br />
stand, das dieses Adelsgeschlecht<br />
vermutlich in der zweiten Hälfte des 13.
Jahrhunderts als „Neue Stadt Helmbund“<br />
gegründet und wo es schon vorher ein<br />
Schloss erbaut hatte. 27<br />
Aus der Weinsberger Zeit des Dorfes liegt<br />
uns eine wichtige Quelle vor: Das Gültbuch<br />
der Agnes von Brauneck 28 , Witwe Konrads<br />
IV. von Weinsberg (gestorben 1323), datiert<br />
um das Jahr 1325, enthält die Einkünfte,<br />
die ihr aufgrund einer Eheverschreibung<br />
zugewiesen worden waren.<br />
Aufgeführt werden darin u. a. auch ihre<br />
Korngülte (Abgaben an Getreide), das<br />
Weingeld und die Zinsen (Abgaben der<br />
Bauern) in „Glefhart Sultzebach.“ 29 Dabei<br />
werden auch heute noch bekannte Flurnamen<br />
wie Horn 30 , Loch 31 , Hohenberg,<br />
Helden 32 , Rappenloch, an dem Rut (heute<br />
wohl Röte) 33 , unter dem Verherberge,<br />
Neuenberg oder Hagenau (Hagenbach) 34<br />
erwähnt. Ausserdem wird klar, dass bereits<br />
damals der Föhrenberg bzw. der Hohenberg<br />
Weinanbaugebiete waren.<br />
Namen von Einwohnern, die damals im<br />
Dorf Abgaben zu entrichten hatten waren<br />
z. B. Heintze Hofman, Heintze Budger, der<br />
Burkartin Kint, Albrecht Gruppenbach,<br />
Bentze von Sultzebach, Bertholt Mulner,<br />
Bentze Husse oder Adelheit Kressin. 35<br />
Heintze Hofmann z. B. musste sechs Simri<br />
(ca. 108 Liter) von einem Acker am Horn,<br />
zusammen mit Herman Swartze acht Simri<br />
(ca. 144 Liter) von einem Acker im Rotrischen<br />
(vielleicht in der Röte) an Korngült<br />
entrichten. Derselbe Herman Swartze<br />
musste von einem halben Morgen (ca. 0,16<br />
Hektar) eines Weinbergs am Föhrenberg<br />
ein Drittel des Ertrags an die Herrschaft<br />
abliefern. Der Burkartin Kint schließlich<br />
musste für Wiesen und Gärten an St. Martin<br />
neun Schilling an Zins entrichten.<br />
Schon in dieser Quelle wird ein „Wingart<br />
zu Eberstettin“ erwähnt. Noch im Lagerbuch<br />
von 1523 (siehe unten und Anm. 23<br />
oben) gibt es einen Weinzehnt, der im<br />
Eberstall eingezogen wird. Handelt es sich<br />
um einen Hinweis darauf, dass es in der<br />
Flur Eberstall früher eine abgegangene<br />
Siedlung „Eberstal“ gab, wie in der Literatur<br />
behauptet wurde? 36 Ebenso schwer ist<br />
zu beurteilen, ob sich im Kiefertal eine<br />
Wüstung befi ndet. 37 (Siehe hierzu den<br />
Beitrag über die Wüstungen).<br />
Als die Weinsberger u. a. durch ihr Engagement<br />
in der Reichspolitik immer mehr<br />
in Geldnot gerieten, zuletzt vor allem der<br />
Reichserbkämmerer, Konrad IX. (gestorben<br />
1448), 38 mussten sie nach und nach dazu<br />
übergehen, Teile ihres Besitzes zu verkaufen.<br />
So schließlich auch, nach mehreren<br />
Verpfändungen in der ersten Hälfte des<br />
15. Jahrhunderts, Neuenstadt mit <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
die sie am 24. April 1446 an das<br />
Kurfürstentum Pfalz veräußerten. 39<br />
Aus der Pfälzer Zeit liegt uns eine Vermögensstatistik<br />
für die Ämter Weinsberg,<br />
Neuenstadt und Möckmühl vom Jahr 1495<br />
vor, 40 die aufgrund einer einmaligen Steuererhebung<br />
(„Willgeld“) des Pfalzgrafen Philipp<br />
angelegt wurde, und in der die Steuerpfl<br />
ichtigen nach Steuerklassen aufgeführt<br />
sind. In <strong>Cleversulzbach</strong> gab es demnach zu<br />
dieser Zeit 32 steuernde Einwohner, die zusammen<br />
über ein Vermögen (abzüglich der<br />
Schulden) von 2.750 Gulden verfügten,<br />
wovon sie 55 Gulden an Steuern bezahlten<br />
(zum Vergleich: Gochsen hatte 65 Steuerpfl<br />
ichtige mit einem Gesamtvermögen von<br />
7.398 Gulden, die 147 Gulden Steuer zahlten).<br />
Von den 32 aufgeführten <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Steuerzahlern wurden acht als<br />
„reich“ (mit einem Vermögen abzüglich<br />
Schulden von 100 bis 575 Gulden), 12 als<br />
mittlere Vermögende (50 bis 96 Gulden)<br />
und 12 als Arme (5 bis 45 Gulden) eingestuft.<br />
Damit zahlte <strong>Cleversulzbach</strong> damals<br />
mit Abstand am wenigsten Steuern im<br />
Amt Neuenstadt, was vielleicht mit der<br />
Größe der Markung bzw. des Orts zusammenhängen<br />
mag; möglicherweise spielt<br />
auch die Bodenbeschaff enheit eine Rolle,<br />
die evtl. ihren Ausdruck im Ortsnamen gefunden<br />
haben könnte (siehe oben).<br />
31
32<br />
Von der Regentschaft Herzog Ulrichs<br />
bis zum Dreißigjährigen Krieg<br />
Schon Anfang des 16. Jahrhunderts, nach<br />
den kriegerischen Auseinandersetzungen<br />
des bayrischen Erbfolgekriegs, in dem auch<br />
Neuenstadt von Herzog Ulrich von Württemberg,<br />
einem Gegner der Pfalz, belagert<br />
und gewaltsam eingenommen wurde, und<br />
aus dem schließlich Württemberg als einer<br />
der Sieger hervorging, kam es dann erneut<br />
Herzog Ulrich von Württemberg (geb. am 8.<br />
Februar 1487 in Reichenweier, Elsass, gest.<br />
am 6. November 1550 in Tübingen)<br />
zu einem Wechsel der Obrigkeit in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
41 Die Pfalz musste u. a. das Amt<br />
Neuenstadt mit <strong>Cleversulzbach</strong> abtreten.<br />
Seit 1504 gehört es zu Württemberg und<br />
war Teil des nun württembergischen Amts<br />
Neuenstadt bis 1808, wobei es aber über einen<br />
eigenen Schultheiß (der von der Gemeinde<br />
gewählte Dorfvorsteher), ein eigenes<br />
Dorfgericht (dem der Schultheiß als<br />
Richter vorsaß) 42 und einen Rat (Vertretung<br />
der Gemeinde) verfügte. Das Gericht war im<br />
Unterschied zu heute auch eine Verwaltungsbehörde,<br />
deren Mitglieder das Amt auf<br />
Lebenszeit ausübten.<br />
Unzufriedenheit mit der Regierungskunst<br />
Ulrichs regte sich freilich schon bald beim<br />
Aufstand des Armen Konrads, der sich auch<br />
in den Ämtern Neuenstadt und Weinsberg<br />
bemerkbar machte. 43 Nachdem sich Ulrich<br />
noch weitere Fehltritte erlaubt und sich mit<br />
seinen Ständen zerstritten hatte, wurde er<br />
schließlich mit Hilfe des Schwäbischen<br />
Bundes 1519 als Landfriedensbrecher aus<br />
seinem Herzogtum vertrieben. Württemberg<br />
und somit auch <strong>Cleversulzbach</strong> wurden<br />
von 1520 bis 1534 von einer kaiserlichösterreichischen<br />
Regierung verwaltet. 44 In<br />
diese Zeit fi el nicht nur der Bauernkrieg<br />
1525, in dem auch das Amt Neuenstadt<br />
eine Rolle gespielt hat, – denn nicht umsonst<br />
war, nachdem die „Revolte“ niedergeschlagen<br />
worden war und die Obrigkeit den<br />
Aufruhr sühnte, Neuenstadt auf der Liste<br />
der „ungehorsamen Städte“, die dafür mit<br />
„Strafsteuern“ belegt wurden 45 – sondern<br />
auch eine beträchtliche Umgestaltung der<br />
Verwaltung.<br />
Es war eine Zeit, in der Wissenschaften,<br />
Künste, Handel und Gewerbe aufblühten, in<br />
der die Reformation sich ausbreitete – und<br />
auch die österreichische Regierung brachte<br />
eine gewisse Modernisierung mit sich. 46 Der<br />
zunehmende Einfl uss des Römischen Rechts<br />
und der steigende allgemeine Bildungsstand<br />
führten zu einer Intensivierung und zunehmender<br />
Verschriftlichung des Verwaltungshandelns<br />
der weltlichen Fürsten.<br />
Damals entstanden auch die frühen württembergischen<br />
Lagerbücher. Eines davon ist<br />
das Lagerbuch des Amts Neuenstadt von<br />
1523. 47 Es beschreibt die Rechte und Einnahmen,<br />
die dem Landesherrn in diesem<br />
Gebiet zustanden. Da diese auch Aufschluss<br />
über das Leben im Dorf vor 500 Jahren geben,<br />
sollen sie nun etwas näher betrachtet<br />
werden:<br />
Als Herrschaftsbefugnisse des Territorialherren,<br />
des Herzogs von Württemberg, die er<br />
als Landesherr in <strong>Cleversulzbach</strong> ausübte,<br />
werden genannt: der „Stab“ (das Recht, Ge-
ichte einzuberufen und die Gerichtsgewalt),<br />
das „Geleit“ (also das Recht, Reisende<br />
auf den damals teils recht unsicheren Straßen,<br />
gegen eine Gebühr zu beschützen) und<br />
„alle Oberkeit“; das Recht, „Gebot und Verbot“<br />
auszusprechen, die hohe Gerichtsbarkeit<br />
(auch Blutbann genannt, also das Recht<br />
über schwere Vergehen zu richten) und die<br />
niedere Gerichtsbarkeit (das Recht über<br />
leichtere Vergehen zu richten), somit auch<br />
„Frevel, Bussen“ (Geldstrafen) und Strafen<br />
zu verhängen, so weit „sein Zwing und<br />
Bann“ (etwa so viel wie die Befehls- und<br />
Strafgewalt) 48 reichte.<br />
Für die Finanzverwaltung, für die das Lagerbuch<br />
erstellt wurde, waren aber natürlich<br />
die Abgaben, die dem Herzog zustanden,<br />
das Wichtigste. Diese wurden ausführlich<br />
benannt:<br />
An Kirchweih hatte die Herrschaft das<br />
Recht des Bannweins (Vorrecht auf alleinigen<br />
Weinausschank), wobei auf diesen das<br />
sonst für Getränke übliche Umgeld (Umsatzsteuer<br />
auf ausgeschenkte Getränke)<br />
nicht erhoben wurde. Beim Unterkauf<br />
(also beim Verkauf eines herrschaftlichen<br />
Zinsguts oder Lehens) standen ihr zwei<br />
Maß (ca. drei Liter) Wein (je ein Maß vom<br />
Käufer und vom Verkäufer) zu, die dem<br />
Amtmann (dem herzoglichen Beamten,<br />
der dem Amt vorstand), der das Geschäft<br />
registrierte, zu übergeben waren.<br />
Bei kleinen und großen Freveln (Vergehen)<br />
waren jeweils Geldstrafen fällig, die in pfälzischer<br />
Währung zum größeren Teil an die<br />
Herrschaft zu entrichten waren, zum kleineren<br />
Teil an den Schultheiß und das Gericht.<br />
Frauen und Männer wurden dabei gleich<br />
behandelt.<br />
Außerdem hatte die Herrschaft das Hauptrecht,<br />
welches dem Grundherrn eine Abgabe<br />
beim Besitzwechsel des Guts nach dem Tod<br />
des Inhabers zusicherte. Die Erben mussten<br />
bei einem verstorbenen Mann das beste<br />
Stück Vieh abliefern. Falls keines da war, war<br />
die Abgabe mit dem Neuenstädter Amt-<br />
mann auszuhandeln. Bei einer verstorbenen<br />
Frau war deren bestes Oberkleid fällig.<br />
Des Weiteren musste jede leibeigene Person<br />
der Herrschaft jährlich eine Leibhenne entrichten;<br />
Eheleute wurden „gemeinsam veranlagt“<br />
und gaben zusammen nur eine<br />
Henne.<br />
Diese letzteren herrschaftlichen Steuern<br />
wurden aber den in <strong>Cleversulzbach</strong> ansässigen<br />
Untertanen (anders als z. B. in Gochsen)<br />
„von alters her“ erlassen und nur auf diejenigen<br />
angewandt, die, als gebürtige <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />
andernorts ihren Wohnsitz genommen<br />
hatten. 49<br />
Pfarrpfründen gab es ebenfalls keine, da es<br />
zu dieser Zeit im Ort noch keine Pfarrei gab.<br />
Dafür musste aber der große 50 und der<br />
kleine Zehnt 51 an das Kloster Schöntal, entrichtet<br />
werden.<br />
Gesondert erwähnt wird der Zehnt für die<br />
Weingärten im Eberstall, der zu zwei Dritteln<br />
an die Herrschaft, zu einem an den<br />
Deutschmeister ging (siehe oben).<br />
Für die Nutzung der Kelter, die der Herrschaft<br />
gehörte, wurde der so genannte Kelterwein<br />
fällig – damals jeder zehnte Eimer<br />
(ca. 37,5 Liter) vom Ernteertrag. Noch dazu<br />
musste dieser Wein nach Neuenstadt (als<br />
Frondienst) transportiert werden. Nicht zu<br />
vergessen die Kelterknechte, die zu verköstigen<br />
waren, während ihre Entlohnung die<br />
Herrschaft übernahm.<br />
Für ein- und ausgeführte Waren musste Zoll<br />
bezahlt werden, wobei die Einnahmen sowohl<br />
an die Stadt Neuenstadt (die damit<br />
„Weg und Steg“ unterhielt) als auch an die<br />
Herrschaft fl ossen. Immerhin musste, was in<br />
Neuenstadt bereits verzollt worden war, in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> nicht mehr verzollt werden.<br />
Ebenfalls an den Landesherrn ging die so<br />
genannte Bede (direkte landesherrliche<br />
Steuer auf den Grundbesitz). Sie betrug damals<br />
insgesamt 13 Gulden.<br />
Die Abgaben an die Herrschaft in ihrer Eigenschaft<br />
als Grundherrn 52 nehmen im Lagerbuch<br />
den größten Raum ein.<br />
33
34<br />
Beispielhaft seien hier die Grundabgaben<br />
eines der größeren Lehen 53 , die des Bastian<br />
Mertz, zusammen mit Conz Mertz und Jacob<br />
Zwaxuff (Kühnlehen), angeführt:<br />
Die unablösigen Hellerzinsen auf Häuser,<br />
Wiesen und Gärten betrugen 5,5 Schilling, 3<br />
Pfennige und zwei alte Hennen. Die so genannte<br />
Landacht, eine herrschaftliche Ertragssteuer,<br />
belief sich auf 11 Malter (ca.<br />
15,77 hl) und 3 Simri Roggen (ca. 52 l) sowie<br />
9 Malter (ca. 16,11 hl.) und 1 Simri (ca.<br />
18 l) Hafer für insgesamt 22,5 Morgen<br />
Äcker (ca. 7,5 ha) und 12,75 Morgen Wiesen<br />
(ca. 4,25 ha) auf den Fluren Hecken und<br />
Kirchweg.<br />
Das Hundslehen stellte ein spezielles Lehen<br />
dar, das off enbar noch aus pfälzischer<br />
Zeit stammte: Die Inhaber des Lehens waren<br />
verpfl ichtet, wenn ein herrschaftlicher<br />
Jäger zur Jagd kam, dessen Hunde mit<br />
Brot zu füttern, für diesen ein Pferd zu<br />
unterhalten und es ihm zur Verfügung zu<br />
stellen.<br />
Zu guter Letzt galt es auch noch Frondienste<br />
54 zu leisten. So mussten die Untertanen<br />
im ganzen Amt, also auch die <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />
die herrschaftlichen Gebäude in<br />
Neuenstadt, wie die Kelter, das Schloss, die<br />
Kellerei, die herrschaftliche Scheuer, das<br />
Pulverhaus, den Marstall unterhalten und<br />
gegebenenfalls bauliche Erhaltungsmaßnahmen<br />
durchführen. Außerdem mussten<br />
die herrschaftlichen Eigengüter, wie Gärten<br />
und Wiesen, geheut und geöhmdet, der Ertrag<br />
abgeliefert, sowie die der Herrschaft<br />
selbst gehörenden Äcker bestellt und geerntet<br />
werden, wobei die Herrschaft für die<br />
Verpfl egung aufkam. Für den Amtmann<br />
musste das Holz aus dem herrschaftlichen<br />
Wald gefällt und gespalten werden, während<br />
die Neuenstädter es zum Schloss führen<br />
mussten.<br />
Die Unterhaltung der Mühle in Neuenstadt<br />
oblag zwar dem Müller, doch sicherte ihm<br />
die Herrschaft auch dabei Frondienste der<br />
Untertanen zu.<br />
In ihrer Gültigkeit bestätigt wurden die Bestimmungen<br />
des Lagerbuchs durch die Renovation<br />
55 desselben vom 23. Juli 1523. Zeugen<br />
waren der <strong>Cleversulzbach</strong>er Schult heiß<br />
Jorg Freundt, die Mitglieder des Gerichts<br />
Hans Stuchs, Peter Mertz, Claus Dythmar,<br />
Hans Mertz und Jacob Zwaxuff sowie die<br />
Vertreter des Rats Contz Mertz, Jost Zwaxuff<br />
und Bastian Mertz.<br />
An Abgaben für die herzogliche Finanzverwaltung<br />
herrschte also kein Mangel. Diese<br />
hatte auch immensen Bedarf an Einnahmen.<br />
Die Zeiten waren kriegerisch und bewaff<br />
nete Auseinandersetzungen kosteten<br />
Geld. Das Land stand vor und nach der Jahrhundertwende<br />
mehr als einmal am Rand<br />
des Staatsbankrotts.<br />
Nach 14-jähriger Abwesenheit eroberte sich<br />
Herzog Ulrich 1534 sein Land mit Hilfe des<br />
Landgrafen Philipp I. von Hessen wieder zurück<br />
und trat seine zweite Regierungszeit<br />
an, in der er auch die Reformation im Land<br />
einführte – was aber nicht überall auf Beifall<br />
stieß. Es war die Zeit des verschärften<br />
Glaubensgegensatzes im Deutschen Reich.<br />
Ulrich führte sein Land bald in den evangelischen<br />
Schmalkaldener Bund. Der folgende<br />
Schmalkaldische Krieg berührte wiederum<br />
auch das Amt Neuenstadt.<br />
Ende des Jahrs 1546 lagerten hier sowohl<br />
die Evangelischen als auch das kaiserliche<br />
Heer unter dem Herzog von Alba, wobei<br />
sich besonders spanische Söldner durch<br />
Übergriff e gegenüber den Zivilisten hervorgetan<br />
haben. Bevor es aus dem Amt abzog,<br />
56 wurden jedoch Bevollmächtigte vor<br />
Ort zurückgelassen, die dafür sorgen sollten,<br />
dass ein zweites kaiserliches Heer, das in<br />
Heilbronn lag, und bei dem sich auch Kaiser<br />
Karl V. befand, mit Proviant aus unserer Gegend<br />
versorgt wurde. 57<br />
Bis 1550 hatte das Amt Neuenstadt immer<br />
wieder unter der Last durchziehender Truppenverbände<br />
zu leiden. 58 Erst nachdem im<br />
selben Jahr Herzog Ulrich gestorben war,<br />
und sein Nachfolger Herzog Christoph
Ausschnitt aus der Chorographia von Georg Gadner von 1596 (Blatt 4 Neuenstädter Forst).<br />
Bei <strong>Cleversulzbach</strong> ist bereits eine Kirche abgebildet. Beim Eberfürst befi ndet sich eine Siedlung<br />
(Hauptstaatsarchiv Stuttgart).<br />
(1515 –1568) die Regierung übernahm,<br />
wurde es für die württembergischen Untertanen<br />
besser.<br />
1552 wurde in Württemberg endgültig die<br />
Reformation eingeführt. Herzog Christoph<br />
festigte und reformierte das Land sowohl in<br />
weltlicher wie auch in kirchlicher Hinsicht.<br />
Ebenso leistete er in Neuenstadt, vor allem<br />
was seine baulichen Maßnahmen anging,<br />
„Wiederaufbauarbeit“.<br />
Unter Herzog Ludwig (1568–1593) wurde in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> 1585 eine eigene Kirche fertig<br />
gestellt. Die zugehörige eigene Pfarrei<br />
wurde 1592 eingerichtet. 59 Vorher war man<br />
noch über den Kirchweg in die Helmbunder<br />
Kirche gegangen.<br />
Die Reformation brachte es aber auch mit<br />
sich, dass es hinsichtlich der Kirchenbaulasten<br />
und anderer die Kirche betreff ender Gegenstände<br />
zwischen den Württembergern<br />
als evangelischer Obrigkeit und dem kirchlichen<br />
Zehntherrn, dem katholischen Kloster<br />
Schöntal, immer wieder zum Streit kam.<br />
Erst 1699 wurde der Schöntaler Pfl eghof<br />
von den Württembergern gekauft und ein<br />
klärender Kompromiss versucht. Dass die<br />
35
36<br />
Streitigkeiten aber auch danach noch bis<br />
ins 18. Jahrhundert hinein weitergingen,<br />
bezeugt das umfangreiche Schriftgut darüber,<br />
das die Archive füllt.<br />
Vom Dreißigjährigen Krieg bis zur<br />
Französischen Revolution<br />
Die bewaff neten Glaubensauseinandersetzungen<br />
erreichten ihren Höhepunkt im<br />
Dreißigjährigen Krieg. Als er 1618 nach dem<br />
Prager Fenstersturz ausbrach, regierte in<br />
Württemberg Herzog Johann Friedrich<br />
(1608 –1628). Unter seiner Regentschaft<br />
entstand aber auch ein für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wichtiges Dokument, das uns heute Einblick<br />
in den Alltag der Menschen vor ca. 400 Jahren<br />
gewährt: die Statuten des Dorfs von<br />
1626. 60<br />
Bedenkt man, dass ihre Wurzeln bis auf die<br />
pfälzische Zeit zurückreichen, muss ihre Bedeutung<br />
für die Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
noch höher veranschlagt werden. Für die<br />
Menschen in <strong>Cleversulzbach</strong> warf jedoch<br />
der Krieg, von dem sie unmittelbar in seiner<br />
vollen Wucht erfasst wurden, all das, was<br />
für Friedenszeiten konzipiert worden war,<br />
über den Haufen. Bevor deshalb diese<br />
Quelle für das geordnete dörfl iche Leben im<br />
Normfall des Friedens beleuchtet werden<br />
soll, – denn der war in diesen Zeiten häufi -<br />
ger Kriege gar nicht so „normal“ – muss<br />
vorher noch ein Blick auf die kriegerischen<br />
Ereignisse, die <strong>Cleversulzbach</strong> betrafen, geworfen<br />
werden:<br />
Immer wieder wurde das Amt Neuenstadt<br />
damals Schauplatz von Truppendurchmärschen,<br />
Einquartierungen, Plünderungen,<br />
Übergriff en und Gewaltakten der Soldateska<br />
beider Kriegsparteien, die darüber hinaus<br />
auch für die Verbreitung von Seuchen<br />
und Krankheiten sorgten. 61 Schon nach der<br />
Schlacht bei Wimpfen am 26. April 1622,<br />
die die evangelische Union verlor, und wieder<br />
nach der Schlacht bei Nördlingen am<br />
26. August 1634, in der die Schweden eine<br />
schwere Niederlage erlitten, rückten kaiser-<br />
lich katholische Truppen ins Land ein. Damals<br />
musste der regierende Herzog, Eberhard<br />
III. (1628 –1674) sogar das Land verlassen<br />
und konnte nicht verhindern, dass Kaiser<br />
Ferdinand II. die Ämter Weinsberg und<br />
Neuenstadt mit <strong>Cleversulzbach</strong> an seinen<br />
Rat, den Grafen Max von Trautmannsdorf,<br />
verlieh (bis 1646).<br />
Vor allem die 1630er und 1640er Jahre<br />
brachten viel Unheil für das Amt. 1643 waren<br />
die protestantischen Truppen des Herzogs<br />
von Sachsen-Weimar und die Bayern<br />
hier, 1645 die Franzosen, 1646 die Franzosen<br />
62 und die Schweden, 1647 erneut die<br />
Schweden, die damals alles, was nicht niet-<br />
und nagelfest war, plünderten, 63 1648 wieder<br />
die Franzosen, die erst nach dem Westfälischen<br />
Friedensschluss das Land wieder<br />
verließen. 64 In <strong>Cleversulzbach</strong> hielt sich noch<br />
1649 eine Kompanie Kroaten auf. Bereits<br />
1634 kam es im Dorf zu Plünderungen. Außerdem<br />
wurde die Kirche beschädigt. 65<br />
Im Amt Neuenstadt sollen zwischen 1634<br />
und 1652 von 852 Einwohnern 66 461 ums<br />
Leben gekommen sein. Von 855 Gebäuden<br />
standen noch 519. Allein in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sind 14 von 31 Häusern abgebrannt. 67 Die<br />
bebaute Ackerfl äche im Amt nahm von<br />
6.105 Morgen auf 4.995 Morgen ab. Vielleicht<br />
hatte der Dreißigjährige Krieg im<br />
ganzen Amt Neuenstadt für die Bevölkerung<br />
schlimmere Auswirkungen als selbst<br />
der Zweite Weltkrieg und der anschließende<br />
Zusammenbruch des Deutschen Reichs, was<br />
für uns heute ja als Inbegriff der „schlechten<br />
Zeit“ gilt.<br />
Aber zurück zum Jahr 1626. Für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war die Lage noch nicht ganz so<br />
schlimm. Der Hauptkriegsschauplatz war<br />
damals Norddeutschland und der Herzog<br />
regierte das Land vom Stuttgarter Schloss<br />
aus, so dass man sich damals noch der Renovation<br />
der „Statuten des Fleckens <strong>Cleversulzbach</strong>“<br />
68 widmen und so das von alters<br />
her geltende Recht fi xieren konnte. Darauf<br />
soll nun näher eingegangen werden:
Statuten des Fleckens <strong>Cleversulzbach</strong> 1626<br />
Gleich zu Beginn wird der Anspruch der Dorfgemeinde auf eigene Steuern neben der<br />
Bede, die an die Herrschaft abgeführt wurde (siehe Lagerbuch), formuliert.<br />
Darüber hinaus musste der Bürger auch damals schon für so manches Gebühren zahlen:<br />
Das fi ng schon an mit dem Elementarsten, was das Leben im Dorf betraf, nämlich<br />
dem Bürgerrecht selbst: Sowohl die Aufnahme in die Bürgerschaft als auch die Entlassung<br />
kosteten Geld. Außerdem musste man ein Mindestvermögen mitbringen, um<br />
aufgenommen zu werden. Weitere Bestimmungen waren, dass das Bürgerrecht nur an<br />
einen Ortsfremden verkauft werden konnte, wenn man ein Haus besaß, und dass das<br />
Bürgerholz, das dem Einzelnen aus dem Gemeindewald zugeteilt wurde, nicht an Auswärtige<br />
verkauft werden durfte.<br />
Gab es Streitigkeiten über den Grenzverlauf von Grundstücken, bot sich die Möglichkeit,<br />
einen „Untergang“ 69 zu beantragen. Dieser kostete den Antragsteller zwei Gulden.<br />
Für einen großen Frevel (Vergehen, die in die Zuständigkeit der hohen Gerichtsbarkeit<br />
fi elen) bekam das Gericht ein Pfund.<br />
Wollte man das Gericht anrufen, war das Gerichtsgeld fällig.<br />
Wollte man das Dorfbuch einsehen, indem diese Statuten selbst niedergelegt waren,<br />
verdiente die Gemeinde wieder mit. Die „Einsichtnahme“ erfolgte durch Vorlesen, nach<br />
Zustimmung des Schultheißen.<br />
Nicht zu vergessen sind neben den Gebühren natürlich auch die Strafen, die für Vergehen<br />
vorgesehen waren, die für uns heute aufschlussreich für den Alltag damals<br />
sind: Möglicherweise ist es auf dem Rathaus nicht immer nur friedlich zugegangen,<br />
denn dafür, dass ein Glas oder ein anderer Gegenstand aus dem Fenster desselben geworfen<br />
wurde, musste eine Flasche Wein erlegt werden. 70<br />
Eine Strafe drohte ebenfalls, wenn jemand im Herbst einen Karren unter die Kelter<br />
zum Be- oder Entladen stellte.<br />
Auch für die Einhaltung der Kleiderordnung bei Gemeindeversammlungen wurde gesorgt:<br />
Wer ohne Überrock, Mütze oder Mantel kam, musste eine Flasche Wein „zahlen“.<br />
Fischen und Krebsen für eine Speise, die sich im frühneuzeitlichen Deutschland großer<br />
Beliebtheit erfreute, 71 waren nur an einem Freitag erlaubt. Zuwiderhandlungen wurden<br />
mit einer Geldstrafe belegt.<br />
Weitere Bestimmungen der Statuten waren:<br />
Die Jagdfron, die die Einwohner für den Amtmann in Neuenstadt leisten mussten, war<br />
auf drei Tage im Jahr begrenzt. Die Futter-Öhmd (der zweite Heuschnitt) musste am Bartholomäustag<br />
(24. August) beendet sein. Danach standen die Wiesen dem Vieh off en.<br />
Die Nutzung des Gemeindewalds stand jedem Bürger gleichberechtigt zu.<br />
Auf dem 26 Morgen (ca. 8,5 ha) betragenden Waldstück im Gebiet Eberstall, das den<br />
Freiherrn von Gemmingen gehörte, hatte die Gemeinde das Triebrecht (das Recht, ihr<br />
Vieh dort weiden zu lassen). Ebenso durften die Bewohner des Dorfs dort Früchte nutzen,<br />
wie auch im Gemeindewald. Dieselben Rechte standen den Bürgern auch in den<br />
weiteren Privatwäldern zu. Generell durfte „wildes“ Obst von jedem geerntet werden,<br />
auch wenn dieses auf Grundstücken wuchs, die einem anderen gehörten.<br />
Genau beschrieben werden in den Statuten – verteilt auf die drei Fluren Kirchweg,<br />
Kelter und Hecken – auch die Fuß-, Trieb- und Fahrwege, die Fußpfade, die teilweise<br />
versteint waren, sowie die Gräben, die die Bewohner zu erhalten hatten. Dabei werden<br />
37
38<br />
unter anderem auch die Fladengasse und das „Gartengäßlein“ sowie das „Gäßlin“ im<br />
Ort erwähnt. Außerdem werden die „Überfahrtrechte“ und -wege für einzelne Flurstücke<br />
zur Heuernte und Öhmd sowie für die Weinberge und zum Holztransport genau<br />
festgelegt und die Unterhaltung der Brunnen im Ort und außerhalb sowie der Zugang<br />
zu ihnen geregelt. Verboten waren außer dem Bannzaun 72 , andere Zäune um Grundstücke<br />
zu errichten, damit das Vieh ungehindert weiden konnte.<br />
Das Hundslehen wurde, wie im Lagerbuch geregelt, auch hier beschrieben, zusätzlich<br />
aber noch alle Güter aufgeführt, die dazu gehörten.<br />
Die Gültigkeit dieses Dokuments schließlich und die gleichzeitig fortbestehende Gültigkeit<br />
der im Lagerbuch niedergelegten Bestimmungen garantierten am 30. Mai 1626<br />
der Oberamtmann Graf zu Erbach und der Untervogt und Keller zu Neuenstadt Leonhardt<br />
Köpff .<br />
In der großen Politik war es 1648 zum<br />
lang ersehnten Friedensschluss von Münster<br />
und Osnabrück gekommen, den auch<br />
die Württemberger lange herbeigesehnt<br />
hatten. Das Amt und damit auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wurden wieder von Stuttgart aus<br />
regiert – mit einer Neuerung: Durch den<br />
fürstbrüderlichen Vergleich von 1649 trat<br />
der wieder in sein Land zurückgekehrte<br />
Herzog Eberhard III. seinem Bruder Friedrich<br />
die Ämter Neuenstadt, Möckmühl<br />
und Weinsberg mit allen Einkünften, der<br />
niederen Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeit<br />
für die Pfarreien ab. 73 Damit begann<br />
auch für <strong>Cleversulzbach</strong> eine neue<br />
Ära, die mit der Etablierung einer württembergischen<br />
Nebenlinie in Neuenstadt<br />
einherging und die bis 1742 dauern sollte,<br />
als der letzte männliche Vertreter der Linie,<br />
Carl Rudolf, starb.<br />
Aber auch in dieser Ära sollten die Untertanen<br />
immer wieder mit Kriegen konfrontiert<br />
werden: Aufgrund der räumlichen<br />
Nähe war es unvermeidlich, dass unsere<br />
Region und damit auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />
unter den vom französischen König Ludwig<br />
XIV. gegen das Deutsche Reich geführten<br />
Kriegen zu leiden hatte (besonders<br />
unter dem Pfälzer Erbfolgekrieg<br />
1688 –1697). In den Jahren 1688/89 standen<br />
sowohl französische wie auch Reichs-<br />
truppen in unserer Gegend. 1693 waren<br />
bei Kochendorf umfangreiche kaiserliche<br />
Truppenverbände zur Abwehr stationiert,<br />
für die allein das Amt Neuenstadt 70.000<br />
Gulden aufbringen sollte.<br />
Im Spanischen Erbfolgekrieg mussten<br />
1701, 1704 und 1706 zahlreiche Truppeneinquartierungen,<br />
vor allem von Allianztruppen,<br />
hingenommen werden. Zusätzlich<br />
zu allen materiellen und gesundheitlichen<br />
Schäden führten kriegerische<br />
Auseinandersetzungen auch damals zu<br />
Flücht lingsströmen – auch in unserer Region.<br />
74 Aber selbst wenn man von Krankheit,<br />
Plünderung oder Gewalt verschont<br />
blieb, waren schon allein Truppeneinquartierungen<br />
für die Bevölkerung immer ein<br />
Unglück.<br />
Ein eher unprätentiöses Beispiel dafür, wie<br />
die Zivilbevölkerung von Truppenstationierungen<br />
betroff en werden konnte, das<br />
aus Friedenszeiten stammt, ist eine Quelle<br />
aus dem Jahr 1763: 75 Es handelt sich um<br />
eine Aufstellung von Vorspann- 76 und<br />
Fuhrleistungen, die Bewohner des Amts<br />
als Frondienst für ein württembergisches<br />
„Gendarmes-Regiment,“ das hier Quartier<br />
genommen hatte, leisten mussten. Der<br />
Amtmann in Neuenstadt beziff erte die erbrachten<br />
Leistungen nach der „Communordnung“<br />
mit einem bestimmten Betrag:
So musste z. B. der <strong>Cleversulzbach</strong>er Adam<br />
Lumpp am 20. November 1763 mit einem<br />
Wagen und einem Paar Ochsen Pferdefutter<br />
(Fourage) für die Truppen aus dem<br />
Neuenstädter Magazin holen. Interessant<br />
ist vielleicht, dass das Ochsengespann<br />
doppelt so hoch abgerechnet wurde wie<br />
der ebenfalls aufgeführte Wagenlenker.<br />
Nach dem herzoglichen General-Servis-<br />
Reglement, § 11, sollte das Amt Neuenstadt<br />
dann die entsprechenden Beträge<br />
vom herzoglichen Kriegsrat erstattet bekommen.<br />
Weitere Kriege folgten im Laufe des 18.<br />
Jahrhunderts, wie z. B. der Dritte Schlesische<br />
Krieg (1756 –1763), an dem auch<br />
Württemberg, auf der Seite Frankreichs,<br />
beteiligt war. Dennoch war das 18. Jahrhundert,<br />
verglichen mit den Katastrophen<br />
des 17. Jahrhunderts, eine Zeit, in der die<br />
Bevölkerung und, in bescheidenerem Maß,<br />
auch der Wohlstand zunahmen. Die Regierungen<br />
im Reich waren bemüht, ihre Länder<br />
wieder aufzubauen. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wurden z. B. das Pfarrhaus gebaut (1755)<br />
und der Friedhof angelegt (1764) 77 .<br />
Aber natürlich sorgte die Herrschaft immer<br />
zuerst auch dafür, dass die eigenen<br />
Kassen ausreichend gefüllt waren. Das<br />
zeigt eine Quelle, die, als ein Beispiel von<br />
vielen aus dem landwirtschaftlichen Bereich,<br />
die in den Archiven schlummern,<br />
hier selbst zu Wort kommen soll. Es handelt<br />
sich um einen Bericht 78 eines Mitglieds<br />
des Gerichts, das 1743, nachdem<br />
die Württemberg-Neuenstädter Linie mit<br />
Carl Rudolf im Mannesstamm ausgestorben<br />
war, damit beauftragt war, fürstlich<br />
Württembergisch-Neuenstädter Eigengüter<br />
möglichst gewinnbringend zu verpachten.<br />
Dabei ging es um ein Stück Wiesen von<br />
2,18 Morgen (ca. 0,7 ha) „gegen dem Kieferthal<br />
Wald gelegen, die zu verleyhen<br />
waren“, wie der Bericht einsetzt. Der Autor<br />
fährt fort:<br />
Ich ließe dergleichen Vorhaben gute Zeit<br />
vor deren durchlauchtigsten Aufsteckung<br />
(Anzeige des Beginns der Versteigerung)<br />
verkünden und endlich den 9. May anno<br />
1743 verfügte mich selbst dahin und tentirte<br />
solche Aufsteckung zu herrschaftlichem<br />
Nutzen zu vollziehen. Es wollte aber<br />
da ich auf 3 Jahr gedachte Wiesen aufsteckte<br />
vor jährlich 4 Gulden 30 Kreuzer<br />
sich niemand fi nden darauf zu schlagen.<br />
Nach etlichem Wartten kame Abraham<br />
Freund und wendete vor, die Wiesen seye<br />
schlecht, dass sie fast kein Futter gebe<br />
[…], wollte vor jährlich Zinß anbieten 3<br />
Gulden. Noch später fande sich ein Dietrich<br />
Leitz und bothe an 4 Gulden 30 Kreuzer.<br />
Und letztlich als es schon Nacht gewesen,<br />
trat herbey der dritte Aufschläger<br />
Martin Volpp. Dieser schluge weiter 15<br />
Kreuzer. Womit der Bestand jährlich aus<br />
machte 4 Gulden 45 Kreuzer. Ware ein<br />
tüchtiger Beständer und Zähler, deme<br />
schriebe auf herrschaftliche Ratifi cation<br />
den Bestand also zu. Diese also vollzogene<br />
Verhandlung obiger Verstaigerung<br />
deren Bezeugung angewohnte beede Gerichts<br />
Männer dass der Bestand nicht höher<br />
zu treiben geweßen in Craft deren aigenhändigen<br />
Subscription Dewald Martin<br />
Hesser, Jacob Flaischer.<br />
Zu allen Zeiten wurden natürlich auch in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> viele Rechtsgeschäfte, vor<br />
allem in der Landwirtschaft, aber auch in<br />
den anderen Bereichen von Wirtschaft<br />
und Gesellschaft, vollzogen. – Schließlich<br />
ist die eingangs genannte Weinsberger<br />
Urkunde, der <strong>Cleversulzbach</strong> seine Ersterwähnung<br />
verdankt, ein Dokument eines<br />
solchen Rechtsgeschäfts. –<br />
Das war auch im 18. Jahrhundert nicht<br />
anders. In vielen Bereichen zeichnete es<br />
sich durch Kontinuität im Hinblick auf<br />
frühere Zeiten aus.<br />
Wie oben erwähnt, setzte sich der Dauerstreit<br />
zwischen Württemberg und dem<br />
Kloster Schöntal über die Pfarrei Clever-<br />
39
40<br />
sulzbach betreff ende Gegenstände auch<br />
im 18. Jahrhundert weiter fort. Gleiches<br />
gilt für Jagdrechtsstreitigkeiten auf <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Markung mit den Grafen zu<br />
Hohenlohe. Erst gegen Ende des Jahrhunderts<br />
sollte es zu einer Zäsur kommen, als<br />
sich die große Politik anschickte, die europäischen<br />
Gesellschaften bald grundlegend<br />
1 Württembergisches Urkundenbuch, hrsg. vom Kgl. Staatsarchiv<br />
Stuttgart, Stuttgart 1894, Bd. VI, S. 83 f. (Nr. 1683.)<br />
2 Der Bevölkerungszuwachs im Mittelalter führte dazu,<br />
dass – nachdem bereits im 6./7. Jahrhundert in der älteren<br />
Ausbauphase von den Urdörfern aus Tochtersiedlungen auf<br />
bisher unbewohntem Gebiet gegründet worden waren<br />
– mindestens im 10. bzw. 11. Jahrhundert erneut zusätzliche<br />
Siedlungsgebiete erschlossen werden mussten.<br />
Zum älteren Ausbau siehe Jänichen, Hans, Der alemannische<br />
und fränkische Siedlungsraum in: Historischer Atlas von<br />
Baden-Württemberg, Stuttgart, 1972 –1989, IV, 1, 2.<br />
Bei Bohnenberger, Karl, Die Ortsnamen Württembergs in ihrer<br />
Bedeutung für die Siedlungsgeschichte in: Blätter des<br />
schwäbischen Albvereins, Jg. 32, Nr. 1, Stuttgart, 1920, S. 24<br />
wird bemerkt, dass solche Ortsnamen (auf „-bach“) mindestens<br />
aus dem 11. Jh. stammen, vielleicht aber auch noch<br />
älter sein können.<br />
Karl Weller führt an, dass Ortsnamen auf „-bach“ in unserer<br />
Gegend auch schon an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert<br />
auftreten; siehe Weller, Karl, Die Ansiedlungsgeschichte<br />
des württembergischen Frankens rechts vom Neckar,<br />
in: Württembergische Vierteljahreshefte, Stuttgart,<br />
1894, Bd. 21, S. 53.<br />
Adolf Bach hält eine zeitliche Einordnung von Ortsnamen<br />
wie denjenigen mit der Endung „-bach“ überhaupt nur für<br />
möglich, wo sie gehäuft auftreten: Siehe Bach, Adolf, Deutsche<br />
Namenkunde, Die deutschen Ortsnamen, Heidelberg,<br />
1981, Bd. II, 2, S. 126.<br />
3 Beschreibung des Oberamts Neckarsulm, hrsg. vom Kgl.<br />
Statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1881, S. 325,<br />
(künftig zitiert mit OAB NSU).<br />
4 OAB NSU, S. 324<br />
5 Das Althochdeutsche war bis ins 11. Jahrhundert hinein in<br />
Gebrauch; (Abkürzung: ahd.).<br />
6 Köbler, Gerhard, Althochdeutsch-neuhochdeutschlateinisches<br />
Wörterbuch, Gießen 1991, Bd. 1, S. 545 ff.<br />
Siehe auch Buck, Oberdeutsches Flurnamenbuch, Stuttgart,<br />
1880, S. 139: „Kleb, Kleeb“: In der Regel für einen nassen<br />
Ort, sowie Keinath, Walter, Orts- und Flurnamen in Württemberg,<br />
1951, S. 53, der mhdt. „Kleeb“ für Steilhalden, deren<br />
Fuß dauernd oder zeitweise vom Wasser bespült wird,<br />
bzw. für wassertriefende Felshänge nennt.<br />
zu verändern. Diese Veränderungen, die<br />
die Französische Revolution von 1789 im<br />
Guten wie im Schlechten mit sich brachte,<br />
sollten auch ihre tief greifenden Auswirkungen<br />
auf Stadt und Land in Württemberg<br />
haben.<br />
Ob man in <strong>Cleversulzbach</strong> damals die sich<br />
abzeichnende Zeitenwende vorausahnte?<br />
7 Keinath, Walter, Orts- und Flurnamen in Württemberg,<br />
Stuttgart, 1951, S. 37 (künftig zitiert mit Keinath).<br />
8 Ernst Förstermann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 2, Bonn,<br />
1913, S. 1691.<br />
9 Keinath, S. 107<br />
10 Keinath, S. 103 und Fischer, Hermann, Schwäbisches Wörterbuch,<br />
Tübingen 1904 –1936, Bd. 3, Spalte 1184: mit Wald,<br />
Waldweide für „Hart“.<br />
11 Keinath, S. 45<br />
12 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, Bestand CA 291<br />
13 OAB NSU, S. 321<br />
14 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, Bestand CA 291<br />
15 Freundliche Mitteilung von Herrn Werner Uhlmann<br />
16 Roth, F. W. E., Beiträge zur Geschichte des St. Petersstiftes<br />
in Wimpfen, in: Quartalsblätter des historischen Vereins für<br />
das Großherzogtum Hessen, 1887, S. 33.<br />
Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs 2297,<br />
Chronik des Ritterstifts Wimpfen, fol. 14r –40r (eine Kopie<br />
befi ndet sich im Stadtarchiv Bad Wimpfen, die Herr Günther<br />
Haberhauer, Stadtarchiv Bad Wimpfen, freundlicherweise<br />
zugänglich machte).<br />
18 Nekrolog, fol. 33v., 29. September (Mehtilt obiit, Nibelunc<br />
obiit qui II marcas in vinea Sulzbach dedit).<br />
19 Nekrolog, fol. 36r., 2. November (Obiit Adelhet de Clebem et<br />
eius mater Hetdewic).<br />
20 Hans Böhmer nahm Anfang des 20. Jahrhunderts als ungefähren<br />
Beginn der Abfassungszeit Mitte des 13. Jahrhunderts<br />
an. Dies wird aber in neueren Forschungen bestritten.<br />
21 OAB NSU, S. 324<br />
22 Gemäß einer Urkunde von 1307 verkaufen Conrad und<br />
Siegfried von Gosheim mit Einwilligung des Schenken Friedrich<br />
von Limpurg und des Grafen Albert von Dürn ein Drittel<br />
des Zehnten zu „Clefort Sulzbach“ an das Kloster Schöntal.<br />
Der Vollzug des Kaufs erfolgte nach Bestätigung der Lehnsherren,<br />
Graf Albert von Dürn und Schenk Friedrich von Limpurg,<br />
1310, siehe Schönhuth, O. F. H., Chronik des Klosters<br />
Schöntal, Mergentheim, 1850, S. 58.<br />
23 Nach einer weiteren Schöntaler Urkunde von 1336 wird der<br />
Verkauf von Gütern und Gülten zu „Kleff ersulzbach“, Eberstal<br />
(siehe Anm. 35) und Erlenbach von Wilhelm von Aschhausen<br />
und dessen Sohn sowie von Heinrich von Gosheim<br />
und seiner Schwester erwähnt. Dabei wird nicht ganz klar,
welches der beiden Adelsgeschlechter in <strong>Cleversulzbach</strong> begütert<br />
war. Siehe, Schönhuth, wie oben, S. 75.<br />
24 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (künftig zitiert HStAS) Bestand<br />
A 17a, Bü 45 und Bestand A 386, Bü 79 (siehe unten).<br />
25 1524 bzw. 1554 hatten die Ordenskommende Heilbronn<br />
bzw. das Amt Scheuerberg Einnahmen (Wein) in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
in ihren Lagerbüchern verzeichnet. Siehe Diefenbacher,<br />
Michael, Territorienbildung des Deutschen Ordens am<br />
unteren Neckar im 15. und 16. Jahrhundert, Heilbronn 1985,<br />
S. 184, 188 bzw. S. 385.<br />
Im württembergischen Lagerbuch von 1523 (siehe unten)<br />
wird vermerkt, dass dem Orden auch ein Drittel des Weinzehnten<br />
im Eberstall zusteht. In den Statuten von 1626<br />
(siehe unten) wird auch ein „Berlinger“ Hof erwähnt. Ob dies<br />
evt. als ein Hinweis auf früheren Besitz der Freiherren von<br />
Berlichingen, die ja auch andernorts in unserer Gegend begütert<br />
waren, betrachtet werden kann, oder ob die Hofbezeichnung<br />
von einem Personennamen herrührt, muss off en<br />
bleiben. Vgl. OAB NSU, S. 326.<br />
26 In der oben genannten Urkunde von 1262 wird außer dem<br />
verkauften Hof auch noch weiterer Eigenbesitz der Weinsberger<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> erwähnt.<br />
27 Siehe Roth, Carl, Geschichte der Stadt Neuenstadt an der<br />
großen Linde und des abgegangenen Ortes Helmbund, Heilbronn,<br />
1877, S. 4: Zum Bau der Neuenstädter Stadtbefestigung<br />
Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts. hatten<br />
auch die umliegenden Dörfer Gochsen, Kochersteinsfeld,<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> und Brettach beigetragen. Ihre Bürger waren<br />
somit auch berechtigt, im Bedarfsfall hinter den Mauern<br />
der Stadt Schutz zu suchen. Das würde darauf hinweisen,<br />
dass das spätere pfälzische Amt Neuenstadt auch schon<br />
in Weinsberger Zeit eine Verwaltungseinheit gebildet hatte<br />
(siehe auch Roth, S. 54). Die späteren Ämter bewahrten in<br />
ihrer Zusammensetzung oft Verwaltungseinheiten, die vorher<br />
schon vorhanden waren. Siehe Grube, Walter, Vogteien,<br />
Ämter, Landkreise in Baden-Württemberg, Stuttgart, 1975,<br />
Bd. 1, S. 3.<br />
28 Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, Bestand GA 15<br />
Schublade P Nr. 1, abgedruckt im Jahrbuch des historischen<br />
Vereins Heilbronn, 1957, Bd. 22, S. 111 ff .: Schumm, Karl: Ein<br />
Gültbuch aus „Helmbunt zu der Newenstatt“ aus der ersten<br />
Hälfte des 14. Jahrhunderts.<br />
29 Ebenda S. 122 ff .<br />
30 Bezeichnung für Bergspitze; siehe Keinath, S. 117.<br />
31 Oft Bezeichnung eines kleinen Waldes in Privatbesitz am<br />
Rand der unbebauten Flur oder am Waldrand; siehe Keinath,<br />
S. 77.<br />
32 Halde als Bezeichnung für Bergabhang; siehe Keinath, S. 53.<br />
33 Bezeichnung für gerodetes Landstück; siehe Keinath, S. 87.<br />
34 Vielleicht von „Hegnach“ als Bezeichnung für Flurstück mit<br />
Ansammlung von Büschen, Hecken oder Gestrüpp; siehe<br />
Keinath, S. 167.<br />
35 Sie zeigen, dass die Entwicklung zur Zweinamigkeit mit Vor-<br />
und Familiennamen, zu dieser Zeit weit fortgeschritten war.<br />
Zu dieser Entwicklung siehe auch Bahlow, Hans, Deutsches<br />
Namenslexikon, Bayreuth, 1967, Einführung.<br />
36 Siehe Heim, Werner, Die Ortswüstungen des Kreises Heilbronn<br />
in: Jahrbuch des hist. Vereins Heilbronn, 1957, Bd. 22,<br />
S. 52. Heim beruft sich dabei u. a. auch auf Nennungen von<br />
Eberstal im Nekrolog des Stifts St. Peter in Wimpfen. Siehe<br />
auch Gräf, Hartmut, Mittelalterliche und frühneuzeitliche<br />
Wüstungen in den ehemaligen Ämtern Möckmühl, Neuenstadt<br />
und Weinsberg in: Jahrbuch für schwäbisch-fränkische<br />
Geschichte Bd. 38, Heilbronn, 2008 (Heilbronnica 4), S.<br />
112 f. Gräf erwähnt, dass das Kloster Schöntal noch 1490 in<br />
Eberstal Einnahmen aus Lehen, die es selbst vom Kloster<br />
Lichtenstern erhalten hatte, einzog.<br />
Zum Flurnamen vgl. auch Keinath, S. 108, der den Flurna-<br />
men „Eberstall“ im Zusammenhang mit männlichen Zuchtschweinen<br />
verzeichnet. Es ist schwer zu entscheiden, ob der<br />
Name von Tal oder Stall kommt. Beides erscheint in der<br />
schriftlichen Überlieferung.<br />
Auff ällig ist auch, dass es jeweils auswärtige Herrschaften<br />
waren, die auf dem Flurstück Eberstall Rechte inne hatten<br />
(der Deutsche Orden und die Gemmingen) und dass der<br />
Weinzehnt dort im Lagerbuch beim Kirchenzehnt, getrennt<br />
von den übrigen Weingülten des Ortes, genannt wird (siehe<br />
unten).<br />
Sicher dagegen ist, dass es eine Wüstung Eberfi rst, weiter<br />
nördlich, auf der Höhe und schon auf Eberstädter Markung,<br />
gegeben hat: Siehe Heim, Ortswüstungen (wie oben), S. 51.<br />
37 Siehe Heim, Ortswüstungen, S. 59, und Gräf (wie oben) S.<br />
113 f. Da der Ort aber im Lagerbuch von 1523 getrennt von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> aufgeführt wird, könnte dies für eine kleine<br />
Siedlung oder zumindest Gebäude sprechen.<br />
38 Schumm, Karl, Weinsberg, Auseinandersetzungen zwischen<br />
Herrschaft und Stadt, in: Jahrbuch des historischen Vereins<br />
Heilbronn, 1954, S. 220 ff .<br />
39 Verpfändet u. a. 1405 an die von Helmstadt, 1428 an die von<br />
Sickingen, siehe Dillenius, Ferdinand Ludwig Immanuel,<br />
Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württembergische<br />
Oberamtsstadt – Chronik, Stuttgart, 1860, S. 50, und OAB<br />
NSU, S. 569 f. – siehe auch Stoob, Heinz (Hrsg.), Deutsches<br />
Städtebuch, Bd. IV, 2,2, Stuttgart, 1961, S. 177. Zum Verkauf<br />
siehe Hohenlohe Zentralarchiv Neuenstein, Bestand GA 15,<br />
Schubl. L, Nr. 180/28.<br />
40 Eine Vermögensstatistik der Ämter Weinsberg, Neustadt a.<br />
K. und Möckmühl in: Jahrbuch des historischen Vereins für<br />
Württembergisch Franken, Schwäbisch-Hall, 1867, Bd. 7,<br />
Heft 3, S. 549 ff .<br />
41 Siehe Roth, Carl, Geschichte der Stadt Neuenstadt an der<br />
großen Linde und des abgegangenen Ortes Helmbund, Heilbronn,<br />
1877, S. 9 (künftig zitiert mit Roth).<br />
42 Für <strong>Cleversulzbach</strong> zuständiges Vogteigericht war das<br />
Stadtgericht von Neuenstadt. Siehe Roth, S. 66.<br />
43 Siehe Roth, S. 10<br />
44 Siehe: Das Land Baden-Württemberg, hrsg. v. d. Landesarchivdirektion<br />
Baden-Württemberg, Stuttgart, 1975 – 83, Bd.<br />
1, S. 191.<br />
45 Siehe Roth, S. 13<br />
46 Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, hrsg.<br />
v. d. Kommission f. geschichtliche Landeskunde, Stuttgart,<br />
2000, Bd. 1, Teil 2, S. 168.<br />
47 Siehe Veröff entlichungen der Kommission für geschichtliche<br />
Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A, Quellen, Bd.<br />
28: Altwürttembergische Lagerbücher aus der Österreichischen<br />
Zeit 1520 –1534, VI, bearb. v. Thomas Schulz, Stuttgart<br />
1991, S. 512 ff . (HStAS H 101 Bd. 1298/1299/1300).<br />
48 Zwing und Bann bezieht sich auch auf das Gebiet des Amtsortes.<br />
Hier hatte der Herzog das Recht, das Zusammenleben<br />
zu regeln (siehe auch unten die Statuten) und zu richten,<br />
was man auch als Gemeindegewalt bezeichnen kann. Der<br />
Ausdruck bezog sich meist auf die Ausübung der niederen<br />
Gerichtsbarkeit.<br />
49 Überlassung des besten Stücks Vieh und des besten Gewands<br />
gemäss Hauptrechts und Zahlung der Leibhenne waren<br />
Abgaben, die aus der Leibeigenschaft einer Person resultierten.<br />
Der Leibeigene war persönlich unfrei und von<br />
seinem Leibherrn abhängig. Diese Leibherrschaft geht letztlich<br />
auf das spätantike Abhängigkeitsverhältnis zwischen<br />
dem Großgrundbesitzer und dem dessen Güter bearbeitenden<br />
halbfreien Kolonen (Bauer, Pächter) zurück. In der fränkischen<br />
Zeit wird daraus die Leibherrschaft entwickelt. Im<br />
hohen Mittelalter unterscheidet man zwischen solchen<br />
Leibeigenen, die ein Stück Land bebauen, das sie vom Leibherrn<br />
geliehen haben, und solchen, die als Gesinde am Hof<br />
41
42<br />
des Herrn wohnen und dort für allerlei Dienste herangezogen<br />
werden und vom Leibherrn komplett unterhalten werden.<br />
In der uns hier betreff enden Zeit des 16. Jahrhunderts<br />
und auch später, als sich bereits Territorien herausgebildet<br />
haben, werden alle von einem Herrn Abhängigen, also auch<br />
die Hörigen, die, an die Scholle gebunden, Land von ihrem<br />
Grundherrn bebauen, diese Stellung an ihre Kinder vererben<br />
und mit diesem Land auch veräußert werden können, als<br />
Leibeigene bezeichnet. Der Territorialherr, hier der Herzog<br />
von Württemberg, nutzt die Leibeigenschaft, um ein möglichst<br />
geschlossenes Territorium zu bilden. Dabei zahlt der<br />
Leibeigene die Abgaben gemäß Hauptrechts und die Leibhenne,<br />
auch wenn er in eine andere Grundherrschaft gewechselt<br />
ist. In unserem Fall sogar ausschließlich dann, was<br />
ein Privileg darstellt.<br />
50 Alles, was mit dem Pfl ug bebaut wurde, z. B. Dinkel, Roggen<br />
und Hafer.<br />
51 Alles, was mit der Haue und Schaufel bebaut wurde, wie<br />
Hülsenfrüchte, Kraut, Rüben oder Flachs, Hanf, Obst oder<br />
Heu.<br />
52 Die Grundherrschaft hat ihre Wurzeln in der römischen Antike<br />
und wurde nach der Völkerwanderungszeit weiter entwickelt.<br />
Alles Land gehörte demnach dem Adel mit dem<br />
Kaiser an der Spitze. Die das Land bearbeitenden abhängigen<br />
Bauern mussten dem das Land besitzenden Adligen, der<br />
daneben meist noch einen Eigenbetrieb (Fronhof oder Gut)<br />
bewirtschaftete, Abgaben zahlen. Das ausgegebene Land<br />
wurde allmählich erblich (siehe Anm. 53). Nach dem Übergang<br />
zur Geldwirtschaft (ca. 12. Jahrhundert) werden die<br />
früheren Naturalabgaben allmählich in Geldform festgelegt.<br />
Meist nahm der Grundherr auch die Funktion des Gerichtsherrn<br />
für die Bauern wahr. Diese Grundherrschaft und das<br />
Lehnswesen (siehe Anm. 53) sind beide charakteristische<br />
Bestandteile der mittelalterlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.<br />
In modifi zierter Form blieben sie auch in<br />
der frühen Neuzeit bis zum Ende des alten Reichs 1806, teilweise<br />
auch darüber hinaus, bestehen.<br />
53 Das Lehnswesen war grundlegendes Prinzip der mittelalterlichen<br />
Gesellschaft in Deutschland und bestand auch in der<br />
uns hier beschäftigenden frühen Neuzeit. Der Lehnsnehmer<br />
stand in einem Treueverhältnis zum Lehnsgeber, das wechselseitig<br />
war, ähnlich dem eines Vasallen zu seinem Herrn.<br />
Die Wurzeln dieses Prinzips reichen letztlich bis in die römische<br />
Antike zurück. Keltische und germanische Einfl üsse<br />
sind ebenfalls in ihm auszumachen. Der Lehnsnehmer war<br />
dem Lehnsgeber zu Treue, Dienst und Gehorsam verpfl ichtet;<br />
der Lehnsgeber garantierte dem Lehnsnehmer Schutz<br />
und Unterhalt, was durch den Treueeid besiegelt wurde (in<br />
der frühen Neuzeit trat an Stelle des Eids der Lehnsbrief).<br />
Den Unterhalt konnte der Lehnsnehmer durch das Lehen,<br />
ein vom Lehnsherrn geliehenes Stück Land bzw. dessen Nutzung<br />
sichern. Das Eigentum an dem Land verblieb beim<br />
Lehnsherrn. Wollte der Lehnsnehmer das Lehen weiterveräußern<br />
oder verschenken, brauchte er dazu die Erlaubnis<br />
des Lehnsgebers. Das Prinzip des Lehnswesens reicht von<br />
der Spitze der Gesellschaft (Kaiser) bis hinunter zum abhängigen<br />
Bauern. Ursprünglich fi el das Lehen nach Ableben des<br />
Lehnsnehmers wieder zurück an den Herrn. In der uns betreff<br />
enden Zeit waren die Lehen erblich und die Nachkommen<br />
des Verstorbenen mussten dem Herrn eine Abgabe entrichten<br />
(Hauptrecht, siehe Anm. 49).<br />
54 Frondienste waren alle Dienste, die in der Verrichtung körperlicher<br />
Arbeiten bestanden und vom abhängigen Bauern<br />
unentgeltlich für den Grundherrn zu leisten waren. In unserem<br />
Fall nahm der Herzog von Württemberg die Stellung<br />
des Grundherren ein, dessen Eigenbesitz im Amt, die von<br />
ihm abhängigen Bauern (Grundholden) bestellen mussten,<br />
bzw. die Amtsbewohner mussten die herrschaftlichen Gebäude<br />
(etwa einem Fronhof im Mittelalter vergleichbar) unterhalten.<br />
55 Neuanfertigung unter Beibehaltung der ursprünglichen Fassung.<br />
56 Der Aufenthalt des Heeres im Amt Neuenstadt dauerte vom<br />
18. bis 21. Dezember 1546.<br />
Siehe Martens, Karl, Geschichte der innerhalb der Grenzen<br />
Württembergs vorgefallenen kriegerischen Ereignisse,<br />
Stuttgart, 1847, S. 271 (künftig zitiert mit Martens).<br />
57 Siehe Schickhardt, Albrecht, Geschichte der Stadt Neuenstadt,<br />
Heilbronn, 1909, S. 13 (künftig zitiert mit Schickhardt).<br />
58 Ebenda S. 13<br />
59 Siehe: Braun, Helmut, Zur frühen Geschichte der Kirchengemeinde<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> in: Am Brunnen vor dem Tore, Geschichtliche<br />
und heimatkundliche Beilage des Amtsblatts<br />
der Stadt Neuenstadt, Nr. 218 u. 219, 1997 (künftig zitiert<br />
mit Braun).<br />
60 Sie sind ebenfalls im Dorfbuch aus dem gleichen Jahr niedergelegt.<br />
61 Siehe zum Folgenden Schickhardt, S. 18 ff ., und Martens, S.<br />
473<br />
62 Im August 1646 wurde Neuenstadt von den Truppen des<br />
franz. Marschalls Turenne geplündert und verheert: siehe<br />
Martens, S. 473<br />
63 Ihr General Königsmarck hatte im Neuenstädter Schloss<br />
Quartier genommen.<br />
64 Braun, Nr. 219<br />
65 Ebenda<br />
66 Die Bewohner des Amts suchten, wenn Gefahr drohte,<br />
Schutz hinter den Mauern der Amtsstadt. Siehe Schickhardt<br />
(wie oben).<br />
67 Ebenda<br />
68 HSTAS, Bestand A 386 BÜ 55<br />
69 Untergang war die amtliche Begehung und Besichtigung einer<br />
Liegenschaft oder Markung, die von den „Untergängern“,<br />
also von durch die Gemeinde bestimmten Beauftragten,<br />
durchgeführt wurde, wenn Unklarheiten oder Streitigkeiten<br />
über Eigentumsrechte zwischen Nachbarn oder über<br />
den Grenzverlauf anstoßender Grundstücke vorlagen.<br />
70 Der Friede auf dem Rathaus war ein fundamentales Gut. Das<br />
Rathaus war der Nachfolger der alten Dingstätten, wo noch<br />
unter freiem Himmel Gericht gehalten wurde und derjenige,<br />
der gegen die Friedenspfl icht verstieß, auch aus religiösen<br />
Gründen bestraft wurde. Siehe: Hinkeldey, Ch., Justiz in alter<br />
Zeit, Bd. VIc der Schriftenreihe des mittelalterlichen Kriminalmuseums<br />
Rothenburg ob der Tauber, 1989, S. 147 f.<br />
71 Siehe De Montaigne, Michel, Tagebuch einer Badereise,<br />
Stuttgart, 1963, S. 58. Montaigne bemerkte auf seiner Reise<br />
durch Deutschland bereits 1580: „Unter anderem tun sie<br />
(die Deutschen) den Krebsen große Ehre an … Das ganze<br />
Land ist reich an Krebsen, sie wollen sie täglich auf dem<br />
Tische sehen und haben ihre höchste Freude daran …“<br />
72 Bis ins 18. teilweise auch bis ins 19. Jahrhundert war die<br />
Dorfmark in Form eines Zauns oder einer Hecke eingefriedet.<br />
Bis hierher reichte der Dorfbann, also die „Verwaltungskompetenz“<br />
der Gemeinde. Siehe Keinath, S. 111, und<br />
oben Anm. 47.<br />
73 Siehe OAB, NSU S. 560<br />
74 Siehe Schickhardt, S.35 f.<br />
75 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, Bestand CA 246<br />
76 Derjenige, der den Frondienst leistete, musste sein eigenes<br />
Gespann und Geschirr benützen.<br />
77 OAB NSU, S. 321 f.<br />
78 HSTAS, Bestand A 386, Bü 99
Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuch von 1626<br />
In dieser „Bestandsaufnahme“ haben die<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Urväter aufgeschrieben,<br />
welche Gesetze („Statuta“) im Dorf gelten<br />
sollten und welche Immobilien die Bürger<br />
besaßen.<br />
Leider ist das Urbuch in den Wirren des<br />
Dreißigjährigen Krieges abhandengekommen.<br />
Dies machte eine Niederschrift,<br />
quasi aus dem Gedächtnis, erforderlich,<br />
welche die Jahrhunderte überdauerte<br />
und zu Forschungszwecken an Herrn<br />
Kress, Neuenstadt ausgeliehen wurde.<br />
Nach dem Tode des Heimatforschers<br />
blieb das Buch einige Jahre verschollen,<br />
bis der Sohn es, in einer Schachtel verpackt,<br />
im Nachlass seines Vaters wiederfand<br />
und dem damaligen Ortsvorsteher<br />
Werner Uhlmann dankenswerterweise<br />
überstellte.<br />
Da dieses Dokument für die Gemeinde<br />
eine Informationsquelle von unschätzbarem<br />
Wert darstellt, ließ die Stadt Neuenstadt<br />
am Kocher das Buch von einer Spezialfi<br />
rma aufwändig restaurieren.<br />
Einband des<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Dorfbuchs von<br />
1626 nach der<br />
Restaurierung<br />
43
44<br />
Die erste Gemeindeordnung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Titelseite des <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuchs von 1626<br />
Clever Sültzbach<br />
Beschreibung<br />
Deß gemeinen Flekhen alda Statuta<br />
und Gerechtigkeiten, von newem u gericht<br />
im Jahr nach Christi Geburt gezalt,<br />
Ain Tausent Sechs hundert zwaintzig<br />
1 Demnach des Fleckens Clever Sultzbach,<br />
in das fürstlich Würtembergisch Ambt<br />
Neuenstadt am Kocher gehörig Dorfbuch,<br />
bey währendem Pfälzischem Kriegswesen,<br />
verloren: Alls sein desselben Statuta, Gebrauch<br />
undt Gewohnheiten, auch Gerechtigkeiten,<br />
au ihren eigenen Gütern, Allmenden,<br />
Trieb, Trab, Bronnen, Weege,<br />
Steegen, so mit der Herren Amtsleuts,<br />
und derjenigen, deren Interesse es berühret,<br />
Vorwissen undt Approbation 2 au<br />
zuvor eingeholte glaubwürdige Kundt-<br />
scha t, den dreißigsten Mai, Anno sechzehnhundert<br />
zwanzig sechse, erneuert<br />
undt beschrieben worden wie folgt:<br />
Steuer und Schatzung 3<br />
Es ist von Alters her bis dato üblich gewesen,<br />
dass ein jeder Bürger, er sei reich<br />
oder arm, von seinem Vermögen, neben<br />
der Beeth 4 , so er der Herrscha t erlegen<br />
muss, auch der Gemeindt jährlichs ein<br />
Orth 5 gibt, welches in der Bürgermeisterrechnung<br />
verrechnet undt zu gemeinen<br />
Ausgaben verwendet würdt.<br />
Bürgerrecht<br />
Ein jede Person, so zu einem Bürger angenommen<br />
würdt, gibt, so es ein Mannsperson,<br />
12 Gulden, ein Weibsperson aber<br />
6 Gulden. So dann einer aus dem Fleck-
hen zieht, soll er das Bürgerrecht wieder<br />
mit soviel Gellt, alls ers anfangs erkau t,<br />
au sagen.<br />
Ein jede Mannsperson, so zum Bürger angenommen<br />
würdt, soll so gut als einhundert<br />
Gulden in den Fleckhen bringen, ein<br />
Weibsperson aber fünfzig Gulden.<br />
Wenn einer einem Frembden sein Bürgerrecht<br />
verkau t, soll er hingegen an dessen<br />
Statt aus dem Fleckhen ziehen: undt<br />
würdt keinem sein Bürgerrecht zu verkau<br />
en verstattet, er habe dan auch ein<br />
Hauß dazu.<br />
Stra en<br />
Wann einer dem anderen au dem Rathauß,<br />
es seie wan Gericht, Rhat, undt eine<br />
Gemeindt verrichtungshalb beysammen<br />
– oder geschehe sonsten bey Zechen<br />
Lügen stra – ist er ein Fläschel voll Weines<br />
zu füllen schuldig. Welcher, wann ein<br />
Gemeindt beysammen, ohn Überrock,<br />
Mützen oder Mantel zur Versamblung gehet,<br />
soll ein Fläschchen mit Wein füllen.<br />
Trieb<br />
Es haben die Junkhern von Gemmingen<br />
eigentümliche Waldungen au <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Markung, in welcher die hiesige<br />
Gemeindt diese Gerechtigkeit von Alters<br />
her gebracht, dass sie mit dem gehörnten<br />
Vieh und Schweinen darein treiben,<br />
die Eicheln und Sperbel 6 und andere<br />
erwachßene Nahrung, allermaßen, wie in<br />
der Gemeindt eigenthümliche Waldung<br />
ohnverhindert genießen mag: zumaßen<br />
dann solliche Gerechtsame in dem Gemmingschen<br />
Lagerbuch so in Anno 1576<br />
renovirt worden, mit folgenden Worten<br />
begri en; Cleversultzbach, deren von<br />
Gemmingen eigene Güter daselbst haben<br />
ohnbesorgt von Gemmingen 26 Morgen<br />
ungefahrlich Walds im Eberstall gelegen,<br />
so mit Grundt und Boden, auch Holz, ihnen<br />
k: k: Eigenthumb sindt, jedoch hat<br />
der Fleckhen Cleversultzbach, mit seinem<br />
Rindvieh, und den Schweinen zu o enen<br />
Zeiten, den Trieb und das Eckerrich 7 darin,<br />
der fürstl. Würt. Forstordnung gemäß.<br />
Gleiche Gerechtigkeit hat eine Gemeindt<br />
auch in denjenigen Hölzern, welche Privatperßohnen<br />
in den Fleckhen mit dem<br />
Aigenthumb zustendig, das nämlich ein<br />
ganze Gemeindt die Eicheln, und Wildobst,<br />
ohne Verhinderung des Inhabers zu genießen,<br />
und solche mit dem Vieh zu besuchen<br />
hat.<br />
Des hat es auch eine Bescha enheit mit<br />
Peter Hofmanns Witib, zur Neuenstatt<br />
habenden Holtzlehen au hiesiger Markung,<br />
dass die Gemeindt solches mit dem<br />
Trieb und Trab zu genießen hat.<br />
Soviel sonsten die gemeine Weeg betri t,<br />
soll es mit dem Trieb und Waldbesuchung<br />
derselben, wie von altersher gebräuchlich<br />
und Herkommen, gehalten werden.<br />
Was von wildem Obst, wie das genannt<br />
werden mag, hin und wider au den<br />
Eckerrich anwächst, hat ein Bürger, wie<br />
der ander, zu genießen: alß das der Aigenthumbs<br />
Inhaber mehr Fug und Zuspruch<br />
zu dem au seinem Gut erwachsenden<br />
wilden Obst nicht hat zu fl ücken<br />
ein anderer, dem nichts mit dem Aigenthumb<br />
daran zuständig.<br />
Gleiche Meinung hat es auch, da einer ein<br />
Glaß oder etwas anderes zu einem Fenster<br />
aus dem Rathaus hinauswür t.<br />
Herbstzeiten soll keiner kein Karch unter<br />
die Kelter stellen, davon aus- oder einzuladen,<br />
welcher darwider handelt, solle<br />
stra ällig sein.<br />
Das Fischen und Krebsen belangendt<br />
Es soll in den Wochen an keinem anderen<br />
Tag, als am Freytag gefi scht, oder Krebse<br />
gefangen werden. In übrigen Tagen in der<br />
Wochen, so wohl auch an Sonn- und Feyertagen<br />
allerdings verbotten sein: auch<br />
kein Gumpp 8 ausgeschöp t werden, welcher<br />
darwider handelt, umb einen Gulden<br />
gestraft werden.<br />
45
46<br />
Bau- und Brennholtz betre endt<br />
Wan einem Bürger Bau- oder Brennholtz<br />
aus der Gemeindtwaldung gegeben<br />
würdt, soll er daßselbe aus dem Fleckhen<br />
zu verkau en nicht befugt sein: sondern<br />
solches einem Bürger im Fleckhen zustellen.<br />
A ter Ohmbdt 9<br />
Welcher A ter Ohmbdt machen wolte,<br />
soll die Wiesen vor Bartholomäi (24. August)<br />
mähen: nach Verscheinung Bartholomäi<br />
aber soll es niemand mehr verstattet:<br />
sondern dem Vieh zur Waidt gelassen<br />
werden.<br />
Undergang 10<br />
Wer ein Undergang führen will, muss zuvor<br />
ein halben Gulden erlegen.<br />
Jagen<br />
Wenn ein Oberamtmann zur Neuenstatt<br />
wohnt, undt sich deß Jagens gebraucht:<br />
ist ein Inwohnerscha t weither nicht, als<br />
drey Tag im Jahr zu Jagen schuldig, dawider<br />
auch einer Gemeindt bishero sommers<br />
nicht zugemutet werden.<br />
Hieronymi Knechtlins Legatum<br />
Nachdem vor vielen Jahren ein Inwohner<br />
allhir, welcher Hieronymus Knechtlin geheißen,<br />
eine Gemeindt ihres Gefallens zu<br />
genießen: Es soll auch mit Nießung derselben<br />
keinem Bürger einicher Vorteil oder<br />
Vorzug vor dem anderen gestattet: sondern<br />
zwischen Reich undt Armen billichmäßiger<br />
Gleichheit gehalten werden.<br />
Folgt, welche Weeg ohnabgängig erhalten<br />
werden sollen, wie von altershero<br />
1. Erstlichs hat es zwischen Elia Ötichs<br />
Witib und Michael Brenners Ho guts<br />
einen gemeinen versteinten Fußweeg.<br />
2. Item zwischen Hanns Lumppen und<br />
Endris Frantzen Ho guts, ist ein versteinter<br />
Fußweeg.<br />
3. Desgleichen hat es zwischen Jacob<br />
Schä ers Witib und Hans Lumppen<br />
Ho guts einen gemeinen versteinten<br />
Fahrweeg, durch die Fladengassen<br />
hindurch biß auf Claus Bauren undt<br />
Burkhardt Schwenzers Äckern.<br />
4. Von der Fladengassen hat es einen erkannten<br />
Fußpfaadt über Peter Säufers<br />
Wiesenstücklin zu den Krautgärten.<br />
5. Im Hürtengäßlin hat es einen versteinten<br />
Fahrweeg zwischen Conrad<br />
Kernes undt Jacob Schäfers Krautgärten.<br />
6. Zwischen dem Schulhauß und Hanns<br />
Lumppen Hofraiten gehet ein versteinter<br />
Fußweeg, bis au den Fluhr<br />
Zur Heken genannt.<br />
7. Was für Regenwaßer von den Äckern<br />
im Fluhr Zur Heken kombt: Solle hinter<br />
dem Dor zwischen Elia Ötichs<br />
Witibs Garten undt Acker au den<br />
Almandtweeg gewiesen undt ein<br />
Graab(en) hierzu erhalten werden.<br />
8. Im Fluhr Kürweeg bis au den Kürchberg<br />
ist ein gemeiner ohnversteinter<br />
Fuhrweeg.<br />
9. Vom gedachten Kürweeg bis auf die<br />
Mertzen Wiese zwischen Georg Guldens<br />
undt Hanns Lumppen Ho guts<br />
ist ein gemeiner ohnversteinter Fußweeg,<br />
welchem man auch im Heuet<br />
und Ohmdten Zeit fahren dar , undt<br />
gedachter Ho güter Inhaber jeden<br />
ein Wagengelais zu geben schuldig<br />
ist.<br />
10. Zu den Krummenäckern, Fluhr Zur<br />
Hekhen: zwischen Gartlin Äpfelbachs<br />
undt Elia Ötichs Wittib Äckern ist ein<br />
gemeiner Weeg zu gehen und zu fahren.<br />
11. Im Fluhr Zur Hekhen, von der gemeinen<br />
Allmandt 11 an zwischen Hans<br />
Lumppen undt jung Adam Lumppen<br />
Äckern, den Hohen Graben hinauß biß<br />
au den Hohen Berg, zwischen alt
Adam Lumppen und Caspar Lösers<br />
Äckern ist ein versteinter gemeiner<br />
Fuß- undt Fahrweeg.<br />
12. Von dem gemeinen Weidich bis au<br />
den gemeinen Waldt ist ein Fußpfaadt,<br />
der Weinsberger Weeg genannt.<br />
13. Im Fluhr Zur Keltern von der Binsenbach<br />
über den Gemeindtackern,<br />
Hanns Lumppen undt Conrad Kernes<br />
Wies, bis au die Almandt bey dem<br />
heilig Häuslin, hat es einen gemeinen<br />
Fußweeg.<br />
14. Von den Bach bis auf die Weingarten<br />
im Geräut 11 ist ein Fußpfaadt, führt er<br />
aber die Weingarten hindurch, ist ein<br />
jeder Inhaber der Weingarten sein<br />
Weeg selbsten zu tragen schuldig.<br />
15. Von dem heiligen Häuslin bis auf die<br />
Brettacher Markung ist ein Fußpfaadt,<br />
der Beutinger Weeg genannt.<br />
16. Von dem Gemeindtacker unter dem<br />
Ferrenberg an, zwischen Claus Bauren<br />
undt Hans Mertzen Wendels Sohns<br />
bis zwischen Michael Bayers Stadtschreibers<br />
undt Bonifacii Böhringers<br />
Weingarten hindurch, auf dem Ferrenberg,<br />
ist ein gemeiner Trieb und<br />
Fahrweeg.<br />
17. Von dem Kürweeg bey dem Brücklin an,<br />
wie auch unden zwischen Gartlin Äpfelbachs<br />
und Balthas Lumppen Äckern<br />
bis au den Ferrenberg ist ein versteinter<br />
Weeg zu gehen undt zu fahren.<br />
18. In der Stegwiesen von Hans Herrmanns<br />
wiesen an, biß au den Ferrenberg<br />
zwischen Peter Mertzen und<br />
Hanns Pfi sterer, ist ein Fußpfaadt.<br />
19. Von der Fladengasse an über die Wiesen<br />
biß au die Bretach gehet ein<br />
Fußpfaadt.<br />
20. Von dem heiligen Häuslin an bis zu<br />
Georg Guldens Wiesen gehet ein versteinter<br />
Weeg zu gehen undt zu fahren,<br />
undt würdt der Weeg Im Bronnen<br />
genannt.<br />
21. Zwischen den Almandtländern über<br />
die Wiesen im obern Brüel 13 biß zum<br />
Dor gehet ein Fußpfaadt, welcher zu<br />
Heue undt Ohmbdenszeiten auch zu<br />
fahren erlaubt ist.<br />
22. Von den obern Gäßlin oder dem Binsig<br />
an durch die Almandtländer über die<br />
Wiesen biß zum Erppelbrünlin gehet<br />
ein ohnversteinter Fußpfaadt.<br />
23. Was die Wiesen außerhalb der Krautländer<br />
biß zu Michel Brenners Hofwiesen<br />
anbetri t, soll man zu Heuets<br />
undt Ohmbdtszeiten au den Anwanden<br />
14 zwischen jung Michel Ötichs<br />
Wiese undt Burkhardt Schwenzer<br />
aus- undt einfahren.<br />
24. Welche Wiesen von der Hubwiesen an<br />
bis zu Hanns Benders Schultheißen<br />
Vorinhaber, sollen zu Heue und<br />
Ohmbdtszeiten, zwischen Caspar<br />
Schürlins Acker und Wendel Bischo s<br />
Wiesen aus- undt einfahren.<br />
25. Welche Wiesen inhaben von Hanns<br />
Benders Schultheißen Tor am Graben<br />
bis hinaus an den überzwerchen<br />
Weeg, die sollen im Heuet undt<br />
Ohmbdet beym Erdbeerbrünlin heraus<br />
fahren.<br />
26. Bei Hanns Zieglers Wiesen vom überzwerchen<br />
Weeg bis zum Rhain, ißt ein<br />
Weeg zu gehen undt zu fahren.<br />
27. Welche Wiesen haben von alt Philipps<br />
Mertzen Rindwiesen biß zu Micheal<br />
Mertzen Seewiesen sollen zwischen<br />
Hanns Benders, Schultheißen, und<br />
Hans Zieglers Wiesen heraus fahren.<br />
28. Zwischen Michel Lumppen und Fabian<br />
Mertzen Wiesen, im überzwerchen<br />
Weeg soll zur Heu und Ohmedtszeiten<br />
ein Ein- und Ausfahren wie von Alters<br />
her gegeben sein.<br />
29. Von alt Balthas Freunden Lehenwiesen<br />
hat man im Heuet und Ohmbdet<br />
Macht zu gehen und zu fahren, vom<br />
Kiefernthal herein, so weit die Markung<br />
gehet.<br />
47
48<br />
30. Zwischen jung Adam Lumppen undt<br />
Hans Hilckers Waldung gehet ein<br />
ohnversteinter Weeg bis zu Hans<br />
Benders, Schultheißen Weingarten<br />
undt zwischen solchen Weingarten<br />
undt alt Michel Lumppen Wiesen, biß<br />
an die Weinberge ist er versteint.<br />
31. Wan das Holtz im Gemeindtwaldt<br />
heurig ist, undt man danacher zu den<br />
Holtzgaaben in den Waldt fähret;<br />
sein Jacob und Michels Frantz über<br />
ihr Haubtmans-Wiesen neben dem<br />
Acker herein, ein Aus- undt Einfahrt<br />
zu gestatten schuldig; undt weil solche<br />
Wiesen sümpfi g, ist ihnen ihren<br />
eigenen Schaden zu verhüten oblegen,<br />
die Durchfahrt also zu versehen,<br />
dass man füglich durchkommen<br />
kann; da es aber von ihnen nicht beschehen<br />
sollte; ist ein jeder befugt, an<br />
welchen Ortt er am besten mag, über<br />
solche ihre Wiesen zu fahren.<br />
32. Zwischen dem Berlinger undt dem<br />
Brennerslehen soll durch undt durch<br />
ein Graab das Wasser Ungewitters<br />
Zeiten ohne Schaden in die Bach zuführen,<br />
erhalten werden.<br />
33. Also auch soll ein solcher Graab zwischen<br />
ermelte 15 Berlingers Lehen und<br />
dem Kürners Lehen gehalten werden.<br />
34. Zwischen Baltas Freundts Garten im<br />
Binsig und dem Berlinger Hofguth soll<br />
ein Graab biß in die Bach gehalten<br />
werden.<br />
35. In dem inneren Weydich, zwischen<br />
Hanns Holtzapfel und Caspar Schürlin,<br />
alls Inhaber deß Brenners Lehen soll<br />
solcher Lehen halber auch ein Graab<br />
biß in die Bach gehalten werden.<br />
36. Im äußeren Weydich soll zwischen Endris<br />
Frantzen und Daniel Lumppen ein<br />
Graab biß in die Bach gehalten werden.<br />
Aus dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuch von 1626: Regelung über die Unterhaltungspfl icht der<br />
örtlichen Brunnen
Bronnen<br />
Den Bronnen bey Elias Ötch Witibs Hauß<br />
ißt die Witib undt kün tige Inhaber denselben<br />
zu erhalten schuldig.<br />
Den Bronnen bey Ulrich Funken Hauß sollen<br />
pfl egen diejenige, so solchen von diesem<br />
pfl egen zu erhalten, auch kün tig zu<br />
erhalten schuldig sein.<br />
Desgleichen ißt es auch mit dem Bronnen<br />
bey Daniel Lumppen Hauß bescha en,<br />
das solche Behausung selbiger, ohne Gemeindt<br />
Zuthun, erhalten muss.<br />
Zu dem Bronnen in den Kirnenwiesen,<br />
welcher jetziger Zeit Hans Pfi sterer und<br />
jung Adam Lumppen zuständig, sein ermelte<br />
und kün tige Inhaber eine Einfahrt<br />
durch den Zaun, mit welchem ihre Wiese,<br />
auf denen solcher Bronnen stehet, umbfangen,<br />
so weit zu geben schuldig, das<br />
man mit einem paar Ochsen hineinfahren<br />
undt in Feuers Nöthen sich solchen Wassers<br />
ohnverhindert gebrauchen kann:<br />
Nicht weniger sein auch ernanter beede<br />
Inhaber zur Frühlings- und Herbsteszeiten,<br />
wann man das Vieh auf die Wiesen<br />
treibt, dem Vieh ein Trib über gedachte<br />
ihre umbzäunte Wies zugestatten: undt<br />
den Zaun hierzu ö nen schuldig.<br />
Die Bannzäun betre endt, soll es damit,<br />
wie von Alters Herkommen, gehalten<br />
werden. Außerhalb der Bannzäun aber<br />
solle keinem ein Guth einzuzäunen verstattet<br />
werden.<br />
Dem Vieh Frühlings- und Herbstzeiten,<br />
der Zeit unverhindert gelassen werden.<br />
Das Dorfbuch regelt die Steuereinnahmen<br />
und legt die Vorgaben fest, mit denen<br />
man das Bürgerrecht der Gemeinde erwerben<br />
kann.<br />
Der Status eines Bürgers und die damit<br />
verbundenen Bürgerrechte standen nicht<br />
immer allen Einwohnern eines Ortes zu.<br />
So war in vielen Ortsverfassungen das<br />
Bürgerrecht ein festgelegtes Privileg, das<br />
nur bestimmten Einwohnern zuteil wurde.<br />
Die Verleihung der Bürgerrechte erfolgte<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> in württembergischer<br />
Zeit zwischen 1503 und zu Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts, durch Aufnahme in die Bürgerrolle<br />
und die Erteilung des Bürgerbriefes.<br />
Grundlage hierfür war ein Antrag auf<br />
Aufnahme, sowie der in der Ortssatzung<br />
festgelegte Nachweis bestimmter Voraussetzungen<br />
(Einkommensnachweis, Leumund,<br />
Bürgereid u. a.).<br />
Innerhalb seines Bezirks hatte der jeweilige<br />
Vogt von Neuenstadt die „hohe Gerichtsbarkeit“.<br />
Die „niedere Gerichtsbarkeit“<br />
blieb den Dorfgerichten unter dem<br />
Vorsitz des Schultheißen überlassen. Nahezu<br />
bescheiden nehmen sich daher auch<br />
die Straftatbestände aus, auf die im Dorfbuch<br />
Bezug genommen wird, aber auch<br />
die dafür vorgegebenen Strafen aus: zu<br />
ahnende Falschaussagen, üble Nachrede<br />
und Defi zite in der Kleiderordnung bei<br />
den Gemeinderats- oder Gerichtssitzungen<br />
waren in Naturalien, grundsätzlich<br />
mit einer Flasche Wein, ausgleichbar.<br />
Von existentieller Bedeutung war auch<br />
die Ordnung der Ernte des zweiten Grasschnitts<br />
und die Festlegung der Nutzung<br />
der Allmendefl ächen. Weil der Ackerbau<br />
sich im Wesentlichen darauf beschränkte,<br />
die Einwohnerschaft in erster Linie mit<br />
Getreide als Ernährungsbasis zu versorgen,<br />
war der Anbau von Futtermitteln für<br />
den Unterhalt des Nutzviehs weitgehend<br />
unüblich. Abgesehen vom getrockneten<br />
Grasschnitt wurde die Stallfütterung<br />
kaum gepfl egt. Die Viehtriften erfolgten<br />
auf die im Gemeindeeigentum befi ndlichen<br />
unangebauten Grundstücke und die<br />
Teile der Äcker, die man zur Erholung<br />
wechselweise brach liegen ließ.<br />
Für die Sicherung der Existenzgrundlagen<br />
sehr wichtig und auch gegen Nutzungseinschränkungen<br />
der von Gemmingen und<br />
der württembergischen Forstverwaltung<br />
weitgehend abgesichert wurde das Recht<br />
zur Nutznießung der Bucheckern, Eicheln<br />
49
50<br />
und des Wildobstes in hoheitlichen Waldungen<br />
als Vieh-, insbesonders als Schweinemastweide<br />
in den Dorfstatuten festgeschrieben.<br />
Obwohl auf nur einen Tag, nämlich den<br />
Freitag beschränkt, ist das Fischen und das<br />
Fangen von Krebsen im Sulzbach off enbar<br />
für jedermann erlaubt. 16 Mögliche hoheitliche<br />
Einschränkungen bleiben unerwähnt.<br />
Die Jagdausübung war dann aber doch<br />
ein Privileg des Vogts. Allerdings mussten<br />
nicht nur die bevorrechtigten Bürger, sondern<br />
die gesamte Einwohnerschaft an drei<br />
Tagen im Jahr unentgeltlich Treiberdienste<br />
leisten.<br />
1 Authentisierte Version der durch Norbert Gessner in Satzbau<br />
und Rechtschreibung angepassten Transkription.<br />
2 Genehmigung<br />
3 Der Begriff Schatzung ist mittelhochdeutschen Ursprungs<br />
und bedeutet „Abgabe, Steuer; Schätzung“; er wird verwendet<br />
als zusammenfassende Bezeichnung für den Einzug<br />
direkter Steuern im Mittelalter und in der Frühen<br />
Neuzeit.<br />
4 Die Bezeichnung „Beeth“ ist mittelhochdeutschen Ursprungs<br />
und bedeutet „Bitte, Gebet; Befehl, Gebot“; es ist<br />
im engeren Sinn eine erbetene, freiwillig geleistete Abgabe<br />
oder eine regelmäßig erhobene, meist landesherrliche<br />
Steuer.<br />
5 Sammelbegriff für „Münze“, insbesondere ¼ Gulden.<br />
6 Wildapfel<br />
7 Ortsbezeichnung für die zur Schweinemast vorgesehene<br />
Eichel- und Buchelernte.<br />
Bürgerrechtsinhabern ist die Entnahme<br />
von Bau- und Brennholz ausschließlich<br />
zur Deckung des Eigenbedarfs aus den<br />
Gemeindewaldungen erlaubt.<br />
Einen wesentlichen Raum nimmt die Festlegung<br />
der öff entlichen Verkehrsfl ächen<br />
ein. Off enbar war es nötig, die Trassen zu<br />
sichern, damit die Allgemeinnutzung nicht<br />
durch Abpfl ügen oder Einfriedigungen<br />
eingeschränkt wurde und durch die entsprechende<br />
Dokumentation in der Dorfverfassung<br />
Streitigkeiten in der Gemeinde<br />
vorgebeugt wurde.<br />
8 Tiefe Stelle in Wasserläufen und Seen; Schlammkasten.<br />
9 Heuernte des zweiten Grasschnitts im Jahr.<br />
10 Ein Untergänger wurde beauftragt, Grenzstreitigkeiten<br />
durch Überprüfung der Grenzsteine zu schlichten.<br />
11 Die Bezeichnung „Allmende“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen<br />
und bedeutet „Gemeinfl ur“ d. h. ein im Besitz<br />
einer Dorfgemeinschaft befi ndliches Grundeigentum als<br />
Gemarkung. Dieses Grundeigentum besteht u. a. aus Wegen,<br />
Wald, Gewässern, Weideland und der Gemeindewiese,<br />
auf der jeder seine Nutztiere weiden lassen konnte.<br />
12 Rodung, Waldwiese, Lichtung.<br />
13 Die Bezeichnung „Brühl“ ist keltischen Ursprungs; gemeint<br />
ist eine eingezäunte, am Wasser gelegene Wiese.<br />
14 Ackergrenze, wo der Pfl ug gewendet wurde.<br />
15 (oben) erwähnten<br />
16 Diese Praxis wurde aufgegeben mit der Einführung einer<br />
Pacht, die in einer Versteigerung zugebilligt wurde.
Schultheißen und Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
seit dem 15. Jahrhundert<br />
Im Kapitel „Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s im<br />
Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ 1<br />
wurden bereits Angaben zur Verwaltungsstruktur<br />
in Württemberger Gemeinden<br />
nach 1504 gemacht. Nach ähnlich alten<br />
Quellen 2 stand einer Gemeinde der<br />
Schultheiß vor, dessen Aufgabe vornehmlich<br />
in der Interessenvertretung der Herrschaft<br />
bestand. Diese Funktion als Vermittler<br />
wurde dadurch erweitert, dass er<br />
dem so genannten Gericht (also dem Gemeinderat)<br />
vorstand. Da er vom „Herrn”<br />
auf Lebenszeit ernannt wurde, stellte er<br />
ein wichtiges Herrschaftsinstrument für<br />
diesen dar. Nur wenn er sein Amt nicht<br />
nach Vorschrift ausübte, konnte die Herrschaft<br />
ihn absetzen. 3<br />
Unterstützt wurde der Schultheiß von<br />
zwei Bürgermeistern, die am Anfang eines<br />
jeden Jahres aus den Reihen der Gemeinderatsmitglieder<br />
neu gewählt und von der<br />
Herrschaft bestätigt (oder auch abgelehnt)<br />
wurden.<br />
„Von den beiden Bürgermeistern hatte<br />
der eine die Aufsicht über das Dorf und<br />
seine Einrichtungen. Ihm unterstand der<br />
Gemeindewald, die Allmandäcker und<br />
-wiesen, die Gemeindeweiden, die Straßen,<br />
die Brücken, das Rathaus, das Gemeindebackhaus,<br />
die öff entliche Kelter,<br />
die Brechdarre (zum Rösten von Hanf und<br />
Flachs), der Ortsarrest (in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
‚Zuchthäusle‘ genannt) u. a. Er hatte die<br />
Aufsicht über die Frondienste innerhalb<br />
der Gemeinde; daher heißt er mancherorts<br />
Fronvogt […].<br />
Sein Genosse war der rechnende Bürgermeister.<br />
Der hatte über Einnahmen und<br />
Ausgaben der Gemeinde Buch zu führen.<br />
Er zog die Steuern ein, die in Geld gegeben<br />
werden mussten; er hatte Bußen und<br />
Strafen einzukassieren. Von ihm erhielten<br />
die Gemeindeangestellten wie Büttel, Gemeindehirte,<br />
Wald- und Feldhüter ihren<br />
Lohn ausbezahlt.” 4<br />
Der Schultheiß und die beiden Bürgermeister<br />
standen dem so genannten Gericht<br />
(Gemeinderat) vor. Ein Gemeinderat<br />
musste einen tadellosen Leumund haben,<br />
straff rei sein und bei der Bürgerschaft Ansehen<br />
genießen – er übte sein Amt bis<br />
zum Tode aus und wurde dann durch eine<br />
vom Gemeinderat bestimmte jüngere Person<br />
ersetzt.<br />
Amtssiegel des Schultheißenamtes <strong>Cleversulzbach</strong><br />
(19. Jahrhundert)<br />
Die Aufgaben des Gemeinderats bestanden<br />
in erster Linie in der Regelung der Tätigkeiten<br />
und Vorhaben, die das Funktionieren<br />
einer Gemeinde erst ermöglichte:<br />
– Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit<br />
– Schlichtung von Streitigkeiten<br />
– Gemeindeangelegenheiten, z. B. Durchführung<br />
von Projekten (Wegebau, Instandsetzungsarbeiten<br />
usw.)<br />
Es ist interessant zu sehen, welcher Aufwand<br />
getrieben wurde, um das Gemein-<br />
51
52<br />
wesen in einem kleinen Flecken wie <strong>Cleversulzbach</strong><br />
aufrecht zu erhalten. Im<br />
Rhythmus von einem Jahr wurden die Gemeindeämter<br />
neu vergeben, in der so genannten<br />
Ämterersetzung. Hierbei wurde<br />
der Amtsinhaber entweder bestätigt oder<br />
ein anderes Gemeinderatsmitglied mit der<br />
entsprechenden Aufgabe betreut. Die folgende<br />
Liste gibt einen Eindruck von der<br />
Art der verschiedenen Funktionsträger:<br />
– Waisenvogt<br />
– Gemeindeschreiber<br />
– Polizeidiener, Gemeindebüttel<br />
– Schieder oder Felduntergänger<br />
– Fronmeister<br />
– Bettelvogt<br />
– Frucht-Vorrats-Pfl eger<br />
– Eicher<br />
– Führer des Impfbuches<br />
– Hebamme und geschworene Frau<br />
– Feld-, Wald-, Wild-, und Dorfschützen<br />
– Nachtwächter<br />
– Totengräber<br />
– Waagmeister<br />
Schultheißen<br />
Amtszeit Name<br />
1495 Peter Eck 5<br />
1523 Jörg Freundt 6<br />
1545 Jung Jacob Zwaxuff 7<br />
1601 Balthas Hoff man 8<br />
1626 Hans Bender 9<br />
1654 Schultheißen von Brettach 10<br />
ca. 1815 Georg David Lumpp<br />
1832 Heinrich Lumpp<br />
o.A. Daniel Lumpp 11<br />
o.A. Johann Friedrich Ziegler 12<br />
1853 August Herrmann 13<br />
1853 Kaiser<br />
1872 Franz Lumpp<br />
1886 Gustav (Christian?) Kuttruff 14<br />
1889 Reinhold Kögel<br />
1902 Lambert Herrmann 15 , Eugen Blank 16<br />
ca. 1940 Friedrich Mayer 17<br />
– Brot- und Fleischschauer<br />
– Feuerschauer<br />
– Pferch- und Schafmeister<br />
– Schweine- und Gänshirt<br />
– Hanfdörrerin<br />
– Mausfänger<br />
Wer waren nun die Männer, die die Geschicke<br />
unseres Dorfes über die letzten<br />
Jahrhunderte in maßgeblicher Weise bestimmten?<br />
Eine durchgängige Liste der<br />
Namen der Schultheißen besteht – anders<br />
als etwa bei den Pfarrern, die lückenlos<br />
erfasst sind – nicht. Aus den oben erwähnten<br />
Ämterersetzungen (Gemeinderatsprotokolle)<br />
lassen sich die Namen der<br />
Schultheißen ableiten und mit Eintragungen<br />
aus anderen Quellen (Ortschronik von<br />
1626, Bürgerlisten von 1784 und 1886,<br />
Bürgermeister-Pfl egrechnungen usw.) ergänzen.<br />
Es ergibt sich folgendes Bild, das<br />
keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit<br />
erhebt.<br />
Fortgeführt wurden die Listen bis in unsere<br />
Gegenwart.
1945 –1978 Richard Nef 18 Bürgermeister; nach der Eingemeindung<br />
1971 Ortsvorsteher<br />
1978 Dieter Plenefi sch Ortsvorsteher<br />
1984 Werner Uhlmann Ortsvorsteher<br />
2009 Günther Stahl Ortsvorsteher<br />
Bürgermeister (= Kämmerer) 19<br />
1726 Johann Martin Hesser;<br />
alt Andreas Prötzel 20<br />
1735 Balthas Herrmann<br />
1743 Jakob (Johann Jakob)<br />
Flaischer<br />
1752 Johann Georg Schlegel<br />
1755 Abraham Freund<br />
1769 Georg Balthas Lumpp<br />
1774 Johann Georg Hesser<br />
1781 Christoph Schlegel<br />
1784 Johann Christoph Schuler<br />
1795 Christian Hörrmann<br />
1800 Franz Gottlieb Volpp<br />
1804 David Lumpp<br />
1809 Friedrich Guldi<br />
1816 Christoph Kaiser<br />
1823 Johannes Schlegel<br />
1827 Christoph Kaiser<br />
1833 Ludwig Herrmann<br />
1835 Johann Daniel Lumpp<br />
1844 Johann Christoph Herrmann<br />
1848 Martin Kaiser<br />
1 Eckhard Kreeb: Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s im Mittelalter<br />
und in der frühen Neuzeit, im vorliegenden Band.<br />
2 Z. B. Dorfbuch von Olnhausen (1629).<br />
3 Die Ausführungen folgenden inhaltlich weitgehend den<br />
Angaben aus dem Neckarsulmer Heimatbuch von Friedrich<br />
Krapf (1928) und den entsprechenden Gemeinderatsprotokollen<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> aus der ersten Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts (CB 11– CB 20).<br />
4 Krapf, a.a.O. S. 81<br />
5 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden HStAS) A 109<br />
Bü 9<br />
6 HStAS A 44 U 3326, HStAS H 101 Bd. 1298<br />
7 HStAS A 54a Bd. 151<br />
8 HStAS A 281 Bü 976–978<br />
9 Siehe Statuten von 1626 § 24, 25, 27, 30<br />
10 <strong>Cleversulzbach</strong> war die einzige Gemeinde im Landkreis<br />
Heilbronn, die zeitweise von einem Schultheißen aus einer<br />
Nachbargemeinde verwaltet wurde. Die Schultheißen von<br />
Brettach versahen das Amt noch 1806.<br />
1850 Samuel Klein<br />
1853 Samuel Klein, Ludwig Herrmann<br />
und Gottfried Lumpp<br />
1854 Gottfried Lumpp<br />
1860 Christian Schmich<br />
1872 Franz Lumpp<br />
1873 Daniel Herrmann<br />
1882 Daniel Herrmann (Sohn des<br />
Johannes) und Daniel Herrmann<br />
(Sohn des Samuel)<br />
1883 Daniel Herrmann, Sohn des<br />
Samuel<br />
1897 Karl Lehmann<br />
1900 Christian Herrmann<br />
1906 Daniel Herrmann, Sohn des<br />
Samuel<br />
1909 Karl Nef<br />
1932 Friedrich Lumpp<br />
1945 Friedrich Birk<br />
1947 Christian Plenefi sch,Wilhelm<br />
Kuttruf<br />
11 Am 15. November 1850 entlassen.<br />
12 * 1. Oktober 1828 in Leonberg<br />
13 * 4. September 1817<br />
14 * 4. Oktober 1855<br />
15 Altbürgermeister Herrmann ab 15. Juli 1939 Stellvertreter für<br />
Friedrich Mayer. Siehe auch Beitrag von Rudolf Schwan über<br />
Lambert Herrmann im vorliegenden Band.<br />
16 Stellvertreter Herrmanns<br />
17 1942 vermisst. Über die Amtseinsetzung fehlen die entsprechenden<br />
Unterlagen im Gemeindearchiv.<br />
18 Siehe Beitrag von Rudolf Schwan über Richard Nef im vorliegenden<br />
Band.<br />
19 Die Kämmerer der Heiligenpfl ege wurden getrennt geführt.<br />
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Kämmerer als<br />
Rechnungsbürgermeister geführt.<br />
20 CR 1<br />
53
54<br />
Ämter und Amtspersonen – Die Ämterbesetzung<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> im Jahre 1872<br />
Neben den längerfristig bestellten Amtsinhabern<br />
wie Schulmeister Höneß 1 , Dorfschütz<br />
und Amtsdiener Friedrich Seebold,<br />
Feldschütz Baltes Bordt 2 , Ratsschreiber<br />
Schweizer aus Brettach 3 und Schultheiß<br />
Franz Lumpp 4 sowie der Gemeindepfl eger,<br />
Steuereinnehmer und Fruchtzehntrechner<br />
Christian Bordt waren die übrigen kommunalen<br />
Dienste bei Erfordernis von dem<br />
Aufgabenvolumen neu auszurichten, die<br />
Besoldung anzupassen und ggf. personell<br />
neu zu besetzen. Beispielhaft erscheint die<br />
Gemeinderatssitzung vom 29. Juni 1872,<br />
in der sich ausschließlich das in Rede stehende<br />
Thema auf der Tagesordnung befand.<br />
Dass diese Sitzung als off ensichtlich<br />
besonders wichtig galt, ist an der Anwesenheit<br />
des gesamten Gemeinderats abzulesen.<br />
Zudem machen die einzelnen Verhandlungspunkte<br />
die Vielzahl der kommunalen<br />
Aufgaben deutlich.<br />
Das Gemeinderatsprotokoll dokumentiert<br />
die folgenden Beschlüsse:<br />
Verhandelt den 29. t[en] Juni 1872<br />
Anwesend der Gemeinderath vollzählig<br />
§ 5<br />
Heute hat der Gemeinderath die<br />
Ämterbesetzung vorgenommen.<br />
1. zu einer Änderung in der Besetzung<br />
der niederen Gemeindedienste5 hat man sich nicht veranlasst<br />
gesehen, außer im Fall, wo besondere Veranlassung<br />
vorhanden war.<br />
Dem Waldschützen jedoch, welcher<br />
sich in letzter Zeit Nachlässigkeiten<br />
im Dienst zu Schulden kommen ließ<br />
und welcher abgesetzt wurde,<br />
wurde besonders eingeschärft, künftig<br />
bei Versehung seines Dienstes mehr<br />
Eifer an den Tag zu legen.<br />
2. Gemeinderath Klein ist als Frohnmeister<br />
6 & Stiftungspfl eger derart in<br />
Anspruch genommen, dass er um<br />
Enthebung von der Stelle eines<br />
Pförchmeisters7 und Fleischbeschauers<br />
nachgesucht hat.<br />
3. Es wird deshalb in Zukunft für<br />
die 3 Jahre 1872/75 als<br />
Pförchmeister bestellt<br />
L. Lumpp, Gemeinderath, welcher<br />
diese Stelle in früheren Jahren<br />
schon bekleidet hat, u. wird auf<br />
seine damalige Verpfl ichtung hingewiesen<br />
u. mit Instruktion versehen.<br />
Gez. L. Lumpp<br />
4. Ebenso wird für die kommenden 3 Jahre<br />
1872/75 als Fleischbeschauer<br />
aufgestellt u.verpfl ichtet<br />
Christian Bordt, Gemeinderath,<br />
u. desgleichen mit Instruktion versehen.<br />
Gez. Bordt<br />
5. Ferner wird die Brodschau<br />
in Folge der neuen Gerwerbe-Ordnung<br />
aufgehoben.<br />
6. Nachtwächter Joh. Lumpp kündigt<br />
den Dienst u. wird auf 1. Juli d. J. desselben<br />
entbunden.<br />
7. Johann Schupp bezog bisher aus<br />
der Gemeindekasse für die Messnereigeschäfte<br />
u. Besorgung der Schulheizung<br />
jährlich 60 Gulden.<br />
Der Gemeinderath hält diese Belohnung<br />
im Hinblick auf die leichten Geschäfte<br />
der Messnerei für zu hoch.<br />
Dem bisherigen Messner wurden<br />
hierüber Vorstellungen gemacht u.<br />
erklärt derselbe sich bereit, den<br />
Dienst künftig um jährlich 50 Gulden zu<br />
versehen.<br />
Gez: Johann Schupp
Hiermit ist der Gemeinderath einverstanden<br />
und wird ihm diese Belohnung zugesichert.<br />
8. In Folge Ablebens des Jochen Bordt,<br />
Schreiner, Mitglied der Local-Feuerschau<br />
ist ein neues Mitglied zu wählen,<br />
wozu Gemeinderath Aug. Herrmann<br />
bestellt und verpfl ichtet wird.<br />
Gez: August Herrmann<br />
9. Dem Maulwur änger Fr. Eurich<br />
wurde der Dienst gekündigt.<br />
Ein Antrag, in Hinsicht auf die<br />
Nützlichkeit der Maulwürfe für<br />
die Landwirtschaft das Fangen<br />
derselben ganz einzustellen, stieß<br />
auf bedeutenden Widerspruch, da<br />
durch das Aufwerfen von Erdhaufen<br />
das Mähen bedeutend erschwert<br />
werde. Ein Antrag mit Aussetzung einer<br />
jährlichen Belohnung soll nicht<br />
abgeschlossen werden.<br />
Da aber gerade heraus eine Überzahl<br />
von Maulwürfen sich zeigt,<br />
so solle das Fangen der Maulwürfe<br />
auf ein Jahr von J. Steinbrenner v. Dimbach<br />
nach der Stückzahl, pro Stück zu 4<br />
Kreuzer übertragen u. das Abzählen<br />
kontrolirt werden.<br />
Die Annahme<br />
Gez: Steinbrenner<br />
Da man die Maulwürfe weder planmäßig<br />
verfolgen oder gar ausrotten<br />
möchte, so soll, wie es thunlich<br />
erscheint, mit dem Fangen derselben<br />
das nächste Jahr ausgefolgt werden<br />
Zur Beurkundung:<br />
Gemeinderath<br />
Schmiech<br />
Kaiser<br />
Klein<br />
Fr. Lumpp<br />
Herrmann<br />
L. Lumpp<br />
Bordt<br />
Als besonders erwähnenswert ist die Einstellung<br />
eines Teils der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zum Naturschutz. Der tägliche<br />
Kampf um die Optimierung der landwirtschaftlichen<br />
Erträge und damit auch zur<br />
eigenen Existenzsicherung wie auch der<br />
Wohlstandsmehrung ließ keinerlei Beeinträchtigung<br />
dieses Ziels zu. Die Scher-<br />
oder Wühlmaus war als Pfl anzenwurzeln<br />
fressendes Nagetier mit Sicherheit in der<br />
Lage, der Landwirtschaft erhebliche<br />
Schäden zuzufügen. Dieser Schädling<br />
wird irrtümlicherweise häufi g in einem<br />
Atemzug mit dem ausschließlich Würmer<br />
und Insektenlarven fressenden Maulwurf<br />
genannt und auch bekämpft. Nicht allgemein<br />
üblich war damals die Unterscheidung<br />
dieser beiden Tierarten. Es<br />
muss hier von einer besonderen Kenntnis<br />
der Zusammenhänge in der Natur, gepaart<br />
mit einer ungewöhnlichen Weitsicht<br />
einiger <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürger gesprochen<br />
werden, die die Nützlichkeit des<br />
Maulwurfs für die Landwirtschaft trotz<br />
der auf der Grabetätigkeit dieser Tiere<br />
vorhandenen Konfl ikte erkannt hatten<br />
und eine Eingabe zum Schutz dieser Tierart<br />
beim Gemeinderat einbrachten. Die<br />
Mehrzahl der Stimmberechtigten entschied<br />
sich allerdings für eine weitere,<br />
wenn auch eingeschränkte Bejagung des<br />
Maulwurfs.<br />
Das früher Anfang April übliche und zeitraubende<br />
Verteilen der Maulwurfshügel in<br />
den Getreide- und Wiesenfl ächen war<br />
wohl zu aufwändig und bot während der<br />
Mahd keinen Schutz vor häufi gen Kontakten<br />
mit der nachträglich aufgeworfenen<br />
Erde, die zu einem vorzeitigen Stumpfwerden<br />
der Sensen führte. Mit den damals<br />
bekannten Bekämpfungsmitteln war die<br />
befürchtete Ausrottung dieser Tierart<br />
kaum möglich. Erst die Intensivlandwirtschaft<br />
einhundert Jahre nach diesem Antrag<br />
mit ihrem massiven Einsatz von Herbiziden<br />
und Pestiziden hat diesen Nütz-<br />
55
56<br />
lingen schwer zugesetzt und durch Nahrungsentzug<br />
in ihrer Existenz bedroht. Inzwischen<br />
kann man auf Flächen mit<br />
biologischer Bewirtschaftung hin und<br />
wieder „Untergrundbewegungen“ dieser<br />
nach der Bundesartenschutzverordnung<br />
als „besonders geschützten Art“ beobachten.<br />
Im Juni 1873 standen der Gemeindeverwaltung<br />
zusammenfassend für die verschiedenen<br />
Aufgabenbereiche die folgenden<br />
bestellten Personen zur Verfügung:<br />
Schultheiß Franz Lumpp<br />
Schulmeister Höneß<br />
Lehrer Lindenberger<br />
Ortsvorsteher und<br />
Gemeindepfl eger Herrmann<br />
Ratsschreiber Schweizer<br />
Fronmeister und<br />
Fleischbeschauer Klein<br />
Waldmeister Hesser<br />
Amts- und<br />
Polizeidiener Friedrich Seebold<br />
Waldschütz Lumpp<br />
Feldschütz Baltes Bord<br />
1 Schulmeister Höneß bezog ein Jahresgehalt von 12 Scheff el<br />
Dinkel, das entsprach bei einem Wert von 9 Gulden pro<br />
Scheff el einem Gehalt von 108 Gulden.<br />
2 Der Feldschütz Baltes Bordt hatte sein Jahressalär von 25<br />
auf 40 Gulden anheben lassen.<br />
3 Aktuar Schweizer bezog ein Jahresgehalt von 60 Gulden,<br />
dazu eine Jahrespauschale von 10 Gulden für Schreibmaterial<br />
und 1 Gulden Reisekosten pro Sitzung.<br />
4 Der frisch in sein Amt eingeführte Franz Lumpp bezog ein<br />
Jahresgehalt von 180 Gulden, dazu ebenfalls eine Jahrespauschale<br />
von 10 Gulden für Schreibmaterial.<br />
Postbote<br />
Meßner und<br />
Ebert<br />
Schulheizer Johann Schupp<br />
Wegknechte Carl Bordt, Gottlieb<br />
Stahl, Gottlieb Erhard,<br />
Johann Siegle,<br />
Franz Stefan<br />
Nachtwächter Heinrich Lumpp,<br />
Johann Plenefi sch<br />
Maulwurff änger J. Steinbrenner<br />
Die beiden „Brodwäger“ Klein und<br />
Schmiech wurden ihrer Ämter entbunden,<br />
weil seit einiger Zeit kein Bäcker hier seinem<br />
Gewerbe nachging.<br />
Ein gewisses Zubrot wurde den mit Polizeifunktionen<br />
ausgestatteten Bediensteten<br />
vom Gemeinderat gewährt, nachdem<br />
die Delationsgebühren8 gesetzlich abgeschaff<br />
t worden waren. Den „Gemeinde-<br />
Offi zianten“ 9 Waldschütz Lumpp, Feldschütz<br />
Bordt und Amts- und Polizeidiener<br />
Seebold standen die Gemeinderäte für das<br />
Etatjahr 1872/73 eine Sonderzuwendung<br />
von jeweils 5 Gulden aus den entgangenen<br />
Anzeigen zu.<br />
5 Die Weinberghüter Karl Bordt, Johann Schramm, Gottlieb<br />
Mörz und Siegle erhielten während ihrer Einsatzzeit im<br />
Herbst täglich 18 Kreuzer. Das Entgeld für den Wegknecht<br />
Franz Stephan wurde mit 6 Gulden im Monat festgesetzt.<br />
6 Der Fronmeister war zuständig für die Instandsetzung und<br />
Unterhaltung der Straßen und Feldwege.<br />
7 Sachverständiger für die Gemeindeschäferei (Viehschauer).<br />
8 Prämien für zur Anzeige gebrachte Gesetzesübertreter.<br />
9 Amtsträger mit niedriger Polizeigewalt.
Rechnungslegung der kommunalen Verpfl ichtungen –<br />
Die Bürgermeisteranstandsrechnung des Johann Martin<br />
Hesser 1726/27<br />
Titelblatt der Bürgermeisteranstandsrechnung<br />
des Johann Martin Hesser 1726/27<br />
Über Jahrhunderte ernährten sich die<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er fast ausschließlich<br />
von der harten Arbeit in der Landwirtschaft.<br />
Sobald die großen Bevölkerungsverluste<br />
aus dem Dreißigjährigen<br />
Krieg aufgeholt sind, breitet<br />
sich zur Ergänzung der Nahrungsgrundlage<br />
das Handwerk in den Dörfern<br />
immer stärker aus. Im 18. Jahrhundert<br />
sind nun die Dörfer keine<br />
reinen Bauern- und Weingärtnersiedlungen<br />
mehr. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ist zu diesem Zeitpunkt eine Vielzahl<br />
von Leinewebern, aber auch Schneider,<br />
Stroh- und Kornfl echter, die ihre<br />
Produkte in Heilbronn vermarkten,<br />
gemeldet. Die Unterschiede im Sozial-<br />
und Wirtschaftsgefüge von<br />
Stadt und Land, seit dem Mittelalter<br />
ohnehin im Rückgang, verwischen<br />
sich zusehends. Diese Entwicklung<br />
bewirkt eine spürbare Hinwendung<br />
zu einem noch stärkeren Selbstbewusstsein<br />
der Dörfer und ihrer Bewohner.<br />
Auch in <strong>Cleversulzbach</strong> wächst die<br />
Selbstachtung der Bürger, die ihren<br />
Ausdruck ganz besonders auch in der<br />
akribisch ausgeführten Jahres-Gemeinderechnung<br />
von 1726/27 fi ndet.<br />
Hier sind explizit die Besoldungen<br />
der Erfüllungsgehilfen in der Gemeinde<br />
aufgeführt und zeugen von<br />
einem gehobenen Selbstverständnis,<br />
die Verwaltung der Gemeinde in eigener<br />
Verantwortung zu bewältigen.<br />
Aus der Transkription der Abrechnung<br />
lassen sich einige Rückschlüsse<br />
auf das Aufgabengebiet der kommunalen<br />
Verwaltung ziehen:<br />
57
58<br />
Clever-Sultzbach<br />
Bürgermeister-Anstands-<br />
Rechnung<br />
Mein<br />
Johann Martin Hessers<br />
Berichts Verwandtens und dermahligen Rechnungsführenden Bürgermeisters.<br />
Was ich gemeinen Fleckens wegen eingenommen und wiedrum ausgeben habe.<br />
Von Georgii 1 Anno 1726 biß dahin Anno 1727.<br />
Gemeiner Bürgermeister Alt Andreas Prötzel des Gerichts<br />
Ausgab Geld<br />
Extraordinari 2 Kriegs- und andere Anlagen<br />
Winteranlag<br />
Erste fernweit ergangenen hochherrschaftlichen Befehls de dato 23ten December 1726<br />
musste zur Abstattung der winterlichen militär- und anderen Extra- ordinari Prästandorum<br />
3 wie vorum Fol. 28 4 mit mehreren Beschrieben von Statt und Amt 1612 Gulden<br />
50 Kreuzer 2 Pfennig geliefert werden, woran es hiesigen Orth<br />
betro en zu 3 Fristen 145 Gulden 8 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Summe dieser Schuldigkeit 1920 Gulden 19 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Inhalt vorgehender Rechnung Fol. 56 und beyliegen Extractus der Statt und Amts Abrechnung<br />
ist der Flecken an dergleichen schuldig verblieben:<br />
Altes 1646 Gulden 9 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Neues Sommeranlag<br />
Nach deswegen unterm 25ten May 1726 ergangenen hochherrschaftlich gnädigstem<br />
Befehl hat wohllöbliche Landschaft diesem Statt und Amt zu Bestreitung der sommerlichen<br />
Prästandorum zu 3 Fristen zu liefern im ganzen Jahr Steuer angesetzt, wovon es<br />
hiesigen Orth betri t 129 Gulden 1 Kreuzer 2 Pfennig<br />
An hinübstehender Schuldigkeit vermög Statt und Amts Abrechnungs Extracts folgendes<br />
geliefert worden durch Martin Hesser anno 1726<br />
Den 16ten August paar (bar) 14 Gulden<br />
Den 13ten Sept. 40 Gulden<br />
Den 25ten dito 25 Gulden<br />
Den 2ten Oktobris 12 Gulden 30 Kreuzer<br />
Den 9ten dito 60 Gulden<br />
Den 15ten Oktobris 25 Gulden<br />
Den 5ten Nov: 21 Gulden<br />
Den 6ten Febr: 1727 42 Gulden<br />
Den 5ten April 24 Gulden 52 Kreuzer<br />
Somit insgesamt 264 Gulden 22 Kreuzer 5<br />
Durch Abrechnung prastirter 6 Verpfl egung an das hochfürstlich Würtbergisches Leibregiment<br />
zu Fuß Herrn Obristen von der Stritthorsts Companie nach besonderer, bey der<br />
Statt- und Amtsbeschreibung Registratur befi ndlicher Quartiers-Abrechnung<br />
48 Gulden 40 Kreuzer<br />
Summa der Lieferung 313 Gulden 2 Kreuzer<br />
Restieren hierüber noch 1604 Gulden 17 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Darunter alte Restanten 1499 Gulden 19 Kreuzer 1 Pfennig
Unterschied 107 Gulden 58 Kreuzer<br />
Idem (Ebenso) 1607 Gulden 17 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Statt und Amtskosten<br />
Inhalt vorlaufender Rechnung Fol. 57 und hierbey gehendes Extracts ist der Fleck an<br />
dergleichen schuldig verblieben, wann die fremd auf damahliges laufende zuviel bezahlt<br />
und heuer alß einer Lieferung auf das neue angenommen 26 Gulden 18 Kreuzer 1 Schilling<br />
widrum dazugeschlagen worden<br />
Altes 1039 Gulden 40 Kreuzer 2 Pfennig<br />
Darzu kommt Neues, so an jenigen zu bestreiten<br />
der Statt und Amts Ausgaben von den<br />
Deputierten 7 umzulegen resolvierten<br />
(beschlossenen) 800 Gulden diesem Amts Orth<br />
zugetheilt worden 72 Gulden<br />
1111 Gulden 40 Kreuzer 2 Pfennig<br />
An hirübiger Schuldigkeit wurde vermög<br />
Lieferungs Scheins und der Statt und Amts<br />
Abrechnung geliefert,<br />
1726<br />
Den 16ten August 13 Gulden 46 Kreuzer<br />
Den 2ten Oktobris 12 Gulden 30 Kreuzer<br />
Den 4ten Dec. 7 Gulden 30 Kreuzer<br />
Den 17ten Marty 1727 13 Gulden<br />
Den 2ten May 20 Gulden<br />
Durch Abrechnung Soldaten Servis und Weiber<br />
Verpfl egung kraft besonderer Abrechnung in der<br />
Stattschreiberey befi ndlich 30 Gulden 16 Kreuzer<br />
Durch fremd an laufenden zuviel bezahltes 26 Gulden 10 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Summa 123 Gulden 20 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Rest 988 Gulden 20 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Also dass am laufenden zuviel prastiert und am<br />
neu laufenden abgeschrieben<br />
51 Gulden 20 Kreuzer 1 Pfennig<br />
Mithin verbleiben muß altes das Vormahlige 1039 Gulden 40 Kreuzer 2 Pfennig<br />
Besoldungen<br />
Dem Schulmeister Johann Jacob Michael Schmieder<br />
gebühren zu einer jährlichen Besoldung 6 Gulden<br />
Von der Abendglocke zu läuten 1 Gulden<br />
Und von Schlagung der Orgel 4 Gulden<br />
Welches wir im Manual attestirt zu schon empfangen<br />
11 Gulden<br />
59
60<br />
Dem Dorfschützen Hannß Jerg Becholden gebührt zu<br />
einer Jahresbesoldung 6 Gulden<br />
Sodann vor 1 Paar Schuhe, so in vorgehender Rechnung<br />
sub rubrum in gemein Fol. 89 gelo en 1 Gulden 30 Kreuzer<br />
7 Gulden 30 Kreuzer<br />
Daran diß Jahr gewesenen Nachtwächtern gebührt jedem 8 Gulden<br />
daran in sonderheit Tobias Apfelbachen Theils<br />
durch Abrechnung erhalten 8 Gulden<br />
Andreas Borten dem anderen Nachtwächter 8 Gulden<br />
Wilhelm Becholds Wittib alß geschworener Fraue an<br />
3 Gulden von Georgii 1726 biß Lichtmeß 1727 da selbiger<br />
Verstorben auf 3 Viertel Jahr 2 Gulden 15 Kreuzer<br />
Michael Rimmelmayers Fraue, welche an der ersteren<br />
Stelle angenommen worden von Lichtmeß biß Georgii<br />
1727 3 Gulden 45 Kreuzer<br />
Dem Waldmeister undt Gemeinenbürgermeister alt Andreas Prötzel<br />
gebührt zu Besoldung, so er per Abrechnung erhalten<br />
2 Gulden<br />
Den Anwalden Michael Mörtzen und Balthas Freunden alß<br />
Fleischschätzern jedem 15 Kreuzer und miteinander 30 Kreuzer<br />
Michael Wolpperten und Andreas Lumppen alß beeden<br />
Vorraths Pfl egern miteinander 30 Kreuzer<br />
Nicht jährlich Saltz Bestand-Geld<br />
Gemeine Statt Neuenstatt hat das Privilegium das Saltz-Commercium (den Salzhandel)<br />
entweder selbsten alhier treiben zu dür en oder solches einem andern bestandsweis 8 zu<br />
überlassen.<br />
In meines Antecessoris (Vorgänger) Schlegels Zeit biß Georgii 1725 hat Schlegel selbsten<br />
den Saltzhandel bestanden, in gefolgten 2 Jahren aber musste die Commun (Gemeinde)<br />
selbigen um gewohnliche 4 Gulden Bestandgeld erhalten, welcher dieses Commercium<br />
wie supr. Fol 45b unter gleicher Rubrique zu sehen Johannes Brümmern zu Brettach vor<br />
jährliche 3 Gulden überlassen. Zum Steueramt Neuenstatt aber auf vorgehendes und<br />
dieses Rechnungsjahr vermög Scheins bezahlen ließen<br />
8 Gulden 9<br />
Der Ausschnitt aus der Abrechnung macht<br />
vor allem deutlich, dass von der Gemeinde<br />
für den Württembergischen Staat – besonders<br />
auch im Hinblick auf die hohen<br />
Militäraufwendungen – das wesentliche<br />
Steueraufkommen in die vorgesetzte Verwaltung<br />
fl oss. Auch wenn die Bürgermeisterrechnung<br />
wegen des permanenten<br />
Wechsels zwischen Aktiva und Passiva<br />
nicht immer schlüssig nachvollziehbar ist,<br />
muss festgestellt bleiben, dass diese kleine<br />
Gemeinde, gemessen an dem Jahresgehalt<br />
eines Dorfschullehrers, eine unglaubliche<br />
Steuerleistung erwirtschaftete.<br />
Als von der Gemeinde besoldete Bedienstete<br />
und somit Träger der kommunalen
Verwaltungsaufgaben sind in dieser Abrechnung<br />
aufgeführt:<br />
1. Schulmeister mit Mesnerfunktion<br />
2. der Dorfschütz (Feldschütz)<br />
3. zwei Nachtwächter<br />
4. der Arbeitsplatz für eine „geschworene<br />
Fraue“, als Geheimnisträgerin vermutlich<br />
für amtliche Botengänge und Nebentätigkeiten<br />
im Auftrag des Gemeinderats<br />
(-gerichts) eingesetzt, als<br />
mögliche Verwendung könnte hier<br />
auch das Amt einer Hebamme in Frage<br />
kommen.<br />
5. der Waldschütz, in diesem Fall in Personalunion<br />
mit dem Altbürgermeister<br />
6. zwei Teilzeitarbeitsplätze für Ortsnotare<br />
7. zwei Teilzeitarbeitsplätze für Vorratspfl<br />
eger, das sind die Verwalter eines von<br />
der Gemeinde angelegten Fruchtvorrats<br />
zur Linderung der größten Not bedürftiger<br />
Gemeindemitglieder.<br />
1 Georgii war damals die volkstümliche Bezeichnung für<br />
den Georgstag (23. April).<br />
2 Außerordentliche<br />
3 Vorstehenden Leistungen<br />
4 Folio = Blatt. Bezugnahme auf einen Beleg.<br />
5 Wegen der Wertigkeit von 60 Kreuzern, die einem Gulden<br />
entsprachen, stimmt die Addition so außerhalb des von<br />
uns gewohnten dekadischen Systems.<br />
6 Erklärter oder beschriebener<br />
7 Abgeordneten, das Deputat war eine regelmäßige Leistung<br />
in Naturalien als Teil neben den in Geldwert zu entrichtenden<br />
Abgaben.<br />
8 Für eine gewisse Zeit einem Pächter zu überlassen.<br />
Eine Besonderheit erwähnt der Haushaltsbericht<br />
noch: Es gab in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zum damaligen Zeitpunkt eine Verwaltungseinheit<br />
des Salzmonopols.<br />
Eine erhebliche Neuordnung der Verwaltungszugehörigkeiten<br />
in ganz Württemberg<br />
ergab sich im Rahmen der Reichsdeputations-Hauptschlusses<br />
10 von 1803. Die<br />
Verwaltungs-Hierarchien wurden neu<br />
strukturiert. Wie schon bereits in der Zeit<br />
der kurpfälzischen Regentschaft war für<br />
die drei Ämter Weinsberg, Neuenstadt<br />
und Möckmühl ein gemeinschaftlicher<br />
Obervogt bestimmt worden, während jedem<br />
einzelnen Amt ein Amtmann oder<br />
Oberamtmann vorstand. Nach 1806 gehörte<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> zum Oberamt Neckarsulm.<br />
Im Jahr 1810 wird der gesamte<br />
Oberamtsbezirk der Landvogtei „am unteren<br />
Neckar“ zugewiesen. 1815 wird ein<br />
Unteramt Brettach installiert, dem <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zugeordnet wird.<br />
9 Als Basis der Währung fungierte in Württemberg seit der<br />
ersten Regierungsperiode 1498 bis 1519 Herzog Ulrichs<br />
der Goldgulden. Ein Gulden teilt sich in 60 Kreuzer.<br />
10 Abschlussbericht des letzten bedeutenden Gesetzes des<br />
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, auf der<br />
letzten Sitzung des „Immerwährenden Reichstags“ am 25.<br />
Februar 1803 in Regensburg verabschiedet und mit der<br />
kaiserlichen Unterzeichnung am 27. April 1803 in Kraft<br />
getreten. Dem Text lag ein im Juni 1802 zwischen Frankreich<br />
und Österreich vereinbarter Entschädigungsplan zugrunde,<br />
der auf dem 1801 geschlossenen Friedensvertrag<br />
von Luneville (Art. 7) fußte. (Wikipedia).<br />
61
62<br />
Bevölkerung<br />
Die Bevölkerung im 15./16. Jahrhundert<br />
Aus dem Jahr 1495 hat sich erstmals ein<br />
Hinweis auf alle damals steuerpfl ichtigen<br />
Bürger in <strong>Cleversulzbach</strong> erhalten. In jenem<br />
Jahr erhob Kurpfalz ein „Will- oder<br />
Hilfsgeld“, wobei die Steuerpfl ichtigen ihr<br />
Vermögen selbst deklarierten, um dann<br />
zwei Prozent ihres Vermögens an die kurpfälzische<br />
Regierung abzuführen. In dieser<br />
Steuerliste sind alle 1495 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
vorkommenden Familiennamen der<br />
damaligen Haushaltungsvorstände überliefert:<br />
Brottinger, Diethmar, Eck (2-mal),<br />
Enderlin, Franck (3-mal), Lumpp, Mertz (5mal),<br />
Mewrer oder Meurer, Müller,<br />
Schweicker, Seydenfaden (2-mal), Stelwagen,<br />
Stuchs oder Stüchs (2-mal), Thoman<br />
(2-mal), Walther, Zwaxuff (5-mal), Zymerhans<br />
und Zymerman. Genannt werden<br />
insgesamt 33 Steuerpfl ichtige 1 , darunter<br />
fünf Frauen, von denen zwei als Witwen<br />
bezeichnet werden. Ein Priester wird damals<br />
noch nicht genannt. <strong>Cleversulzbach</strong><br />
hatte 1495 somit 33 Haushaltungen. Multipliziert<br />
man diese Zahl mit vier bis fünf,<br />
so darf man auf eine ungefähre Einwohnerzahl<br />
von 150 schließen 2 .<br />
Die häufi gsten Familiennamen waren<br />
Mertz und Zwaxuff (je 5-mal), gefolgt von<br />
Franck (3-mal) sowie Eck (diese Familie<br />
stellte mit Peter Eck den Schultheißen),<br />
Seydenfaden, Stuchs, Thoman und Zymerman<br />
(je 2-mal). Die Namensbildung war<br />
noch nicht ganz abgeschlossen, worauf<br />
ein Name wie Zymerhans hindeutet. Auf<br />
Berufsbezeichnungen deuten Namen wie<br />
Müller, Zymerman und wohl auch Mewrer.<br />
Häufi gster Vorname war Hans (11-mal),<br />
gefolgt von Wendel (4-mal) und Peter (3mal).<br />
Aufschlussreich sind 1495 auch die Hinweise<br />
auf die Vermögensverhältnisse. Von<br />
33 Haushaltungen besaß nur Walburg<br />
Frenckin kein Vermögen („mer schuldig<br />
dann sie vermage“) und musste mit der<br />
Gebetsform eines Rosenkranzes eine<br />
Steuer der besonderen Art entrichten.<br />
Sechs Haushaltungen besaßen ein sehr<br />
bescheidenes Vermögen zwischen 5 und<br />
20 Gulden. Zu den Besitzern kleinerer Vermögen<br />
von über 20 bis unter 100 Gulden<br />
zählten zwanzig und damit nahezu zwei<br />
Drittel aller damaligen Haushaltungen. Etwas<br />
wohlhabender mit über 100 bis 190<br />
Gulden waren fünf Haushaltungen. Überragt<br />
wurden alle durch den reichsten Bürger<br />
Hans Stuchs, der 575 Gulden versteuerte.<br />
Aus dem Jahr 1525 hat sich ein Verzeichnis<br />
aller Herdstätten und Häuser erhalten,<br />
das nach 1495 zum zweiten Mal alle Familiennamen<br />
bzw. Haushaltungen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
auff ührt 3 . Genannt werden<br />
die Namen: Brummer, Damhart, Diettmar,<br />
Eck, Engelman, Farinßlaid (?), Freund, Geyger,<br />
Henß, Kulwein, Lump (3-mal), Mertz<br />
(12-mal), Munch, Obermüller, Salue oder<br />
Sal, Scheff er, Schneider (2-mal), Stelwag,<br />
Stock, Stuchs (2-mal), Weys, Winther,<br />
Wurm, Zel (von Zel), Zimerman (4-mal)<br />
und Zwaxuff (7-mal). Bei Jörg Freund<br />
handelte es sich sehr wahrscheinlich um<br />
den Schultheißen, da 1518 und 1523 dieser<br />
Name als Schultheiß urkundlich belegt<br />
ist 4 . Die Zahl der Haushaltungen hatte sich<br />
somit zwischen 1495 und 1525 in einem<br />
kurzen Zeitraum von 33 auf 50 erhöht, die<br />
Zahl der Einwohner von rund 150 auf<br />
etwa 225.
Angesichts der gestiegenen Einwohnerzahl<br />
überrascht es nicht, wenn 1525 etliche<br />
neue Familiennamen erscheinen. Von<br />
17 im Jahr 1495 genannten Familiennamen<br />
hatten sich bis 1525 aber nur noch<br />
neun erhalten. Die 1525 am häufi gsten<br />
vorkommenden Namen waren wie schon<br />
1495 Mertz (12-mal) und Zwaxuff (7mal).<br />
Der Wechsel der Familiennamen<br />
deutet, dies zeigt auch ein Blick auf andere<br />
Gemeinden im Gebiet um Heilbronn,<br />
auf eine größere Bevölkerungsbewegung<br />
um 1500. Wie 1495 war auch 1525 Hans<br />
der häufi gste Vorname (15 von 48 Männern).<br />
Nach der Herdstättenliste von 1525 hatte<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> 39 Häuser, die zumeist mit<br />
einem Geldbetrag zwischen 10 und 40<br />
Gulden bewertet wurden. Vier Häuser<br />
wurden mit 44 bis 56 Gulden veranschlagt,<br />
sechs Häuser lagen lediglich bei 6<br />
bis 9 Gulden. Zehn Haushaltungen besaßen<br />
kein eigenes Haus, konnten sich aber<br />
von ihren Äckern oder Weinbergen ernähren,<br />
so dass sie über ein Vermögen zwischen<br />
3 und 65 Gulden verfügten. Nur<br />
Hans Munch hatte weder ein Haus noch<br />
Vermögen.<br />
Bemerkenswert für die Entwicklung im<br />
Ort, aber auch für die wirtschaftlichen<br />
und sozialen Verhältnisse, ist die „Türkensteuerliste“<br />
von 1545 5 . Nachdem die deutschen<br />
Fürsten im Frühjahr 1544 Kaiser<br />
Karl V. Hilfe für einen geplanten Feldzug<br />
gegen die Türken zugesagt hatten, schrieb<br />
Württemberg im November 1544 eine zusätzliche<br />
Steuer (Türkensteuer) aus mit einer<br />
Vermögensabgabe von einem halben<br />
Gulden von 100 Gulden (1 Gulden zu 60<br />
Kreuzer gerechnet). Wer ein geringeres<br />
Vermögen hatte, sollte von 20 Gulden jeweils<br />
6 Kreuzer bezahlen, wer über ein<br />
noch geringeres Vermögen verfügte,<br />
zahlte 4 Kreuzer oder entsprechend weniger.<br />
Veranschlagt wurde daraufhin auch in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> der gesamte Besitz an be-<br />
weglichem und unbeweglichem Gut, der<br />
Besitz an Grund und Boden wurde zum<br />
Kaufpreis bewertet.<br />
Die Zahl der Haushaltungen war bis<br />
1545 auf nunmehr 67 gestiegen, darunter<br />
zwei Witwen, eine weitere Frau und<br />
sechs Pfl egschaften für Kinder. Dies entsprach<br />
einer ungefähren Einwohnerzahl<br />
von 280, wiederum eine Steigerung gegenüber<br />
1525. Lässt man Knechte und<br />
Mägde – sechs Haushaltungen hatten je<br />
einen Knecht, zwei Haushaltungen je eine<br />
Magd – außer Acht, die kein Vermögen<br />
besaßen, so umfasst bei einer Einteilung<br />
in fünf Steuergruppen die niedrigste alle<br />
Vermögen unter 20 Gulden. Zu ihr gehörten<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> vier Vermögenslose.<br />
Mit 4 von 67 oder rund sechs Prozent der<br />
Steuerpfl ichtigen lag dieser Anteil 1545<br />
wesentlich niedriger als im Herzogtum<br />
Württemberg (durchschnittlicher Anteil in<br />
Dörfern 13,5 %). Sie zahlten lediglich eine<br />
„Kopfsteuer“ von 4 Kreuzern. Dafür war<br />
der Anteil der Haushaltungen mit nur<br />
kleineren Vermögen von 20 bis unter 100<br />
Gulden (34 von 67) größer als im Landesdurchschnitt<br />
mit 37,4 Prozent. Zur<br />
Gruppe des „Mittelstandes“ mit Vermögen<br />
von 100 bis unter 500 Gulden zählten 28<br />
von 67 Haushaltungen. Ein noch höheres<br />
Vermögen besaß nur Wendel Zwaxuff der<br />
Junge mit 600 Gulden. Insgesamt gesehen<br />
waren die Vermögensverhältnisse bescheiden.<br />
Mit einem durchschnittlichen<br />
Vermögen von 114 Gulden lag <strong>Cleversulzbach</strong><br />
im damaligen Amt Neuenstadt an<br />
letzter Stelle.<br />
Interessant ist auch ein Blick auf die Familiennamen<br />
1545: Bader, Baumann, Bender<br />
(2-mal), Bischoff , Butner, Eck, Engelman,<br />
Feuer (Fewer), Franck, Freundt, Frey,<br />
Gilg, Hense, Kallenberger, Knechtlin,<br />
Kolblin, Kreußlin, Lump (6-mal), Mertz<br />
(12-mal), Müller oder Muller, Nauer (Nawer),<br />
Roser, Roßler, Salue, Schantzenbach,<br />
Schlegel, Schmidlin, Schneyder, Spitzhut,<br />
63
64<br />
Stuchs (2-mal), Weber, Weys, Winter (4mal),<br />
Wunst (2-mal), Wurm (2-mal), Zimermann<br />
und Zwaxuff (6-mal). Bei dem<br />
genannten Hans Kolblin dürfte es sich um<br />
einen weiteren Angehörigen der Familie<br />
Zwaxuff gehandelt haben, da in einem Lagerbuch<br />
von 1523 ein „Hans Zwaxuff genannt<br />
Kolblin“ erscheint 6 . Die Familien<br />
Lump (Lumpp), Mertz und Zwaxuff traten<br />
weiterhin beherrschend in Erscheinung,<br />
letztere stellte 1545 mit Jung Jakob Zwaxuff<br />
den Schultheißen. 1545 sind zumindest<br />
15 der 1525 bezeugten Familiennamen<br />
noch vertreten, etwa 21 sind neu,<br />
wodurch wie schon 1525 eine starke Bevölkerungsbewegung<br />
in der ersten Hälfte<br />
des 16. Jahrhunderts dokumentiert wird.<br />
Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts stieg<br />
die Einwohnerzahl weiter an. Anlässlich<br />
einer Zählung aller „Burger und Innwohner“<br />
in Württemberg 1598 betrug die Zahl<br />
der Bürger (in früherer Zeit stets im Sinne<br />
von Haushaltungsvorständen) 77, was<br />
etwa 350 bis 380 Einwohnern entsprach.<br />
Da kurz zuvor Württemberg um 1594 von<br />
einer schweren Seuche heimgesucht worden<br />
war, könnte die tatsächliche Zahl um<br />
1590 noch höher gewesen sein.<br />
Kurz nach 1600 sind erstmals Zahlen anlässlich<br />
von Kirchenvisitationen überliefert<br />
7 . 1605 gab es 208 Kommunikanten<br />
(Erwachsene und Jugendliche ab dem 14.<br />
Lebensjahr) und 185 Katechumeni (im Katechismus<br />
unterrichtete Kinder bis zu 14<br />
Jahren), so dass mindestens 393 Einwohner,<br />
möglicherweise noch etwas mehr im<br />
Ort lebten, da 1605 die kleinen Kinder<br />
noch nicht wie seit der zweiten Hälfte des<br />
17. Jahrhunderts gesondert ausgewiesen<br />
wurden. Nur wenig später führten die Er-<br />
eignisse im Dreißigjährigen Krieg (1618–<br />
1648) zum größten Bevölkerungsverlust in<br />
der Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong>. Gab es<br />
um 1630 noch 80 bis 83 Bürger (wiederum<br />
im Sinne von Haushaltungsvorständen)<br />
und damit nahezu 400 Einwohner, so<br />
halbierte sich die Einwohnerzahl in nur<br />
wenigen Jahren nach 1634, als infolge der<br />
Kriegsereignisse nach der Niederlage der<br />
Schweden in der Schlacht bei Nördlingen<br />
über das mit ihnen verbündete Württemberg<br />
eine Zeit größter Not mit Seuchen<br />
und Hungersnöten hereinbrach. Die anlässlich<br />
der Kirchenvisitation von 1654<br />
überlieferte „Seelenzahl“ des Ortes war<br />
auf 200 gesunken.<br />
Nur sehr allmählich stiegen die Einwohnerzahlen<br />
in der zweiten Hälfte des 17.<br />
Jahrhunderts wieder an auf 212 (1661),<br />
266 (1676) und 302 im Jahre 1684. Um<br />
1690 kam es noch einmal zu einem leichten<br />
Rückgang durch die Ereignisse im<br />
Pfälzer Erbfolgekrieg (1688 –1697), als<br />
größere französische Truppenverbände<br />
1688 und 1693 auch die Gegend um Heilbronn<br />
verunsicherten. 1692 wurden 276,<br />
1703 297 und 1706 wieder 303 Einwohner<br />
gezählt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />
erhöhte sich die Bevölkerungszahl nahezu<br />
kontinuierlich über 337 (1726), 347<br />
(1740), 362 (1768), 383 (1779) auf 415 im<br />
Jahr 1783 und hatte erst jetzt den Stand<br />
aus der Zeit vor 1634 wieder erreicht.<br />
Nach einem kurzzeitigen Rückgang um<br />
1790 auf 377 stieg die Zahl der Einwohner<br />
um 1800 wiederum merklich an auf<br />
etwa 480 im Jahr 1806. Nunmehr hatte<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> die Zahlen aus der Zeit vor<br />
dem Dreißigjährigen Krieg sogar deutlich<br />
übertroff en.
1 HStAS ( = Hauptstaatsarchiv Stuttgart) A 109 Bü 9. In der<br />
Literatur, so auch in der 2010 erschienenen Kreisbeschreibung<br />
Heilbronn wird, mit Ausnahme von Gräf (siehe Anm.<br />
5), stets die Zahl 32 genannt. Die richtige Zahl lautet 33.<br />
2 Die Zahl 4,5 wurde auch in der Kreisbeschreibung Heilbronn<br />
von 2010 zugrunde gelegt.<br />
3 HStAS A 54 a Bd. 42<br />
4 HStAS A 44 U 3326 und Thomas Schulz: Altwürttembergische<br />
Lagerbücher aus der österreichischen Zeit 1520–<br />
1534, Stuttgart 1991, S. 512.<br />
5 HStAS A 54 a Bd. 151. Hierzu und zu der noch angeführten<br />
Bürgerzählung von 1598 Wolfgang von Hippel (Hg.):<br />
Türkensteuer und Bürgerzählung. Statistische Materialien<br />
zu Bevölkerung und Wirtschaft des Herzogtums Württemberg<br />
im 16. Jahrhundert, Stuttgart 2009. Vgl. für 1495<br />
und 1545 auch die Hinweise bei Hartmut Gräf: Die Ämter<br />
Neuenstadt am Kocher und Weinsberg an der Wende zur<br />
Neuzeit, Ostfi ldern 2004, insbes. S. 56 ff .<br />
6 Vgl. Schulz (wie Anm. 4) S. 516.<br />
7 Die Zahlen nach 1600 anlässlich von Kirchenvisitationen<br />
HStAS Bestand A 281, für die Zeit um 1630 nach Wolfgang<br />
von Hippel: Das Herzogtum Württemberg zur Zeit<br />
des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2009.<br />
65
66<br />
Lebensgrundlagen eines <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgers –<br />
Ein Ausschnitt aus dem Dorfbuch 1626<br />
Wer waren die Bürger in <strong>Cleversulzbach</strong>?<br />
Wie lebten sie? Wo wohnten sie?<br />
Ein Beispiel aus dem Dorfbuch – der Bürger<br />
Hanns Röger – mag uns jene Zeit näher<br />
bringen. Hier steht anschaulich nachzulesen,<br />
wie die damaligen Lebensverhält-<br />
Der <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürger Hanns Röger und<br />
sein Besitz – Ausschnitt aus dem Dorfbuch<br />
(Blatt 273)<br />
nisse aussahen und welche Bedingungen<br />
den Alltag prägten.<br />
Die Aufstellung über Hanns Rögers Besitz<br />
umfasst insgesamt über neun Seiten, von<br />
denen hier nur die erste abgedruckt und<br />
transkribiert wurde.<br />
Hanns Röger<br />
Behaußung<br />
1 Behaußung, 1 Scheuren undt<br />
ein Gärtlein oben im Dorff<br />
zwischen Michel Lumpp undt<br />
alt Balthas Freundt, zinßt<br />
dem Hailgen zur Newenstatt<br />
jährlich 14 d 80 fl<br />
den 4 Theil Scheuren unden<br />
im Dorff zwischen den gemeinen<br />
weeg und Hanß Wägelein,<br />
ist g[nädiger] Herrschaft gültbar 8 fl 30 x<br />
Ein Keller oben ihm Dorff zwischen<br />
Jörg Bentzen und Jacob Beuren<br />
Anschlag 4 fl<br />
den 4 Theil an einer Scheuer unden<br />
ihm Dorff zwischen Hanß Wägelein<br />
und ihnen …(?) selbsten zinß<br />
g[nädiger] Herrschaft jährlich 2 heller<br />
Anschlag 12 ½ fl<br />
Noch ein Behaußung, Scheuren und Hoff raidung<br />
samb ein Stück Graß und Baumgarten oben<br />
ihm Dorff zwischen Jörg Bentzen und dem<br />
gemeinen weeg gelegen güld der Herschaff t<br />
jarlich ein Fasnachtshuhn, dem Appt von<br />
Schönthal an Geld<br />
…(?) dem hailgen zur Neuwenstad 18 d1<br />
und dem hailgen alhie 4 d<br />
Anschlag 7 d<br />
275 fl<br />
1 d = Denar<br />
Norbert Gessner
Zur Bevölkerungsstatistik im 19. Jahrhundert – Aus<br />
den Aufzeichnungen des Totenregisters 1842 bis 1871<br />
Kurz vor dem Auszug von Eduard Mörike<br />
wurde für <strong>Cleversulzbach</strong> ein neues Leichenschau-Register<br />
angelegt, das lückenlos<br />
über eine ganze Generation weitergeführt<br />
wurde. Der erste Eintrag fi ndet sich<br />
am 4. Januar 1842, und die Aufzeichnungen<br />
enden mit der Beglaubigung am 25.<br />
Juni 1872. Dieses Buch ist insofern für uns<br />
interessant, als wir u. a. Einblick erhalten<br />
in die Altersstruktur der Gemeinde, in<br />
Krankheiten, die zum Tode führten, in die<br />
Kindersterblichkeit usw. Aber auch Fragen,<br />
die besondere Unglücksfälle oder skurrile<br />
Vorkommnisse betreff en, lassen sich mit<br />
Hilfe der Aufzeichnungen beantworten.<br />
Eintragungen im Leichenschauregister<br />
Der Bericht über einen Sterbefall enthielt<br />
im Allgemeinen Angaben über Todestag,<br />
Namen und Familienzugehörigkeit des<br />
Verstorbenen, sein genaues Alter; des Weiteren<br />
die Stunde des Ablebens, die Todesart,<br />
bzw. Verweise auf vorangegangene<br />
Leiden und den behandelnden Arzt; darüber<br />
hinaus den Termin des Begräbnisses.<br />
Der Leichenschauer musste die Leiche<br />
Auszug aus dem Leichenregister 1842<br />
zweimal in Augenschein nehmen, um den<br />
Tod zweifelsfrei feststellen zu können. Nur<br />
in besonderen Fällen konnte er es bei nur<br />
einer Überprüfung bewenden lassen. Dies<br />
wurde unter der Rubrik „Bemerkungen“<br />
– zusammen mit anderen evtl. anfallenden<br />
Besonderheiten – aufgeführt. Unterließ<br />
der Leichenschauer diese Eintragungen,<br />
so kam es zu Nachfragen, Untersuchungen<br />
und Rügen (z. B. am 23. Juni<br />
1859 oder am 24.–26. Dezember 1869<br />
und in besonders scharfer Form am 29.<br />
Dezember 1869: „… der Leichenschauer<br />
hat sich hierüber zu verantworten“), die<br />
ggf. gesondert protokolliert wurden. Parallel<br />
zu diesen Revisionen wurde die Übereinstimmung<br />
der Angaben mit dem pfarramtlichen<br />
Totenregister durch den Pfarrer<br />
der Gemeinde bestätigt. Verantwortlich<br />
war der Leichenschauer dem Oberamtsphysikus<br />
Michel in Neckarsulm.<br />
In der Rubrik „Bemerkungen“ fi ndet sich<br />
insbesonders für die Sommermonate (Juni<br />
bis September) immer wieder der Hinweis<br />
auf schnelle Verwesung. Dies verwundert<br />
nicht, waren doch die Kühlmöglichkeiten<br />
67
68<br />
zur damaligen Zeit außerordentlich beschränkt.<br />
So konnte die Beerdigung auf<br />
Wunsch der Angehörigen z. B. wegen starker<br />
Verwesung und des einsetzenden Geruchs<br />
vorverlegt werden. „Die Verwesung<br />
ging so schnell, daß man die gesetzliche<br />
Zeit nicht aufwenden kann.“ Dasselbe galt<br />
für Fälle, in denen der „wahre Todt“ unzweifelhaft<br />
feststand, u. a. bei einem Säugling,<br />
der sich bereits bei der Geburt in einem<br />
mumienartigen Zustand befand.<br />
Auch unsachgemäße Lagerung machte<br />
eine vorzeitige Beerdigung notwendig: Der<br />
Leichnam, welcher 16 Stunden am geheizten<br />
Ofen im Bett lag, ging rasch in Verwesung<br />
über u. konnte schon vor gesezlicher<br />
Zeit beerdigt werden. (19. Februar 1869)<br />
In der Regel fand die Beerdigung zwei<br />
Tage nach dem Eintritt des Todes statt.<br />
Um für eventuelle Fälle von Scheintod<br />
Vorsorge zu treff en, wurden die Särge oft<br />
mit Alarmvorrichtungen versehen. Darüber<br />
erfahren wir allerdings im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Leichenschau-Register nichts.<br />
Leichenschauer<br />
Der erste Leichenschauer, der im Buch Erwähnung<br />
fi ndet, hatte sein Amt in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ab 1842 inne. Es war Johann Plenefi<br />
sch, der im Jahr 1854 die Geschäfte an<br />
Leichenschauer Kuntzmann übergab, welcher<br />
ebenfalls 12 Jahre sein Amt ausübte<br />
und 1866 an Braun weiterleitete, der ab<br />
1868 an Johann Christof Plenefi sch, und<br />
dieser wiederum ein Jahr später an Leichenschauer<br />
Hanss übergab.<br />
Die behandelnden Ärzte für den in Frage<br />
kommenden Zeitraum waren vor allem<br />
Dr. Ellsaesser<br />
Oberamtsarzt Mesmer<br />
Dr. Adae (ab 1853)<br />
Dr. Lang aus Neuenstadt (1854)<br />
Gelegentlich fi ndet sich der Eintrag von<br />
Chirurg Braun aus Brettach, der auch als<br />
Geburtshelfer fungierte und in Einzelfällen<br />
das Amt der Hebamme übernahm.<br />
Die Übereinstimmung der Berichte mit<br />
den Kirchenakten wurde von Pfarrseite<br />
bestätigt, eine Vorgehensweise, die besonders<br />
durch einen entsprechenden Eintrag<br />
vom 12. Juli 1843 Gewicht erhält, den<br />
Pfarrer Eduard Mörike handschriftlich tätigte<br />
und unterschrieb. Dies war für die<br />
Jahre 1842 und 1843 Mörikes einziger<br />
Eintrag und kann als Hinweis darauf gelten,<br />
dass der Pfarrer ihm lästige Amtsgeschäfte<br />
lieber seinem „Vicar Sattler“ überließ.<br />
Die endgültige Entlastung des Leichenschauers<br />
erfolgte ursprünglich durch den<br />
Ortsarzt, bzw. Pfarrer, ab 1852 in regelmäßigen<br />
Abständen durch die Verwaltungsinstanz<br />
in Neckarsulm, und zwar in<br />
Person des königlichen Oberamtsphysikus<br />
Michel. Für die Jahre ab 1866 fi nden<br />
sich in der Funktion des Revisors weitere<br />
Namen: Bruckmaier, Ludwig und Kielmayer.<br />
Todesursachen<br />
Die Auszählung der Jahre 1842 bis 1843<br />
erbrachte als häufi gste Todesursachen,<br />
bzw. Krankheiten, die zum Tode führten:<br />
28 x Formen des Gichter 1 (Schlag-,<br />
Krampf-, Zehrgichter)<br />
11 x Wassersucht<br />
9 x Fieber (Schleim-, /Zehrfi eber)<br />
7 x Auszehrung<br />
4 x Schlagfl uss<br />
Lungenentzündung und Lungenschwindsucht<br />
Ruhr und Brechruhr<br />
Altersschwäche<br />
Weitere Krankheiten mit Todesfolge waren:<br />
Unterleibsentzündung, Luftröhrentzündung,<br />
Rotlauffi eber, Steckfl uss, Gallenfi eber,<br />
Wechselfi eber, hitziges Nervenfi eber,<br />
Brustentzündung, Krampf- und Zehrhusten.<br />
Darüber hinaus werden oft Früh-<br />
oder Totgeburten angeführt.
Diagnose- und Therapiemöglichkeiten eines<br />
Landarztes scheinen zur damaligen<br />
Zeit noch nicht weit entwickelt gewesen<br />
zu sein. Anders lässt sich kaum erklären,<br />
dass zu Krankheiten keine spezifi schen<br />
Angaben gemacht werden. So werden<br />
z. B. Gelbsucht und „Diphteritis“ erstmals<br />
1867 im Register angeführt.<br />
Unglücksfälle mit Todesfolge<br />
Natürlich gab es auch in einem kleinen<br />
Flecken wie <strong>Cleversulzbach</strong> immer wieder<br />
Fälle, wo Einwohner aus anderen als medizinischen<br />
Gründen zu Tode kamen.<br />
Einige Beispiele, die hier in der originalen<br />
Schreibweise abgedruckt werden, sollen<br />
dies illustrieren:<br />
Durch den Windsturm erstikt gefunden<br />
am Weg zwischen Langenbeutingen und<br />
Clever sulzbach am 12. Januar Mittag 12<br />
Uhr<br />
Johanna Regina<br />
(getrennte) Ehefrau<br />
des Johann Friedrich<br />
Widmann, Baumgärtner<br />
… ist durch Friedrich Kuttru<br />
ledig mit einem Kutschen<br />
pferd Sprung zu boten geworfen<br />
worden und tödlich verwundet<br />
worden<br />
diß Kind ist in der Kelder<br />
herum gelofen und sich denen<br />
woin der Kelder waren<br />
auf kleine Zeit entfernt<br />
und im Zittrich2 (Cidre/Apfelmost) am<br />
Bith (Bütte)<br />
ertrunken<br />
(3. Nov. 1847) Sohn des Schultheißen<br />
Lumpp<br />
durch einen Fall verschrenkte<br />
er den Rücken<br />
und Halsader<br />
u. lebte nur 6 Tage.<br />
Als besonders interessante Bemerkungen<br />
seien noch folgende Einträge angeführt:<br />
Michael Andreas Bay Bäker Meister<br />
und Löwenwirth dahier 26 J. 9 M. 18 T.<br />
(starb) „durch einen Schlag am Hirn“<br />
14. April 1869 Nummer 13 und 14<br />
(Zwillinge)<br />
Anonymus<br />
Söhnl(ein) des Joh. Schlegel<br />
Alter 1 Minute (todtgeboren)<br />
Bemerkung:<br />
„der Leichenschauer erfuhr erst nach dem<br />
3t Tag den Tod dieser Zwillinge, die<br />
künstlich zur Welt befördert worden seyn,<br />
daher, nur eine Leichenschau.“<br />
Zusatz:<br />
„Nach dem Tagebuche der Hebamme<br />
Siegle totgeboren. Ein oder zwei Minuten<br />
sind immer = todtgeboren.“<br />
Off enbar spielte es eine große Rolle, ob<br />
ein Neugeborenes „an der Mutter Brust<br />
trank“, wenigstens mehr als einige<br />
Minuten lebte, „eine ohnzeidige Geburdt“<br />
war oder „dodt gebohren“.<br />
Kindersterblichkeit<br />
Kindersterblichkeit war insgesamt im dokumentierten<br />
Zeitraum sehr verbreitet.<br />
Nach den Angaben im Leichenschau-Register<br />
verlief sie wellenartig und scheint<br />
besonders in den Jahren 1848/49,<br />
1857/58 und später in der ganzen Dekade<br />
nach 1861 auff ällig hoch gewesen<br />
zu sein.<br />
Ein Blick auf die Häufi gkeit von Kindstod<br />
(im ersten Jahr) mag dies, beispielhaft für<br />
den Zeitraum 1857/58, verdeutlichen:<br />
69
70<br />
Totgeburten (1857/58)<br />
24. Abrill 1857 ohne Nahmen, Sönlein der Juliane Chatrine Bremmer Unehlich<br />
gebohren dessen Vatter Mardin Bremmer<br />
8. Dez. 1857 ohne Nahmen, Mägdlein der Machdalene Siegle Unehlich gebohren<br />
dessen Vatter Daniel Siegle Bürcher (Bürger)<br />
5. Aug. 1858 ohne Nahmen, todtgebohrenes Megtlein des Christian Stahl,<br />
Bürcher u. Schneider hier u. dessen Efrau eine gebohr. Stefan<br />
26. Dez. 1858 ohne Nahmen, Todt gebohrenes Megtlein der Lowise (Luise)<br />
Wavenschmidt, ledig, ist Unehlich gebohren3 Die Statistik zeigt vier Totgeburten (davon<br />
drei von ledigen Müttern) und 20<br />
Todesfälle von Kindern im ersten Lebensjahr<br />
(vgl. Tabelle unten). Verteilt man die<br />
Zahlen gleichmäßig auf den genannten<br />
Zeitraum, so starb alle vier bis fünf Wochen<br />
ein Kind im Alter von unter einem<br />
Jahr.<br />
Kindstod im ersten Lebensjahr (1857/58)<br />
2. Februar 1857 1 Tag ohne Nahmen, Knäblein der Pauline Gohl<br />
Unehlich gebohren dessen Vatter Christian Gohl<br />
26. Merz 1857 15 Tage Christianne Christine Mägtlein des Gottfried<br />
Lumpp Bürcher u Bauer Gemeinderath hier<br />
27. März 1857 16 Tage Loise Hellene Mägtlein des Gottfried Lumpp<br />
Bürcher u Bauer Gemeinderath hier<br />
3. May 1857 7 M. 12 T. Friederike Karoline Mägtlein der Friederike<br />
Stegele Unehlich gebohren<br />
9. Juli 1857 4 Monate Friedrich Gottlob Sönlein des Franz Lumpp<br />
Bürcher u Bauer allhie<br />
9. Juli 1857 5 Tage Gottlob August Sönlein des Heinrich Lumpp<br />
Bürcher u wewer hier<br />
18. August 1857 1 M. 3 T. Karl Friedrich Sönlein des Gottlieb Schukraft<br />
Bürcher und Schumacher hier<br />
1. September 1857 8 Tage Johanna Willhelmine Kind des Gottlob Lumpp<br />
Bürcher u. Bauer hier<br />
25. September 1857 14 Tage Carl Willhelm Sönlein des Franz Kuttruf<br />
Bürcher u Bauer hier<br />
2. Februar 1858 3 M. 27 T. Karll August Sönlein des Gottlieb Schuler<br />
Bürcher u Bauer hier<br />
3. Abrill 1858 9 M. 4 T. Christine Magdalene Mägtlein des Gottlob<br />
Herrmann Bürcher u Bauer hier<br />
28. Juni 1858 4 M. 13 T. Christiane Machdalene Kindt des Johann Bordt<br />
Bürcher und Bauer hier<br />
7. October 1858 12 T. Johann Gottlob Kindt des David Volpp,<br />
Bürcher und Bauer hier
25. October 1858 1 M. 27 T. Gottlieb Christoph Kindt der Caroline Schwenser<br />
von Brettach; beyde unehlich gebohren<br />
das Kindt ist hier bey der Wiedmann ihn der Kost<br />
7. November 1858 7 M. 27 T. Rosina Caroline Kindt des Christoph Bazer<br />
Bürcher u Wenger hier<br />
13. November 1858 2 M. 18 T. Karll Gottfried Sönlein des Gottfried Bordt<br />
[…] Bürcher und Bauer hier<br />
16. Nov. 1858 21 T. Karoline Augustine Kind der ledigen Karoline<br />
Keller von hier unehlich gebohren<br />
6. Dez. 1858 3 M. 7 T. Christian Friedrich Kindt der Karoline Schwenser<br />
von Brettach beide unehlich gebohren Kostkind<br />
der Widtib Wiedmann<br />
13. Dez. 1858 7 M. 24 T. Christian Jacob, Sönlein des Philipp Rausch von<br />
Brettach Kost Kind der Widib Wiedmann von hier<br />
29. Dez. 1858 1 Tag Ohne Namen Megdlein der ledigen Lowise<br />
Wavenschmidt von hier ist unehlich gebohren<br />
Wie hoch die Sterblichkeitsrate bei Kindern<br />
im Verhältnis zur erwachsenen Dorfbevölkerung<br />
tatsächlich war, zeigt die ge-<br />
Jahr 0 unter<br />
1 Jahr<br />
1–20<br />
J.<br />
21–40<br />
J.<br />
41–60<br />
J.<br />
nauere Betrachtung der entsprechenden<br />
Daten (1842–1871) aus dem Leichenschau-Register:<br />
61–80<br />
J.<br />
über<br />
80 J.<br />
gesamt unter<br />
21 J.<br />
voll-<br />
jährig<br />
1842 0 5 1 2 2 6 0 16 6 10<br />
1843 0 13 7 0 4 3 0 27 20 7<br />
1844 2 5 0 1 4 4 0 16 7 9<br />
1845 2 13 3 2 4 3 0 27 17 9<br />
1846 3 10 2 0 4 2 1 22 15 7<br />
1847 1 8 2 3 5 5 0 24 11 13<br />
1848 1 14 7 1 3 5 0 31 22 9<br />
1849 2 8 10 3 3 2 0 28 20 8<br />
1850 2 13 2 2 3 2 1 25 17 8<br />
1851 1 5 1 1 1 4 1 14 7 7<br />
1852 1 5 5 2 3 10 0 26 11 15<br />
1853 2 6 10 0 2 2 0 22 18 4<br />
1854 5 10 6 1 3 6 0 31 21 10<br />
1855 2 4 3 1 7 9 0 26 9 17<br />
1856 1 6 4 0 4 4 0 19 11 8<br />
1857 3 9 3 1 3 1 1 21 15 6<br />
1858 2 12 5 3 2 3 2 29 19 10<br />
71
72<br />
Jahr 0 unter<br />
1 Jahr<br />
1–20<br />
J.<br />
21–40<br />
J.<br />
41–60<br />
J.<br />
61–80<br />
J.<br />
über<br />
80 J.<br />
gesamt unter<br />
21 J.<br />
voll-<br />
jährig<br />
1859 2 3 2 5 5 3 0 20 7 13<br />
1860 0 6 3 2 4 1 0 16 9 7<br />
1861 1 14 6 2 2 1 1 27 21 6<br />
1862 1 11 18 15 3 6 0 54 30 24<br />
1863 0 14 8 1 1 7 0 31 22 9<br />
1864 0 7 2 5 5 4 0 23 9 14<br />
1865 2 13 4 0 3 3 0 25 19 6<br />
1866 2 14 5 0 7 3 0 31 21 10<br />
1867 2 15 5 3 2 5 0 32 22 10<br />
1868 1 13 7 6 1 4 1 33 21 12<br />
1869 5 10 4 2 2 9 0 32 19 13<br />
1870 0 14 2 1 5 5 1 28 16 12<br />
1871 0 10 7 4 2 2 0 25 17 8<br />
Jahre mit signifi kant hohen Todesraten<br />
(vgl. in der Spalte „gesamt“ die fett gedruckten<br />
Zahlen) sind immer auch Jahre,<br />
in denen überproportional viele Kinder<br />
und Jugendliche starben.<br />
Bemerkenswert ist auch, dass in den 30<br />
Jahren des Untersuchungszeitraumes le-<br />
1 Gichter (alemannisch für Krampf; in der Fachliteratur Eklampsie<br />
genannt, s.u. Fraisen, Kopfkrämpfe, Zahnkrämpfe),<br />
verschiedene meist krampfhafte Krankheitserscheinungen<br />
bei Kindern, deren Ursachen sehr verschieden sein können.<br />
Pierer‘s Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859.<br />
Eklampsie (griech.), eine Krankheit des Nervensystems,<br />
äußert sich durch Krampfanfälle, die mit Bewusstlosigkeit<br />
verbunden sind. Die E. der Kinder (Eclampsia infantum) ist<br />
eine meist auf einer erblichen Disposition des Nervensystems<br />
beruhende häufi ge Erscheinung, stellt indessen kein<br />
diglich neun <strong>Cleversulzbach</strong>er Einwohner<br />
über 80 Jahre alt wurden. Älteste Seniorin<br />
war Christina Chatrina Keiser, die am<br />
2. Januar 1857 im gesegneten Alter von<br />
87 Jahren verschied.<br />
in sich geschlossenes Krankheitsbild dar, sondern ist meist<br />
die Folge anderweitiger krankhafter Zustände. […]<br />
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig<br />
1906.<br />
2 Zittrich (auch Zitter), abgeleitet von (fr. cidre; engl. cider)<br />
Obstmost, meist aus Äpfeln hergestellt.<br />
3 Dieser Eintrag fi ndet sich am 29. Dezember 1858 nochmals,<br />
dort wird als Alter jedoch 1 Tag angegeben. Unter<br />
der Rubrik „Bemerkungen“ wird dies allerdings relativiert:<br />
das Kindt wahr so Schwach, daß Man kaum ein Leben<br />
Bemerkte. Es wahr nur 6 Minuten alt.
Einwanderung und Auswanderung<br />
Zuzug und Wegzug –<br />
Ausnahme oder Normalfall?<br />
Die Einwohner eines Dorfes galten früher<br />
als verschworene Gemeinschaft, die gegen<br />
fremde Zuwanderer Argwohn hegte und<br />
Wegziehende insgeheim vielleicht beneidete,<br />
aber doch auch für treulos hielt.<br />
Eine geschichtliche Betrachtung über die<br />
Jahrhunderte zeigt jedoch, dass Zu- und<br />
Abwanderung mal mehr mal weniger zur<br />
Lebenswirklichkeit gehörte – auch in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Die große Mobilität der letzten Jahrzehnte<br />
hat unseren Blick auf Bevölkerungsbewegungen<br />
jedoch völlig verändert: Zuzug<br />
und Wegzug sind nicht mehr die Ausnahme,<br />
sondern eher die Regel. Von den<br />
knapp zwei Dutzend Kindern des <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Kindergartens im Sommer<br />
2010 hatten nur etwa die Hälfte wenigstens<br />
ein <strong>Cleversulzbach</strong>er Großelternteil,<br />
vier waren Ausländer, alle übrigen waren<br />
Kinder von Zugewanderten. Und wir ahnen,<br />
dass von den zwei Dutzend Kindern<br />
wohl nur eine Handvoll – wenn überhaupt<br />
– ihr Erwachsenenleben ganz oder wenigstens<br />
teilweise in <strong>Cleversulzbach</strong> verbringen<br />
wird.<br />
Jahrhundertelanges Kommen und<br />
Gehen:<br />
Gesinde und Handwerksburschen<br />
Die Bevölkerungsbewegungen bis zum Beginn<br />
des 19. Jahrhunderts sind an anderer<br />
Stelle dieser Jubiläumsschrift beschrieben.<br />
Der folgende Beitrag beschränkt sich auf<br />
die Veränderungen seit dem Ende der Napoleonischen<br />
Kriege (1815) – wohl wissend,<br />
dass der häufi ge Wechsel von<br />
Knechten und Mägden, die oft nur für ein<br />
oder zwei Jahre am Ort blieben, oder der<br />
nur Tage oder Wochen dauernde Aufenthalt<br />
von Handwerksgesellen auf der Walz<br />
natürlich von diesen weltgeschichtlichen<br />
Ereignissen kaum beeinfl usst wurden. Die<br />
Auswanderung von alteingesessenen <strong>Cleversulzbach</strong>ern<br />
nach Russland, später aber<br />
vor allem nach Amerika, in die Kapkolonie<br />
und nach Australien, wurde als etwas völlig<br />
Neues wahrgenommen.<br />
Anfänge der Auswanderung nach<br />
Amerika:<br />
Klagen über Abgaben und Frondienste<br />
Am 6. Mai 1817 machten sich acht auswanderungswillige<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er auf<br />
den Weg nach Neckarsulm, um im dortigen<br />
Oberamt ihre Beweggründe zu Protokoll<br />
zu geben. Am Ortsausgang schrien ihnen<br />
die Dorfbewohner noch nach, sie sollten<br />
mit ihren Beschwerden nicht hinter<br />
dem Berg halten. Der Sprecher der Gruppe,<br />
Christian Hörrmann (Herrmann), fand<br />
deutliche Worte: Steuern, Abgaben und<br />
Frondienste seien eine drückende Last und<br />
die Willkür der Magistratspersonen wie<br />
Schultheiß, Bürgermeister und Schreiber<br />
sei kaum zu ertragen. Auswanderung sei<br />
der einzige Ausweg. Der junge Beamte,<br />
der ihre Aussagen protokollierte, war der<br />
aus Stuttgart angereiste Rechnungsrat<br />
Friedrich List. Er sollte im Auftrag des Ministeriums<br />
des Inneren die Motive für das<br />
Auswanderungsfi eber erforschen, das im<br />
Frühjahr 1817 Tausende erfasst hatte. Waren<br />
1815 im ganzen Königreich nur drei<br />
Württemberger als Auswanderer registriert<br />
worden, schwoll der Strom der Auswanderungswilligen<br />
nach einer schlimmen<br />
Missernte im Jahr 1816 unter chaotischen<br />
Begleiterscheinungen an. Allein im Heilbronner<br />
Hafen lagerten Anfang Mai 700<br />
Menschen, um auf dem Schiff sweg zu einem<br />
niederländischen Hafen und weiter<br />
nach Amerika zu kommen. Die Regierung<br />
wollte zunächst die Auswanderung unter-<br />
73
74<br />
binden, dann in geordnete Bahnen lenken.<br />
Friedrich List sollte hierfür die Grundlagen<br />
erforschen. Die Motive, die List bei seiner<br />
Befragung von über zweihundert Auswanderungswilligen<br />
aus den Oberämtern<br />
Weinsberg, Heilbronn und Neckarsulm<br />
protokollierte, galten eigentlich trotz einiger<br />
politischer Reformen bis 1914: vor allem<br />
wirtschaftliche Not, aber auch mangelnde<br />
politische Freiheit.<br />
Von den acht <strong>Cleversulzbach</strong>er Auswanderungswilligen<br />
von 1817 sind vermutlich<br />
nur zwei oder drei tatsächlich nach Amerika<br />
gekommen. In Amsterdam und anderen<br />
Kanalhäfen stauten sich die verzweifelten<br />
Massen, denn nur gegen Barzahlung<br />
(ca. 170 Gulden für Erwachsene und<br />
85 Gulden pro Kind) konnte man die sieben-<br />
bis zehnwöchige Segelschiff sreise<br />
antreten. Das so genannte Redemptioner-<br />
System, nach dem die Kapitäne die<br />
Schiff spassage vorfi nanzierten, war unter<br />
dem Massenansturm zusammengebrochen.<br />
Die Kapitäne fanden keine Dienstherren<br />
mehr, die ihnen die Auswanderer<br />
„abkauften“, um sie dann mehrere Jahre<br />
lang die Schiff spassage abarbeiten zu lassen.<br />
Die Niederlande ließen deswegen ab<br />
Sommer nur noch Auswanderer einreisen,<br />
die genügend Geld für die Überfahrt<br />
nachweisen konnten. Enttäuschte Rückkehrer,<br />
die vor ihrer Abreise Hab und Gut<br />
verkauft hatten, begegneten auf Rhein<br />
und Neckar hoff nungsvollen Auswanderern.<br />
Um das Unglück voll zu machen, fi el<br />
auch 1817 die Ernte bösen Unwettern<br />
zum Opfer.<br />
Immerhin gelang Johann Christian Stahl,<br />
ein Sohn des von List befragten, damals<br />
schon 60-jährigen Johann Martin Stahl,<br />
die Auswanderung. In einem Brief vom 6.<br />
März 1819 aus der Kleinstadt Oley in<br />
Pennsylvania berichtet er seinem Bruder<br />
von der geglückten siebenwöchigen Seereise.<br />
Jetzt lebe er wie ein Beamter in<br />
Deutschland der große Besoldung hat. […]<br />
Wer in diesem Amerika arbeiten will, der<br />
kann leben als wie ein Edelmann. Nur eines<br />
stimmt ihn traurig: Ich denke wir werden<br />
einander nimmermehr sehen. 1<br />
Frühes 19. Jahrhundert:<br />
Russland lockt mit Privilegien<br />
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
war auch Russland, das ohne lästige Ozeanüberquerung<br />
zu erreichen war, Auswanderungsziel.<br />
Aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
machten sich 1834 der Maurer und Steinhauer<br />
Martin Stahl mit Frau und Kind und<br />
Weber 2 Johann Christoph Plenefi sch mit<br />
Ehefrau, Mutter und einem Kind nach<br />
Russisch Polen bey Warschau 3 auf den<br />
Weg. Die Ansiedlung dort war kein Erfolg<br />
und die meisten dieser „Warschauer Kolonisten“<br />
zogen weiter nach Bessarabien, wo<br />
seit 1814 – mit Privilegien des Zaren ausgestattet<br />
– Deutsche in geschlossenen<br />
Siedlungsgebieten bis zu ihrer Umsiedlung<br />
1940 lebten. Johann Christoph Plenefi sch<br />
(1799–1868) kehrte allerdings mit seiner<br />
Familie in die alte Heimat zurück und<br />
schlug sich recht und schlecht als Weber<br />
durch. Gemeinde und Oberamt bestanden<br />
zunächst darauf, dass er wieder nach Polen<br />
zurükkehren muß, wohin er gehört 4 ,<br />
doch zeigte sich der Gemeinderat am<br />
11. Dezember 1837 gnädig und nahm ihn<br />
nach hinlänglicher Berathung 5 gegen<br />
eine Gebühr von 25 Gulden wieder in die<br />
Bürgerschaft auf.<br />
So gut war es seinem jüngeren Bruder drei<br />
Jahre zuvor nicht ergangen. Der ledige<br />
Schneider Christian Plenefi sch (* 1804) war<br />
1831 mit seiner Schwester Sabina Magdalena<br />
(* 1802) gleich nach Bessarabien ausgewandert<br />
6 , von dort aber 1834 zurückgekommen.<br />
Ihn wollte man jedoch keinesfalls<br />
wieder im Dorf haben. Der Gemeinderat<br />
bewilligte Schuhmacher Abraham<br />
Freundt, der ihn 21 Tage verköstigt hatte,<br />
zwei Gulden und sechs Kreuzer Kostgeld<br />
und bezahlte auch die für die Reise durch
Bayern und Österreich angefertigten<br />
Schuhe. Sie kosteten zwei Gulden und<br />
zwölf Kreuzer. 7 Christian Plenefi sch erklärte<br />
am 16. August 1834 dem Gemeinderat,<br />
er seye […] entschlossen, wieder<br />
nach Russland bey Bessarabie Collonie<br />
Gnadenthal zu Reisen und sich dort häuslich<br />
niederzulassen und bat, man möchte<br />
ihm verwilligen, aus der Gemeindekasse<br />
[…] ein Reißegeld von 10 f. Er versprach,<br />
dass er von der hiesigen Comun niemals<br />
mehr etwas verlangen werde, indem er<br />
Deutschland nicht wieder besuchen wolle. 8<br />
Der Gemeinderat ließ ihn gerne ziehen und<br />
bezahlte auch die Gebühr von 48 Kreuzern<br />
für den Reisepass an das Oberamt. 9<br />
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert:<br />
Magneten – Neue Welt und Industrie<br />
Die Bevölkerungsentwicklung im 19. und<br />
frühen 20. Jahrhundert legt nahe, dass<br />
eine kontinuierliche Abwanderung aus<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> stattfand. Kinderreichtum<br />
und verbesserte medizinische Versorgung,<br />
beispielsweise die seit 1817 auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
durchgeführten Pockenimpfungen<br />
10 , hätten eigentlich zu einem kräftigen<br />
Einwohnerwachstum führen müssen.<br />
Die Zahlen der Ortseinwohner zeigen<br />
jedoch nur einen bescheidenen Anstieg,<br />
ab ca. 1880 sogar einen Rückgang. Die Industrialisierung<br />
zog Menschen aus dem<br />
ländlichen <strong>Cleversulzbach</strong> ab. Das örtliche<br />
Handwerk litt unter der Konkurrenz der<br />
Industrie und die fortschreitende Mechanisierung<br />
in der Landwirtschaft bot immer<br />
weniger Menschen Arbeit und Brot. Außerdem<br />
unterstützte die Gemeinde die<br />
Auswanderung von Ortsarmen – manchmal<br />
mit beträchtlichen Zuschüssen, um<br />
die Armenkasse zu entlasten. Und schließlich<br />
sahen manche in der Auswanderung<br />
den einzigen Ausweg aus ganz persönlichen<br />
Problemen.<br />
Neben der Abwanderung in Industriezentren<br />
in Württemberg und darüber hinaus,<br />
spielte die Auswanderung nach Übersee,<br />
vor allem nach Nordamerika, eine wichtige<br />
Rolle. Die dafür vorgeschriebene Prozedur<br />
verlangte von den „Auswanderungslustigen“<br />
– so die amtliche Bezeichnung<br />
– einen vor dem Gemeinderat abgegebenen<br />
Bürgerrechtsverzicht. Er sollte sicherstellen,<br />
dass keine mittellosen<br />
Rückwanderer der Gemeinde als Ortsarme<br />
zur Last fi elen. Außerdem mussten Männer<br />
versprechen, „innerhalb Jahresfrist gegen<br />
seine Majestät den König von Württemberg<br />
nicht zu dienen“. Die öff entliche<br />
Bekanntgabe der Auswanderungsabsicht<br />
und die Nennung eines Bürgen sollten<br />
verhindern, dass sich Schuldner ihren<br />
Gläubigern entzogen.<br />
Oft verlief diese Prozedur problemlos. Der<br />
39-jährige Schäfer Gabriel Kollmar und<br />
seine 33-jährige Ehefrau Christine, geb.<br />
Hofmann, machten sich mit ihren drei<br />
Kindern 1864 auf den Weg über den Atlantik.<br />
Ein kleines Vermögen von ca. 1.200<br />
Gulden reichte für Überfahrt und Neubeginn<br />
– eine Grundlage für Reichtümer in<br />
der alten Heimat war es nicht.<br />
Manchmal musste sich der Gemeinderat<br />
jedoch über längere Zeit hinweg mit einem<br />
Auswanderungsfall befassen. Im Revolutionsjahr<br />
1848 setzte sich der Schmied<br />
Georg Salm (* 1803) nach Amerika ab. Frau<br />
und Kinder ließ er zurück, ohne sich um<br />
sie zu kümmern. So verwundert es, dass<br />
die unterbrochene eheliche Gemeinschaft<br />
bei seiner Rückkehr nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
im Jahr 1853 wieder aufgenommen<br />
wurde. Beim Tod seiner Frau 1859 erstellte<br />
der Gemeinderat eine so genannte „Eventual<br />
= Theilung“, die dem Witwer abzüglich<br />
der Ansprüche der Kinder einen Vermögensrest<br />
von etwa 600 Gulden zusprach.<br />
Davon war das meiste der Hausanteil,<br />
das wenigste Bargeld, wie das Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 23. April 1860<br />
vermerkt. Schmidt Salm welcher schon<br />
früher in dem Rufe eines unordentlichen<br />
75
76<br />
Haushälters stand […] hat namentlich<br />
seit dem Tode seiner Ehefrau seinen unordentlichen<br />
Lebenswandel fortgesezt, u. ist<br />
auf dem besten Wege durch Vernachlässigung<br />
seines Geschäftes u. durch das Herumziehen<br />
in den Wirtshäusern seinen Vermögensrest<br />
vollends zu verschleudern […<br />
so dass …] der Gemeinde die Gefahr droht,<br />
i[h]n später noch in Unterhalt zu bekommen.<br />
11 Salm versprach dem Gemeinderat,<br />
seinem Geschäft künftig fl eißig nachzugehen<br />
[,] u. die Wirtshäuser womöglich zu<br />
vermeiden. Das schien ihm jedoch nicht<br />
gelungen zu sein. Nach seiner zweiten<br />
Heirat mit der 46-jährigen Sophie, geb.<br />
Korb, die zwei uneheliche Kinder, Johanna<br />
(zwanzig Jahre) und Louisa (fünf Jahre),<br />
mit in die Ehe brachte, entschloss er sich,<br />
erneut auszuwandern, dieses Mal nach<br />
Australien. Er verzichtete am 4. März 1862<br />
auf sein Bürgerrecht. Einen Bürgen konnte<br />
er nicht stellen. Die Gemeinde schloss mit<br />
den Eheleuten Salm eine detaillierte Vereinbarung,<br />
um sich abzusichern. Schulden<br />
bei Neuenstadter Geschäftsleuten wurden<br />
ebenso genau aufgeführt wie der Erlös aus<br />
Haus- und Scheunenverkauf, wovon der<br />
Anteil für die Kinder aus erster Ehe abgezogen<br />
werden musste. Kaufmann Fecht<br />
aus Pfedelbach bereitete als Auswanderungsagent<br />
für 671 Gulden und 24 Kreuzer<br />
die Fahrt über Mannheim und Liverpool<br />
nach Melbourne vor. Die Gemeinde<br />
übernahm für die Kinder einen Fahrtkostenzuschuss<br />
von 250 Gulden. Johanna, die<br />
nicht auswandern wollte, hatte sich bei<br />
den Zimmermeistersleuten Hammer in Michelbach<br />
(bei Waldenburg) verdingt und<br />
musste mit Gewalt nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
geholt werden. In den Akten blieb eine<br />
Rechnung der Gemeinde an Stiefvater<br />
Salm erhalten: Amtsdiener Lumpp ist<br />
nach Michelbach geschickt worden um<br />
die Johanna Korb zu holen 1 f. 24 x. Bis<br />
zuletzt blieb gegenseitiges Misstrauen.<br />
Eine Abmachung sah vor, dass 75 Gulden<br />
bei der Gemeinde deponiert und erst nach<br />
Melbourne nachgeschickt werden sollten,<br />
sobald ein Zeugniß vom Hafenbuch Liverpool<br />
eingelaufen ist, daß die Tochter der<br />
Salm´schen Ehefrau [,] Johanna Korb [,]<br />
dort eingeschi t worden sey. Findet die<br />
Einschi ung nicht Statt, so bleiben diese<br />
75 f der Gemeindepfl ege auch hat diese<br />
das Recht, die Überfahrtskosten, welche<br />
für diese Tochter bezahlt worden sind, für<br />
sich zu reklamieren. 12 Der Schmied, vor<br />
dessen Werkstatt Mörike 1840 den ausgedienten<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Turmhahn gefunden<br />
hatte, scheint sich in Australien<br />
besser als in Amerika eingelebt zu haben,<br />
denn der 19-jährige Wagner Carl Heinrich<br />
Salm und der 27-jährige Bauer Johann<br />
Christian Salm wanderten ein Jahr später<br />
ebenfalls nach Australien aus.<br />
Dass manche in der Auswanderung die<br />
Lösung ganz persönlicher Probleme sahen,<br />
belegen auch die folgenden Beispiele. Im<br />
Frühjahr 1867 betrieb Philippine Hofmann,<br />
geb. Schuler, mit ihrem gerade mal<br />
halbjährigen Töchterchen Caroline ihre<br />
Auswanderung. Ihr Mann war im Oberamtsgefängnis<br />
in Neckarsulm in Haft und<br />
willigte in die Auswanderung ein. Für<br />
beide Teile vielleicht die beste Lösung ihrer<br />
Probleme. 13 Zur gleichen Zeit will die<br />
ledige 24-jährige Sofi e Haaf mit ihrem<br />
drei Monate alten Töchterchen Christiane<br />
auswandern. Ob dies ein freiwilliger Entschluss<br />
war, wissen wir nicht.<br />
Der 40-jährige Löwenwirt Christian Bordt<br />
hat am 22. August 1883 seine Frau verlassen<br />
u. sich nach Amerika begeben 14 . So<br />
der Vermerk in der Bürgerliste, aus der er<br />
nach seiner vermutlich ungenehmigten<br />
Auswanderung gestrichen wurde.<br />
„… von der Gemeinde … ein Reisegeld …“<br />
„damit die Gemeinde diese Last und<br />
Person los wird …“<br />
Die Abschiebung von Ortsarmen durch die<br />
Gemeinde ist durch das Geschwisterpaar
Johann und Catharina Bazer belegt. Am<br />
17. Januar 1849 schrieb Johann Bazer aus<br />
der Militärstrafanstalt in Stuttgart an den<br />
„Wohllöblichen Gemeinderath“ in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
und bat, dass ihm von Seite der<br />
Gemeinde die zur Übersiedlung nach<br />
Amerika nöthigen Gelder angescha t<br />
werden. Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />
wandten sich an den König: Der<br />
hiesige Ort ist mit vielen ledigen aber armen<br />
Leuten versehen, die der hiesigen<br />
Gemeinde schon viele Kosten verursacht<br />
haben. Zwey solcher Individuen nemlich<br />
Catharina Bazer und Johann Bazer haben<br />
die Absicht erklärt: daß falls ihnen von<br />
der Gemeinde oder der königlichen<br />
Staats = kasse ein Reisegeld, welches zur<br />
Überschi ung nach Nord = Amerika hinlänglich<br />
seyn, gegeben werde, sie dahin<br />
reisen und auf ihr württembergisches<br />
Staats- und Gemeinde = Bürgerrecht dahier<br />
Verzicht leisten. Der König hat das<br />
Schreiben natürlich nie zu Gesicht bekommen.<br />
Die ablehnende Antwort kam<br />
vom Oberamt Neckarsulm und wir wissen<br />
nicht, was aus Johann Bazer geworden ist.<br />
Ende 1858 taucht die inzwischen 43-jährige<br />
Catharina wieder in den Akten auf.<br />
Sie verhandelte mit dem Auswanderungsagenten<br />
Schröfel aus Weinsberg über einen<br />
Vertrag: Für ein Fahrgeld von 30 Gulden<br />
(zuzüglich zehn Gulden Taschengeld)<br />
könnte sie in die Kapkolonie „expediert“<br />
werden. Der Gemeinderat beschloss darauf,<br />
unter Vorbehalt oberamtlicher Genehmigung<br />
die Kosten zu übernehmen.<br />
Das Oberamt lehnte jedoch das Auswanderungsgesuch<br />
ab, da die Kostenrechnung<br />
zu niedrig zu sein schien. Catharina<br />
schloss nun sofort einen förmlichen Vertrag<br />
mit Schröfel ab. Am 12. November<br />
1858 wandte sich Schultheiß Herrmann<br />
noch einmal an das Oberamt und bat um<br />
rasche Erledigung, damit die Gemeinde<br />
diese Last und Person los wird, was dann<br />
auch geschah. 15<br />
Eher die Ausnahme: Verbindung der<br />
Auswanderer zur alten Heimat<br />
Dass „abgeschobene“ Auswanderer wenig<br />
Interesse an der alten Heimat hatten, ist<br />
nur allzu verständlich. Aber auch die aus<br />
freien Stücken Ausgewanderten wollten<br />
in der neuen Heimat möglichst schnell<br />
heimisch werden und pfl egten oft wenig<br />
oder gar keinen Kontakt. Es gab jedoch<br />
Ausnahmen, wie manche <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Familie nach dem Zweiten Weltkrieg als<br />
Empfänger eines CARE- oder „Fresspakets“<br />
dankbar feststellte.<br />
Aus dem Ersten Weltkrieg ist im Ortsarchiv<br />
ein mehrseitiges Heft des Schwabenvereins<br />
Chicago von 1915 erhalten: Herzliche<br />
Weihnachts = Grüße und kleine Liebengaben<br />
senden wir an unsere tapferen<br />
Soldatenbrüder, in treuer Anhänglichkeit<br />
ans deutsche Vaterland. 16 Unter den über<br />
tausend Württemberger Auswanderern ist<br />
Christian Volpp aus <strong>Cleversulzbach</strong> erwähnt,<br />
der damals in Elgin (Illinois) lebte.<br />
Am 6. April 1917 erklärten die USA dem<br />
Deutschen Reich den Krieg. Grüße und<br />
Liebesgaben aus Amerika waren zur letzten<br />
Kriegsweihnacht nicht mehr möglich.<br />
In Jahren eines starken Bevölkerungsrückgangs:<br />
„Verzeichnis der neu anziehenden<br />
Personen“<br />
Für die Zeit vom 13. Dezember 1873 bis<br />
27. November 1931 liegt ein „Verzeichnis<br />
der neu anziehenden Personen“ 17 vor –<br />
ironischerweise gerade für einen Zeitabschnitt,<br />
in dem die Bevölkerung des Orts<br />
um ein Drittel zurückging. Die Gründe für<br />
diesen Rückgang wurden oben schon genannt:<br />
Mechanisierung in der Landwirtschaft,<br />
bessere Chancen in der Industrie,<br />
Verlockungen der „Neuen Welt“. Von den<br />
ca. 200 Personen, die das Verzeichnis<br />
nennt, ist fast die Hälfte wieder weggezogen,<br />
darunter die sechs Pfarrer und Pfarrverweser<br />
und die dreißig Lehrgehilfen,<br />
Unterlehrer, Hauptlehrer und Schulmeis-<br />
77
78<br />
terverweser nach ihrer Dienstzeit. Sie waren<br />
in vielen Fällen eh nur wenige Wochen<br />
hier gewesen. Auch von den „Taglöhnern“<br />
– oft Knechte und Mägde in der<br />
Landwirtschaft – blieben nur die wenigsten.<br />
Handwerker wie Schäfer (Süpple)<br />
oder Schuhmacher, die mit ihren Familien<br />
hier blieben, sind seltene Ausnahmen. Fast<br />
alle Zuziehenden hatten die württembergische<br />
Staatsangehörigkeit, ein Dutzend<br />
waren Badener, eine Handvoll Bayern, einer<br />
Preuße und drei „Reichsländer“, d. h.<br />
Leute aus dem „Reichsland“ Elsass-Lothringen.<br />
Wirtschaftliche Not der<br />
Zwischenkriegszeit: „Hier herrscht zur<br />
Zeit eine wahre Wanderlust“<br />
Für die Zwischenkriegszeit liegt ein gefühlvoll<br />
abgefasster Zeitungsartikel vom<br />
März 1927 über <strong>Cleversulzbach</strong> vor. Es<br />
heißt dort: Hier herrscht zur Zeit eine<br />
wahre Wanderlust. In den nächsten Tagen<br />
verlassen uns zwei über die hiesigen<br />
Grenzpfähle hinaus bekannte Persönlichkeiten.<br />
Es ist dies der Gemeinde- und<br />
Ortsschulrat (gemeint ist hier: Mitglied<br />
des Gemeinderatsausschusses für örtliche<br />
Schulangelegenheiten) sowie Vertrauensmann<br />
des württemb. Weingärtner- und<br />
Bauernbundes Gottlob Hesser und Ortsschulrat<br />
und Löwenwirt Christian Bauer,<br />
um ihre kleinbäuerlichen Betriebe hier<br />
aufzugeben. Ersterer hat ein größeres<br />
Pachtgut in Amlishagen bei Gerabronn,<br />
letzterer ein solches in Niederbayern an<br />
der österreichischen Grenze käufl ich erworben,<br />
in welche Gegend erst kurz vor<br />
Weihnachten vor. Js. der Landwirt Karl<br />
Herrmann übergesiedelt ist.<br />
Der Krieger-, Gesangverein und gemischte<br />
Chor brachten den Scheidenden heute ein<br />
Ständchen als Abschiedsgruß. Wir wünschen<br />
ihnen in ihrem neuen Heim alles<br />
Gute und sagen ihnen ein herzliches Lebewohl.<br />
Im nächsten Monat wird Hebamme Dietrich,<br />
die 23 Jahre lang ihren Dienst treu<br />
und gewissenhaft versehen hat, nach Argentinien<br />
auswandern, um dort ihren Beruf<br />
auszuüben. Auch Weitere sollen noch<br />
wanderlustig sein. 18<br />
Heimatfront im Zweiten Weltkrieg:<br />
Kriegsgefangene, Ostarbeiter,<br />
Evakuierte<br />
Als in den Kriegsjahren 1939 –1945 immer<br />
mehr wehrfähige Männer eingezogen<br />
wurden und viele an der Front standen,<br />
wurden ihre Lücken so gut es ging durch<br />
eine unfreiwillige Zuwanderung von<br />
Kriegsgefangenen und zwangsverpfl ichteten<br />
Arbeitern aus dem Osten gefüllt. Im<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeindearchiv liegen<br />
penibel geführte Listen 19 dieser „Zwangscleversulzbacher“,<br />
deren Namen und Alter,<br />
zum Teil auch ihre Berufe, genannt sind.<br />
Zuerst kamen im Frühjahr 1940 drei Polen.<br />
Ihre Zahl nahm im Verlauf des Krieges zu<br />
und erreichte 1943 mit elf Männern und<br />
vier Frauen einen Höchststand. Nach den<br />
Polen-Erlassen vom März 1940 sollten sie<br />
einen geringeren Lohn als Deutsche erhalten,<br />
keine Verkehrsmittel – auch keine<br />
Fahrräder – benützen dürfen, nicht am<br />
Tisch mit der deutschen Familie mitessen<br />
und möglichst in Stall oder Scheune untergebracht<br />
werden. Auf der rechten<br />
Brustseite ihrer Oberbekleidung mussten<br />
sie einen quadratischen Aufnäher mit einem<br />
„P“ tragen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />
– vor allem in der Landwirtschaft<br />
– waren damals ohnehin hart. Andererseits<br />
waren die Zwangsarbeiter nur<br />
dann eine wirkliche Hilfe, wenn sie bei der<br />
Arbeit mitdachten und man anständig mit<br />
ihnen umging. So war ihre Behandlung<br />
meist besser, als die Polen-Erlasse vorschrieben.<br />
Da polnische Wanderarbeiter<br />
seit Generationen als Erntehelfer nach<br />
Deutschland gekommen waren, fi el es<br />
manchen von den mit mehr oder weniger
Gruppe französischer Kriegsgefangener<br />
Zwang angeworbenen Polen nach der Niederlage<br />
ihres Heimatlandes schwer, mit<br />
der neuen Situation zurechtzukommen. In<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> wurden zwei von ihnen<br />
kurz nach ihrer Ankunft 1940 mit einem,<br />
bzw. zwei Tagen Arrest bestraft. Der eine<br />
hatte sich vom Arbeitsort entfernt und die<br />
„P“-Kennzeichnung von seinem Kittel abgetrennt,<br />
der andere hatte kurz vor der<br />
Mittagspause keine neue Arbeit anfangen<br />
wollen und war dafür angeblich geschlagen<br />
worden, was die Polen-Erlasse durchaus<br />
erlaubten. Diese beiden Vorfälle scheinen<br />
jedoch Ausnahmen geblieben zu sein.<br />
Nach der Niederlage Frankreichs im Juni<br />
1940 kam Anfang August eine Gruppe<br />
französischer Kriegsgefangener nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Sie wurden im Saal im Obergeschoss<br />
der Gastwirtschaft „Löwen“ untergebracht.<br />
Die Fenster waren vergittert,<br />
die Tür mit Schloss und Riegel versehen,<br />
was zwei Gefangene jedoch nicht daran<br />
hinderte, über das Klofenster zu fl iehen.<br />
Die 18 Verbliebenen fanden sich mit ihrer<br />
Situation ab. Ein frontuntauglicher Wehr-<br />
machtsangehöriger sperrte die Gefangenen<br />
über Nacht ein. Ansonsten achtete er<br />
darauf, dass sie an ihren Arbeitsplätzen<br />
ordentlich arbeiteten und auch ordentlich<br />
versorgt wurden. Als Kriegsgefangene hatten<br />
sie einen anderen Status als die polnischen<br />
Fremdarbeiter. Sie wurden zwar in<br />
ihrer Sammelunterkunft bewacht, hatten<br />
aber einen – wenn auch streng kontrollierten<br />
– Kontakt zu ihren Familien und<br />
erhielten Pakete, auch von französischen<br />
Hilfsorganisationen. Ihre fremden Essgewohnheiten<br />
und ihre sich nur allmählich<br />
verbessernden Deutschkenntnisse waren<br />
für viele <strong>Cleversulzbach</strong>er Kinder erstaunliche<br />
Erfahrungen. Die meisten Franzosen<br />
fanden in ihren Familien so etwas wie Familienanschluss,<br />
und je mehr Gefallenen-<br />
und Vermisstenmeldungen das Dorf erschütterten,<br />
umso mehr konnten sie ihrer<br />
Gefangenschaft trotz allem Heimweh<br />
auch etwas Gutes abgewinnen. Die Löwenwirtin<br />
Anna Stecher versorgte sie hin<br />
und wieder mit einem Krug Wein, den<br />
Töchterchen Inge vom Keller nach oben<br />
79
80<br />
brachte. Löwenwirt Adolf Stecher war seit<br />
1942 in Russland vermisst. Der Gastwirtschaftsbetrieb<br />
wurde stillgelegt, aber das<br />
Gefangenenlager blieb bestehen.<br />
Die letzte Gruppe von Fremden waren<br />
sechs Russen und eine Russin, die 1943<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> kamen. Diese Fremdarbeiter<br />
mussten einen Aufnäher „OST“ tragen<br />
und hatten es vermutlich am schwersten.<br />
Die Kämpfe an der Ostfront waren verlustreich,<br />
was das Verhältnis zur deutschen<br />
Bevölkerung belastete. Die Propaganda<br />
verunglimpfte die „OST“-Arbeiter zudem<br />
als Untermenschen. Im letzten Kriegwinter<br />
wurden sie für Waldarbeit der Forstverwaltung<br />
unterstellt. Doch war ihr Los immer<br />
noch besser als das der in Lagern gehaltenen<br />
und in der Industrie ausgebeuteten<br />
russischen Kriegsgefangenen und der dort<br />
eingesetzten „OST“-Arbeiter.<br />
Während die Franzosen am 17. April 1945 –<br />
vier Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner<br />
– den Fußmarsch zurück in die Heimat<br />
antraten, war die Repatriierung der Polen<br />
und Russen schwieriger. Da sie in ihrer Heimat<br />
als angeworbene Fremdarbeiter galten,<br />
mussten sie mit Schikanen rechnen und<br />
viele wehrten sich deshalb gegen ihre Rückführung.<br />
Als „displaced persons“ (verschleppte<br />
Personen) wurden die Polen in<br />
Weinsberg, die Russen in Heilbronn in Lagern<br />
untergebracht. Die meisten wurden<br />
während der nächsten zwei Jahre in ihre<br />
Herkunftsländer zurückgeführt, was für die<br />
Russen meist wiederum die Einweisung in<br />
ein Arbeitslager bedeutete.<br />
Manche Polen schikanierten nach dem<br />
„Umsturz“ die deutsche Bevölkerung. Es<br />
kam zu Übergriff en und Plünderungen.<br />
Noch bis 1947 musste man in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
mit nächtlichen Streifzügen aus dem<br />
Lager Weinsberg rechnen. Eier und Eingemachtes<br />
wurden gestohlen und manches<br />
Schwein geschlachtet.<br />
Und noch eine kriegsbedingte Zuwanderung<br />
muss erwähnt werden: mit der mas-<br />
siven Bombardierung der deutschen<br />
Städte seit 1942 wurde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Zufl uchtsort für Verwandte oder Freunde,<br />
aber auch für zwangsweise „Evakuierte“<br />
aus den luftkriegsgefährdeten Gebieten –<br />
alles in allem ein knappes Hundert. Nach<br />
dem Angriff auf Heilbronn am 4. Dezember<br />
1944 fanden hier „ausgebombte“ Heilbronner<br />
ein Unterkommen. Um diese Zeit<br />
hatte der Krieg im Westen die deutsche<br />
Grenze schon überschritten, was zur Einquartierung<br />
von Saarländern führte. Diese<br />
Zuwanderung war als zeitlich begrenzte<br />
Maßnahme gedacht und tatsächlich verließen<br />
bald nach Kriegsende die allermeisten<br />
den Ort wieder.<br />
Folgen des Zweiten Weltkriegs:<br />
Flüchtlinge und Vertriebene<br />
Mit Ende des Krieges wurde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
von einer ganz anderen Zuwanderungswelle<br />
erfasst, die die Zusammensetzung<br />
der Ortsbevölkerung innerhalb weniger<br />
Jahre nicht nur vorübergehend, sondern<br />
nachhaltig verändern sollte.<br />
Im Juli 1945 meldete der von den Amerikanern<br />
eingesetzte Bürgermeister Richard<br />
Nef 63 Evakuierte sowie acht Flüchtlinge<br />
und Heimatvertriebene an das Landratsamt<br />
Heilbronn. 20 Drei Jahre später hatte<br />
sich das Verhältnis umgekehrt. Eine Aufstellung<br />
vom 7. September 1948 zählt die<br />
„Neubürger“ nach Herkunftsländern auf:<br />
ČSR / Sudeten 30; Ungarn 13; Rumänien /<br />
Bessarabien 29; Polen / östlich Oder 11. 21<br />
Diese 83 Personen machten fast ein Fünftel<br />
der Gesamteinwohnerschaft aus. Das<br />
Flüchtlingskommissariat, das in einer Baracke<br />
beim zerstörten Heilbronner Bahnhof<br />
untergebracht war, wies die Ostfl üchtlinge<br />
vor allem solchen ländlichen Gemeinden<br />
zu, die unbeschadet den Krieg<br />
überstanden hatten. Auch glaubte man,<br />
dass in der Landwirtschaft am ehesten Arbeit<br />
zu fi nden sei. Die Flüchtlinge kamen
einzeln und familienweise, oft in vollbesetzten<br />
Bussen. So stiegen am Vormittag<br />
des 2. April 1946 zwei Dutzend übernächtigte<br />
Flüchtlinge, unter ihnen die Familien<br />
Arlt und Humm, mit Koff ern, Pappkartons<br />
und Rucksäcken beladen, vor dem Pfarrhaus<br />
aus dem Bus. Auf ihren Einweisungsscheinen<br />
war vermerkt, dass sie ärztlich<br />
untersucht und entlaust seien und in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
untergebracht werden sollten.<br />
Sie standen etwas verloren da, denn sie<br />
konnten erst am Abend auf die Höfe verteilt<br />
werden, die Bürgermeister Nef und<br />
seine Wohnungskommission für sie ausgesucht<br />
hatten und wo sie als Knechte und<br />
Mägde arbeiten sollten. So blieb noch Zeit<br />
für erste Erkundungsgänge ins Dorf und<br />
Gespräche mit den Ortsansässigen, deren<br />
Mundart sie nur mit Mühe verstanden.<br />
Dass die Unterbringung in der ersten Zeit<br />
oft schlecht, ja geradezu „menschenunwürdig“<br />
war, belegt ein Bittschreiben vom<br />
22. Dezember 1947 von Bürgermeister<br />
Nef: Nachdem nun die meisten Neubürger<br />
ihre Strohsäcke bereits schon 2 Jahre in<br />
Benützung haben u. zum größten Teil<br />
nicht mehr brauchbar sind, bitte ich das<br />
Kreiskommissariat für Neubürger u. Ausgewiesene<br />
unserer Gemeinde dringend 50<br />
Stück Strohsäcke mit Kopfkeil zuzuweisen.<br />
22<br />
Die Aufnahme der Heimatvertriebenen<br />
und Flüchtlinge war in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ähnlich wie überall im Lande zunächst alles<br />
andere als herzlich. Die dürftige Informations-<br />
und Nachrichtenlage förderte<br />
Unkenntnis und Unverständnis für Flucht<br />
und Vertreibung als Folge des verlorenen<br />
Krieges. Auch glaubte man mit der eigenen<br />
Not genug belastet zu sein. Ohne<br />
massiven Druck der amerikanischen Militärregierung<br />
und der deutschen Verwaltungsstellen<br />
wie z. B. des Staatsbeauftragten<br />
für das Flüchtlingswesen bei der Landesregierung<br />
von Württemberg-Baden 23<br />
und des Flüchtlingskommissars in Heil-<br />
bronn wäre die Unterbringung oft gar<br />
nicht möglich gewesen.<br />
Natürlich gab es auch Hilfsbereitschaft.<br />
Und immer mehr respektierte man Fleiß<br />
und berufl iche Fähigkeiten vieler „Neubürger“.<br />
Bei der Gemeinderatswahl von<br />
1951, der zweiten nach dem Krieg, wurde<br />
mit Josef Wenesch der erste Neubürger<br />
gewählt. Als er zwei Jahre später wegzog,<br />
rückte für ihn der Bessarabiendeutsche<br />
Gotthilf Arlt nach und wurde bei allen<br />
folgenden Gemeinderatswahlen der selbständigen<br />
Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> wieder<br />
gewählt. Zudem war er von 1965 bis<br />
zum Ende der Selbständigkeit <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
am 31. Dezember 1971 stellvertretender<br />
Bürgermeister.<br />
Hilfreich bei der Integration der Neubürger<br />
waren auch „Respektspersonen“ unter<br />
den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen<br />
wie Pfarrer und Lehrer. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war von 1949 bis 1956 Hermann Grawunder<br />
aus Ostpreußen Pfarrer und von 1951<br />
bis 1957 Edith Käfer (seit 1953 verh. Grawunder)<br />
– seine Schwiegertochter aus einem<br />
deutschen Siedlungsgebiet in der<br />
Südukraine – Lehrerin an der örtlichen<br />
Volksschule. Neubürger waren also nicht<br />
immer nur Mägde und Knechte oder Hilfs-<br />
und Gelegenheitsarbeiter.<br />
Auch die örtlichen Vereine spielten bei der<br />
Integration eine wichtige Rolle. Beispielhaft<br />
sei hier Werner Hübener genannt, der<br />
schon vor Ende des Krieges nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
kam. In einem Lazarett im Elsass<br />
hatte er die Rotkreuzschwester Hedwig<br />
Kress aus <strong>Cleversulzbach</strong> kennen gelernt<br />
und sie ein Jahr vor Kriegsende geheiratet.<br />
Obwohl in Magdeburg geboren, war er<br />
also kein Flüchtling, aber doch kriegsbedingt<br />
ein „Neubürger“. Er trat 1946 dem<br />
Arbeiter-, Rad- und Kraftfahrerverein bei,<br />
dessen Vorsitzender er 1969 wurde und<br />
dessen Weiterentwicklung zum Rad- und<br />
Motorsportclub er wesentlich mitbestimmte.<br />
81
82<br />
Dass <strong>Cleversulzbach</strong> für die Neubürger<br />
wirklich zur neuen Heimat werden sollte,<br />
wurde bei der Aufstellung der Gedenktafel<br />
in der neuen Aussegnungshalle 1969<br />
für die Opfer der beiden Weltkriege deutlich.<br />
Dort sind nicht nur Namen von Angehörigen<br />
der Alteingesessenen, sondern<br />
auch von Neubürgern verzeichnet.<br />
Die Währungsreform (1948) mit dem folgenden<br />
Wirtschaftsaufschwung und die<br />
Gründung der Bundesrepublik Deutschland<br />
(1949) wirkten sich günstig auf die<br />
Eingliederung der Neubürger aus. Ihre<br />
Umverteilung aus den ländlichen Gegenden<br />
in Schleswig-Holstein und Niedersachsen<br />
in Industriebezirke in anderen<br />
Bundesländern brachte auch dem 1952<br />
neu gebildeten Land Baden-Württemberg<br />
noch einmal einen großen Zuzug, doch<br />
kamen diese Neubürger zumeist in den inzwischen<br />
im Wiederaufbau befi ndlichen<br />
Städten unter und fanden dort auch Arbeit.<br />
In die in den 1950er Jahren errichtete<br />
„Bundesmustersiedlung“ Amorbach<br />
mit den nahe gelegenen Industriezentren<br />
Neckarsulm und Heilbronn zogen mehrheitlich<br />
Neubürger, auch aus <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
das von dieser zweiten Flüchtlingswelle<br />
fast nicht mehr betroff en war. Durch<br />
diesen Wegzug in die Industriestädte gab<br />
es das einzige Mal nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg in den 1950er Jahren eine<br />
„Delle“ in der sonst nach oben gerichteten<br />
Bevölkerungskurve <strong>Cleversulzbach</strong>s.<br />
Das Lastenausgleichsgesetz von 1952 regelte<br />
eine Umverteilung von ca. 115 Milliarden<br />
DM in den folgenden dreißig Jahren.<br />
Wer sein Vermögen durch den Krieg<br />
gerettet hatte, musste Abgaben leisten,<br />
mit denen Flüchtlinge und Heimatvertriebene,<br />
aber auch Luftkriegsbetroff ene entschädigt<br />
wurden. Die „Ausgleichsämter“<br />
hatten bei der Wertermittlung naturgemäß<br />
große Schwierigkeiten. Es gab Missgunst,<br />
Neid und Enttäuschungen – in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wohl weniger als in den Or-<br />
ten, in denen Luftkriegsopfer argwöhnisch<br />
auf die Neubürger blickten. Der Lastenausgleich<br />
– auch wenn er die verlorene<br />
Heimat nicht ersetzen konnte – war eine<br />
große Leistung.<br />
Bei der Volkszählung von 1961 lag <strong>Cleversulzbach</strong><br />
(505 Einwohner) mit seinen<br />
Zahlen (68 Neubürger = 13,5 %) zwar unter<br />
dem Landesdurchschnitt (1,6 Mill. =<br />
20,9 %). Es nahm unter den fünf Gemeinden,<br />
die sich ein Jahrzehnt später<br />
zur neuen Stadt Neuenstadt zusammenschlossen,<br />
den Mittelplatz ein. Mit 26 Katholiken<br />
erreichte diese Konfession in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> zum ersten Mal seit der<br />
Reformation die Zweistelligkeit, denn auf<br />
konfessionelle Zuordnung konnte man in<br />
der Notlage der ersten Nachkriegsjahre<br />
wenig Rücksicht nehmen. Ein statistisches<br />
Problem stellten bei dieser Volkszählung<br />
die Kinder aus den vielen<br />
„Mischehen“ zwischen Alt- und Neubürgern<br />
dar. Sie wurden grundsätzlich den<br />
Vätern zugerechnet.<br />
Jüngste Entwicklungen: Bauwillige,<br />
Gastarbeiter und Spätaussiedler<br />
Seine doch eher abgeschiedene Lage und<br />
die topografi schen Verhältnisse haben<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> bei der Zuwanderung von<br />
so genannten Gastarbeitern seit den<br />
1950er Jahren und Spätaussiedlern seit<br />
den 1980erJahren ein unorganisches Bevölkerungswachstum<br />
mit Ghettobildung<br />
erspart. Aber die Bevölkerungszunahme<br />
war dennoch die größte in der Ortsgeschichte<br />
innerhalb von zwei Generationen.<br />
Diese Zunahme beruht auf einer<br />
umsichtigen Baulanderschließung. Mit<br />
dem eigenen Auto oder öff entlichen Verkehrsmitteln<br />
ist der Wirtschaftsraum<br />
Heilbronn / Neckarsulm und erst recht<br />
Neuenstadt heute leicht zu erreichen,<br />
was viele Bauwillige anzog – auch solche,<br />
die sich <strong>Cleversulzbach</strong> als Alterssitz erkoren<br />
haben.
Entwicklung der Bevölkerungszahlen<br />
1812 1855 1881 1910 1933 1946 1961 1989 2009 2012<br />
543 621 671 512 434 543 505 700 809 820<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Besonderheiten:<br />
Engländer und Mörike<br />
Eine Besonderheit beim Zuzug nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sind die angelsächsischen<br />
Farbtupfer. John und Edith Birchall und in<br />
ihrem Gefolge Shirley Lawes haben mit<br />
ihren Antiquitätengeschäften seit 1977<br />
das Ortsbild einfühlsam und geschmackvoll<br />
mitgeprägt.<br />
1 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CR 882<br />
2 Weber Johann Christoph Plenefi sch gehörte zu den „Revolutionären“,<br />
die am 8. Mai 1848 auf dem Rathaus erschienen<br />
und gegen die „Lebenslänglichkeit“ von Schultheiß<br />
und Gemeinderäten protestierten.<br />
3 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 31 (Gemeinderatsprotokoll).<br />
4 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 8, Seite 121 (Anweisung des<br />
Oberamts Neckarsulm vom 21. Mai 1836 im so genannten<br />
„Befehlsbuch“).<br />
5 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 198 b (Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 11. Dezember 1837).<br />
6 Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Kirchenbuch vermerkt bei den beiden<br />
Geschwistern: „sind im J. 1831 nach Russland gezogen,<br />
jedoch mit Vorbehalt der Staats- und Gemeindebürgerschaft<br />
auf 6 Jahre“. Christian wurde dennoch weggeschickt.<br />
7 Siehe: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CR 218, Nro. 160 („Kosten<br />
Zetel“ des Abraham Freundt).<br />
8 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 51 b (Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 16. August 1834).<br />
9 Siehe: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CR 218, Nro 162 („gehorsamst<br />
übersendet: 48 x“).<br />
10 Erhalten geblieben ist im Ortsarchiv CB 162 das „im May<br />
1817“ begonnene Impfbuch.<br />
11 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 22<br />
12 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 206<br />
13 Siehe Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 206<br />
14 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 159<br />
15 Siehe Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 206<br />
16 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 263<br />
17 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 161<br />
Abschließend sei ein Zuwanderungsmotiv<br />
genannt, das nur ganz allein für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gilt. Zahlen lassen sich zwar<br />
nicht nennen und oft ist dieses Motiv nur<br />
eines unter anderen. Aber man weiß von<br />
einigen Zugezogenen, dass Eduard Mörike<br />
und seine Idylle vom alten Turmhahn bei<br />
der Wahl ihres Wohnorts eine Rolle gespielt<br />
haben.<br />
18 Neuenstädter Tageszeitung 17. März 1927<br />
19 Siehe Stadtarchiv Neuenstadt CA 269<br />
20 Siehe Liste vom Juli 1945 für das Landratsamt Heilbronn<br />
(Stadtarchiv Neuenstadt CA 650).<br />
21 Siehe Liste vom 7. September 1948 für das Landratsamt<br />
Heilbronn (Stadtarchiv Neuenstadt CA 650).<br />
22 Antrag von Bürgermeister Nef vom 22. Dezember 1947<br />
(Stadtarchiv Neuenstadt CA 650).<br />
In einem weiteren Schreiben vom 2. November 1948 bat<br />
Bürgermeister Nef den Heilbronner Flüchtlingskommissar,<br />
von weiteren Zuweisungen abzusehen, „indem noch<br />
Flüchtlingsfamilien in hiesiger Gemeinde … menschenunwürdig<br />
untergebracht sind.“ (Stadtarchiv Neuenstadt CA<br />
650).<br />
23 Staatsbeauftragter der Landesregierung von Württemberg-Baden<br />
für das Flüchtlingswesen war von November<br />
1946 bis November 1949 Willy Bettinger (1891–1973), ein<br />
gebürtiger Neuenstädter. Er war in der Zwischenkriegszeit<br />
ein prominentes Mitglied der Kommunistischen Partei in<br />
Württemberg. Seine Amtsführung als Staatsbeauftragter<br />
für das Flüchtlingswesen wurde allgemein – auch von den<br />
Vertretern der Heimatvertriebenen und Flüchtlingen – anerkannt.<br />
Nachdem die Kommunisten infolge des beginnenden<br />
Kalten Krieges aus der Landesregierung gedrängt<br />
wurden, verlor auch Bettinger als letzter Kommunist in<br />
einem Spitzenamt der Landesverwaltung sein Amt. Bettingers<br />
Eltern hatten gegenüber vom Gasthaus Rößle in<br />
Neuenstadt ein Gemischtwarengeschäft betrieben, das<br />
1910 Friedrich Schock, dann Hermann Feeser übernahm<br />
(heute Paula´s Boutique und die Parkplätze an der Einmündung<br />
der Helmbundstraße).<br />
83
84<br />
Wirtschaftliche Grundlagen und<br />
natürliche Ressourcen<br />
Landwirtschaft in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Landwirtschaft und Bodennutzung in<br />
früheren Zeiten<br />
Landwirtschaft in <strong>Cleversulzbach</strong> in früheren<br />
Zeiten – Anbau von einigen wenigen<br />
Körnerfrüchten und Rüben und Kohl<br />
– diente überwiegend der Ernährung und<br />
Versorgung der eigenen Familie. Auch die<br />
Aufzucht und Haltung von Nutztieren bildete<br />
eine wichtige Versorgungsgrundlage.<br />
Wurden aus den meist spärlich geernteten<br />
Körnern oder Rüben und Kohl einfache<br />
Speisen für die tägliche karge Nahrung<br />
zubereitet, so dienten die gehaltenen Tiere<br />
nicht nur der sehr wichtigen Nahrungsergänzung<br />
in Form von Milch, Butter und<br />
Fetten, Käse und Fleisch, sondern durch<br />
die Bearbeitung von Tierhäuten und Fellen<br />
und der Schur der Schafe auch zur Herstellung<br />
von Kleidung, Decken, Wäsche,<br />
Schuhwerk oder auch Werkzeugen.<br />
Missernten traten recht häufi g auf. Hervorgerufen<br />
wurden sie durch Witterungseinfl<br />
üsse wie Hagelschlag, starke Fröste,<br />
Dürre, Starkregen oder Überschwemmungen,<br />
oder durch Schädlinge und Pilzbefall,<br />
aber auch durch unzureichende Kenntnisse<br />
über die Zucht, Behandlung und<br />
Düngung von Pfl anzen und die Aufzucht<br />
und Haltung von Tieren. Dies alles führte<br />
wiederum zu Hungersnöten, welche Mangel-<br />
oder Unterernährung, und in deren<br />
Folge eine erhöhte Sterberate nach sich<br />
zogen. Eine Vorratshaltung über das Jahr<br />
hinaus war aufgrund der überwiegend geringen<br />
Ernten nur selten möglich, und<br />
wenn, so machten sich oft Ratten und<br />
Mäuse sowie anderes zahlreich vorhandenes<br />
Ungeziefer daran zu schaff en. Wenn<br />
die Not besonders groß war, wurde nicht<br />
selten selbst das dringend notwendige<br />
Saatgut für das kommende Jahr aufgezehrt.<br />
Unterstützung bei der Bewältigung dieser<br />
Krisen und Nöte kam dabei von den Klöstern.<br />
Dort gab es durch Versuche und Forschung<br />
der Mönche und Gelehrten neue<br />
und weitreichendere Erkenntnisse über<br />
„erfolgreicheren“ Feldbau, Pfl anzen- und<br />
Tierzucht, welche, sofern sie in die Praxis<br />
umgesetzt wurden, die Not einzudämmen<br />
in der Lage sein sollten. Eine einfache<br />
Möglichkeit, welche wiederum von den<br />
Klöstern ausging, die Erträge beim Feldbau<br />
zu steigern, war die Umstellung auf<br />
die Dreifelderwirtschaft, welche bis ins 19.<br />
Jahrhundert angewendet wurde. Erst<br />
konnte diese neue Form des Feldbaus jeder<br />
auf seinen Feldern in eigener Verantwortung<br />
durchführen, was aber häufi g<br />
nicht wie angedacht oder vorgesehen<br />
funktionierte. Deshalb wurde die Dreifelderwirtschaft<br />
zwangsweise von der Obrigkeit<br />
schon im Mittelalter per Gesetz eingeführt.<br />
Die Anbauweise der Dreifelderwirtschaft<br />
bedeutete, dass auf der einen<br />
Flur Wintergetreide, auf der nächsten<br />
Sommergetreide und Hackfrüchte angebaut<br />
wurden, die dritte Flur blieb unbewirtschaftete<br />
Brachfl äche, damit der Boden<br />
sich erholen konnte. Diese Brachfl ächen<br />
wurden zusätzlich als Weideland genutzt.<br />
Durch den Anbau von Klee, Kartof-
feln, Rüben und Hülsenfrüchten auf der<br />
Brache ab dem 18. Jahrhundert wurde die<br />
Bodenstruktur durch zusätzlichen Stickstoff<br />
eintrag (über Hülsenfrüchte und Klee)<br />
weiter verbessert und die Erträge dadurch<br />
gesteigert.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> waren drei Fluren festgelegt,<br />
welche im ersten Dorfbuch (entstanden<br />
um etwa 1570 1 ) genannt werden.<br />
Bezeichnet waren sie wie folgt: nördlich<br />
des Dorfes Im Flur Kürweg (heute Kirchweg);<br />
westlich und südwestlich des Dorfes<br />
Im Fluhr Zur Heken, sowie östlich und<br />
südöstlich des Dorfes Im Fluhr Zur Keltern.<br />
Selbstverständlich gab es nicht nur diese<br />
drei „übergeordneten“ Fluren auf <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Gemarkung.<br />
In der Flur zum Kürweg gab es u. a. den<br />
Verrenberg, die Mertzenwiesen, die Brücklinäcker,<br />
Stadtschreiber, Röth.<br />
In der Flur Zur Keltern gab es Binsenbach,<br />
Erbelbunnen auch Erdbeerbronnen, Katzenbergäcker,<br />
Häldenäcker, Langenäcker.<br />
Und in der Flur Zur Heken gab es die Rutsche,<br />
die Wanne, den Weinsbergerweg, Ob<br />
dem Brechhaus, Dahenfelderweg, Haseläcker,<br />
Lerchenberg, um einige zu nennen.<br />
Im 19. Jahrhundert wurde die Dreifelderwirtschaft<br />
durch die Fruchtwechselwirtschaft<br />
abgelöst.<br />
Neben der Bewirtschaftung der Felder, der<br />
Wiesen und Weiden, welche im Besitz der<br />
Bauern waren, gab es noch die gemeinschaftliche<br />
Nutzung der Allmenden, welche,<br />
wie auch der überwiegende Teil des<br />
Waldes, zum Gemeinbesitz der Kommune<br />
gehörten.<br />
Aufgrund der Realteilung waren immer<br />
mehr kleine und kleinste Nutzfl ächen entstanden,<br />
die es möglichst ganz auszunutzen<br />
galt. Fahrwege und Flächen für das<br />
Überfahrtsrecht waren bei der Dreifelderwirtschaft<br />
deshalb selten, da sie die ohnehin<br />
kleinen Äcker noch mehr beschnitten<br />
hätten. Auf diesen kleinen Flächen war es<br />
auch oftmals schwierg war, mit dem Gespann<br />
oder Fuhrwerk zu wenden. Zwangsläufi<br />
g war ein geregeltes Miteinander der<br />
Bauern untereinander notwendig. So<br />
mus ste bei der Aussaat oder Bestellung<br />
der Felder, um Flurschäden zu vermeiden,<br />
der „Hinterste“ zuerst beginnen, bei der<br />
Ernte war es umgekehrt, dabei begann der<br />
„Vorderste“ zuerst. Und dies, man kann es<br />
Situationsplan über die Anlegung eines neuen Feldweges im Gewann „Erbelbrunnen“, 1863<br />
85
86<br />
kaum glauben funktionierte über Jahrhunderte<br />
bis ins 19. Jahrhundert. Dennoch<br />
blieb eine sinnvolle Feldwegeregulierung<br />
mit dem dazugehörigen Wege- und Brückenbau<br />
sowie einer Wasserabführung<br />
unausweichlich, denn die Ablösung der<br />
Dreifelderwirtschaft und der Anbau neuer<br />
Kulturarten wie z. B. Luzerne, Futter- und<br />
Zuckerrüben verlangte für jeden Bauer individuelle<br />
Bearbeitungsmöglichkeiten mit<br />
direktem Zugang. Angegangen wurde dies<br />
von der Kommune 1863, und konnte noch<br />
im selben Jahrzehnt, trotz langwieriger<br />
Grundstücksverhandlungen und einiger<br />
Brückenbauwerke, z. B. beim „Erbelbrunnen“,<br />
beendet werden.<br />
Plan zum Brückenbau über den „Lochgraben“<br />
beim „Erbelbrunnen“, 1863<br />
Da die Hof- oder Betriebsgrößen der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Bauern nie besonders üppig<br />
waren und oft nicht eine Familie ernähren<br />
konnten, war es für den überwiegenden<br />
Teil der Bauern üblich, sich nach einer zusätzlichen<br />
Verdienstmöglichkeit umzuse-<br />
hen. Dies musste wegen der Wegezeiten<br />
(geeignete Transportmittel fehlten) nach<br />
Möglichkeit im Ort geschehen, sei es als<br />
Taglöhner bei einem Handwerker, bei der<br />
Kommune, als Fron- oder Akkordarbeiter<br />
im Wald oder Steinbruch. Viele hatten<br />
sich auch einen Webstuhl in die Wohnung<br />
oder Kammer gestellt, wobei hier dann die<br />
ganze Familie mit eingespannt war. Über<br />
den eigenen Bedarf hinaus vorhandene<br />
Erzeugnisse wie Butter, Eier, Obst und Gemüse,<br />
Wolle, Leinen und auch Wein versuchte<br />
man auf den Märkten in Neckarsulm<br />
oder Heilbronn zu veräußern.<br />
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,<br />
als die Industrialisierung in den nahen<br />
Städten schon in vollem Gange war,<br />
hat sich an den örtlichen Gegebenheiten,<br />
wie aus der Beschreibung des Oberamtes<br />
von 1881 hervorgeht, nichts wesentlich<br />
geändert. Der Bericht, was die Landwirtschaft<br />
und das ländliche Leben betriff t,<br />
lautet wie folgt:<br />
Die Einwohner leben vom Feldbau, von<br />
Viehzucht, etwas Weinbau und Obstzucht.<br />
Die Vermögensverhältnisse sind nur mittelmäßig.<br />
Der vermöglichste Einwohner<br />
hat 70 Morgen Grundbesitz, der Mittelmann<br />
ca. 25 Morgen, die ärmere Klasse<br />
½ –1 Morgen.<br />
Vom Kleinhandwerk sind besonders die<br />
Leineweber vertreten; 2 Krämer und eine<br />
Schildwirtschaft sind im Ort. Manche verdienen<br />
sich auch Unterhalt durch Stroh-<br />
und Korbfl echtereien, die nach Heilbronn<br />
abgesetzt werden.<br />
Die Preise eines Morgens Acker bewegen<br />
sich zwischen 800 und 200 fl .<br />
Der Wiesenbau ist ziemlich ausgedehnt,<br />
liefert aber zum Theil saures Futter. Die<br />
Wiesen kosten zwischen 600 und 200 fl .<br />
Der Weinbau ist nicht bedeutend. Die<br />
Preise eines Morgens Weinberg stehen<br />
zwischen 1000 und 300 fl .<br />
Die Obstzucht ist im Zunehmen begri en;<br />
in günstigen Jahrgängen können bis zu
1000 Sri. über den eigenen Bedarf nach<br />
außen verkauft werden. Die Gemeinde hat<br />
eine Baumschule und es ist ein Baumwart<br />
angestellt.<br />
An Waldungen besitzt die Gemeinde 600<br />
Morgen Laubwald, welche 150 Klafter<br />
und ca. 10000 Wellen ertragen. Die Bürger<br />
erhalten als Holzgabe je 50 Wellen.<br />
Das übrige wird verkauft und der Erlös<br />
fl ießt in die Gemeindekasse.<br />
Die Weide wird von dem Pachtschäfer mit<br />
200 bis 300 Stück Bastardschafen befahren,<br />
wofür die Gemeinde, die das Weiderecht<br />
hat, jährlich 500 M. erhält; der<br />
Pferch trägt 350 M. Eigene Güterstücke,<br />
welche die Gemeinde besitzt, sind um 500<br />
M. jährlich verpachtet.<br />
Der Zustand der Rindviehzucht ist ein guter<br />
zu nennen; es fi ndet nur Stallfütterung<br />
statt. - Ferkel werden auch nach außen<br />
abgesetzt.<br />
Obstanbau<br />
Wie in der Oberamtsbeschreibung von<br />
1881 erwähnt, war die Obstzucht im Ort<br />
im Zunehmen begriff en. Dies zeigt auch<br />
eine Statistik über die Anzahl der Obstbäume<br />
von 1900:<br />
Apfelbäume: 5.172; davon im Ertrag:<br />
1.350; Ertrag im Jahr 1900: 250 dz; Preis;<br />
5 M./dz<br />
Birnbäume: 719; davon im Ertrag: 250; Ertrag<br />
im Jahr 1900: 50 dz; Preis 5 M./dz<br />
Pfl aumen- und Zwetschgenbäume: 683;<br />
davon im Ertrag: 339; Ertrag im Jahr<br />
1900; 40 dz; Preis 2,50 M./dz<br />
Kirschbäume: 6; davon im Ertrag: 6; Ertrag<br />
im Jahr 1900: 0<br />
Die Gesamtzahl der o.g. Bäume betrug<br />
6.580.<br />
Zu bemerken ist, dass im Jahr 1900 eine<br />
große Anzahl von Kern- und Steinobstbäumen<br />
neu angepfl anzt wurde.<br />
Im Vergleich dazu die Anzahl der Bäume<br />
im Jahr 1965:<br />
Apfelbäume: 2.802; davon im Ertrag: 2.088<br />
Birnbäume: 261; davon im Ertrag: 226<br />
Pfl aumen- und Zwetschgenbäume: 468;<br />
davon im Ertrag: 392<br />
Kirschbäume: 237; davon im Ertrag: 177<br />
Die Gesamtzahl der Obstbäume im Jahr<br />
1965 betrug 3.768, und war somit um ca.<br />
43 Prozent geringer als im Jahr 1900.<br />
Missernten und Hilfsmaßnahmen<br />
Immer wieder gab es Missernten, für welche<br />
es die verschiedensten Ursachen gab.<br />
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts muss es<br />
schlimm gewesen sein, im Jahre 1892 und<br />
ganz besonders im Jahr 1893. Aufgrund<br />
von Auswinterung des Klees und des Wintergetreides,<br />
der großen Trockenheit im<br />
Winter sowie Frühjahr und Sommer 1893<br />
gab es kaum Erträge auf den Feldern. Weder<br />
Grünfutter noch Heu und Getreide gab<br />
es in ausreichender Menge zu ernten.<br />
Die Ertragssituation in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
stellte sich folgendermaßen dar (Bewertungsmaßstab:<br />
Angaben in Prozenten:<br />
ohne Ertrag 0 %; sehr schlechter Ertrag<br />
10 %; schlecht 20 %; gering 40 %; mittel<br />
60 %; gut 80 %; sehr gut 100 %):<br />
Rot- und Stoppelklee - ohne Ertrag; Wiesenheu<br />
und Öhmd - gering; Luzerneheu<br />
– sehr schlecht; Gerste, Hafer und<br />
Fut terrüben – gering; Dinkel, Weizen und<br />
Kartoff eln – mittel; einzig der Roggen war<br />
mit „gut“ eingestuft worden.<br />
Die Notstands-Kommission der Königlichen<br />
Zentralstelle für die Landwirtschaft<br />
bot Hilfe an. Um den Viehbestand halten<br />
zu können wurden größere Mengen an<br />
Futtermitteln, teilweise auch im Ausland,<br />
eingekauft. Den Bedarf an Futtermitteln<br />
konnten die Bauern auf dem Bürgermeisteramt<br />
bestellen. Von dort ging die Bestellung<br />
zum Königlichen Oberamt Neckarsulm.<br />
Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Bestellung für<br />
Futter und künstliche Düngemittel sah für<br />
1893 wie folgt aus: 100 Ztr. Mais; 200 Ztr.<br />
Erdnusskuchen; 100 Ztr. Mohnkuchen;<br />
200 Ztr. Thomasmehl; 100 Ztr. Kainit; 4<br />
87
88<br />
Ztr. roter Kleesamen; 2 Ztr. blauer Kleesamen.<br />
Durch den Zukauf von Futtermitteln<br />
für das Vieh fehlte natürlich das dringend<br />
notwendige Geld für die Weiterentwicklung<br />
der kleinbäuerlichen Betriebe.<br />
Über Jahrhunderte hinweg war es üblich<br />
gewesen, dass der Wald in solchen Notsituationen<br />
zur Viehversorgung genutzt<br />
wurde. Da gab es das Streurechen, die<br />
Heidenutzung, das Eichelsammeln, die<br />
Waldweide und Schweinemast. Vor allem<br />
in trockenen Jahren, in denen es wenig<br />
Heu und Öhmd oder auch Stroh gab,<br />
brauchte die Landwirtschaft Laub aus dem<br />
Wald zum Einstreuen im Stall. Auch als<br />
Dung auf den Feldern wurde das Stroh<br />
oder ersatzweise das Laub dringend benötigt,<br />
weil sonst die Erträge zwangsweise<br />
zurückgegangen wären. Ohne harte Auseinandersetzungen<br />
mit den Förstern gab<br />
es aber diese Genehmigungen nie. Übrigens,<br />
der letzte Antrag der Gemeinde auf<br />
Streunutzung kam 1952 – und wurde<br />
vom Forstamt abgelehnt 2 .<br />
Nicht ohne Grund waren Ende des 19.<br />
Jahrhunderts einige fortschrittliche Bauern<br />
im Dorf dem regionalen Karlsverein beigetreten,<br />
benannt nach Kronprinz Karl (1823–<br />
1891), dem späteren König Karl I. von<br />
Württemberg. Ein erster Schriftverkehr ist<br />
hierzu aus dem Jahr 1894 vorhanden. Gegründet<br />
wurde der Verein am 6. März 1839<br />
in Neckarsulm. Ziel und Aufgabe des Vereins<br />
bis zu seiner Aufl ösung 1932 war „Die<br />
Beförderung und Vervollkommnung der<br />
Landwirtschaft in ihrem ganzen Umfange<br />
im Oberamtsbezirk Neckarsulm“.<br />
Mit anderen Worten, der Verein hatte es<br />
sich zur Aufgabe gemacht, die Landwirte<br />
durch Vorträge und Fachliteratur zu sensibilisieren<br />
und zu ermutigen, neue Wege in<br />
der Bodenbearbeitung, in der Düngung, in<br />
der Anwendung von Saat- und Pfl anzgut<br />
und in der Tierzucht zu gehen. Bei der Beschaff<br />
ung von künstlichen Düngemitteln,<br />
Pfl anz- und Saatgut war der Verein be-<br />
hilfl ich. Alle diese Maßnahmen sollten<br />
helfen, Ertragsausfälle zu minimieren, Erträge<br />
zu steigern, dadurch wiederum höhere<br />
Einkommen zu generieren und somit<br />
die Zukunft der bäuerlichen Betriebe zu<br />
sichern.<br />
Entwicklung der Landwirtschaft in der<br />
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
Noch vor dem Ersten Weltkrieg hielten<br />
auch in <strong>Cleversulzbach</strong> technische Neuerungen,<br />
welche auch im landwirtschaftlichen<br />
Bereich starke Veränderungen im<br />
täglichen Arbeitsablauf brachten, Einzug.<br />
Die öff entliche, an ein Rohrleitungssystem<br />
gebundene Wasserversorgung kam 1911,<br />
und mit der Elektrifi zierung des Ortes,<br />
dass die ersten Lampen brennen und die<br />
ersten Elektromotoren summen konnten,<br />
war man 1913 fertig geworden.<br />
Mit Schreiben vom 15. Februar 1910 hatte<br />
das Königliche Oberamt Neckarsulm noch<br />
für die Einführung von elektrischem<br />
Strom in den Gemeinden geworben. Infolge<br />
der Leutenot auf dem Lande sollte<br />
menschliche Arbeit ersparende elektrische<br />
Energie […] Beleuchtung, besonders von<br />
Ställen, Kellern, Futterräumen, Scheuern<br />
eingesetzt werden. Mit der Elektrifi zierung<br />
verbunden war eine erhebliche Arbeitserleichterung<br />
und Beschleunigung verschiedener<br />
Arbeitsprozesse.<br />
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges begann<br />
die Einberufung der wehrfähigen Männer<br />
- kurz vor der Getreideernte - und die Requirierung<br />
der Pferde. Als Zugtiere wurden<br />
danach verstärkt die Kühe genutzt,<br />
aber auch Zugochsen kamen zum Einsatz.<br />
Durch den Wegfall der Männer als Arbeitskraft<br />
am Hof waren die verbliebenen<br />
Familienmitglieder, Kinder, Alte und ganz<br />
besonders die Frauen, stärker gefordert. Es<br />
blieb den Frauen weniger Zeit für die Kinder,<br />
und allen für die angenehmeren und<br />
lieb gewonnenen Dinge des Lebens.<br />
Im warmen, feuchten Frühsommer des
Bei der Karto elernte, im Hintergrund ist der Föhrenberg zu sehen (in den 1920er Jahren)<br />
Jahres 1916 trat zum ersten Mal die<br />
Krautfäule der Kartoff el bereits vor der<br />
Blüte im Reichsgebiet verheerend auf. Die<br />
grünen Triebe fi elen total zusammen und<br />
verfaulten. Zum Nachanbau auf den leeren<br />
Kartoff elfeldern kam als Ersatz die<br />
wässrige, nährstoff arme Steckrübe, deren<br />
Verzehr im Winter 1916/17 zum berüchtigten<br />
„Steckrübenwinter“ mit zahlreichen<br />
Todesopfern bei Kindern und älteren Menschen<br />
wegen Mangelernährung führte. Im<br />
Dorf selbst trat die Krautfäule auch auf,<br />
allerdings nicht so stark wie in anderen<br />
Teilen des Landes.<br />
Eine erste Feldregulierung gab es Mitte<br />
der 1920er Jahre. Diese war zwingend<br />
notwendig geworden, um etwas größere<br />
Bewirtschaftungseinheiten zu erreichen,<br />
denn an den Grundstücksgrößen hatte<br />
sich ja mit der Feldwegregulierung nichts<br />
geändert, es sei denn durch Zukauf eines<br />
Nachbargrundstückes, durch freiwilligen<br />
Tausch, Erbe oder Zugewinn durch Heirat.<br />
Auch der Ausbau der Feldwege (siehe<br />
Flurkarte) wurde dabei, wo notwendig,<br />
weiter ergänzt.<br />
Anbau und landwirtschaftliche Erzeugnisse in <strong>Cleversulzbach</strong> in den Jahren 1914<br />
und 1922<br />
1914 1922<br />
Acker- und Gartenländereien 193,62 ha 214,98 ha<br />
Wiesen, einschl. Baumwiesen 60,17 ha 60,17 ha<br />
Weiden und Hutungen 6,35 ha 0<br />
Weinberge 29,61 ha 14,60 ha<br />
(1914 im Ertrag stehend 19,41 ha; nicht im Ertrag stehend 10,20 ha)<br />
(1922 im Ertrag stehend 13,70 ha; nicht im Ertrag stehend 0,90 ha, Rest Brache/Oede)<br />
Landwirtschaftliche Anbaufl äche zu Anfang Juni 1914<br />
bzw.1922<br />
289,75 ha 289,75 ha<br />
89
90<br />
Auf den Acker- und Gartenländereien waren folgende Früchten angebaut:<br />
Getreide und Hülsenfrüchte:<br />
Winterweizen 25,79 ha 20,15 ha<br />
Sommerweizen 0 1,00 ha<br />
Winterroggen (kein Futterroggen) 10,20 ha 3,50 ha<br />
Wintergerste 17,30 ha 0<br />
Sommergerste 0 6,20 ha<br />
Hafer (Winter- und Sommerhafer) 5,42 ha 22,60 ha<br />
Erbsen (nur für den Körnergewinn) 0 0,30 ha<br />
Linsen (nur für den Körnergewinn)<br />
Bohnen<br />
0 0,20 ha<br />
(Acker-, Sau- und Pferdebohnen; nur für den Körnergewinn)<br />
Hackfrüchte:<br />
0 0,15 ha<br />
Kartoff eln 30,00 ha 20,55 ha<br />
Runkelrüben/Angersen (als Futterrüben) 13,20 ha 25,10 ha<br />
Gurken 0 1,50 ha<br />
Zwiebeln 0 0,30 ha<br />
Johannis- und Stachelbeeren<br />
Handelsgewächse:<br />
0 0,20 ha<br />
Mohn 0 5,40 ha<br />
Flachs (Lein) 0 0,30 ha<br />
Hanf 0 1,50 ha<br />
Zuckerrüben (zur Zuckerfabrikation) 10,30 ha 13,20 ha<br />
Zichorien 5,10 ha 3,10 ha<br />
Korbweiden<br />
Futterpfl anzen:<br />
0 0,30 ha<br />
Klee (insbesondere roter Klee) 7,30 ha 40,20 ha<br />
Luzerne (so genannter blauer oder ewiger Klee) 1,10 ha 12,27 ha<br />
Mais (zum Grünfuttergewinn) 10,20 ha 12,20 ha<br />
Wicken (zu Grünfutter) 7,40 ha 6,90 ha<br />
Esparsette (Süßklee, Hülsenfrüchtler) 0,60 ha 5,00 ha<br />
Sonstige Grassaat aller Art:<br />
Hausgärten mit Obst- und Gemüsebau, sowie private<br />
Parkanlagen und nicht im Forstbetrieb benützte<br />
0 3,65 ha<br />
Baumschulen und Pfl anzgärten 9,71 ha 9,21 ha<br />
Ergibt zusammen Acker- und Gartenländereien: 193,62 ha 214,98 ha<br />
Es ist schon beeindruckend, wie sich in<br />
acht Jahren, zwischen 1914 und 1922, das<br />
Anbauverhalten der Landwirte verändert<br />
hat. Sie mussten sich wie stets, wie auch<br />
in Zukunft, den Anforderungen anpassen,<br />
um überleben zu können.<br />
Tabak und Mohnanbau<br />
Beides waren für die Bauern Nischenprodukte.<br />
Sie wurden von den meisten Betrieben<br />
aber nur in geringen Mengen angebaut,<br />
brachten aber, wenn die Witterung<br />
es zuließ und der Markt die Ware zu
ordentlichen Preisen abnahm, ein schönes<br />
Zusatzeinkommen. Tabak und Mohn sind<br />
beide für <strong>Cleversulzbach</strong> Anfang des 20.<br />
Jahrhunderts erwähnt und haben sich bis<br />
Ende der 1950er Jahre, wenn auch nur<br />
noch vereinzelt am Ort, im Anbau gehalten.<br />
Besonders der Tabak war sehr pilzempfi<br />
ndlich, und die Pfl ege wie die Ernte<br />
waren recht arbeitsintensiv.<br />
Imkerei<br />
Seit den 1920er Jahren wird auch immer<br />
wieder das Vorhandensein von Bienenstöcken,<br />
welche sich bis Ende der 1960er gehalten<br />
wurden, erwähnt. Ein kleines Kuriosum:<br />
beide der damaligen Imker hießen<br />
Friederich Lumpp. Der Ältere mit acht bis<br />
zwölf Bienenstöcken war Landwirt und<br />
über lange Jahre hinweg Gemeindepfl eger,<br />
auch war er an der <strong>Cleversulzbach</strong>er Jagd<br />
beteiligt. Gewohnt hat er mit seiner Frau<br />
in der Unteren Straße, späteres Anwesen<br />
Emil Lumpp, heute teilweise D. Steinacker.<br />
Der Jüngere, mit 14 bis 18 Stöcken, war<br />
Posthalter und Briefträger, auch betrieb er<br />
mit seiner Frau noch eine kleine Landwirtschaft.<br />
Gewohnt hat das Ehepaar in der<br />
Hauptstraße, heute Brettacher Straße.<br />
Seit etwa Anfang der 1980er Jahre gibt es<br />
wieder Bienen und Imkerei im Ort. Derzeit<br />
sind dies R. Baier, der erst vor einigen Jahren<br />
damit begonnen hat, A. Plenefi sch, sie<br />
betreibt die Imkerei in größerem Stil, sowie<br />
K. Wölk, der sich schon etliche Jahre<br />
mit der Imkerei beschäftigte; inzwischen<br />
hat er aber seine Bienenvölker abgegeben.<br />
Viehzählung zum 1. Dezember 1920<br />
I. Pferde<br />
Unter 3 Jahre alte Pferde und Fohlen: 1<br />
3 bis 5 Jahre alte Pferde: 7<br />
Alle sonstigen Pferde: 7<br />
Gesamtzahl der Pferde: 15<br />
II. Rindvieh<br />
Kälber bis 3 Monate: 19<br />
Jungvieh bis 2 Jahre: 169<br />
Farren, Stiere und Ochsen: 33<br />
Kühe, Färsen und Kalbinnen: 162<br />
Gesamtzahl des Rindviehs: 383<br />
III. Schafe<br />
Unter einem Jahr alte Schafe und<br />
Schafl ämmer: 150<br />
1 Jahr alte und ältere Schafe: 23<br />
Gesamtzahl der Schafe: 173<br />
davon entfi elen auf den örtlichen<br />
Schäfer (Schafe und Lämmer): 152<br />
IV. Schweine<br />
Ferkel unter 8 Wochen alt: 13<br />
8 Wochen bis ½ Jahr alte Schweine: 110<br />
Zuchteber: 2<br />
Zuchtsauen: 3<br />
Gesamtzahl der Schweine: 128<br />
V. Ziegen<br />
Unter 1 Jahr alte Ziegen und Ziegenlämmer<br />
12 (davon 1 männliches)<br />
1 Jahr alte und ältere Ziegen: 29<br />
( 1 männliche)<br />
Gesamtzahl der Ziegen: 41<br />
VI. Federvieh<br />
Gänse: 169<br />
Enten: 59<br />
Hühner: 694<br />
Gesamtzahl des Federviehs: 922<br />
Die Gesamtzahl der Viehhalter belief<br />
sich auf insgesamt 110, wobei nicht<br />
von allen Tierhaltern auch alle Tierarten<br />
gehalten wurden.<br />
links: Imker Roland Baier bei der Arbeit mit<br />
seinen Bienen, 2012<br />
91
92<br />
Bis zum Beginn des Zweiten<br />
Weltkrieges<br />
Landwirtschaft unter<br />
nationalsozialistischen Vorzeichen<br />
Nach dem Ende der Infl ation suchte man<br />
Mittel und Wege für einen Maßstab zur<br />
fi nanziellen Bewertung des Vermögens eines<br />
landwirtschaftlichen Betriebes. Die<br />
Bewertung hing ab von der Art, Qualität<br />
und Größe der betriebseigenen Nutzfl ächen<br />
und der Höhe des Viehbesatzes sowie<br />
sonstigen Besitzes (Wald, Kiesgrube).<br />
Das dazu nötige Gesetz zur Reichsbodenschätzung,<br />
das Reichsbewertungsgesetz,<br />
wurde jedoch erst 1934 erlassen. Die<br />
Durchführung der Bodenschätzung in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
erfolgte Mitte/Ende der<br />
1930er Jahre. Mit dieser Schätzung und<br />
der Berücksichtigung anderer Leistungen<br />
ergab sich für jeden Betrieb der Einheitswert,<br />
eine noch heute gültige monetäre<br />
Bewertung des Vermögens der landwirtschaftlichen<br />
Betriebe. Nach und nach<br />
konnte die Erzeugung von Nahrungsgütern<br />
gesteigert werden, was auch im Sinne<br />
der Autarkie politisch angestrebt war:<br />
mögliche Selbstversorgung der Bevölkerung<br />
aus eigener Scholle, so genannte<br />
Blut- und Bodenideologie nach NS-Jargon.<br />
Das Jahr 1933 und die darauf folgenden<br />
Jahre brachten mit der Planung von Autobahnen<br />
fi nanzielle Impulse für die Industrie,<br />
das Gewerbe und auch für die Landwirtschaft.<br />
Sehr langsam ging es wieder<br />
aufwärts mit der Kaufkraft der Städter,<br />
was auch zu höheren Preisen für Nahrungsmittel<br />
führte. Ganz allgemein strebte<br />
man eine Verbesserung der Marktordnung<br />
und Marktorientierung an. Dies waren die<br />
ersten Ziele des „Reichsnährstandes“, der<br />
ständischen Organisation der Agrarwirtschaft,<br />
die sich um landwirtschaftliche<br />
Produktion, Absatz und Preisgestaltung<br />
kümmerte. Es gab jetzt in den Zeitungen<br />
vermehrt allgemeine Marktberichte mit<br />
Angabe von Preiserwartungen. Denn der<br />
bisherige Warenabsatz im Dorf erfolgte in<br />
der Regel als Direktgeschäft mit dem<br />
Metzger, Viehhändler, Müller, Weinhändler<br />
oder dem Gastwirt. Mal funktionierte es<br />
besser, bei Kenntnissen des Marktpreises,<br />
mal funktionierte es schlechter, und der<br />
Bauer war der Dumme. Der gegenseitige<br />
Handschlag war Zeichen des Abschlusses<br />
eines Verkaufs.<br />
Seidenraupenzucht<br />
Die Synthetikfaser hatte ihren Siegeszug<br />
noch nicht angetreten. Um trotzdem feine<br />
Textilfasern, für die militärische Nutzung<br />
wie z. B. Fallschirme, aber auch für den zivilen<br />
Bereich, zur Verfügung zu haben,<br />
bedurfte es noch der Seidenfaser. So<br />
wurde in den 1930er Jahren auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
pfl ichtgemäß eine bescheidene<br />
Zucht der Seidenraupe begonnen.<br />
Die Raupen waren wohl recht gefräßig; als<br />
Futter dienten die Blätter der Maulbeerbäume.<br />
Die Gemeinde war verpfl ichtet, einen<br />
Maulbeergarten als Futterquelle für<br />
die Raupen anzulegen. Dies geschah südöstlich<br />
des Dorfes auf der Allmendfl äche<br />
unterhalb des Katzenbergs. (Der Autor W.<br />
Uhlmann kann sich noch recht gut an<br />
diese Maulbeerbäume erinnern, deren<br />
süße Früchte genascht wurden. Leider sind<br />
die letzten Sträucher in den 1980er Jahren<br />
abgestorben.)<br />
Maul- und Klauenseuche<br />
Mitte der 1930er (und noch einmal Anfang<br />
der 1950er) Jahre trat eine im Dorf<br />
bisher unbekannte Tierkrankheit auf, die<br />
Maul- und Klauenseuche, an der besonders<br />
Kühe und das Jungvieh erkrankten.<br />
Wegen Entzündung der Schleimhaut des<br />
Maules und der Zungen ging sofort die<br />
Fresslust zurück. Auch das Stehen der<br />
Tiere war wegen Entzündungen der<br />
Klauen für die Tiere schmerzhaft. Zusammen<br />
mit starkem Fieber verendeten einige
Kühe und wurden anschließend in ausgebeuteten<br />
Kies- und Lehmgruben des Dorfes<br />
vergraben. Die einzige Gegenmaßnahme<br />
bestand damals im Anbringen von<br />
Sägemehlmatten, versetzt mit Desinfektionsmitteln,<br />
zur Vermeidung der Ausbreitung<br />
dieser Krankheit. Wegen der Seuchengefahr<br />
wurde auch für einige Monate<br />
die damalige Milchsammelstelle im Rathaus<br />
geschlossen. Die Milch wurde vom<br />
Milchkutscher direkt an den Hofstellen<br />
abgeholt.<br />
Im Zweiten Weltkrieg<br />
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges<br />
erfolgte am 7. September durch die<br />
Ernährungsverwaltung summarisch die<br />
Beschlagnahme der wichtigsten landwirtschaftlichen<br />
Produkte. Die Landwirte<br />
und deren Familienmitglieder erhielten<br />
einen genau festgelegten Anteil als Eigenbedarf<br />
zugestanden. Der übrige Teil<br />
musste abgeliefert werden. Die Aufrechterhaltung<br />
der landwirtschaftlichen Pro-<br />
Beim Abholen der Milch an den Hofstellen<br />
(Anfang der 1950er Jahre)<br />
duktion während des Krieges war nur<br />
möglich durch den Einsatz „nichtdeutscher<br />
Zwangsarbeiter“ (ca.1,5 Mio. Personen<br />
und ca. 700.000 Kriegsgefangene).<br />
Zwangsarbeiter wie Kriegsgefangene<br />
wurden im Ort in die Bauernfamilien eingegliedert:<br />
Schlafstelle im Haus (ausgenommen<br />
die Kriegsgefangenen), gemeinsames<br />
Essen, Mitarbeit auf dem Feld.<br />
Diese häusliche Integration war die Vor-<br />
Getreideernte mit Haberrechen und Sichel,<br />
W. Lumpp mit den Töchtern Luise und Lina,<br />
im Sommer 1943.<br />
aussetzung zu gedeihlicher Zusammenarbeit<br />
ohne große Störungen 3 .<br />
Mit Kriegsende hörte diese Art der Beschäftigung<br />
schlagartig auf. Der Abzug<br />
der Zwangsarbeiter wurde durch die hungernden<br />
und oft auch arbeitslosen Soldaten<br />
und Jugendlichen auf der Suche nach<br />
einem Beruf ersetzt. Vertriebene und<br />
Flüchtlinge kamen in die Dörfer und<br />
mussten eingegliedert werden - eine<br />
schier unlösbare Aufgabe für die Kommunen.<br />
Im September 1948 wohnten im Dorf<br />
83 Flüchtlinge. 4<br />
In diesem Zuge kam 1949 auch der aus<br />
Bessarabien stammende Wilhelm Speck<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong>. Er ist damals im<br />
Hause Nef als Knecht mit Kost und Logis<br />
93
94<br />
Beim Futterholen im „Rappenloch“ – Anna<br />
Klarenbach, geb. Bordt (links im Bild) mit<br />
Emil Bordt und dem französischen Kriegsgefangenen<br />
Pierre Larot (Bildmitte), um 1943<br />
untergekommen. Ein anderes Beispiel; Familie<br />
Kaldun kam mit Wagen und zwei<br />
schneidigen Trakehnern über Schleswig-<br />
Holstein ins Dorf und ist in der Hohl bei<br />
Hermann Hesser eingezogen. Später<br />
konnte die Familie Kaldun die Hofstelle<br />
von Daniel Schuler, heute Untere Straße 6,<br />
übernehmen.<br />
Beim Ährenzusammenrechen<br />
(Ende der 1940er Jahre)<br />
Landwirtschaftliche Entwicklung in der<br />
Nachkriegszeit und Mechanisierung<br />
Die Erträge an Feldfrüchten 1945 waren<br />
bescheiden, ebenso die Milchleistung.<br />
Doch die relativ hohen Produktpreise stimulierten<br />
die Erzeugung. Für Weizen wurden<br />
40 bis 45 DM pro Doppelzentner bezahlt,<br />
es ging aufwärts.<br />
Familie Sinn bei<br />
der Kohlernte<br />
um 1950
Vater und Sohn<br />
Albrecht beim<br />
Pfl ügen mit<br />
Kuhgespannen<br />
(Anfang der<br />
1950er Jahre)<br />
Das Ausdreschen des Getreides geschah<br />
noch bis in die Zeit um den Ersten Weltkrieg<br />
mittels des altbekannten Dreschfl egels.<br />
In den 1920er Jahren boten die ersten<br />
Lohnunternehmer ihre Dienste zum<br />
mechanischen Dreschen des Getreides auf<br />
den Höfen der Landwirte an. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war dies Lohnunternehmer Hediger<br />
aus Möckmühl. Die damaligen Dreschkolonnen<br />
bestanden aus einem Loko-<br />
Dreschen bei der Löwenscheuer in <strong>Cleversulzbach</strong>, 1922<br />
mobil. Dies war eine mobile Dampfmaschine<br />
mit einer Dreschmaschine, für den<br />
Antrieb durch einen langen Ledertreibriemen<br />
miteinander verbunden. In den<br />
1930er Jahren wurde Hediger durch den<br />
Brettacher Unternehmer Ehmann in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
abgelöst. Ehmann hat mit seiner<br />
Dreschkolonne im Dorf bis zur Anschaff<br />
ung der großen Dechentreiter<br />
Dreschmaschine durch die Spar- und Dar-<br />
95
96<br />
lehenskasse 1950 gedroschen. Im Zuge der<br />
Anschaff ung der Dreschmaschine errichtete<br />
die Spar- und Darlehenskasse eine<br />
Dreschhalle an der Brettacher Straße beim<br />
Sulzbach. Betreut wurde die neue Maschine<br />
zuerst durch Gustav Stephan, und<br />
danach, bis zur Einstellung des Druschbetriebes,<br />
durch Erwin Plenefi sch. Einige<br />
Landwirte hatten sich damals kleinere<br />
Dreschmaschinen selbst, teilweise auch<br />
gemeinschaftlich angeschaff t, mit denen<br />
sie noch bis in die 1950er Jahre ihr Getreide<br />
selbst gedroschen haben.<br />
Noch während des Krieges, 1944, erwarb<br />
die Spar- und Darlehenskasse einen Schlepper,<br />
damals noch mit Holzvergaser sowie<br />
einen Getreidemähbinder. Der Schlepper<br />
wurde überbetrieblich im Lohn bei Landwirten<br />
und auch bei Privaten, meistens für<br />
Transportarbeiten wie z. B. Beischaff ung<br />
von Baumaterialien, eingesetzt. Der Getreidemähbinder<br />
kam hingegen nur bei den<br />
getreideanbauenden Landwirten zum Einsatz.<br />
Der erste „Traktorist“ (Schlepperfahrer)<br />
war A. Bordt, danach folgte W. Pfeff er, in<br />
dessen Eigentum der Schlepper, nachdem<br />
die Landwirte selbst über Schlepperfahrzeuge<br />
verfügten, überging. Den ersten privaten<br />
Schlepper, einen wassergekühlten<br />
11-PS-Deutz mit 4-Gang-Getriebe schaff te<br />
sich 1948 Wilhelm Kuttruf aus der Eberstädter<br />
Straße an. In den 1950er Jahren<br />
kam dann die große Welle der Kleinschlepper<br />
mit einer Stärke von 11 bis 25 PS. Überwiegend<br />
wurde allerdings immer noch, was<br />
nicht wirtschaftlich war, mit den alten herkömmlichen<br />
Gespannpfl ügen und Eggen<br />
gearbeitet. Als das Geld erwirtschaftet war,<br />
wurden diese durch zeitgemäße Geräte ersetzt.<br />
Mit den Traktoren kamen auch einige<br />
Getreidemähbinder in den Ort und die<br />
„Gummiwagen“ hielten Einzug.<br />
Den ersten Mähdrescher im Dorf bekam O.<br />
Schlegel 1958, ein Jahr später bildete sich<br />
mit W. Bürger, W. Kollmar, E. Lumpp und H.<br />
Uhlmann eine Mähdreschergemeinschaft,<br />
Eugen und Kurt Blank beim Pfl ügen mit ihrem<br />
17-PS-Fahr-Schlepper, 1953<br />
die nahezu 25 Jahre Bestand hatte. Die<br />
Mähdrescher wurden überbetrieblich eingesetzt,<br />
da die Flächen des eigenen Betriebes<br />
nicht ausgereicht hätten, um mit den<br />
teuren Maschinen rentabel arbeiten zu<br />
können. Heumaschinen, Gebläsehäcksler,<br />
Kartoff elroder oder auch die erfolgreich<br />
Einzug haltende Melkmaschine erleichterten<br />
die Arbeit der Bauern, und ganz besonders<br />
der Bäuerinnen. Auch die Produktivität<br />
der Betriebe konnte durch den sinnvollen<br />
Einsatz der Maschinen gesteigert werden.<br />
Vater und Sohn Schlegel mit dem ersten<br />
Mähdrescher im Dorf, 1958
Diese erste Technisierungsstufe setzte bei<br />
der Stall- und Feldarbeit Arbeitskräfte<br />
frei, die ihrerseits in der Industrie bei<br />
besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen<br />
den landwirtschaftlichen Beruf als<br />
Haupt erwerb aufgaben. Dies war dann<br />
auch die Zeit der ersten Betriebsaufgaben,<br />
mit der Folge, dass andere Betriebe<br />
wachsen und sich vergrößern konnten.<br />
Da es aber in der Enge des Dorfes meist<br />
keine Möglichkeit einer räumlichen Ausweitung<br />
für die Tier- und Milchproduktion<br />
gab und die Arbeitsabläufe auf den<br />
engen Hofstellen nicht zeitgemäß angepasst<br />
werden konnten, wurden Aussiedlerhöfe<br />
gebaut, um den Fortbestand der<br />
Betriebe zu sichern. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
traf dies zu auf die Familien Blank,<br />
Eckert, Schlegel und Kollmar.<br />
Mit der weiter zunehmenden Abwanderung<br />
von Arbeitskräften in das produzierende<br />
Gewerbe in den 1960er Jahren wurden<br />
nun Techniken für gesamte Arbeitsverfahren<br />
zur Ersetzung menschlicher Arbeitskraft<br />
benötigt. Eine zweite Welle der<br />
Mechanisierung überrollte die Landwirte.<br />
Das waren im Dorf größere Schlepper (bis<br />
60 PS), Zweitschlepper, neue Saatechniken<br />
für Rüben, Kartoff ellegemaschinen, Feldspritzen,<br />
Ladewagen, Kreiselmähwerke,<br />
Heu maschinen, Dungstreuer, moderne<br />
Pfl üge und Bodenbearbeitungsgeräte, Vollernter<br />
für Zuckerrüben, um nur einige zu<br />
nennen.<br />
Oft hörte man die Landwirte damals stöhnen:<br />
„Wir arbeiten nur noch für die Maschinen.“<br />
Es waren nicht alle in der Lage,<br />
sich die Maschinen selbst anzuschaff en,<br />
oftmals wurde dies in Gemeinschaft getan.<br />
Eine gewisse fi nanzielle Entlastung<br />
des Einzelbetriebes brachten die Lohnunternehmer<br />
mit den erforderlichen modernen<br />
landwirtschaftlichen Geräten, wie sie<br />
z. B. von den <strong>Cleversulzbach</strong>ern Dietrich,<br />
Pfeff er, Schlegel und Uhlmann bereitgestellt<br />
wurden.<br />
Landwirtschaftliche Betriebsstruktur in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> 1960<br />
Den Erhebungen des Statistischen Landesamtes5<br />
zufolge gab es 1960 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nachfolgende Betriebsstrukturen in<br />
den überwiegend kleinbäuerlichen Betrieben.<br />
Insgesamt waren 112 Betriebe mit<br />
583 Hektar Betriebsfl äche von der Statistik<br />
erfasst, worunter der gemeindeeigene<br />
Forstbetrieb mit 189 Hektar beinhaltet<br />
war. Die Waldfl äche auf der Gemarkung<br />
belief sich 1960 auf 200 Hektar.<br />
Die 380 Hektar umfassende landwirtschaftliche<br />
Nutzfl äche war nicht nur wie<br />
bereits erwähnt auf 111 Betriebe, sondern<br />
auch noch auf 1.847 Flurstücke oder Parzellen<br />
verteilt, was sich nachteilig auf die<br />
Rentabilität auswirkte. Eine Flurbereinigung<br />
war dringend geboten. Schlepper<br />
oder Traktoren waren 1960 im Ort 50 vorhanden.<br />
Anzahl der Betriebe und ihre Betriebsgröße<br />
bzw. deren insgesamt bewirtschaftete<br />
Fläche:<br />
0,01–2 ha: 48 Betriebe insges. 52 ha<br />
2–5 ha: 31 Betriebe insges. 106 ha<br />
5–7,5 ha: 25 Betriebe insges. 151 ha<br />
7,5–10 ha: 5 Betriebe insges. 43 ha<br />
10–20 ha: 2 Betriebe insges. 28 ha<br />
Laut der Bodennutzungserhebung wurden<br />
auf den 266 ha Ackerland angebaut:<br />
Getreide – 151 ha; Hackfrüchte – 61 ha;<br />
Futterpfl anzen – 37 ha; Sonderkulturen<br />
(Rebland, Obstanlagen, Beeren, Baumschulen,<br />
usw.) – 17 ha.<br />
Das Grünland belief sich auf 114 ha.<br />
Viehbestand:<br />
Pferde (als Zugtiere genutzt): 11; Rindvieh:<br />
364; davon 148 Milch- und auch Arbeitskühe<br />
(nicht jeder hatte einen Traktor);<br />
Mastschweine: 259.<br />
Andere Tierarten wurden bei dieser Erhebung<br />
nicht ermittelt.<br />
Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen<br />
Betrieben in <strong>Cleversulzbach</strong>:<br />
97
98<br />
151 Vollarbeitskräfte, der Frauenanteil betrug<br />
61,6 Prozent (im Landkreis Heilbronn<br />
lag dieser Anteil zwischen 47 % und 78 %).<br />
Der hohe Frauenanteil in der landwirtschaftlichen<br />
Arbeit war eine Folge der Abwanderung<br />
männlicher Arbeitskräfte in<br />
die Industrie mit höheren Löhnen, ausgelöst<br />
durch das unzureichende Einkommen<br />
der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe.<br />
Familienfremde waren in den Betrieben<br />
nicht beschäftigt.<br />
Flurbereinigung in den 1970er Jahren<br />
Eine der großen wertvollen Maßnahmen<br />
für die Landwirtschaft überhaupt war die<br />
Flurbereinigung. Auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wurde darüber diskutiert, weil man die<br />
positiven Ergebnisse in bereits „bereinigten“<br />
Dörfern sah. Jedoch, man scheute<br />
sich vor den fi nanziellen Kosten, die mit<br />
1.500 bis 2.000 DM / ha bei Ackerland und<br />
bis 3.000 (5.000) DM / ha bei Weinberglagen<br />
angedeutet waren.<br />
Mit dem Ausbau der A 81 Weinsberg–<br />
Neuenstadt am Kocher in den 1970er<br />
Jahren war zwangsläufi g die zweite Flurbereinigung<br />
(zuvor Mitte der 1920er) für<br />
den überwiegenden Teil der Markungsfl äche<br />
des Dorfes notwendig geworden. Weil<br />
jetzt die Straßenbauabteilung fi nanziell<br />
involviert war, sanken automatisch auch<br />
die Kosten für die Teilnehmer. Eine typische<br />
Rebfl urbereinigung im Dorf fand bei<br />
dieser Gelegenheit jedoch nicht statt.<br />
Mancher Wengerter hat selbst die nötigen<br />
Maßnahmen für eine zukünftige Entwicklung<br />
durchgeführt.<br />
Im Mai 1970 erfolgte die Information<br />
über die Bodeneinstufung der Parzellen<br />
der Teilnehmer an der Flurbereinigung<br />
– eine als schwierig durchführbar<br />
empfundene Bewertung, weil jeder Eigentümer<br />
seine Flächen gerne höher eingestuft<br />
sehen wollte. Auff ällig war die<br />
Vielzahl der Parzellen bei einer Betriebsgröße<br />
von 7,59 Hektar. Eine Folge der<br />
jahr hundertelang üblichen Realteilung?<br />
Das Ergebnis der Zusammenlegung: nur<br />
noch acht Parzellen (zuvor waren es etwa<br />
vier bis fünf Mal so viele) bei einer ungefähr<br />
gleichen Betriebsgröße von 7,25 Hektar.<br />
Gemäß der Wegenetzplanung der Flurbereinigung<br />
wurden die landwirtschaftlichen<br />
Wege den neuen Gegebenheiten angepasst<br />
und größtenteils befestigt.<br />
Landwirtschaftliche Betriebsstruktur in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> 2001<br />
Landwirtschaftliche Betriebe gab es 2001<br />
noch 18 in <strong>Cleversulzbach</strong>. Die nachfolgenden<br />
Angaben wurden vom Statistischen<br />
Landesamt Baden-Württemberg erhoben6<br />
.<br />
Flächengröße/Betriebszahl:<br />
Unter 2 ha 6 Betriebe; 2 –10 ha 4 Betriebe;<br />
10 –20 ha 2 Betriebe; 20 –50 ha 5 Betriebe;<br />
50 ha und mehr 1 Betrieb.<br />
Bodennutzung:<br />
Landwirtschaftlich genutzte Fläche der<br />
Betriebe insgesamt: 313 ha<br />
davon Ackerland 231 ha; Dauergrünland<br />
68 ha; Rebland 14 ha (von der Erhebung<br />
waren nicht alle betroff en)<br />
Viehhaltung:<br />
Tierhaltung hatten von diesen 18 Betrieben<br />
lediglich 10 Betriebe mit 175 Großvieheinheiten,<br />
mit insgesamt 213 Rindern,<br />
81 davon waren Milchkühe. Mastschweine<br />
waren 10 und Gefl ügel 100 Stück registriert<br />
worden. Pferde und Schafe wurden<br />
von den Betrieben keine gehalten.<br />
Inzwischen, bzw. 2012, gibt es noch einen<br />
Betrieb mit ca. 40 Milchkühen sowie Nachzucht<br />
und Mast.<br />
Angaben zur Gemarkungsfl äche von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
2001:<br />
Gemarkungsfl äche: 528 ha, davon Siedlungs-<br />
und Verkehrsfl äche: 85 ha, davon:<br />
Gebäude- und Freifl äche: 26 ha, Er holungs<br />
fl äche: 1 ha, Verkehrsfl äche: 59 ha;
Landwirtschaftsfl äche: 232 ha (mit Ackerland:<br />
146 ha, Grünland: 68 ha, Gartenland:<br />
3 ha, Weinbergen: 16 ha, Wald: 207 ha,<br />
Wasserfl äche: 3 ha sowie Flächen anderer<br />
Nutzung: 1 ha).<br />
Martin Simpfendörfer beim Heupressen,<br />
2001<br />
Die landwirtschaftliche Betriebsfl äche ist<br />
größer als die Gemarkungsfl äche, da Teile<br />
davon auf der Neuenstadter bzw. Bret -<br />
tacher Gemarkung liegen.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, Ansicht von Osten, 2012<br />
Perspektiven! Wie geht es weiter?<br />
Wer heute mit off enen Augen durch die<br />
Markung des Dorfes geht, sieht große, gepfl<br />
egte Ackerstücke mit Kulturen in hervorragender<br />
Entwicklung statt der früher<br />
vorherrschenden Kleinstruktur. Oft fallen<br />
die Ackerfl ächen heute größer aus als unmittelbar<br />
nach der Flurbereinigung. Das<br />
ist eine Folge von Betriebsaufgaben und<br />
der dadurch gegebenen Möglichkeit der<br />
Zupacht, teilweise auch freiwilliger<br />
Grundstückstausch untereinander.<br />
Auf den Feldern im Ort werden heute bei<br />
Getreide überwiegend ertragreiche Winterweizensorten,<br />
etwas Dinkel, Hafer sowie<br />
Brau- und Wintergerste angebaut.<br />
Raps für die Ernährungsindustrie, aber<br />
auch für Kraftstoff e, sowie Kartoff eln,<br />
Futter- und Körnermais sind genauso im<br />
Anbau, wie die für unsere Landwirte<br />
wichtige Zuckerrübe. Die Anbaufl ächen<br />
richten sich nach den Anforderungen des<br />
Marktes, es wird dem Bedarf entsprechend<br />
produziert. Mit Gemüse hat man<br />
sich in den 1960er und 1970er Jahren<br />
auch versucht, es brachte aber nicht das<br />
99
100<br />
Gerstenfelder im Gewann Hagenach/Wolfsäcker, rechts dahinter der Föhrenberg,<br />
zu dessen Fuß der Aussiedlerhof Kollmar<br />
erhoff te kontinuierliche Einkommen für<br />
die Landwirte, da die Böden teilweise zu<br />
schwer sind, und es zum anderen keine<br />
Möglichkeit der Beregnung gibt. Erfolgreicher<br />
Gemüseanbau ist eben stark von<br />
ausreichender Feuchtigkeitsversorgung<br />
abhängig.<br />
Das Gesicht unseres Dorfes hat sich zweifellos<br />
verändert. Aus dem ehemaligen beschaulichen<br />
Bauerndorf <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ist eine Pendlerwohngemeinde geworden.<br />
Es gibt noch einen einzigen Vollerwerbsbetrieb<br />
mit Milchviehhaltung und Nachzucht.<br />
Die überwiegende Restfl äche des<br />
Dorfes und die Weinberge werden im Nebenerwerb<br />
bewirtschaftet, eine Entwicklung<br />
wie in vielen anderen Nachbargemeinden<br />
des Unterlandes auch.<br />
Erinnerungen an die gute, alte Zeit<br />
Gänsehirten<br />
Zur Versorgung der Mädchen für ihre Heirat<br />
hielt sich fast jede Familie Gänse, denn<br />
diese lieferten die besten Daunen für das<br />
Bettzeug. Damit das Federkleid gut gepfl<br />
egt blieb, brauchte man einen Gänsegarten<br />
an einem Teich oder am Bach. In<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> lag der Gänsegarten in den<br />
1940er Jahren oberhalb des Dorfes an<br />
dem Binsenbach, beim heutigen Anwesen<br />
Birk. Die morgendliche Abholung der<br />
Gänse, 1945 wurden im Dorf noch 52<br />
Gänse gezählt, erfolgte zentral durch den<br />
Gänsehirten zu einer bestimmten Stunde.<br />
Durch Hornsignal begann die Abholung,<br />
das Zeichen zum Abmarsch, freudig mit<br />
Schnattern begrüßt. Die Rückkehr erfolgte<br />
stets zur gleichen Zeit am späten Nachmittag:<br />
Wie ein wildes Heer fl atterten die<br />
Gänse durch die Straßen und Gassen in<br />
Richtung zum heimatlichen Stall an den<br />
gefüllten Futternapf.<br />
Nach Aufl ösung des Gänsegartens bei<br />
dem Binsenbach wurde ein Ersatz in der<br />
Ortsmitte beim Transformatorenhaus und<br />
dem heutigen Verbindungsweg zum Neu-
augebiet angelegt. Mit Wasser gespeist<br />
wurde er aus den Überläufen der Brunnen<br />
aus der damaligen Hauptstraße. Da die<br />
Anzahl der Gänse bereits in den 1950er<br />
Jahren stark rückläufi g war, wurde dieser<br />
Anfang/Mitte der 1960er Jahre wieder<br />
aufgegeben.<br />
Lichtstuben<br />
Bis in die Mitte der 1920er Jahre traf sich<br />
die weibliche Dorfjugend in den Wintermonaten<br />
in so genannten Lichtstuben<br />
zum Stricken, Nähen und auf ein<br />
Schwätzle.<br />
Kärwe (Kirchweih): Im Spätherbst Ende<br />
Oktober gefeiert bei Kaff ee und Kuchen<br />
mit Nachbarn und Tagelöhnern. Freudenfest<br />
für die Kinder: leckere Kuchen (Apfel-,<br />
Käse-, Trauben-, Zwetschgen-, und<br />
Zwiebelkuchen) wurden gebacken.<br />
Wochenmärkte<br />
Laut Erzählungen älterer Bewohner sind in<br />
der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg Frauen<br />
1 Zur Nennung von Flurnamen in <strong>Cleversulzbach</strong> siehe auch<br />
Eckhard Kreeb: Zur Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s im Mittelalter<br />
und in der frühen Neuzeit, und Karl Kuhn/Friedrich<br />
Schlaghoff : Die erste Gemeindeordnung von <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
2 Zur Waldnutzung siehe auch Michael Domay: <strong>Cleversulzbach</strong><br />
und sein Wald.<br />
3 Kriegsgefangene, Ostarbeiter und Evakuierte, siehe Beitrag<br />
Gottfried Reichert: Einwanderung und Auswanderung.<br />
des Dorfes mit frischen Eiern, selbst gemachter<br />
Butter und selbst gemachtem<br />
Quark, frischem Obst usw. auf den Wochenmarkt<br />
nach Neckarsulm und Heilbronn<br />
gelaufen, Gehzeit drei bis vier Stunden.<br />
Die Ware wurde direkt auf dem Kopf<br />
getragen oder über dem „Bäuschle“, das<br />
war ein gestrickter runder Wulst.<br />
Winterarbeit<br />
Strohseile fl echten zu Garbenbändern (aus<br />
Roggenstroh), Besen binden aus Birkenreisig<br />
oder Ginster, Weiden für den Weinberg<br />
oder für Korbfl echtarbeiten putzen, Hanf<br />
verarbeiten für den Webstuhl. Die Tücher<br />
vom Webstuhl wurden danach auf der<br />
Bleichwiese ausgelegt (Sonne bleicht die<br />
gräuliche Farbe der Tücher).<br />
Ordnungshüter in Wald und Flur<br />
Feldschütz, Waldschütz und im Herbst der<br />
Weinbergschütz - stets geachtete Personen<br />
neben dem Bürgermeister, Lehrer und<br />
Pfarrer.<br />
4 Nach Gottfried Reichert im Amtsblatt von Neuenstadt<br />
(Nr. 367).<br />
5 Das Regelwerk zur statistischen Erhebung durch das Statistische<br />
Landesamt Baden-Württemberg erfasste Betriebe<br />
und ihre landwirtschaftliche Ausrichtung, Flächennutzung,<br />
Tierhaltung u. a. nach vorgegebenen betrieblichen<br />
Kennzeichen, so dass in den vorliegenden Angaben<br />
nicht alle Betriebe vor Ort erfasst sind.<br />
6 Siehe Anmerkung oben.<br />
101
102<br />
Weinbau im Dorf: Tradition und Veränderung<br />
„Kein Hügel in dir wächst ohne den Rebstock“,<br />
so hat Hölderlin die Weinberglandschaften des Unterlandes charakterisiert.<br />
Der „Hintere Berg“, südöstlich von <strong>Cleversulzbach</strong> gelegen (Herbst 2011)<br />
Etwa 80 Prozent der Rebfl ächen befi nden<br />
sich am „Hinteren Berg“, südöstlich des<br />
Dorfes. Der Rest des Anbaus befindet sich<br />
am Südhang des Föhrenberg (bis zur Flur-<br />
bereinigung in den 1970er „Verrenberg“).<br />
Bis in die 1950er Jahre gab es noch Weinbergfl<br />
ächen, wenn auch geringe, auf den<br />
Fluren „Braunen“, „Wärmle“, „Katzenberg“,<br />
Traubenlese<br />
anno dazumal<br />
(1920)
„Klinge“ und „Greut“. Nach einer lokalen<br />
Veröff entlichung aus dem Jahr 1949 betrug<br />
die damalige Rebfl äche in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
25 Hektar.<br />
Der typische Boden der Weinberge ist,<br />
ähnlich wie bei vielen anderen Weinbergen<br />
in Württemberg, schwerer, verwitterter<br />
Keuper – bei Trockenheit schwer zu<br />
bearbeiten und bei Nässe am Schuh klebend.<br />
Auf den Weinbergen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
werden je nach Jahr gute Durchschnittsweine,<br />
aber auch die ein oder andere<br />
Spitzenqualität geerntet.<br />
Gefährdet ist der Rebanbau besonders am<br />
Hangfuß durch die Spätfröste im Frühjahr,<br />
meist zu den Eisheiligen, teilweise<br />
auch schon etwas früher machten und<br />
machen sie den <strong>Cleversulzbach</strong>er Wengertern<br />
im etwas kühleren (im Vergleich<br />
zum Neckartal) Sulzbachtal immer wieder<br />
das Leben schwer, letztmalig 2011 vom 3.<br />
auf den 4. Mai. In den unteren und mittleren<br />
Lagen gab es nahezu Totalausfall<br />
des Ertrages durch Erfrieren der schon<br />
gut entwickelten Triebe bei vier bis sechs<br />
Grad unter Null.<br />
Ebenso gefürchtet sind Frühfröste im<br />
Herbst vor der Ausreife der Trauben mit<br />
totalem Abfall der Qualität wie 1972 geschehen.<br />
Die niedrigsten Oechslegrade lagen<br />
damals bei 45 bis 50 Punkten. In un-<br />
Traubenlese im<br />
„Hinteren Berg“<br />
in den 1970er<br />
Jahren<br />
günstigen Wintern schädigen tiefe Temperaturen<br />
auch das Rebenholz.<br />
Eine besonders lange und schwierige Situation<br />
bezüglich des Rebenerfrierens gab<br />
es besonders in den 1950er bis in die<br />
1960er Jahre hinein. Dies war auch mit<br />
ursächlich, dass in dieser Zeit ein Großteil<br />
der Rebfl ächen nicht bepfl anzt war und<br />
der Weinbau im Ort stark zurück ging.<br />
Dies änderte sich aber noch in den<br />
1960ern. In den darauff olgenden Jahren<br />
konnten überwiegend gute und zufriedenstellende<br />
Herbste eingebracht werden.<br />
Traubensorten des <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Anbaugebiets<br />
Die vorherrschenden Sorten waren früher<br />
fast nur weiße Sorten wie Riesling, Gutedel<br />
und Silvaner. Dazwischen gab es einige<br />
kleinere Flächen mit Schwarzriesling<br />
und Trollinger. Früher ist auch die relativ<br />
frostharte Sorte Elbling im Anbau gewesen,<br />
deren Ertrag und Qualität befriedigten<br />
aber nicht.<br />
1959 gab es im <strong>Cleversulzbach</strong>er Anbaugebiet<br />
folgende Haupttraubensorten:<br />
Silvaner 30 Prozent, Trollinger 30 Prozent,<br />
Riesling 15 Prozent, Schwarzriesling<br />
10 Prozent, sonstige Sorten 15 Prozent.<br />
Die Gesamtweinbaufl äche betrug damals<br />
18 Hektar; im Ertrag stehende Rebfl äche:<br />
103
104<br />
12 Hektar, mit zehn Betrieben über 0,25<br />
Hektar.<br />
In den 1960er Jahren begann eine Nachfrageveränderung<br />
hin zu guten Rotweinen.<br />
Dies führte auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zwangsweise dazu, sich diesen Anforderungen<br />
anzupassen. Bisher in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nicht vorhandene Sorten wie Lemberger,<br />
Samtrot, Spätburgunder und Portugieser,<br />
aber auch Rebenneuzüchtungen<br />
wie die Heroldrebe, Helfensteiner, später<br />
der Dornfelder, wurden den Forderungen<br />
des Marktes und der Kundenwünsche entsprechend<br />
angebaut. Bei den weißen Sorten<br />
kam überwiegend der Riesling, weniger<br />
der Silvaner, Müller-Thurgau und Ruhländer,<br />
zum Anbau. Nicht zu vergessen ist<br />
eine andere Neuzüchtung: die weiße Rebsorte<br />
Kerner (ein Abkömmling einer Liaison<br />
zwischen dem roten Trollinger und<br />
dem weißen Riesling), welche Ende der<br />
1960er Jahre zusätzlich verstärkt angepfl<br />
anzt wurde.<br />
Pfahlschaft im „Bräunle“ am „Hinteren Berg“ (Foto 1960er Jahre)<br />
Auf der Heimfahrt von der Traubenlese<br />
(Foto 1960er Jahre)<br />
Mit den Neuanpfl anzungen erfolgte auch<br />
eine arbeitsvereinfachende Pfl anzmethode.<br />
In der neueren Zeit sind noch einige,<br />
teils schon von alters her bekannte,<br />
aber auch etliche erfolgreiche Neuzüchtungen<br />
in geringerem Umfang als Nischenprodukte<br />
(wobei es auch bleiben
sollte) im Anbau. Es sind dies u. a., um nur<br />
einige zu nennen, bei Weiß der Traminer,<br />
Muskateller, Weißburgunder, Grauburgunder,<br />
und bei Rot der Acolon, Muskattrollinger,<br />
Regent sowie die Sorten Cabernet<br />
Dorsa, Dorio oder Mitos.<br />
Die Rebenaufzucht am Pfahl als Hangquerpfl<br />
anzung (bis zu 2.500 Arbeitsstunden<br />
im Jahr/Hektar) verschwand zugunsten<br />
des Zeilenanbaus bergwärts am Drahtrahmen<br />
(1.000 bis 1.200 Arbeitsstunden<br />
im Jahr/Hektar). Heute ist ein Zeitaufwand<br />
(allerdings in <strong>Cleversulzbach</strong> wegen der<br />
Gegebenheiten nicht möglich) in fl acheren<br />
Lagen, mit entsprechender Rebenziehung<br />
und Mechanisierung im unteren<br />
dreistelligen Stundenbereich üblich.<br />
Die Sortenumstellung erfolgte im Zeitabschnitt<br />
von etwa 1960 bis 1975. Mit der<br />
Längszeile am Drahtrahmen und den breiteren<br />
Zeilenabständen war eine Mechanisierung<br />
vieler Arbeiten möglich. Damit<br />
kam der Weinbergschlepper mit den dazu<br />
Früherer, aus Sandstein „trocken“ gemauerter<br />
Unterstand im Weinberg<br />
nötigen Anbaugeräten zum Einsatz. Das<br />
große Problem der Erosion zwischen den<br />
breiteren Zeilen löste man durch Graseinsaat<br />
und die dabei notwendige Off enhaltung<br />
des Bodens am Rebenfuß durch<br />
Verwendung von Herbiziden.<br />
Übrigens sind jetzt die meisten „Weinberghäusle“,<br />
die früher zum Schutz vor<br />
extremer Witterung, auch zum Sammeln<br />
von Regenwasser und Anmachen der<br />
Spritz brühe benötigt wurden, ver schwunden.<br />
Mit der neuen Spritztechnik braucht<br />
man nur noch ca. ein Fünftel der<br />
bisherigen Wassermenge.<br />
Absatz und Vermarktung<br />
Früher kelterte jeder Wengerter seine<br />
Trauben, lagerte den Most und baute ihn<br />
selbst aus. Ebenso erfolgte die Vermarktung<br />
nach abgeschlossener Gärung des<br />
Mostes als Fasswein. Dieser wurde einem<br />
Gastwirt oder Weinhändler angedient.<br />
Der Verkaufspreis, abhängig von der Qualität<br />
des Weines, war Verhandlungsgeschick.<br />
Wegen des erschwerten Absatzes<br />
von Fasswein nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
gründeten die Wengerter des Dorfes<br />
1952 eine Weingärtnergenossenschaft<br />
mit dem Ziel des Anschlusses an die damalige<br />
WZG Württembergische Weingärtner-Zentral-Genossenschaft<br />
e G in Möglingen.<br />
Diese holten den Traubensaft unmittelbar<br />
nach dem Keltern zur Ausreife<br />
in die eigenen Tanks und zum weiteren<br />
Verkauf ab. Die Gründungsmitglieder der<br />
Weingärtnergenossenschaft <strong>Cleversulzbach</strong><br />
e<strong>GmbH</strong>, 1952, waren:<br />
Vorstandsvorsitzender: Eugen Blank; Vertreter:<br />
Richard Herrmann; weitere Mitglieder<br />
des Vorstandes: Richard Hermann,<br />
Albert Kleber; Aufsichtsratsvorsitzender:<br />
Richard Nef; weitere Mitglieder des Aufsichtsrates:<br />
Bauer, Bordt, Kuttruf, Weber,<br />
Lumpp; Geschäftsführer: Bräuninger;<br />
Mitglieder: 24. Anbaufl äche: 3,5 Hektar,<br />
davon 3 Hektar Weißwein, 0,5 Hektar<br />
105
106<br />
Rotwein. Angeschlossen waren die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Wein gärtner der Landeszentralgenossenschaft<br />
Württembergischer Weingärtnergenossenschaften<br />
e<strong>GmbH</strong> Stuttgart-<br />
Untertürkheim.<br />
Mit dem steten Verfall der Auszahlungspreise<br />
durch die WZG im Verhältnis zu<br />
den Aufwendungen für die Erzeugung der<br />
Trauben im Weinberg war der Weinbau im<br />
Ort an seine Grenzen gestoßen, er war<br />
nicht mehr rentabel. Dies war für einige<br />
Weingärtner der Grund, mit der Weingärtnergenossenschaft<br />
im benachbarten<br />
Wein dorf Eberstadt in Verhandlungen<br />
zwecks Aufnahme in die dortige erfolgreich<br />
tätige Genossenschaft zu treten. Mit<br />
der Vertragsunterzeichnung am 19. Juli<br />
1977 erfolgte die Aufnahme und der Anschluss<br />
an die WG in Eberstadt. Durch den<br />
Anschluss an die WG Eberstadt war es den<br />
Mitgliedern möglich, ihre Trauben dem<br />
Reifefortschritt entsprechend zu ernten<br />
und sortenrein abzuliefern. Der Ausbau<br />
erfolgte gemeinsam mit den Eberstädter<br />
Trauben. Durch den Verkauf von sortenreinen<br />
Weinen stieg auch der Erzeugerpreis.<br />
Nichts ist so sicher wie die Veränderung:<br />
Aufgrund der immer schwieriger werdenden<br />
Situation auf dem Weinmarkt, und<br />
des damit einhergehenden Preisverfalls<br />
für die Erzeuger, sah sich unsere WG gezwungen,<br />
nach neuen Wegen und Lösungen<br />
zu suchen, die dem entgegenwirken.<br />
2011 ist man nach langen und zähen Verhandlungen<br />
mit drei weiteren Weingärtnergenossenschaften<br />
aus dem Weinsberger<br />
Tal, die sich in ähnlicher Situation befanden,<br />
eine Fusion eingegangen. Kreiert<br />
wurden dabei der neue Betrieb Winzer<br />
vom Weinberger Tal eG, Löwenstein. Beteiligt<br />
daran sind die Weingärtner aus<br />
Eberstadt (mit <strong>Cleversulzbach</strong>), Eschenau,<br />
Löwenstein und Willsbach. Teilweise mussten<br />
dabei durch die Wengerter schmerzliche<br />
Einschnitte hingenommen werden.<br />
Hoff en wir, dass die gesteckten Ziele<br />
kurzfristig zu verwirklichen sind, und dadurch<br />
der Weinbau wieder rentabler wird,<br />
und für die Zukunft auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gesichert ist und erhalten bleibt.<br />
Unter den <strong>Cleversulzbach</strong>er Weingärtnern<br />
gibt es mit Herbert Uhlmann noch einen<br />
Selbstvermarkter. Er bietet seinen Wein<br />
zum Kauf im eigenen Haus an.<br />
Sicherung der Weinqualität<br />
Jeder Wengerter ist das Jahr über um die<br />
Reben und heranwachsenden Trauben bemüht.<br />
Jährliche Begehungen der Rebfl ächen<br />
unter sachkundiger Führung weisen<br />
auf Probleme hin. Zur Qualitätssteigerung<br />
gibt es seit den 1990er Jahren die Ausdünnung<br />
(grüne Lese) in den Weinbergen.<br />
Zum einen soll damit die Qualität der<br />
Trauben und dadurch auch des Weines erhöht<br />
werden, zum anderen wird dadurch<br />
auch die Weinmenge (was gewollt ist) im<br />
Durchschnitt auf 100 Hektoliter / Hektar<br />
be grenzt.<br />
Schutz der Reben<br />
Ohne sachgemäßen Pfl anzenschutz gehen<br />
Ertrag und Qualität der Trauben zurück.
Die schlimmsten Jahre mit Mindererträgen<br />
und teilweisem Totalausfall wurden verursacht<br />
durch Peronospora und die Reblaus<br />
in den Jahren ab 1850. Diese schlimmen<br />
Schädigungen erfolgten durch Einschleppung<br />
aus Amerika. Die Reblaus konnte<br />
durch anderes Pfl anzgut, die so genannten<br />
Pfropfrebe, ausgerottet werden. Als<br />
Unterlage für die Pfropfrebe dient eine<br />
reblausresistente Rebe mit guter Wurzelbildung.<br />
Dieser wird die Edelrebe, Trollinger,<br />
Lemberger, Riesling usw., aufgesetzt.<br />
Durch eine Gallertbildung verwachsen die<br />
beiden unterschiedlichen Reben zu dem<br />
gewünschten Pfl anzgut.<br />
Durch Spritzbehandlung des Laubwerks<br />
mit Kupfermitteln und Schwefel (früher<br />
Schwefelstäubung) bekam man diese<br />
Schädigungen langsam in den Griff . Leider<br />
entwickelt sich der Peronosporapilz bei<br />
den Sommertemperaturen in den Weinbergen<br />
bei starken Taunässen oder Regen<br />
neu. Damit beginnt das Wachstum des Pilzes<br />
wieder, ein ewiger Kreislauf.<br />
Der Föhrenberg von Südwesten aus gesehen, im Sommer 2012<br />
In neuerer Zeit gibt es weitere pilzliche<br />
oder bakterielle Erkrankungen wie Stillähme,<br />
Oidium und Botrytis. Diese drei<br />
empfi ndlichen Schäden treten in den einzelnen<br />
Jahren unterschiedlich stark auf.<br />
Mit den heutigen Spritzmitteln und deren<br />
fachgerechter Anwendung sind all diese<br />
Erkrankungen in den Griff zu bekommen.<br />
Durch die gesetzlich vorgegebenen langen<br />
Wartezeiten, vom letzten Einsatz der Mittel<br />
bis zur Traubenernte, wie auch aufgrund<br />
der regelmäßigen Spritzkontrollen<br />
bis kurz vor der Traubenernte im Weinberg<br />
sowie bei der Anlieferung der Trauben<br />
in der Kelter, sind Geschmacksbeeinträchtigung<br />
oder gar gesundheitsschädliche<br />
Rückstände im Wein ausgeschlossen.<br />
Somit können sich Frau oder Mann ohne<br />
Bedenken die guten Weine aus den <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Weinbergen munden lassen.<br />
Prosit und „Wohl bekomm‘s“.<br />
107
108<br />
Die Schäferei<br />
Wie früher landauf, landab üblich, hatte<br />
auch die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> eine<br />
eigene Schäferei mit Schafhaus und<br />
Schafstall. Die Schäfereien hatten bis<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts eine wichtigere<br />
und weit aus höhere Bedeutung in<br />
der Versorgung der Bevölkerung als in<br />
späteren Jahrzehnten. Neben der Wolle,<br />
die für die Herstellung von Bekleidung<br />
unverzichtbar war, wurden damals ebenso<br />
dringend das Fleisch und die Milch benötigt.<br />
Kleinere Schaf- oder auch Ziegenherden<br />
hielten sich deshalb besonders in<br />
den ländlichen Gebieten, dort wo es möglich<br />
war, vor allem arme, kinderreiche Familien<br />
für den Eigenbedarf. Ihnen fehlte<br />
oftmals das Geld für den Zukauf von<br />
Fleisch, Milch oder auch Wolle. Während<br />
für diese Familien die Schafhaltung existenzielle<br />
Bedeutung hatte, bildete die<br />
ortseigene Schäferei mit dem daraus erhaltenen<br />
Pachtgeld eine wichtige Einnahmequelle<br />
für die Gemeindekasse.<br />
Die ersten nachweislichen Aufzeichnungen<br />
zur gemeindeeigenen Schäferei in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> gehen<br />
auf das Jahr<br />
1789 zurück und<br />
fi nden sich in einem<br />
Eintrag des<br />
Brandkatasters 1 ,<br />
der „ein Schafhaus,<br />
Scheuren<br />
und Stallung unter<br />
einem Dach, außen<br />
im Dorf“ belegt<br />
Eine Schäferdynastie<br />
gab es mit der<br />
Familie Kollmar. In<br />
der Verwandtschaft<br />
wurden an verschiedenen<br />
Orten<br />
Schäfereien betrieben,<br />
so auch in<br />
Neuenstadt am Kocher<br />
und <strong>Cleversulzbach</strong>. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
betrieben die Kollmars jahrzehntelang das<br />
Handwerk der Schäferei weiter. So wurde<br />
1875 vermerkt, dass Schäfer Kollmar eine<br />
oben: Ausschreibung<br />
der<br />
Schafweideverpachtung<br />
1891<br />
Auszug aus<br />
dem Brandkataster<br />
von<br />
1789 über ein<br />
Schafhaus,<br />
Scheuer und<br />
Stallung unter<br />
einem Dach,<br />
außen im Dorf
Belehrung über Schafräude erhielt, und<br />
ein Eintrag über einen Erlass bzgl. der<br />
Schäfereipacht machte Kollmar noch im<br />
Jahr 1884 aktenkundig 2 . Ebenfalls über<br />
viele Jahre hinweg trat die Familie Süpple<br />
als Schäfer auf. Die Ära Süpple endete mit<br />
Adolf Süpple, welcher, zwar nicht eigenständiger<br />
Pächter der hiesigen Schäferei,<br />
noch bis in die 1960er Jahre im Auftrag<br />
gehütet hatte.<br />
Zur gemeindeeigenen Schäferei gehörten<br />
nicht nur eine Schafweide und das Schaf-<br />
haus. 1891 preist die Ausschreibung der<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Schafweideverpachtung<br />
z. B. folgende Zugehörigkeiten an: Schafhaus<br />
mit Wohnung, Scheuer mit Vieh-<br />
und Schafstallung, Gemüsegarten und<br />
Kraut land mit 5 a 38 qm, sowie 1 h 76 a<br />
30 qm Allmendplätze.<br />
Dass im Schafhaus, wie der Name<br />
schon besagt (im schwäbisch-fränkischen<br />
Sprach ge brauch steht Haus für Wohnung)<br />
auch die Wohnung für den Schäfer und<br />
seine Familie untergebracht war, veran-<br />
Plan zum Einbau eines<br />
Farrenstalls in<br />
das Schafhaus 1912.<br />
Gelb eingezeichnet<br />
sind die Fenster und<br />
Türen der bis dahin<br />
genutzten Schäferwohnung;<br />
rot eingezeichnet<br />
sind die Änderungen<br />
zur Umnutzung<br />
als Farrenstall.<br />
Danach gab es<br />
nur noch eine Stube<br />
für den Schäfer<br />
(obere Fenster Bildmitte).<br />
Das Gebäude<br />
fi el Ende der 1970er Jahre Sanierungsmaßnahmen im Ort zum Opfer, heute befi nden sich an<br />
Stelle des alten Schafhauses Parkplätze und die Grünanlage der Kelter-Halle.<br />
Grundriss des Obergeschosses.<br />
In Gelb eingezeichnet<br />
die bisherige<br />
Schäferwohnung, nach<br />
dem Umbau Heu- und<br />
Strohlager für den<br />
Farrenstall. Übrig blieb<br />
für den Schäfer eine<br />
Kammer.<br />
109
110<br />
schaulichen die erhalten gebliebenen<br />
Baupläne wie z. B. der Plan von 1912 zum<br />
Einbau eines Farrenstalls.<br />
Wie wichtig der Wohnraum im Schafstall<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war, bezeugt ein Eintrag im Gemeinderatsprotokoll<br />
3 am 4. März 1862:<br />
Die Collegien beschließen, dem Schullehrer<br />
bei nächster Schäfereiverpachtung<br />
den für ihn nöthigen Raum in der Schafscheuer<br />
vorzubehalten u. einzuräumen.<br />
Um welchen Raum es sich dabei gehandelt<br />
hat, ist nicht näher beschrieben. Nehmen<br />
wir an, dass sich Schullehrer und<br />
Schäfer gut vertragen haben. Welch inhaltsreiche<br />
Gespräche und tolle Philosophien<br />
sind dabei wohl entstanden?<br />
Mit der Zunahme der Bevölkerung und<br />
damit einhergehend dem erhöhten Bedarf<br />
an hochwertigen Lebensmitteln, insbesondere<br />
tierischem Eiweiß, gewann auch die<br />
Tierzucht eine größere Bedeutung. Die<br />
Gemeinden mussten, um bessere Zuchterfolge,<br />
welche sich in der Fleisch- und<br />
Milchproduktion durch die Viehbestände<br />
der Bauern niederschlagen sollten, bessere<br />
Bedingungen schaff en. Zuchttiere konnten<br />
sich die Landwirte, die meistens nur<br />
über kleinere Betriebe verfügten, nicht<br />
leisten. Dies war die allgemeine Aufgabe<br />
der Kommunen, die Farrenställe für die<br />
Unterbringung der Vatertiere für die Rinder-,<br />
Schweine- und Ziegenzucht zu<br />
bauen, zu unterhalten und auch die<br />
Zuchttiere zu beschaff en hatten. Und<br />
nachdem die Baumwolle auch in unseren<br />
Breitengraden schon ihren Siegeszug angetreten<br />
hatte und die Schäferei bereits<br />
zurückging, fand man für den neu zu errichtenden<br />
Farrenstall Platz im Schafhaus.<br />
Nachdem der <strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeinderat<br />
bereits am 30. Dezember 1911 den<br />
Baubeschluss gefasst hatte, waren die Planunterlagen<br />
durch das Bauamt des Oberamtes<br />
Neckars ulm gefertigt und von<br />
Oberamtsbaumeister Zweig am 16. März<br />
1912 unterzeichnet worden. Dies bedeutete<br />
gleichtzeitig, dass von nun an die<br />
Schäfer von <strong>Cleversulzbach</strong> für ihre eigene<br />
Wohnung oder Unterkunft zu sorgen<br />
hatten.<br />
Die Schäferei mit Stall sowie der dazugehörigen<br />
sich im Gemeindeeigentum befi<br />
ndlichen Weidefl ächen und der Allmende<br />
wurden, sofern es keine Beanstandungen<br />
oder besondere Vorkommnisse gab, in regelmäßigen<br />
Abständen an Schäfer, meist<br />
aus dem Ort, auf drei Jahre verpachtet.<br />
Der Pferch wurde wegen des Schafdungs<br />
meist auf den privaten Grundstücken der<br />
Landwirte errichtet. Das Pferchgeld stand<br />
der Gemeinde zu, weshalb auch der Pferch<br />
bei der Gemeinde angemeldet und beantragt<br />
werden musste. Zu manchen Zeiten,<br />
bei starker Nachfrage, wurde der Pferch<br />
auch versteigert. Die Gemeinden konnten<br />
dabei höhere Einnahmen erzielen. Die<br />
Schäferei umfasste die Behütung der Weiden,<br />
Beschaff ung und Vorratshaltung von<br />
Futter für die Monate, in denen in der Natur<br />
nicht genügend vorzufi nden war, oder<br />
nicht beweidet werden konnte, des Weiteren<br />
die Zucht, Versorgung und Betreuung<br />
der Tiere. Während die Allmenden, sofern<br />
die Flächen nicht für die Erzeugung von<br />
Heu benötigt wurden, ganzjährig beweidet<br />
werden konnten, war dies auf den privaten<br />
Flächen der Landwirte nur auf abgeernteten<br />
Ackerfl ächen sowie den Wiesen,<br />
aber nur zu gesetzlich vorgegebenen<br />
Zeiten, möglich. Wurde der Schäfer mit<br />
seiner Herde außerhalb dieser Zeiten auf<br />
Äckern, Wiesen oder Weiden beim „Stehlen“<br />
erwischt, so gab es meist Ärger. Anzeigen<br />
diesbezüglich gab es immer wieder,<br />
aber keine gerichtlichen Auseinandersetzungen.<br />
Im Regelfall wurde dies dann<br />
gütlich und in gegenseitigem Einvernehmen<br />
mit einem Lamm oder einem Hammelbraten<br />
erledigt, und beide, Kläger und<br />
Beschuldigter, waren zufrieden. Der Schäfer<br />
versprach Besserung – bis zum nächs-
Storchenbotschaft<br />
Des Schaefers sein Haus und das steht auf zwei Rad,<br />
Steht hoch auf der Heiden, so fruehe, wie spat;<br />
Und wenn nur ein mancher so’n Nachtquartier haett!<br />
Ein Schaefer tauscht nicht dem Koenig sein Bett.<br />
Und kaem ihm die Nacht auch was Seltsames vor,<br />
Er betet sein Spruechel und legt sich aufs Ohr;<br />
Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht,<br />
Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.<br />
Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:<br />
Es knopert am Laden, es winselt der Hund;<br />
Nun ziehet mein Schaefer den Riegel – ei schau!<br />
Da stehen zwei Stoerche, der Mann und die Frau.<br />
Das Paerchen, es machet ein schoen Kompliment,<br />
Es moechte gern reden, ach, wenn es nur koennt!<br />
Was will mir das Ziefer? – ist so was erhoert?<br />
Doch ist mir wohl froehliche Botschaft beschert.<br />
Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?<br />
Ihr habt wohl mein Maedel gebissen ins Bein?<br />
Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,<br />
Sie wuenschet den Herzallerliebsten sich her?<br />
Und wünschet daneben die Taufe bestellt:<br />
Ein Lämmlein, ein WÜrstlein, ein Beutelein Geld?<br />
So sagt nur, ich käm in zwei Tag' oder drei,<br />
und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den brei!<br />
Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?<br />
Es werden doch, hoff‘ ich, nicht Zwillinge sein? –<br />
Da klappern die Stoerche im lustigsten Ton,<br />
Sie nicken und knicksen und fliegen davon.<br />
(Eduard Mörike, „Die Storchenbotschaft“, entstanden in <strong>Cleversulzbach</strong> bis<br />
19. Juni 1837)<br />
111
112<br />
ten „Erwischtwerden“, wie aus den Akten<br />
ersichtlich ist. Dass die Schäfer aber auch<br />
ansonsten nicht immer „lammfromm“ waren,<br />
wie man hätte annehmen dürfen,<br />
denn der tägliche Umgang mit den Schafen<br />
hätte doch eher beruhigend und mäßigend<br />
wirken sollen, bezeugt ein Eintrag<br />
im Gerichts- und Bürgermeister-Protokollbuch1882<br />
4 :<br />
Am 25. Juli 1882 wurde laut Anlage bestraft<br />
wegen Ruhestörung und Unfug.[...]<br />
Schäfer Haaf mit 2 Tag Haft. Unterzeichnet:<br />
Schultheisamt Kuttruf<br />
Für den wirtschaftlichen Erfolg der Schäferei<br />
war die Verwertung und Vermarktung<br />
von Schafen, deren Wolle, Fleisch<br />
und Milch von Bedeutung, und meist<br />
nicht zufriedenstellend. Zu besonderem<br />
Wohlstand haben es die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Schäfer nicht gebracht. Dies lag zum einen<br />
an widrigen Vermarktungsmöglichkeiten<br />
ihrer Erzeugnisse, aber auch an der<br />
Größe der örtlichen Gemarkung und der<br />
damit zur Verfügung stehenden Weidefl äche.<br />
Je nach Vorgaben und Richtlinien der<br />
Obrigkeit lag der Bestand der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Schäferei bei hundert bis zweihundert<br />
Großtieren. Erst als die ganzjährige<br />
Schäferei zu Martini 1960 aufgegeben<br />
wurde, waren für die Winterbeweidung<br />
generell zweihundert Schafe (Großtiere)<br />
zugelassen. Die in <strong>Cleversulzbach</strong> ansässigen<br />
Schäfer waren aus diesen Gründen<br />
immer gezwungen, sich um Zusatzeinnahmen<br />
zu bemühen. Deshalb hatten die<br />
Schäfer nicht ohne Grund Gärten, mitunter<br />
kleinere Felder zur Bewirtschaftung,<br />
um die Grundnahrungsmittel selbst zu erzeugen<br />
und einen eventuellen Überschuss<br />
verkaufen zu können. Des Weiteren hat<br />
sich der Schäfer oder seine Frau, sofern<br />
möglich, als Tagelöhner verdungen, um<br />
auf diese Weise besser über die Runden zu<br />
kommen. Wie aus Schäfereipachtverträgen<br />
und den Vorgaben zur Verpachtung<br />
Schafweideverpachtung an Otto Lindenschmid<br />
1951<br />
ersichtlich, hatten allerdings auch die<br />
Kommunen nur enge und begrenzte Möglichkeiten,<br />
die Pachtverträgen zu ändern<br />
bzw. zu ergänzen. Rechte und Pfl ichte der<br />
Schäfer waren stets genau defi niert und<br />
in sehr engem Rahmen gehalten.<br />
Schäfer Wilhelm Schmid, vielen <strong>Cleversulzbach</strong>ern<br />
noch als solcher bekannt,<br />
Margarete Bordt auf der Heimfahrt von der<br />
Heuernte, im Hintergrund rechts der Schaf-<br />
und Farrenstall (Foto Anfang der 1950er<br />
Jahre)
kam mit Beginn der Winterweide zu Martini<br />
1930 ins Dorf. Gewohnt hat er mit<br />
seiner Familie im heutigen Haus Eberstädter<br />
Straße Nr. 18, unmittelbar gegenüber<br />
vom Schafstall gelegen. Mit Ablauf der<br />
Pacht zu Martini 1951 gab Schäfer Schmid<br />
seine Schäferei aus Altersgründen auf.<br />
Sein Nachfolger wurde Schäfer Lindenschmid<br />
aus Ummenhofen, Landkreis<br />
Schwäbisch Hall, vermutlich ein Verwandter<br />
von Schäfer Schmid, da dieser als<br />
Bürge und Selbstschuldner im Pachtvertrag<br />
vom 23. November 1951 auftrat.<br />
Wie aus dem Vertrag vom 23. November<br />
1951 ersichtlich, wurden die Möglichkeiten<br />
der Schäfer immer mehr eingeschränkt.<br />
Eine wirtschaftlich sinnvolle<br />
Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong> schien nicht<br />
mehr gegeben. Dies zeigte sich auch<br />
schon im sehr spärlichen Eingang von Bewerbungen<br />
bei der letzten Verpachtung.<br />
Das Einhalten der Pachtbedingungen für<br />
die ganzjährige Schäferei im Ort wurde<br />
immer schwieriger. Dies war wohl auch<br />
der Grund, weshalb sich Otto Lindenschmid<br />
nicht ein zweites Mal um die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Schafweide bewarb. Er gab<br />
seinen Betrieb zu Martini 1954 auf. Nach<br />
ihm hatten noch folgende Schäfer die<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Schafweide in Pacht: Ab<br />
Martini 1954 hatte der Schafhalter Hans<br />
Claß aus Hopfenburg bei Münsingen für<br />
drei Jahre den Zuschlag erhalten. Da er<br />
aber seinen vereinbarten Verpfl ichtungen<br />
nicht nachkam, übernahm die Schafhalterin<br />
Maria Hässler aus Eningen unter<br />
Achalm die Beweidung der Fläche bis November<br />
1957. Bei der Neuverpachtung<br />
bekam Schäfer Emil Eppel aus Eberbach<br />
am Neckar für drei Jahre den Zuschlag,<br />
der Pachtzins betrug jährlich 700 DM. Da<br />
auch er den vertraglich festgelegten Bedingungen<br />
nicht nachkam, wurde der Vertrag<br />
vorzeitig beendet. Erneut trat Maria<br />
Hässler in den Vertrag ein. Nachdem ihr<br />
Mann verstorben war, gab es auch hier<br />
Probleme mit der Erfüllung des Vertrages.<br />
Letztendlich kam es zu einem Vergleich.<br />
Der Pachtvertrag wurde auch aus Altersgründen<br />
nach Ablauf der im Vertrag festgelegten<br />
Zeit beendet. Danach wurde die<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Schafweide nur noch als<br />
Winterweide, von Martini, dem 11. November,<br />
bis 25. März verpachtet.<br />
Die Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong> wurde mit<br />
dem letzten Schäfer Georg Wied aus<br />
Buchbrunn, Landkreis Kitzingen, mit der<br />
Winterschafweide beendet. Er hatte die<br />
Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong> ab der Winterweide<br />
1960/61 gepachtet. Obwohl<br />
Schäfer Wied gebeten hatte, ihm die<br />
Weide bis Ende der Winterweide 1965 zu<br />
Der Schäfer Karl Hilligardt aus Brettach<br />
beim Beweiden von Privatgrundstücken in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, 1984<br />
überlassen, da er dann nach Erreichen des<br />
Rentenalters seinen Betrieb aufgeben<br />
würde, wurde die Schafweide von der Gemeinde<br />
immer nur auf ein Jahr verpachtet.<br />
Auch der Pachtzins wurde jährlich neu<br />
verhandelt und an die Gegebenheiten, wie<br />
Futterbestand und die aktuelle wirtschaftliche<br />
Situation der Schäfer, angepasst. Der<br />
Pachtpreis betrug im Jahr 1960/61 noch<br />
455 DM, danach bis zum Ende 1964/65<br />
113
114<br />
waren es 350 DM. Das Ende der „Ära“<br />
Wied war gleichzeitig auch das Ende der<br />
Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Schafweide<br />
wurde, wohl auch auf Grund ihrer<br />
Größe sowie der teilweise aufgetreten<br />
Probleme mit den Pächtern, nicht wieder<br />
im Ganzen, sondern nur noch sporadisch<br />
und in Teilen an Schäfer Hilligardt verpachtet.<br />
Gemessen an den Einnahmen<br />
zum Aufwand, ließ sich dies für die Kommune<br />
nicht mehr wirtschaftlich rechnen.<br />
Ein traditionelles, wichtiges und multifunktionales<br />
Werkzeug war die Schäferschippe,<br />
die neben einem Hufmesser zur<br />
Klauenpfl ege und einem kleinen Dolch<br />
für die Notschlachtung eines<br />
Tieres zur unabdingbaren<br />
Ausrüstung des Schafhirten<br />
gehörte. Die Schippe<br />
hatte einen hölzernen Stiel,<br />
meist aus Schwarz- oder Weißdorn,<br />
mit einer Länge von etwa<br />
120 bis 150 Zentimetern, abhängig<br />
von der Größe des<br />
Schafhirten. Die Schippe hatte<br />
mehrere Funktionen: Mit dem Haken<br />
daran konnten die Tiere eingefangen<br />
und gehalten werden, als Grabwerkzeug<br />
diente sie zum Entfernen von Kräutern<br />
und Sträuchern, welche den Schafen<br />
nicht schmeckten oder zur Überwu-<br />
1 CB 143<br />
2 CB 5<br />
3 CB 23, 1861 bis 1864<br />
4 CB 5, S. 146<br />
Schäferschippe<br />
Zuvor waren über Jahrzehnte, ja über<br />
Jahrhunderte hinweg, speziell für die kleineren<br />
Kommunen die Einnahmen aus der<br />
Schafweideverpachtung feste Größen und<br />
sichere Einnahmen im Haushaltsplan, die<br />
zur Erfüllung der vielfältigen kommunalen<br />
Aufgaben dringend benötigt wurden. Eine<br />
über Jahrhunderte alte Tradition hatte so<br />
mit dem 25. März 1965 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ein zuvor schon absehbares Ende gefunden.<br />
cherung der Weide neigten, ferner als<br />
Wurfgerät, wobei die mit der Schippe<br />
aufgenommene Erde nach den Tieren<br />
geworfen wurde, um sie wieder in die<br />
richtige „Spur“ (Laufrichtung) zu<br />
bekommen, ohne sie dabei zu verletzen.<br />
Die vierte und vielleicht<br />
wichtigste Funktion war die<br />
Stütze. Solange die Schafe weideten,<br />
bewegten sie sich kaum<br />
von der Stelle, der Hirte somit<br />
auch nicht. Um etwas ausruhen<br />
zu können, stützt e er sich mit<br />
beiden Händen auf dem Stiel der<br />
Schippe (weshalb die Schippen am<br />
Stielende auch eine kleine Polsterung<br />
besaßen) ab, beim Gehen oder Weiterziehen<br />
mit der Herde diente dem Schafhirten<br />
die Schippe als Wanderstock.<br />
Werner Uhlmann
<strong>Cleversulzbach</strong> und sein Wald<br />
Wahrscheinlich trägt <strong>Cleversulzbach</strong> seinen<br />
Bezug zum Wald schon im Namen:<br />
„Clephart Sultzbach“ liest man in einem<br />
Kaufvertrag zwischen Konrad von Gosheim<br />
und dem Kloster Schöntal vom Jahr<br />
1310: dem Ort Sulzbach, der an einem<br />
feuchten Klebwald liegt.<br />
Längst ist dieser namengebende Wald<br />
entlang des Sulzbaches verschwunden,<br />
gleichwohl ist <strong>Cleversulzbach</strong> gegen Süden<br />
von den waldbewachsenen Höhen der<br />
Bergebene, den Keuperhügeln der Ausläufer<br />
der Löwensteiner Berge umrahmt. Der<br />
Sulzbach hat mit dem Kiefertal im Lauf<br />
der Jahrtausende einen tiefen Einschnitt<br />
ausgeräumt.<br />
Wenn man über den <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Wald berichtet, fällt zunächst auf, dass<br />
der nächstgelegene Wald, an den das Dorf<br />
mittlerweile bis auf wenige hundert Meter<br />
herangewachsen ist, der Gemeindewald<br />
von Langenbrettach ist. Könnte es also<br />
doch sein, dass die alte Sage vom Löff elstein<br />
Recht hat? Nach ihr soll in einem<br />
frühen Markungsstreit ein „gottvergessener“<br />
Förster einen Fehlschwur abgelegt<br />
und damit den <strong>Cleversulzbach</strong>ern diesen<br />
nahegelegenen Wald genommen haben.<br />
Wir wissen es nicht, entsprechende Sagen<br />
gibt es mancherorts. Auf keinen Fall soll<br />
alter Streit geschürt werden.<br />
Auch wenn in den Archiven nur wenige<br />
Zeugnisse über den Gemeindewald zu fi nden<br />
sind, war dieser doch zu allen Zeiten<br />
von großer Bedeutung für die Gemeinde<br />
und ihre Bürger.<br />
Vieles aus der jahrhundertealten Geschichte<br />
bleibt geheimnisvoll im Dunkel des Waldes<br />
verborgen, manches lässt sich an Spuren im<br />
Gelände, aber auch an manchen alten,<br />
mehrere Menschengenerationen überdauernden<br />
Waldbeständen ablesen.<br />
Durch die ganz überwiegenden Hanglagen<br />
sind innerhalb der heutigen Grenzen des<br />
Gemeindewaldes keine so genannten<br />
Wüstungen bekannt. Das sind vom 8. bis<br />
12. Jahrhundert entstandene, und meist<br />
im 14. und 15. Jahrhundert wieder aufgegebene<br />
Siedlungsansätze, überwiegend<br />
Einzelgehöfte. Sie waren zwangsläufi g immer<br />
mit Rodungen des Waldes verbunden.<br />
Bekannt, aber wenig erforscht ist die Wüstung<br />
Kiefertal, die fast am Ende des Tales,<br />
also dicht am Wald gelegen war. Weiter<br />
talabwärts lag die Wüstung Eberstal, in<br />
der der Sulzbach off enbar eine Mühle antrieb,<br />
wie sich aus dem Flurnamen Mühlwiese<br />
ablesen lässt.<br />
Mittelalterliche Wegführungen bevorzugten<br />
Höhenrücken, wie dies auch beim<br />
Salzweg auf der Hölzernen Ebene ist.<br />
Nach verschiedenen Funden geht der<br />
Salzweg auf vorrömische Zeit zurück. Seinen<br />
Namen hat er aber wohl erst von der<br />
1663 in Neckarsulm gegründeten Salzniederlassung,<br />
die Heilbronn als Handelspartner<br />
der Schwäbisch Haller Salzsieder ablöst.<br />
Der Zugang zum Salzweg und zum<br />
Weinsberger Tal musste erhebliche Höhenunterschiede<br />
überwinden und erfolgte<br />
meist in direkter und steiler Steigung. Solche<br />
Steigungsstrecken sind als Reste oft<br />
mehrspuriger Hohlwegsysteme auch im<br />
Gemeindewald erhalten (Lochwald, Eberstädter<br />
Ebene, Hölzerne Hohl).<br />
Im Lagerbuch von <strong>Cleversulzbach</strong> aus dem<br />
Jahre 1545 wird neben Informationen<br />
über den Ortsetter, die Flur und die Infrastruktur<br />
auch der „gemein Wald“, der mit<br />
dem später genannten Gemeindswald<br />
identisch sein dürfte, genannt. Erste genauere<br />
Hinweise zum Gemeindewald fi nden<br />
sich in der Waldbeschreibung von<br />
1853.<br />
Die Waldnamen fi nden sich teilweise bis<br />
heute in den Abteilungsbezeichnungen:<br />
Herrschaftswald, Distrikt I<br />
Hölzerne Ebene, Distrikt II<br />
115
116<br />
Hölzerner Rain, Distrikt III<br />
Eberstädter Ebene, Distrikt IV<br />
Sulzrain, Distrikt V<br />
Sommerrain, Distrikt VI<br />
Im kleinen Seele, Distrikt VII<br />
Seeschlag, DistriktVIII<br />
Lochwald, Distrikt IX<br />
Die Gesamtfl äche betrug 627 Morgen, das<br />
sind 198 Hektar.<br />
Diese Fläche blieb nicht unverändert,<br />
glücklicherweise sind jedoch große Eingriff<br />
e in den Gemeindewald nicht erfolgt.<br />
Am einschneidendsten war der Bau der<br />
Autobahn A 81 um 1970, der mit dem<br />
Aufhieb für Ersatzwege einen Waldverlust<br />
von rund acht Hektar verlangte. Durch<br />
den tiefen Einschnitt bei der Zufahrt zum<br />
Tunnel wurden zusätzlich in den Randzonen<br />
die Wasserhaushaltsverhältnisse beeinträchtigt<br />
(Unterbrechung des Hangwasserzuges).<br />
Eine längere Auseinandersetzung mit den<br />
Behörden gab es um einen Ausstockungsantrag<br />
von 1855, den die Gemeinde für<br />
12 Hektar Gemeindewald und der Bauer<br />
Christian Ehrhard für sich und 12 andere<br />
Eigentümer für fünf Hektar Privatwald<br />
gestellt hatten. Mehrfach musste nachgefragt<br />
werden, „ob der so genannte Hölzleswald<br />
(talaufwärts der „Hauptmannswiesen“<br />
gelegen) nicht ausgereutet und<br />
in Ackerland umgeschaff t werden könnte“.<br />
Schließlich wurde der Antrag in der gewünschten<br />
Form abgelehnt, „wegen<br />
nachteiliger Unterbrechung des Waldschlusses<br />
und seiner Abgrenzung“. Über<br />
einen reduzierten Antrag befand dann<br />
eine beigezogene Kommission mit dem<br />
Rentamtmann Binder aus Assumstadt,<br />
dem Schultheiß Vogt aus Degmarn und<br />
dem Schultheiß Mezger aus Gochsen,<br />
dass es sich um einen sanften Hang, tiefgründig,<br />
ohne Steine, leicht zu bearbeiten<br />
und ohne große Entfernung zum Ort<br />
handle, also geeignet zum Ackerbau.<br />
1858 wurden nach erfolgter Genehmi-<br />
gung 7,5 Hektar, also knapp die Hälfte<br />
der ursprünglich gewünschten Fläche, gerodet.<br />
Heute stehen auf Gemarkung <strong>Cleversulzbach</strong><br />
215 Hektar Wald, das sind 41 Prozent<br />
der Markungsfl äche, deutlich mehr<br />
als in der Gesamtstadt Neuenstadt mit<br />
24 Prozent oder auch dem Land Baden-<br />
Württemberg mit 36 Prozent.<br />
Davon sind:<br />
Gemeindewald 188 Hektar<br />
Kleinprivatwald 14 Hektar<br />
Staatswald 13 Hektar<br />
Die Waldungen unterstanden seit 1504<br />
der württembergischen Forstverwaltung,<br />
zunächst dem „Neustatter Vorst“, später<br />
dem Forstamt Neuenstadt. Seit 2005 ist<br />
das Kreisforstamt des Landratsamtes Heilbronn<br />
mit seiner Außenstelle Neuenstadt<br />
zuständig.<br />
Unmittelbarer mit dem Gemeindewald<br />
verbunden war der jeweilige örtliche Revierleiter.<br />
Bis 1968 waren dies Waldschützen,<br />
die von der Gemeinde bestimmt wurden.<br />
Eine forstliche Ausbildung war nicht<br />
erforderlich, es genügte, ein ortsansässiger<br />
und unbescholtener Bürger zu sein. Das<br />
Amt des Waldschützen war über lange<br />
Zeit ein nicht sehr begehrtes Amt, weil es<br />
schlecht bezahlt war und zu viel Ärger<br />
und Streit mit den Mitbürgern führen<br />
konnte.<br />
Waldschützen waren:<br />
vor dem Zweiten Weltkrieg: Christian Seebold<br />
ihm nachfolgend bis November 1945: Karl<br />
Wetterauer<br />
und dann bis 1. Juni 1968: Ludwig Vollmann<br />
Danach schloss die Gemeinde einen Beförsterungsvertrag<br />
mit der Landesforstverwaltung.<br />
Seither wird der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Wald von forstlich ausgebildeten<br />
Revierleitern im Verbund mit den Waldungen<br />
von Neuenstadt, Kochertürn,<br />
Stein, und heute auch Langenbrettach,
etreut. Revierleiter seither waren Karl<br />
Waff enschmidt, Otto Bort, Albert Vogt,<br />
Rolf Neubauer, Martin Auracher, und seit<br />
1. Oktober 1998 Eckart Staudt.<br />
Nutzungen im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />
Die Wertschätzung des Waldes war über<br />
viele Jahrhunderte sicher nicht immer<br />
gleich groß. Es besteht jedoch überhaupt<br />
kein Zweifel, dass der Wald über lange<br />
Zeit für die Gemeinde, vor allem aber für<br />
die Bürger, denen er ja als ursprüngliches<br />
Gesamteigentum gehörte, ganz wichtig, ja<br />
lebensnotwendig war, und das in einer<br />
Weise – vor allem auch in Kriegs- und anderen<br />
Notzeiten –, wie wir uns das heute<br />
nicht mehr vorstellen können. Dies ist in<br />
den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
nochmals deutlich geworden.<br />
Seitdem ist durch sinkende Holzerlöse und<br />
steigende Kosten die wirtschaftliche Bedeutung<br />
für den Gemeindehaushalt und<br />
durch erschwingliche Ersatzmöglichkeiten<br />
für Brennholz diese Bedeutung verloren<br />
gegangen. Dies auch deshalb, weil die um-<br />
Beim Setzen von Jungbäumen<br />
fangreichen und wichtigen Schutz- und<br />
Erholungsfunktionen des Gemeindewaldes<br />
ohne Geldwert erbracht werden und damit<br />
für viele „wertlos“ sind.<br />
Holznutzung<br />
Über viele Jahrhunderte erfolgten die<br />
Holznutzungen weitgehend ungeregelt.<br />
Holz war zunächst genügend vorhanden<br />
und wurde vorwiegend als Brennholz, in<br />
geringerem Umfang auch als Bauholz benötigt.<br />
Mit wachsender Bevölkerung und<br />
beginnender gewerblicher Nutzung änderte<br />
sich dies: der Wald wurde übernutzt<br />
und oft ausgehauen.<br />
Der erste Forsteinrichter im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Wald macht 1853 darauf aufmerksam,<br />
„wie notwendig die Anstellung eines<br />
Technikers für den Wald wäre, der Kosten<br />
wegen etwa gemeinschaftlich mit Brettach.<br />
Mit Bereinigung der Tabellen ist der<br />
Wald noch lange nicht in Ordnung, die<br />
Hauptsache sind die Arbeiten im Wald<br />
selbst. Und wenn diese nicht technisch<br />
geleitet, so nimmt der Holzbestand immer<br />
117
118<br />
mehr ab und die Nutzung wird geschmälert“.<br />
Erstmals werden so Gedanken der Nachhaltigkeit<br />
spürbar. Es darf nicht mehr Holz<br />
geschlagen werden, als nachwächst.<br />
Mit Forstordnungen versuchte die württembergische<br />
Herrschaft die Nutzung in<br />
geordnete Bahnen zu lenken, sie bestimmten<br />
die Höhe der Nutzungen und kontrollierten<br />
auch stärker. Der Wald wurde in einen<br />
Flächenbetrieb zur Brennholz- und<br />
Nutzholzversorgung nach den Bedürfnissen<br />
der Bürger eingeteilt. Alle 25 bis 30<br />
Jahre wurde eine festgelegte Waldfl äche<br />
im Unterholz, das aus Stockausschlägen<br />
erwachsen war, bis auf wenige Jungwüchse<br />
kahlgeschlagen als Brennholz. Im<br />
recht weitständigen und starken, 50- bis<br />
bis 250-jährigem Oberholz wurden einzelne<br />
Bäume als Bauholz entnommen. Dabei<br />
mussten auf alle Fälle genügend<br />
Bäume zur Besamung des Waldbodens<br />
stehen bleiben.<br />
Dieses Raster von verschieden alten Schlägen<br />
nebeneinander wurde Mittelwald genannt.<br />
Man konnte so die Holzzuteilungen<br />
mengenmäßig regeln. Allerdings ergaben<br />
Kontrollen im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald, dass<br />
die einzelnen Schläge sehr unsystematisch<br />
behandelt und oft zu licht gestellt wurden<br />
und dadurch vergrasten. Die notwendigen<br />
Nachbesserungen wurden nur zu einem<br />
geringen Teil durchgeführt.<br />
Im Dorfbuch von 1626 ist zur Holznutzung<br />
festgelegt:<br />
„Bau- und Brennholz betreff end: Wann<br />
einem Bürger Bau- oder Brennholz aus<br />
der Gemeindewaldung gegeben wird, soll<br />
er dasselbe aus den Flächen zu verkaufen<br />
nicht befugt sein, sondern soll solches einem<br />
Bürger im Flecken zustellen.“<br />
Daraus wird ganz deutlich, dass der Wald<br />
Holz nur für den Eigenbedarf der Gemeinde<br />
und ihrer Bürger liefern sollte.<br />
Die Gemeinde bekam vorab für die Schule<br />
und als Besoldungsholz 12 Klafter, unge-<br />
fähr 45 Raummeter. Jeder Bürger (1853<br />
waren dies 151) erhielt als Holzgabe 50<br />
Wellen; im Vergleich zu anderen Gemeinden<br />
war dies relativ wenig.<br />
Das Gab- und Besoldungsholz wurde<br />
durch Holzhauer gehauen, alles andere<br />
Holz durch die Empfänger selbst. Sie mussten<br />
es zuvor in einer alljährlichen Versteigerung<br />
erwerben. Dies galt auch für den<br />
Pfarrer, der aber 1868 befand, dass es für<br />
einen Geistlichen unangenehm sei, sein<br />
Holz persönlich steigern zu müssen. Wahrscheinlich<br />
ging es bei diesen Versteigerungen<br />
gelegentlich schon deftig zur Sache.<br />
Der Pfarrer bat stattdessen die Gemeinde<br />
um jährliche gütige Überlassung von vier<br />
Klafter rein buchenes Prügelholz (oder<br />
auch etwas Birken) und 200 Wellen an gutem<br />
Abfuhrweg. Den Holzhauerlohn für<br />
dieses Holz wollte er bezahlen und auf<br />
sein Gabholzrecht verzichten.<br />
Für die Gemeindekasse blieb als Gesamterlös<br />
ein jährlicher Betrag von 1.000 bis<br />
2.000 Gulden.<br />
Die Angst vor Brennholznot war noch<br />
lange groß und hatte direkten Einfl uss auf<br />
die Waldwirtschaft. Die Gemeinde widersetzte<br />
sich wiederholt Planungen zu höheren<br />
Umtriebszeiten, zum Übergang zu<br />
einer Hochwaldbewirtschaftung zur Nutzholzerzeugung<br />
oder auch zur Pfl anzung<br />
größerer Nadelbaummengen, weil diese ja<br />
auch kein Brennholz erwarten ließen.<br />
Trotzdem gewann die Nutzholzgewinnung<br />
zunehmend Bedeutung, weil die Gemeinde<br />
auf höhere Einnahmen aus ihrem<br />
Waldvermögen angewiesen war. Die Erlöse<br />
aus planmäßigen Nutzungen und auch<br />
gelegentlich außerordentlichen Nutzungen<br />
hatten über Jahrzehnte einen beträchtlichen<br />
Anteil am Gemeindehaushalt.<br />
Der Wert des Holzes als einzig großtechnisch<br />
verfügbarer und nachwachsender<br />
Rohstoff wird längerfristig steigen und<br />
dann auch wieder mehr zum Haushalt<br />
beitragen können.
Preisliste zur Nebennutzung im Forstverband Heilbronn 1929<br />
Streunutzung<br />
Das Streurechen war zu allen Zeiten der<br />
größte Zankapfel zwischen Gemeinde und<br />
den Förstern. Vor allem in trockenen Jahren,<br />
in denen es wenig Heu und Öhmd<br />
gab, brauchte die Landwirtschaft Laub aus<br />
dem Wald zum Einstreuen im Stall, weil<br />
das sonst dazu verwendete Stroh als Futter<br />
gebraucht wurde und damit auch als<br />
Mist zum Düngen ausfi el. So gab es<br />
manchmal fast alljährlich Anträge auf<br />
Streunutzung und deren Ausweitung, z. B.<br />
auch auf Heidenutzung auf der „Hölzernen<br />
Ebene“ oder auf Laubrechen in Gräben<br />
entlang der Waldwege.<br />
Die Entnahme der Streu entzog dem<br />
Waldboden aber wichtige Nährstoff e und<br />
schädigte gleichzeitig die Naturverjüngung.<br />
Andererseits trug sie aber zum Erhalt<br />
vor allem kleiner bäuerlicher Betriebe<br />
bei. Die Streunutzung sollte, wenn sie genehmigt<br />
wurde, ordnungsgemäß über einen<br />
Plan oder über Mengenregelungen<br />
erfolgen (z. B. für einen Kuhbauer ein Wagen<br />
Streu, für einen Geißenbauer ein halber<br />
Wagen). Nachdem die Streunutzung<br />
jedoch trotzdem als rücksichtslos und<br />
waldschädigend beschrieben wurde, mussten<br />
genaue Regeln aufgestellt werden:<br />
1. die drei nächsten Mittelwaldschläge<br />
sind stets zu schonen<br />
2. die 12 jüngsten Schläge desgleichen<br />
3. der Rest ist je fünf Jahre zu schonen<br />
und fünf Jahre zu berechen.<br />
Der letzte Antrag der Gemeinde auf<br />
Streunutzung kam 1952, wurde vom<br />
Forstamt aber abgelehnt, weil der Waldboden<br />
bereits herabgewirtschaftet sei. Ersatzweise<br />
wurde angeboten, zehn Festmeter<br />
Holz einzuschlagen und mit dem Erlös<br />
die Hälfte der Kosten für einen Waggon<br />
mit 100 Ballen Streutorf zu begleichen.<br />
Waldweide und Schweinemast<br />
Für das Vieh und die Schweine musste der<br />
Wald auch immer wieder als Futterquelle<br />
dienen. Während die Schweine vor allem<br />
in Mastjahren reichlich Eicheln als Futter<br />
fanden, richtete das Vieh durch Trittschäden<br />
und Abfressen junger Triebe ortsweise<br />
großen Schaden an. Durch die Umstellung<br />
auf Stallfütterung wurde die Waldweide<br />
1873 durch Gesetz verboten.<br />
Ganz verzichten wollte man in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
jedoch nicht, weshalb es 1875 ein<br />
anberaumtes Eichelnsammeln gab.<br />
Gewinnen von Gerbrinde<br />
Rinde von Eichen wurde für die Lohe zum<br />
Gerben von Leder benötigt. Wurde die<br />
Rinde von stehenden Eichen abgeschält,<br />
schädigte dies die Bäume. Entweder muss-<br />
119
120<br />
ten deshalb Eichen im Saft geschlagen<br />
werden, um das Schälen zu erleichtern,<br />
oder musste ein Waldstück als Eichenschälwald<br />
bestimmt werden. Dies geschah<br />
auf einer Fläche von gut einem Hektar im<br />
„Seeschlag“, wo die Eichen in einem<br />
18-jährigen Umtrieb nur zur Gerbrindegewinnung<br />
genutzt wurden.<br />
Sonstige Nutzungen<br />
Die sonstigen Nutzungen betrafen das<br />
Brechen von Steinen im Gemeindewaldsteinbruch<br />
oder das Sammeln von Bucheln<br />
(in großem Umfang nochmals 1946<br />
und 1947 zum Auspressen von Öl). Auch<br />
hierfür gab es zeitweise Vorschriften, um<br />
Missbrauch zu verhindern: Es durfte nur<br />
ohne Rechen und Sieb gesammelt werden<br />
und in den letzten Jahren vor einem Holzhieb<br />
gar nicht.<br />
Auch auf die Suche nach Beeren, Pilzen<br />
oder auch Honig machte sich mancher<br />
Bürger - aus Not, oder einfach weil es gut<br />
schmeckte.<br />
Dass es bei so vielen Einschränkungen und<br />
Verboten, die wegen der ständigen Übernutzung<br />
von Walderzeugnissen einfach<br />
notwendig waren, immer wieder zu Verstößen<br />
kam, weisen die Rugprotokolle<br />
über „Waldfrevel“ und „Waldexcesse“ aus:<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts gab es jährlich<br />
rd. 30 Anzeigen, weil Holz unberechtigt<br />
geschlagen, Holz gestohlen, unerlaubt<br />
Laub gerecht, mit dem Fuhrwerk über den<br />
Schlag gefahren wurde usw. Die Strafen<br />
waren für arme Bürger dabei relativ hoch.<br />
Die Jagd<br />
Zur Lebensgemeinschaft Wald gehört natürlich<br />
auch das Wild und damit die Jagd.<br />
Rehe, Füchse und Hasen, seltener Dachs<br />
und Marder, gehörten über Jahrhunderte<br />
zum Wildbestand im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Wald. Wildschweine waren als Wechselwild<br />
und sowieso stark schwankenden Beständen<br />
weniger regelmäßig: einem er-<br />
Beim Jagdhaus von Jagdpächter Philipp<br />
Wesp (Bildmitte) im Kiefertal (1970er Jahre)<br />
höhten Vorkommen konnten Jahrzehnte<br />
nahezu ohne Sau folgen.<br />
Wann der Wolf letztmals seine Spur im<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Wald zog, ist unbekannt.<br />
Im benachbarten Stadtwald Neuenstadt<br />
gibt es immerhin eine Abteilung „Wolfsgarten“.<br />
In der weiteren Umgebung wurde<br />
der letzte Wolf 1865 bei Reichertshausen<br />
erlegt.<br />
Die Bürger standen der Jagd immer wieder<br />
kritisch gegenüber. Zum einen mussten<br />
Jagdfrondienste geleistet werden (wobei<br />
der Gemeinderat eine Ablösung der<br />
Dienste 1838 ablehnte, weil dafür 100<br />
Gulden bezahlt werden sollten), zum andern<br />
gab es auf der Feldfl ur auch immer<br />
wieder Wildschaden. So wurden um 1900<br />
Schäden in den Weinbergen beklagt, nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem<br />
Wildsauschäden auf den Feldern. Gerade<br />
auch in den vergangenen 20 Jahren war<br />
der Schwarzwildbestand teilweise zu<br />
hoch. Für den Wald war das 19. Jahrhundert<br />
mit sehr geringem Wildstand günstig.<br />
Im 20. Jahrhundert und bis heute sind die<br />
Verbissschäden durch Rehwild an manchen<br />
Waldorten erheblich. Die Gemeindejagd<br />
ist mit 207 Hektar Wald und 310<br />
Hektar Feld verpachtet. Geschossen werden<br />
heute auf der Gemeindejagd jedes
Blick auf das Kiefertal mit dem von Bäumen umsäumten Sulzbach<br />
Jahr etwa 26 Rehe und, stark schwankend,<br />
bis zu 30 Wildsauen.<br />
Wie sieht der <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />
heute aus ?<br />
Insgesamt hat der Wald gute Bedingungen<br />
und Voraussetzungen für Gedeihen<br />
und Wachstum, vor allem auf der Ebene<br />
und in den Klingen. Charakteristisch sind<br />
wechselnde Bodenverhältnisse. Der Wald<br />
liegt in einer Höhenlage von 220 bis 320<br />
Metern über Meereshöhe. Der Distrikt<br />
zieht sich mit 2,5 Kilometern Länge von<br />
Nordwest nach Südost entlang des Schilfsandsteinstufenrandes.<br />
Geologisch bestimmen<br />
am Oberhang der Schilfsandstein,<br />
sonst ein Gipskeuperuntergrund die<br />
Bodenbildung. An den Hängen ist der<br />
Gipskeuper meist von steinig-sandigem<br />
Schilfsandstein, Hangschutt oder von<br />
Schluffl ehm überdeckt. Lehmüberdeckung<br />
fi ndet sich auch im Bereich der Schilfsandsteinverebnung.<br />
Die Entwässerung erfolgt<br />
über mehrere Klingen und kleine<br />
Seitenbäche nach Osten und Nordosten<br />
zum Sulzbach hin.<br />
Wachstumsfreundlich ist auch das ausgeglichene,<br />
milde Klima mit ganz seltenen<br />
Spätfrösten, in manchen Jahren allerdings<br />
zu geringen Niederschlägen. Dies schwächt<br />
dann einzelne Bäume oder ganze Bestände<br />
und führt zu erhöhter Schädlingsgefährdung.<br />
Die sich abzeichnende Klimaveränderung<br />
mit höheren Temperaturen und<br />
weniger gleichmäßigen Niederschlägen<br />
werden die Standortbedingungen für Nadelholz<br />
sicher verschlechtern und auch für<br />
das Laubholz unsicherer machen. Umso<br />
wichtiger ist es, zur natürlichen Regionalwaldgesellschaft<br />
eines eichenreichen Laubwaldes<br />
zurückzukommen. Regionalwald ist<br />
die Waldgesellschaft, die vorherrschte, bevor<br />
der Mensch eingegriff en hat.<br />
In der Waldbeschreibung von 1853 lässt<br />
sich aus dem Oberholzvorrat eine Baumartenverteilung<br />
von 51 Prozent Eiche, 42<br />
Prozent Buche, 4 Prozent Birke und 3 Prozent<br />
Aspe (Zitterpappel) errechnen. Im<br />
Unterholz dominieren Buche und Hainbuche<br />
neben Birke, Aspe, Erle, Esche, Ahorn,<br />
Linde, Hasel und Salweide. An Nadelholz<br />
wird seinerzeit nur von einigen Fichten-<br />
121
122<br />
horsten im „Dornschlägle“ (Teil des Sommerrains)<br />
berichtet. Off ensichtlich ist wegen<br />
der Dornen die Naturverjüngung untergegangen<br />
und die Fehlstellen wurden<br />
mit Fichten ausgepfl anzt.<br />
Dies war die Zeit der ersten Forsteinrichtung<br />
für den damaligen Gemeindewald<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>. Sie wurde seither alle zehn<br />
Jahre wiederholt. Dabei wird der Zustand<br />
des Waldes durch Beschreibung der einzelnen<br />
Bestände festgehalten und durch umfangreiche<br />
Datenerhebung dokumentiert.<br />
Außerdem wird der Vollzug aller Betriebsarbeiten<br />
im zurückliegenden Jahrzehnt<br />
kontrolliert und bewertet und schließlich<br />
eine Planung für das kommende Jahrzehnt<br />
aufgestellt: wo wird wie viel Holz gemacht,<br />
wo müssen junge Bestände gepfl egt werden,<br />
wo soll Naturverjüngung kommen<br />
und wie kann sie gefördert werden.<br />
Die nachstehenden Zahlen sind dem Forsteinrichtungswerk<br />
2002 bis 2011 entnommen,<br />
weil die Arbeiten am neuen Einrichtungswerk<br />
noch nicht abgeschlossen sind.<br />
Auf einer Gesamtfl äche von 188 Hektar<br />
stehen folgende Baumarten:<br />
Buche 50 % Fichte 20 %<br />
Eiche 10 % Lärche 4 %<br />
Esche 4 % Kiefer 2 %<br />
Ahorn 3 % Douglasie 1 %<br />
Sonstige 6 %<br />
Laubbäume: 73 % Nadelbäume: 27 %<br />
Das Laubholz dominiert also ganz deutlich,<br />
sein Anteil wird in den nächsten<br />
Jahrzehnten durch Naturverjüngung noch<br />
weiter zunehmen. Zu den sonstigen Laubbäumen<br />
zählen Hainbuche, Linde, Kirsche,<br />
Elsbeere, Feldahorn, Salweide, Aspe.<br />
Der Nadelholzanteil hatte sich vor allem<br />
in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
deutlich erhöht. Die Kriegs- und Nachkriegszeit<br />
hatten den Holzbedarf steigen<br />
lassen mit der Forderung vor allem nach<br />
Bauholz und rasch wachsenden Baumarten.<br />
So wurden im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />
1956 bis 1965 117.000 Fichten, 4.300 Kiefern<br />
und 1.300 Lärchen, das sind insgesamt<br />
122.600 Nadelbäume gegenüber nur<br />
1.300 Laubbäumen, gepfl anzt.<br />
Die heutige Waldwirtschaft setzt – wo immer<br />
es erfolgversprechend geht – auf die<br />
Naturverjüngung, und diese läuft standortbedingt<br />
fast ganz in Richtung Laubholz.<br />
So wurde bei der Forsteinrichtung<br />
2002 ein Naturverjüngungsvorrat von 26<br />
Hektar aufgenommen mit 39 Prozent Buche,<br />
4 Prozent Eiche, 26 Prozent Esche, 8<br />
Prozent Ahorn, 22 Prozent sonstige Laubbäume<br />
gegenüber nur 1 Prozent Fichte.<br />
Wenn man die Waldfl ächen nach dem Alter<br />
der verschiedenen Bestände zusammenstellt,<br />
zeigt sich, dass es einen deutlichen<br />
Überhang an Altholz gibt: 39 Prozent<br />
des Waldes sind über 100 Jahre alt,<br />
21 Prozent sogar über 160 Jahre. Dafür<br />
fehlt es an Beständen im Alter zwischen<br />
40 und 100 Jahren.<br />
Im vergangenen Jahrzehnt ist der Holzvorrat<br />
um fast 10 Prozent auf 322 Festmeter<br />
je Hektar gestiegen, gute Voraussetzungen<br />
für einen höheren Einschlag,<br />
der allerdings im Wert durch die geringere<br />
Qualität vieler Altbestände, die ihren Ursprung<br />
noch in der wenig pfl egeintensiven<br />
Mittelwaldwirtschaft hat, geschmälert<br />
wird.<br />
Der Beitrag des <strong>Cleversulzbach</strong>er Walddistrikts<br />
zum jährlichen Gesamteinschlag des<br />
Stadtwaldes beträgt 1.070 Festmeter, das<br />
sind 23 Prozent. Der geplante Einschlag von<br />
5,8 Festmeter je Jahr und Hektar liegt unter<br />
dem laufenden Zuwachs, so dass die Holznutzung<br />
in Zukunft in die Höhe gehen wird.<br />
Neben der Nutzfunktion spielen auch die<br />
Schutzfunktionen eine gewichtige Rolle:<br />
Der ganze Wald ist als FFH – Flora-Fauna-<br />
Habitat, als Waldlebensraumtyp Hainsimsen-Buchen-Wald<br />
ausgewiesen. Neben<br />
110 Hektar Wasserschutzwald spielt auch<br />
der Bodenschutz an den Hängen eine<br />
wichtige Rolle.
Der Lochwald<br />
Ausgewiesene Waldbiotope sind:<br />
– das alte Steinbrüchle an der Eberstädter<br />
Straße<br />
– ein Elsbeervorkommen im Sommerrain<br />
– vernässende Flächen in der Eberstädter<br />
Ebene<br />
– die Klingen im Hangschlag und in der<br />
Weinsteige<br />
Oberstes Ziel der Waldbewirtschaftung ist<br />
heute die Erhaltung und Förderung eines<br />
standortgerechten und nachhaltigen Waldökosystems,<br />
das den Ansprüchen der Bürger<br />
an alle Waldfunktionen – also Nutz-, Schutz-<br />
und Erholungsfunktion – am besten zu erfüllen<br />
vermag. Die naturnahe Waldwirtschaft<br />
soll mit dem Ziel eines artenreichen,<br />
klimastabilen und ertragreichen Mischwaldes<br />
noch weiter ausgebaut werden:<br />
– weg vom Kahlschlag und weitgehender<br />
Verzicht auf Nadelholzanbau<br />
– natürliche Verjüngung aller standortgerechten<br />
Baumarten wie Buche, Eiche,<br />
Esche, Ahorn<br />
– angepasste Wildstände, die die natürliche<br />
Verjüngung nicht behindern und<br />
ein gesichertes Heranwachsen der Wälder<br />
ohne Schutz ermöglichen<br />
– Ernte von Einzelbäumen durch stetige<br />
Waldpfl ege<br />
– Feinerschließung der Bestände zur Vermeidung<br />
von Bodenschäden<br />
– extensives Bewirtschaften von Waldbiotopen<br />
und Steilhängen<br />
Es ist wohl gut verständlich, dass für<br />
diese qualifi zierte, stetige und vielseitige<br />
Arbeit im Wald Fachkräfte notwendig<br />
sind. Für den Stadtwald wurde dies<br />
rechtzeitig erkannt und in Zusammenarbeit<br />
mit der Gemeinde Langenbrettach<br />
durch ständig angestellte Forstwirte auch<br />
gewährleistet.<br />
Die Einhaltung der Wirtschaftsziele wird<br />
außer von der Forsteinrichtung auch extern<br />
durch Zertifi zierungsinstitute überprüft.<br />
Bisher wurde die gute Arbeit im<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Wald jeweils anerkannt<br />
und ein entsprechendes Zertifi kat ausgestellt.<br />
Und alle Bürger werden in den naturnahen,<br />
standortgerechten und stufi g aufgebauten<br />
Laubmischwäldern die Schutzfunktionen<br />
des Waldes - vom Boden- über<br />
den Klima- bis zum Wasserschutz - gut<br />
gesichert sehen und jederzeit die sicher<br />
wichtiger werdende Erholung vom Alltagsstress<br />
in ihrem heimischen Wald fi nden<br />
können.<br />
123
124<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Eichen und ihre Geschichte<br />
Eichen können ein hohes Alter erreichen,<br />
sichtbar an ihrem stattlichen Wuchs, der<br />
sich über lange Jahre, mehr noch Jahrhunderte,<br />
entwickelt - wenn nicht äußere<br />
Einfl üsse ihrem Leben ein Ende setzen.<br />
Eichen zählen zu jenen Baumarten,<br />
deren Erscheinung und Alter oftmals eine<br />
besondere Aufmerksamkeit erregen.<br />
Über die <strong>Cleversulzbach</strong>er Keltereiche hinaus<br />
– über sie wird im Zusammenhang<br />
mit der Kelter-Halle berichtet – fi nden<br />
sich weitere erwähnenswerte Eichen bzw.<br />
Geschichten über Eichen.<br />
Am Ende des Kiefertales, und der abgegangenen<br />
Siedlung Kiefertal, unweit<br />
vom Ursprung des Sulzbaches, nahe am<br />
Weg zum „Steinernen Tisch“ gelegen,<br />
Die beiden Zwillingseichen um 1988/89,<br />
1990 wurde eine der beiden Eichen vom<br />
Orkan Wiebke gefällt<br />
Am Zwillingseichenweg<br />
gab es bis vor wenigen Jahren die stattlichen,<br />
weithin bekannten „Zwillingseichen“<br />
zu bestaunen. Diese 1830 gepfl<br />
anzten Bäume waren rund<br />
30 Meter hoch. Der Stammumfang<br />
der beiden Eichen<br />
betrug je gut fünf Meter, die<br />
Kronen hatten jeweils einen<br />
Durchmesser von 20 Metern<br />
– bis „Wiebke“, jener starke<br />
Orkan im Jahr 1990, eine der<br />
beiden Eichen bersten ließ<br />
und zu Fall brachte. Den<br />
Stumpf hat man, als Zeugnis<br />
für für die Nachwelt und um<br />
die ehemals stattlichen Ausmaße<br />
erkennen zu lassen,<br />
erfreulicherweise nicht entfernt.<br />
Eine andere Eiche, deren<br />
Pfl anzung, wie wir heute<br />
wissen, in eine eher unrühmliche<br />
Zeit unseres Vaterlandes<br />
fi el und wohl auch nur<br />
noch wenigen Menschen am<br />
Ort bekannt sein dürfte, ist die so genannte<br />
„Hitler-Eiche“. Gepfl anzt wur de<br />
sie nach dem Wahlsieg der NSDAP und
der Ernennung von Adolf Hitler zum<br />
Reichskanzler 1933 im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Wald, Abteilung Seeschlag an der Straße<br />
nach Eberstadt, links an der mittleren<br />
der „Dreier-Kurven-Kombination“, kurz<br />
hinter der Querung der „Alten Straße“.<br />
Vermutlich haben die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
deshalb die Eiche so weit außerhalb des<br />
Ortes gepfl anzt, um nicht so häufi g Ehrenbezeugungen<br />
oder den „Hitlergruß“<br />
an der Eiche ausführen zu müssen, und<br />
auch nicht ständig an den Führer erinnert<br />
zu werden. Dieser Eiche war verständlicherweise<br />
kein langes Leben beschert,<br />
da sie unmittelbar nach Kriegsende,<br />
mit dem Fall des „Dritten Reiches“<br />
entfernt wurde.<br />
Ein Wald- und Wanderparkplatz sowie<br />
ein Flurname zeugen von „ihr“, niemand<br />
von uns hat sie gesehen, die Sprache ist<br />
von der „Abgebrannten Eiche“. Ihren<br />
früheren Platz fi nden wir an der Straße<br />
nach Eberstadt, rechts, nach Erreichen<br />
der Anhöhe, unmittelbar vor der ehemaligen<br />
Grenze zwischen den früheren<br />
Oberämtern Neckarsulm und Weinsberg.<br />
Diese Eiche muss wohl ein stattlicher<br />
Baum und auch von einer gewissen Be-<br />
deutung gewesen sein, anders hätte es<br />
„ihr“ sicherlich nicht zu einem Flurnamen<br />
gereicht, der sich über die Jahrhunderte<br />
hinweg gehalten hat. Wo kommt nun<br />
dieser Name her? Wir können nur spekulieren,<br />
denn in den Akten oder Unterlagen<br />
ist darüber nichts nachzulesen. Vermutlich<br />
kam diese Eiche durch einen Blitzschlag<br />
zu Fall und ist dabei ausgebrannt.<br />
Oder, was wir nicht annehmen wollen, es<br />
haben Unholde Feuer gelegt und den<br />
Baum dadurch zu Fall gebracht und damit<br />
schändlichen Baumfrevel betrieben.<br />
Alljährlich fi ndet zu Himmelfahrt auf<br />
dem Waldparkplatz bei der „Abgebrannten<br />
Eiche“ das gerne und vielbesuchte<br />
traditionelle Waldfest statt, welches vom<br />
Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong><br />
veranstaltet wird.<br />
In jüngster Vergangenheit ist eher negativ<br />
über den Wanderparkplatz bei der<br />
„Abgebrannten Eiche“ berichtet worden<br />
– und zwar durch ein bis heute unaufgeklärtes<br />
Verbrechen vom 25. Januar 2009<br />
mit einem Toten neben einem brennenden<br />
Auto. Für die Ermittlungsgruppe der<br />
Heilbronner Polizei namens „Eiche“ ist<br />
der Fall bis heute nicht geklärt.<br />
Werner Uhlmann<br />
Am Waldparkplatz<br />
„Abgebrannte Eiche“<br />
125
126<br />
Gipsabbau<br />
Heute steht dort ein Wochenendhäuschen<br />
und nur wenig erinnert an die vormalige<br />
Nutzung: Im „Steinbeißer“ nahe dem<br />
Brettacher Wald wurde früher Gips abgebaut<br />
wie an zahlreichen anderen Orten im<br />
Land entsprechend den weit verbreiteten<br />
Keuperformationen. Erstmals scheinen die<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Gipsvorkommen im letzten<br />
Drittel des 18. Jahrhunderts ausgebeutet<br />
worden zu sein. Als Maurermeister<br />
Martin Stahl 1804 den „Weinbergplatz“<br />
kaufte, um dort eine Gipsgrube zu betreiben,<br />
soll dort schon mindestens 30 bis 40<br />
Jahre zuvor nach Gips gegraben worden<br />
sein. 1 1815 erhielt er die Genehmigung,<br />
eine Gipsmühle zu errichten. Diese wollte<br />
er mit einem Pferd betreiben. 1834 ist<br />
Friedrich Gross aus Neuenstadt als Eigentümer<br />
des Flurstücks genannt, 2 gut ein<br />
Jahrzehnt später bauten Jochen Gottfried<br />
Landauer aus Neuenstadt und Müller<br />
Weiß aus Langenbeutingen dort Gips ab. 3<br />
1861 muss es zu einem Unfall gekommen<br />
sein, bei dem ein Bergmann den ganzen<br />
Tag über verschüttet gewesen sein soll,<br />
nachdem ein älterer Stollen eingestürzt<br />
war. Aus den vom Schultheißen veranlass-<br />
Markung<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
Hügelscher<br />
Abbau<br />
1948<br />
Steinbeißer<br />
Josef-St.<br />
1947<br />
Bohrstelle<br />
ten Untersuchungen des Vorfalls geht<br />
hervor, dass es zu dem Zeitpunkt zwei<br />
Gipsbrüche auf <strong>Cleversulzbach</strong>er Markung<br />
gab, die aneinander angrenzten. Beide bestanden<br />
aus Haupt- und Nebenstollen,<br />
von denen einer sich auch auf die Markung<br />
Brettach erstreckte. Später war<br />
Christian Waff enschmidt, Ölmüller aus<br />
Neuenstadt, Eigentümer des Grundstücks.<br />
Zusammen mit Heinrich Hügel betrieb er<br />
eine Öl-, Gips- und Sägemühle mit Hanfreibe,<br />
die 1882 in die Hände von Hügel<br />
überging. Dorthin muss also der in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
im Untertagebetrieb abgebaute<br />
Gips zum Mahlen transportiert worden<br />
sein. 4 Auf <strong>Cleversulzbach</strong>er Markung<br />
scheinen die Gipsvorkommen schon bald<br />
danach erschöpft gewesen sein.<br />
Neben der Verwendung als Baustoff wurde<br />
Gips seit der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
auch in der Landwirtschaft eingesetzt.<br />
Durch die mineralische Düngung mit zermahlenem<br />
Gipsstein sollte die landwirtschaftliche<br />
Produktivität gesteigert werden<br />
– eine Methode, die besonders von<br />
dem Kupferzeller Pfarrer Johann Friedrich<br />
Mayer (1745 –1798) propagiert wurde.<br />
Gemeindewald<br />
Brettach<br />
Die zwei Gipsbrüche:<br />
der frühere Gipsbruch<br />
im „Steinbeißer“ und<br />
der 1948 erö nete<br />
Gipsbruch mit dem<br />
ehemaligen Josef-<br />
Stollen.
Dem „Bauernaufklärer“ und „Gipsapostel“<br />
war es ein Anliegen, die Ernährungsgrundlage<br />
seiner Gemeindemitglieder<br />
durch die Steigerung der landwirtschaftlichen<br />
Erträge zu heben. Zu diesem Zweck<br />
stellte er Versuche zur Verbesserung der<br />
Böden an und veröff entlichte seine Ergebnisse<br />
1768 in der Schrift „Die Lehre vom<br />
Gyps als einem vorzüglich guten Dung zu<br />
allen Erd-Gewächsen auf Äckern und Wiesen,<br />
Hopfen- und Weinbergen“. Gips blieb<br />
bis ins ausgehende 19. Jahrhundert neben<br />
Kompost als wichtiges Düngemittel in Gebrauch;<br />
danach setzten sich zunehmend<br />
Kunstdünger durch. 5<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der<br />
Gipsabbau wieder aufgenommen werden.<br />
Die Idee hatten Peter Weber, Ingenieur<br />
aus Bergisch-Gladbach, und sein Sohn<br />
Egon, die nach dem Krieg nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gekommen waren. Peter Webers<br />
Schwiegertochter war nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
evakuiert worden, wohin ihr ihr<br />
Mann Egon folgte, der gerade aus der Gefangenschaft<br />
zurück war. Vater und Sohn,<br />
Ingenieur bzw. Mechanikermeister, wurden<br />
auf die Gipsvorkommen im Grenzbereich<br />
zu Brettach aufmerksam und wollten<br />
dort ein Gipswerk aufbauen. Ihr Vorhaben<br />
wurde befürwortet, da Baugips zu<br />
den größten Mangelwaren gehörte und<br />
dringend für den Wiederaufbau der<br />
kriegszerstörten Städte und Gemeinden<br />
benötigt wurde. Auch Düngegips sollte<br />
hergestellt werden, fehlte es doch in der<br />
Nachkriegszeit an Kunstdünger. Mit einigen<br />
Verzögerungen erhielt Peter Weber,<br />
der 1946 bei der Gemeinde Brettach bereits<br />
den Antrag auf eine Schürfbohrung<br />
gestellt hatte, im Februar 1948 schließlich<br />
die Genehmigung zur Errichtung des Gips-<br />
1 StA Ludwigsburg D 37 I Bü. 2324<br />
2 LRA Heilbronn/Vermessungsamt: Messregister.<br />
3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 19<br />
4 Georg Dittmann, Gipswerk <strong>Cleversulzbach</strong>. In: Am Brunnen<br />
vor dem Tore, Nr. 77 vom 15.11.1984.<br />
Logo des Gipswerkes von Peter und Egon<br />
Weber<br />
werkes durch das Wirtschaftsministerium<br />
Württemberg-Baden. 6 Der auf den Markungen<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> und Brettach<br />
liegende „Josef-Stollen“ war bald aus der<br />
Taufe gehoben und es wurde mit den Aufschlussarbeiten<br />
begonnen. Mehrere Probebohrungen<br />
waren erforderlich, um ein<br />
abbauwürdiges Gipslager zu fi nden. Dafür<br />
musste in Handarbeit ein Stollen gegraben<br />
werden. Im Frühjahr 1948 soll der abbau-<br />
und verarbeitungsfähige Gips fast<br />
erreicht worden sein. Bereits im August<br />
war das Gipswerk jedoch zahlungsunfähig,<br />
die Arbeiten mussten bald eingestellt werden.<br />
1952 wurde die Zwangsversteigerung<br />
angeordnet und die bereits aufgestellten<br />
Maschinen, u. a. eine Verladerampe mit<br />
Rollgleisen, verschwanden. Die Wiederbelebung<br />
des Gipsabbaus in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sollte Episode bleiben. Heute sind nur<br />
noch die Mundlöcher der Stollen und<br />
Reste der in die Stollen führenden Schienen<br />
erkennbar.<br />
Reste der in den Josef-Stollen von Peter und<br />
Egon Weber führenden Schienen (Foto 1983)<br />
5 StA Ludwigsburg E 258 VI Bü. 2779<br />
6 Georg Dittmann, Gipswerk <strong>Cleversulzbach</strong>. In: Am Brunnen<br />
vor dem Tore, Nr. 78 vom 29.11.1984. – KA Heilbronn<br />
Nr. 6615.<br />
127
128<br />
Der Sulzbach und Fischerei<br />
Der Sulzbach ist das dominierende Gewässer<br />
auf der Gemarkung und war für<br />
das Dorf auch namengebend. Er entspringt<br />
ganz unscheinbar im hintersten<br />
Kiefertal im Staatswald, früher Herrschaftswald.<br />
Das Kameralamt Neuenstadt<br />
beschreibt ihn 1834:<br />
Im sogenannten Sulzbächlen, welches<br />
vom Kieferthal herab bei <strong>Cleversulzbach</strong><br />
und unter dem Verrenberg zwischen<br />
Wiesen vorbei läuft und endlich unten in<br />
den Brettachbach fällt, in der Länge ungefähr<br />
eine Stunde hat und wenige Forellen,<br />
Grundaale und Krabben führt,<br />
steht die Fischer-Gerechtigkeit allergnädigster<br />
Herrschaft zur Hälfte, zur anderen<br />
Hälfte aber der Gemeinde zu.<br />
Lange davor war das Fischen wohl eher<br />
eine freie, allgemeine Sache. Deshalb ist<br />
im Dorfbuch von 1626 zu lesen:<br />
Das Fischen und Krebsen belangendt<br />
Es soll in den Wochen an keinem anderen<br />
Tag, als am Freytag, gefi scht oder Krebse<br />
gefangen werden, in übrigen Tagen in der<br />
Wochen, sowohl auch an Son- und Feyertagen<br />
allerdings verbotten sein, auch kein<br />
Gumpp ausgeschöpft werden. Welcher<br />
darwider handelt umb ain Gulden gestra<br />
t werden.<br />
Ältere <strong>Cleversulzbach</strong>er erinnern sich noch<br />
gerne an erfolgreiches Fischen und<br />
Krebsen, ein Kinder- und Jugenderlebnis,<br />
wie es in den letzten Jahrzehnten so leider<br />
nicht mehr möglich war.<br />
Ecke Brettacher Straße/Fladenstraße. Hier befand sich ursprünglich eine große Scheuer, die<br />
regelmäßig unter Wasser stand, wenn der nahe Sulzbach Hochwasser führte (Foto Anfang<br />
der 1930er Jahre)
Durch verschiedene Ausbau- und Begradigungsmaßnahmen<br />
verlor der Sulzbach an<br />
landschaftlichem Reiz und ökologischem<br />
Wert. Erste Ausbaumaßnahmen werden<br />
1934 genannt. Gravierender war dann<br />
1953 ein erster Ausbauabschnitt in der<br />
Ortslage und auf 1.000 Meter gegen Süden.<br />
In einem zweiten Abschnitt ging es<br />
dann auf 1.450 Meter Länge nochmals<br />
gegen Süden weiter. Im Zuge der Flurbereinigung<br />
wurden größere Sulzbachabschnitte<br />
mit Sohlschalen befestigt. Weil<br />
die Begradigung den Wasserabfl uss deutlich<br />
beschleunigt hatte, war es zu Uferabbrüchen<br />
gegkommen.<br />
Als Ausgleich für den Wasserfl ächenverlust<br />
und die ökologischen Nachteile der<br />
Begradigung sollte im Gewann Hauptmannswiese<br />
in einem Seitentälchen des<br />
Sulzbaches ein Fischteich gebaut werden.<br />
Nachdem sich die geplante Nutzung zerschlug,<br />
entstand ein größeres Feuchtbiotop,<br />
das durch die Autobahn zwar vom eigentlichen<br />
Tal abgeschnitten ist, zwischenzeitlich<br />
aber doch den Status eines<br />
Naturdenkmals hat. Weiter aufwärts im<br />
Kiefertal entstand um 1975 die kleine<br />
Fischteichanlage Maysenhölder.<br />
Verpachtet war das Fischereirecht bis nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg an den Fabrikanten<br />
Emil Frank und seine Frau Luise für<br />
100 Reichsmark. Jedes Jahr mussten 2.000<br />
bis 3.000 Stück Bachforellenbrut eingesetzt<br />
werden. Als Jagdpächternachfolger<br />
wurde Philipp Wesp später auch Fischwasserpächter.<br />
Während 1834 das Pachtinteresse<br />
noch groß war, gelang eine Verpachtung<br />
nach Direktor Wesp nur noch mühsam.<br />
Die Fischereigemeinschaft nahm sich<br />
schließlich des Sulzbaches an. Die Gemeinde<br />
hatte übrigens ihr halbes Fischereirecht<br />
im April 1971 an das Land Baden-<br />
Württemberg, Staatsforstverwaltung, für<br />
2.000 DM verkauft.<br />
Nur am Rande sei bemerkt, dass es auf Gemarkung<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> eine Reihe von<br />
Der Sulzbach unterhalb der Bachbrücke<br />
zum Föhrenberg im Sommer 2012 – nach<br />
längerer Regenpause mit niedrigem Wasserstand<br />
Quellen unterschiedlicher Ergiebigkeit gibt.<br />
Erschlossen ist im Kiefertal der Erbelbrunnen.<br />
Bis ins 20. Jahrhundert gab es im Ort<br />
einen laufenden und drei Ziehbrunnen.<br />
Anzunehmen ist, dass es im feuchten Wiesengrund<br />
Hagenach am südlichen Fuß des<br />
Föhrenberges früher einen See gab.<br />
Nur eine Episode blieb der angedache Bau<br />
eines Freibades in den 30er Jahren des<br />
letzten Jahrhunderts.<br />
129
130<br />
Infrastruktur<br />
Die Wette<br />
Die „Wette” 1 taucht in den Annalen unseres<br />
Dorfes zum ersten Male in den Gemeinderatsprotokollen<br />
von 1767 auf:<br />
20. Juli 1767<br />
Ein Wettin Mauer unten im Dorf, welche<br />
sich schadhaft befi ndet, deßgleich<br />
der plaz um die bronnen Rohr, solle<br />
erforderlichermaßen reparirt, des gleichen<br />
die Eych bei der ober Mauer, wo<br />
der Fluß heraus kommt, hingestellt, u.<br />
ein Tächlen darüber gemacht werden.<br />
Aus dem obigen Zitat geht hervor, dass<br />
die hiesige Wette in der Mitte des 18.<br />
Jahrhunderts schon lange in Benutzung<br />
gewesen sein muss. Wo lag nun die Wette<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>? Ganz exakt geht ihre<br />
damalige Lage aus der Urkarte von 1834<br />
hervor: am unteren Ende des späteren<br />
Ortsweges No. 5, dort wo seit 1838/39 das<br />
Backhaus steht und der heutige Backhausvorplatz<br />
liegt.<br />
Ihr Abfl uss erfolgte über den off enen Graben<br />
No. 1 entlang der heutigen Seestraße,<br />
welcher oberhalb der Bachbrücke in den<br />
Sulzbach mündete. Gespeist wurde die<br />
Wette überwiegend durch die Zuläufe aus<br />
den Brunnen in der Hauptstraße, zum einen<br />
dem Brunnen in unmittelbarer Nähe<br />
zur Wette, dem späteren „Rohrbrunnen“,<br />
und zum anderen durch den Brunnen am<br />
Kirchplatz. Selbstverständlich wurde das<br />
Regen- oder Oberfl ächenwasser ebenfalls<br />
in die Wette geleitet.<br />
Bei der Wette muss es sich um einen für<br />
das Gemeindeleben bedeutsamen Ort gehandelt<br />
haben, denn sie wird immer wieder<br />
erwähnt, sie wurde gepfl egt und<br />
spielte, wie wir noch sehen werden, auch<br />
bei einem Verbrechen eine gewisse Rolle.<br />
Etliche Protokolle zeugen davon, dass es<br />
sich der Gemeinderat angelegen sein ließ,<br />
Die Wette. Der Ausschnitt aus der Karte von<br />
1834 zeigt die Wette in ihrer ursprünglichen<br />
Größe; 1838 wurde sie zwecks des Baus des<br />
Back-, Wasch- und Armenhauses, das einen<br />
Teil der westlichen Fläche einnahm, verkleinert.
die Wette in gutem Zustand zu halten.<br />
Dies war Aufgabe von Einwohnern, die<br />
über ein Versteigerungsverfahren den<br />
Auftrag erhielten, die Wette gegen ein gewisses<br />
Entgeld zu säubern und ggf. auszubessern.<br />
Über die Gemeindepfl egrechnung 2 aus<br />
dem Monat Juni 1833 erhalten wir genauere<br />
Informationen über Herstellung<br />
und Maße der Wette:<br />
Danach erhält der Akkordant Christoph<br />
Rausch für ein „Draufgeld” von 5 Gulden<br />
24 Kreuzer den Auftrag zur „Herstellung<br />
der in Abgang gegangenen Mauer an der<br />
Wette, von etwa 70’ Länge, und 5’ Höhe<br />
dem Schu nach” (d. h. etwa 23 m Länge,<br />
1,5 m Höhe). Kurz darauf, am 22. Juli<br />
1833, präzisiert der Gemeinderat den Auftrag:<br />
Das Fundament der Mauer müsse<br />
2 ½ Fuß dick, alles oberhalb aber 2 Fuß<br />
dick werden. Die Fundamentsteine müssen<br />
aus „3–4 Fuß langen und wenigstens 1<br />
Fuß diken gespigten Quater gut meistermäßig<br />
hergestellt werden.” Außerdem<br />
„dürfen nur Rothe veste und gesunde<br />
Quater dazu genommen werde.” Besonderen<br />
Wert legt der Gemeinderat auf die<br />
Feststellung, dass bei Verwendung von alten,<br />
gebrauchten Fundamentsteinen diese<br />
nicht in die Herstellungskosten aufgenommen<br />
werden dürften.<br />
Bereits ein Jahr nach Fertigstellung werden<br />
Pfl egearbeiten an der Wette nötig,<br />
für deren Übernahme sich überraschend<br />
viele Interessierte („Liebhaber”) melden:<br />
Verhandelt den 2 ten Sept. 1834 3<br />
Es wurde nach vorheriger Bekanntmachung<br />
das Ausputzen der Wette<br />
im Abstreich verakkordirt, und sind<br />
als Liebhaber erschienen,<br />
Christian Bordt Schneider, Baltas Bordt<br />
Weber, Martin Erhart, Christoph Bazer,<br />
ChristianHermann Christoph S., Christoph<br />
Dietrich, David Vögele,<br />
Christoph Bazer Weber fordert 5 f<br />
Baltas Bordt fordert 4 f<br />
es hat im lezten Streich<br />
als der wenigstnehmende erhalten<br />
Christian Seebold für 3 f<br />
Die Arbeiten an der Wette waren damit<br />
nicht abgeschlossen, denn am 8. Dezember<br />
1834 stellte J. Georg Stahl der Gemeinde<br />
4 Gulden 12 Kreuzer in Rechnung,<br />
und zwar hat er 1 Tag in dem Au uß an<br />
der Wette gemauert. Schon vorher, am 13.<br />
Oktober 1834, hat Christian Reniger auf<br />
beyden Seiten gemauert […] von dem alten<br />
Wettstein im Taglohn 1 Gulden 4 .<br />
Etwas kurios mutet der folgende Eintrag an.<br />
Am 3. Januar 1835 5 bietet die Gemeinde<br />
den aus der Wette geschöpften Schleim an<br />
den Meistbietenden zum Verkauf an. Vermutlich<br />
hat Abraham Freundt, der mit 2<br />
Gulden 42 Kreuzer als Sieger aus der Versteigerung<br />
hervorging, den Schleim als<br />
Dünger auf seinen Acker ausgebracht.<br />
Durch den Bau des Back-, Wasch- und Armenhauses<br />
1838/39 mussten schließlich,<br />
um genügend Platz für das neue Gebäude<br />
zu haben, an der Wette Änderungen vorgenommen<br />
werden. Sie wurde um ein gutes<br />
Stück gekürzt. Mit dieser Maßnahme<br />
wurde auch der „Rohrbrunnen“, welcher<br />
zu dieser Zeit etwa in der Mitte des Platzes<br />
oder des Fahrweges lag, an die Ecke des<br />
Backhauses an der Einmündung des Ortsweges<br />
No. 7, heute Untere Straße, verlegt.<br />
Wie sehr die Gemeinde um die Pfl ege der<br />
Wette besorgt war, zeigen verschiedene<br />
Gemeinderatsprotokolle aus den Jahren<br />
1840 und 1841:<br />
11. Juni 1840 6<br />
Jung David Siegle erhält den Auftrag, für 5<br />
Gulden die Wette nebst dem Abwasserbächle,<br />
so weit als notwendig, auszuputzen.<br />
8. Mai 1841 7<br />
Für die Herstellung einer Wasserrinne „neben<br />
der Wette” werden 6–7 Clftr. 8 Steine<br />
vom hiesigen Bruch beigeführt, wobei<br />
„4 starke Fuhren zu 1 Clftr. gerechnet”<br />
werden. Pro Fuhre werden 26 bis 28 Kreuzer<br />
Lohn veranschlagt.<br />
131
132<br />
Ein Beschluss des Gemeinderats vom 4.<br />
April 1850 beweist, dass die Wette bis in<br />
die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
ihre Bedeutung für das Dorf behalten hat,<br />
denn es „wurde beschlossen, daß zum Ablauf<br />
des Abwassers ein Tholen vom Zugbronnen<br />
an bis zur Wette geführt werden<br />
solle.” 9<br />
Erwähnung verdient die Wette auch für<br />
ihre Bedeutung bei der Aufklärungsarbeit<br />
in einem Mordfall, der sich im Jahre 1850<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> ereignet haben soll:<br />
Verhandelt den 10 t Octbr. 1850<br />
Heute wurde die Wette<br />
auf die Angabe des led:<br />
Christian Merz von da<br />
welcher das Meßer<br />
oder Dolch, womit er<br />
den Karl Speisser ledig<br />
tödtlich gestochen, oder<br />
verwundet hat, in die Wette<br />
geworfen haben wolle,<br />
zum ausputzen<br />
o entlich verabstreicht,<br />
um das Messer fi nden<br />
zu können. 10<br />
Leider erfahren wir nicht, ob die Suche<br />
nach dem Tatwerkzeug von Erfolg gekrönt<br />
war, und aus den verfügbaren Akten wird<br />
auch nicht ersichtlich, zu welchem Urteil<br />
es in diesem Mordfall letzten Endes kam.<br />
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,<br />
mit der zunehmenden Verdichtung<br />
der Bebauung im Unterdorf sowie der Erschließung<br />
und Bebauung des Kieshofs,<br />
war die Zeit zur Verlegung der Wette gekommen.<br />
Ein neuer Platz, der den Anforderungen,<br />
wie zentrale Lage und dass ausreichend<br />
Wasser speziell im Brandfalle zur<br />
Verfügung stand, musste gefunden werden.<br />
Man entschloss sich seinerzeit, auf<br />
den Sulzbach zurückzugreifen, welcher<br />
unmittelbar nach der Brücke in Richtung<br />
Brettach fl oss. Die Bachufer wurden durch<br />
Sandsteinmauern befestigt, eine Stellfalle<br />
wurde am östlichen Ende, bevor der Bach<br />
seine Fließrichtung wieder nach Norden<br />
änderte, angebracht. Zur Sicherheit war<br />
auf den Sandsteinmauern ein Geländer<br />
gegen unbeabsichtigtes Hineinfallen angebracht<br />
worden. Die Wette oder der<br />
Sulzbachstau hat sich an dieser Stelle bis<br />
zur ersten Sulzbachregulierung Mitte der<br />
1930er Jahre befunden. Mit der Sulzbachregulierung<br />
fand diese Einrichtung wiederum<br />
eine neue Heimat, an welcher sie sich<br />
bis heute befi ndet.
Mit der Schaff ung der an ein Leitungssystem<br />
gebundenen Wasserversorgung verlor<br />
die Wette ihre Bedeutung für das Dorfl eben.<br />
Die Wette als Feuerlöschteich, oder<br />
wie in unserem Fall das Stauwehr, wird<br />
nur noch in Sonderfällen, wie bei Großbränden,<br />
sofern das Wasser der öff entli-<br />
Stellfalle am Sulzbach, nördlich der Brettacher Straße, 2012<br />
1 Die genaue Bedeutung des Begriff s „Wette” blieb zunächst<br />
im Dunkeln, hatten doch auch Fachleute Schwierigkeiten,<br />
ad hoc eine Defi nition des Begriff es zu geben.<br />
Genauere Nachforschungen bestätigten allerdings die Annahme,<br />
es müsse sich um einen Wasserplatz (vgl. engl.<br />
‚wet’ = nass; vgl. auch dt. ‚waten’) gehandelt haben. Das<br />
„Schwäbische Wörterbuch” schlägt etwa folgende Synonyme<br />
vor: Tümpel, stehendes Gewässer, Pferdeschwemme.<br />
Es wird sich wohl um eine Art Dorfweiher gehandelt haben.<br />
In Frage kommt die Funktion der Wette als Löschteich.<br />
Löschweiher stammen aus einer Zeit, in der noch<br />
nicht in allen Orten eine zentrale Wasserversorgung üblich<br />
war. Sie dienten als Löschwasserreserve und wurden<br />
in den Orten meist zentral angelegt, damit man zuerst mit<br />
chen Versorgung nicht ausreichen sollte,<br />
genutzt. Heute, da die Einrichtung ihre<br />
früher so wichtige Bedeutung verloren<br />
hat, ist sie aus dem Bewusstsein der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Bevölkerung nahezu verschwunden.<br />
einer Eimerkette, später mit Pumpen das Wasser relativ<br />
einfach zu jeden Punkt im Ort bringen konnte. Die Teiche<br />
hatten meist keine eigene Quelle, sondern mussten befüllt<br />
werden. Auch Regenwasser wurde hineingeleitet.<br />
2 CR 280<br />
3 CR 281<br />
4 CR 281<br />
5 CR 281<br />
6 CB 17<br />
7 CB 17<br />
8 Klafter<br />
9 CB 20<br />
10 CB 20<br />
133
134<br />
Brunnen und<br />
Wassversorgung<br />
Von Bronnen und Cisternen graben und<br />
haben au eines eigenen Grund<br />
Welcher auf seinem eigenen Grund ein<br />
Bronnen, oder Cistern graben will, oder<br />
der einen hievor graben und gebauen<br />
hätte, der soll in allweg fürsehen, daß<br />
dardurch dem gemeinen Nutz, und seinem<br />
Nachbauren, ob, und unter der Erden, kein<br />
Schad entstehen, und widerfahren möge.<br />
Bauordnung vom 2. Januar 1655 1<br />
Gleiches wird auch für die öff entlichen<br />
Brunnen gegolten haben, von denen <strong>Cleversulzbach</strong><br />
mindestens sechs besaß. Diese<br />
speisten sich größtenteils aus der westlich<br />
hinter der Kirche gelegenen Höhenlage<br />
und führten Trinkwasser, das allen Bewohnern<br />
des Dorfes zur Verfügung stand.<br />
Sechs öff entliche Brunnen<br />
1. Brunnen vor der alten Kelter<br />
Vor der alten Kelter versorgte ein Brunnen<br />
das Oberdorf, und zwar zusammen mit<br />
dem Brunnen vor der Kirche.<br />
2. Brunnen vor der Kirche<br />
Dieser Brunnen vor der Kirche befand sich<br />
unterhalb der Kirchhofmauer. Im Jahre<br />
1810 waren die Zimmerleute Christoph<br />
Wiedmann und Valentin Zeyer mit der<br />
Herstellung eines neuen „Bronnentrogs”<br />
beauftragt worden, welcher zu dem Kirchbronnen<br />
erforderlich und der länge nach<br />
16 Schuh zum Viehtrinken halten muß,<br />
inbegri s eines neuen Tröglens, zum WasserAusguß.<br />
Ihnen wurde dafür der „Akkord“<br />
von 7 f 30 x bewilligt. Der Brunnen<br />
an der Kirche fungierte demnach als Viehtränke,<br />
wurde allerdings aufgegeben, weil<br />
das Wasser durch die Nähe zu den Gräbern<br />
auf dem Friedhof kontaminiert sei<br />
und den Pferden nicht gut bekomme.<br />
Der Brunnen vor der Kirche<br />
3. Brunnen an der Ecke Brettacher<br />
Straße/Mittlere Straße<br />
Dieser Brunnen stand an der Ecke Brettacher<br />
Straße/Mittlere Straße (vor der ehemaligen<br />
Wagnerwerkstatt Rüber, der heutigen Bäckereifi<br />
liale Discher; die Mittlere Straße hieß<br />
früher Obere Gasse). Auf alten Fotos erkennt<br />
man ihn als einen Pumpbrunnen, der<br />
auf einem steinernen Sockel steht. Es wird<br />
berichtet, dass in der Sammelwanne unterhalb<br />
dieses Brunnens ein unbeaufsichtigtes<br />
Mädchen ertrunken sei.<br />
Der Brunnen vor der ehemaligen Wagnerwerkstatt<br />
Rüber Ecke Brettacher Straße/<br />
Mittlere Straße
Da er seit Jahren nicht mehr benutzt<br />
wurde und beim Bau des Gehweges störte,<br />
wurde der Brunnen nach dem Gemeinderatsbeschluss<br />
vom 17. Juni 1966 2 kurzerhand<br />
entsorgt. Der Brunnenschacht wurde<br />
abgedeckt, um eventuell eine spätere, erneute<br />
Inbetriebnahme zu ermöglichen.<br />
Heute ist an seinem Standort noch ein<br />
großer Kanaldeckel sichtbar. Über seine<br />
Entstehung lässt sich Folgendes aus den<br />
entsprechenden Einträgen in die Gemeindeprotokolle<br />
entnehmen:<br />
30. März 1835<br />
Wegen Wassermangels beschließen Gemeinderat<br />
und Bürgerausschuss, einen<br />
weiteren Brunnen herstellen zu lassen.<br />
Dem Brunnenmacher Kayser aus Kochendorf<br />
werden 88 Gulden für seine Errichtung3<br />
in Aussicht gestellt:<br />
– Schachtarbeiten von 20 Fuß x 6 Fuß<br />
– Ausmauern des Brunnens auf „4 Schu<br />
im Licht”<br />
– Installation des „Pumpper nebst Teichel<br />
nebst Zubehör […] und zwar mit einem<br />
kupfernen Stiefel, 5 Pfund schwer, einen<br />
eisernen Schwängel […] im Gewicht auf<br />
70 Pfund […]”<br />
Es wird vereinbart, dass die Gemeinde für<br />
den Transport des Materials von Kochendorf<br />
Sorge tragen wird. Außerdem stellt<br />
die Gemeinde die benötigten Steine und<br />
zwei Handfrohner zur Verfügung.<br />
Als absehbar wird, dass „hinlänglich Wasser”<br />
aus dem fertiggestellten Brunnen<br />
läuft, beschließt man „eine zweite bumppen<br />
in besagten Brunnen sezen zu lassen.”<br />
Hierfür werden Meister Kayser weitere 38<br />
Gulden zugesagt. In einer Abstreichverhandlung<br />
erhält Christian Hermann den<br />
Auftrag, sämtliches Material gegen einen<br />
Lohn von 2 f 42 x aus Kochendorf heranzufahren.<br />
4. Brunnen beim Gasthaus<br />
„Brunnen stüble”<br />
Dieser Brunnen stand einige Meter unterhalb<br />
auf der Gegenseite, in etwa an der<br />
Der Brunnen beim heutigen Gasthaus<br />
„Brunnenstüble“ (links vorne im Bild erkennbar<br />
ein Teil des Rohrbrunnens)<br />
Stelle, wo sich heute eine Replik des Brunnens<br />
befi ndet, der dem Gasthaus seinen<br />
Namen gab. In einer Sitzung am 19. November<br />
1982 sprach sich der Gemeinderat<br />
für die Herstellung des Brunnens, und<br />
zwar in der Rundbrunnenvariante, aus.<br />
Die Installation sollte auf einem ca. 60 cm<br />
hohen Sockel erfolgen. Auf dem alten<br />
Foto ist der ehemalige Brunnen vor der<br />
großen Scheuer rechts zu erkennen; links<br />
im Vordergrund erkennbar die Brüstungsmauer<br />
des Rohrbrunnens beim Backhaus.<br />
An Stelle der alten Scheuer steht heute<br />
die Lagerhalle des Restaurants „Brunnenstüble”.<br />
Davor der neue Brunnen.<br />
Der neue Brunnen vor dem Gasthaus „Brunnenstüble“<br />
135
136<br />
Der Rohrbrunnen (links im Bild) vor dem Back-, Wasch- und Armenhaus auf einer<br />
alten Postkartenansicht<br />
5. Rohrbrunnen beim Backhaus<br />
Dieser Brunnen war als 3-strahliger Rohrbrunnen<br />
ausgeführt und ständig in Betrieb,<br />
stand er doch direkt vor dem Backhaus.<br />
Er besaß eine Einfassung mit einem<br />
Abgang. Um aus dem Brunnen zu schöpfen,<br />
musste man nämlich Stufen nach unten<br />
steigen.<br />
Die Arbeiten zu diesem Bauwerk waren in<br />
einer Akkordierung im Jahre 1827 öff entlich<br />
vergeben worden, den Zuschlag erhielten<br />
damals Michael und Leonhard<br />
Stahl. Ihr Auftrag war es, den untern<br />
Bronnen wieder ganz neu zu machen [und<br />
zwar die] Ruhebank 5 Schu lang u. 4 Schu<br />
breit ² mit 2 Sta eln und einer ‘Schildmauer<br />
samt der Brüstung’ (Auszug aus<br />
dem Gemeinderatsprotokoll vom 13. August<br />
1827): 4<br />
Ein Eintrag ins Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 19. Mai 1841 lässt aufhorchen:<br />
Da die Brüstungssteine, bey der am<br />
Rohrbrunnen befi ndlichen Mauer in Ab-<br />
gang gekommen, so wurde gemeinderathl.<br />
beschlossen dieselbe zu ergänzen<br />
[…]<br />
Die Spuren dieses Diebstahls waren bis<br />
Anfang August 1841 getilgt:<br />
Endlich wurden die zum Rohrbrunnen<br />
erforderliche Brüstungs Steine<br />
verabstreicht und nach gefertigter<br />
Arbeit der Länge nach gemessen<br />
Gefordert wurde pr. Schu 6 x<br />
und hat als wenigstnehmender erhalten<br />
August Hermann pr. Schu für 3 x<br />
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges diente<br />
der Rohrbrunnen der Trinkwasserversorgung<br />
der Bevölkerung, außerdem wurden<br />
z. B. Milchkannen vor Ort gereinigt. Bedenken<br />
bezüglich der Hygiene kamen<br />
nicht auf, hatte doch eine Analyse von<br />
Wasserproben (4. Mai 1946) beruhigende<br />
Ergebnisse erbracht: „Das Wasser der im<br />
Ortsetter gefassten Quelle ist hart (21,67°<br />
DH), […] sein Nitrat- und Chloridgehalt ist<br />
etwas hoch; […] es ist für den menschli-
chen Genuss als einwandfrei zu bezeichnen.”<br />
Bis 1957 gab es keine Beanstandungen<br />
der Wasserqualität des Rohrbrunnens,<br />
erste Verunreinigungen traten im Folgejahr<br />
auf, die man aber in den Griff bekam.<br />
Die Trinkwasseruntersuchung des Jahres<br />
1959 erbrachte lediglich eine geringe Verunreinigung,<br />
die zu vernachlässigen war,<br />
zumal ein neu angebrachtes Schild davon<br />
kündete, dass es sich nicht um Trinkwasser<br />
handelte. Damit konnte man in der Folgezeit<br />
gut auskommen. Probleme traten erst<br />
mit der Trinkwasseruntersuchung des<br />
Staatlichen Gesundheitsamtes Heilbronn<br />
im Jahre 1965 auf; die Analyse erbrachte<br />
starke Verunreinigungen, die gründliche<br />
Reinigung und Desinfektion des Brunnens<br />
wurde angeordnet. 5 Auch im nächsten<br />
Jahr wurde eine Chlorung durchgeführt.<br />
Am 6. Juli 1963 wurde der Gemeinderat<br />
davon in Kenntnis gesetzt, dass die Schüttung<br />
des Brunnens durch die Kanalisation<br />
der Hauptstraße völlig unterbrochen worden<br />
war. Ein Wünschelrutengänger aus<br />
Neckarsulm stellte daraufhin fest, dass der<br />
Rohrbrunnen aus der Quellader im Pfarrgarten<br />
gespeist worden war. Auf Wunsch<br />
der Bevölkerung sollte der Brunnen am<br />
Backhaus auch weiterhin Bestand haben.<br />
Das Wasserwirtschaftsamt schlug daraufhin<br />
vor, einen Zulauf oberhalb des Rathauses<br />
zu erschließen und die stetige<br />
Schüttung durch den Einbau einer Unterwasserpumpe<br />
zu gewährleisten. Dies gelang<br />
auf Dauer jedoch nicht, der Brunnen<br />
„schüttete“ immer weniger Wasser, so dass<br />
man im September 1972 vorschlug, ihn<br />
außer Betrieb zu setzen und aufzufüllen,<br />
um keinen Müllablagerungsplatz entstehen<br />
zu lassen.<br />
6. Brunnen in der Kieshofstraße<br />
Der Brunnen befand sich außerhalb des<br />
Dorfes in der heutigen Kieshofstraße. Ursprünglich<br />
stand er auf freiem Feld; mit<br />
Brunnen in der heutigen Kieshofstraße<br />
der Errichtung von Gebäuden kauften die<br />
Anlieger von der Gemeinde einen Streifen<br />
vor dem Haus, und so gelangte der Brunnen<br />
in ihren Besitz. Heute steht der Brunnen<br />
im Vorgarten Kieshofstraße Nr. 7.<br />
Die Wartung der Brunnen oblag einem Akkordanten,<br />
dem die Arbeiten in einer öffentlichen<br />
Versteigerung auf jeweils sechs<br />
Jahre gegen ein festgelegtes Entgeld übertragen<br />
wurden. Hierbei musste er sich verpfl<br />
ichten, alle schadhaften Materialien auf<br />
eigene Kosten zu ersetzen, einen Schaden<br />
binnen 24 Stunden zu beheben und auch<br />
die entstehenden Kosten für andere Fachleute,<br />
wie z. B. den Schmied, aus eigener<br />
Tasche zu bezahlen. In einer Abstreichverhandlung<br />
(11. Mai 1855) sicherte sich der<br />
hiesige Zimmermann Johannes Däuble gegen<br />
einen Konkurrenten aus Neuenstadt<br />
den Auftrag für 21 Gulden pro Jahr. 6<br />
Privatbrunnen<br />
Bereits in unserer Dorfchronik (1626) lesen<br />
wir von mindestens vier Brunnen, die<br />
sich in Privathand befanden, und von de-<br />
137
138<br />
nen einer als Wasserspender für Feuereinsätze<br />
diente. Die Richtung Kiefertal gelegene<br />
Flur „Erbelbrunnen” dürfte ihren<br />
Namen von der dort gelegenen Quelle erhalten<br />
haben. Die Chronik berichtet weiter<br />
davon, dass namentlich genannte<br />
Grundstückseigentümer verpfl ichtet waren,<br />
ihre Wasserstellen instand zu halten.<br />
Auch sollte Oberfl ächenwasser, das gelegentlich<br />
bei Starkregen auftrat, durch die<br />
Herstellung von Gräben vom Oberdorf<br />
ferngehalten werden.<br />
oben: Der Pfarrgarten in früherer Zeit, direkt<br />
vor dem Pfarrhaus, hinter einer Hecke<br />
versteckt, der Brunnen<br />
unten: Der Brunnen vor dem Pfarrhaus in<br />
heutiger Zeit<br />
Die Gemeinderatsprotolle aus dem 19.<br />
Jahrhundert erwähnen mitunter nachbarschaftliche<br />
Streitigkeiten wegen der Wasserentnahme<br />
in den Hinterhöfen; wir können<br />
also davon ausgehen, dass zumindest<br />
einige Einwohner eine eigene Wasserversorgung<br />
hatten, u. a. der Pfarrer, E. Birk, E.<br />
Mayer. Natürlich war das Pumpen und<br />
Herbeischaff en von Trink- und Brauchwasser<br />
für die Haushalte beschwerlich,<br />
und so wird ihre Versorgung per Druckleitung<br />
besonders der damaligen Hausfrau<br />
als Segen vorgekommen sein.<br />
Wasserversorgung nach 1910<br />
Im Februar 1911 werden Pläne veröff entlicht,<br />
durch einen Kooperationsvertrag 7<br />
mit der Nachbargemeinde Brettach die<br />
Versorgung von <strong>Cleversulzbach</strong> mit Wasser<br />
auf Dauer sicherzustellen. Brettach hatte<br />
im Spätjahr 1910 „eine zentrale Wasserversorgung<br />
unter Heranziehung der etwa<br />
3 km östlich vom Ort im Gewand ‘Luzenbrunnen’<br />
entspringenden Quellen zur Ausführung<br />
gebracht.” Das Wasser fl oss so<br />
reichlich, dass neben der 1.150 zählenden<br />
Brettacher Bevölkerung auch die 550 <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
8 versorgt werden konnten.<br />
Darüber hinaus sollten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
„für Feuerlöschzwecke 19 Hydranten vorgesehen”<br />
werden. Der Vertrag sah vor, dass<br />
alle notwendigen Aufwendungen für den<br />
Anschluss an die bereits bestehende Anlage<br />
in Brettach von <strong>Cleversulzbach</strong> zu<br />
tragen waren. Die entsprechenden Arbeiten<br />
(Behälterbau, Rohrlegungen, Hausanschlüsse<br />
usw.) im Gesamtvolumen von<br />
32.260 Mark wurden an die Firma Wilhelm<br />
Alber in Feuerbach vergeben.<br />
Der Lageplan verdeutlicht den Verlauf der<br />
Rohrleitungen vom Hochbehälter auf dem<br />
Föhrenberg ins Dorf. Auch die Hydranten<br />
sind eingezeichnet.<br />
Die Bauzeichnung des Hochbehälters enthält<br />
auch Angaben über das Gesamtvolumen<br />
des Wasserspeichers.
Plan über den Verlauf der Rohrleitungen vom Hochbehälter auf dem Föhrenberg ins Dorf<br />
Plan vom Hochbehälter<br />
139
140<br />
Die Wasserversorgung in der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts –<br />
Alternativen mit Nachteilen<br />
Die Wasserversorgung der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Haushalte war nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg nicht mehr gewährleistet, „da<br />
die Gemeinde von Brettach her kein Wasser<br />
mehr bekam.” 9 Waren es Lieferengpässe,<br />
die extreme Trockenheit im Sommer<br />
1947 oder Folgeschäden am Leitungssystem<br />
durch Kriegseinwirkung – die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
sahen sich trotz des am 3. April<br />
1911 mit Brettach geschlossenen Vertrags<br />
mit dem Problem konfrontiert, dass sie<br />
nicht mehr ausreichend mit Trinkwasser<br />
versorgt wurden.<br />
Im Jahre 1948 wurde deshalb in den Wiesen<br />
im Hagenach unterhalb des „Föhrenbergs”<br />
eine Quelle erschlossen, deren Wasser<br />
– wie sich zum Leidwesen aller Ortsansässigen<br />
herausstellen sollte – mit einem<br />
Härtegrad von 86 DG 10 auf Dauer nicht zumutbar<br />
war. Die Wasseranalysewerte, die<br />
von der Firma Cillichemie, Heilbronn, für<br />
Proben aus der Pumpstation und Haus Nr.<br />
5 (Eberstadter Straße) vorgelegt wurden,<br />
waren wenig vertrauenerweckend:<br />
Der Ergebnisbericht konstatierte leicht aggressive<br />
Eigenschaften des Wassers, das<br />
möglicherweise Eisen aus den Röhren lösen<br />
könne. Eine Entsäuerung des Wassers<br />
kam wegen der hohen Härtegrade nicht in<br />
Frage. Das Wasser schmeckte in abgekochtem<br />
Zustand bitter. Eine Anfrage bei<br />
der Chemischen Untersuchungsanstalt<br />
Heil bronn bezüglich dieses Umstandes<br />
hatte bereits 1949 erbracht, dass der außerordentlich<br />
hohe Härtegrad des Wassers<br />
auf den ungewöhnlichen Gehalt an Gips<br />
und Magnesiumsulfat zurückzuführen sei.<br />
Durch Abkochen könnten lediglich 20<br />
Prozent der Härtebildner entfernt werden.<br />
Immerhin war die Bevölkerung durch den<br />
Zusatz einigermaßen beruhigt, dass das<br />
Wasser den Charakter eines Mineralwassers<br />
habe und abführend wirke 11 .<br />
Das Thema Wasserversorgung hatte sich<br />
zu einem vorrangigen Problem entwickelt,<br />
zumal das Förderpotential der<br />
Pumpstation mit 60–70 cbm Wasser bei<br />
einem Bedarf der Gemeinde von 60 cbm<br />
quasi ausgereizt war. Auf Empfehlung<br />
des staatlichen Gesundheitsamtes wurde<br />
die Vedewa 12 1967 beauftragt, im Gewann<br />
„Stadtschreiber“ „eine Bohrung auf<br />
etwa 20 Meter in den dort anstehenden<br />
Lettenkeuper abteufen zu lassen.” Gegen<br />
diese projektierte Bohrung zur Erschließung<br />
von Trinkwasser erhob Neuenstadt<br />
Einwendungen (Bürgermeister Keppler,<br />
26. Januar 1967), da erst zwei Jahre zuvor<br />
in geringem Abstand von der projektierten<br />
Bohrstelle ein Brunnen angelegt<br />
worden war und man nun einen Rückgang<br />
der Schüttung befürchtete. Trotz<br />
dieser Bedenken betrieb <strong>Cleversulzbach</strong><br />
die Bohrung im „Stadtschreiber“.<br />
Zu einer Auseinandersetzung mit Neuenstadt<br />
kam es allerdings nicht, da die Bohrproben<br />
der Firma Mennig, Heilbronn, nicht<br />
das erhoff te Ergebnis zeitigten. Die Schüttung<br />
der Quelle war zu gering, und so<br />
wurde das Bohrloch wieder eingefüllt. 13<br />
Daraufhin wurde eine zweite Bohrung –<br />
diesmal im Sulzbachtal – ins Auge gefasst.<br />
Auf Parzelle 1739 („Untere Gärten“,<br />
Grundstück H. Schön) wurde man bei 35<br />
Meter fündig, Wasserdurchfl uss (0,5 Sek./<br />
Liter) und -qualität (40,9 Härtegrad und<br />
0,8 Eisen) ließen jedoch zu wünschen übrig.<br />
Deshalb nahm Bürgermeister Nef erneut<br />
Kontakt zur Vedewa auf, indem er<br />
noch einmal auf die Dringlichkeit von<br />
weiteren Maßnahmen verwies, weil die<br />
Wasserqualität der zwei bestehenden<br />
Quel len im Nordosten <strong>Cleversulzbach</strong>s äußerst<br />
schlecht war („dem Verbraucher zum<br />
Trinken, Kochen und Waschen nicht mehr<br />
zuzumuten”).<br />
Im Zuge der Drainierung des Sulzbachtals<br />
richtete sich das Augenmerk nunmehr auf<br />
die Gewanne „Kirschenbaumwiesen“ und
„Erbelbrunnen“ in südlicher Ortslage<br />
(12.12.1969 Bl. 395). Im Gewann „Erbelbrunnen“<br />
konnte man auf das Vorhandensein<br />
einer Quelle mit kontinuierlicher<br />
Schüttung zurückgreifen, die den Feld-<br />
und Waldarbeitern schon über Jahrhunderte<br />
hinweg gute Dienste geleistet<br />
hatte 14 .<br />
Lange Jahre nach der ursprünglichen Fassung<br />
der Quelle sollte nun mit<br />
der Erstellung der Abschlusswerke TBW<br />
„Erbelbrunnen I + II” die Versorgung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
mit Trinkwasser endgültig<br />
gesichert werden. 15<br />
Plan für die Quellfassungen im „Erbelbrunnen“, Anfang der 1970er Jahre<br />
141
142<br />
Um den entsprechenden Druck auf die<br />
angeschlossenen Wasserleitungen der<br />
Haushalte zu erreichen, sollte ein neuer<br />
Hochbehälter auf dem Föhrenberg gebaut<br />
werden. Betroff en von dieser Maßnahme<br />
waren die Eigentümer der Parzellen 5007–<br />
5009, sowie evtl. 1584, 1585/1 und<br />
1585/2. Alle Eigentümer verweigerten ihr<br />
Einverständnis zur Errichtung des Hoch-<br />
1 Aus: Dienstanweisung für Straßenwärter 1881 (CA 181).<br />
2 Vgl. hierzu wie auch für die folgenden Brunnen die entsprechenden<br />
Gemeinderatsprotokolle der Jahre (1972–<br />
1985).<br />
3 Größe und Art der Schachtarbeiten lassen vermuten, dass<br />
es sich um den Brunnen Nr. 3 handelt.<br />
4 CR 278<br />
5 CA 368<br />
6 CB 21 S. 137<br />
7 CB 32, 17. März 1911<br />
8 Nach dem Staatshandbuch von 1907<br />
9 Gemeinderatsprotokoll (Bl. 181) vom 22. März 1967<br />
behälters auf ihren Grundstücken. Heute<br />
ist die Wasserversorgung im Verbund mit<br />
Neuenstadt gesichert. Der sich auf Neuenstadter<br />
Gemarkung im Gewann „Schänzle“<br />
befi ndende Hochbehälter, welcher zum<br />
Teil auch aus dem „Erbelbrunnen“ gespeist<br />
und mit Bodenseewasser angereichert<br />
wird, sorgt für ausreichenden Druck.<br />
10 Vor allem zurückzuführen auf den hohen Gehalt an ausgewaschenem<br />
Calciumsulfat (= Gips).<br />
11 Zu ähnlichen Bewertungen kamen diverse Analyselabore<br />
in den Jahren 1946 und 1948: „Wasser sehr hart, hygienisch<br />
jedoch einwandfrei; nicht zu beanstanden.“<br />
12 Vereinigung der Wasserversorgungsverbände und Gemeinden<br />
mit Wasserwerken e.V. Stuttgart.<br />
13 1. Okober 1969<br />
14 Dem Wasser des alten Erbelbrunnens war am 4. Mai 1968<br />
vom Mittelbadischen Wasserlabor bescheinigt worden, es<br />
sei „in hygienischer Hinsicht … als Trinkwasser nicht zu<br />
beanstanden.“<br />
15 Baugesuch vom 29. November 1971
Straßen und Verkehrswege<br />
Von alters her wurden Wege und Straßen<br />
in Kategorien eingeteilt: So unterschied<br />
man zunächst zwischen Feldwegen, Etterstraßen<br />
1 , Vicinalstraßen 2 . Mit Zunahme<br />
des Verkehrs und Ausbau des Verkehrsnetzes<br />
kamen später Kreisstraßen, Landstraßen,<br />
Bundesstraßen und Autobahnen<br />
hinzu. Bereits in unserer Dorfchronik von<br />
1626 werden Straßen benannt:<br />
[…] hat es zwischen Jacob Schä ers /<br />
Wittwe und Hans Lumppen Hofgut einen /<br />
gemeinen versteinten Fahrweg, durch die /<br />
Fladengassen hindurch bis auf Claus Bauren<br />
/ und Burkhardt Schwenzers Äckern.<br />
[…] Im Hirtengäßlin 3 hat es einen versteinten<br />
Fahrweg / zwischen Conrad Kerns<br />
und Jacob Schäfers Krautgärten.<br />
Weitere Straßennamen erfahren wir an<br />
dieser Stelle nicht, ein Umstand, der die<br />
Fladengasse (heute: Fladenstraße) zur ältesten<br />
namentlich genannten Ortsstraße<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>s macht.<br />
Es tauchen in der Chronik weitere Wegenamen<br />
auf – Beutinger Weg, Im Bronnen,<br />
Weinsbergweg – doch dies sind keine Etterstraßen,<br />
sondern Feldwege. Insgesamt<br />
wurden die Wege off enbar nach ihrer Art<br />
(Fuhr- und Fahrweg, versteinter Weg,<br />
Trieb- und Fahrweg) und den jeweiligen<br />
Anliegern gekennzeichnet (s.o.). Ein Blick<br />
auf die so genannte Urkarte – angelegt<br />
1834 von dem Geometer Klaus – eröff net<br />
uns erstmals amtlich gesicherte Informationen<br />
über Verlauf und Benennung der<br />
Straßen in unserer Gemeinde. Natürlich<br />
sind nach 1834 weitere amtliche Karten 4<br />
unseres Gemeindegebietes angefertigt<br />
worden; im Zuge der zahlreichen Flurbereinigungen,<br />
Angleichungen und Gebietstausch<br />
mit Nachbargemeinden war dies<br />
dringend geboten. Es bleibt jedoch festzustellen,<br />
dass bis in die Neuzeit jede<br />
weitere Karte auf den Daten der Urkarte<br />
basierte.<br />
Ortsstraßen<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> war ein kleiner Flecken,<br />
das Lagerbuch von 1545 nennt 20 Häuser.<br />
Ein im Nachlass von Helmut Braun gefundenes<br />
Manuskript spricht für die Zeit des<br />
Dreißigjährigen Krieges davon, dass „14<br />
der 31 Häuser abbrennen, die Kirche stark<br />
beschädigt, alles geplündert [ist].“ 5 Anfang<br />
des 19. Jahrhunderts dürfen wir mit insgesamt<br />
etwa 100 Gebäuden (Scheuern<br />
usw. mitgezählt) rechnen. Folglich fi ndet<br />
sich auf der Ortskarte (1834) kaum ein<br />
Dutzend Straßen. Leicht zu merken waren<br />
ihre offi ziellen Namen: Ortsweg 1–11,<br />
hinzu kam noch der so genannte „Graben“,<br />
die heutige Seestraße. Bemerkenswert<br />
ist der Verlauf der Straße Richtung<br />
Brettach, die nicht wie heute beim Backhaus<br />
nach links abknickt, sondern weiterlief<br />
und erst dann nach links in den „Graben“<br />
abbog. An der Brücke endete die Bebauung.<br />
Auch der Ortsweg Nr. 1 (Neuenstadter<br />
Straße) war kurz, er endete nach<br />
dem Pfarrhaus. Nicht anders sah es Richtung<br />
Eberstadt aus. Beim Schafhaus (südliches<br />
Nachbarschaftsgebäude der Kelter)<br />
war der Ortsausgang, das Brechhaus mit<br />
den beiden Darren (heute etwa auf Höhe<br />
Familie Bürger) befand sich bereits außerhalb<br />
der Dorfgrenzen.<br />
Wie muss man sich nun die Beschaff enheit<br />
der Straßen im Ort vorstellen? Entgegen<br />
der landläufi gen Meinung, die Straßen<br />
seien naturbelassene, bestenfalls mit<br />
Kandeln eingefasste Wege gewesen, legt<br />
eine so genannte Akkordverhandlung vom<br />
11. April 1807 einen anderen Sachverhalt<br />
nahe: Vor dem Stabamt gibt der Amtmann<br />
zu Protokoll, dass man das „sehr<br />
schadhafte und löcherigte Pfl aster in hiesigem<br />
Dorff vor 2 Jahren an einem Stük<br />
zu repariren angefangen“, dass aber „das<br />
noch übrige verdorbene Pfl aster gegen<br />
der Kelter hinaus vollends aufzubrechen<br />
143
144<br />
und durch einen tüchtigen Pfl astermeister<br />
wieder versehen“ werden müsse. Einen<br />
solchen Experten fand man im Verlauf einer<br />
Abstreichverhandlung in Meister Kächele<br />
von Weinsberg, der sich gegen einen<br />
Lohn von 4 Gulden pro Rute erbot, „solche<br />
Pfl asterarbeit biß nächst Johannis vor der<br />
Heuet zu vollenden […], wogegen dem<br />
Pfl asterer tägl. die benöthigte Handfrohner<br />
zugegeben werden.“ Bei diesen Pfl asterarbeiten<br />
wird es sich wohl um die Reparatur<br />
der so genannten Rollierung 6 gehandelt<br />
haben, denn ein Kopfsteinpfl aster<br />
gab es im Ort nicht.<br />
25 Jahre später musste derselbe Abschnitt<br />
erneut ausgebessert werden, nämlich von<br />
„der oberen Gasse vom Zugbronnen bis<br />
zum Schafhaus, accordirt mit Carl Bauer<br />
Pfl asterer von Nekarsulm, und wurde<br />
demselben für die 10 schühige Ruthe versprochen<br />
per Rth. à 2 f 24 x auch taglich<br />
einen Handfrohner dazu zu geben“.<br />
Auf „mehrseitige Klagen über schlechte<br />
Wege in den unteren Gassen“ (also von<br />
der Wette herauf bis zum Pfl aster, das<br />
schon hergestellt worden war), aber auch<br />
in der Fladengasse, beschließt<br />
der Gemeinderat am 25. November<br />
1839, diese „12 Ruten<br />
16 Fuß lang und 12 Fuß breit<br />
u. 1 Fuß hoch mit Sandstein<br />
geschlagen herzustellen.“<br />
Auch von der Chaussee gegen<br />
Brettach – „zunächst dem Ort,<br />
zwischen den beiden brüklen“, also am<br />
Ortsende – ist noch ein Distrikt von 9 ½<br />
Ruten, 16 Fuß breit mit Sandsteinen und 1<br />
Beschläg von blauen Steinen herzustellen.<br />
Aus späteren Protokollen ist weiterhin zu<br />
entnehmen, dass das Straßenpfl aster immer<br />
wieder mit Schotter abgedeckt wurde (z. B.<br />
Reparaturversuche durch Pfl astermeister<br />
Schilling von Neuenstadt April 1850).<br />
Ab 1882 wurde die Visitation der Etterstraßen<br />
jährlich durchgeführt, und zwar<br />
mit Aufl istung aller Beanstandungen und<br />
der Auff orderung unter Strafandrohung<br />
an die betroff enen Gebäudeinhaber, eventuelle<br />
Missstände umgehend abzustellen.<br />
Hier ergab z. B. die Beurteilung der Ortsstraße<br />
Richtung Eberstadt dringenden<br />
Handlungsbedarf in Form einer „vollständigen<br />
Überkiesung“, die unbedingt durchzuführen<br />
sei. Mit Ausnahme der Visitation<br />
1892 fand Oberstraßenmeister Sihler aus<br />
Neuenstadt den Zustand der Straßen jedoch<br />
gut bis befriedigend. Sorge bereiteten<br />
ihm allerdings immer wieder die Straßenkandel,<br />
die nur allzu oft verstopft waren,<br />
so dass der Ablauf von Oberfl ächenwasser<br />
bei Starkregen nicht gewährleistet<br />
war. Gelegentlich rügte Sihler den Umstand,<br />
dass Anwohner die Kandel mit Holz<br />
u. Ä. belegten, was dazu führte, dass Polizeidiener<br />
Lumpp angewiesen wurde, umgehend<br />
für Abhilfe zu sorgen.<br />
Sihler bemängelte in Einzelfällen, machte<br />
aber auch Verbesserungsvorschläge wie im<br />
Falle der „Grabenüberbrückung zu dem<br />
Garten des Gottlieb Müller,“ die so hoch<br />
gelegt wird, „daß das Grabenwasser regelrecht<br />
abfl ießen kann.“<br />
Vorschlag einer Grabenüberbrückung durch<br />
Oberstraßenmeister Siehler<br />
Bei der oben erwähnten Visitation vom 8.<br />
Juli 1892 wurde auch festgestellt, dass das<br />
Beschotterungsmaterial auf der Etterstraße<br />
so weit abgetragen sei, dass an verschiedenen<br />
cbm [Kubikmeter?] Schotter<br />
auf die Hauptstraßen aufzubringen. Außerdem<br />
sollten folgende Maßnahmen bis<br />
zum 15. August 1892 durchgeführt werden:
1. der Überfahrtskandel beim Kirchbrunnen<br />
2. die Neuanlage eines Straßenkandels bei<br />
der Restauration von Jung 10 m lang<br />
bei Johann Walter 7 m lang<br />
3. die Reparatur des Straßenkandels<br />
von Karl Gebhard 33 m lang<br />
bis zum Kirchbrunnen<br />
von Kaufmann Erhardt 20 m lang<br />
bis zum Rathaus<br />
von Gottlob Herrmann bis 30 m lang<br />
zum Backhausbronnen<br />
4. verschiedene kleinere Reparaturen von<br />
versunkenen Straßen- und Überfahrtskandeln<br />
Namensliste mit 20 Einwohnern von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
die Mängel vor ihren Häusern zu<br />
beseitigen hatten.<br />
Für Aufregung unter den betroff enen Bürgern<br />
dürfte die folgende Liste gesorgt haben:<br />
Zwanzig Anwohner mussten durch<br />
ihre Unterschrift attestieren, dass sie die<br />
festgestellten Mängel vor ihrem Haus sofort<br />
abzustellen bereit waren. Dies betraf<br />
u. a. die Beseitigung von Unrat, die Abdeckung<br />
von Wasserlöchern bis hin zur ordnungsgemäßen<br />
Herstellung der „Dunglege“.<br />
Schultheiß Kögel unterstrich mit<br />
seiner Unterschrift die Dringlichkeit der<br />
Anordnung, während Gemeinderat G.<br />
Lumpp später die Abstellung der Defekte<br />
meldete.<br />
Genaue Vorschriften gab es auch für die<br />
ordnungsgemäße Anlage einer Dunggrube<br />
neben der Straße. Dabei war off enbar die<br />
Abgrenzung zum Kandel besonders wich-<br />
Konstruktionszeichnung zur ordnungsgemäßen<br />
Anlage einer Dunggrube<br />
145
146<br />
tig. Hier musste zunächst eine Betonfassung<br />
von mindestens 40 cm Höhe ausgeführt<br />
werden, die einer Verbretterung von<br />
weiteren 60 cm Höhe als Fundament<br />
diente.<br />
Tieferlegung der Straße vor dem<br />
Pfarrhaus (1861) 7<br />
Im März 1861 wird dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Gemeinderat ein Kostenvoranschlag für<br />
die projektierte Verbesserung der Ortsstraße<br />
Richtung Neuenstadt (ca. 560 Fuß)<br />
in Gesamthöhe von 324 Gulden 6 Kreuzer<br />
vorgelegt. Das Projekt war zwischen Gemeinde<br />
einerseits und Kameralamt, Pfarrei<br />
und Königlichem Oberamt strittig, weshalb<br />
es zu ständigen Verzögerungen bei<br />
der Umsetzung kam. Aus einem Brief, den<br />
Oberamtswegmeister Eberle am 27. Dezember<br />
1864 an das Königliche Oberamt<br />
Neckarsulm schreibt, geht hervor, dass die<br />
Straße nach Neuenstadt zwischen Pfarrscheune<br />
und Hohle unbedingt tiefer gelegt<br />
werden müsse. Zwar sei die Straße<br />
durch Beseitigung einer Hecke, die bis zu<br />
zwei Meter in den Fahrweg hineingewachsen<br />
sei, erheblich verbreitert worden,<br />
jedoch werde der gewonnene Platz für die<br />
Ablagerung von Holz benutzt. Diesem<br />
Missstand sei nur zu begegnen, wenn man<br />
einen Kandel bei gleichzeitiger Tieferlegung<br />
der Straße einrichte.<br />
Das Oberamt hat zwar gegen den Bau eines<br />
Kandels nichts einzuwenden, verbietet<br />
aber vehement die Tieferlegung der Neuenstädter<br />
Straße 8 . An anderer Stelle erfahren<br />
wir den Grund für diese ablehnende<br />
Haltung: Schon im Vorfeld der Auseinandersetzung<br />
hatte das Kameralamt<br />
Neuenstadt darauf hingewiesen 9 , dass „die<br />
an dem Pfarrhause daselbst vorüberziehende<br />
Etterstraße, welche schon vor einigen<br />
Jahren dort so sehr abgehoben<br />
wurde“, nicht noch einmal um 1½ bis 2<br />
Fuß abgesenkt werden könne, da sonst die<br />
Einfahrt in den Pfarrhof und die Pfarr-<br />
scheuer – zur Zeit ohnehin schon äußerst<br />
erschwert – unmöglich gemacht würde.<br />
Außerdem sei die Steigung der Straße<br />
ganz unbedeutend.<br />
Wie der langjährige Streit ausging, lässt<br />
sich aus den entsprechenden Gemeinderatsprotokollen<br />
nicht herauslesen. Wir gehen<br />
jedoch davon aus, dass der von Eberle<br />
angeforderte „höhere Techniker“, Baurat<br />
Dünger aus Heilbronn, das Projekt abschlägig<br />
beschieden hat. Jedenfalls ist von<br />
einem äußerst aufwändigen „Unterfangen<br />
der Fundamentmauern“ der Pfarrscheuer,<br />
wie dies ein weiteres Absenken der Straße<br />
erfordert hätte, nie die Rede gewesen. Unsere<br />
Annahme wird auch dadurch gestützt,<br />
dass das Bürgermeisteramt im Oktober<br />
1966 – also über 100 Jahre nach der<br />
oben erwähnten Planung – die Evangelische<br />
Kirchengemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
auff ordert, das durch die nunmehr durchgeführte<br />
Tieferlegung der Neuenstädter<br />
Straße in einen baufälligen Zustand geratene<br />
Scheunengebäude entweder zu sanieren<br />
oder abzureißen. 10<br />
Die Eberstädter Straße Mitte der 1950er<br />
Jahre; der Zustand von Kandel und Straße<br />
ist deutlich zu erkennen.
Modernisierung der Ortsstraßen<br />
1966 war das Jahr, das für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
den Ausbau der Ortsdurchfahrt mit sich<br />
brachte. In einem Schreiben an das Landratsamt<br />
Heilbronn legt der Neuenstädter<br />
Verwaltungsaktuar nochmals den Zustand<br />
der Verkehrsstraßen im Ort dar:<br />
Die Ortsdurchfahrt <strong>Cleversulzbach</strong> hatte<br />
in ihrem alten Zustand eine durchschnittliche<br />
Breite von rd. 5 m. Sie war beidseitig<br />
mit Kandeln versehen. Im Abstand zwischen<br />
1–2 m neben den Kandeln standen<br />
die Häuser. Die Flächen zwischen Kandel<br />
und Hauswand wurden seit alters her als<br />
Gehweg benutzt und seitens der Gemeinde<br />
beschottert. 11<br />
Auch der Heilbronner Stimme war im Vorfeld<br />
der Planungsarbeiten der schlechte<br />
Zustand der Ortsdurchfahrt eine Notiz<br />
wert:<br />
Weitere Straßenbauarbeiten ausgeschrieben<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> (HSt). Vielleicht wird es<br />
doch noch wahr, daß einer der größten<br />
Wünsche der <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürger<br />
und vieler Durchfahrender bald erfüllt<br />
wird, nämlich der Ausbau der Ortsdurchfahrt<br />
im Zuge der Kreisstraßen<br />
360/362 auf einer Länge von 1,345 Kilometern.<br />
Das Straßenbauamt Heilbronn<br />
hat für den Landkreis Heilbronn<br />
diese Arbeiten jetzt ö entlich ausgeschrieben.<br />
[…] 12<br />
Durch die Arbeiten – ab 22. November<br />
1965 geplant, dann auf Januar 1966 verschoben<br />
– mussten diverse „verkehrspolizeiliche<br />
Anordnungen getroff en“ werden,<br />
u. a. die Sperrung der Straßen für den<br />
Durchgangsverkehr auf fast ein halbes<br />
Jahr. 13<br />
Im Anschluss an die Teerung der stärker<br />
frequentierten Straßen ging man 1966 an<br />
den Ausbau von Nebenstraßen im Ort. Die<br />
Kieshofstraße, Langenäckerstraße 14 und<br />
Kirchstraße (heute: Turmhahnstraße) sollten<br />
einen Asphaltbelag erhalten, auf den<br />
Ausbau der entsprechenden Gehwege allerdings<br />
sollte aus Kostengründen verzichtet<br />
werden 15 , Gehwege auf Höhe Bauernhof<br />
Bürger (Eberstädter Straße) und Friedhof<br />
waren jedoch unverzichtbar und wurden<br />
eingeplant. Der Auftrag ging an die<br />
Firma Rudolf Krebs, Kochersteinsfeld 16 .<br />
Der Ausbau der Ortsstraßen konnte Mitte<br />
1969 von Arbeitern der Firma Ellwanger<br />
zum Abschluss gebracht werden. Diese erhielten<br />
wegen tadelloser Ausführung ihres<br />
Auftrages aus der Gemeindekasse jeweils<br />
DM 8,— als Anerkennung! 17<br />
Landstraßen<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> war durch seine abgeschiedene<br />
Lage schon immer in besonderem<br />
Maße auf seine Verbindungswege zu<br />
den Nachbargemeinden angewiesen. Die<br />
so genannten Vicinalwege (Nr. 1 nach<br />
Neuenstadt, Nr. 2 nach Brettach und Nr. 6<br />
nach Eberstadt, wobei letzterer ursprünglich<br />
einen ganz anderen Verlauf hatte als<br />
die heutige K 2007), unterstanden dem<br />
Straßenwegemeisteramt in Neuenstadt,<br />
für ihre Unterhaltung hatte allerdings die<br />
Gemeinde zu sorgen.<br />
Der Vicinalweg Nr. 1 war als Chaussee<br />
ausgeführt, z. T. von Fruchtbäumen gesäumt<br />
18 – kurz nach Ortsausgang soll sich<br />
lange Zeit eine erhöhte Bank befunden<br />
haben, auf der ankommende Bauern ausruhen<br />
oder ihre Tragegestelle zurechtrücken<br />
konnten –, und er dürfte einen ähnlichen<br />
Verlauf genommen haben wie die<br />
heutige K 2007. Wer zu Fuß nach Neuenstadt<br />
wollte, z. B. zum sonntäglichen Besuch<br />
der Helmbundkirche, wird wohl die<br />
Abkürzung genommen haben, den Feldweg<br />
Nr. 2, der folglich auch unter der Bezeichnung<br />
„Kirrweg“ bekannt wurde und<br />
einem Gewann, durch das er lief, seinen<br />
Namen gab.<br />
147
148<br />
Der Vicinalweg nach Brettach<br />
Schon im Jahr 1841 waren für die Vicinalstraße<br />
nach Brettach 250 Roßlasten Steine<br />
angefahren und teilweise verarbeitet worden.<br />
Die Gemeinde versuchte, im Folgejahr<br />
weiteren Aufl agen des Königlichen Wegemeisters<br />
nachzukommen. Aus einem Eintrag<br />
ins Wegmeisterbuch (30. März 1842)<br />
erfahren wir, dass Wegmeister Hertrich bei<br />
einer Visitation die Planie nach Brettach<br />
zwar in weitgehend intaktem Zustand<br />
vorgefunden hatte. Allerdings bemängelte<br />
er die erwähnten, noch unverarbeiteten<br />
Steine vor Ort, und am Beginn der<br />
Brettacher Markung sei die rechte Straßenseite<br />
abgesunken. Deshalb wurden<br />
Ausbesserungsarbeiten durch Straßenerhöhung<br />
binnen 30 Tagen („Mathäus Feiertag“)<br />
anbefohlen; gleichzeitig sollte die<br />
Straße um 6 Zoll auf insgesamt 16 Fuß erweitert<br />
und die vorhandenen „Tholen“<br />
ausgesäubert werden. „Außerdem muß die<br />
Straße 14 Zoll hoch von Sandstein sodenn<br />
mit blauen Steinen überworfen werden,<br />
so daß keine Sandsteine zu sehen sind.“<br />
Im Abstreichverfahren wurden die Arbeiten<br />
an Teilstücken von jeweils 5 Ruthen<br />
von interessierten Bietern ersteigert. Der<br />
zu erwartende Arbeitsaufwand war auch<br />
diesmal erheblich: Transport der Steine<br />
vom hiesigen Steinbruch; Legen, Schlagen,<br />
Gräben ziehen und Herstellung von<br />
Nebenwegen. Zudem arbeitete man unter<br />
Zeitdruck: der Transport der Steine durfte<br />
keineswegs unterbrochen werden („die<br />
Steinbrecher dürfen das Führen der Steine<br />
nicht mangeln lassen“). 19<br />
Die Straße nach Eberstadt<br />
Die verkehrstechnische Anbindung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
in südlicher Richtung war wegen<br />
des Höhenzugs zwischen unserem<br />
Dorf und Eberstadt von alters her außerordentlich<br />
dürftig. Der Weg nach Heilbronn<br />
führte einen Wanderer einen knappen Kilometer<br />
südlich aus dem Dorf, bei der heu-<br />
tigen BAB-Unterführung bog er leicht<br />
nach links bis zum Waldrand, und dann<br />
führte er oberhalb der heutigen K 2007<br />
ziemlich geradeaus, vorbei am alten Steinbruch<br />
bis zur „Abgebrannten Eiche“, wobei<br />
durchgängig über 16 Prozent Steigung zu<br />
meistern waren. Es leuchtet ein, dass ein<br />
beladenes Fuhrwerk ohne Vorspann – besonders<br />
bei matschigem Untergrund – diesen<br />
Anstieg nicht leisten konnte 20 . So wird<br />
es schon zu Mörikes Zeiten ein Herzenswunsch<br />
der <strong>Cleversulzbach</strong>er gewesen<br />
sein, durch eine neue Straße den Weg in<br />
südlicher Richtung etwas weniger anstrengend<br />
und gefahrvoll zu gestalten.<br />
Mitte 1889 hatte der Gemeinderat eine<br />
Geländebegehung vorgenommen und<br />
Oberamtsstraßenmeister Sihler um ein<br />
entsprechendes Gutachten gebeten. Etwas<br />
blauäugig sah man in <strong>Cleversulzbach</strong> dem<br />
baldigen Beginn der Bauarbeiten an der<br />
neuen Trasse entgegen, auch weil auf „hiesiger<br />
Markung der Erwerb von fremdem<br />
Eigentum nicht notwendig“ sei 21 . Sihler<br />
erwartete auf der Länge der „Correction“<br />
von 2000 Metern keine baulichen Schwierigkeiten.<br />
Auch die Baukosten – so der<br />
Fachmann – seien mit 9 Mk pro laufenden<br />
Meter überschaubar, zumal der Staat in<br />
der Regel ein Drittel der Kosten übernahm,<br />
wenn das Maximalgefälle nicht größer war<br />
als sechs Prozent. Wie Sihler diese Steigung<br />
auf einer Länge von nur zwei Kilomentern<br />
einhalten wollte, blieb sein Geheimnis<br />
– heute jedenfalls hat die Trasse<br />
etwa zehn Prozent Steigung. Bei einer Gestehungssumme<br />
von insgesamt 18.000 Mk<br />
rechnete man mit einem Kostenvolumen<br />
für die Gemeinde von 8.800 Mk. 22<br />
Über diese Vorbereitungen informierte<br />
man den Ortschaftsrat in Eberstadt in einem<br />
Schreiben (24. August 1889), um die<br />
baldige Übernahme der Anschlussarbeiten<br />
auf Eberstädter Markung durch die Gremien<br />
der Nachbargemeinde anzuregen.<br />
Eberstadt signalisierte zunächst Bereit-
Streckenführung der alten und der neuen Straße nach Eberstadt, 1898<br />
Beim Brechen<br />
der für den<br />
Unterhalt der<br />
Feldwege<br />
benötigten Steine. Aufgenommen wurde das Bild Mitte der 1950er Jahre im oberen Steinbruch,<br />
direkt bei der projektierten Strecke, kurz vor der „Abgebrannten Eiche“.<br />
149
150<br />
schaft zur Kooperation, jedoch formierte<br />
sich in der Folgezeit laut Schultheiß Klenk<br />
erheblicher Widerstand gegen das Projekt,<br />
und der dortige Gemeinderat nahm über<br />
Jahre hinweg eine äußerst hinhaltende<br />
Position ein, die weder eine Intervention<br />
durch Pfarrer Harr 23 noch die dringende<br />
Empfehlung des Oberamts Neckarsulm<br />
aufweichen konnten. So schrieb Klenk am<br />
30. August 1897 an das Königliche Oberamt<br />
Weinsberg, er sehe keine Aussicht<br />
„nach der Stimmung hier auf Durchbringung<br />
des Straßenprojektes <strong>Cleversulzbach</strong><br />
– Eberstadt“.<br />
Zwischen den Oberämtern Weinsberg,<br />
Neckarsulm und den betroff enen Gemeinden<br />
kochte in der Folgezeit ein regelrechter<br />
Streit hoch. Auch der Hinweis<br />
auf die sich bietende Gelegenheit, der<br />
„verhagelten Bevölkerung“ 24 Arbeitsmöglichkeiten<br />
durch die „Correction des StraßenzugsHeilbronn–Weinsberg–Eberstadt–<strong>Cleversulzbach</strong>“<br />
zu bieten, fruchtete<br />
nicht – Eberstadt blieb hart. Man<br />
scheute die Kosten und bezweifelte den<br />
Nutzen einer ausgebauten Verbindungsstraße<br />
zum nördlichen Nachbarn 25 .<br />
So dauerte es neun Jahre, bis 1898 ein Lageplan<br />
und Längsprofi l der projektierten<br />
„Straßencorrection“ erstellt werden<br />
konnte und der Baubeginn in greifbare<br />
Nähe rückte. Der im Folgenden dargestellte<br />
Plan verdeutlicht den unteren Teil<br />
der Streckenführung der alten und der<br />
neuen Straße nach Eberstadt.<br />
Straßenbeschilderung und<br />
Gebäudenummerierung<br />
Die Urkarte von <strong>Cleversulzbach</strong> (1834) differenziert<br />
die Straßen nicht nach Namen,<br />
sondern zählt die Ortswege kurzerhand<br />
durch (Ortsweg 1–11); lediglich die heutige<br />
Seestraße wird „Graben“ genannt. Natürlich<br />
werden die einzelnen Dorfstraßen im<br />
täglichen Sprachgebrauch der Ortsansässigen<br />
mit Namen bezeichnet worden sein.<br />
Dies lässt auch die Dorfchronik (1626) vermuten,<br />
die einzelne Straßennamen aufführt<br />
(vgl. hierzu das Kapitel „Straßen in<br />
der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong>“).<br />
Im Frühjahr 1808 wurden auf königlichen<br />
Befehl alle Gebäude im Ort besichtigt und<br />
eingeschätzt. Für dieses „beschwerliche<br />
Geschäft“ erhielten „die hierzu aufgestellte<br />
und beaidigte Bauschauer und Taxatoren“<br />
jeweils 2 Gulden und 45 Kreuzer:<br />
Bürgermeister David Lumpp, Mauerer<br />
Martin Stahl, Zimmermann Zeyer und Gebäudeschätzer<br />
Vögele hatten insgesamt<br />
vier Tage damit zugebracht. Die Aufnahme<br />
und Anzeichnung der Nummerierung<br />
wurde von Amtsaktuar Pfeilstiker (3 f) und<br />
Maurermstr. Stahl nebst seinem Sohn (2 f<br />
45 x) durchgeführt. 26<br />
Der folgende Auszug aus den Gemeinderatsprotokollen<br />
von 1810 27 zeigt, dass<br />
nunmehr auch Wegweiser im Ort aufgestellt<br />
wurden, die Ortsfremden die Richtung<br />
nach den Nachbargemeinden anzeigen<br />
sollten.<br />
Vor Gericht 12. Dez. 1810<br />
Da zu folge allerhöchster Verordnung,<br />
auf der hiesigen Markung 4 Wegweiser<br />
aufzuführen sind, so wurde mit<br />
den Zimmerleuthen Christoph Wiedmann<br />
und Valentin Zeier der Akkord<br />
dahin getro en daß selbige gegen Erhaltung<br />
des hiezu benötigten Holzes<br />
von der Commun, diese 4 Wegweiser<br />
mit tüchtigen Stöken versehen, ferttigen<br />
und eingraben überhaupt tüchtig<br />
und dauerhaft herstellen.<br />
Ende des Jahres 1834 forderte der Maurer<br />
Ch. M. Stahl von der Gemeinde für geleistete<br />
Arbeiten 4 f 12 x. Er hatte „vor die<br />
Common die Nummro an den Häusern angenagelt,<br />
ferner die Thäfelein angestrichen<br />
u. die Nummro darauf geschrieben.“<br />
Arbeitszeit, Material („Bleyweiß, Frankfurter<br />
Schwarz“) und Stemmarbeiten an der
Kelter brachten seine Forderung auf 3 f<br />
32 x, Maurerarbeiten „in dem Auffl uß an<br />
der Wette“ erhöhten den Betrag um 40<br />
x 28. . Einen Monat später reichte Friedrich<br />
Elsässer aus Neuenstadt eine Rechnung<br />
für gelieferte Nummerntafeln ein 29 :<br />
Neuenstadt den 17. Januar 1835<br />
Rechnung von Friedrich Elsaesser<br />
Sattler und Tapezier<br />
für Wohllöbliche Gemeinde-Pfl ege Cl.<br />
Sulzbach<br />
13. Oct. 1834<br />
Neunzig Stük blecherne gelblakirte<br />
Hauß-Nummern a 6 x<br />
300 Stük verzinnte<br />
9 f<br />
¾ zöllige Nägel 14 x 42<br />
Summe<br />
Den Empfang bescheint<br />
mit höfl ichstem Dank<br />
J.F. Ellsaesser<br />
9 f 42<br />
Decredirt zu 9 f 42<br />
Aus den Gemeinderatsprotokollen um das<br />
Jahr 1893 30 lässt sich folgender Bestand<br />
an Ortsstraßen ablesen:<br />
Brettacher Straße<br />
Seegasse<br />
Haupstraße<br />
Untere Gasse<br />
Mittlere Gasse<br />
Anordnung<br />
zur Herstellung<br />
von<br />
Wegweisertafeln<br />
Eberstädter Straße<br />
Neuenstädter Straße<br />
Hintere Gasse<br />
Im Jahre 1909 fi ndet sich der Eintrag31 ,<br />
dass bei der Abzweigung der Nachbarschaftsstraßen<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> bei der<br />
Kirche jede Wegbezeichnung [fehlt]. Eine<br />
solche ist unbedingt erforderlich u. es<br />
können die Wegweisertafeln von Eichenholz<br />
an dem bei der Straßenabzweigung<br />
stehenden Laternenstock angeschraubt<br />
werden.<br />
Die Entfernungen betragen für<br />
Neuenstadt 3,7 km<br />
Eberstadt 6,4 km<br />
Brettach 2,8 km<br />
Schon in den Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts<br />
hatte es strikte Anweisungen<br />
durch die Oberämter gegeben, wie die<br />
Stöcke und Hinweistafeln beschaff en sein<br />
sollten und welche Materialien zu verwenden<br />
waren:<br />
[Es] sollte nur feinstes Bleiweiß oder<br />
Kremmnitzweiß in altem gereinigtem<br />
Mohnöl abgerieben verwendet u. bei der<br />
rothen Farbe zum grundiren Mennig ohne<br />
Bleimischung von Englischroth oder<br />
Hausroth genommen werden. […] Die<br />
Schrift ist die einfache lateinische in der<br />
seither vorgeschriebenen Form u. Größe,<br />
151
152<br />
jedoch mit Weglaßung aller überfl üssigen<br />
Schnörkel. […] Im Übrigen bleibt es bei<br />
der dißfälligen Vorschrift der Verordnung,<br />
vom 9. Sept. 1825, wornach das nächste<br />
Dorf u. der nächste bedeutende Ort anzuschreiben<br />
sind. 32<br />
Im Jahre 1961 wurde vom Landesvermessungsamt<br />
die Ortsvermessung zur Herstel-<br />
lung der durch Kriegseinwirkung vernichteten<br />
Vermessungsakten durchgeführt. Im<br />
Zuge dieser Arbeiten konnte auch die Umbenennung<br />
der Ortsstraßennamen und<br />
Nummerierung der Gebäude kostenneutral<br />
vorgenommen werden. Die vom Gemeinderat<br />
genehmigte Liste der neuen<br />
Straßennamen 33 liest sich wie folgt:<br />
Neue Bezeichnung Lokalisierung<br />
Hauptstraße O.W.5 vom Haus Nr. 25 und 92<br />
bis<br />
Haus Nr. 53 und Flst. 79 einschließlich O.W.4<br />
Eberstädter Straße O.W.1 von der Kirche<br />
bis<br />
Ortsende<br />
Neuenstädter Straße Vic.W.1 von der Kirche<br />
bis<br />
Ortsende<br />
Kirchstraße O.W.2 von der Kirche<br />
bis<br />
Ortsende<br />
Hohlstraße O.W.3 Beginn von Vic.W.1<br />
bis<br />
O.W.4<br />
Brettacher Straße O.W.4 bei Gebäude 37<br />
bis<br />
Flst. 1381 (Teile von O.W.3 und Vic.W.2)<br />
Fladenstraße F.W.11 von der Brettacher Straße<br />
bis<br />
Ortsende<br />
Mittlere Straße O.W.6 von der Hauptstraße<br />
bis<br />
F.W.17<br />
Untere Straße O.W.7 von der Hauptstraße<br />
bis<br />
F.W.17<br />
Seestraße O.W.9 und Teil vom O.W.5<br />
bis<br />
Ortsende Geb. 60<br />
Kelterweg F.W.17 von der Eberstädter Straße<br />
bis<br />
Ortsende<br />
Kieshofstraße F.W.14 von der Brettacher Straße<br />
bis<br />
Ortsende
Bei der Eingemeindung wurden einige<br />
Straßen in <strong>Cleversulzbach</strong> umbenannt, um<br />
Dubletten mit anderen Teilorten zu vermeiden.<br />
So wurde aus der „Hauptstraße“<br />
die „Brettacher Straße“, aus der „Kirchstraße“<br />
die „Turmhahnstraße“ und aus der<br />
„Schillerstraße“ die „Hartlaubstraße“.<br />
Im Zuge der dreistufi gen Erschließung eines<br />
Neubaugebietes im östlichen Teil des<br />
Dorfes (Flur „Nebenweg“) kam es zwangsweise<br />
zur Neuanlage von Straßen. Man<br />
entschied sich im Wesentlichen für die<br />
Namen herausragender Persönlichkeiten. 34<br />
1 Etter (auch Öder): urspr. Zaun, Süddt. für umzäuntes<br />
Dorfgebiet.<br />
2 Vicinalstraße: Nachbarschaftsstraße, also Verbindung<br />
zwischen zwei Nachbardörfern.<br />
3 Heute: Turmhahnstraße<br />
4 Ab 1818 wurde Württemberg nach neuesten wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen vermessen; diese Arbeit wurde<br />
von so genannten Geometern ausgeführt und war sehr<br />
zeit- und kostenaufwendig.<br />
5 Dieses unveröff entlichte Manuskript wurde anlässlich des<br />
400-jährigen Bestehens der evangelischen Kirchengemeinde<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> erstellt von Herrn Helmut Braun<br />
(1992).<br />
6 Eine Art kapillarbrechender Unterbau, aufgebaut aus Lagen<br />
verschiedener Lehm- und Gesteinssorten. Zu den Seiten<br />
hin war die Fahrbahndecke abgerundet, so dass das<br />
Oberfl ächenwasser schnell in die seitlichen Regenrinnen<br />
abfl ießen konnte. Funktion der Konstruktion war es, die<br />
Straße stabil und wetterfest zu halten.<br />
7 CA 181<br />
8 29. Dezember 1864<br />
9 9. Dezember 1864<br />
10 Auch das Landratsamt Heilbronn weist in einem Schreiben<br />
(24. Oktober 1966 – CA 430) auf die Dringlichkeit einer<br />
Entscheidung hin: „Die Unterkante des Gebäudefundamentes<br />
liegt durch die Tieferlegung der Strasse ca. 50 cm<br />
höher als die Gehwegoberkante. [Es] besteht die Gefahr,<br />
daß Setzungen auftreten und Teile des Gebäudes einstürzen.“<br />
11 CA 461 (Datierung unleserlich, vermutlich 24. September<br />
1968).<br />
12 Heilbronner Stimme, 2. September 1965<br />
13 CA 461 – Landratsamt Heilbronn Nr. VI/3705<br />
14 Diese Straße wurde auf Antrag der Anwohner umbenannt<br />
in Schillerstraße.<br />
15 CB 33, Bl. 131<br />
16 CB 33, Bl. 138<br />
17 CB 33, Bl. 362, 10. Juli 1969<br />
Dass übrigens auch im alten Ortskern einmal<br />
eine neue Straße geplant war, dürfte<br />
sich auch alteingesessenen Bewohnern als<br />
bislang unbekanntes Kuriosum darstellen:<br />
So war eine Verbindungsstraße zwischen<br />
dem oberen Ende der Hohlstraße und der<br />
Fladenstraße, welche die Bezeichnung<br />
Herrmannstraße erhalten sollte, vorgesehen<br />
(1935) – wohl zu Ehren von Bürgermeister<br />
Herrmann, der damals schon auf<br />
eine langjährige Dienstzeit zurückblicken<br />
konnte. Zu einer Umsetzung des Planes<br />
kam es bekanntlicherweise nicht.<br />
18 Eine Vorschrift regelte genau die lichte Höhe eines Baumes<br />
über der Fahrbahn (4 Meter) und über dem Gehweg<br />
(2,3 Meter). Vgl. Schreiben der Königlichen Straßenbauinspektion<br />
Heilbronn an die Schultheißenämter vom 2. Januar<br />
1911.<br />
19 CB 18, S. 2 und 31b<br />
20 Vgl. dazu den Situationsplan auf den nächsten Seiten.<br />
21 CB 28, 26. September 1889. Es sollte sich später herausstellen,<br />
dass die Gemeinde „im Loch“ einen Privatacker<br />
(Parzelle 2669/1) des Christian Seebold für die Streckenführung<br />
hinzukaufen musste (CA 183 Auszug aus dem<br />
Kaufbuch Bd. XVIII vom 16. Februar 1898).<br />
22 Laut Statut war die Amtskörperschaft zur Zahlung von 1<br />
M 60 pro laufenden Meter Baulänge verpfl ichtet, also<br />
3.200 Mk.<br />
23 17. August 1897!<br />
24 Möglicherweise nimmt diese Bemerkung Bezug auf das<br />
Hagelunwetter vom 16. Juli 1882, dessen fi nanzielle Auswirkungen<br />
den umliegenden Gemeinden noch Jahre zu<br />
schaff en machten. Am 1. Juli 1897 kam es übrigens zu<br />
einem Hagelschlag, wie es ihn seit Beginn der statistischen<br />
Aufzeichnungen noch nicht gegeben hatte. <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war hiervon besonders betroff en.<br />
25 Auszüge aus den Protokollen des Eberstädter Gemeinderats<br />
(1889/1892/1897) zeugen von der ablehnenden Haltung<br />
der Nachbargemeinde.<br />
26 CB 11 S. 268<br />
27 CB 12<br />
28 CR 281 Bl. 192<br />
29 CR 281 Bl. 191<br />
30 CB 158<br />
31 CB 170, S. 43<br />
32 CB 9 S. 50b<br />
33 CB 38, S. 42 ff .<br />
34 Eine ausführliche Darstellung dieser Thematik fi ndet sich<br />
in: Gessner/Schwan: <strong>Cleversulzbach</strong> und seine Straßen.<br />
2010.<br />
153
154<br />
Transport und Verkehr<br />
Das Reisen und Transportieren von Waren<br />
war bis weit in das 19. Jahrhundert ein<br />
beschwerliches Unternehmen. Pferdekutschen,<br />
Ochsenkarren und Handwagen waren<br />
lange Zeit die einzigen Transportmöglichkeiten.<br />
Wer es sich leisten konnte, besaß privat<br />
eine Pferdekutsche. So hatte der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Pfarrer Johann Gottlieb<br />
Franckh (Amtszeit 1799 bis 1805) eine<br />
Chaise genannte Kutsche, mit der seine<br />
Frau Louise, eine Schwester Friedrich<br />
Schillers, mehrmals ihre Mutter zu Besuchen<br />
von Leonberg nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
abholte; zuletzt im Februar 1802, als die<br />
Mutter schon sehr krank war und schließlich<br />
am 29. April 1802 starb und in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
beerdigt wurde.<br />
Einspännige zweisitzige Kutsche (Chaise),<br />
wie sie wohl Pfarrer Franckh besessen hat<br />
Knapp 40 Jahre später unternahm Pfarrer<br />
Eduard Mörike (Amtszeit 1834 bis 1843)<br />
mit seinem Bruder Ludwig eine vierwöchige<br />
Reise in die Schweiz. Der Bruder<br />
hatte dafür extra ein einspänniges Gefährt<br />
samt Pferd gekauft, mit dem sie im<br />
September 1840 eine erlebnisreiche Reise<br />
über Ulm, Lindau, Bregenz, Konstanz bis<br />
nach Schaff hausen unternahmen. Diese<br />
Kutsche dürfte wohl etwas bequemer als<br />
die von Pfarrer Franckh gewesen sein,<br />
vielleicht sogar vierrädrig.<br />
Von Eduard Mörike stammt auch die Novelle<br />
„Mozart auf der Reise nach Prag“, in<br />
der ausführlich über die Freuden, aber<br />
auch Leiden einer längeren Kutschfahrt<br />
berichtet wird, die Wolfgang Amadeus<br />
Mozart mit seiner Frau Constanze 1787<br />
zur Urauff ührung seiner Oper „Don Giovanni“<br />
von Wien nach Prag unternommen<br />
hatte.<br />
„Mozart auf der Reise nach Prag“, Scherenschnitt<br />
von Hedwig Goller<br />
Postkutschen<br />
Die Zeit der Postkutschen wird heute oft<br />
romantisch verklärt gesehen; immerhin<br />
haben sie fast 300 Jahre für den Reise-<br />
und Postverkehr gesorgt, und wenn auch<br />
anfangs noch sehr beschwerlich und<br />
mühsam, wurden die Postkutschen mit<br />
der Zeit durch Federung und gepolsterte<br />
Sitze immer bequemer und mit zunehmendem<br />
Straßenbau, den Chausseen, das<br />
Reisen mit ihnen ständig komfortabler.<br />
Die Postkutschen wurden meistens von<br />
zwei, vier oder auch sechs Pferden gezogen,<br />
die nach bestimmten Wegstrecken in<br />
der Posthalterei gewechselt wurden. Der<br />
Postillon signalisierte mit dem Posthorn<br />
bereits im Voraus mit festgelegten Signalen<br />
die Zahl der Pferde und Wägen.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> als kleines Dorf, lag außerhalb<br />
der damaligen Postrouten, doch das<br />
Nachbarstädtchen Neuenstadt war durch<br />
Verbindungen über Heilbronn nach Stutt-
gart, über Öhringen nach Schwäbisch Hall<br />
und über Mergentheim nach Würzburg<br />
verkehrstechnisch gut erschlossen. Die<br />
Posthalterei befand sich zunächst im<br />
Gasthaus „Stern“. Hier konnten die Fahrgäste<br />
während des Pferdewechsels speisen<br />
und, wenn nötig, auch übernachten. Später<br />
wurde die Post und damit auch die<br />
Poststation in das Gebäude des Kameralamtes<br />
(Türnizbau) verlegt.<br />
Wer von <strong>Cleversulzbach</strong> aus verreisen<br />
Postwagen vor dem Kameralamtsgebäude in Neuenstadt (um 1912)<br />
wollte oder musste, dem stand von Neuenstadt<br />
aus also sozusagen die Welt offen.<br />
Den Weg dorthin musste man dafür<br />
in Kauf nehmen.<br />
Daneben gab es noch die Möglichkeit,<br />
mit Mietdroschken kürzere Strecken zu<br />
fahren (unseren heutigen Taxis entsprechend).<br />
Doch waren diese eher in größeren<br />
Städten anzutreff en, z. B. die bekannten<br />
Fiaker in Wien. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
musste man dafür wohl den einen oder<br />
anderen Bauern fragen, der ein Pferde-<br />
oder Ochsengespann hatte.<br />
Kraftpost<br />
Ab 1905 löste die Kraftpost die traditionsreichen<br />
Postkutschen ab. Mit der Kraftpost<br />
setzte die Post den bewährten kombinierten<br />
Personen- und Posttransport fort; jetzt<br />
aber mit motorisch angetriebenen Postbussen,<br />
die alle gelb gestrichen waren.<br />
(Ausnahme während des Nationalsozialismus,<br />
als sie von 1934 bis 1945 rot waren).<br />
Schon bald gab es Pläne für eine Kraftpostverbindung<br />
zwischen Neuenstadt am<br />
Kocher und Öhringen, in die später auch<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> und Brettach eingebunden<br />
werden sollten. Für <strong>Cleversulzbach</strong> bewarb<br />
sich der Gemeinderat<br />
mit einer<br />
Bitte vom<br />
September 1920<br />
an die Post, den<br />
Ort an eine der<br />
Kraftpostlinen anzuschließen,<br />
und<br />
führte mehrere<br />
Gründe dafür an:<br />
Schon längst ist<br />
der Wunsch der<br />
hiesigen Bevölkerung<br />
und ein dringendes<br />
Bedürfnis,<br />
den hiesigen Ort<br />
mit einer fahrenden<br />
Post zu verbinden.<br />
Einesteils<br />
spricht der Paketverkehr dafür, da alle Pakete<br />
oft tagelang auf dem Postamt in<br />
Neuenstadt lagern, wenn sich keine Gelegenheit<br />
zum Abholen bietet, oder wenn<br />
sie nicht durch einen Extraboten, was in<br />
der gegenwärtigen Zeit sehr hoch zu stehen<br />
kommt, abgeholt werden. Andernfalls<br />
wird der hiesige historische Platz sehr viel<br />
besucht, insbesondere in neuester Zeit<br />
durch die Gründung des Schiller- und<br />
Mörikevereins, so dass diesen Besuchern<br />
eine Fahrgelegenheit von und zu der<br />
Bahnstation gescha en werden könnte. 1<br />
Doch die Umsetzung der Pläne sollte noch<br />
etliche Jahre dauern. So mussten die Straßen<br />
zwischen Neuenstadt und Cleversulz-<br />
155
156<br />
bach sowie von dort nach Brettach verbreitert<br />
und instand gesetzt werden. Am<br />
Endpunkt Neuenstadt musste eine Unterkunftshalle<br />
für den Postkraftwagen unentgeltlich<br />
zur Verfügung gestellt und für<br />
eine Wohnung des Kraftwagenführers gesorgt<br />
werden. Am Endpunkt Öhringen<br />
mussten zwei zusätzliche Wagenstände an<br />
den Kraftwagenschuppen angebaut sowie<br />
ein gesicherter Treiböllagerraum eingerichtet<br />
werden. Nachdem diese erforderlichen<br />
Maßnahmen Ende 1925/Anfang<br />
1926 abgeschlossen waren, teilte die<br />
Oberpostdirektion Stuttgart den beteiligten<br />
Oberämtern mit, dass die Kraftpostlinie<br />
Neuenstadt–Öhringen am 1. Mai 1926<br />
eröff net wird.<br />
An den für das Oberamt Öhringen entstandenen<br />
Kosten für Schuppen und Benzinlagerraum<br />
von 8.600 M musste sich das<br />
Oberamt Neckarsulm vertraglich mit 40<br />
Prozent, das entspricht 3.440 M, beteiligen.<br />
Die Hälfte davon wiederum wurde den drei<br />
Gemeinden auferlegt, wobei Neuenstadt<br />
und <strong>Cleversulzbach</strong> je 344 M und Brettach<br />
1.032 M zu zahlen hatten.<br />
Die Kraftpost, später Postomnibus oder<br />
kurz Bus genannt, bediente <strong>Cleversulzbach</strong><br />
über lange Zeit zweimal am Tag,<br />
morgens und abends. Im Kriegsjahr 1941<br />
wurden die Abendfahrten montags und<br />
samstags wegen Dieselknappheit eingestellt.<br />
Kurze Zeit darauf wurde auch das<br />
Flüssiggas knapp, und deswegen wurde im<br />
Dezember 1941 der Betrieb der Kraftpost<br />
an Sonn- und Feiertagen stillgelegt. Nach<br />
dem Krieg wurde die Omnibuslinie Öhringen–Neuenstadt<br />
über Brettach und <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wieder durch die Post aufgenommen.<br />
Daneben wurden auch private<br />
Omnibuslinien, so genannte Kraftdroschken,<br />
zugelassen, die Personen gegen Entgelt<br />
befördern durften, aber außerhalb<br />
des Fahrplans der Kraftpost.<br />
Auf vielfachen Wunsch der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Bevölkerung wurde Anfang der<br />
1950er Jahre mittwochs und samstags zusätzlich<br />
ein Mittagsbus eingesetzt, damit<br />
die Hausfrauen Gelegenheit hatten, in<br />
Neuenstadt einzukaufen. Diese Möglichkeit<br />
wurde off enbar nicht ausreichend genutzt;<br />
denn im November 1952 wurde<br />
dieser Mittagsbus wieder eingestellt.<br />
oben: Kraftpost 1925; unten: Kraftpost 1955<br />
In den späteren Jahren wurden die Fahrpläne<br />
immer besser abgestimmt, so dass<br />
der Berufs- und insbesondere auch der<br />
Schülerverkehr von und nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
geregelt war. Im Jahre 1985 stellte<br />
die Deutsche Bundespost den Betrieb der<br />
Postbusse ein. Von den Kommunen geförderte<br />
Unternehmen übernahmen die Linien<br />
und sorgten für eine Fortsetzung der<br />
nötigen Verkehrsanbindungen.
Eisenbahn<br />
Als im Dezember 1835 in Deutschland die<br />
erste Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach<br />
Fürth (6 km) eingeweiht wurde, und der<br />
Zug mit neun Wagen und der Lokomotive<br />
„Adler“ mit der damals unglaublichen Geschwindigkeit<br />
von über 20km / Stunde die<br />
Strecke entlang fuhr, warnten noch manche<br />
Ärzte vor solchen Geschwindigkeiten,<br />
weil der Körper dafür nicht geeignet sei.<br />
Doch wie wir alle wissen, trat das Gegenteil<br />
ein. Sehr bald wurden in Deutschland<br />
weitere Eisenbahnstrecken eröff net, so<br />
zwischen Leipzig und Dresden (1837), Berlin<br />
und Potsdam (1838), München und<br />
Augsburg (1839).<br />
In Württemberg begann das Eisenbahnzeitalter<br />
1845 mit der Strecke Bruchsal –<br />
Friedrichshafen über Stuttgart und Ulm.<br />
Im Jahre 1846 folgte die Anbindung von<br />
Ludwigsburg und Esslingen an Stuttgart.<br />
Für Neuenstadt am Kocher gab es um<br />
1860 Hoff nungen, an das Netz der geplanten<br />
Kocherbahn Heilbronn – Hall angeschlossen<br />
zu werden. Doch gelang es<br />
damals den Orten im Weinsberger Tal und<br />
der Stadt Heilbronn, eine südlichere<br />
Route über Weinsberg unter Umgehung<br />
von Neckarsulm und Neuenstadt durchzusetzen.<br />
Dafür wurde der aufwändige<br />
Bau des Weinsberger Tunnels in Kauf genommen.<br />
Die Strecke wurde 1869 eröff -<br />
net und führte von Heilbronn über Weinsberg,<br />
Öhringen, Schwäbisch Hall bis<br />
Crailsheim.<br />
Neue Hoff nung gab es für Neuenstadt, als<br />
in den 1890er Jahren private Unternehmen<br />
die Konzessionen zum Bau von Eisenbahnen<br />
erhielten. Die in dieser Zeit entstandene<br />
Württembergische Eisenbahn-<br />
Gesellschaft (WEG) übernahm die Planung<br />
einer Stichbahn von Jagstfeld über Kochendorf,<br />
Oedheim, Degmarn und Kochertürn<br />
nach Neuenstadt am Kocher. Die betroff<br />
enen Gemeinden mussten sich an den<br />
Kosten beteiligen. Auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wurde um einen angemessenen Beitrag<br />
gebeten. In der Gemeinderatssitzung vom<br />
15. Januar 1901 wurde beschlossen, einen<br />
einmaligen Beitrag von 2.000 Mark zu bewilligen,<br />
weil der Eisenbahnbau doch in<br />
absehbarer Zeit einen großen Nutzen für<br />
die hiesige Gemeinde bringe und die dargebotene<br />
Gelegenheit nicht von der Hand<br />
zu weisen sei.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> wäre auch zu einer weiteren<br />
Zahlung von 500 Mark bereit gewesen,<br />
wenn, wie es in einem Antrag vom<br />
Februar 1906 hieß, der Bahnhof in Neuenstadt<br />
auf der südlichen Seite vom sogenannten<br />
Heilbronner Gäßle (Mühläcker)<br />
erstellt würde und bei der Fortsetzung der<br />
Bahn, sei es im Kocher- oder Brettachtal<br />
die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> derart berücksichtigt<br />
würde, dass etwa bei der sogenannten<br />
Helmbundkirche eine Haltestelle<br />
für die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> errichtet<br />
würde.<br />
Dieser Wunsch wurde aber nicht erfüllt.<br />
Stattdessen wurde der Bahnhof etwas<br />
weiter nördlich gebaut, wohl aber wurde<br />
an der von <strong>Cleversulzbach</strong> angesprochen<br />
Stelle für den Bahnhof ein zusätzlicher<br />
Haltepunkt errichtet.<br />
Nach neunjähriger Planungs- und Bauzeit<br />
konnte die Nebenbahn Jagstfeld–Neuenstadt<br />
am Kocher am 15. September 1907<br />
feierlich eröff net werden. Schon bei Baubeginn<br />
hatten sich die Gemeinden Gochsen,<br />
Kochersteinsfeld, Möglingen und<br />
Ohrnberg für eine Verlängerung der Strecke<br />
erfolgreich beworben und erreicht,<br />
dass nach zweijähriger Bauzeit am 1. August<br />
1913 die Gesamtstrecke eröff net<br />
werden konnte.<br />
Die Bahnstrecke verhalf den anliegenden<br />
Gemeinden zu einem bedeutenden wirtschaftlichen<br />
Aufschwung. Auch die Bürger<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>s nutzten zunehmend diese<br />
neue Transportmöglichkeit und nahmen<br />
den Marsch oder die Fahrt zum Bahnhof<br />
nach Neuenstadt in Kauf.<br />
157
158<br />
Erö nung der Kochertalbahn am 15. September 1907. Bahnhof Neuenstadt mit Lokschuppen<br />
Die anfangs mit Dampfl okomotiven betriebene<br />
Bahn wurde ab 1956 auf wirtschaftlichere<br />
Dieseltriebwagen umgestellt.<br />
Große Bedeutung gewann die Kochertalbahn<br />
durch den abgewickelten Schülerverkehr<br />
zu den neuen Mittelpunktschulen<br />
in Neuenstadt und Jagstfeld. Im Güterverkehr<br />
sorgte vor allem der Zuckerrübentransport<br />
zu den Werken von Südzucker<br />
für einen Grundumsatz. Doch ab den<br />
1980er Jahren sank die Auslastung sowohl<br />
im Güter- als auch Personenverkehr so<br />
stark, dass die WEG um Entbindung aus<br />
der Beförderungspfl icht zum Jahresende<br />
1992 bat.<br />
1 Bei der Sache mit dem Schiller- und Mörikeverein hat der<br />
Gemeinderat wohl etwas hoch gegriff en, denn einen solchen<br />
Verein hat es nie gegeben. Wohl ist kurz davor (1918)<br />
die Mörike-Stube im Gasthof „Adler“ gegründet worden,<br />
Die Bahn wurde schließlich Ende 1993<br />
stillgelegt. Teile der Trasse wurden in einen<br />
Radweg umgebaut. Die Stadt Neuenstadt<br />
nutzte die günstig gelegene Bahntrasse<br />
für eine Ortsumgehung. Der Personenverkehr<br />
wurde durch Buslinien ersetzt,<br />
wobei <strong>Cleversulzbach</strong> durch den HNV<br />
(Heilbronner Hohenloher Haller Nahverkehr)<br />
in die Strecke Neuenstadt–<strong>Cleversulzbach</strong>–Brettach–Langenbeutingen–Neudeck–Öhringen<br />
eingebunden wurde. Darüberhinaus<br />
sind von Neuenstadt aus in<br />
abgestimmten Fahrplänen Städte und Gemeinden<br />
der Region wie Neckarsulm, Bad<br />
Friedrichshall und Heilbronn zu erreichen.<br />
und die Grabstätte von Schillers und Mörikes Mutter<br />
wurde damals schon oft besucht; das hat wohl zu der Vereinsgründung<br />
geführt.
Post und Telefon<br />
Für beide Kommunikationsmittel war bis<br />
zu ihrer Privatisierung 1995 die „Post“ zuständig,<br />
ein Staatsunternehmen, das 1872,<br />
ein Jahr nach der Reichsgründung, als<br />
Deutsche Reichspost gegründet worden<br />
war - zunächst noch ohne die bayerische<br />
und württembergische Postverwaltung,<br />
die erst nach Ende des Ersten Weltkrieges<br />
in der Weimarer Republik in die Deutsche<br />
Reichspost eingegliedert wurden. Nach<br />
Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die<br />
Post neu konstituiert und bekam unter<br />
dem Namen Deutsche Bundespost die<br />
Aufgabenbereiche Postdienst, Postbank<br />
und Fernsprechwesen zugewiesen. Heute<br />
sind diese Aufgabenbereiche in separaten<br />
Aktiengesellschaften untergebracht, der<br />
Postdienst wurde dabei in Deutsche Post<br />
AG umbenannt und das Fernsprechwesen<br />
erhielt den Namen Deutsche Telekom AG.<br />
Da für die vorliegende Geschichte von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> in erster Linie die Zeit bis<br />
zur Privatisierung 1995 von Bedeutung<br />
ist, wird auch nur dieser Zeitraum im Besonderen<br />
betrachtet.<br />
Post<br />
In der Frühzeit waren es nur Brief- und<br />
kleinere Warensendungen, die von der<br />
Post befördert wurden. Für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war das Postamt in Neuenstadt am Kocher<br />
zuständig, als Teil der 1808 gegründeten<br />
Württembergischen Staatspost. Briefe von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> mussten in Neuenstadt<br />
aufgegeben, Briefe nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
hingegen im Postamt abgeholt werden,<br />
später konnte man sie gegen ein geringes<br />
Entgelt durch einen Boten ins Haus bringen<br />
lassen. Im April 1852 wurde der bisherige<br />
Dorfschütz Plenefi sch zum Amtsboten<br />
ernannt, der täglich einmal zum<br />
Königlichen Postamt nach Neuenstadt<br />
ging, um Briefe, Pakete und Gelder in<br />
Empfang zu nehmen. Er erhielt dafür eine<br />
„Trägerlohngebühr“ von 1 Kreuzer pro Privatbrief.<br />
In den Akten der 1890er Jahre<br />
werden als weitere Postboten die Namen<br />
Carl Ebert und Gottlob Korb genannt.<br />
Der Briefverkehr dürfte sich jedoch im 18.<br />
und auch noch im 19. Jahrhundert in<br />
Grenzen gehalten haben. Es waren hauptsächlich<br />
amtliche Mitteilungen und Anweisungen,<br />
die zwischen Behörden, Rathäusern<br />
und Kirchengemeinden gewechselt<br />
wurden. Die private Post war eher die<br />
Ausnahme, auch weil ein Großteil der Bevölkerung<br />
damals des Lesens und Schreibens<br />
noch unkundig war, aber auch weil<br />
die Gebühren reichlich hoch ausfallen<br />
konnten.<br />
Eduard Mörike, von 1834 bis 1843 Pfarrer<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>, war in dieser Hinsicht sicher<br />
eine Ausnahme, denn er war ein fl eißiger<br />
Briefschreiber. In den neun Jahren seiner<br />
Amtszeit hat er nachweislich über 350<br />
Briefe an Freunde und Bekannte geschrieben<br />
- allein 112 Briefe an seinen Freund<br />
Wilhelm Hartlaub und dessen Familie in<br />
Wermutshausen, und nicht zuletzt auch 24<br />
Schreiben an den württembergischen König<br />
Wilhelm I., aber auch an das Dekanat und<br />
das Kameralamt in Neuenstadt.<br />
Die erste deutsche Briefmarke, der legendäre<br />
„Schwarze Einser“, wurde 1849 vom<br />
Königreich Bayern herausgegeben. Es<br />
folgten schnell die anderen deutschen<br />
Länder. In Württemberg wurden die ersten<br />
Briefmarken 1851 in Kreuzerwährung verausgabt.<br />
Nach der Umstellung auf die<br />
Deutsche Mark zu 100 Pfennigen (1872)<br />
waren auch Mischfrankaturen zulässig. Im<br />
April 1902 verzichtete man in Württemberg<br />
auf die Ausgabe eigener Briefmarken<br />
und benutzte die des Deutschen Reiches.<br />
Am 1. Januar 1903 wurden die württembergischen<br />
Postwertzeichen ungültig.<br />
Das Briefporto betrug nach Ende des Ersten<br />
Weltkrieges 15 Pf., stieg aber in den<br />
159
160<br />
Infl ationsjahren 1921 auf 60 Pf., 1922 auf<br />
6,00 Mark und im Laufe des Hyperinfl ationsjahres<br />
1923 von 50,00 Mark in immer<br />
schnelleren Schritten auf zuletzt 10 Milliarden<br />
Mark (12. November 1923). Dieser<br />
schrecklichen Geldentwertung wurde<br />
schließlich mit der am 15. November 1923<br />
erfolgten Währungsreform ein Ende bereitet.<br />
Die alte Mark wurde durch die neue<br />
Rentenmark abgelöst, und zwar abgewertet<br />
im Verhältnis 10 Milliarden Mark = 1<br />
Rentenpfennig. Ab 1. Dezember 1923 betrug<br />
das Briefporto 10 Rentenpfennig<br />
(RPf.).<br />
Telefon<br />
Die Erfi ndung des Telefons hat mehrere<br />
Väter. In Deutschland wird Philipp Reis, in<br />
den USA Alexander Graham Bell als Vorreiter<br />
dieser neuen Kommunikationstechnik<br />
gefeiert, die in Deutschland ab 1880<br />
praktische Bedeutung erhielt; zunächst in<br />
Berlin, doch bald gefolgt von vielen anderen<br />
Städten.<br />
Gut 30 Jahre später brach auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
die Zeit des Telefons an, als das<br />
Königliche Oberamt Neckarsulm in dem<br />
Erlass vom 27. Dezember 1906 der Gemeinde<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> die Errichtung eines<br />
Telephons empfahl und um Äußerung<br />
der Gemeinde dazu bat. Die Empfehlung<br />
wurde am 18. Februar 1907 im Gemeinderat<br />
beraten, wobei auch der Ortsvorsteher<br />
die Errichtung als eine der notwendigsten<br />
Bedürfnisse bezeichnete und der Gemeinderat<br />
den Beschluss fasste:<br />
1.) Mit den hiesigen Geschäftsleuten wegen<br />
der Errichtung und wegen eines Beitrags<br />
hierzu in Unterhandlung zu treten.<br />
2.) Dem Kgl. Oberamt mittels Protoko llauszug<br />
darüber Mitteilung zu machen.<br />
Was die Kosten der Einrichtung eines Telefons<br />
betraf, so teilte das Oberamt mit Erlass<br />
vom 20. Januar 1907 mit, dass aus der<br />
Amtskasse ein Beitrag von 50 M. gewährt<br />
würde. Das wurde am 9. März 1907 vom<br />
Ortsvorsteher dem Gemeinderat mitgeteilt,<br />
auch dass er mit den hiesigen Gewerbetreibenden<br />
wegen einer Beitragsleistung<br />
gesprochen habe und Georg Hägele<br />
(damals Gemischtwarenhändler und<br />
Gastwirt „Zur Traube“) sich mit 50 M. beteiligen<br />
würde, unter der Voraussetzung,<br />
dass das Telefon in seinem Hause eingerichtet<br />
würde. Gemeinderatmitglied<br />
Lumpp stellte daraufhin den Antrag, mit<br />
dieser Einrichtung noch ein paar Jahre<br />
wegen der in Aussicht genommenen Straßenbauten<br />
zu warten. Dem wurde einstimmig<br />
zugestimmt.<br />
Doch statt noch ein paar Jahre zu warten,<br />
kam der Gemeinderat am 18. Oktober<br />
1907 zu der Erkenntnis: die Einrichtung<br />
eines Telefons wird wiederholt dringend<br />
empfohlen und beschloss:<br />
1.) Im Etatjahr 1908/09 die Mittel zur Errichtung<br />
hierzu vorzusehen.<br />
2.) Ein Gesuch an die Kgl. Generaldirektion<br />
für Posten und Telegraphen um Einrichtung<br />
auf 1. April 1908 ergehen zu lassen.<br />
Diesem Gesuch wurde entsprochen und<br />
mit Erlass vom 4. März 1908 die Errichtung<br />
einer öff entlichen Sprechstelle genehmigt.<br />
Kosten: 350 M. Am 19. März<br />
1908 traf der Gemeinderat zwei wichtige<br />
Entscheidungen:<br />
1.) Der Betrag von 350 M. wird aus der<br />
Gemeindekasse bezahlt.<br />
2.) Den Löwenwirt Christian Bauer, der<br />
sich um die Geschäfte der „Telegraphenhilfsstelle“<br />
samt Unfallmeldedienst auf<br />
die Dauer von 2 Jahren zur unentgeltlichen<br />
Besorgung gemeldet hatte, für diesen<br />
Dienst vorzuschlagen.<br />
Doch bis zur Verwirklichung sollte es<br />
noch ein gutes Jahr dauern. Die Königliche<br />
Telegrapheninspektion Heilbronn<br />
wollte noch im Jahre 1908 die Telefonleitung<br />
von Neuenstadt über <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nach Brettach verlegen und musste dazu<br />
einen Telefonmast auf <strong>Cleversulzbach</strong>er
Gemeindeeigentum errichten, was vom<br />
Gemeinderat am 16. August 1908 genehmigt<br />
wurde.<br />
Am 1. März 1909 war es dann so weit: Im<br />
Gasthof „Löwen“ wurde eine Telegraphenhilfsstelle<br />
(wie es damals hieß) mit öff entlicher<br />
Sprechstelle eingerichtet, nachdem<br />
Christian Bauer zwei Tage vorher auf den<br />
Dienst eines Telegraphenhilfsstellenvorstehers<br />
durch den Postverwalter Freitag in<br />
Neuenstadt vereidigt worden war. Eigentlich<br />
hätte die Vereidigung beim zuständi-<br />
gen Königlichen Postamt Öhringen stattfi<br />
nden müssen, aber die Königliche Generaldirektion<br />
der Posten und Telegraphen in<br />
Stuttgart beschied mit Schreiben vom 17.<br />
Februar 1909 an das Königliche Postamt<br />
Öhringen: Um dem Bauer den Weg nach<br />
Öhringen zu ersparen, kann das K. Postamt<br />
wegen der Unterweisung desselben<br />
in den Vorschriften, wegen der Verpfl ichtung,<br />
wegen des Vertragsabschlusses<br />
usw. auch das Postamt Neuenstadt (Kocher)<br />
angehen.<br />
Dienstvertrag vom 27.<br />
Februar 1909 zwischen<br />
der Königlichen Generaldirektion<br />
der Posten<br />
und Telegraphen und<br />
dem Löwenwirt Christian<br />
Bauer in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
betre end die<br />
Besorgung des Dienstes<br />
bei der Telegraphenhilfsstelle<br />
161
162<br />
Am 6. März 1909 wurde Bauers Ehefrau<br />
Katharina als Privatgehilfi n verpfl ichtet,<br />
wozu auch sie einen Diensteid in Neuenstadt<br />
ablegen musste.<br />
Die Hauptausstattungsgegenstände der<br />
Königlich Württembergischen Telegraphenhilfsstelle<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> waren lt.<br />
Liste vom 22. Februar 1909:<br />
– ein Stehpult aus Tannenholz mit verschließbarer<br />
Lade<br />
– ein Wertzeichenbuch<br />
– eine Wanduhr mit poliertem Rahmen<br />
vom Uhrmacher Erb aus Ravensburg<br />
– ein schwarzes Holzschild mit dem<br />
Schriftzug „Telegraph“ in goldenen<br />
Buchstaben<br />
Dass ein Wertzeichenbuch, also ein Buch<br />
mit Briefmarken, zur Hauptausstattung<br />
gehörte, lässt darauf schließen, dass in der<br />
Telegraphenhilfsstelle auch zusätzlich<br />
Postdienste abgefertigt wurden.<br />
Die Verantwortungsbereiche waren anfangs<br />
etwas kompliziert gegliedert. Die<br />
Vermittlung des Telegrammverkehrs hatte<br />
das Postamt Künzelsau zu besorgen. Diesem<br />
oblag auch, der Hilfsstelle täglich die<br />
Zeit und im Sommerhalbjahr die Witterungsvorhersagen<br />
mitzuteilen. Die Vermittlung<br />
des Fernsprechverkehrs sowie die<br />
Besorgung der Verwaltungsgeschäfte der<br />
Hilfsstelle (Schriftwechsel, Statistik usw.)<br />
hatte dagegen durch das Königliche Postamt<br />
Öhringen zu geschehen.<br />
Die Hilfsstelle selbst fi el in den Ortsbereich<br />
der Fernsprechanstalt Neuenstadt<br />
(Kocher). Nach zwei Jahren unentgeltlicher<br />
Tätigkeit erhielt Christian Bauer ab 1.<br />
März 1911 für seinen Dienst als Telegraphenhilfsdienstvorsteher<br />
eine Belohnung<br />
von 24 Mark im Jahr, dazu kam eine Entschädigung<br />
von 20 Mark jährlich aus der<br />
Gemeindekasse.<br />
Das öff entliche Telefon wurde off enbar<br />
gut angenommen, dies führte bald – vielleicht<br />
auch wegen der langsamen Verbindungstechnik<br />
– zu längeren Wartezeiten.<br />
In der Gemeinderatssitzung vom 9. September<br />
1917 beantragte daher der Vorsitzende,<br />
das Rathaus an das Telefonnetz anschließen<br />
zu lassen, weil es ihm in der gegenwärtigen<br />
arbeitsreichen Zeit nicht<br />
mehr möglich wäre, an die ö entliche<br />
Sprechstelle zu laufen, und wie es öfters<br />
der Fall ist, stundenweise herumwarten<br />
zu müssen. Die Dienststunden waren damals<br />
wochentags von 9 bis 12 und von 14<br />
bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 12.30 Uhr.<br />
Dem Antrag des Schultheißen Herrmann<br />
wurde zugestimmt; das Rathaus in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
erhielt nach längerer Wartezeit<br />
einen eigenen Telefonanschluss mit der<br />
Nummer 1.<br />
Im Juni 1918 richtete ein Telegrammempfänger<br />
eine Beschwerde an das Königliche<br />
Postamt Öhringen, weil auf einem für ihn<br />
bestimmten Telegramm das Datum vom 8.<br />
auf den 10. geändert war und das Telegramm<br />
von Schulkindern aufgenommen<br />
war.<br />
Die Hilfsstellengehilfi n Katharina Bauer:<br />
Hierzu habe ich zu erwidern, daß von Seiten<br />
der Telegraphenhilfsstelle die ersichtliche<br />
Änderung nicht vorgenommen<br />
wurde. Richtig ist wohl, daß nicht ich selber,<br />
sondern meine 17-jährige Tochter das<br />
Telegramm abgenommen und dem Vater<br />
des Adressaten selber abgegeben hat,<br />
und das K. Postamt, das wohl zugeben<br />
wird, dass ich in der eben notwendigen<br />
Zeit, nicht stets selber den ganzen Tag<br />
wegen dem Telephon zu Hause bleiben<br />
kann, da mein Mann auch bereits 2 Jahre<br />
fort ist und über 1 Jahr in Frankreich ist,<br />
und ich auch selber neben Wirtschaft u.<br />
Telegraphenhilfsstelle ziemlich Landwirtschaft<br />
besitze.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, den 23.6.18 Telegraphenhilfsstelle<br />
Bauer<br />
Ihr Mann war während des Ersten Weltkrieges<br />
zwei Jahre beim Landsturmbataillon<br />
XIII in Leonberg eingezogen und<br />
wurde von dort für über ein Jahr nach
Stenay in Nordfrankreich verpfl ichtet, wo<br />
er als Bäcker im Kriegslazarett Dienst tat.<br />
Nach seiner Rückkehr kündigte Christian<br />
Bauer am 1. Januar 1919 seine Stelle als<br />
Telegraphenhilfsstellenvorsteher zum 1.<br />
Februar 1919, ohne Angabe von Gründen.<br />
Gleichzeitig bewarb sich der frühere Hilfsbote<br />
Gottlob Korb um diese Stelle. In seinem<br />
Bewerbungsschreiben vom Januar<br />
1919 bittet er zu berücksichtigen, dass<br />
sein Vater den Landbotendienst elf Jahre<br />
lang versehen habe und er selbst als dessen<br />
Hilfsbote diesen Dienst bereits ein<br />
Jahr vollständig versehen habe. Während<br />
des Krieges stand ich 39 Monate lang ununterbrochen<br />
im Felde. Voraussichtlich<br />
wird der Landpostbotendienst, welcher<br />
während des Krieges durch einen Hilfsdienstpostboten<br />
versehen wurde, neu erstellt<br />
werden, um<br />
dessen Besetzung<br />
ich mich wieder bewerben<br />
werde. Ich<br />
ersuche deshalb<br />
höfl ichst mir diese<br />
Telefonstelle nebenbei<br />
übertragen zu<br />
wollen, wobei ich<br />
noch bemerken<br />
darf, dass meine<br />
Wohnung inmitten<br />
des Orts gelegen<br />
sehr geeignet für<br />
diesen Posten ist.<br />
Doch mit diesem<br />
Posten wurde es<br />
nichts, denn schon<br />
drei Wochen nach<br />
seiner Kündigung<br />
nahm Christian<br />
Bauer diese wieder<br />
zurück und führte den Dienst weiter.<br />
Mit beginnender Infl ation wurde die jährliche<br />
Entschädigung der Gemeinde ab 1.<br />
April 1920 auf 30 M. und ab 25. November<br />
1920 auf 100 M. erhöht. Dazu kam<br />
von der Postkasse ab August 1922 eine Erhöhung<br />
der Belohnung von 24 M. auf 180<br />
M. jährlich. Doch die schwierigen wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse der damaligen<br />
Zeit zwangen Christian Bauer, die Wirtschaft<br />
„Zum Löwen“ 1922 zu schließen,<br />
und das nannte er auch als Grund für<br />
seine diesmal endgültige Kündigung der<br />
Telegraphenhilfsstelle im August 1922.<br />
Sein Nachfolger wurde mit Dienstvertrag<br />
vom 12. Oktober 1922 der Landpostbote<br />
Friedrich Lumpp, der aber den Dienst zunächst<br />
unentgeltlich durchführen musste.<br />
Wohl erhielt er eine Vergütung von 100<br />
Mark im Jahr für das Zimmer, das er für<br />
die Dienstgeschäfte zur Verfügung stellte,<br />
sowie für die Bedienung der Fernsprechvermittlungsstelle<br />
eine besondere Vergütung<br />
von jährlich 200 Mark für jeden Teil-<br />
Kündigungsschreiben von Christian Bauer<br />
vom 1. Januar 1919.<br />
Darunter: Bestätigung des Öhringer Postamtes<br />
und Hinweis auf die Bewerbung von<br />
Gottlob Korb<br />
163
164<br />
nehmeranschluss. Außerdem erhielt der<br />
Telegraphenhilfsstellenvorsteher für die<br />
Bestellung von Telegrammen und das<br />
Herbeirufen von Personen zu der ö entlichen<br />
Sprechstelle sowie für die Übermittlung<br />
am Fernsprecher entgegengenommener<br />
Nachricht im Ortsbestellbezirk sowie<br />
innerhalb des 1 km-Umkreises der Telegraphenhilfsstelle<br />
einen Stücklohn von<br />
150 Pf., bei größeren Entfernungen für<br />
das Kilometer 140 Pf. 1928 wurde ein<br />
Emailleschild „Öff entlicher Fernsprecher“<br />
angebracht und das alte Schild „Telegraph“<br />
zwei Jahre später entfernt. Der<br />
1895 geborene Friedrich Lumpp war im<br />
Juni 1915 zum Kriegsdienst eingezogen<br />
worden, wo er beim Infanterieregiment<br />
122 seinen Dienst tat. Beim Frankreich-<br />
Feldzug wurde Lumpp 1916 in Ypern<br />
schwer verwundet. Nach seiner Entlassung<br />
im März 1919 versah er wieder seinen<br />
Dienst als Landpostbote.<br />
Poststelle<br />
Schon bald hatte sich die Telegraphenhilfsstelle<br />
zu einer kleinen Poststelle entwickelt,<br />
die Friedrich Lumpp im Erdgeschoss<br />
seines Wohnhauses hatte einrichten<br />
lassen. In den oberen Räumen wohnte<br />
er mit seiner Familie. Das Haus an der Biegung<br />
der Brettacher Straße, schräg gegenüber<br />
vom Back- und Schlachthaus,<br />
existiert heute nicht mehr. Es wurde 2007<br />
abgerissen, nachdem es länger nicht mehr<br />
bewohnt gewesen war. Das Gelände wurde<br />
eingeebnet und mit Gras eingesät.<br />
Das Abholen und Austragen der Post war<br />
für den kriegsversehrten Mann ein mühsames<br />
Geschäft, wie seine Nachkommen<br />
berichten. Er fuhr bei Wind und Wetter<br />
mit dem Fahrrad nach Neuenstadt, um die<br />
Post und Zeitungen abzuholen, die zweimal<br />
täglich, vormittags und abends, auszutragen<br />
waren, wozu er oft Stunden unterwegs<br />
war. Seine Frau führte in einem<br />
Nebenzimmer einen kleinen Laden, um<br />
das Einkommen etwas aufzubessern. Es<br />
gab in der Hauptsache Nudeln und Tabakwaren.<br />
Die Zuständigkeiten für die Verwaltungsgeschäfte<br />
der Hilfsstelle <strong>Cleversulzbach</strong><br />
änderten sich im Laufe der Jahre. Ab 1.<br />
November 1931 wurden sie vom Postamt<br />
Öhringen dem Postamt Neuenstadt zugewiesen,<br />
ab 1. Januar 1933 gingen sie an<br />
das Postamt Heilbronn. Im Oktober 1934<br />
wurde dann erneut das Postamt Neuenstadt<br />
für <strong>Cleversulzbach</strong> zuständig.<br />
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten<br />
im Jahr 1933 wurden neben<br />
der Poststelle zwei Fahnenstangen<br />
aufgerichtet und zwei Flaggen hinterlegt,<br />
eine Flagge Schwarz-Weiß-Rot, die andere<br />
mit Hakenkreuz. Dazu auch noch zwei<br />
Trauerfl ore. Die Flaggen mussten nach Anweisung<br />
bei besonderen Anlässen gehisst<br />
werden. Während der Zeit des Nationalsozialismus<br />
wurde Friedrich Lumpp nach<br />
Aussagen von Zeitzeugen mehrfach gedrängt,<br />
der NSDAP beizutreten. Doch der<br />
überzeugte Sozialdemokrat Lumpp lehnte<br />
jedes Mal ab, was ihn schließlich seinen<br />
Posten kostete. Er wurde in den letzten<br />
Kriegsjahren vom Amt des Posthalters suspendiert.<br />
Lumpps jüngere Schwester Marie<br />
übernahm die Stelle und führte sie bis<br />
zum Kriegsende. Die Post wurde damals<br />
aus Öhringen in einem Jutesack angeliefert,<br />
in der Poststelle von Marie Lumpp<br />
sortiert und dann von ihr ausgetragen.<br />
Da in der ersten Zeit nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg Post und Bahn noch nicht tätig<br />
waren, richtete der damalige Landrat des<br />
Großkreises Heilbronn Emil Beutinger im<br />
Mai 1945 einen Kurierdienst für die Beförderung<br />
von Landrats- und Gemeindepost<br />
ein. Der Landkreis wurde in zehn Kurierzentren<br />
eingeteilt mit jeweils einem<br />
Kurierort. Für <strong>Cleversulzbach</strong> war Neuenstadt<br />
zuständig, von wo aus auch andere<br />
umliegende Gemeinden versorgt werden<br />
mussten. Die von den Kurieren aus Heil-
Telegraphenhilfsstelle an der Ecke Brettacher<br />
Straße/Seestraße (Foto um 1935).<br />
Über der Tür das Schild „Telegraph“, rechts<br />
an der Wand ein Werbeschild für die Reederei<br />
„Lloyd Bremen“<br />
bronn gebrachte Post musste von den<br />
Bürgermeistern der Kurierorte durch Boten<br />
an die anderen Orte zugestellt werden.<br />
Post nach Heilbronn lief den umgekehrten<br />
Weg. Die Kurierfahrten fanden jeweils<br />
dienstags, donnerstags und samstags<br />
statt. Doch schon Ende 1945 musste dieser<br />
Kurierdienst wegen Benzinknappheit<br />
eingestellt werden. Der neue Landrat Hermann<br />
Sihler hatte aber bei der Militärre-<br />
gierung erreichen können,<br />
dass die Amtspost mit der<br />
inzwischen wieder tätigen<br />
Post an die Kurierorte befördert<br />
wurde. An der<br />
Weiterverteilung durch<br />
Boten hatte sich aber<br />
nichts geändert.<br />
Ein anderes Problem ergab<br />
sich durch die Papierknappheit<br />
nach dem<br />
Kriege, die zum Verbrauch<br />
der noch vorhandenen<br />
Formulare aus der<br />
Zeit des Nationalsozialismus<br />
führten. Hierzu erließ<br />
das Stuttgarter Innenministerium<br />
am 16.<br />
September 1946 folgende<br />
Anweisung:<br />
Betr.: Hakenkreuzzeichen<br />
auf Briefpapier und Briefumschlägen.<br />
Es besteht Veranlassung,<br />
darauf hinzuweisen, dass<br />
Restbestände an Briefpapier<br />
und Briefumschlägen,<br />
die mit dem Hakenkreuz,<br />
dem Hoheitszeichen<br />
der NSDAP, u. ä. versehen<br />
sind, nur dann aufgebraucht werden<br />
dürfen, wenn diese Zeichen durch<br />
Ausschneiden entfernt oder überklebt<br />
werden. Durchstreichen oder Überstempeln<br />
genügt nicht.<br />
Schon bald lief der Postverkehr nach dem<br />
Krieg wieder in geordneten Bahnen und<br />
die Poststelle in <strong>Cleversulzbach</strong> wurde auf<br />
Anweisung der Oberpostdirektion Stuttgart<br />
vom 1. März 1947 an wieder dem früheren<br />
Posthalter Friedrich Lumpp übertragen,<br />
was für ihn auch eine Rehabilitation bedeutete.<br />
Seine langjährige Dienstzeit wurde<br />
im Juni 1960 in der Mörike-Stube des<br />
Gasthauses „Zum alten Turmhahn“ gefeiert.<br />
Hierzu waren vom Postamt Heilbronn fünf<br />
165
166<br />
Herren erschienen, die dieses Ereignis auch<br />
mit einem Eintrag im Gästebuch festhielten<br />
und als Anlass sein 45-jähriges Dienstjubiläum<br />
angaben. (Für die Berechnung hat<br />
man off enbar auch seine Zeit vor der Anstellung<br />
als Posthalter berücksichtigt). Als<br />
Friedrich Lumpp nach seiner langen Dienstzeit<br />
mit 65 Jahren Ende 1960 pensioniert<br />
wurde, hat man seine Tochter Gertraud als<br />
Nachfolgerin vorgeschlagen. Sie hatte zwar<br />
zu der Zeit eine gute Stelle als Pelznäherin<br />
bei der Pelzmodenfi rma Lumpp in Neuenstadt,<br />
war dann aber doch bereit, diese<br />
Stelle zu übernehmen. Am 1. Januar 1961<br />
wurde sie als Poststellenleiterin angestellt.<br />
Neben dem Brief- und Paketdienst fi elen<br />
noch zahlreiche andere Arbeiten an. Dazu<br />
gehörte die Bedienung des öff entlichen<br />
Fernsprechers und die Ermittlung und Ab-<br />
rechnung der Telefongebühren in einer separaten<br />
Liste, das Aufnehmen von Telegrammen,<br />
die vom Telegrafenamt in Heilbronn<br />
telefonisch durchgegeben und von<br />
Hand in ein Telegrammblatt eingetragen<br />
und in einem Umschlag dem Empfänger<br />
zugestellt werden mussten. Umgekehrt<br />
musste ein vom Versender schriftlich aufgesetzter<br />
Text dem Telegrafenamt telefonisch<br />
durchgegeben werden, von wo es<br />
dann auf den Weg gebracht wurde. Bei ankommenden<br />
Telefongesprächen wurde entweder<br />
die Nachricht aufgenommen und<br />
dem Empfänger zugestellt oder der Angerufene<br />
wurde, wenn es eilig war, ans Telefon<br />
gerufen. Weitere Aufgaben waren damals<br />
das Auszahlen von Renten in bar und<br />
das Abkassieren von Rundfunk- und Zeitungsabonnementgebühren;<br />
dies war ein<br />
Die ehemalige Poststelle an der Ecke Brettacher Straße. Sie wurde 1974 geschlossen und das<br />
baufällige Gebäude 2007 abgerissen. Die freie Fläche wurde eingeebnet und mit Rasen eingesät.
mühsames Geschäft, denn oft musste der<br />
Weg mehrmals gemacht werden, weil die<br />
Leute entweder nicht zu Hause waren oder<br />
gerade kein Geld hatten.<br />
Schon bald wurde rechts neben der Eingangstür<br />
ein Briefkasten angebracht, in<br />
den Briefe außerhalb der Dienstzeit eingeworfen<br />
werden konnten. Dieser wurde<br />
dann jeden Morgen von der Poststellenleiterin<br />
geleert. Sie hieß inzwischen Gertraud<br />
Heiß, nachdem sie im September 1961<br />
Ewald Heiß geheiratet hatte. Auf vielfachen<br />
Wunsch der Bevölkerung stellte Frau<br />
Heiß Anfang 1969 bei Bürgermeister Nef<br />
den Antrag, ein Telefonhäuschen im Ort<br />
aufzustellen. Diesen Wunsch trug er dem<br />
Fernmeldeamt Heilbronn vor, worauf kurze<br />
Zeit später auch ein Telefonhäuschen aufgestellt<br />
wurde. Ursprünglich sollte es seinen<br />
Standort vor der Kirche beim Telefonverteilerkasten<br />
erhalten. Aber auf Einspruch<br />
von Frau Heiß (sie hätte die Münzkassette<br />
jeden Tag von dort abholen müssen)<br />
wurde es an der Ecke neben der<br />
Poststelle aufgestellt.<br />
Nach der durch die Gemeindereform bedingten<br />
Eingliederung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nach Neuenstadt am Kocher im Januar<br />
1971 war abzusehen, dass auch die Poststelle<br />
bald ihre Selbständigkeit verlieren<br />
würde. Das war 1974 der Fall: Die Poststelle<br />
wurde geschlossen und die Aktivitäten<br />
nach Neuenstadt verlegt. Das Telefonhäuschen<br />
wurde zunächst stehen gelassen,<br />
aber als mit zunehmender Telefondichte im<br />
Ort der Bedarf an dieser Möglichkeit praktisch<br />
auf null zurückging, wurde auch dieses<br />
lange das Ortsbild prägende Häuschen<br />
abgebaut. Was bis heute vom Postbetrieb<br />
blieb, ist der Briefkasten, der jetzt die Stelle<br />
des Telefonhäuschens eingenommen hat.<br />
Das Gebäude wurde 2007 abgerissen, die<br />
freie Fläche eingeebnet und mit Rasen eingesät.<br />
Die Poststellenleiterin Gertraud Heiß<br />
wurde im Postamt Neuenstadt übernom-<br />
men, wo sie weiterhin die Postsachen für<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> erledigte. In ihrem dortigen<br />
Arbeitsraum wurde von ihr die Post<br />
sortiert und anschließend in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ausgetragen – anfangs mit ihrem<br />
Privatauto, später stand ihr ein Dienstauto,<br />
ein gelber VW-Käfer, zur Verfügung.<br />
Ihre Dienste hat sie 1998 mit ihrer Pensionierung<br />
beendet.<br />
Das Telefon entwickelt sich<br />
Der Fortschritt beim Telefonieren war<br />
nicht aufzuhalten, doch <strong>Cleversulzbach</strong><br />
blieb lange Zeit unterversorgt. 1933 gab<br />
es nur drei Anschlüsse: die öff entliche<br />
Sprechstelle, das Bürgermeisteramt mit<br />
der Nummer 22 und die Gaststätte „Zum<br />
Löwen“ mit Gemischtwarenladen (Nummer<br />
41). Der neue Inhaber Adolf Stecher<br />
hatte es wohl verstanden, den Anschluss<br />
der ehemaligen Telegrafenhilfsstelle neu<br />
geschaltet zu bekommen. Sechs Jahre<br />
später erhielt auch die Gaststätte „Adler“<br />
einen Anschluss, Nummer 36. Während<br />
des Krieges war das Telefonieren off enbar<br />
sehr eingeschränkt. Im Telefonbuch von<br />
1943 steht kein einziger Eintrag für <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Auch nach dem Krieg blieb<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> lange ein telefonisches<br />
Randgebiet. 1954 erhielt das Rathaus eine<br />
neue so genannten Nebenstellenanlage,<br />
bestehend aus dem Hauptanschluss mit<br />
der Nummer 103 und einem Nebenanschluss<br />
mit einem selbsttätigen Zwischenschalter.<br />
Die Telefongebühren betrugen zu der Zeit<br />
(Stand 1. Juli 1954):<br />
Monatliche Grundgebühr 8,00 DM<br />
Ortsgespräch 0,16 DM<br />
Ferngespräch bis 10 km, 3 Min. 0,32 DM<br />
Ferngespräch bis 50 km, 3 Min. 0,96 DM<br />
Ferngespräch bis 300 km, 3 Min. 2,88 DM<br />
In den 1960er und 1970er Jahren hat die<br />
Deutsche Bundespost über das Fernmeldeamt<br />
Heilbronn endlich Schritt für Schritt<br />
167
168<br />
das Fernmeldenetz in <strong>Cleversulzbach</strong> erweitert.<br />
1961 wurden Kabel in der Neuenstädter<br />
Straße verlegt, 1964 folgten die<br />
Eberstädter Straße, die (damalige) Hauptstraße<br />
sowie die Brettacher Straße bis zur<br />
Einmündung der Kieshofstraße. Etwa zehn<br />
Jahre später, nämlich 1973 und 1975,<br />
wurden auch die Neubaugebiete und die<br />
Ortsränder an das Telefonnetz angeschlossen.<br />
Und bereits 1969 wurde, wie schon<br />
an anderer Stelle berichtet, ein Telefonhäuschen<br />
aufgestellt. So kam es, dass aus<br />
den lediglich sechs Anschlüssen von 1960<br />
zehn Jahre später schon 23 geworden waren.<br />
Es waren in erster Linie Geschäftsleute,<br />
die sich nun auch hier der modernen<br />
Kommunikationsmöglichkeit bedienen<br />
konnten. Rein private Anschlüsse waren<br />
da noch selten, was sich aber in den<br />
Jahren danach rasch änderte.<br />
In den 1990er Jahren führte die Deutsche<br />
Telekom mit ISDN zusätzlich zum analogen<br />
Netz ein digitales Netz ein, das die<br />
Übertragungsrate zum Internet, das auch<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> zunehmend genutzt<br />
wurde, gegenüber dem analogen Telefonmodem<br />
deutlich beschleunigte. Viele <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
stellten auf dieses digitale<br />
Netz um.<br />
Für den nächsten Sprung im Wettlauf der<br />
Übertragungsraten, nämlich der Einfüh-<br />
rung von DSL im Jahre 2001, musste <strong>Cleversulzbach</strong><br />
noch etwas warten. Anfang<br />
2006 war es so weit: Einige Leitungen<br />
standen für DSL 1000 (mehr war noch<br />
nicht möglich) zur Verfügung und waren<br />
schnell vergeben. Für die wenigen Nutzer<br />
war es eine enorme Bereicherung, denn<br />
selbst mit nur DSL 1000 war die Übertragungsrate<br />
jetzt 10-mal schneller als mit<br />
ISDN. Kein Wunder, dass der Wunsch<br />
nach dieser neuen digitalen Verbindung<br />
besonders von Geschäftsleuten, die zunehmend<br />
das Internet zur Werbung und<br />
Kaufabschlüssen nutzten, immer größer<br />
wurde. Der Wunsch wurde stark von der<br />
Stadtverwaltung Neuenstadt a. K. unterstützt.<br />
Nach langjährigen Verhandlungen<br />
mit der Deutschen Telekom konnte erreicht<br />
werden, dass die nötigen Glasfaserkabel<br />
2011 installiert wurden. Im Jahr<br />
davor waren auf Kosten der Gemeinde<br />
bereits die Leerrohre dafür verlegt worden,<br />
was ein Zugeständnis gegenüber der<br />
Telekom war.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, das zwar schon ab 1909<br />
an das Telefonnetz angeschlossen war,<br />
dann aber über 50 Jahre die Entwicklung<br />
der Telefonverbindungen nur am Rande<br />
erleben durfte, war endlich voll in der digitalen<br />
Breitbandversorgung eingebunden.
Einzug der Elektrizität in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Gesetzmäßigkeiten<br />
der Elektrizität durch Pioniere<br />
wie Alessandro Volta, André-Marie<br />
Ampère, Charles Augustin de Coulomb,<br />
Georg Simon Ohm, Michael Faraday und<br />
James Clerk Maxwell erforscht. Durch die<br />
Nutzungsmöglichkeiten des elektrischen<br />
Stroms wurde bald absehbar, dass Strom<br />
in größerer Menge benötigt werden<br />
würde. Gerade auch auf dem Land, wo<br />
durch Maschinenkraft und elektrisches<br />
Licht in der Land-, Vieh- und Forstwirtschaft<br />
enormes Potential steckte, war eine<br />
unerwartete sowie schnell und stark ansteigende<br />
Nachfrage schon nach kürzester<br />
Zeit gegeben. Das erste öff entliche Elektrizitätswerk,<br />
ein Wasserkraftwerk am Fluss<br />
Wey, ging 1881 in Godalming, Großbritannien,<br />
ans Netz, gebaut von Thomas<br />
Alva Edison. Es lieferte Gleichstrom, zunächst<br />
für die Straßenbeleuchtung des<br />
Ortes.<br />
Bis 1900 wurden entlang der Flüsse, vor<br />
allem Kocher, Jagst und Neckar, viele<br />
Mühlen zu Gleichstrom-Elektrizitätswerken<br />
umgebaut, die jeweils nahe gelegene<br />
Ortschaften mit Strom versorgen konnten.<br />
Allerdings war es nicht möglich,<br />
Gleichstrom effi zient über längere Leitungsstrecken<br />
zu übertragen, womit der<br />
Wirkungsradius dieser Gleichstrom-<br />
Elektri zitätswerke nur sehr klein sein<br />
konnte. Abhilfe versprach hier der Drehstrom,<br />
dessen effi zientere Übertragungsmöglichkeit<br />
1891 durch den Stromtransfer<br />
von in Lauff en am Neckar produziertem<br />
Strom zur ca. 175 km entfernten Internationalen<br />
Elek tro technischen Ausstellung<br />
in Frankfurt am Main demonstriert<br />
wurde. Die Generatoren dafür wurden<br />
später für die Stromerzeugung für die<br />
Stadt Heilbronn genutzt.<br />
Im Jahr 1900 beschloss der Mühlenbesitzer<br />
Leonhard Endreß aus Gochsen, den<br />
Mühlenbetrieb einzustellen und seine<br />
Mühle zur Gewinnung von Drehstrom<br />
umzubauen. Dazu verhandelte er mit der<br />
„Mitteldeutsche Elektrizitätswerke, Aktiengesellschaft<br />
in Dresden“ (M.E.A.), das<br />
„Elektricitätswerk Kocherthal“ zu bauen.<br />
Die Verhandlungen scheiterten jedoch,<br />
weil Endreß vermutlich bald erkannte,<br />
dass er mit einem unabhängigen Elektrizitätswerk<br />
wesentlich höhere Gewinne erzielen<br />
konnte. Endreß baute sein Werk alleine<br />
und versorgte unter anderem die<br />
Gemeinde Brettach ab 1906 mit Strom.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> versäumte diese Chance;<br />
es hatte bereits 1902 den schon 1901 unterzeichneten<br />
Vertrag platzen lassen.<br />
1910 scheiterte der Versuch, die Gemeinden<br />
des neu gegründeten Gemeindeverbandes<br />
Überlandwerk Hohenlohe-Öhringen<br />
mit Strom der Enzgauwerke <strong>GmbH</strong><br />
aus Bissingen per Fernleitung zu versorgen.<br />
Eine dazu notwendige Fernversorgungsleitung<br />
wurde durch das Elektrizitätswerk<br />
Beihingen-Pleidelsheim, durch<br />
dessen Gebiet die Leitung hätte verlegt<br />
werden müssen, verhindert. Als provisorische<br />
Lösung wurde daher am 31. Oktober<br />
1911 von Bitzfeld aus mit Hilfe eines Lokomobile,<br />
einer mobilen Dampfmaschine<br />
mit angeschlossenem Generator, mit 200<br />
PS für rund 140 kW die Stromversorgung<br />
im Gemeindeverband begonnen.<br />
Es zeigte sich schnell, dass diese Leistung<br />
bei weitem nicht ausreichte. Insbesondere<br />
durch die konzentrierten Maschineneinsätze<br />
in der Landwirtschaft nach<br />
der Ernte wurden Lastspitzen erzeugt,<br />
die nicht wirtschaftlich abfangbar waren<br />
1 . Beschränkungen des Einsatzes von<br />
elektrischen Dresch- und Futterschneidmaschinen<br />
durch Drusch-Pläne, rollierend<br />
auf bestimmte Tage der Monate Juli<br />
bis Januar, brachten keine spürbare Besserung<br />
der Lage, da sich viele Stromab-<br />
169
170<br />
nehmer nicht an die Abnahmeverbote<br />
hielten.<br />
Mitte 1912 wurde daher im neu erworbenen<br />
Elektrizitätswerk des Ingenieurs Wahlström<br />
in Öhringen durch zwei Dieselmotoren<br />
mit 400 und 200 PS Leistung die Leistungsfähigkeit<br />
um 420 kW erhöht. Im September<br />
1912 wurde mit der Elektrizitätswerk<br />
Beihingen-Pleidelsheim AG ein<br />
Stromlieferungsvertrag für nochmal<br />
300 kW abgeschlossen. Kopplung der Netze<br />
und Fremdbezug, großenteils gegenseitig<br />
verankert, wurden damit schon recht früh<br />
konzeptionell eingebunden.<br />
In den Jahren 1913 bis 1921 konnte die<br />
Elektrizitätserzeugung im Gemeindeverband<br />
Hohenlohe-Öhringen durch andauernden<br />
Kohlemangel und niederen Wasserstand<br />
nicht sichergestellt werden. Nach<br />
dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914<br />
verdreifachte sich die Stromabnahme bis<br />
1918. Ausfälle der Stromversorgung waren<br />
an der Tagesordnung, ein unhaltbarer, teils<br />
lebensgefährlicher Zustand, da bei ausgefallenem<br />
Licht oder plötzlich wieder anlaufenden<br />
Motoren viele Unfälle passierten.<br />
Da 1913 aus den 80 Gründungsgemeinden<br />
bereits 123 Mitglieder geworden waren,<br />
wurde in Öhringen ein weiterer Generator<br />
mit 600 PS installiert. Damit schien die<br />
Versorgung der angeschlossenen Gemeinden<br />
gesichert. Durch den Ausfall des<br />
600-PS-Generators 1920 in Verbindung<br />
mit dem lange aufgeschobenen Bau des<br />
Wasserkraftwerks in Ohrnberg übertraf<br />
der Fremdbezug die Eigenerzeugung bald.<br />
Der Bau des Kraftwerks wurde nun entgegen<br />
aller Widrigkeiten vorangetrieben. So<br />
konnte 1922 im Ausgleichswerk Möglingen<br />
eine Francis-Turbine mit 150 PS Leistung<br />
ans Netz gehen, und 1923 wurde<br />
endlich auch das Kraftwerk in Ohrnberg<br />
fertiggestellt. Dadurch entspannte sich<br />
endlich die Versorgungssituation, denn<br />
das Kraftwerk lieferte über zwei Turbinen<br />
mit je 720 PS Leistungsvermögen ca.<br />
1.500 kW. Es ist übrigens bis zum heutigen<br />
Tag nahezu unverändert in Betrieb.<br />
Parallel zum Bau in Ohrnberg gründete<br />
der Gemeindeverband die Großkraftwerk<br />
Württemberg AG (GROWAG), die 1923 mit<br />
zwei Dampfturbinen im Kohlekraftwerk<br />
Heilbronn und im Wasserkraftwerk in Kochendorf<br />
nochmals je 5.000 kW lieferte.<br />
Der Strom für die ersten Fernleitungen<br />
wurde in Umspannwerken am Erzeugungsort<br />
zum Transport auf 15.000 Volt transformiert<br />
und in Ortsnetzstationen, landläufi g<br />
Trafohäuschen genannt, wieder auf die gebräuchliche<br />
Nutzspannung von 127/220<br />
Volt heruntertransformiert. In den Haushalten<br />
sollte aus Sicherheitsgründen die<br />
Spannung 130 Volt nicht überschreiten.<br />
Die Leistungsfähigkeit der 15-kV-Leitungen<br />
(Mittelspannung) war noch sehr verlustbehaftet,<br />
weshalb 1926 nach dem Bau<br />
des Umspannwerkes Kupferzell die Übertragungsspannung<br />
auf den vorhandenen<br />
Leitungen auf 60 kV (Hochspannung) erhöht<br />
wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
setzte sich die heute noch gebräuchliche<br />
220/380-Volt-Nutzspannung in ganz Europa<br />
rasch durch, da sich vorgenannte Sicherheitsgründe<br />
als haltlos erwiesen hatten<br />
und sie weit leistungsfähiger war als<br />
die bisherige 130-Volt-Nutzspannung.<br />
Im August 1954 wurde die Genehmigung<br />
der Gemeinden für den Bau einer neuen<br />
Hochspannungs-Doppelleitung mit 110 kV<br />
als Ersatz für die alte 60-kV-Einfachleitung<br />
eingeholt. Die heute noch bestehende<br />
Trasse führte von Neckarsulm über<br />
Öhringen nach Kupferzell und wurde im<br />
Oktober 1955 in Betrieb genommen.<br />
Im gleichen Zeitraum wurden die Leitungen<br />
der Ortsnetze von an den Straßen<br />
entlanggeführten Stromleitungen mit<br />
Stichleitungen zu den Häusern auf heute<br />
noch das Ortsbild prägende Dachständer<br />
auf den Hausdächern umgebaut. Durch<br />
diese beiden Veränderungen, die eff ektiv<br />
mehr als eine Verdopplung der vorhande-
nen Leitungen bedeutete, wurde die Übertragungsfähigkeit<br />
des Leitungsnetzes um<br />
das Fünf- bis Achtfache gesteigert. Diese<br />
Leistungssteigerung trug den enormen<br />
Anforderungen durch das Nachkriegs-<br />
Wirtschaftswunder Rechnung.<br />
Schließlich wurde das Stromnetz 1979 mit<br />
der Errichtung einer zusätzlichen 380-kV-<br />
Einspeisung (Höchstspannung) in Kupferzell<br />
für die vorhandene Leitungstrasse auf<br />
den aktuellen heutigen Stand gebracht.<br />
Erste Anläufe in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> scheint man schon früh<br />
elektrischem Strom gegenüber aufgeschlossen<br />
gewesen zu sein. Dies zeigt sich<br />
an einem Vertrag mit der „Mitteldeutsche<br />
Elektrizitätswerke, Aktiengesellschaft in<br />
Dresden“ (M.E.A.) zur Einrichtung der<br />
Stromversorgung, der bereits 1901 unterzeichnet<br />
wurde. Die M.E.A. hatte zuvor mit<br />
dem Elektrizitätswerkbesitzer Leonhard<br />
Endreß in Gochsen über den Bau des „Elektricitätswerks<br />
Kocherthal“ verhandelt.<br />
Laut Vertrag versprach die M.E.A., „nach<br />
längstens 7 Monaten“ mit dem Bau der notwendigen<br />
Anlagen zu beginnen. Dafür verlangte<br />
sie von den Gemeinden, „auf die<br />
Dauer von fünfzig Jahren vom Tage der Inbetriebsetzung<br />
an gerechnet mit der ausdrücklichen<br />
Verpfl ichtung während der Vertragsdauer<br />
ein anderes Unternehmen für Beleuchtung<br />
oder Kraftübertragung nicht zu<br />
konzessionieren noch selbst zu betreiben“.<br />
Nach Streitigkeiten zwischen der M.E.A.<br />
und Leonhard Endreß, welche den Baubeginn<br />
nachhaltig verzögerten, ließ <strong>Cleversulzbach</strong><br />
den Vertrag 1902 platzen. Als<br />
Endreß 1909 sein Werk verkaufen will,<br />
schlägt das Königliche Oberamt Neckarsulm<br />
den umliegenden Gemeinden vor, einen<br />
Gemeindeverband zu bilden und das<br />
Werk zu kaufen. Dieser Vorschlag wird vom<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeinderat am 30. Juni<br />
1909 unter „Rücksicht auf die hiesigen<br />
ökonomischen Verhältnisse“ abgelehnt.<br />
Die Elektrifi zierung in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Mit Schreiben vom 15. Februar 1910 wirbt<br />
das Königliche Oberamt Neckarsulm für<br />
die Einführung von elektrischem Strom in<br />
den Gemeinden. Infolge der „Leutenot auf<br />
dem Lande“ sollte „menschliche Arbeit ersparende<br />
elektrische Energie […], Beleuchtung,<br />
besonders von Ställen, Kellern, Futterräumen,<br />
Scheuern“, eingesetzt werden.<br />
Mit hehren Vorstellungen wurde die Frage<br />
der Stromgewinnung und –lieferung angegangen:<br />
Entscheidend für diese Frage ist, welcher<br />
Anschluß den Gemeinden die<br />
Elektrizität am billigsten und auf die<br />
Dauer, nicht nur für 25 oder 50 Jahre<br />
liefert. Es ist neuerdings nicht mehr<br />
umstritten, dass da, wo die Bildung<br />
eines großen Gemeindeverbands irgend<br />
möglich ist, ein anderer Weg<br />
nicht eingeschlagen werden kann. Ein<br />
solcher Gemeindeverband, bei dem<br />
die Gemeinden die Eigentümerinnen<br />
des Werks sind, verwaltet das Werk<br />
nach gemeinnützigen Grundsätzen,<br />
will keinen Unternehmergewinn erzielen,<br />
liefert die Elektrizität zu den<br />
Selbstkosten & ist in keiner Weise bestrebt,<br />
sich auf Kosten der Stromabnehmer<br />
zu bereichern.<br />
Am 18. Februar 1910 kommen die Gemeindevertreter<br />
des Oberamtsbezirks Neckarsulm<br />
in Neckarsulm zu einer Tagung bezüglich<br />
des Beitritts zum Öhringer Gemeindeverband<br />
zusammen. Zitat aus dem Protokoll:<br />
Die Abstimmung [über den Beitritt zum<br />
Öhringer Verband] ergab, dass die Gemeindevertreter<br />
der Sache freundlich gegenüberstehen,<br />
zunächst aber bis zur<br />
weiteren Klärung eine zuwartende Stellung<br />
einnehmen wollen, abgesehen von<br />
den Vertretern der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
welche den sofortigen Anschluß<br />
wünscht.<br />
171
172<br />
Monteure feiern die Fertigstellung des Stromanschlusses in <strong>Cleversulzbach</strong> 1913
Am 9. März 1910 beschließt der Gemeinderat<br />
den Beitritt zum Gemeindeverband<br />
Überlandwerk Hohenlohe-Öhringen, der<br />
am 25. April 1910 erfolgt.<br />
Mit Schreiben vom 10. Dezember 1910<br />
kündigt das Königliche Oberamt Neckarsulm<br />
an, dass mit dem Bau der Fernleitungen,<br />
Transformatorenstationen und Ortsnetze<br />
Anfang 1911 unter dem bauleitenden<br />
Ingenieur Julius Heinrichsen, Esslingen,<br />
begonnen wird. Die Schultheißen<br />
werden aufgefordert, möglichst viele verbindliche<br />
Anmeldungen für Abnehmer zu<br />
bekommen. Gleichzeitig informiert das<br />
Oberamt, dass der Bau des Wasserkraftwerks<br />
in Ohrnberg lange dauern wird, somit<br />
zunächst Strom von den Enzgauwerken<br />
bezogen werden soll.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> sollte es allerdings Mitte<br />
1913 werden, ehe die ersten Masten auf-<br />
Die alte Trafostation oberhalb des Friedhofs<br />
(Foto Ende 1930er Jahre)<br />
Die neue Trafostation von 1957 am Verbindungsweg<br />
vom alten zum neuen Ortsteil.<br />
halb des Friedhofs<br />
gestellt wurden. Mit Beschluss vom 31. Januar<br />
1913 ersuchte der Gemeinderat den<br />
Gemeindeverband dringend, die Zuleitung<br />
des elektrischen Stroms in aller Bälde in<br />
die Wege leiten zu wollen, damit wenigstens<br />
bis 1. März d. J. die hiesige Gemeinde<br />
mit elektrischem Strom versorgt, u. die<br />
Zufriedenheit in der Gemeinde wieder<br />
hergestellt wird.<br />
Der Gemeindeverband kam der Auff orderung<br />
nun doch rasch nach, so dass noch<br />
1913 die ersten elektrischen Lichter und<br />
173
174<br />
Maschinen in Betrieb gehen konnten.<br />
Elektrisches Licht, Dresch- und Futterschneidmaschinen<br />
gehörten von nun an<br />
zum Alltag und sind seither kaum mehr<br />
wegzudenken.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> wurde die Trafostation<br />
1957 für den Anschluss an die neu gebaute<br />
110-kV-Leitung umgebaut. Sie<br />
Quellen:<br />
Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>: CA 373, CA 374, CA 471, CB 31,<br />
CB 32<br />
EVS Betriebsverwaltung Öhringen: 75 Jahre Stromversorgung.<br />
EVS<br />
W. Leiner: Geschichte der Elektrizitätswirtschaft in Württemberg.<br />
Band 2,1<br />
H. Geiger: Jahrbuch 1999. Historischer Verein für Württembergisch<br />
Franken.<br />
prägt heute, noch in vollem Betrieb, aber<br />
inzwischen im Ortszentrum, das Ortsbild.<br />
Im Anschluss daran wurde das Ortsnetz<br />
1958 auf 220/380 Volt umgestellt, wobei<br />
die alten Holzmasten des 110-Volt-Ortsnetzes<br />
an den Straßen verschwanden und<br />
die heute noch auf vielen Häusern sichtbaren<br />
Dachständer aufgebaut wurden.<br />
1 Parallelen dazu fi nden sich beim Ausstieg aus der Kernenergie:<br />
Zum Abfangen von Lastspitzen müssen beispielsweise<br />
Gaskraftwerke vorgehalten werden, die bei Bedarf<br />
schnell angefahren werden können. Meist sind sie jedoch<br />
nicht in Betrieb. Diese Kraftwerke kosten den Betreiber<br />
eff ektiv mehr Geld als sie aus sich heraus erwirtschaften.
Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Feuerwehr<br />
Eine erste Erwähnung eines Feuerlöschwesens<br />
in den Annalen unseres Dorfes fi ndet<br />
sich im Jahr 1830, als sich ein Feuerspritzen-Fabrikant<br />
am 31. März auf Gemeindekosten<br />
bewirten lässt. Geladen sind außer<br />
Schultheiß und Bürgermeister auch 30<br />
Gemeindemitglieder, gefeiert wird in großem<br />
Stil die Lieferung und Erprobung einer<br />
nagelneuen Feuerspritze. 1 Löwenwirt<br />
Schuler verweist in Anbetracht der nicht<br />
unerheblichen Rechnungshöhe für Wein<br />
und Brot (insgesamt 6 Gulden 30 Kreuzer)<br />
darauf, dass der Fabrikant nach eigener<br />
Aussage schon immer „kostenfrey gehalten<br />
worden seye“.<br />
Eine Quittung über den Abschlag von 700<br />
Gulden und zwei Kronentaler in bar iden-<br />
tifi ziert den Lieferanten – wie zu erwarten<br />
– als Adam Bachert, Metallgießer aus<br />
Kochendorf. Ein Zusatz unter dem Dokument<br />
vom 8. April 1830 zeigt zudem, dass<br />
das Gesamtvolumen der Lieferung 805 f<br />
24 x betrug, wobei Zahlungsaufschub für<br />
die „abstehende Summe“ auf später vereinbart<br />
wurde. 2<br />
Wie eifrig mit dem Spritzenwagen „prowirt”<br />
wurde, erkennen wir bei der Lektüre<br />
von Blatt 139 der Gemeindepfl egrechnungen<br />
3 (7. Februar 1835): Laut Gerichtsprotokoll<br />
erhielten die Mitglieder<br />
von Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />
eine Belohnung, wenn sie bei der „Feuer<br />
Sprizen Probung” 1834 / 35 teilgenommen<br />
hatten. Insgesamt quittierten 28<br />
Die Feuerwehrabteilung Anfang der 1880er Jahre mit der Feuerspritze vor dem Schulhaus.<br />
Die Ausrüstung bestand damals aus einer so genannten Saug- und Druckpumpe, ab 1911<br />
zusätzlich aus zwei Hydrantenwagen, 1925 kam eine Zweirad-Leiter dazu. Die damalige<br />
Dienstkleidung wurde vom örtlichen Schneider Maß genommen und angefertigt.<br />
175
176<br />
Bürger den Empfang von jeweils 12<br />
Kreuzern.<br />
Damit unsere wackeren Feuerwehrmänner<br />
auch von Firsthöhe zum Einsatz gelangen<br />
konnten, stellte Wagner Johann David<br />
Lumpp eine Feuerleiter von 40 Schu (ca.<br />
13 m) mit 4 Schwingen und 40 Sprossen<br />
her. Außerdem fertigte er eine 12 Meter<br />
lange Stange an, die als Feuerhaken dienen<br />
sollte. Für beide Gewerke legte er am<br />
6. August 1835 eine Rechnung über 3 f 56<br />
x beim Schultheißen vor. Wir dürfen annehmen,<br />
dass der Meister bei der Gestaltung<br />
und Ausführung der Leiter noch<br />
recht frei war; knapp 50 Jahre später<br />
würde sein Nachfolger jedenfalls die genauen<br />
Vorgaben der Gebäudebrandversicherungsanstalt<br />
bei der Herstellung einer<br />
Feuerleiter einhalten müssen! „Die Leiterholmen<br />
und Stützen müssen aus astlosem<br />
Weißtannen- oder Fichtenholz, die Sprossen<br />
aus splintfreiem Eichenholz gefertigt,<br />
die Holmen oval, und die Sprossen kantig<br />
bearbeitet sein, letztere ganz durch die<br />
Holmen gehen, nach außen verjüngt, verkeilt<br />
und innen mit einem 5 mm in die<br />
Holmen eingetriebenen Ansatz versehen<br />
sein.” 4<br />
Ein paar Jahre später stand die Anfertigung<br />
von Ausrüstungsgegenständen<br />
durch Handwerker vor Ort überhaupt<br />
nicht mehr zur Debatte, denn die Gründung<br />
der Pfl ichtfeuerwehr im Lande<br />
machte die allgemeine Standardisierung<br />
des Materials unabdingbar – die Industrie<br />
hatte quasi einen neuen Absatzmarkt erschlossen.<br />
Wie heiß umworben die Feuerwehrkommandanten<br />
als Abnehmer neuer Technologien<br />
im beginnenden 20. Jahrhundert<br />
waren, zeigt ein Blick auf die Korrespondenz<br />
der damaligen Hersteller von Feuerwehrausrüstungen.<br />
So macht die Firma Wilhelm Barth, Fellbach,<br />
am 11. Juli 1922 dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Gemeinderat eine Off erte über Stei-<br />
gergurte, Karabiner und Armbinden.<br />
Die Schlauchfabrik Gollmer und Hummel<br />
preist ihre Feuerwehr-Schläuche an, während<br />
die Konkurrenz vor Produkten billiger<br />
Qualität eindringlich warnt.<br />
In der Meldung des Oberamtes Neckarsulm<br />
an das Königreich Württemberg aus<br />
dem Jahre 1905 wird die Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wie folgt erwähnt: Es besteht<br />
eine Pfl ichtfeuerwehr, eingeteilt in fünf<br />
Züge mit zusammen 80 Mann. Gründungsjahr:<br />
1886.<br />
In der Statistik des Württembergischen<br />
Feuerwehrkalenders von 1915 erscheinen<br />
diese Daten: Pfl ichtfeuerwehr mit 70<br />
Mann. Kommandant: Julius Erhardt, Bauer.<br />
Gründungsdatum: 1887 (Württembergischer<br />
Feuerwehrkalender 1915). 5<br />
oben: Meldung des Oberamtes Neckarsulm<br />
mit Gründungsdatum 1886<br />
unten: Württembergischer Feuerwehrkalender<br />
mit Gründungsdatum 1887
Damit gibt es zwei unterschiedliche<br />
Gründungsdaten für die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Feuerwehr in ihrer Eigenschaft als<br />
Pfl ichtfeuerwehr. Im so genannten Befehlbuch<br />
(1843 –1890) der Gemeinde<br />
fi ndet sich im Übrigen eine Anweisung<br />
des Oberamts Neckarsulm, wonach u. a.<br />
bestimmt wird, dass die Gemeinderäte<br />
„die Wahl des Kommandanten der Feuerwehr<br />
und seines Stellvertreters (Art. 17)<br />
zur Bestätigung anzuzeigen” haben und<br />
„spätestens bis zum 2. Januar 1887 der<br />
Nachweis zu liefern [ist], daß das ganze<br />
Feuerlöschwesen in der Gemeinde den<br />
Funktionsausübung Kommandant Stellvertreter<br />
1886 –1919 Julius Erhardt u. a. Daniel Hermann<br />
1919 Herrmann Schön Wilhelm Seebold<br />
1924 Gottlob Lumpp Karl Hesser<br />
1928 Gottlob Lumpp Karl Hesser<br />
1932 Gottlob Lumpp Karl Hesser<br />
1933 Gottlob Lumpp Eugen Herrmann<br />
1937 Gottlob Lumpp Albert Schlegel<br />
1939 Wilhelm Albrecht Otto Schlegel<br />
1946 Robert Lumpp Hermann Schön (lehnt Wahl ab)<br />
Fritz Weber, Erwin Lumpp<br />
195–1969 Erwin Lumpp Wilhelm Kollmar<br />
1969–1982 Horst Stephan Kurt Eckert<br />
1982–1992 Günter Leichtle Peter Stephan<br />
1992–1994 Peter Stephan Martin Simpfendörfer<br />
1994–2007 Martin Simpfendörfer Jürgen Heiß<br />
seit 2007 Jürgen Heiß Timo Enchelmaier<br />
Wirklich aussagekräftige Dokumente zur<br />
Freiwilligen Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sind für die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
im Archiv eher spärlich vorhanden.<br />
Im Zuge der Gleichschaltung wurde natürlich<br />
auch für die <strong>Cleversulzbach</strong>er Feu-<br />
bestehenden Anordnungen entspreche.”<br />
Die Anordnung ist datiert auf den 14.<br />
November 1886. 6<br />
Nachfolgend die Namen der Feuerwehrkommandanten<br />
und ihrer Stellvertreter,<br />
wie sie sich aus den diversen noch erhaltenen<br />
Wahlunterlagen darstellen. Der<br />
Zeitraum der Funktionsausübung war seit<br />
jeher auf fünf Jahre beschränkt, die Wahlperioden<br />
wurden allerdings nicht immer<br />
genau eingehalten; so machte das Gleichschaltungsgesetz<br />
im Jahre 1933 nach nur<br />
einem Jahr der Amtsausübung eine Neuwahl<br />
des Kommandanten erforderlich 7 .<br />
erwehr eine neue Satzung mit Wirkung<br />
vom 17. April 1933 erstellt. 8<br />
Ein Fragebogen „Schlagkraft der Feuerwehren”<br />
gibt ansatzweise Aufschluss über<br />
die personelle Zusammensetzung der Feuerwehr<br />
im Kriegsjahr 1943:<br />
177
178<br />
Fragebogen zur Schlagkraft der Feuerwehren, 1943<br />
Die Frage f) belegt, dass man den kriegsbedingten<br />
Schwund an einsatzfähigen<br />
Feuerwehrmännern aufzufangen versuchte,<br />
indem man Frauen für den Dienst<br />
zu aktivieren versuchte. Die vorgelegte<br />
Zahl lässt zwar vermuten, dass dieser Versuch<br />
zum Scheitern verurteilt war, dennoch<br />
belegen einige Fotos aus Privatbesitz,<br />
dass die Abteilung der weiblichen<br />
Feuerwehrkräfte durchaus nicht über Zulauf<br />
zu klagen hatte.<br />
Die einheitliche Einkleidung der Damen<br />
ging übrigens auf eine Initiative von Adolf<br />
Stecher aus <strong>Cleversulzbach</strong> zurück, dem<br />
Führer des Reichsluftschutzbundes der<br />
Ortsgruppe Neckarsulm, welcher feststellte<br />
9 , dass nach den bestehenden Bestimmungen<br />
Übungen mit Damenbekleidung<br />
nicht stattfi nden durften. Deshalb<br />
entschloss sich der Gemeinderat zur Anschaff<br />
ung von 15 Trainingsanzügen im<br />
Gesamtwert von 80 – 90 RM.
Weibliche Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong> in der<br />
Zeit des Zweiten Weltkrieges<br />
Aus einer handschriftlichen Aufstellung<br />
vom 10. März 1946 gehen Umfang und<br />
Struktur der nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
neu aufgestellten Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />
hervor:<br />
Stab<br />
1 Kommandant<br />
1 Stellvertreter (Adjutant)<br />
1 Kassier, Schriftführer und Geräteverwalter<br />
2 Hornisten, davon 1 Feuerwehrdiener<br />
1. Zug<br />
1 Zugführer<br />
12 Steiger und Retter<br />
2 Elektriker<br />
2. Zug<br />
1 Zugführer<br />
2 Gruppenführer<br />
14 Mann<br />
3. Zug (Spritzenmannschaft)<br />
1 Zugführer<br />
1 Spritzenmeister<br />
10 Mann<br />
4. Zug (Flüchtlingsmannschaft)<br />
1 Zugführer<br />
6 Mann<br />
Feuerwehrmänner in <strong>Cleversulzbach</strong> kurz<br />
vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
Erste Reihe (sitzend und stehend): Hermann<br />
Schön, Alfred Stephan, August Dietrich,<br />
Ludwig Vollmann<br />
Zweite Reihe (auf der Spritze sitzend): Hermann<br />
Uhlmann (ohne Helm), Unbekannt<br />
(untere Gesichtshälfte verdeckt), Unbekannt<br />
(mit Blick nach hinten)<br />
Aus der Chronik der Feuerwehr<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
Aus den Tagen vor Einrichtung des Telefondienstes<br />
stammen die nachfolgend abgebildeten<br />
Brandmeldekarten, mit deren<br />
Hilfe der Schultheiß im Brandfalle Unterstützung<br />
von der Nachbargemeinde anfordern<br />
konnte. Die Karten lagen immer<br />
griff bereit – mit Gemeindesiegel und -namen<br />
versehen – und mussten vom Feuermelder<br />
auf schnellstem Wege übermittelt<br />
werden. „Der Name der Gemeinde ist im<br />
voraus einzuschreiben und der Ortsstempel<br />
zum voraus aufzudrücken, damit der<br />
Ortsvorsteher (Anwalt) oder sein Stellvertreter<br />
im Falle eines Brandes die Karten<br />
nur an die Feuerboten auszuteilen hat<br />
und nichts mehr schreiben muß.”<br />
Die Karten sind leider undatiert, sie waren<br />
wohl über einen längeren Zeitraum in Gebrauch<br />
und dürften – Orthografi e und<br />
179
180<br />
Brandmeldekarte (Vor- und Rückseite)<br />
Druckbild lassen dies vermuten – aus der<br />
Gründungszeit unserer Feuerwehr stammen.<br />
12. Januar 1923<br />
Die Gemeinden westlich von Öhringen haben<br />
bei größeren Bränden die neue Kraftfahrspritze<br />
in Öhringen anzufordern.<br />
Am 28. Oktober 1946<br />
werden die Ortschaften Neuenstadt, Ödheim,<br />
Degmarn, Kochertürn, Bürg, Gochsen,<br />
Brettach, <strong>Cleversulzbach</strong>, Dahenfeld,<br />
Lampoldshausen und Kochersteinsfeld in<br />
der Feuerlöschgemeinschaft XVI zusammengeschlossen<br />
und zur gegenseitigen<br />
Hilfeleistung verpfl ichtet.<br />
Die TS 8<br />
Im Jahre 1946 lieferte die Firma Bachert,<br />
Kochendorf, die so genannte TS<br />
8 10 an unsere Feuerwehr aus, die über<br />
lange Jahre hinweg im Einsatz bleiben<br />
sollte.<br />
Die notwendigen Wartungsarbeiten<br />
und technischen Anpassungen wurden<br />
jeweils von der Herstellerfi rma<br />
vorgenommen, und so lesen sich die<br />
TÜV-Berichte der 1950er Jahre durchaus<br />
positiv.<br />
Am 16. März 1961 lobt der Prüfer den<br />
guten Pfl egezustand – Beanstandungen<br />
keine.<br />
Zwei Jahre später (24. April 1963)<br />
weist der Bericht darauf hin, dass das<br />
Gerät ein Kriegsbaumuster und damit<br />
veraltet sei, die Anschaff ung einer<br />
neuen TS wird empfohlen. In einem<br />
Schreiben an das Landratsamt (19.<br />
August 1963) nimmt der Gemeinderat<br />
hierzu Stellung, indem er einräumt,<br />
dass die Neuanschaff ung einer TS 8<br />
angedacht, wegen fi nanzieller Engpässe<br />
in diesem Jahr jedoch nicht<br />
möglich ist.<br />
An der fi nanziellen Lage der Gemeinde<br />
kann sich auch in den Folgejahren<br />
wenig gebessert haben, denn<br />
der TÜV-Bericht vom 24. Juni 1965<br />
(man beachte die Überschreitung der<br />
Fristen!) bemängelt für TS 8 (Baujahr<br />
1946) mit behelfsmäßigem TSA 11 , dass<br />
die Pumpenleistung gegenüber dem<br />
vorherigen Bericht weiter zurückgegangen<br />
ist. Die Leistung von Motor,<br />
Zündanlage, Gasstrahler usw. werden<br />
zwar als noch befriedigend eingestuft,<br />
allerdings „wie schon früher angeführt,<br />
würde sich an diesem veralteten<br />
Gerät eine komplette Instandsetzung<br />
nicht mehr lohnen. Eine Neuanschaff<br />
ung muss ins Auge gefaßt werden.”
Eine Bestandsaufnahme vom 1. Januar<br />
1969 belegt, dass TS 8 (Baujahr<br />
1946) mitsamt dem Anhänger auch<br />
weiterhin noch treu und unverwüstlich<br />
ihren Dienst versah:<br />
• 2 Löschkarren, bzw. Hydr. Wagen<br />
• 1 TS 8 (1946)<br />
• 1 Anhänger TSA<br />
• 1 Zweiradleiter<br />
• 6 Schläuche, z. T. ungummiert<br />
• 1 Feueralarmsirene<br />
Zweiradleiter der Freiwilligen Feuerwehr<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> (Aufstellung im Museum<br />
Schafstall in Neuenstadt am Kocher<br />
2011 anlässlich des 150-jährigen<br />
Bestehens der Feuerwehr Neuenstadt).<br />
1. Juni 1950<br />
Laut Kreisbrandinspektor Rebmann ist<br />
eine geordnete Brandbekämpfung oftmals<br />
nicht gewährleistet, da viele Feuerwehrmänner<br />
mangels Uniform nicht als solche<br />
erkennbar sind. Empfehlung: Anschaff ung<br />
eines roten Armbandes, auf welches ein<br />
Abzeichen zu nähen ist.<br />
17. März 1960<br />
§ 2 Erlassung einer Feuerwehrabgabesatzung<br />
1. Die Feuerwehrabgabe für das Rechnungsjahr<br />
1959 wird aus verwaltungstechnischen<br />
Gründen nicht erhoben.<br />
2. Die Satzung, die die Erhebung einer<br />
Feuerwehrabgabe in der nachstehend<br />
ersichtlichen Fassung zu erlassen zum<br />
Gegenstand hat, wird beschlossen. Sie<br />
ist sofort öff entlich bekannt zu machen,<br />
damit sie am 1. April 1960 in<br />
Kraft tritt.<br />
3. Eine Fertigung der Satzung ist der Aufsichtsbehörde<br />
vorzulegen. 12<br />
22. Juli 1962<br />
Teilnahme der Freiwilligen Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />
bei der Waldbrandübung im<br />
„Vorderwäldle“ in Neuenstadt<br />
Am 1. Januar 1972<br />
kam <strong>Cleversulzbach</strong> im Zuge der Gemeindereform<br />
zur Stadt Neuenstadt. Die erste<br />
Variante der neuen Feuerwehrsatzung trat<br />
am 23. Februar 1972 in Kraft. Am 11. März<br />
1972 fand die erste gemeinsame Generalversammlung<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> statt. Am<br />
22. März 1972 wurde eine Maschinistenausbildung<br />
in Neckarsulm durchgeführt.<br />
Den Kreisfeuerwehrtag in Eppingen besuchte<br />
man am 8. Juli 1972, und eine<br />
erste gemeinsame Wanderung mit den<br />
Neuenstädtern führte ins „Grüne Häusle“.<br />
Die Hauptübung fand bei der Firma Neu-<br />
181
182<br />
meister statt. Für beide Abteilungen<br />
wurde ein Unterricht mit Lichtbildvortrag<br />
über den Tankwagenunfall in Albershausen<br />
abgehalten.<br />
1976 wurden 110 Helme in nachleuchtender<br />
Farbe, 5 B- und 26 C-Schläuche angeschaff<br />
t.<br />
27. Februar 1982<br />
Günter Leichtle löst Horst Stephan als Leiter<br />
der Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> ab.<br />
24. bis 26. Mai 1986<br />
Neuenstadt und die angegliederten Abteilungen<br />
aus den Teilorten feiern das<br />
125-jährige Bestehen der FFW Neuenstadt.<br />
Die technische und personelle Ausstattung<br />
der Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> be-<br />
stand zu diesem Zeitpunkt aus dem Abteilungskommandanten<br />
Günter Leichtle, 30<br />
FW-Männern und 1 TSF 13 (Baujahr 1971).<br />
Am 30. Dezember<br />
1987 endete das Jahr mit einem Einsatz<br />
beim Brand einer Feldscheune in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
1989<br />
Verbesserte Unterbringung der Abteilung<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> in der Kelter-Halle.<br />
31. Dezember 1990<br />
Übernahme des Ressorts Öff entlichkeitsarbeit<br />
für den Bereich <strong>Cleversulzbach</strong> durch<br />
Helmut Nef.<br />
1991<br />
Anschaff ung eines Wassersaugers.<br />
Aufnahme aus dem Jahr 1994<br />
stehend v. l.: Gerd Zimmermann, Roland Baier, Mathias Hofmann, Bernd Plenefi sch, Thomas<br />
Plenefi sch, Martin Weber, Rene Speckmaier, Werner Dietrich, Harald Kuttruf, Thomas Bauer,<br />
Klaus Schlegel, Jürgen Korb, Andreas Stahl, Jürgen Uhlmann, Sven Leichtle, Martin Simpfendörfer<br />
sitzend v. l.: Martin Kollmar, Jürgen Heiß, Patrick Nef, Helmut Nef, Rüdiger Bauer, Kurt Eckert,<br />
Klaus Stephan, Dieter Plenefi sch, Günther Leichtle
1996<br />
Anschaff ung von Melde-Empfängern.<br />
November 2000<br />
Bei einer Klausurtagung des Gemeinderates<br />
wird ein Papier vorgestellt, das den Erhalt<br />
der Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> regelt,<br />
falls es gelingt, die Tagespräsenz zu erhöhen.<br />
Umsetzung des TSF-W14 nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Sommer 2006<br />
Der Neuenstädter Gemeinderat triff t die<br />
Entscheidung, dass die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong><br />
als eigenständige Abteilung bestehen<br />
bleibt.<br />
Ablösung von Martin Simpfendörfer durch<br />
Jürgen Heiß als Abteilungskommandant.<br />
9. Mai 2007<br />
Das 37 Jahre alte TSF wird ausgemustert<br />
und durch das TSF-W (Baujahr 1993) ersetzt.<br />
Das TSF-W, Baujahr 1993<br />
8. März 2008<br />
Übergabe des neu gestalteten Feuerwehrhauses<br />
mit Schulungsraum.<br />
Mit dem Neubau der Kelterhalle (Einweihung<br />
1956) bezog die Abteilung ihre<br />
neuen Räumlichkeiten, die bis heute bereits<br />
zweimal erweitert wurden (1987 und<br />
2007). 1971 erhielt die Abteilung ihr erstes<br />
motorisiertes Fahrzeug, das Tragkraftspritzenfahrzeug<br />
Ford Transit (TSF) von der<br />
Firma Bachert.<br />
Nach der Amtszeit von Erwin Lumpp und<br />
der Eingemeindung nach Neuenstadt kam<br />
die Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong> als Abteilung<br />
2 als erste zur Gesamtfeuerwehr<br />
(1. Januar 1972).<br />
Kommandant war zu diesem Zeitpunkt<br />
Horst Stephan (Stellvertreter: Kurt Eckert).<br />
Er war somit auch der erste Abteilungskommandant<br />
der neuen Abteilung 2 bis<br />
zu seinem Umzug nach Neuenstadt. Mit<br />
der Eingemeindung schlossen sich die beiden<br />
Abteilungen auf kameradschaftlicher<br />
Ebene zusammen. Seither gibt es eine gemeinsame<br />
Kasse, den Abteilungs– und Gesamtausschuss,<br />
die Altersabteilung ist<br />
ebenfalls in einer Gruppe organisiert.<br />
Die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> besteht derzeit<br />
aus 26 Feuerwehrkameraden:<br />
Abteilungs- Jürgen Heiß<br />
kommandant<br />
Stv. Abteilungs- Timo Enchelmaier<br />
kommandant<br />
Gerätewart Harald Kuttruf<br />
Kassier Dieter Schenk,<br />
Jürgen Heiß<br />
Leiter Altersabteilung<br />
Rudolf Schuster<br />
(Ehrenkommandant)<br />
Zugführer Jürgen Heiß,<br />
Günter Leichtle<br />
Gruppenführer Timo Enchelmaier,<br />
Martin Simpfendörfer,<br />
Thorsten Soukup,<br />
Jürgen Uhlmann<br />
183
184<br />
Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> 2011<br />
Obere Reihe von links: Günter Leichtle, Helmut Nef, Mario Stephan, Gerd Zimmermann,<br />
Sven Leichtle, Bernd Plenefi sch<br />
Untere Reihe von links: Dieter Plenefi sch, Thomas Bauer, Klaus Schlegel, Harald Kuttruf,<br />
Marc Nef, Klaus Stephan, Joachim Mall, Rüdiger Bauer, Markus Göltenboth, Jürgen Korb,<br />
Daniel Göltenboth, Philipp Simpfendörfer, Martin Simpfendörfer, Matthias Hofmann,<br />
Kai Schneider, Jürgen Uhlmann, Martin Kollmar, Jürgen Heiß<br />
Auf dem Bild fehlen: Andreas Jojade, Marcel Enchelmaier, Timo Enchelmaier,<br />
Torsten Soukup<br />
1 CR 278 S. 113<br />
2 CR 278 S. 115<br />
3 CR 281 Bl. 139<br />
4 CB 9 No. 268 Bekanntmachungen (4. November 1886).<br />
5 Im Jahre 2011 feierte die Feuerwehr Neuenstadt am Kocher<br />
ihr 150-jähriges Bestehen. Bei den Nachforschungen<br />
zu der projektierten Festschrift stieß man auf die Angaben<br />
zum Gründungsdatum der <strong>Cleversulzbach</strong>er Feuerwehr.<br />
Weitere Auszüge aus der Festschrift im vorliegenden Beitrag;<br />
zusammengestellt von Jürgen Heiß und Klaus Gussmann,<br />
erweitert von Norbert Gessmann.<br />
6 CB 9 No. 268 Feuerlöschwesen<br />
7 Weitere Angaben, z. B. über das genaue Datum der Stabswahlen,<br />
den jeweiligen Mannschaftsstand oder die Zugführer,<br />
lassen sich aus den entsprechenden Feuerwehrakten<br />
im <strong>Cleversulzbach</strong>er Archiv ablesen. Besonders die<br />
Faszikel<br />
Führer der Feuerwehr (1900 –1925) CA 437<br />
Mannschaftsstand (1919 –1954) CA 438<br />
Kommandanten (1925 –1969) CA 439<br />
halten interessante Details für den interessierten Leser<br />
bereit. An dieser Stelle seien lediglich noch zwei Einträge<br />
erwähnt: Am 5. Juni 1919 wurde die vollständige Rückkehr<br />
der Heeresangehörigen konstatiert, was eine Bestandsaufnahme<br />
der Pfl ichtfeuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong> erforderlich<br />
machte. In der Periode 1938 wird Herrmann<br />
Schön als Alterskommandant (über 45 Jahre) und Wilhelm<br />
Seebold als sein Stellvertreter erwähnt.<br />
8 CA 436<br />
9 CB 36 S. 329 (29. Januar 1936)<br />
10 Tragkraftspritze<br />
11 Tragkraftspritzenanhänger<br />
12 CA 38 S. 32<br />
13 Tragkraftspritzenfahrzeug<br />
14 Tragkraftspritzenfahrzeug mit Wagen
Handwerk, Handel und Gewerbe<br />
früher und heute<br />
Altes Handwerk – Betriebe von heute in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Über Jahrhunderte hinweg prägten<br />
Ackerbau, Viehzucht und Weinbau das<br />
Leben in der Gemeinde. Noch Ende des 19.<br />
Jahrhunderts waren mehr als drei Viertel<br />
der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft<br />
beschäftigt. Dafür wurde gut die Hälfte<br />
der damals 527 Hektar umfassenden<br />
Markungsfläche genutzt. Die Vermögensverhältnisse<br />
der <strong>Cleversulzbach</strong>er waren<br />
nur mittelmäßig, wie die Oberamtsbeschreibung<br />
1881 feststellte. Das<br />
Spektrum der von einem Hof bewirtschafteten<br />
Fläche reichte von 70 Morgen<br />
Grundbesitz, die dem vermögendsten<br />
Bauer zur Verfügung standen, bis zu 0,5<br />
bis 1 Morgen am unteren Ende. 1895<br />
bewirtschafteten 42 Betriebe eine Fläche<br />
zwischen 2 und 5 Hektar, die vier größten<br />
Betriebe hatten zusammen 43 Hektar. Im<br />
Schnitt standen einem landwirtschaftlichen<br />
Hof in <strong>Cleversulzbach</strong> 2,7 Hektar<br />
zur Verfügung. Damit lag die Gemeinde<br />
deutlich unter dem Durchschnittswert für<br />
das Oberamt Neckarsulm, der zum gleichen<br />
Zeitpunkt etwa 3,3 Hektar betrug. 1<br />
Die überwiegend landwirtschaftliche<br />
Struktur war auch für das Handwerk und<br />
Gewerbe am Ort bestimmend. Die Arbeit<br />
der Handwerker diente dem örtlichen Bedarf<br />
und umfasste vor allem Reparaturen<br />
und Neuanfertigungen von Geräten und<br />
Geschirr für die Landwirtschaft und den<br />
Weinbau. Schmiede, Wagner und Küfer<br />
zählten zu den wichtigsten Berufen. Hinzu<br />
kamen Maurer, Zimmerleute und Schreiner,<br />
die sich um die Instandsetzung der<br />
Häuser und landwirtschaftlichen Gebäude<br />
und die wenigen neu entstehenden Ge-<br />
bäude kümmerten. Schon früh ist auch<br />
eine Anzahl von Schneidern und Schuhmachern<br />
in den schriftlichen Quellen genannt.<br />
Die Bewohner ließen dort über das<br />
Jahr hinweg Schuhe und diejenigen Kleidungsstücke<br />
anfertigen bzw. reparieren,<br />
die sie nicht selbst herstellen konnten.<br />
Ebenfalls früh sind in <strong>Cleversulzbach</strong> Leineweber<br />
nachgewiesen, die im 19. Jahrhundert<br />
besonders stark vertreten waren,<br />
ehe sie nach dem Ersten Weltkrieg endgültig<br />
aus dem Ortsbild verschwanden. Sie<br />
produzierten Leinwand hauptsächlich für<br />
den eigenen Bedarf, vermutlich aber auch<br />
auf Bestellung. Im 19. Jahrhundert sind<br />
zudem einige <strong>Cleversulzbach</strong>er als Korbmacher<br />
tätig. Zum Teil verkauften sie ihre<br />
Körbe auch im „Umherziehen“, also als<br />
Hausierer. Als Beispiel dafür ist in den<br />
Quellen Carl Bordt genannt. 2<br />
Schmiede<br />
Einer der wichtigsten Handwerker im Dorf<br />
war der Schmied. Er musste die Pferde beschlagen<br />
oder die Radreifen aufziehen<br />
und war damit für die ländliche Bevölkerung<br />
unentbehrlich. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sind Schmiede seit dem 18. Jahrhundert<br />
namentlich bekannt. Martin Kuttruff ist<br />
1733/38 als Schmied erwähnt, 3 Georg Michael<br />
Schäfer 1760 und 1762, 4 Michel<br />
Merz 1779 mit einer neu erbauten<br />
Schmiedewerkstatt. 5 Auch „Jung Michael<br />
Mörz“ (1785) scheint die Tradition fortgeführt<br />
zu haben. 6 1807 erhielt auch Friedrich<br />
Nieth die Genehmigung zur Errichtung<br />
einer neuen Schmiedewerkstatt. Sie<br />
befand sich in einem Haus, das er Johan-<br />
185
186<br />
nes Simpfendörfer abgekauft hatte. Wie<br />
viele andere Handwerker besaß er auch<br />
„etwas Güterstücke“, so dass er glaubte,<br />
sich in der Kombination aus seinem<br />
Handwerk und der Bewirtschaftung seiner<br />
Felder gut ernähren zu können. Nieth<br />
beschäftigte zeitweise einen Gehilfen. 7<br />
Besonders bekannt wurde die Salm'sche<br />
Schmiede, die zwischen Kirche und Pfarrhaus<br />
stand. Dort fand Eduard Mörike<br />
beim alten Eisen den von der St.-Jost-<br />
Kirche stammenden ausrangierten Turmhahn,<br />
nahm ihn an sich und begann noch<br />
in seiner <strong>Cleversulzbach</strong>er Zeit (1840),<br />
ihn in seinem Gedicht<br />
vom alten<br />
Turmhahn zu verewigen.<br />
Zu dieser<br />
Zeit führte Johann<br />
Georg Salm den Betrieb.<br />
Dessen Vater<br />
war Bauer Georg Jeremias<br />
Salm. Diesen<br />
verklagte Mörike<br />
1836/37 vor dem<br />
Oberamtsgericht<br />
Neckarsulm und erreichte<br />
in einem<br />
Vergleich, dass der<br />
jeweilige Pfarrer<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
für den Kirchgang<br />
den Weg über Salms<br />
Grundstück benutzen<br />
dürfe. 8 Johann<br />
Georg wanderte<br />
1862 mit Frau und<br />
deren zwei unehelichen<br />
Kindern nach<br />
Australien aus; die<br />
Schmiedewerkstatt<br />
ging danach wohl<br />
an seinen 1838 geborenen<br />
Sohn August<br />
über, der am<br />
Ort verblieben war.<br />
Das Gebäude wurde inzwischen abgerissen,<br />
um dem neuen Gemeindehaus Platz<br />
zu machen.<br />
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts sind<br />
weitere Schmiede nachgewiesen. Der aus<br />
Sittenhardt stammende Bernhard Kolb,<br />
der 1843 das <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgerrecht<br />
erworben hatte, arbeitete zumindest<br />
zeitweilig als Schmied am Ort, verzog<br />
dann aber nach Schwäbisch Hall. Außerdem<br />
betrieb Gottlieb Ludwig Euerle<br />
(1822–1885), der in Großaspach geboren<br />
war und 1850 das Bürgerrecht erhalten<br />
hatte, das Schmiedhandwerk. 9 Sein Sohn<br />
Die alte Salm'sche Schmiede – beim Reifenaufbrennen
Karl Christian führte den Betrieb weiter.<br />
Hinzu kamen der aus Brettach stammende<br />
Johann Christian Blanck sowie<br />
Karl Schwarz und August Spahmann. Zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts reduzierte<br />
sich die Anzahl auf zwei: Friedrich Birk,<br />
der seit 1928 seine Schmiede in der Eberstädter<br />
Straße 5 hatte, und August Spahmann<br />
in der Mittleren Gasse, der mit<br />
Kriegsbeginn eingezogen, 1941 zur NSU<br />
dienstverpfl ichtet wurde und seinen Betrieb<br />
nicht wiedereröff nen konnte, da er<br />
1944 an den Folgen eines Betriebsunfalls<br />
starb. 10 Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
blieb Birk der einzige Schmied am Ort.<br />
Wie andere Handwerker musste sich der<br />
Schmied den neuen Gegebenheiten anpassen.<br />
Anfang der 1950er Jahre wurde<br />
vor der Werkstatt eine Fasstankstelle errichtet,<br />
die vor allem dem Bedarf der<br />
Landwirte am Ort diente. Benzin und<br />
Diesel der Marke AVIA mussten mit einer<br />
Handpumpe aus dem Fass gezapft werden.<br />
Nach dem Tod von Friedrich Birk<br />
(1968) führte die Witwe Lina den Betrieb<br />
im Kleinen weiter, bis sie ihn 1975 alters-<br />
und krankheitshalber endgültig abmeldete.<br />
Tankstelle in der Eberstädter Straße, links im Bild das Dieselfass (Foto Anfang 1960er Jahre)<br />
187
188<br />
Küfer<br />
Der Küfer gehörte in Weinbaugebieten zu<br />
den häufi gsten und wichtigsten Berufen.<br />
Im Oberamt Neckarsulm waren 1881 73<br />
Küfermeister und 12 -gehilfen tätig. Das<br />
Handwerk war etwa so stark vertreten<br />
wie die Leineweber, Wagner oder Bäcker,<br />
wurde aber von den Schustern (181),<br />
Maurern / Steinhauern (174) und Schneidern<br />
(107) deutlich übertroff en. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wurde zu diesem Zeitpunkt etwa<br />
auf einem Sechstel der Markung Wein angebaut;<br />
dem Weinbau kam nur eine mittelgroße<br />
Bedeutung zu. Der erste namentlich<br />
bekannte Küfer ist Hans Kern; er wird<br />
1638 in den Kirchenbüchern erwähnt. Um<br />
die Mitte des 18. Jahrhunderts sind zwei<br />
Küfer genannt: Hans Michel Borth (1743)<br />
und Johann Martin Batzer (1746). 11 Auch<br />
im 19. Jahrhundert waren es meist mehrere<br />
Küfer, die den Ort versorgten. Im Gewerbekataster<br />
von 1823 sind Georg Stefan,<br />
der 1828 das Handwerk aufgegeben<br />
hat, Paul Stephan und Martin Bayer aufgeführt.<br />
12 Hinzu kamen Carl Bordt (geb.<br />
1806) und der aus Mainhardt stammende<br />
Christian Bauer (geb. 1849), der sein Haus<br />
mit Stall in der Seegasse hatte. 13 Auch Georg<br />
Balthas Lumpp war als Küfer tätig;<br />
seine Werkstätte war in einem Remisenbau<br />
neben seinem Haus in der Hauptstraße<br />
(Nr. 31). Dort war auch „ein kupferner<br />
Branntweinhafen“ (Destillationskessel)<br />
eingemauert. Lumpp hat also wohl auch<br />
Schnaps gebrannt. 14 In der Familie Bordt<br />
scheint über mehrere Jahrhunderte das<br />
Küferhandwerk ausgeübt worden zu sein:<br />
Ludwig besaß ein Wohnhaus am Hohlweg<br />
(Nr. 18), Karl gehörte zu den ersten Genossen<br />
des neu gegründeten Darlehenskassenvereins,<br />
und der 1899 geborene August<br />
Bordt war der einzige Küfer am Ort<br />
bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Zugleich hatte er begonnen, seinen<br />
Betrieb zu diversifi zieren und betrieb zugleich<br />
eine Autovermietung. 15<br />
Entwicklung im Handwerk und in der<br />
Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert<br />
– Betriebsgründungen<br />
Größere Handwerksbetriebe hat es kaum<br />
gegeben. Noch im 19. Jahrhundert hatten<br />
die meisten Handwerker maximal einen<br />
Gehilfen und dies auch nur zeitweise. Die<br />
Bauern reparierten und stellten ihre Gerätschaften<br />
zum Teil selber her, und umgekehrt<br />
besaßen die Handwerker in der<br />
Regel landwirtschaftliche Güter, die sie<br />
bewirtschafteten. Handwerk und Landwirtschaft<br />
waren eng miteinander verbunden.<br />
Immerhin aber bot das Handwerk<br />
ein zusätzliches Einkommen, das besonders<br />
dort von Bedeutung war, wo die<br />
Landwirtschaft keine ausreichende Ernährungsgrundlage<br />
(mehr) bot.<br />
Erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts<br />
zeichneten sich ein allmählicher<br />
Wandel und eine Umstrukturierung ab.<br />
Die zunehmende Industrialisierung des<br />
Neckartals um Heilbronn bot auch den<br />
Menschen in <strong>Cleversulzbach</strong> neue Erwerbsmöglichkeiten.<br />
1895 waren zwar<br />
noch mehr als drei Viertel der Erwerbstätigen<br />
der Gemeinde in der Landwirtschaft<br />
beschäftigt, beinahe 20 Prozent aber bereits<br />
in der Industrie. Die Bürgerliste führt<br />
neben den zahlreichen Bauern und den<br />
Vertretern der Handwerksberufe eine<br />
Reihe von (Fabrik)arbeitern auf. Von den<br />
zwischen 1865 und v.a. zwischen 1882<br />
und 1910 Geborenen waren 21 (Fabrik)arbeiter,<br />
inkl. einem Telegraphenarbeiter. 16<br />
Diese pendelten nach Heilbronn, Neckarsulm<br />
und seit den 1920er Jahren auch<br />
nach Neuenstadt, wo die Nährmittelfabrik<br />
als erster größerer Arbeitgeber entstanden<br />
war. Für einen Teil der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
waren damit erstmals Wohn- und Arbeitsort<br />
örtlich getrennt. Einige unter ihnen<br />
verließen mit der Zeit ihre Heimat und zogen<br />
an den Arbeitsort.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die<br />
bestehenden Handwerks- und Handelsbe-
triebe um den Fortbestand ihres Geschäftes<br />
nachsuchen. Auch einige neue Unternehmen<br />
entstanden. Zum 1. Oktober 1947<br />
gab es im Dorf elf Handwerks- und einen<br />
einzigen Handelsbetrieb, nämlich den Gemischtwarenladen<br />
von Gottlob Korb, der<br />
seit 1910 bestand. 17 Vom Handwerk waren<br />
zwei Schuhmacher, Wilhelm Apfelbach<br />
und Emil Heiß, vertreten. Eine Zeitlang<br />
gab es sogar eine dritte Werkstatt. Obwohl<br />
streitig war, ob in der kleinen Gemeinde<br />
mit damals 558 Einwohnern tatsächlich<br />
Bedarf vorhanden war, erhielt der<br />
aus Bessarabien stammende, bei einem<br />
Schuhmacher in Brettach angestellte<br />
Christian Arlt im Juli 1948 eine Gewerbeerlaubnis.<br />
Die Gemeinde und der Verband<br />
deutscher Umsiedler aus Bessarabien und<br />
der Dobrudscha befürworteten seinen Antrag.<br />
Das Angebot ergänzten die Schmiede<br />
von Friedrich Birk in der Eberstädter<br />
Straße, die Anfang der 1950er Jahre eine<br />
Tankstelle eröff nete, die zwei nach dem<br />
Ersten Weltkrieg gegründeten Wagnereien<br />
von Ludwig Spahmann in der Unteren<br />
Gasse und von Wilhelm Rüber in der<br />
Brettacher Straße (hier steht heute die<br />
Bäckerei Discher) und die Küferei von August<br />
Bordt, der die Werkstatt von seinem<br />
Vater Karl übernommen hatte. Er hatte<br />
zugleich eine Autovermietung, besaß ein<br />
Auto und einen Lkw und übernahm die<br />
Milchtransporte. Die Zahl der neu gegründeten<br />
Fuhr unter neh mungen war nach<br />
Kriegsende im Landkreis Heilbronn<br />
sprunghaft angestiegen. Im April 1947<br />
waren 175 Pferde- und etwa<br />
175 Autofuhrunternehmungen zugelassen,<br />
wäh rend es im Jahr 1936 gerade einmal<br />
60 bis 80 im gesamten Stadt- und<br />
Landkreis Heilbronn waren. 18 In der Trümmerbeseitigung<br />
und im Wiederaufbau gab<br />
es neue Aufgabenbereiche, die so vor dem<br />
Krieg nicht bestanden hatten, und den<br />
Einsatz in der Landwirtschaft sowie die<br />
herkömmlichen Waren- und Personen-<br />
transporte ergänzten. Ein ähnliches Bild<br />
zeichnete sich in <strong>Cleversulzbach</strong> ab. Im<br />
April 1947 wollte Landwirt Wilhelm Pfeffer<br />
ein eigenes Unternehmen eröff nen. Er<br />
war bis dahin im Auftrag der Spar- und<br />
Darlehenskasse tätig und hatte mit deren<br />
Holzgastraktor Lohnfuhren gemacht. In<br />
der Landwirtschaft fand auch Wilhelm<br />
Kaldun hauptsächlich seine Kundschaft.<br />
Seine Familie stammte ursprünglich aus<br />
Bessarabien, musste fl üchten und war<br />
über Umwege im Frühjahr 1946 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gelandet. Das Pferdefuhrwerk<br />
gehörte zu dem wenigen, was die Familie<br />
von ihrem Hab und Gut retten konnte.<br />
Damit gründete er ein Lohnfuhrunternehmen<br />
und half den Bauern beim Bestellen<br />
ihrer Felder. Als zunehmend der technische<br />
Fortschritt auch in der Landwirtschaft<br />
einzog und ein Traktor nach dem<br />
anderen ins Dorf kam, wurden Kalduns<br />
Pferdestärken nicht mehr gebraucht. Er<br />
verkaufte seine Pferde und arbeitete<br />
fortan bei der Stadt Neuenstadt. Später<br />
betrieb auch der in der Hohlgasse lebende<br />
Erich Herrmann ein Fuhrunternehmen<br />
und brachte die Milch von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zur Molkerei in Neuenstadt.<br />
Die Gemeinde befürwortete in den meisten<br />
Fällen neue Betriebe, denn die im Ort<br />
lebenden Neubürger – Vertriebene und<br />
Flüchtlinge, Evakuierte etc. –, sollten rasch<br />
in Brot und Arbeit gebracht und die Wirtschaft<br />
wieder aufgebaut werden. Als problematisch<br />
erwiesen sich aber die Bedingungen<br />
für die Zulassung als selbständiger<br />
Handwerksbetrieb. So scheiterte die<br />
dauerhafte Betriebsgenehmigung oftmals<br />
an der fehlenden Meisterprüfung. Durch<br />
die in den Nachkriegsjahren neu entstandenen<br />
Betriebe verbreiterte sich das Waren-<br />
und Dienstleistungsangebot für die<br />
Dorfbevölkerung. Mit Christian Lumpp<br />
gab es wieder einen eigenen Schneider am<br />
Ort. Er stammte aus <strong>Cleversulzbach</strong>, hatte<br />
in Brettach eine Schneiderlehre absolviert<br />
189
190<br />
und zuletzt bis zum Kriegsausbruch als<br />
Geselle in Marburg und Mannheim gearbeitet.<br />
Mit Kriegsende kam er in die Heimat<br />
zurück und machte sich als Herrenschneider<br />
selbständig. Aus dem ausgebombten<br />
Mannheim war auch Lina Neumann<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> gekommen, wo<br />
sie eine Damenschneiderei aufmachte.<br />
Gerade Schneider- und Schuhhandwerk<br />
waren diejenigen Handwerke, in denen<br />
sich viele Neubürger nach dem Krieg eine<br />
neue Existenz aufzubauen versuchten.<br />
Denn hier musste relativ wenig investiert<br />
werden, während etwa eine Bäckerei oder<br />
ein Industriebetrieb ein hohes Einstiegskapital<br />
erforderten. Erstmals gab es nun<br />
auch ein Maler- und Tapeziergeschäft, das<br />
von dem Neubürger Herbert Zühlsdorf,<br />
der aus Stargard in Pommern stammte,<br />
eröff net wurde. 1949 begann Johann<br />
Huss, Maurer- und Gipserarbeiten nach<br />
Feierabend zu erledigen, und im darauffolgenden<br />
Jahr machte Karl Schäfer, der<br />
im Krieg in Stuttgart-Botnang ausgebombt<br />
worden war, eine Gärtnerei auf.<br />
Wie seine Tochter Anneliese Keller erzählt,<br />
kam er nach <strong>Cleversulzbach</strong>, weil seine<br />
Tante als Köchin im Pfarrhaus beschäftigt<br />
war. Karl Schäfer begann damit, sein<br />
selbst angebautes Gemüse auf dem Markt<br />
in Heilbronn zu verkaufen, dann auch die<br />
dortigen Lebensmittelgeschäfte zu beliefern.<br />
Später hatte er einen kleinen Laden<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> (hinter dem heutigen<br />
Laden der Bäckerei Discher). Dieser bestand<br />
bis 1990; die Gebäude wurden inzwischen<br />
abgerissen. Die Tochter Anneliese<br />
Keller führt in der Seestraße 7 den<br />
Betrieb im Kleinen weiter.<br />
Dies alles waren kleine Betriebe, in denen<br />
allenfalls die Familienmitglieder mithalfen.<br />
Nennenswerte Arbeitsplätze gab es<br />
am Ort nicht. Viele fuhren täglich nach<br />
auswärts zur Arbeit. Anfang Oktober 1948<br />
waren es 46 Männer und Frauen aus <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
die zu ihrem Arbeitsplatz<br />
auspendelten, darunter 31 nach Neuenstadt,<br />
sechs nach Neckarsulm und vier<br />
nach Heilbronn. Andere pendelten nach<br />
Eberstadt, Jagstfeld, Kochertürn oder<br />
Haßmersheim. Die wichtigsten Arbeitgeber<br />
für die <strong>Cleversulzbach</strong>er waren die<br />
Nährmittelwerke in Neuenstadt, wo<br />
hauptsächlich Frauen Arbeit fanden, und<br />
die NSU-Werke in Neckarsulm. Aber auch<br />
andere Neuenstädter Betriebe, wie die<br />
Kürschnerei Lumpp, die Fa. Holzwaren<br />
Maier und die Stadtverwaltung, boten einigen<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>ern einen Arbeitsplatz.<br />
19<br />
Pendler <strong>Cleversulzbach</strong>, Oktober 1948<br />
Heilbronn 4<br />
Neckarsulm 6<br />
Neuenstadt 31<br />
Eberstadt 1<br />
Kochertürn 1<br />
Jagstfeld 2<br />
Haßmersheim 1<br />
Das „Pendlerproblem“ war für den Heilbronner<br />
Landrat Eduard Hirsch eines der<br />
drängendsten zu Beginn der 1950er Jahre.<br />
Ihm war sehr daran gelegen, „den Menschen<br />
zu seinem Arbeitsplatz zu bringen“.<br />
20 Die Situation war dadurch ziemlich<br />
angespannt, dass die dem Landkreis zugewiesenen<br />
Heimatvertriebenen in erster Linie<br />
nach Wohngesichtspunkten auf die<br />
Gemeinden verteilt worden waren. Besonders<br />
viele waren in den unzerstörten,<br />
meist ländlich strukturierten Gemeinden<br />
untergekommen, die außer in der Landwirtschaft<br />
keine Arbeitsplätze bieten<br />
konnten. Sie waren zum Pendeln gezwungen,<br />
wenn sie eine Arbeit in Gewerbe oder<br />
Industrie gefunden hatten. Besonders<br />
viele strömten nach Neckarsulm, das sehr<br />
stark steigende Einpendlerzahlen aufzuweisen<br />
hatte. Eine Lösung des Problems<br />
fand man dort durch den Bau der neuen
Siedlung im „Amorbacher Feld“. Wie im<br />
Kreisgebiet hatte sich auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
die Zahl der Pendler erhöht. Im September<br />
1950 wurden bereits 70 Auspendler<br />
gezählt – dies war mehr als ein Fünftel<br />
der Erwerbstätigen –, während nur ein<br />
einziger zur Arbeit in die Gemeinde einpendelte.<br />
Ein weiterer Ansatz, die Pendlerströme<br />
einzudämmen, war, die Niederlassung<br />
ansiedlungswilliger Unternehmen zu<br />
fördern. 21 Die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
selbst wurde zwar nicht als vorrangiger<br />
Raum für eine Gewerbe- oder Industrieansiedlung<br />
angesehen 22 , trotzdem ließen<br />
sich auch hier in den Nachkriegsjahren<br />
neue Firmen nieder. Manchmal blieb es<br />
aber auch beim Versuch.<br />
Die Familie Weber etwa war kriegsbedingt<br />
aus dem Bergischen Land ins Dorf<br />
gekommen. Vater und Sohn, Ingenieur<br />
bzw. Mechanikermeister, wurden auf die<br />
Gipsvorkommen im Grenzbereich zu<br />
Brettach aufmerksam und begannen, dort<br />
ein Gipswerk aufzubauen. 23 Noch bevor<br />
der erste Gips gefördert werden konnte,<br />
nahte das Ende des Unternehmens: 1952<br />
kam es zur Zwangsversteigerung. Aus den<br />
großen Plänen der Webers wurde leider<br />
nichts. Auch Alois Czechowski, ein so genannter<br />
Ostzonenfl üchtling, kam über die<br />
Anfänge nicht hinaus. Er plante einen<br />
größeren Betrieb am Ort und wollte bis<br />
zu 50 Arbeitsplätze schaff en. 24 Czechowski<br />
soll in Potsdam-Babelsberg eine Bekleidungs-<br />
und Polsterwarenfabrik besessen<br />
haben, die enteignet worden sein soll.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> wollte er einen Neuanfang<br />
wagen und mit seinem Know-how<br />
und seinen Erfahrungen eine Polsterwarenfabrik<br />
neu aufbauen. Er war in Kontakt<br />
mit dem Polsterer Werner Hübener,<br />
der in der Eberstädter Straße 129 eine<br />
Werkstatt betrieb. Czechowski wollte das<br />
Geschäft übernehmen und beabsichtigte,<br />
eine neue Werkhalle auf dem Grundstück<br />
zu bauen. Im Sommer 1952 war die Pro-<br />
duktion in <strong>Cleversulzbach</strong> in kleinerem<br />
Rahmen bereits aufgenommen, im November<br />
versuchte er, seinen Betrieb in<br />
Möckmühl („Unterländer Polsterwerkstätten“)<br />
zu erweitern, aber bereits 1955 war<br />
das Konkursverfahren gegen ihn im<br />
Gange. Beim Versuch blieb es auch im<br />
Falle von dem in Hagen in Westfalen geborenen<br />
August Burgmann, der im Januar<br />
1948 die Eröff nung einer mechanischen<br />
Werkstätte am Ort geplant hatte. Dort<br />
wollte er seine langjährigen Erfahrungen<br />
einbringen, die er bei verschiedenen im<br />
Maschinen- und Fahrzeugbau tätigen Firmen<br />
sowie in seinem eigenen Entwicklungsbüro<br />
gesammelt hatte. 25<br />
In dem Maße, wie die Technisierung und<br />
Motorisierung der Landwirtschaft fortschritt,<br />
verschwanden die alten Handwerksberufe.<br />
Seit Mitte der 1950er Jahre<br />
waren von diesem Prozess betroff en: Wagner,<br />
Küfer, Schmied oder Sattler, die immer<br />
weniger benötigt wurden, wenn sie<br />
sich nicht rechtzeitig den neuen Gegebenheiten<br />
angepasst und sich neuen Berufszweigen<br />
zugewandt hatten. Aus dem<br />
Schmied wurde etwa ein Schlosser, Kfz-<br />
oder Landmaschinenmechaniker. So auch<br />
im Fall des Schmiedebetriebs Birk, der<br />
nach dem Tod des Inhabers zwar von seiner<br />
Frau noch eine Zeitlang im Kleinen<br />
weitergeführt wurde. Die Söhne jedoch,<br />
die noch das Schmiedehandwerk im väterlichen<br />
Betrieb erlernt hatten, passten<br />
sich den veränderten Rahmenbedingungen<br />
an und wandten sich Automobil- und<br />
Maschinenbau zu.<br />
Seit Beginn der 1960er sorgte ein Thema<br />
für große Aufregung in unserem Raum:<br />
die geplante Einrichtung einer Ölraffi nerie<br />
im Lohwald zwischen Kochertürn und<br />
Oedheim. Die baden-württembergische<br />
Landesregierung, die das Ziel verfolgte, im<br />
nördlichen Landesteil einen derartigen Betrieb<br />
anzusiedeln, hatte den Standort ins<br />
Spiel gebracht. Die Menschen lehnten das<br />
191
192<br />
Vorhaben vehement ab. Wenn damit auch<br />
der eine oder andere Arbeitsplatz neu<br />
hätte geschaff en werden können, war die<br />
Angst vor gesundheitlichen Gefährdungen<br />
der Menschen und schädlichen Auswirkungen<br />
auf die Umwelt groß. Die „Interessengemeinschaft<br />
der Raffi neriegefährdeten<br />
im Kochertal und Umgebung“ vertrat<br />
die Gegner, und erst zum Jahresende 1974<br />
war das Projekt schließlich endgültig vom<br />
Tisch. Gegen den Widerstand der beiden<br />
hauptsächlich betroff enen Gemeinden<br />
war es nicht zu realisieren. Wenig später<br />
erschütterte die Audi-Krise die gesamte<br />
Region, als Mitte der 1970er Jahre die<br />
Konzernmutter Volkswagen verkündete,<br />
die drei Audi-NSU-Werke in Neckarsulm,<br />
Neuenstein und Heilbronn schließen zu<br />
wollen. Die Mitarbeiter demonstrierten,<br />
und schließlich konnte zumindest der<br />
Standort Neckarsulm mit über 6.000 Beschäftigten<br />
gerettet werden. Der Arbeitsplatz<br />
einiger <strong>Cleversulzbach</strong>er war damit<br />
gerettet.<br />
Betriebe in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Heute ist <strong>Cleversulzbach</strong> ein beliebter<br />
Wohnort, nur die wenigsten haben allerdings<br />
hier ihren Arbeitsplatz. Der Ort weist<br />
einige wenige Unternehmen aus dem produzierenden<br />
Sektor und dem Handels-<br />
und Dienstleistungsbereich auf. Vertreten<br />
sind Maschinenbau, Autoreparatur- und<br />
Reifenservicebetriebe, Gartenbaubetriebe<br />
und ein in Neuenstadt angesiedelter<br />
Akten vernichtungsbetrieb, der die alte<br />
Dresch halle nutzt. Die Volksbank Möckmühl-Neuenstadt<br />
ist die einzige Bank, die<br />
vor Ort noch eine Zweigstelle unterhält.<br />
Wenn auch der Handel – wie heutzutage<br />
in einem kleinen Dorf üblich – nur wenig<br />
ausgeprägt ist, hat sich <strong>Cleversulzbach</strong> mit<br />
einigen Besonderheiten einen Namen gemacht:<br />
Antiquitäten, Flügel und Klaviere<br />
und neuerdings Glas kann man im Dorf<br />
kaufen. Eine Reihe von Unternehmen ist<br />
im Dienstleistungsbereich tätig: der Buchführungs-<br />
und Wirtschaftsberatungsbetrieb<br />
Last, mehrere Betriebe im Bereich<br />
Vermittlung von Immobilien und Versicherungen.<br />
Oftmals werden letztere als Nebenbeschäftigung<br />
betrieben. Werfen wir<br />
einen Blick auf einige dieser Betriebe:<br />
Birk Maschinenbau, Firmeninserat 1996<br />
Birk Maschinenbau <strong>GmbH</strong> & Co. KG<br />
Der Betrieb, der erste im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Gewerbegebiet, ist der größte Arbeitgeber<br />
am Ort mit derzeit elf Mitarbeitern. Er<br />
wurde 1958 von Erich Birk gegründet, der<br />
bei seinem Vater das Schmiedehandwerk<br />
erlernt hatte und danach bei der Maschinenbaufabrik<br />
Paul Böhringer in Oedheim<br />
tätig war, die sich auf Steinbe- und -verarbeitung,<br />
später auch Recyclingtechnik,<br />
spezialisiert hatte. Kaum den Meisterbrief<br />
in der Tasche (1956), machte sich Erich<br />
Birk selbständig und gründete sein Maschinenbauunternehmen,<br />
das zunächst<br />
vier Mitarbeiter beschäftigte. Damit<br />
wurde auch die Trennung vom väterlichen<br />
Betrieb vollzogen, wo zuvor schon kleine<br />
Förderbänder und Geräte für die Landwirtschaft<br />
hergestellt worden waren. In<br />
einer neuen Werkhalle im „Gänsegarten“<br />
begann er mit der Produktion von Förderbandanlagen<br />
für Steinbrüche und wurde<br />
bis Anfang der 1980er Jahre zu einem<br />
wichtigen Lieferanten der damals international<br />
ausgerichteten Firma Böhringer.<br />
Heute liegt der Betrieb in den Händen der<br />
Söhne Helmar und Hartmut Birk, die 1982<br />
bzw. 1986 in das Unternehmen eintraten<br />
und es bis zum Tod des Vaters (2003) gemeinsam<br />
führten. 2004 erfolgte die Umwandlung<br />
in eine Kommanditgesellschaft;
Geschäftsführer sind Hartmut und Helmar<br />
Birk. Bis heute liegt der Schwerpunkt auf<br />
der Herstellung von Förderbandanlagen<br />
und Becherwerken für die Steine- und Erdenindustrie,<br />
für Recyclinganlagen und<br />
Erntemaschinen.<br />
Lorenz Mechanische Werkstatt <strong>GmbH</strong><br />
In der Katzenbergstraße 19 ist die 1977<br />
gegründete Mechanische Werkstatt Lorenz<br />
angesiedelt. Inhaber sind Günther<br />
und Gerlinde Lorenz (geb. Birk). Die Wurzeln<br />
liegen im Betrieb des Vaters Friedrich<br />
Birk (jun.), der seine Ausbildung in der väterlichen<br />
Schmiedewerkstatt gemacht<br />
hatte, ein paar Jahre bei NSU beschäftigt<br />
war und sich schließlich mit einem Schlossereibetrieb<br />
selbständig machte. 1952 begann<br />
er in einer Scheune in der Mittleren<br />
Straße mit der Produktion von Kfz-Zubehörteilen<br />
– zunächst nur nach Feierabend.<br />
Als der Platz dort nicht mehr ausreichte,<br />
erwarb er die alte Dreschhalle am Ortsausgang<br />
(1972). 26 Gefertigt wurden verschiedene<br />
Schweißteile, u. a. Gepäckträger<br />
für NSU-Motorräder. Die Firma, die auch<br />
Stanzarbeiten erledigte und im Behälterbau<br />
tätig war, entwickelte sich zu einem<br />
Zulieferer nicht nur der Automobilindustrie<br />
und beschäftigte ca. 10 Mitarbeiter.<br />
Als Friedrich Birk in Rente ging, übernahm<br />
seine Tochter Gerlinde mit ihrem Mann,<br />
der einen selbständigen Betrieb für Reparatur-<br />
und Montagearbeiten hatte, den<br />
Betrieb, den sie in den 1990ern in einen<br />
Neubau im Gewerbegebiet verlegten.<br />
Heute fi ndet dort keine Produktion mehr<br />
statt, die Firma handelt mit Gitterboxen,<br />
Europaletten und verschiedenen Ge-<br />
brauchtmaschinen, und verleiht Hebe-<br />
und Arbeitsbühnen. Der Großteil der<br />
Räume ist an verschiedene Firmen überwiegend<br />
zu Lagerzwecken vermietet.<br />
Schweikert Automation<br />
Schweikert Automation <strong>GmbH</strong><br />
Der Betrieb wurde im Jahr 2000 gegründet.<br />
Der aus dem Weinsberger Tal stammende<br />
Ralf Schweikert hat sich auf den<br />
Handel mit Gebrauchtrobotern und Automatisierungslösungen<br />
spezialisiert mit einem<br />
großen Lagerbestand in der Katzenbergstraße<br />
19. Sein Kundenkreis besteht<br />
hauptsächlich aus kleinen und mittleren<br />
Firmen. In den angemieteten Räumlichkeiten<br />
sind derzeit vier Mitarbeiter beschäftigt.<br />
Seit Februar 2010 ist <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zudem Produktionsstandort für Puffer-<br />
und Wärmespeicher der STG <strong>GmbH</strong><br />
(Speichertechnik) in Werbach. In diesem<br />
Bereich sind aktuell fünf Mitarbeiter tätig.<br />
Friseursalon Ana Bräuninger<br />
Als Ana Bräuninger nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
kam, gab es keinen Friseursalon am Ort.<br />
Seit Beginn der 1950er Jahre hatten zwar<br />
Friseure ein Gewerbe angemeldet, diese<br />
waren jedoch nur nebenberufl ich nach<br />
Feierabend für ihre Kunden da und gaben<br />
bald ihren Betrieb wieder auf. Dazu zählten<br />
Kurt Bordt und Irma Herrmann in der<br />
Mittleren Gasse bzw. Unteren Straße. Ana<br />
Bräuninger stammt aus Kroatien und hat<br />
193
194<br />
Friseursalon Ana Bräuninger<br />
dort ihre Ausbildung absolviert. Sie hat<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> geheiratet und 1980<br />
vor der Handwerkskammer Heilbronn ihre<br />
Meisterprüfung abgelegt. Danach machte<br />
sie sich selbständig und eröff nete einen<br />
Friseursalon unten im eigenen Haus in der<br />
Schubartstraße 3, wo sie seit nunmehr gut<br />
30 Jahren tätig ist. Derzeit beschäftigt sie<br />
eine Mitarbeiterin.<br />
Die Reitanlage Cleve-Rich-Ranch<br />
Cleve-Rich-Ranch<br />
Aus dem Aussiedlerhof Haselhof wurde<br />
die Cleve-Rich-Ranch. Jürgen Fischer, selber<br />
kein „Clevericher“, sondern Neckarsulmer,<br />
erwarb den Hof 1995 und verwandelte<br />
ihn in eine Reitanlage mit Reiterstüble,<br />
die 1997 noch um eine Reithalle<br />
erweitert wurde. Die Anlage spricht vor<br />
allem Westernreiter an und bietet haupt-<br />
sächlich eine Pferdepension. Außer der<br />
Möglichkeit für Reiter, ihr Pferd unterzustellen,<br />
werden auch Reitbeteiligungen<br />
vermittelt, und seit kurzem wird auch so<br />
genanntes Rindertraining angeboten:<br />
Pferd und Reiter üben sich in der Arbeit<br />
mit Rinderherden. Ein weiteres Standbein<br />
ist das Wanderreiten: Die Cleve-Rich-<br />
Ranch bietet Wanderreitern eine Unterkunft<br />
und organisiert auch selbst Touren.<br />
Bei verschiedenen USA-Reisen ist Fischer<br />
auf den Geschmack gekommen und hat<br />
mit dem Haselhof sein Hobby zum Beruf<br />
gemacht. Als Nebenbeschäftigung übernimmt<br />
Fischer, der gelernter Zimmermann<br />
ist, aber auch noch kleinere Aufträge im<br />
Holzbau.<br />
Das Antiquitätengeschäft Birchall<br />
Antik <strong>Cleversulzbach</strong><br />
1975 erwarb der aus Stockton-on-Tees im<br />
Nordosten Englands stammende John<br />
Birchall das ziemlich heruntergekommene<br />
Haus in der Eberstädter Straße 4. Der gelernte<br />
Schreiner und Hobbymusiker war<br />
auf der Suche nach einem alten Haus auf<br />
dem Land, das er renovieren konnte, und<br />
wollte eigentlich einen Schallplattenversandhandel<br />
aufmachen. Noch während
der Renovierungsarbeiten begann er aber<br />
mit dem Handel mit „Antiquitäten und<br />
Kuriositäten“, so die Formulierung in seiner<br />
Gewerbeanmeldung. Er und seine Frau<br />
Edda sanierten mit viel Aufwand das<br />
Fachwerkhaus, das seitdem wieder in<br />
neuem Glanz erstrahlt, und erwarben im<br />
Lauf der Zeit weitere Häuser nebenan bzw.<br />
gegenüber, die sie ebenfalls renovierten.<br />
Die notwendigen Restaurierungsarbeiten<br />
an den zum Verkauf kommenden Möbeln<br />
nahm Birchall selbst in der eigenen Werkstatt<br />
vor. Außer allerhand Möbeln wie Tischen,<br />
Stühlen, Kommoden oder Sekretären<br />
wurde eine große Auswahl an Silberwaren,<br />
Stand-, Wand- und Kaminuhren<br />
angeboten. Bald wurde das beschauliche<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> zu einem Zentrum für Antiquitäten,<br />
das zahlreiche Kunden und Besucher<br />
aus einem weiten Umkreis anzog.<br />
Heute präsentiert sich das Geschäft in drei<br />
großen Häusern mit 1500 m² Verkaufsfl äche.<br />
Neben Antiquitäten sind inzwischen<br />
auch so genannte Boknäs-Regalsysteme<br />
erhältlich, die in Finnland nach traditionellem<br />
Handwerksverfahren aus Birkenholz<br />
hergestellt werden.<br />
Shirley's Antiquitäten<br />
Shirley’s Antiquitäten<br />
Dass <strong>Cleversulzbach</strong> sich nicht nur einen<br />
Namen als Mörike-Dorf, sondern auch als<br />
Antiquitätenzentrum gemacht hat, dazu<br />
trug und trägt auch die Britin Shirley<br />
Anne Lawes bei, die sich zusammen mit<br />
ihrem Mann Edward Norman Lawes<br />
(„Ted“) 1977 im Dorf niederließ. Die beiden<br />
eröff neten 1979 einen „Einzelhandel<br />
mit Antiquitäten und Kuriositäten“, nachdem<br />
sie zunächst wenige Monate lang<br />
eine Einkaufspartnerschaft mit John<br />
Birchall hatten. Unter dem Namen<br />
„Shirley's Antiquitäten“ wurde ein eigenes<br />
Geschäft eröff net, dessen Ausstellungs-<br />
und Verkaufsräume ganz zentral im pachtweise<br />
überlassenen Schulhaus neben der<br />
St.- Jost-Kirche lagen, das bis 1974 noch<br />
schulischen Zwecken gedient hatte. Die<br />
Geschäfte liefen so gut, dass bereits Ende<br />
1985 ein weiteres Gebäude in der Eberstädter<br />
Straße 3 bezogen wurde. Heute<br />
lebt und arbeitet Shirley, wie sie alle im<br />
Dorf nur nennen, eher etwas versteckt in<br />
der Kieshofstraße 16. Hier wurde ein ehemaliges<br />
landwirtschaftliches Anwesen renoviert<br />
und umgebaut und in Wohn- und<br />
Geschäftsräume umgewandelt. Zum Sortiment<br />
gehören vor allem Möbel, Leuchter,<br />
Silberwaren und Porzellan – nicht nur aus<br />
England. Über die Jahre hinweg hat sich<br />
das Geschäft einen weitreichenden Kundenkreis<br />
aufgebaut, der Shirley's Aktivitäten<br />
zu schätzen gelernt hat. Was nur für<br />
die Wochenenden sein sollte, währt nun<br />
seit gut drei Jahrzehnten und hat das Dorf<br />
maßgeblich geprägt.<br />
Glashaus<br />
Nachdem der „Alte Turmhahn“ über Jahre<br />
leer gestanden hatte, fand das stattliche<br />
Gebäude an der Kreuzung der Neuenstädter<br />
und Brettacher Straße im Dezember<br />
2010 endlich einen Käufer. Es wird inzwischen<br />
von einem jungen portugiesisch-<br />
195
196<br />
mexikanischen Ehepaar, das aus Bad Friedrichshall<br />
zugezogen ist, als Wohn- und Geschäftshaus<br />
genutzt. Im Erdgeschoss, wo<br />
früher Margarete Seebold ihre Gäste bewirtete,<br />
wurden eine kleine Werkstatt und<br />
ein Laden eingerichtet und im April 2011<br />
der Betrieb eröff net. Die Inhaberin, die aus<br />
Mexiko stammende Juana Martinez, hat<br />
ihr Hobby zum Beruf gemacht und stellt<br />
hier selber Glasperlen her, die sie zu<br />
Schmuck- und Dekorationsartikeln weiterverarbeitet.<br />
Die dafür benötigten Farbglasstäbe<br />
bezieht sie von der italienischen<br />
Glasinsel Murano und der Farbglashütte<br />
Lauscha in Thüringen. Nebenan im Laden<br />
werden nicht nur die selbst gefertigten<br />
Produkte (Ohrringe, Armbänder, Ketten<br />
etc.) verkauft, sondern auch eine Reihe<br />
von dekorativen Glasartikeln, z. B. Schalen,<br />
Vasen oder Rosenkugeln. Für das Geschäft<br />
ist die Lage an der stark befahrenen<br />
Durchgangsstraße ideal – schon von weitem<br />
machen die bunten Rosenkugeln auf<br />
den Laden aufmerksam.<br />
Piano-Studio Albrecht Kuttruf<br />
Der Betrieb von Albrecht Kuttruf befi ndet<br />
sich im elterlichen landwirtschaftlichen<br />
Anwesen in der Kieshofstraße 6. Wo früher<br />
der Stall war, sind heute Ausstellungsraum<br />
und Werkstatt. Der Klavierbaumeister<br />
hatte zunächst eine Ausbildung zum Feinblechner<br />
absolviert und auch kurze Zeit in<br />
1 Württembergische Gemeindestatistik 1895<br />
2 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 59<br />
3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CA 146<br />
4 LKA Stuttgart MF 2146<br />
5 Lagerbuch HStAS H 101/45 Bd. 1348<br />
6 Lagerbuch HStAS H 101/45 Bd. 1346<br />
7 StA Ludwigsburg E 17 Bü. 65, GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125<br />
Gewerbekataster 1823.<br />
8 Eduard Mörike. Werke und Briefe. Bd. 12: Briefe 1833–<br />
1838. Stuttgart 1986, S. 264 f.<br />
9 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 159<br />
10 KA Heilbronn Nr. 6615; StA Ludwigsburg EL 902/12 Bü.<br />
2559.<br />
11 HStAS H 101/45 Bd. 1315 (1747), Bl. 346 v.<br />
12 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125<br />
13 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160 Bürgerliste<br />
14 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 149 Schätzungsprotokoll Brandversicherung<br />
1853<br />
diesem Beruf gearbeitet. Dann machte er<br />
seine Neigung zum Beruf – er spielte aushilfsweise<br />
Orgel in der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Kirche – und begann eine zweite Ausbildung<br />
zum Klavierbauer in einem Betrieb in<br />
Schorndorf. Nachdem er 1983 die Meisterprüfung<br />
abgelegt hatte, eröff nete er im<br />
darauff olgenden Jahr seinen eigenen Betrieb<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Tätigkeit des<br />
Piano-Studios besteht hauptsächlich in<br />
Reparaturarbeiten an Klavieren und Flügeln,<br />
die von kleineren Instandsetzungen<br />
bis zu großen Generalüberholungen reichen,<br />
und in Stimmarbeiten, die Kuttruf in<br />
der ganzen Region durchführt. Bei Albrecht<br />
Kuttruf kann man aber auch gebrauchte<br />
oder neue Instrumente erwerben.<br />
15 KA Heilbronn Nr. 6615<br />
16 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160 Bürgerliste<br />
17 KA Heilbronn Nr. 6728<br />
18 Monika Kolb, Flüchtling, Neubürger, Unterländer. Aufnahme<br />
und Eingliederung der Vertriebenen im Landkreis<br />
Heilbronn zwischen 1945 und 1953. Heilbronn 1990, S.<br />
218 f.<br />
19 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CA 358<br />
20 Monika Kolb, Flüchtling, Neubürger, Unterländer. Aufnahme<br />
und Eingliederung der Vertriebenen im Lkr. Heilbronn<br />
zwischen 1945 und 1953. Heilbronn 1990, S. 244.<br />
21 KA Heilbronn Nr. 6977<br />
22 KA Heilbronn Nr. 4578<br />
23 KA Heilbronn Nr. 4926<br />
24 KA Heilbronn Nr. 5116<br />
25 KA Heilbronn Nr. 6615<br />
26 Volksbank Möckmühl-Neuenstadt eG: Inventarverzeichnis<br />
Spar- und Darlehenskasse <strong>Cleversulzbach</strong>.
Metzger, Bäcker und Kolonialwaren:<br />
Einkaufen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
nahezu vollständig bäuerlich geprägte<br />
Dorfbevölkerung war im Wesentlichen<br />
Selbstversorger und stellte die meisten<br />
Dinge des täglichen Bedarfs selbst her.<br />
Nur bei wenigen Artikeln, wie zum Beispiel<br />
Salz, Gewürzen, Petroleum, Kerzen<br />
oder Geschirr, war man auf Krämer, Hausierhändler<br />
oder Ladengeschäfte angewiesen.<br />
Eine Reihe von Waren konnte man<br />
aber auch auf den Jahrmärkten in Neuenstadt<br />
und Brettach kaufen.<br />
Anfang des 19. Jahrhunderts war es um<br />
die Versorgungssituation in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nicht allzu gut bestellt. Es gab einen<br />
Kramladen, der wohl schon länger bestand,<br />
dem aber wegen der fehlenden fi -<br />
nanziellen Mittel der Inhaber die Aufgabe<br />
drohte. In dieser Situation beabsichtigte<br />
1807 Johann Christoph Hörmann eine<br />
„Krämerei im Kleinen“ zu eröff nen, um<br />
den Bürgern die „nothwendigsten Specerey-Artikel“<br />
wie Gewürze, Tabak, Öl, Seife<br />
oder Salz anbieten zu können. Die Gemeinde<br />
befürwortete dies, damit man zumindest<br />
die alltäglichsten Dinge am Ort<br />
besorgen konnte und nicht für jede Kleinigkeit<br />
nach auswärts gehen musste. 1 Wenige<br />
Jahrzehnte später gab es eine Reihe<br />
von Klein- oder Hausierhändlern. 1823<br />
sind Jakob Keller und Georg Salzer genannt;<br />
2 letzterer handelte auch mit Tabak.<br />
3 Die aus Untereisesheim stammende<br />
Witwe des Christof Kuttruff , die 1831 das<br />
Bürgerrecht erhalten hatte, trieb Kramhandel<br />
ebenso wie Gottlieb Schick, der<br />
1813 in Hölzern geboren worden war und<br />
1840 das Bürgerrecht erworben hatte. Er<br />
war blind und stand „im öff entlichen Almosen“,<br />
er konnte also seinen Lebensunterhalt<br />
nicht selbst bestreiten und musste<br />
von der Gemeinde unterstützt werden.<br />
Sein Sohn Ludwig setzte die Tradition fort.<br />
Meistens wurde das Gewerbe im Nebenerwerb<br />
betrieben und war eine zusätzliche<br />
Einkommensquelle. Auch Schneider Johann<br />
Wiedmann scheint noch mit Bierhefe,<br />
Butter, Eiern, Seife, Zichorien und<br />
Reis gehandelt zu haben. Wegen seiner<br />
Krankheit wurden die Geschäfte 1851 auf<br />
seine Frau Catherina übertragen, die diesen<br />
Handel als Hausiererin betrieb. Sie war<br />
eine von vielen, die bis in die Zeit nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg mit allerlei Waren<br />
auf Reisen ging, um ihren Unterhalt oder<br />
zumindest einen Zuverdienst durch den<br />
Hausierhandel zu verdienen. Nachdem ihr<br />
Mann gestorben war und sie sich wieder<br />
verheiratet hatte, wurde ihr Gesuch um<br />
weitere Ausübung der Hausiererei allerdings<br />
nicht genehmigt, denn ihr neuer<br />
Mann sei ausreichend in der Lage, die Familie<br />
zu ernähren. 4<br />
Ein zentraler Ort für Erledigungen aller<br />
Art war Neuenstadt. Als Amts- und Residenzstadt<br />
verfügte es über ein größeres<br />
Warenangebot. Dort fanden die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
ausreichende Einkaufsmöglichkeiten,<br />
vor allem für nichtalltägliche Erledigungen<br />
und Einkäufe ging man nach<br />
Neuenstadt – zum Beispiel der Besuch<br />
beim Arzt, in der Apotheke des Dr. Moericke<br />
oder auch Besorgungen für besondere<br />
Anlässe wie z. B. Beerdigungen. Unter den<br />
verschiedenen Läden mit einem zum Teil<br />
spezialisierteren Angebot ragte das traditionsreiche<br />
Kaufhaus Hochstetter heraus,<br />
das seit 1849 von der Familie Payer geführt<br />
wurde. Von dem Unternehmen haben<br />
sich vier Geschäftsinventare aus der<br />
Zeit von 1778 bis 1824 erhalten, die von<br />
einer großen Warenvielfalt zeugen: Verschiedene<br />
Stoff e – allerdings nur verhältnismäßig<br />
wenig Leinwand, da diese ver-<br />
197
198<br />
mutlich meist selbst hergestellt wurde,<br />
Krämerartikel wie Strümpfe, Handschuhe,<br />
Hals- und Schnupftücher, Körperpfl egeartikel<br />
wie zum Beispiel Seife oder Kämme,<br />
Eisenwaren, Werkzeuge für Haus und Hof;<br />
Geschirr konnten dort ebenso erworben<br />
werden wie Lebensmittel (z. B. Zucker,<br />
Käse, Reis, Schokolade, Gewürze) – wenn<br />
man es sich denn leisten konnte. Da die<br />
Neuenstädter Geschäfte die Bedürfnisse<br />
der Hofhaltung und der Neuenstädter Beamtenschaft<br />
ebenso wie die der einfacheren<br />
Kunden aus der Stadt und der Umgebung<br />
zu befriedigen hatten, war das Sortiment<br />
sehr breit gefächert. Die dort feilgebotenen<br />
Waren stammten aus regionaler<br />
und überregionaler Produktion und<br />
umfassten auch damals noch als Luxusgüter<br />
anzusehende Produkte wie Kaff ee, Kakao<br />
oder Zucker, die sich nur ein kleiner<br />
Teil der Bevölkerung leisten konnte. 5<br />
Angesichts dieser Versorgungslage und<br />
des minimalen Bedarfs entstanden in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
erst recht spät die ersten Ladengeschäfte<br />
im heutigen Sinn. Mit der<br />
Industrialisierung begann sich aber die<br />
über Jahrhunderte gleichgebliebene Situation<br />
auch im Dorf zu verändern. Neuartige<br />
Beschäftigungsverhältnisse entstanden:<br />
die ersten Fabrikarbeiter oder Bürger,<br />
die im Dienstleistungssektor tätig waren,<br />
z. B. bei der Post, bei der Ortskrankenkasse<br />
oder als Chauff eur, Kellner oder Portier,<br />
deren Haushalte ihren Bedarf nicht mehr<br />
in Gänze selber produzieren konnten und<br />
auf eine Einkaufsquelle mit breiterem Angebot<br />
angewiesen waren. 6 Diese Funktion<br />
erfüllten in <strong>Cleversulzbach</strong> zunächst die<br />
Gasthäuser. In der von Georg Hägele betriebenen<br />
„Traube“ in der Neuenstädter<br />
Straße am Ortsausgang wurde eine Spezereihandlung<br />
eingerichtet. Auch im „Löwen“<br />
gab es Einkaufsmöglichkeiten, schon<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dort<br />
Brot gebacken und verkauft. 1951 holte<br />
Anna Stecher zudem die Genehmigung<br />
für den Verkauf von Kolonialwaren ein. 7<br />
Die Waren wurden von Kaufmann Emil Ermold<br />
geliefert, der in Neuenstadt sein<br />
Hauptgeschäft hatte. 1964 wurde der Laden<br />
geschlossen, wie Frau Stephan erzählt.<br />
Und auch im „Adler“, später „Zum<br />
alten Turmhahn“, konnte man nicht nur<br />
einkehren, sondern auch einkaufen. Links<br />
vom Eingangsbereich war eine Theke, wo<br />
die Geschwister Seebold Fleisch- und<br />
Wurstwaren verkauften, die sie von der<br />
Metzgerei Leix in Stein bezogen.<br />
Rechnung von Chr. Hesser, Kaufmann in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
Bei Erscheinen der Oberamtsbeschreibung<br />
1881 hatte es zwei Krämer am Ort gegeben,<br />
nämlich Christian Hesser, der 1883<br />
aus <strong>Cleversulzbach</strong> wegzog, und die Kaufmannsfamilie<br />
Herrmann, die zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts den Laden geschlossen<br />
zu haben scheint. Die dadurch entstandene<br />
Lücke füllten Karoline Ernst, die<br />
einen kleinen „Handel mit Wecken, Viktu-
Das Kolonialwarengeschäft des Gottlob Korb in der Brettacher Straße Nr. 27 zu Beginn des<br />
20. Jahrhunderts auf einer Postkarte<br />
alien und Zucker“ aufzog, der aber bereits<br />
1916 wieder eingestellt war, und Magdalene<br />
Jung, die bis 1911 mit Spezerei- und<br />
Zuckerwaren sowie Flaschenbier handelte.<br />
Wesentlich größer dürfte das Sortiment in<br />
der Spezerei- und Kurzwarenhandlung<br />
von Gottlob Korb gewesen sein. Er eröff -<br />
nete 1910 einen neuen Laden in der<br />
Brettacher Straße. Außer ihm selbst half<br />
noch seine Frau Emma mit, die den Laden<br />
nach dem Tod Gottlob Korbs bis 1964<br />
weiterführte. Seine Waren kaufte er bei<br />
der Heilbronner Lebensmittelgroßhandlung<br />
Lidl + Schwarz ein. Mit dem Fahrrad<br />
fuhr er über Jahre hinweg nach Heilbronn;<br />
ausgeliefert wurde zunächst mit dem<br />
Dreirad des Schwiegersohns, der ein Transportunternehmen<br />
betrieb, später mit dem<br />
Lkw. Das Geschäft blieb in Familienhand<br />
– zuletzt Waltraud Seebold (1980–<br />
1986).<br />
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in<br />
den 1950er Jahren veränderten sich die<br />
Ernährungs- und Konsumgewohnheiten.<br />
Das an Stelle des früheren Kolonialwarengeschäftes<br />
Korb errichtete Wohn- und Geschäftshaus<br />
der Familie Seebold; als Besonderheit<br />
zeigt die Ostseite ein großdimensioniertes<br />
Abbild des ursprünglichen Anwesens.<br />
199
200<br />
Auch bei den Getränken war dies zu sehen<br />
– Mineralwasser wurde mehr und mehr<br />
zum Volksgetränk und anstelle des Fassbieres<br />
erfreute sich Flaschenbier zunehmender<br />
Beliebtheit. Dieser Trend setzte<br />
sich auch in <strong>Cleversulzbach</strong> durch. Eine<br />
Reihe von Getränkehandlungen schoss aus<br />
dem Boden und verkaufte Flaschenbier,<br />
Wein, Mineralwasser und Limonade.<br />
Gleichzeitig bestand der Seebold'sche Laden<br />
weiter, wo man Lebensmittel, Obst<br />
und Gemüse, Backwaren usw. kaufen<br />
konnte, also „alles, was man auf dem Land<br />
gebraucht hat“ oder „von jedem etwas“,<br />
wie es Roland Seebold formulierte. Das<br />
größere Angebot der aufkommenden Supermärkte<br />
und die zunehmende Mobilität<br />
der Menschen ließen jedoch die Umsätze<br />
schrumpfen und bedeuteten letztendlich<br />
das Ende der Tante-Emma-Läden in den<br />
Dörfern. Oft wurde dort nur noch das gekauft,<br />
was man beim Großeinkauf vergessen<br />
hatte. In dieser Situation entschloss<br />
sich 1986 auch die Familie Seebold zur<br />
Aufgabe ihres Ladens in der Brettacher<br />
Straße. Ihre Einkäufe erledigen die Bewohner<br />
heute im Wesentlichen entweder<br />
auf dem Weg zur Arbeit oder in Neuenstadt,<br />
das als Unterzentrum über fünf Supermärkte<br />
und Discounter sowie eine Anzahl<br />
von Einzelhandelsgeschäften und<br />
Dienstleistungsbetrieben verfügt.<br />
Brot wurde früher vielfach selbst gebacken.<br />
In zahlreichen <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Haushalten gab es einen Backofen, teils<br />
im Haus, teils als Anbau an das Haus; 8 man<br />
konnte es aber auch auswärts kaufen.<br />
1838 wurde mit dem Bau des Gemeindebackhauses<br />
begonnen, um die von den<br />
Hausbacköfen ausgehende Feuersgefahr<br />
zu bannen. Eine königlich württembergische<br />
Generalverordnung (1808) und ein<br />
Erlass zur Einrichtung von Gemeindebacköfen<br />
(1835) hatten dies angeordnet. 9 Die<br />
ersten Bäcker, die für <strong>Cleversulzbach</strong> aus<br />
den schriftlichen Quellen bekannt sind,<br />
sind Michel Leis (1637), Jörg Wendel<br />
(1638), Johannes Haug (1742, 1744, 1747)<br />
und Johann Martin Hesser (1766). Im Gewerbekataster<br />
von 1823 sind drei Brotbäcker<br />
aufgeführt: Franz Schuler, der auch<br />
Löwenwirt war, Samuel Kuttruff und<br />
Gottlieb Hesser. Letzterer soll bereits 1824<br />
das Handwerk, 1825 auch das Meisterrecht<br />
aufgegeben haben. Außer Schuler<br />
betätigten sich weitere Wirte auch als Bäcker:<br />
Der aus Gellmersbach stammende<br />
Eberhardt Lohmann (Lehmann?) erhielt<br />
1852 das <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgerrecht<br />
und „treibt Bäckerei und Wirthschaft“. 10<br />
Auch der in Jagsthausen geborene Christian<br />
Bauer war Bäckermeister (Bürgerrecht<br />
1899) und führte zugleich den „Löwen“.<br />
11 Weitere Bäcker um die Jahrhundertwende<br />
waren August Heinrich Lumpp<br />
(geb. 1876), Wilhelm Apfelbach (geb.<br />
1877), Gustav Hesser (geb. 1882), Albert<br />
Herrmann (geb. 1882), Heinrich August<br />
Bordt (geb. 1883), Karl Hesser (geb. 1884)<br />
und Wilhelm Lumpp (geb. 1884). Nachdem<br />
der „Löwen“ sein Ladengeschäft aufgegeben<br />
hatte, gab es keine eigene Bäckerei<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> mehr. Brot und<br />
Backwaren konnte man aber bis 1986 im<br />
Lebensmittelladen der Seebolds kaufen.<br />
Acht Jahre später eröff nete Andreas Discher<br />
aus Brettach direkt gegenüber eine<br />
Verkaufsstelle im ehemaligen Gebäude der<br />
Volksbank; die Öff nungszeiten sind allerdings<br />
eingeschränkt. Zudem verkehrt ein<br />
„Bäckerauto“, das sein Stammpublikum<br />
am Ort hat.<br />
Auch ein „Metzgerauto“ versorgt heute<br />
den Ort, ein eigenes Metzgergeschäft hat<br />
es am Ort nie gegeben, wenn man von der<br />
Verkaufsstelle im „Alten Turmhahn“ absieht.<br />
Die bereits seit dem 18. Jahrhundert<br />
genannten Metzger Johann Georg Herrmann<br />
(1759, 1762, 1763), der Bauer und<br />
Metzger war, und Michael Niedt (1761)<br />
nahmen wohl die Hausschlachtungen<br />
vor. 12 Im Gewerbekataster von 1823 sind
„Schlachtfest" – beim Blutrühren<br />
Alt Baltas Herrmann und Reinhard Hesser<br />
erwähnt; 13 der 1840 geborene Christian<br />
Hesser dürfte ebenso wie Gottlieb Hesser<br />
derselben Familie angehört haben. 14 Mit<br />
der Metzgerfamilie Herrmann, deren Haus<br />
gegenüber dem Rathaus stand (heute<br />
Parkplatz), hatte Eduard Mörike engen<br />
Kontakt. Die Familie, von der einige Mitglieder<br />
zeitweise Dienst für ihn taten, war<br />
1 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 11 Bl. 182<br />
2 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125 Gewerbekataster<br />
3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 8 Bl. 23<br />
4 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CA 212<br />
5 Claudia Selheim, Die Inventare eines süddeutschen Warenlagers<br />
1778–1824. Beiträge zur Aufarbeitung einer Realienquelle.<br />
Würzburg 1994. Dies., Das textile Angebot<br />
eines ländlichen Warenlagers in Süddeutschland 1778–<br />
1824 mit Anhang: Edition der Textilinventare aus Neuenstadt<br />
am Kocher. Würzburg 1994.<br />
6 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160<br />
im Pfarrhaus gern gesehen. Mit dem Gedicht<br />
„Dem lieben Altvater Georg Balthasar<br />
Herrmann zu seinem 74. Geburtstag“<br />
setzte er ihr 1842 ein Denkmal. Um die<br />
Jahrhundertwende schließlich sind Carl<br />
Seebold (geb. 1871), Emil Herrmann (geb.<br />
1892) und Löwenwirt Adolf Stecher als<br />
Metzger tätig. 15<br />
7 KA Heilbronn Nr. 6716<br />
8 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 148 (1853)<br />
9 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 17 Bl. 6<br />
10 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 159<br />
11 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160 und CB 30<br />
12 LKA Stuttgart Kirchenbücher: (MF 2146) – GA <strong>Cleversulzbach</strong><br />
CB 17 Bl. 6.<br />
13 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125<br />
14 GA <strong>Cleversulzbach</strong> Bürgerliste CB 159 und CB 154 Feuerversicherungsbuch,<br />
angelegt 1869.<br />
15 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160<br />
201
202<br />
Gastwirtschaften<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> gab es über die Jahre<br />
sechs Gastwirtschaften, von denen aber<br />
zum heutigen Zeitpunkt (2012) nur noch<br />
eine besteht, das 1986 eröff nete Restaurant<br />
„Brunnenstüble“. Die anderen fünf<br />
Gastwirtschaften hatten eine – zum Teil<br />
nur kurze – mehr oder weniger wechselvolle<br />
Geschichte. Außerdem gab es in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
über viele Jahre hinweg auch<br />
eine Reihe von so genannten Besenwirtschaften,<br />
über die am Ende des Kapitels<br />
berichtet wird.<br />
„Löwen“<br />
Der „Löwen“ ist zweifellos die älteste<br />
Gastwirtschaft <strong>Cleversulzbach</strong>s gewesen.<br />
Zwar lässt sich das ihm nachgesagte Alter<br />
von rd. 500 Jahren aktenmäßig nicht<br />
nachweisen, aber immerhin datiert die<br />
erste Erwähnung eines Besitzers aus dem<br />
Jahr 1784; es war ein Baltas(ar) Majer. Ab<br />
1789 war Johann Georg März Löwenwirt.<br />
Es folgte ihm 1824 Georg März und ab<br />
1827 Franz Schuler, der auch Bäcker war<br />
und einen Backofen in der unteren Küche<br />
betrieb. Belegt aus dieser Zeit sind auch<br />
die Besuche von Schillers Mutter 1800<br />
und 1801 während ihres Aufenthalts bei<br />
ihrer Tochter Louise, die mit Pfarrer Gottlieb<br />
Franckh hier verheiratet war.<br />
Das nächste belegbare Datum war die Investitur<br />
Eduard Mörikes am 3. August<br />
1834, bei der im Anschluss daran für die<br />
anwesenden Honoratioren ein Essen im<br />
„Löwen“ gegeben wurde, u.a. die legendäre<br />
Flusskrebssuppe, die inzwischen, da schon<br />
mehrmals zu besonderen Mörike-Anlässen<br />
nachgekocht, eine überörtliche Bekanntheit<br />
erlangt hat. Die Wirtschaft befand<br />
sich immer noch im Besitz von Franz Schuler.<br />
Danach hat Mörike den „Löwen“ wahrscheinlich<br />
noch ab und zu besucht. Über<br />
einen Besuch im Sommer 1837 berichtete<br />
er an seinen Freund Hermann Kurz:<br />
Vorigen Sommer war ich einmal mit Mutter<br />
& Schwester im Löwen dahier auf einen<br />
Ka ee zu Besuch. In langer Weile besah<br />
ich die Bilder umher an den Wänden,<br />
was Alles wüster Plunder war. Auf einmal<br />
aber mache ich, mit einem angenehmen<br />
Schrecken, die allerunerwarteste Entdeckung.<br />
Denn ein Gesicht von jovialischer<br />
Herrlichkeit guckte mir aus dem trüben<br />
Glas entgegen. Der Schauspieler Koch und<br />
von Bause gestochen! 1<br />
Und wie Mörike weiter schreibt, hat er<br />
dieses Bild des Schauspielers Koch sofort<br />
haben wollen und den Wirtsleuten abgeschwatzt,<br />
die anfangs nicht so recht wollten,<br />
weil der Mann dem D r Luther gar so<br />
ähnlich sehe. Schließlich konnte er sie<br />
überzeugen und ließ das Bild am nächsten<br />
Tag abholen und schickte ihnen dafür einen<br />
Holgen unter Glas ins Haus. 2<br />
„Löwenwirt“ war zu dem Zeitpunkt Christian<br />
Jakob Kühner zusammen mit seiner<br />
zweiten Frau Christine Katharine, geb.<br />
Lehr. Der bisherige Wirt Franz Schuler<br />
hatte den „Löwen“ kurz zuvor – wahrscheinlich<br />
aus Altersgründen – aufgegeben.<br />
Von einem anderen Ereignis im „Löwen“<br />
berichtete Eduard Mörike seinem<br />
Freund Wilhelm Hartmann im März 1842.<br />
Da erschien ein Marionettenspieler bei<br />
ihm, ein älterer, reinlich gekleideter Mann,<br />
mit der Bitte, eine Marionetten-Theaterauff<br />
ührung geben zu dürfen, und zwar im<br />
„Löwen“. Das Stück, ein Trauerspiel, hieß<br />
„Genovefa, Falzgräfi n von Brabant“ und<br />
wurde in zwei Teilen aufgeführt, ein Teil<br />
pro Abend. Mörike selbst ging nicht hin,<br />
aber seine Schwester Klara und ein Gastkind,<br />
die beide voll begeistert von der Vorstellung<br />
berichteten.<br />
Christian Jakob Kühner hat den „Löwen“<br />
fünf Jahre geführt, es folgte ihm 1842<br />
Gabriel Schlegel und 1844 Johann Christian<br />
Haug. Ab 1848 taucht als neuer Lö-
wenwirt der Name J. Christian Krautter<br />
auf. Schon kurz darauf muss der Bäckermeister<br />
Michael Andreas Bay, aus Büschelberg<br />
stammend, den „Löwen“ übernommen<br />
haben, doch konnte er sich nicht<br />
lange daran erfreuen, denn er starb, erst<br />
26-jährig, am 6. Februar 1849 durch einen<br />
Schlag am Hirn.<br />
Danach hat der „Löwen“ des Öfteren seinen<br />
Besitzer gewechselt. In den Unterlagen<br />
fi ndet man die Namen Jakob Küfner<br />
(ca. 1840), Johann Michael Haug (ca.<br />
1845), Christof Friedrich Müller (ca. 1850),<br />
Christian Knobloch (1855–1859), Ludwig<br />
Schlegel (ca. 1860), Gottlob Kaiser (ca.<br />
1865), Johann und Christian Bordt (ca.<br />
1870), Metzger Carl Link (ca. 1875), Christian<br />
Kaiser (ca. 1880) sowie Friedrich und<br />
Christian Blatt (1885–1900).<br />
Zwei Namen aus dieser Liste tauchen auch<br />
in den Kirchenkonventsprotokollen auf;<br />
dort allerdings aus weniger erfreulichen<br />
Gründen. Frau Bordt hatte sich beim<br />
Geistlichen beschwert, dass ihr Mann sie<br />
thätlich mißhandle und sich an ihr vergri<br />
en habe, weshalb der gewesene Löwenwirt<br />
am 26. Januar 1882 vor den Kirchenkonvent<br />
geladen worden ist. Er sagte<br />
aus, seine Frau gebe Anlass zu Streitigkeiten<br />
durch ihre Feindschaft gegen seine ledige<br />
Schwester und seine Tante, die gegenwärtig<br />
krank in seinem Hause liegt.<br />
Christian Bordt wurde ermahnt mit mehr<br />
Sanftmuth und Liebe gegen seine Frau zu<br />
handeln und nicht durch Mißhandlung<br />
und Drohungen ihre Zwistigkeiten zu vermehren,<br />
wogegen er alle Schuld auf das<br />
leidenschaftliche Wesen seiner Frau<br />
schiebt, so dass es ihm nicht möglich sei,<br />
sich der Gewaltthätigkeiten zu enthalten.<br />
So wurde darauf hin gewiesen, dass bisher<br />
mit Gewalt nichts gebessert worden<br />
sei und dass er es nun einmal mit Nachgiebigkeit<br />
und Liebe versuchen sollte,<br />
dann werde es besser werden. Viel genützt<br />
hat dieser Verhaltenshinweis off en-<br />
bar nicht, denn schon acht Monate später,<br />
am 4. Oktober 1882, steht Christian Bordt<br />
erneut vor dem Kirchenkonvent. Diesmal<br />
wird er von seiner Ehefrau nicht nur wegen<br />
Misshandlung sondern auch wegen<br />
Verschwendung angeklagt und sie verlangt<br />
seine Entmündigung deswegen. Und<br />
es heißt weiter im Protokoll: Er hat 3<br />
Stück Vieh verkauft u. ging mit dem Erlös<br />
fort u. kam nach einigen Tagen zurück<br />
ohne anzugeben, wo dasselbe nun ist,<br />
wenigstens ist die Summe von ca. 300 M.<br />
nach Abzug mancherlei Zahlungen, die er<br />
leistet, noch übrig, und wird von ihm über<br />
den Verbleib dieser Summe nichts ausgesagt.<br />
Christian Bordt verzichtet daraufhin vor<br />
dem Notariat in Neuenstadt in einem Absonderungsvertrag<br />
auf alle Ansprüche auf<br />
das Vermögen seiner Frau. Knapp ein Jahr<br />
später verließ er seine Frau endgültig und<br />
wanderte 1883 nach Amerika aus.<br />
Aus einem anderen Grund wurde der Löwenwirt<br />
Blatt am 4. Juni 1886 vor den<br />
Kirchenkonvent geladen. Seine bei ihm<br />
beschäftigte Dienstmagd Pauline Kleiner<br />
hatte zweimal im Mai die Sonntagskinderlehre<br />
versäumt, weil nach deren Aussage<br />
ihre Dienstherrenschaft sie vom Besuch<br />
derselben abhält. Löwenwirt Blatt<br />
wurde ernstlich ans Herz gelegt, daß er<br />
als evangel. Christ verpfl ichtet sei, auch<br />
seine Dienstmagd zum Besuch der sonntägl.<br />
Christenlehre mit Fleiß anzuhalten u.<br />
seine häuslichen Geschäfte so einzurichten,<br />
daß seine Magd diesen für die Jugend<br />
so nötigen und heilsamen Gottesdienst<br />
besuchen kann. Er erklärte daraufhin,<br />
daß er so oft es sein Geschäft erlaube,<br />
seine Magd zur Kirche schicken<br />
wolle. Aber die Geschäfte gingen wohl zu<br />
gut, denn schon im Oktober danach versäumte<br />
seine Magd Christine Christ mehrmals<br />
die Sonntagsschule, weil sie durch<br />
häusliche Geschäfte stets abgehalten sei,<br />
zu erscheinen. Sie wurde gebeten, ihrem<br />
203
204<br />
Dienstherrn Löwenwirt Blatt gegenüber<br />
ihr Recht auf den Besuch des Gottesdienstes<br />
u. überh. auf ungestörte Sonntagsfeier<br />
geltend zu machen.<br />
Wirt Christian Bauer (1900–1927)<br />
Ab 1900 wurde der „Löwen“ vom 1874<br />
geborenen Christian Bauer geführt, dem<br />
am 1. März 1909 auch der Dienst des „Telegraphenhilfsstellenvorstehers“übertragen<br />
worden ist. Man hatte jetzt im Ort die<br />
Möglichkeit, am aufblühenden Telefonverkehr<br />
teilzunehmen. Während des Ersten<br />
Weltkrieges war Christian Bauer zwei<br />
Jahre beim Landsturm-Infanterie-Bataillon<br />
XIII/7 in Leonberg eingezogen und<br />
wurde von dort für über ein Jahr nach<br />
Stenay, südlich von Sedan in Nordfrankreich,<br />
verpfl ichtet, wo er als Bäcker, seinem<br />
erlernten Beruf, im Kriegslazarett<br />
Dienst tat. In dieser Zeit führte seine Frau<br />
Katharina die Wirtschaft und die Telegraphenhilfsstelle<br />
allein, aber mit tatkräftiger<br />
Hilfe ihrer 17-jährigen Tochter.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg führten die<br />
Bauers den „Löwen“ weiter, der aber in<br />
den Infl ationsjahren ab 1920 wohl nicht<br />
mehr so gut lief, denn Christian Bauer<br />
kündigte im August 1922 seine Stelle als<br />
Telegraphenhilfsstellenvorsteher und gab<br />
als Grund an, dass er die Wirtschaft geschlossen<br />
habe und nur wegen des Telefons<br />
nicht ständig eine Person im Hause<br />
lassen könne (siehe dazu auch das Kapitel<br />
„Postwesen“).<br />
Wirt Georg Hägele (1927–1933)<br />
Fünf Jahre später, am 4. Mai 1927, verkaufte<br />
schließlich Christian Bauer den<br />
Gasthof „Löwen“ an Georg Hägele (siehe<br />
auch unter „Traube“). Hägele eröff nete<br />
den aus der „Traube“ übernommenen Gemischtwarenladen<br />
im hinteren Teil des<br />
Gebäudes mit separatem Eingang. Hier<br />
gab es so gut wie alles zu kaufen. Haushaltswaren,<br />
Kurzwaren, Wasch- und Putz-<br />
zeug, auch Lebensmittel und dgl. In diesen<br />
Räumen befand sich früher, um 1800 herum,<br />
die Bäckerei, die Schillers Mutter so<br />
gern besucht hat.<br />
Georg Hägele verstand es, den „Löwen“<br />
über <strong>Cleversulzbach</strong>s Grenzen hinaus bekannt<br />
zu machen. Immer wieder arrangierte<br />
er Tanzveranstaltungen, so auch an<br />
einem Sonntag im August 1930 einen<br />
Ernte-Tanz mit Hammelbraten, wozu er in<br />
der Neuenstädter Tageszeitung vom 8.<br />
August 1930 eine größere Anzeige geschaltet<br />
hatte.<br />
Anzeige aus der Neuenstädter Tageszeitung<br />
vom 8. August 1930<br />
Seit Hägeles Übernahme blieb der „Löwen“<br />
im Familienbesitz. Seine Tochter<br />
Anna heiratete am 30. April 1932 den<br />
Metzger Adolf Stecher.<br />
Wirt Adolf Stecher (1933–1943)<br />
Am 14. Februar 1933 kaufte Adolf Stecher<br />
die Gastwirtschaft seinem Schwiegervater<br />
für 15.000 RM ab und erhielt am 22. März<br />
darauf die Erlaubnisurkunde, sie weiter zu<br />
betreiben. Adolf Stecher brachte den „Löwen“<br />
zu gutem Erfolg, bis er nach Ausbruch<br />
des Zweiten Weltkriegs zur Wehrmacht<br />
eingezogen wurde.<br />
Wirtin Anna Stecher (1940–1963)<br />
Seine Frau Anna führte die Gastwirtschaft<br />
zwar zunächst weiter, bat dann aber mit
Gasthaus „Löwen“. Links hinten der Eingang<br />
zum Kolonialwarenladen (um 1940)<br />
Schreiben vom 7. April 1942 an das Bürgermeisteramt<br />
um Genehmigung, die<br />
Gastwirtschaft und den Kolonialwarenladen<br />
zum 15. April 1942 schließen zu dürfen,<br />
da mein Mann zur Wehrmacht einberufen<br />
ist und ich meine seitherige Arbeitskraft<br />
nicht erhalten konnte, was zu<br />
verstehen war, denn sie hatte auch noch<br />
zwei kleine Kinder zu erziehen, einen<br />
Weinberg und großen Garten zu versorgen.<br />
Dem Antrag hat der Landrat von<br />
Heilbronn zugestimmt, mit der Maßgabe,<br />
dass ein von der Ortspolizei abgestempelter<br />
Aushang über die behördlich genehmigte<br />
Schließung anzubringen sei. Ein<br />
knappes Jahr später traf im „Löwen“ die<br />
traurige Nachricht ein, dass Adolf Stecher<br />
in Russland bei Leningrad mit Datum vom<br />
3. Januar 1943 als vermisst gemeldet worden<br />
war.<br />
Durch den Krieg betroff en wurde der „Löwen“<br />
auch noch auf andere Weise. In der<br />
Gastwirtschaft wurden französische Kriegsgefangene<br />
zwangsweise untergebracht, die<br />
tagsüber in der Landwirtschaft eingesetzt<br />
und nachts im dafür hergerichteten oberen<br />
Saal wieder eingesperrt wurden.<br />
Nach Kriegsende bat Anna Stecher um Erlaubnis,<br />
den „Löwen“ wieder weiter zu<br />
führen, was ihr vom Heilbronner Landrat<br />
am 31. Mai 1946 genehmigt wurde. Neben<br />
der Gastwirtschaft wurde nach der<br />
Währungsreform (1948) auch der Gemischtwarenladen<br />
wieder eröff net. Wenn<br />
er auch anfangs noch einigermaßen lief<br />
(Brot und Backwaren lieferte die Bäckerei<br />
Härthner aus Neckarsulm), gingen die<br />
Umsätze nach dem Erscheinen der Supermärkte<br />
zunehmend zurück, und so entschloss<br />
sich Anna Stecher, auch aus Altersgründen,<br />
den lang geführten Laden<br />
1964 zu schließen.<br />
Nach dem Krieg wurden zahlreiche Renovierungen<br />
und Umbauten durchgeführt,<br />
um den „Löwen“ an die gestiegenen Ansprüche<br />
anzupassen. Ein Schicksalsschlag<br />
traf die Familie, als der hoff nungsvolle<br />
Sohn, der eine Ausbildung als Koch absolviert<br />
hatte und die Nachfolge im „Löwen“<br />
hätte antreten können, im Jahre 1954,<br />
22-jährig, an einer nicht erkannten Blinddarmentzündung<br />
starb.<br />
Wirtsleute Ingeborg und Klaus Stephan<br />
(1964–2008)<br />
Nun entschloss sich die Tochter Ingeborg,<br />
die Gastwirtschaft weiter zu führen, und<br />
übernahm am 31. Januar 1964 den „Löwen“<br />
von ihrer Mutter, auch wenn ihr<br />
Mann Klaus Stephan, den sie 1958 geheiratet<br />
hatte, kein Gastwirt war, sondern bei<br />
NSU (später AUDI) in der Konstruktion<br />
und im Versuch arbeitete. Die Gastwirtschaft<br />
wurde sein zweiter Beruf. Viele<br />
Jahre blieb der „Löwen“ ein beliebter Anlaufort<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> für Stammtische,<br />
Vereinsfeiern und fröhliche Abende.<br />
Doch mit zunehmendem Alter hinterließen<br />
die täglichen Belastungen eines Gasthausbetriebes<br />
bei dem Wirtspaar Ingeborg<br />
und Klaus Stephan zunehmend ihre Spuren,<br />
und da keines der beiden Kinder interessiert<br />
war, das mühevolle Geschäft zu<br />
übernehmen, wurde zunächst der Wirtsbetrieb<br />
auf die Abendstunden reduziert<br />
und später der tägliche Schankbetrieb<br />
205
206<br />
Wirtschaft „Zur Traube“ mit Gemischtwarenladen. Außen Reklametafeln für Kathreiner<br />
Malzka ee, Persil, Rosenau Brauerei Heilbronn, Maggi Würze und Genossenschaftsbier (um<br />
1920)<br />
ganz eingestellt und die Gastwirtschaft<br />
nur noch für besondere Anlässe wie Hochzeiten,<br />
Konfi rmationen und andere Feiern<br />
geöff net. Ende 2008 hat Ingeborg Stephan,<br />
die letzte „Löwenwirtin“, die Gastwirtskonzession<br />
aus Alters- und Gesundheitsgründen<br />
abgegeben, was das Ende<br />
der langjährigen Geschichte des „Löwen“<br />
bedeutete.<br />
„Traube“<br />
Vorgeschichte<br />
Das Haus der späteren Gastwirtschaft befand<br />
sich in der Neuenstädter Straße 101<br />
(heute Nr.12) neben dem Schulgarten,<br />
schräg gegenüber vom Friedhof, und war<br />
zunächst im Besitz des Kaufmanns Christian<br />
Schmich, der es 1872 samt der zum<br />
Haus gehörenden Ladeneinrichtung mit<br />
Einschluß von Maas und Gewicht an den<br />
Bauern und Metzger Christian Hesser verkaufte.<br />
Inwieweit dieser den Laden weitergeführt<br />
hat, war nicht herauszufi nden.<br />
Später ist das Gebäude mit Laden an den<br />
Krämer Johann Jung übergegangen, denn<br />
im Schätzungsprotokoll für die Gebäude-<br />
Brandversicherung von 1893 ist er als Besitzer<br />
eingetragen. Dem Protokoll folgend<br />
war es ein ca. 40 Jahre altes freistehendes<br />
zweistöckiges Wohnhaus von gemischter<br />
Bauart unter Giebeldach von mittelmäßiger<br />
Unterhaltung. Neben dem Haus be-
fanden sich eine große Scheuer und daneben<br />
noch ein Schuppen. Hinter dem Haus<br />
gab es ein 1 ½-stockiges Stallgebäude mit<br />
drei Schweineställen und einem Abort.<br />
Im Erdgeschoss des Wohnhauses betrieb<br />
Johann Jung weiterhin einen Krämerladen,<br />
der laut dem zitierten Schätzungsprotokoll<br />
mit einem eichenen Ladentisch<br />
mit Schubladen 1,85 m x 0,80 m und<br />
0,80 m hoch ausgestattet war, sowie mit<br />
einem Fach- und Schubladengestell von<br />
3 m Länge und 1,90 m Höhe. Daneben<br />
noch ein kleineres Fachgestell 1,40 m lang<br />
und 1,80 m hoch.<br />
„Traube“<br />
Nach dem Tod von Johann Jung hat die<br />
Witwe Magdalena Jung im September<br />
1906 das gesamte Anwesen an den 1877<br />
geborenen Georg Hägele verkauft. Er war<br />
ein vielgereister wohlhabender Mann und<br />
sprach mehrere Sprachen. Der Legende<br />
nach hat er bar in Goldmark bezahlt.<br />
Am 7. April 1907 heiratete er die zehn<br />
Jahre jüngere Rosa Klaiber. Zusammen mit<br />
ihr errichtete er die Gastwirtschaft „Zur<br />
Traube“, die im Obergeschoss betrieben<br />
wurde, und baute im Erdgeschoss den früheren<br />
Krämerladen zu einem gut sortierten<br />
Gemischtwarenladen aus. Im Ersten<br />
Weltkrieg wurde er am 5. Dezember 1916<br />
zum Dienst beim Reserve-Infanterieregiment<br />
121 eingezogen und nach Frankreich<br />
versetzt. Dort geriet er am 16. August<br />
1918 bei Roye (Somme) in französische<br />
Kriegsgefangenschaft. Erst im März<br />
1920 wurde er entlassen und führte dann<br />
voller Geschäftigkeit mit seiner Frau die<br />
„Traube“ weiter. Sieben Jahre später<br />
(1927) verkaufte Georg Hägele das ganze<br />
Besitztum an Gottlob Euerle, der aber weder<br />
die Gastwirtschaft noch den Gemischtwarenladen<br />
weiterführte. Es wird<br />
angenommen, dass dies eine Bedingung<br />
von Hägele war, denn er hatte danach die<br />
Gastwirtschaft „Löwen“ erworben (siehe<br />
dort) und wollte off ensichtlich keine Konkurrenz.<br />
Den Gemischtwarenladen in der<br />
„Traube“ hat er geschlossen und im „Löwen“<br />
neu eröff net.<br />
„Adler“ (später „Zum alten Turmhahn“)<br />
Vorgeschichte<br />
Eine Wirtschaft mit dem Namen „Adler“<br />
muss es schon um 1817/20 gegeben haben.<br />
Der Wirt hieß damals Ludwig Herrmann.<br />
Im Brandversicherungsbuch von<br />
1808 wird er unter dem Jahr 1817 als Besitzer<br />
des Hauses Nr. 22 (24) und als „Adlerwirth“<br />
aufgeführt. Das Haus wurde<br />
aber im Frühjahr 1819 abgerissen. Im<br />
gleichen Buch taucht sein Name wiederum<br />
auf und mit dem Hinweis „Adlerwirth“<br />
als Besitzer des Hauses Nr. 26 (28),<br />
einer 2-stöckigen Behausung beim Rathaus.<br />
Im Impfbuch wird mit Eintrag vom<br />
9. Oktober 1820 ein „Johann Ludwig Hörman,<br />
Adlerwirth“ genannt. Die Wirtschaft<br />
muss sich somit in der Nähe des Rathauses<br />
befunden haben, ob es aber das Gebäude<br />
war oder zumindest die Stelle, in<br />
dem rd. 100 Jahre später (1912) der erstmals<br />
dokumentierte „Adler“ eröff net worden<br />
ist, bleibt ungeklärt.<br />
Die erste Erwähnung einer Wirtschaft,<br />
aber noch ohne einen Namen, jedoch an<br />
der Stelle der späteren Gastwirtschaft<br />
„Adler“, ist mit der Schankerlaubnis für<br />
Ludwig Schlegel zu fi nden. Er erhielt vom<br />
Oberamt Neckarsulm am 21. Dezember<br />
1872 die Erlaubnis zum Führen einer<br />
Schankwirtschaft für Wein, Bier und<br />
Obstmost in seinem zweistöckigen Wohnhaus<br />
in der Hauptstraße Nr. 25. (heute<br />
Brettacher Straße). Die ebenfalls beantragte<br />
Erlaubnis für Branntweinausschank<br />
wurde vom Gemeinderat in einer davor<br />
abgehaltenen Sitzung abgelehnt, da bereits<br />
drei Wirte am Ort die Konzession dafür<br />
ausübten. Ludwig Schlegel betrieb die<br />
Wirtschaft mit seiner am 11. November<br />
1866 geheirateten Frau Magdalene.<br />
207
208<br />
Nach dem Tod von Ludwig Schlegel im<br />
März 1875 führte seine Witwe die Gastwirtschaft<br />
zunächst allein weiter, um am<br />
5. August 1879 erneut zu heiraten, und<br />
zwar den aus dem hohenlohischen Steinbrück<br />
stammenden elf Jahre jüngeren<br />
Hermann Schön, dem sie auch im selben<br />
Monat die Schankrechte übertrug. Die geschlossene<br />
Ehe war jedoch nicht glücklich.<br />
Ein Jahr nach der Geburt des ebenfalls<br />
Hermann genannten Sohnes trennte sich<br />
der Wirt Hermann Schön nicht nur von<br />
seiner Frau, sondern enterbte sie auch wegen<br />
ihrer gegen mich an den Tag gelegten<br />
gehässigen Gesinnung und setzte in seinem<br />
Testament vom 20. April 1881, aus<br />
dem das vorherige Zitat stammt, seinen<br />
am 27. April 1880 geborenen Sohn als Alleinerben<br />
ein.<br />
Als Hermann Schön neun Jahre später<br />
starb, ging der Besitz des Hauses auf seine<br />
Frau über. (Ob es seine enterbte und getrennt<br />
lebende Frau war oder eine neu geheiratete,<br />
konnte den Unterlagen nicht<br />
entnommen werden. Fest steht, dass in<br />
den Brandversicherungs-Protokollen von<br />
1889 und 1893 als Eigentümerin „Hermann<br />
Schöns Witwe“ eingetragen ist.) Die<br />
Schankwirtschaft wurde off enbar weiter<br />
betrieben, allerdings muss das Gebäude<br />
ziemlich heruntergekommen und dem Bericht<br />
eines Dorfbewohners zufolge um die<br />
Jahrhundertwende abgebrannt sein, was<br />
aber in den Akten nicht belegt ist; wohl<br />
ist der Vermerk zu fi nden „Abgebrochen,<br />
daher exkatastiert“ 3 .<br />
Der inzwischen 30-jährige Sohn Hermann<br />
Schön jr. ließ 1911 an derselben Stelle und<br />
auf den Grundmauern des erhalten gebliebenen<br />
Gewölbekellers ein neues stattliches<br />
Gebäude mit Erker im ersten Stock<br />
erstellen, in dem bereits „9 elektrische<br />
Glühkörper samt Leitung und 1 Wasserleitung<br />
nebst Hahnen“ installiert war. Auf<br />
seinen Antrag hin erhielt er am 28. September<br />
1911 die Erlaubnis, den Ausschank<br />
von Wein und Bier wie bisher in einem<br />
Zimmer im Erdgeschoss (6,4 m x 4,7 m) sowie<br />
in einem Zimmer im ersten Stock und<br />
einem Saal (6 bzw. 10 m lang und 6,4 m<br />
breit) durchzuführen.<br />
„Adler“<br />
Ein Jahr später, am 15. Juli 1912, verkaufte<br />
er die Schankwirtschaft an die<br />
Wirtsfamilie Seebold, die aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
stammte, zwischenzeitlich aber in<br />
Frankfurt/Main gelebt hatte und jetzt<br />
wieder in den Heimatort zurückkehrte.<br />
Seit diesem Zeitpunkt blieb die Wirtschaft<br />
im Besitz dieser Familie. Der Betrieb der<br />
Gastwirtschaft wurde dem Wirt Ludwig<br />
Seebold am 29. Dezember 1913 noch mit<br />
der Möglichkeit erweitert, die beiden Zim-<br />
Wirtschaft „Zum Adler“, 1918
mer des ersten Stocks zur Beherbergung<br />
von Fremden nutzen zu können.<br />
Die Familie Seebold hat ihrer Gastwirtschaft<br />
den Namen „Adler“ gegeben, der in<br />
großen Buchstaben an der Wand zur Neuenstädter<br />
Straße angebracht wurde. An<br />
der Eckwand zeigte ein schönes Wirtshausschild<br />
von beiden Straßenseiten sichtbar<br />
den „Adler“, der im Versicherungsprotokoll<br />
von 1913 wie folgt beschrieben ist:<br />
1 geschmiedetes Wirtsschild, reich verziert,<br />
mit Ölfarbe gestrichen und teilweise<br />
vergoldet.<br />
Nach dem Verkauf hat sich das Ehepaar<br />
Schön das stattliche Haus am Dorfrand<br />
gebaut (heute Neuenstädter Straße 20),<br />
über dessen Hauseingang noch heute eingraviert<br />
steht Erbaut von Hermann und<br />
Emma Schön 1912.<br />
Eine besondere Bedeutung erlangte die<br />
Gastwirtschaft „Adler“ durch die Einrichtung<br />
einer „Mörike-Stube“, deren Existenz<br />
ab 1918 belegt ist. In der Zeit wurde ein<br />
Gästebuch angelegt, in das sich der<br />
Mörike-Freund Dr. Thomas Hoenes, Lehrer<br />
an der Cecilienschule in Saarbrücken, am<br />
8. September als Erster eintrug. Die neue<br />
Mörike-Erinnerungsstätte sprach sich<br />
schnell herum. Es kamen bald Besucher<br />
aus ganz Deutschland und zunehmend<br />
auch aus dem Ausland.<br />
Nach dem Tod des Vaters 1921 und der<br />
Mutter 1940 führten die Töchter die Gastwirtschaft<br />
weiter und betreuten liebevoll<br />
die Mörike-Stube. Im Jahre 1956 wurde<br />
auf Anregung des Heilbronner Landrates<br />
das Gasthaus umgebaut und renoviert, um<br />
der angewachsenen Sammlung mehr<br />
Raum zu geben. Bei dieser Gelegenheit erhielt<br />
das Gasthaus auch den neuen Namen<br />
„Zum alten Turmhahn“.<br />
Als die Schwester Hilde 1964 starb, führte<br />
Margarete Seebold die Gastwirtschaft mit<br />
Mörike-Stube allein weiter. Hinzu gekommen<br />
war auch eine kleine Agentur der<br />
Handelsbank Heilbronn, die zu gewissen<br />
Stunden geöff net war und in der man<br />
Ein- und Auszahlungsgeschäfte tätigen<br />
konnte. Die Wirtin war die Agenturbetreiberin.<br />
Doch ab 1984 wurde Margarete<br />
Seebold immer häufi ger von Krankheiten<br />
geplagt und war schließlich 1991 gezwungen,<br />
die Gastwirtschaft und damit auch<br />
die Mörike-Stube endgültig zu schließen.<br />
Drei Jahre später, am 28. Juli 1994, ist<br />
Margarete Seebold gestorben. (Ausführliches<br />
zur Geschichte der Mörike-Stube<br />
und dem danach gegründeten Mörike-<br />
Museum ist in dem Kapitel „Die Mörike-<br />
Stube und die Entstehung des Mörike-<br />
Museums“ niedergeschrieben).<br />
„Zum grünen Baum“<br />
Das Haus dieser relativ jungen Gastwirtschaft<br />
stand und steht noch in der Eber-<br />
Gastwirtschaft „Zum alten Turmhahn“ ,1985<br />
209
210<br />
städter Straße (damals Nr. 3, heute Nr. 16)<br />
und wurde Anfang der 1950er Jahre von<br />
Karl und Luise Kleber bewohnt. Sie hatte<br />
nach Jahren wieder geheiratet, nachdem<br />
ihr erster Mann Erwin Wölk, von dem sie<br />
zwei Kinder hatte, im Krieg 1944 als vermisst<br />
gemeldet worden war und nicht<br />
mehr zurückkam.<br />
Luise Kleber war eine umtriebige Frau, war<br />
geschickt bei landwirtschaftlichen Arbeiten<br />
und kochte gut und gern, und so war<br />
es nicht zu verwunderlich, dass sie sich eines<br />
Tages mit dem Gedanken trug, in ihrem<br />
Wohnhaus eine Gaststätte einzurichten.<br />
Dafür stellte sie am 30. Oktober 1958<br />
beim Landratsamt Heilbronn den Antrag.<br />
Nachdem sie die geforderten Aufl agen erfüllt<br />
hatte, insbesondere was die Wirtschaftsküche<br />
und die Toilettenanlagen betraf<br />
und dies mit einer Planskizze belegt<br />
hatte, erhielt Luise Kleber daraufhin am<br />
13. November 1958 die Erlaubnisurkunde<br />
zum Führen einer Schankwirtschaft. Auf<br />
Anregung einer Bekannten wählte sie dafür<br />
den hoff nungsvollen Namen „Zum<br />
grünen Baum“.<br />
Die Wirtschaft erreichte einen hohen Bekanntheitsgrad<br />
in der Zeit, als die Durchgangsstraßen<br />
von Neuenstadt nach Eberstadt<br />
und Brettach ausgebaut wurden und<br />
die nahe gelegene Autobahn A 81 im Bau<br />
war; also in den späteren 1960er und frühen<br />
1970er Jahren. Die Gaststube war ein<br />
beliebter Treff punkt für die Bauarbeiter,<br />
aber auch für viele <strong>Cleversulzbach</strong>er, weil,<br />
wie es hieß, dort eine besondere Stimmung<br />
herrschte. Wenn für größere Feiern<br />
der doch relativ kleine Schankraum nicht<br />
ausreichte, mietete die Wirtin den Gemeindesaal<br />
in der gegenüberliegenden<br />
Kelter und übernahm dort die Bewirtung.<br />
So auch im April 1967, als wieder ein<br />
ADAC-Bergrennen auf der Strecke <strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt<br />
stattfand, das dritte<br />
nach 1965 und 1966, und Luise Kleber für<br />
die Siegerehrung im Saal die Bewirtschaf-<br />
tung übernommen hatte. Die Saalmiete<br />
betrug damals 50,00 DM.<br />
Später hat sie die Gastwirtschaft an ihre<br />
Tochter Monika verpachtet, die sie mit ihrem<br />
Mann Eberhard Engstler noch einige<br />
Jahre weiterführte. Aus familiären Gründen<br />
hat Monika Engstler die Konzession<br />
zum 31. Dezember 1976 wieder abgemeldet.<br />
Ihre Mutter verzichtete auf eine Weiterführung<br />
der Gastwirtschaft. Damit war<br />
nach 18 Jahren der „Grüne Baum“ schon<br />
wieder Geschichte. Das Ehepaar Engstler<br />
Ehemalige Gastwirtschaft „Zum grünen<br />
Baum“, 2012<br />
startete in Neuenstadt mit dem Landgasthof<br />
„Linde“ eine neue Gastwirtslaufbahn.<br />
Zur Abrundung wäre noch zu erwähnen,<br />
dass einer mündlichen Überlieferung zufolge<br />
das englische Königspaar, das sich<br />
auf einem Deutschlandbesuch befand,<br />
auch einen Abstecher nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gemacht haben soll, um die Mörike-Stube<br />
aufzusuchen. Da diese aber an dem Tag<br />
gerade geschlossen war, ist man im „Grünen<br />
Baum“ zu einer kurzen Rast eingekehrt.<br />
Außer diesem Bericht einer Zeitzeugin<br />
gibt es aber keine weiteren Beweisstücke<br />
über einen solchen Besuch. Königin<br />
Elisabeth II. und ihr Ehegatte Prinz Philip<br />
haben zwar zu der Zeit, nämlich im Mai<br />
1965, einen 11-tägigen Deutschlandbesuch<br />
absolviert und weilten als Teil des
Programms am Spätnachmittag des 24.<br />
Mai im Schloss Langenburg, um Prinz Philips<br />
Verwandtschaft zu besuchen. Von dort<br />
ist man aber um 23.00 Uhr mit einem<br />
Sonderzug über Blaufelden nach Köln<br />
zum nächsten Besuchsort weitergereist.<br />
Ein Abstecher nach <strong>Cleversulzbach</strong> dürfte<br />
allein zeitlich, geschweige denn wegen<br />
des strengen Protokolls, kaum möglich gewesen<br />
sein. Wer weiß, wie diese Legende<br />
entstanden ist!<br />
„Brunnenstüble“<br />
Da, wo heute an der Brettacher Straße<br />
Nr. 13 das schmucke Restaurant „Brunnenstüble“<br />
steht, standen bis 1985 noch<br />
mehrere alte Häuser, darunter auch der<br />
Bauernhof der Familie Seebold. Als in den<br />
1980er Jahren der Bedarf nach zusätzlicher<br />
Einkehrmöglichkeit in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
fühlbar wurde, fassten die Eheleute Hildegard<br />
und Gerhard Seebold den Beschluss,<br />
ein Restaurant zu eröff nen. Der elterliche<br />
Bauernhof und angrenzende Häuser wurden<br />
abgerissen und an deren Stelle 1986<br />
das Restaurant „Brunnenstüble“ gebaut,<br />
benannt nach dem bis heute noch ein<br />
paar Meter weiter stehenden Brunnen.<br />
Es war ein wagemutiges Unternehmen,<br />
denn Gerhard Seebold war Bäcker von Beruf<br />
und sowohl er als auch seine Frau hatten<br />
anfangs nicht die geringste Ahnung<br />
von Gastronomie. Ihr Sohn Christian<br />
wurde 1974 geboren und wollte ursprünglich<br />
wie sein Vater Bäcker werden. Doch<br />
als die Eltern das Brunnenstüble eröff net<br />
hatten, war für ihn klar, dass er irgendwann<br />
in das elterliche Geschäft einsteigen<br />
würde. Er lernte Koch im ehemaligen Heilbronner<br />
Restaurant „Stöber“, praktizierte<br />
in Hotelgaststätten in der Eifel und auf<br />
Sylt und kehrte 1997 in den elterlichen<br />
Betrieb zurück. 2003 legte er die Prüfung<br />
zum Küchenmeister ab. Sein Vater zog<br />
sich aus Alters- und Krankheitsgründen<br />
aus dem Alltagsgeschäft zurück. Christian<br />
Seebold pachtete schließlich 2005 das<br />
„Brunnenstüble“ und führt es seitdem zusammen<br />
mit seiner Mutter. Es ist inzwischen<br />
mit seiner gehoben-bürgerlichen<br />
Küche weit über die Grenzen des Heilbronner<br />
Landkreises hinaus bekannt geworden.<br />
Waren es früher in starkem Maße<br />
Kunden und Interessenten der zwei am<br />
Ort ansässigen Antiquitätengeschäfte, die<br />
das „Brunnenstüble“ aufsuchten, so sind<br />
es heute insbesondere Besucher und<br />
Gruppen, die an der mit Schiller und<br />
Mörike behafteten Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
interessiert sind. Darüber hinaus ist<br />
es ein beliebtes Ziel für alle Arten von Familien-,<br />
Vereins- und Firmenfeierlichkeiten<br />
geworden.<br />
Restaurant „Brunnenstüble“<br />
„Hirsch“<br />
Über diese Gastwirtschaft wurde nur ein<br />
einziger Eintrag gefunden. Es war eine so<br />
genannte Schildwirtschaft und als Wirt<br />
war 1824 Samuel Kuttruff eingetragen.<br />
Wo sie sich im Ort befunden hat, war<br />
nicht zu ermitteln. Auch wurde die Wirtschaft<br />
„Hirsch“ nirgendwo erneut erwähnt.<br />
211
212<br />
Besenwirtschaften<br />
Wie in vielen anderen Weinbaugebieten<br />
wurden auch in <strong>Cleversulzbach</strong> über viele<br />
Jahre so genannte Besenwirtschaften (in<br />
anderen Gebieten Straußenwirtschaften<br />
genannt) betrieben. In diesen Wirtschaften,<br />
die keiner Gaststättenkonzession bedürfen,<br />
kann der Winzer seinen selbsterzeugten<br />
Wein ausschenken und einfache<br />
Speisen anbieten. Die Sitzplatzzahl ist mit<br />
max. 40 festgelegt und der „Besen“ darf<br />
auch nur in begrenzten Zeiträumen geöff -<br />
net werden. Trotzdem erfreuen sich Besenwirtschaften<br />
großer Beliebtheit, weil,<br />
anders als in Gastwirtschaften, die Besucher<br />
eng zusammenrücken und sehr<br />
schnell ein nachbarlicher Kontakt entsteht.<br />
Bekannte Besenwirte in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
waren Gottlob Euerle, Gustav Herrmann,<br />
Hermann Schlegel, Fritz Weber und<br />
Wilhelm Weiß.<br />
Nach langen Jahren ohne einen „Besen“ in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> eröff nete im Februar 1985<br />
die Familie Herbert Uhlmann im Erdgeschoss<br />
ihres Hauses in der Eberstädter<br />
Straße 32/1 wieder eine Besenwirtschaft.<br />
Die eigene Vermarktung der erzeugten<br />
Weine war der auslösende Faktor gewesen,<br />
nachdem die Zusammenarbeit mit der<br />
Weingärtnergenossenschaft nicht so zufriedenstellend<br />
gelaufen war. Der urig<br />
ausgestattete „Besen“ sprach sich schnell<br />
herum. Eine reichhaltige Weinkarte und<br />
geschmackvolle einfache Gerichte aus der<br />
Region sorgten für einen großen Zulauf,<br />
sodass sich Herbert Uhlmann 1998 entschloss,<br />
den „Besen“ zu vergrößern und<br />
das Speisenangebot zu erweitern, was allerdings<br />
eine Gaststättenkonzession erforderlich<br />
machte. Das Unternehmen nannte<br />
1 Siegfried Gotthelf Eckardt, Künstlername Koch<br />
(1754 –1831), war ein bedeutender Charakterdarsteller,<br />
zuletzt am Burgtheater Wien; Johann Friedrich Bause<br />
(1738 –1814), deutscher Kupferstecher, bester Porträtstecher<br />
seiner Zeit.<br />
sich fortan „Weinstube Uhlmann“. Nach<br />
weiteren zehn erfolgreichen Jahren beschloss<br />
aber die Familie Ende 2009 eine<br />
„Auszeit“ zu nehmen. Die Bewirtschaftung<br />
wurde für eine ungewisse Zeit eingestellt,<br />
der Weinverkauf jedoch weiter geführt.<br />
Weinstube Uhlmann, 2010<br />
Branntweinschänken<br />
Zu erwähnen wäre noch, dass neben den<br />
genannten Gast- und Besenwirtschaften<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> auch eine Reihe von so<br />
genannten Branntweinschänken betrieben<br />
worden sind. Es handelte sich um Schänken,<br />
bei denen nur (meist selbst gebrannter)<br />
Branntwein und andere alkoholische<br />
Getränke ausgeschenkt, aber keine Speisen<br />
serviert wurden. In den Unterlagen<br />
werden besonders in den Jahren zwischen<br />
1820 und 1860 viele Namen von Branntweinbrennern<br />
und Branntweinschankwirten<br />
genannt, so die Wirte Thomas Au, Jakob<br />
Gessmann, Jakob Herrmann, Gottlieb<br />
Korb, Paul Mezger und Jakob Siller.<br />
2 Holgen, auch Holge, Helge ist im Schwäbischen Jahrmarktsware,<br />
vor allem Papier, bedruckt mit der Darstellung<br />
eines Heiligen.<br />
3 Aus dem Kataster entfernt.
Von Banken und „Wohnzimmerfi lialen“ –<br />
Die Entwicklung des Sparwesens<br />
Vom Darlehenskassenverein zur<br />
Volksbank<br />
Das älteste und einzige bis heute mit einer<br />
Filiale in <strong>Cleversulzbach</strong> vertretene Bankinstitut<br />
ist die Volksbank. Sie wurde am<br />
11. Juni 1899 als Darlehenskassenverein<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> gegründet. Dieser war<br />
dem Genossenschaftsgedanken verpfl ichtet<br />
und verfolgte den Zweck, „seinen Mitgliedern<br />
die zu ihrem Geschäfts- und<br />
Wirtschaftsbetriebe nötigen Geldmittel in<br />
verzinslichen Darlehen zu beschaff en sowie<br />
Gelegenheit zu geben, müßig liegende<br />
Gelder verzinslich anzulegen.“ Die ersten<br />
Genossen, die sich am 20. Juni in das Genossenschaftsregister<br />
eintrugen, waren<br />
Schultheiß Reinhold Kögel, Pfarrer Paul<br />
Harr und 23 Landwirte und Handwerker. 1<br />
Der erste Vorstand setzte sich aus dem<br />
Landwirt Gottfried Hesser als Vorsteher,<br />
Gemeinderat Samuel Kuttruf als Stellvertreter,<br />
Landwirt August Kuttruf, Schreiner<br />
August Müller und Landwirt Gottlob Herrmann<br />
sen. zusammen. Die genossenschaftliche<br />
Idee der Selbsthilfe kam vor<br />
allem darin zum Ausdruck, dass der Verein<br />
seinen Mitgliedern auch „den gemeinschaftlichen<br />
Ankauf landwirtschaftlicher<br />
Bedarfsgegenstände sowie den gemeinschaftlichen<br />
Verkauf landwirtschaftlicher<br />
Erzeugnisse vermitteln“ konnte. Von Anfang<br />
an wurden gemeinschaftlich Kunstdünger,<br />
Futtermittel und Sämereien beschaff<br />
t. 2 Auch eine Sämaschine sollte bald<br />
angeschaff t werden; für den vom Oberamt<br />
empfohlenen Trieur, ein Trenngerät,<br />
um gutes, gesundes Saatgut zu gewinnen,<br />
fand sich allerdings zunächst kein Platz.<br />
Der Darlehenskassenverein besaß nämlich<br />
keine eigenen Räumlichkeiten und war<br />
auf das Wohlwollen der Gemeinde angewiesen,<br />
die anfangs Teile der Remise beim<br />
Rathaus und das Vorzimmer des Rathauses<br />
als Lager zur Verfügung stellte. 3 Erst<br />
1950/51 errichtete die Bank die Dreschhalle<br />
am Ortsausgang. Dort wurden fortan<br />
die Maschinen untergestellt – etwa ein<br />
Holzgasschlepper, der 1944 angeschaff t<br />
worden war, Mähwerk, Pritschenwagen<br />
oder Garbenbinder. Auch der Warenhandel<br />
mit Saatgut, Kunstdünger etc. wurde<br />
dort abgewickelt. Diese Aktivitäten wanderten<br />
aber schon bald zum Lagerhaus<br />
(BAG) Neuenstadt ab; die 1964 noch erweiterte<br />
und umgebaute Dreschhalle<br />
wurde verkauft.<br />
Der Darlehenskassenverein fi rmierte seit<br />
1935 als Spar- und Darlehenskasse <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
deren Sitz 1968 nach Neuenstadt<br />
a. K. verlegt wurde und dadurch sozusagen<br />
zur Mutter der Volksbank Neuenstadt<br />
wurde. Der kriegsversehrte Landwirt<br />
Karl Bräuninger, der ab 1946 zunächst<br />
Rechner, dann Geschäftsstellenleiter war,<br />
wirkte 40 Jahre lang (bis 1986) für die Genossen.<br />
Die Bankfi liale war in seinem<br />
Wohnhaus untergebracht – anfangs in der<br />
Brettacher Straße, dann in seinem neu erbauten<br />
Haus in der Fladenstraße. Hier gab<br />
es wenigstens ein eigenes Zimmer für die<br />
Bankgeschäfte. 1973 schließlich bezog die<br />
Bank erstmals ein eigenes Gebäude: In der<br />
Brettacher Straße war der Neubau zum<br />
Jahresende fertiggestellt worden. Seit<br />
1994 residiert die Geschäftsstelle im Gebäude<br />
gegenüber; das ehemalige Bankgebäude<br />
wird als Verkaufsstelle der Bäckerei<br />
Discher genutzt.<br />
Württembergische Sparkasse<br />
1818 war von Königin Katharina die Württembergische<br />
Sparkasse in Stuttgart gegründet<br />
worden. Sie war eine Einrichtung<br />
der Armenfürsorge und Wohltätigkeit und<br />
213
214<br />
Sparbuch Württembergische<br />
Landessparkasse,<br />
die Nachfolgerin<br />
der 1818 gegründetenWürttembergischen<br />
Sparkasse<br />
sollte es vor allem den ärmeren Bevölkerungsschichten<br />
ermöglichen, ihre Ersparnisse<br />
zinsbringend anzulegen. Auch in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> richtete sie auf die Initiative<br />
von Pfarrer Wiesner 4 1904 eine so genannte<br />
Agentur ein, die ihm selbst übertragen<br />
wurde. Wie Pfarrer Harr 1902 berichtete,<br />
existierte zu diesem Zeitpunkt<br />
auch bereits eine Schülersparkasse. Bereits<br />
die Kinder sollten also möglichst frühzeitig<br />
zum Sparen angehalten werden. 5 Fleiß<br />
und Betriebsamkeit zählten zwar zu den<br />
Eigenschaften der <strong>Cleversulzbach</strong>er, wenn<br />
man den Erhebungen für die 1881 erschienene<br />
Neckarsulmer Oberamtsbeschreibung<br />
Glauben schenken mag, zugleich<br />
aber auch mangelnde Sparsamkeit<br />
und ein „Hang zum Branntweintrinken“,<br />
der sich „sittlich und ökonomisch zerrüttend“<br />
auswirke. Angesichts der recht großen<br />
Zahl der Armen in der Gemeinde blieb<br />
allerdings auch nicht viel Spielraum, um<br />
Ersparnisse anzulegen. Die Hoff nung des<br />
Pfarrers, „dass in seiner Gemeinde jung<br />
und alt mehr zum Sparen angehalten<br />
werde“, erfüllte sich zunächst nicht. 6 1906<br />
schrieb er: „Für viele Familien ging es<br />
rückwärts, es gab mehrere Konkurse in<br />
den letzten Jahren“ … „die Sparkasse,<br />
Agentur der Württembergischen Sparkasse,<br />
führt ein ziemlich kümmerliches<br />
Dasein“. Erst danach verbesserten sich allmählich<br />
die wirtschaftlichen Verhältnisse.<br />
Die Agentur dieser Bank, ab 1977 Landesgirokasse<br />
und seit 1999 Landesbank Baden-Württemberg,<br />
existierte noch lange<br />
am Ort und wurde zuletzt von Wilhelm<br />
Kuttruf, der unter Bürgermeister Nef Gemeindepfl<br />
eger war, in seinem Haus in der<br />
Eberstädter Straße betrieben.<br />
Oberamtssparkasse Neckarsulm bzw.<br />
Kreissparkasse Heilbronn<br />
Demselben Gedanken war die 1847 gegründete<br />
Neckarsulmer Oberamtssparkasse<br />
verpfl ichtet: Sie wollte den Bürgern<br />
im Oberamtsbezirk eine sichere Anlage ihrer<br />
Ersparnisse und günstige Darlehensmöglichkeiten<br />
bieten. 1910 stellte sie fest,<br />
dass in <strong>Cleversulzbach</strong> noch kein „Sparpfl<br />
eger“ vorhanden sei; als geeignete Persönlichkeit<br />
wurde daraufhin Pfarrer Wiesner<br />
vorgeschlagen. 7 Auch Minibeträge unter<br />
1 Mark konnten angespart werden.<br />
Dazu diente die mit der Sparkasse verbundene<br />
Pfennigsparkasse, die den Sparern<br />
Sparmarken ausgab, bis 1 Mark erreicht<br />
war und das Angesparte auf das Sparbuch<br />
überführt werden konnte.<br />
Erst spät erhielt die Sparkasse, die seit<br />
1938 zur Heilbronner Kreissparkasse gehörte,<br />
eigene Räumlichkeiten. Solange sie<br />
Agentur war, befand sie sich im Privathaus<br />
des jeweiligen Inhabers. Landwirt<br />
Wilhelm Kreß führte die Agentur bis 1976,<br />
danach ging sie in die Hände von Brigitte<br />
Euerle, die im Wohnhaus ihrer Schwiegereltern<br />
in der Neuenstädter Straße 12 die<br />
Bankgeschäfte erledigte. Es war eine typische<br />
„Wohnzimmerfi liale“: ein Schreibtisch,<br />
verschiedene Bankformulare, Kasse<br />
und Rechenmaschine. Die Kunden kamen,<br />
wann sie Zeit hatten – auch am Sonntag<br />
–, um Bargeld zu holen, Überweisungen<br />
aufzugeben oder ihr Erspartes anzulegen.<br />
Frau Euerle führte bald feste Geschäftszeiten<br />
ein, was bei den <strong>Cleversulzbach</strong>ern<br />
zunächst nicht gut ankam. Als<br />
1978 die Agentur zur Filiale erhoben
Hinweisschild an der Ecke Neustädter<br />
Straße/Hohlstraße zur Filiale der Kreissparkasse<br />
Heilbronn im Privathaus von Wilhelm<br />
Kreß in der Hohlstraße 8<br />
wurde, wurde sie deren erste Leiterin.<br />
Gleichzeitig bezog die Sparkasse erstmals<br />
eigene Räume im Erdgeschoss des Rathauses.<br />
Ab 1980 war dort Bernd Ohrnberger<br />
Filialleiter; ihm folgte 1982 die aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
stammende Hildegard Nagel<br />
(geb. Nef). Zum 30. September 2000<br />
wurde die Filiale geschlossen; seitdem gehen<br />
die Kunden nach Neuenstadt.<br />
Handels- und Gewerbebank Heilbronn<br />
bzw. Baden-Württembergische Bank<br />
Auch die 1902 in Heilbronn gegründete<br />
Handels- und Gewerbebank, seit 1977 Baden-Württembergische<br />
Bank, war am Ort<br />
vertreten. Die Bank hatte über den ganzen<br />
Landkreis ein dichtes Netz an Filialen und<br />
Agenturen gespannt. Oftmals waren die<br />
örtlichen Einzelhändler Inhaber der Agenturen.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> arbeitete die Bank<br />
ebenfalls auf Agenturbasis. Die Agentur lag<br />
1 StAL FL 300 /14 II Bü. 195 Genossenschaftsregister.<br />
2 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 30 Gemeinderatsprotokoll 12.08.1899.<br />
3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 31 Gemeinderatsprotokoll<br />
30.09.1902. CB 32 Gemeinderatsprotokoll 11.07.1910. CB<br />
32 Gemeinderatsprotokoll 02.12.1910 und 13.11.1911.<br />
4 Fritz Wiesner, Pfarrer in <strong>Cleversulzbach</strong> von 1903–1931.<br />
in den Händen der Geschwister Seebold im<br />
„Adler“, seit den 1960er Jahren fast 30<br />
Jahre lang in denjenigen von Landwirt Kurt<br />
Eckert, der zunächst im Dorf seinen Hof<br />
hatte, später aussiedelte (Haselhof) und nebenbei<br />
die Agentur betrieb. Auch dies war<br />
eine typische „Wohnzimmeragentur“, ausgestattet<br />
lediglich mit den wichtigsten<br />
Utensilien für den Bankbetrieb. Wie Frau<br />
Eckert erzählt, gab es zweimal in der Woche<br />
Sprechzeiten. 1994 schloss die Baden-<br />
Württembergische Bank ihre letzten Agenturen,<br />
die inzwischen als nicht mehr zeitgemäß<br />
angesehen wurden.<br />
Volksbank Öhringen bzw. Volksbank<br />
Hohenlohe<br />
Die fünfte Bank, die in <strong>Cleversulzbach</strong> Fuß<br />
zu fassen versuchte, war die Volksbank<br />
Öhringen, heute Volksbank Hohenlohe. Sie<br />
beschränkte ihre Aktivitäten nicht auf den<br />
damaligen Landkreis Öhringen, sondern<br />
eröff nete auch Zweigstellen im angrenzenden<br />
Kreis Heilbronn, z. B. Gochsen, Kochersteinsfeld<br />
oder Lampoldshausen. In<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> wurde eine nebenamtliche<br />
Zahlstelle eingerichtet, die bis 1971 Paula<br />
Rüber, dann bis 1973 Paula Drautz und<br />
zuletzt von 1973 bis 1983 Wilhelm Göltenboth<br />
innehatten. 8 Auch seine Frau Else<br />
half bei den Bankgeschäften mit, erzählt<br />
Herbert Göltenboth. Die wichtigsten Utensilien<br />
waren die Kasse und das Kassenbuch,<br />
in dem die Ein- und Auszahlungen festgehalten<br />
wurden. Alle paar Wochen musste<br />
mit der Hauptstelle in Öhringen abgerechnet<br />
werden. 1983 wurde die Zahlstelle<br />
aufgegeben. Im 20. Jahrhundert profi tierte<br />
der Ort also von einer außerordentlichen<br />
Bankenvielfalt, von der man heute in einem<br />
kleinen Dorf nur träumen kann.<br />
5 LKA Stuttgart Pfarrbericht 1902<br />
6 StAL E 193 Bü. 588<br />
7 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 32, 22.02.1910<br />
8 Festschrift 125 Jahre Volksbank Öhringen eG, 1968. –<br />
Freundliche Auskunft der Volksbank Hohenlohe, August<br />
2011.<br />
215
216<br />
Gebäude und Einrichtungen in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
Das Rathaus von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
„Das neue Rathhaus, das im Erdgeschoß<br />
das Spritzenlokal enthält, ist 1874 gebaut<br />
worden“, berichtet die Oberamtsbeschreibung<br />
über <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Oberamtsbeschreibung<br />
Neckarsulm ist 1881 erstellt<br />
worden. Die Erhebungen zu den einzelnen<br />
Ortsdossiers sind somit bereits davor zu<br />
datieren und das in der Oberamtsbeschreibung<br />
erwähnte Gebäude dürfte zum Zeitpunkt<br />
der Berichterstattung erst kurz davor<br />
bezogen worden sein.<br />
Das Rathaus 1833<br />
Dass es jedoch bereits einen Vorgängerbau<br />
gegeben hat, ist ebenfalls den Gemeinde-<br />
ratsprotokollen bzw. der Gemeindepfl egerrechnung<br />
zu entnehmen. So sieht sich<br />
der Gemeinderat 1833 veranlasst, das bestehende<br />
Rathaus aktuellen Erfordernissen<br />
anzupassen: Neben der Vergrößerung des<br />
Unterrichtsraums im Erdgeschoss soll auch<br />
eine Arrestzelle im Obergeschoss eingebaut<br />
werden. Baumeister Grotz aus Neuenstadt<br />
war beauftragt, einen Kostenanschlag<br />
für diese Umbaumaßnahme zu erstellen.<br />
Das Rechenwerk, aus dem im Folgenden<br />
Auszüge wiedergegeben werden,<br />
wurde dem Gemeinderat und dem Bürgerausschuss<br />
am 24. Juni 1833 zur Zustimmung<br />
vorgelegt:<br />
Bauüberschlag<br />
über eine beabsichtigte Vergrößerung des Schulzimmers im unteren Stock des Rathhauses<br />
und einiger Abänderungen im oberen Stock namentlich Anfertigung eines bürgerlichen<br />
Arrests.<br />
Randbemerkung: Lauter Duodezimalmeß 1<br />
Bey der Berechnung ist die Hinwegscha ung des Schuttes, so wie die Beyfuhr der Materialien<br />
weggelaßen worden, weil dieses in der Frohn geschehen solle, alle übrigen Handarbeiten<br />
sind von den Akkordanten zu besorgen, das erforderliche eichen Holz wird von der<br />
Gemeinde dazu gegeben, aber das Schneiden des Holzes hat der Zimmermann zu übernehmen,<br />
und ebenso auch das Beschlagen; die Abfälle etc. gehören dem Zimmermann.<br />
Die Art und Weise, wie die Vergrößerung des Schulzimmers vorgenommen werden solle,<br />
ebenso die Veränderung im oberen Stock wegen Errichtung eines bürgerlichen Arrestes<br />
geht aus den angeschloßenen Zeichnungen deutlich hervor, allwo das roth schrafi rte die<br />
neue Wandungen und Abänderungen anzeigt.<br />
Zimmerarbeit<br />
Ausbruch und Absprießarbeiten<br />
Die Wandungen welche im Grundriß von der alten Einrichtung<br />
mit A, B, C und D bezeichnet sind hat der Zimmermann<br />
behutsam auszubrechen, vorher aber ganz gut und<br />
zwar mit Hebgeschirr abzusprießen.<br />
Der Ofen und das schlechte Cloak 2 auszubrechen, und
ebenso die alte Stiege, wann nemlich die neue soweit<br />
fertig ist daß sie gleich aufgeschlagen werden kann. An<br />
aller dieser Arbeit wird samt Hebgeschirr verdint nemlich<br />
in beeden Stockwerken 8 Gulden<br />
[...]<br />
zu den 2 Cloakwändle wird leichtes 4 und 5“ [= 10 und 14 cm]<br />
starkes Holz verarbeitet 78 pro Schu samt schneiden und<br />
verarbeiten 3 Kreuzer thut 3 Gulden 54 Kreuzer<br />
Zu dem Hauptdurchzug der durch das Schulzimmer gezogen<br />
wird, und der mittelst Hebegeschirr ganz solid einzuziehen<br />
ist, werden verarbeitet 31 Schu tannen 10 und 12“<br />
[30 und 32 cm] starkes Holz pro Schu für alles 15 Kreuzer 7 Gulden 45 Kreuzer<br />
Tragpfosten lang 7 Fuß rund geschaff t wird verdint 1 Gulden 12 Kreuzer<br />
Die Treppe welche von dem ersten auf den 2ten Stock<br />
niederführt bekommt ohne den Stiegen Antritt, aber samt<br />
Austritt 15 Tritte. Diese Treppe wird von eichen Dielen gemacht<br />
jeder Lau 3 ½` [= 1,00 m] weit; die Tritte, werden 2“<br />
[= 5,5 cm] dick und 13“ [= 37,2 cm] breit, die Zargen 3 3“<br />
[= 8,5 cm] dick und 12“ [= 34,3 cm] breit, der erste Lauf bekommt<br />
11 Tritte, weil der Ruhbank 4 ganz durchlaufen muß,<br />
und man unter demselben aufrecht und bequem in den<br />
Abtritt muß gehen können.<br />
36 Gulden<br />
[...]<br />
Fürs Auswechseln der Camine wird ausgesetzt Arbeitslohn 1 Gulden 12 Kreuzer<br />
Summa Zimmerarbeit 39 Gulden 36 Kreuzer<br />
Maurer Arbeit samt Mat.<br />
[...]<br />
Die Türwandungen sind entweder von Tuf 5 - oder Backenstein<br />
zu machen, und betragen ein Meß 2 ¼ Quadratruten<br />
[= 18,4 m²] pro Ruthen gleich dem obigen Riegelgemäuer<br />
herzustellen a 5 Gulden 30 Kreuzer 13 Gulden 15 Kreuzer<br />
Das Camin von der neu zu errichtenden Schulstube ist neu<br />
von rothen Klinker im Fürst des Daches hinauszuführen auf<br />
1` 9“ [= 54 cm] Licht weite und innen aus Putzen zu bestehen,<br />
und 2 ½´ [= 71,5 cm] hoch über dem Fürst draußen mit einer<br />
steinernen Platte zu bedecken es mißt dieses Camin ohne das<br />
Vorkamin 28´ [= 8,00 m] laufend, pro Schu für alles ohne<br />
Fuhrlohn 48 36 weil 1/3 tel vollkommen von dem alten ge- 22 Gulden 24 Kreuzer<br />
braucht werden kann thut 16 Gulden 4 Kreuzer<br />
[...]<br />
zu projektierten Canonen Öfen 2 Ofensteine zu fertigen<br />
a 1 Gulden thut 2 Gulden<br />
217
218<br />
den unteren und oberen Orhen 6 , so wie das Schulzimmer des<br />
Arrest und überhaupt alles in beeden Stockwerken zu weißen<br />
samt Mat. und samt bestechen der neuen Fach mit 2 ½ 18 Gulden<br />
Summa Maurer Arbeit 38 Gulden 54 Kreuzer<br />
Schreiner Arbeit samt Holz Leim und Nägel<br />
Den Fußboden in der Schulstube, um das, was diese vergrößert<br />
wird, mit verleimten Brettertafeln zu belegen mit 270 Quadratschu<br />
[= 22,1 m²] pro Schu von alt Holz Ripp ins Bley zu legen<br />
und den Boden überhaupt von unästigen Brettern herzustellen<br />
4 ½ Kreuzer 20 Gulden 15 Kreuzer<br />
60 laufende Schu neue Subretlin 7 zu fertigen, wobey die Kopfstücke<br />
jedes mal von 1 ¼ ´ [= 4,3 cm] starkem Holz sägen<br />
müssen, pro laufende Schu samt befestigen gut gearbeitet<br />
a 24 Kreuzer 24 Gulden<br />
das bürgerliche Arrest Zimmer mit neu gefügten Bretter zu belegen<br />
mit 86 Quadratschu [= 7 m²] a 3 Kreuzer 4 Gulden 18 Kreuzer<br />
[...]<br />
die Thüre von dem Raths Zimmer an das Arrest Zimmer zu<br />
richten und was fehlt ergänzen 30 Kreuzer<br />
[...]<br />
3 Cloakenthüren, hiervon ist eine alt, jede 6´4“ hoch 2´3“ weit<br />
[= 1,83 m x 0,66 m] zu machen glatt mit Einschiebleisten pro<br />
Stk in einander a 1 Gulden 12 Kreuzer 3 Gulden 36 Kreuzer<br />
[...]<br />
Die Siz und Deckel zu den 3 Cloaken ganz gut zu fertigen und<br />
die vordere Seite gut zu vertäfern, 2 davon sind mit Wasserrinnen<br />
zu versehen und überhaupt nach allen Theilen gut herzustellen,<br />
wird zusammen für alles gerechnet 5 Gulden<br />
Summa 70 Gulden 31 Kreuzer<br />
Schlosser Arbeit<br />
[...]<br />
die Thüre an das Rathszimmer mt einem französischem<br />
Schloss Schippenband und Stützenkloben, Knopf und aller<br />
Zubehör anzuschlagen 5 Gulden 30 Kreuzer<br />
[...]<br />
Die Thüre an das Arrestzimmer mit dem alten Beschläg wieder<br />
anzuschlagen, und was fehlt zu ergänzen, auch besonders<br />
das Schloss ganz gut herzurichten 1 Gulden 20 Kreuzer<br />
An die 2 Canonenöfen Vorschläge mit Thürle zu machen im<br />
Gewicht 20 Pfund a 20 Kreuzer 6 Gulden 40 Kreuzer<br />
[...]<br />
8 Flügel Fenster anzuschlagen mit aller Zubehör 30 Kreuzer 4 Gulden<br />
Summa 26 Gulden 40 Kreuzer
Glaßer Arbeit<br />
2 neue Fenster jedes hoch 4´ 5“ weit 3´ 3“ [1,28 m x 0,94 m]<br />
Die Rahmen von sauberm gestaltenen Holz mit Sprossen in Kitt<br />
gefertigt, mit 4 Flügel in 4 Stüchk getheilt, so dass 3 Scheiben<br />
auf den unteren und 1 Scheibe auf den oberen Flügel kommen,<br />
mit weißem Glaß verglast und 3 mal weis Ölfarb angestrichen<br />
pro Schu 22 Kreuzer thut auf 30 [Quadratschu = 0,08 m²]<br />
Zu jedes Cloak ein Fensterle allweeg 1 Schu groß zu machen<br />
mit Schieberle und ein Fenster in das Arrest Zimmer allweeg 2´<br />
gros mit einem Schieberle, zusammen also 7 Fenster von ordinärem<br />
Glaß roth angestrichen 2 mal, pro Schu 15 Kreuzer<br />
11 Gulden<br />
thut<br />
[...]<br />
1 Fenster in den oberen Orhen hoch 3´ 8“ weit 3“ [1,09 m x<br />
0,86 m] von weisem Glaß zu machen wie die unteren, aber nur<br />
1 Gulden 45 Kreuzer<br />
mit Schieber, pro Schu samt Anstrich a 18 Kreuzer thut 1 Gulden 48 Kreuzer<br />
Summa 14 Gulden 35 Kreuzer<br />
Schmidt Arbeit samt Anschrauben<br />
Die Schrauben und Hängband zu dem Sprengwerk und was<br />
sonsten Eisen zu Klammern erforderlich ist wird wiegen 86<br />
Pfund samt Eisen und Arbeitslohn 14 Kreuzer20 Gulden 4 Kreuzer<br />
Die 2 kleinen Öfen kostet einer a 14 Gulden 28 Gulden<br />
Die 2 großen jeder 30 Gulden 60 Gulden<br />
Zusammen 88 Gulden<br />
Der Ankauf der 4 Öfen samt Setzen derselben wird kosten<br />
Zusammen 88 Gulden<br />
Hingegen kam der Erlös der 2 alten Öfen a 14 Center zu 3 Gul-<br />
Den 24 Kreuzer betragen 48 Gulden 26 Kreuzer mithin kommt<br />
in Auswurf 39 Gulden 24 Kreuzer<br />
Summa Summarum der ganzen Kosten von Herstellung der Schulstube und des Rathhaus-Gelaßes<br />
322 Gulden 26 Kreuzer<br />
Berechnet im Juny 1833 Werkmeister Grotz<br />
Dem Kostenanschlag beigefügt sind die<br />
Grundrisspläne der geplanten Baumaßnahme:<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>. Grund-Riße von<br />
dem dortigen Rathhaus und dem Lehr-<br />
Zimmer des Schulmeisters.<br />
Änderungen in den Plänen werden nicht<br />
vorgenommen. Die dargestellten Streichungen<br />
im Kostenanschlag sind mit Sicherheit<br />
das Ergebnis der Auseinandersetzung<br />
von Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />
mit dem Rechenwerk des Baumeis-<br />
ters Grotz. In der Genehmigungsvorlage<br />
über das Oberamt Neckarsulm an die<br />
Kreisverwaltung Heilbronn sind diese gestrichenen<br />
und geänderten Ansätze nicht<br />
mehr enthalten.<br />
Baumeister Grotz aus Neuenstadt fungierte<br />
nach heutiger Lesart als Generalübernehmer<br />
8 . Er hat die Pläne und den<br />
Kostenanschlag ausgearbeitet, der mit wenigen<br />
Nachbesserungen und Reduzierungen<br />
durch die Kollegien der Gemeinde zu<br />
219
220<br />
Plan zum Umbau des Rathauses 1833, Grundriss 1. Stock, der Plan ist bezeichnet mit:<br />
Das roth schrafi rte wird neu, Lehr-Zimmer 810 Quadrat Schu haltend,<br />
und was schwarz ist fast daher auf 1 Kind samt Gänge und alles<br />
bleibt stehen 7 quadrate Schu gerechnet, höchstens ca.<br />
125 Kinder<br />
1ter Stock<br />
Cloake Orhen Hausthüre<br />
Cloake Treppe in oberen Stock<br />
Gez: Grotz<br />
1833
Plan zum Umbau des Rathauses 1833, Grundriss 2. Stock, der Plan ist bezeichnet mit:<br />
Arbeitszimmer Rathszimmer 2ter Stock<br />
gesprengte Wand<br />
Einheiz-Bügel<br />
bürgerlicher Arrest Orhen<br />
Camin<br />
Cloak für diesen Stock<br />
221
222<br />
einem Endbetrag von 322 Gulden 26 Kreuzern<br />
akzeptiert wurde. Die Prüfung durch<br />
die Bauinspektion in Heilbronn ergab eine<br />
weitere Reduzierung der Kosten auf 316<br />
Gulden und 45 Kreuzer. Es müssen dann<br />
noch weitere und harte Verhandlungen<br />
zwischen Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />
einerseits und dem Baumeister geführt<br />
worden sein, die ihn dann letztendlich<br />
veranlassten, auf eine Vertragssumme<br />
von 290 Gulden für die schlüsselfertige<br />
Übergabe des Bauwerks einzugehen.<br />
Nach Fertigstellung der Umbauarbeiten<br />
gehen im Januar 1834 nach und nach<br />
weitere Rechnungen von Handwerkern<br />
ein. Off enbar handelt es sich hierbei um<br />
zusätzlich erforderlich gewordene Arbeiten,<br />
die nicht Vertragsbestandteil der ursprünglich<br />
vereinbarten Gesamtleistung<br />
waren und somit separat abzurechnen<br />
waren.<br />
Das Rathaus 1874<br />
Knapp 40 Jahre später steht der Zustand<br />
des Rathauses wieder zur Debatte. Bereits<br />
im Juni 1872 hatten der Gemeinderat und<br />
der Bürgerausschuss den Etat für das<br />
kommende Geschäftsjahr in einer gemeinsamen<br />
Sitzung für notwendige „außergewöhnliche<br />
Ausgaben zum Vergypsen und<br />
Anstrich des Rathhauses“ eingestellt und<br />
beschlossen.<br />
Am 28. Juli 1873 wird über einen vom<br />
Oberamtswerkmeister Lell vorgelegten<br />
Kostenanschlag über die „bauliche Reparatur“<br />
des Rathauses beraten. Der Reparaturaufwand<br />
summierte sich auf 619 Gulden<br />
und 9 Kreuzer. Der Gemeinderat hat gegen<br />
das Rechenwerk des Baumeisters grundsätzlich<br />
nichts einzuwenden. Allerdings<br />
übersteigen die veranschlagten Kosten den<br />
für diese Maßnahme vorgesehenen Betrag<br />
um mehr als das Doppelte, so dass man<br />
auch wegen der bereits fortgeschrittenen<br />
Jahreszeit die nicht so zwingend erforderlich<br />
erachtete Reparatur in das Frühjahr<br />
1874 verschiebt. Außerdem erwägt der<br />
Gemeinderat, die Aufwände auf zwei Etatjahre<br />
zu verteilen, um sie besser schultern<br />
zu können. Es wird jedoch beschlossen, die<br />
notwendigen Arbeiten schon im kommenden<br />
Winter in einem Wettbewerb auszuschreiben<br />
und zu vergeben.<br />
Im November 1873 entschließt sich der<br />
Gemeinderat, die anstehenden Reparaturkosten<br />
dadurch zu fi nanzieren, dass man<br />
den Holzeinschlag im Gemeindewald für<br />
den kommenden Winter verdoppelt, weil<br />
man für die eingeschlagenen Eichen von<br />
einem Schweinfurter Holzhändler ein sehr<br />
günstiges Angebot erhielt. Die Kahlschlagfl<br />
ächen würde man mit der noch schnellwüchsigeren<br />
und damit ertragreicheren<br />
Forche (Kiefer) bestocken.<br />
Im Winter wächst zunehmend die Erkenntnis,<br />
dass der Umfang der „Reparaturarbeiten“<br />
am Rathaus Gedanken zur<br />
Auslagerung der Dienstgeschäfte in ein<br />
Ausweichquartier erforderlich machen.<br />
Nicht ausgeschlossen werden kann, dass<br />
sich die Mehrzahl der Entscheidungsträger<br />
jetzt schon einem notwendigen Neubau<br />
des Gebäudes nicht verschließt. In der Gemeinderatssitzung<br />
am 5. Februar 1874<br />
kommt man nach entsprechender Beratung<br />
zu der nachstehenden Entscheidung:<br />
Der bauliche Zustand des Rathhauses<br />
macht eine durchgreifende Reparatur<br />
desselben unumgänglich nöthig, was<br />
beide bürgerliche Collegien anerkennen<br />
und veranlasst hat, den Oberamtswerkmeister<br />
Lell in Neuenstadt mit der Entwerfung<br />
eines Kostenvoranschlags hierfür<br />
samt einer Disposition über die künftige<br />
neue Einrichtung des oberen Stockwerkes<br />
zu beauftragen. Diese Arbeiten sind zwar<br />
noch nicht vollendet, gleichwohl aber ist<br />
jetzt schon Vorsorge für die Bescha ung<br />
eines Interims-Lokals zu den amtlichen<br />
Verhandlungen und zur Unterbringung<br />
der Gemeinde Registratur zu tre en. Ein<br />
geeignetes Lokal besitzt der in der Nähe
des Rathhauses wohnende Bürger Gottlob<br />
Herrmann in Haus Nro 81, welcher<br />
auch geneigt ist, sein ganzes 2tes Stockwerk<br />
in demselben Hause sammt einem<br />
entsprechenden Raume zur Aufbewahrung<br />
des Holz Vorrathes der Gemeinde für<br />
die Dauer des Rathhausbaues zur Verfügung<br />
zu stellen. Heute nun wird mit ihm<br />
dieserhalb verhandelt und hierauf ein<br />
Vertrag<br />
dafür abgeschlossen, daß Herrmann der<br />
Gemeinde seinem Wohnhaus Nro 81 an<br />
der Hauptstraße auf die ganze Dauer des<br />
Rathhausbauwesens folgende Gelasse zur<br />
Verfügung stellt, im 2ten Stockwerke 2<br />
Zimmer nebst der Küche (wo man die<br />
Feuer Löschgeräthe aufbewahrt) auf der<br />
Bühne 1 Kammer, im ersten Stock das<br />
Waschhaus und den Holzstall wofür er einen<br />
Aversal9 Miethzins von 90 fl Neunzig<br />
Gulden aus der Gemeindekasse erhält<br />
welche keine Änderung erleidet die Benutzung<br />
mag länger oder kürzer dauern<br />
und welche am Tage des Auszugs baar<br />
gezahlt wird.<br />
[...]<br />
Diesem Vertrag wird von beiden bürgerlichen<br />
Collegien sofort die Genehmigung<br />
ertheilt.<br />
In der für das geplante Vorhaben maßgeblichen<br />
Gemeinderatssitzung vom 16.<br />
März 1874 liegen nun die Planungsunterlagen<br />
für die Baumaßnahme am Rathaus<br />
vor. Das Ratsprotokoll vermerkt hierzu:<br />
Verhandelt am 16. März 1874<br />
Anwesend.<br />
GemRth 6 Mitgl.<br />
Bürgeraussch. ebensoviel<br />
Rathsschreiber Schweizer aus Brettach<br />
Der vom Oberamtswerkmeister Lell in Neuenstadt<br />
gefertigte Plan über den Umbau<br />
des Rathhauses dahier wird den bürgerlichen<br />
Collegien heute behufs der Prüfung<br />
und des weiteren Beschlussfassung über<br />
die Ausführung des Bauwesens vorgelegt.<br />
Im Allgemeinen fi ndet der Entwurf die<br />
Billigung und den Beifall beider Collegien,<br />
es wird aber geltend gemacht, daß die<br />
seitherige schmale Facade des Gebäudes<br />
in Etwas erbreitert und dadurch demselben<br />
ein schöneres Ansehen gegeben werden<br />
sollte, was dadurch erreicht werden<br />
könnte, daß die östliche Nebenseite des<br />
Rathhauses abweichend von der vorliegenden<br />
Zeichnung bis zur Eigenthumsgrenze<br />
der Gemeinde herausgerückt und<br />
sodann von dem Nachbar Daniel Herrmann<br />
der zum Traufrechte erforderliche<br />
Platz (ca.1 ½ Fuß10 breit und 40 Fuß<br />
lang11 ) käufl ich erworben würde.<br />
Der Nachbar Daniel Herrmann Gemeindepfl<br />
eger wäre auch geneigt zum Preise von<br />
6 Gulden pro Quadrat Ruthe12 von seiner<br />
anstoßenden Gartenparzelle No 53 mit<br />
8,8 Rth13 Gemüsegarten an die Gemeinde<br />
abzutreten und sich zugleich für sich und<br />
seine Besitznachfolger in dinglich wirkender<br />
Weise zu verpfl ichten, niemals in die<br />
fragliche Gartenparzelle zu bauen.<br />
Vorstehende O ert14 anerkannt Unterschrift:<br />
Daniel Herrmann Gempfl .<br />
Die bürgerlichen Collegien acceptieren<br />
dieses O ert und beschließen sofort<br />
1. Zunächst den Kostenvoranschlag der<br />
Revision des Herrn Kreisbaurathes<br />
Barth in Heilbronn zu unterstellen,<br />
2. Hierauf, falls ein erheblicher Anstand<br />
von dieser Revision nicht erhoben<br />
würde, das erforderliche Gartenareal in<br />
der oben dargestellten Weise von Daniel<br />
Herrmann käufl ich zu erwerben<br />
und sofort das Bauwesen nach Maaßgabe<br />
des vorliegenden Planes mit alleiniger<br />
Ausrichtung bezüglich der Breite<br />
des neuen Gebäudes wie oben bemerkt,<br />
ausführen und zu diesem Ende die erforderlichen<br />
Arbeiten zu Submissionsakkorde<br />
ausschreiben zu lassen,<br />
3. Bezüglich der Aufbringung der Kosten<br />
die K. Kreisregierung um Genehmigung<br />
223
224<br />
dafür anzugehen, daß der Gemeinde<br />
ein Grundstocks Angri 15 bis zum Betrage<br />
von 6000 Gulden gegen Wiederersatz<br />
in 15 Jahresraten pro 1. Juli<br />
1874/89 von je 400 Gulden welche in<br />
den Etat aufgenommen würde, gestattet<br />
wird, da anderweitige Mittel nicht<br />
vorhanden sind.<br />
[...]<br />
Eodem 16 wird auf erstattetem Vortrag<br />
beschlossen<br />
die diesjährige Bürgerholzabgabe gleich<br />
vorab auf 50 St Reisichwellen zu beschränken<br />
und dafür entsprechend den Aufbereitungskosten<br />
als Holzmacherlohns Ersatz<br />
von jedem Empfänger den Betrag von 1<br />
Gulden zur Gemeinde Casse einzuziehen.<br />
Die Absicht, sich von dem alten baulichen<br />
Zentrum der kommunalen Selbstverwaltung<br />
zu trennen, wird sich möglicherweise<br />
schon eine Weile in den Köpfen der Verantwortlichen<br />
festgesetzt gehabt haben.<br />
Der Wunsch nach einem repräsentativeren<br />
Rathaus könnte aber auch aus dem gestärkten<br />
Selbstbewusstsein eines gewonnenen<br />
Krieges gegen Frankreich resultieren.<br />
Jedenfalls erschien die Planung des<br />
beauftragten Baumeisters nicht geeignet,<br />
die Herzen der Herren Ortshonoratioren<br />
zu erwärmen. Die Straßenansicht erschien<br />
den Herrschaften off enbar zu dürftig, gemessen<br />
an dem Anspruch ihrer Standesehre<br />
und dem äußeren Erscheinungsbild<br />
der Gemeindepräsenz. Eine Alternative mit<br />
entsprechender Erweiterung des Raumkonzepts<br />
nach Osten war schnell beschlossen,<br />
der Eigentümer des mit in Anspruch<br />
zu nehmenden Nachbargrundstücks<br />
wohl nicht nur zufällig anwesend<br />
und konnte so bereits die einvernehmlich<br />
vorgeschlagene Entschädigung für die zu<br />
übernehmende Baulast spontan unterschriftlich<br />
anerkennen.<br />
Überraschenderweise ist in der zum Beratungstermin<br />
des Gemeinderats vorgeleg-<br />
ten Baumassenermittlung des Amtsbaumeisters<br />
Lell nicht mehr von einer „Reparatur“<br />
wie seither die Rede, sondern im<br />
März 1874 tituliert das Rechenwerk mit<br />
„Umbau“. Noch verwunderlicher ist, dass<br />
die Massenermittlung bereits im ersten<br />
Ansatz mit dem Abbruch des „Gemäuers<br />
im Souterrain“ beginnt, also davon ausgeht,<br />
dass das vorhandene Gebäude komplett<br />
abgebrochen wird. Somit erscheint<br />
ein bereits im Vorfeld beabsichtigter Rathausneubau<br />
unter dem Vorwand notwendiger<br />
Unterhaltungsmaßnahmen gegenüber<br />
vorgesetzten Behörden und vielleicht<br />
sogar der Bürgerschaft sehr wahrscheinlich.<br />
Bereits hier kann festgestellt werden,<br />
dass man auch vor mehr als hundert Jahren<br />
die Methoden der öff entlichen Baupraxis<br />
beherrschte, eine verniedlichende<br />
Instandsetzung in die ohnehin bereits ins<br />
Auge gefasste Neubaumaßnahme umzuwandeln.<br />
Ähnlich wie heute wird dann<br />
auch das Schlucken der Kröte seitens der<br />
Bürger damals gewesen sein, angesichts<br />
stetig steigender Baukosten ein angefangenes<br />
Vorhaben nicht mehr stoppen zu<br />
wollen, um nicht noch weitere Gelder in<br />
den Sand zu setzen. Trotz der erst im Rahmen<br />
der Gemeinderatssitzung festgelegten<br />
Erweiterung nach Osten wurden die<br />
von Amtsbaumeister Lell bereits im metrischen<br />
System ermittelten Maße nicht<br />
mehr erhöht, die vom Baurat Barth geprüfte<br />
Fertigung des Kostenanschlags befasst<br />
sich lediglich mit der Korrektur unwesentlicher<br />
Rechenfehler.<br />
Die Baupläne des Meisters sind zwar nicht<br />
datiert, zeigen jedoch in der vorliegenden<br />
Ausführung keineswegs Merkmale einer<br />
Instandsetzungs- oder Umbaumaßnahme:<br />
Bei gleichbleibender Länge wird das Gebäude<br />
von ursprünglich 28,5 Schuh, also<br />
von 8,15 Metern auf 9 Meter verbreitert.<br />
Die Neckar-Zeitung Heilbronner Tagblatt<br />
vom Freitag, den 24. April 1874 veröff entlicht<br />
die Ausschreibung der wesentlichen
Querschnitt und Giebelansicht zum geplanten Rathausumbau, 1874<br />
Seitenansicht<br />
zum geplanten<br />
Rathausumbau,<br />
1874<br />
225
226<br />
Bauarbeiten auf der Basis des Kostenanschlags<br />
von Amtsbaumeister Lell.<br />
Als für derzeitige Verhältnisse ungewöhnlich<br />
erscheint der vermutlich jetzt unter<br />
Annonce in der Neckar-Zeitung Heilbronner<br />
Tagblatt vom 24. April 1874 mit Bauakkord<br />
zum geplanten Rathausumbau<br />
Zeitdruck entstandene Abgabetermin der<br />
Angebote von nur einer guten Woche sowie<br />
das Verfahren, lediglich ein Angebot<br />
in Festlegung eines Ab- oder Zuschlags<br />
zur baumeisterlichen Kostenermittlung zu<br />
fertigen.<br />
Am 11. Mai 1874 befassen sich Gemeinderat<br />
und Bürgerausschuss erneut mit der<br />
Baumaßnahme „Rathausumbau“. Das Protokoll<br />
führt dabei u. a. aus:<br />
Der Vorstand beantragt, daß in Ausführung<br />
des Beschlusses vom 16. März 1874<br />
betre s der Bescha ung der zum Rathhausbauwesens<br />
erforderlichen Mittel zunächst<br />
die vorhandenen württembergischen<br />
4 ½-% igen Staatspapiere im Betrage<br />
von 1500 Gulden veräußert und zu<br />
diesem Behufe au porteur 17 gestellt, sodann<br />
aber folgende Actien Capitalien zur<br />
Finanzierung binnen Jahresfrist gekündigt<br />
werden sollen:<br />
Christian Johann Schramm 255 Gulden<br />
Johann Zieglers Wwe. 350 Gulden<br />
Johann Bordt 200 Gulden<br />
Gottlieb Schick Wwe. 65 Gulden<br />
Jacob Krebs Wwe. 100 Gulden<br />
Balthas Lumpp Wwe. 300 Gulden<br />
Gottlieb Ott Nachf. 325 Gulden<br />
Johann Walther 150 Gulden<br />
Christian Lumpp Wwe. 45 Gulden<br />
Ludwig Euerle 675 Gulden<br />
Christian Hesser 150 Gulden<br />
August Kaiser 150 Gulden<br />
Balthes Seebold 200 Gulden<br />
Johann Volpp 260 Gulden<br />
Rosine Bordt 330 Gulden<br />
Joh. Dietrich Baumwart 330 Gulden<br />
Joh. Rupert 250 Gulden<br />
August Salm 400 Gulden<br />
4535 Gulden<br />
Dieser Antrag wurde sofort zum Beschluss<br />
erhoben und das Königliche Oberamt um<br />
dessen Genehmigung ersucht; die Finanzierungsgrundlage<br />
der Baumaßnahme war<br />
gesichert.<br />
Off ensichtlich recht fl ott gehen die Bauarbeiten<br />
voran, sodass man sich schon Anfang<br />
August über die Ausrichtung eines<br />
Richtfestes unterhalten kann. Der zügige<br />
Baufortschritt und die gute Stimmung<br />
zwischen Bauherrn, Bauleitung und Bauarbeitern<br />
schlagen sich dann auch in der<br />
Bewilligung einer reich ausgestatteten<br />
Sonderzahlung des Gemeinderats aus.<br />
Verhandelt den 6ten August 1874:<br />
Die Accordanten der Maurer und Zimmerleute<br />
welche das neue Rathhaus bereits<br />
bis zum Aufschlagen verfertigt, haben<br />
heute bey Oberamtswerkmeister Lell von<br />
Neuenstadt welcher die Aufsicht über das<br />
Bauwesen führt, das Gesuch gestellt, er<br />
möchte doch den hiesigen Gemeinderath
veranlassen, daß ihnen wie es überall üblich<br />
sey beym Aufschlagen des neuen<br />
Rathhauses von Seiten der Gemeinde entweder<br />
ein Essen oder an Geld etwas bewilligt<br />
werde. Oberamtswerkmeister Lell<br />
hat sodann dem Gemeinderath Bericht<br />
erstattet, seine Zufriedenheit in jeder Beziehung<br />
über die betre enden Meister<br />
ausgesprochen und das Gesuch befürwortet.<br />
Da von Seiten der Gemeinde bis<br />
jetzt das gleiche bezeugt werden kann so<br />
wird in berathender Sitzung<br />
beschlossen<br />
das Gesuch von Abreichung eines Essens<br />
von Seiten der Gemeinde wegen Weitläufi<br />
gkeiten abzulehnen. Dagegen zum Aufschlagen<br />
des Rathhauses den beiden Accordanten<br />
den Maurern und Zimmerleute<br />
jedem 15 Gulden aus der Gemeindekasse<br />
zu bewilligen.<br />
Im November 1874 sind die Bauarbeiten<br />
soweit abgeschlossen, dass man sich bereits<br />
über die ergänzende Innenausstattung<br />
Gedanken machen kann. Das Protokoll<br />
vom 5. November befasst sich mit der<br />
Beschaff ung eines Rathaustisches:<br />
Auf das neu erbaute Rathhaus ist ein großer<br />
Tisch oder eine Tafel erforderlich, da<br />
die vorhandene Tafel in das Nebenzimmer<br />
verwendet werden soll. Nach einem Vorschlag<br />
des Oberamtswerkmeister Lell von<br />
Neuenstadt soll ein Tisch aus 2 Theilen<br />
nachher zusammen 4,30 m lang 1,15 m<br />
breit, und jedes Theil mit 4 harthölzernen<br />
Füßen von trockenem schönen eichenen<br />
Holz mit einer Schublade mit Schlösschen<br />
zum Aufschließen versehen, die Zargen<br />
von Brettern von sauberen trockenen Tannenholz<br />
sauber und dauerhaft angefertigt<br />
und die Blätter mit starken mohngarnartig<br />
lackirtem Wachstuch das vor der Verwendung<br />
behufs seiner Brauchbarkeit<br />
vorgereinigt werden muß zu überziehen<br />
und solcher ringsum mit einem kirsch-<br />
oder birnbaumenen Stäbchen, das an der<br />
oberen äußeren Kante abgerundet ist, und<br />
oberhalbs über das Wachstuch nicht vorstehen<br />
darf zu befestigen, der Vorstand<br />
gibt nun Bericht ob die vorstehende Arbeit<br />
dem hiesigen Schreinermeister Dietz um<br />
die Accordsumme überlassen werden soll.<br />
Nach beratender Sitzung<br />
beschlossen<br />
die fragliche Arbeit dem Schreinermeister<br />
Dietz so wie der Überschlag lautet, jedoch<br />
um die Summe von 20 Gulden zu überlassen,<br />
falls sich aber Dietz mit diesem Angebot<br />
nicht begnügt, die fragliche Arbeit in<br />
den ö entlichen Blättern auszuschreiben.<br />
Mit diesem Eintrag enden die Gemeinderatsprotokolle<br />
über den Neubau des Rathauses.<br />
Off enbar konnte der vorgesehene<br />
Finanzierungsrahmen trotz der erkennbaren<br />
Defi zite in der Kostenzusammenstellung<br />
eingehalten werden. Möglich sind jedoch<br />
auch günstige Angebote der ausführenden<br />
Handwerksmeister auf die Einzelposten<br />
im Kostenvoranschlag. Da auch<br />
Planungs- und Bauleitungskosten nicht<br />
angesprochen wurden, kann davon ausgegangen<br />
werden, dass der Aufwand des<br />
Oberamtsbaumeisters Lell durch die an die<br />
Stadt Neuenstadt zu entrichtende Amtspauschale<br />
abgedeckt war.<br />
Ansicht vom Rathaus (zweites Gebäude von<br />
links) in den 1930er Jahren<br />
227
228<br />
Das Rathaus 1968<br />
Mit Sicherheit sind auch jeweils nach den<br />
beiden Weltkriegen Instandhaltungs- und<br />
Umbaumaßnahmen größeren Umfangs<br />
durchgeführt worden. Aktenkundig ist dabei<br />
der Rathausumbau, beschlossen am<br />
29. April 1968 von allen acht Gemeinderäten<br />
mit Bürgermeister Nef.<br />
Man wurde sich in der Haushaltsberatung<br />
darüber einig, verschiedene Maßnahmen<br />
zur neuen Gestaltung der Räume durchzuführen.<br />
Architekt Rüdele sollte nach<br />
Entschluss des Gemeinderats beauftragt<br />
werden, zunächst eine Planskizze anzufertigen,<br />
um ihn dann auch anschließend mit<br />
dem Ausschreiben der Bauarbeiten, der<br />
Einholung von Angeboten sowie der Bauleitung<br />
zu beauftragen. Der Gemeinderat<br />
behält sich vor, den Bieterkreis festzulegen<br />
und über die Vergabe der Bauarbeiten<br />
zu entscheiden.<br />
Bereits am 4. Juni liegen die Angebote<br />
dem Gemeinderat zur Entscheidung vor.<br />
Grundsätzlich entscheidet sich das Gremium<br />
für den preisgünstigsten Bieter:<br />
Kunststeinarbeiten Füge, Öhringen 4.525,62 DM<br />
Gipserarbeiten Götz, Neuenstadt 2.897,15 DM<br />
obwohl ein örtlicher Handwerker ebenfalls ein Angebot abgab<br />
Malerarbeiten Rascher, Neuenstadt 3.742,86 DM<br />
Bodenbelag Schneck, Neuenstadt 1.744,32 DM<br />
Schlosserarbeiten Birk, <strong>Cleversulzbach</strong> 1.154,30 DM<br />
Glaserarbeiten Grundbrecher, <strong>Cleversulzbach</strong> 4.997,30 DM,<br />
obwohl ein Brettacher Handwerker um ca. 80 DM günstiger anbot<br />
Elektroarbeiten Engelhardt, Brettach 1.494,90 DM,<br />
obwohl ein Neuenstädter Handwerker um ca. 100 DM günstiger anbot.<br />
Die Schreinerarbeiten wurden von drei Handwerkern nahezu in<br />
gleicher Gesamthöhe angeboten, sodass sich der Gemeinderat<br />
entschloss, die Arbeiten in drei Lose aufzuteilen und alle Bieter<br />
mit Teilleistungsverträgen zu beauftragen, Architekt Rüdele war<br />
in dieser Angelegenheit gebeten, die Einzelleistungen aufzuteilen<br />
an die Brettacher Bieter Mack, Ehmann, und Gebhard mit<br />
insgesamt 17.864,50 DM<br />
Bei der Heizung entschied man sich bei den weiteren<br />
Alternativangeboten für die verschiedenen Energieträger Strom,<br />
Kachelofen-Festbrennstoff für den Einbau einer ölbefeuerten<br />
Warmwasserzentralheizung, die als teuerste Investition angeboten<br />
wurde von der Firma Mezger, Neuenstadt 6.133,22 DM<br />
Damit stellt sich die Gesamtmaßnahme auf insgesamt 44.554,17 DM<br />
Die Entscheidung für die Beheizung mit<br />
Flüssigbrennstoff machte dann doch noch<br />
die Erstellung der Genehmigungsvorlage<br />
beim Landratsamt Heilbronn erforderlich.<br />
Die Planung datiert vom 8. August 1968,<br />
wurde vom Gemeinderat am 2. September<br />
anerkannt und anschließend vom Landratsamt<br />
auch so genehmigt.<br />
Das Rathaus 1988 und seit 2003<br />
Als letzte Baumaßnahme größeren Umfangs<br />
ist der Umbau durch die Kreissparkasse<br />
Heilbronn zur Nutzung des Erdgeschosses<br />
als Zweigstelle zu nennen (November<br />
1988).<br />
Die Zweigstelle wurde in der so geplanten<br />
Ausführung über einen längeren Zeitraum
genutzt. Seit der Einstellung des Zweigstellenbetriebs<br />
2003 sind die Räume des<br />
Erdgeschosses ungenutzt, das Oberge-<br />
Das Rathausgebäude heute<br />
1 Das Duodezimalsystem (auch Zwölfersystem) verwendet<br />
die Basis 12; das bedeutet: anders als beim üblichen Dezimalsystem<br />
(mit der Basis 10) gibt es 12 Ziff ernwerte.<br />
2 Abort<br />
3 Treppenwangen<br />
4 Unterzug<br />
5 Tuff stein, Naturwerkstein aus Vulkanasche mit unterschiedlichen<br />
Korngrößen und Hohlräumen.<br />
6 Flur<br />
7 Vermutlich sind damit Fußleisten gemeint.<br />
8 Das ist in der Regel eine Managementfi rma, die sämtliche<br />
Ausführungsleistungen außer Haus gibt. Bauherr bleibt<br />
jedoch der Auftraggeber. Der Auftraggeber hat den Vorteil,<br />
dass er die gesamte Ausführung nur über einen Bauvertrag<br />
beauftragt hat. Somit entfallen bei ihm insbesondere<br />
Koordinationsaufgaben mit dem Vorteil, dass insbesondere<br />
Kosten und Termine fest vereinbart werden<br />
schoss dient derzeit noch als Gemeindearchiv<br />
und enthält auch ein Sprech- und<br />
Besprechungszimmer des Ortschaftsrats.<br />
können. Außerdem hat er im Falle der Gewährleistung nur<br />
einen Ansprechpartner.<br />
9 Duldung, dienend<br />
10 Württembergisches Längenmaß 28,6 cm<br />
11 Das entspricht einer Breite von etwa 43 cm und der gesamten<br />
Grundstück- bzw. Gebäudelänge von 11,40 m, somit<br />
einer Fläche von insgesamt 4,92 m² für die angesprochen<br />
Traufrechte.<br />
12 Württembergisches Flächenmaß 8,208 m²<br />
13 Die Erwerbsfl äche mit 8,8 Quadratruten misst hingegen<br />
72,23 m².<br />
14 Angebot<br />
15 Kapitalaufnahme<br />
16 An dieser Stelle, daraufhin<br />
17 Kurzfristig auf den Markt gebracht werden, den Wert der<br />
Papiere einzufordern.<br />
229
230<br />
Brechhaus, Flachs und Leineweberei<br />
Weberaufstand in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Am Vormittag des 8. Mai 1848, einem<br />
Montag, übergaben acht „Deputirte“ im<br />
Auftrag von angeblich 52 <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Bürgern dem im Rathaus tagenden<br />
Gemeinderat eine Resolution mit geradezu<br />
revolutionärem Inhalt: Unseren<br />
Herrn Orts Vorsteher (Schultheiß) und unseren<br />
säm(m)tlich(en) lebenslänglichen<br />
gewählten Gemeinderäthe fordern wir<br />
hiemit auf, als mit der Zeit nicht mehr<br />
passend, sogleich ihre Stellen nieder zu<br />
legen u(nd) sich einer neuen Wahl zu unterwerfen.<br />
1 Die Deputation erwartete innerhalb<br />
von 24 Stunden eine schriftliche<br />
Erklärung.<br />
Die Forderung erregte bei dem Gemeinderath<br />
großen Sturm, obwohl das Ansinnen<br />
für <strong>Cleversulzbach</strong> nur forderte, was im<br />
Königreich Württemberg und in fast allen<br />
anderen deutschen Staaten seit den so genannten<br />
Märzunruhen längst Wirklichkeit<br />
war: liberale und demokratische Reformen,<br />
die einer Revolution gleichkamen.<br />
Um Zeit zu gewinnen, vertagte sich der<br />
Gemeinderat auf den Nachmittag und<br />
lehnte nach weiterer Beratung die Forderung<br />
ab. Die angeblich 52 Bürger seien<br />
nicht bekannt gemacht worden und sie<br />
würden eh nur ein Drittel der <strong>Cleversulzbach</strong>e<br />
Bürger darstellen. Tatsächlich empfanden<br />
jedoch viele Bürger die Tatsache,<br />
dass der Schultheiß auf Lebenszeit gewählt<br />
wurde und auch die Gemeinderäte<br />
bei Wiederwahl nach sechs Jahren ebenfalls<br />
auf Lebenszeit bestellt waren, als „mit<br />
der Zeit nicht mehr passend“. Was die Gemeinderäte<br />
betraf, so wurde im Juli 1849,<br />
obwohl die Revolution gescheitert war,<br />
immerhin die Lebenslänglichkeit durch<br />
eine neue Gemeindeordnung aufgehoben.<br />
In diesem Beitrag über Brechhaus, Flachs,<br />
und Leinenherstellung ist die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
„Revolutionsgeschichte“ 2 deswegen<br />
von Bedeutung, weil vier der acht oben<br />
erwähnten Abgesandten Weber waren: Jakob<br />
Korb, Christoph Plenefi sch, Carl Winkler<br />
und Christoph Bord. Sie gehörten zu<br />
den ärmeren Bürgern. Die aufkommenden<br />
mechanisierten Spinnereien und Webereien<br />
machten ihnen das Leben schwer –<br />
eine Entwicklung, die 1844 zum großen<br />
Weberaufstand in Schlesien mit blutigem<br />
Ausgang geführt hatte, in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
jedoch ohne weitere spektakuläre Ereignisse<br />
zum allmählichen Absterben des Weberberufs<br />
führte. Im württembergischen<br />
Oberland wurden um diese Zeit die ersten<br />
mechanischen Spinnereien und Webereien<br />
gegründet. In einer längeren Übergangszeit<br />
konnten die hiesigen Bauern ihren<br />
Flachs dort zu Garn verspinnen lassen, das<br />
dann die <strong>Cleversulzbach</strong>er Weber zu Leinwand<br />
verarbeiteten. Am Ende des 19. Jahrhunderts<br />
war das <strong>Cleversulzbach</strong>er Brechhaus,<br />
wo in mühevoller Handarbeit aus<br />
Flachs Leinenfasern gewonnen wurden,<br />
überfl üssig geworden, wurde zunächst<br />
stillgelegt, dann abgebrochen.<br />
Aus dem 17. Jahrhundert sind mehrere<br />
Leineweberordnungen für das württembergische<br />
Amt Neuenstadt überliefert, die<br />
das Wirtschaften und das Verhältnis von<br />
Meister, Gesellen und Lehrjungen regelten.<br />
Aus dieser Zeit stammt auch der erste Beleg<br />
eines namentlich bekannten Webers in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>. 1636 starb nämlich die<br />
Witwe des Webers Jörg Lumpp im Alter<br />
von 42 Jahren. Weitere Weber sind aus<br />
den Kirchenbüchern bekannt: 1742 wird<br />
ein Kind des Webers Hans Michel Stahl<br />
getauft, ebenso 1745 ein Kind des Webers<br />
Johann Philipp Au und 1757 ein Kind des<br />
Webers Jacob Au. Vermutlich gab es weit<br />
mehr Leineweber, die aber wegen des Ne-
enerwerbs nicht als solche gekennzeichnet<br />
sind.<br />
„Vom Kleinhandwerk sind besonders<br />
die Leineweber vertreten“<br />
So weist die Oberamtsbeschreibung von<br />
1881 auf eine <strong>Cleversulzbach</strong>er Besonderheit<br />
hin, die auch durch eine „Bürgerliste<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>“ 3 bestätigt wird. In dem<br />
Band sind alle männlichen Einwohner mit<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgerrecht von ca. 1820<br />
bis ca. 1890 aufgeführt. Oft werden sie als<br />
„Weber und Taglöhner“ oder „Weber und<br />
Bauer“ bezeichnet. Nur etwas mehr als die<br />
Hälfte von ihnen werden schlichtweg<br />
„Weber“ genannt und konnten (oder<br />
mussten? ) allein von ihrem Weberhandwerk<br />
leben. Folgende Namen sind verzeichnet<br />
und werden mit ihrer Bürgerlistennummer<br />
wiedergegeben:<br />
3. Franz Seebold (1796 –1859), Weber und Bauer<br />
12. Georg Friedrich Lumpp (1796 –1869), Weber und Taglöhner<br />
24. Johann Jakob Gottlieb Korb (1812 – 1872), Weber<br />
(Deputierter am 8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />
31. Johann Martin Erhardt (1804 –1862), Weber und Taglöhner<br />
40. Johann Christoph Plenefi sch (1799 –1868), Weber und Taglöhner<br />
(Deputierter am 8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />
1854 wegen ehrenkr. Bezichts (?) zu 6 Wochen<br />
Bezirksgef. verurtheilt<br />
41. Johann Friedrich Stahl (1806 –1866), Weber<br />
48. Christoph Bordt (1802 –1867) Taglöhner<br />
(wird in der „Bürgerliste“ nicht als „Weber“ bezeichnet,<br />
wie vermutlich manche andere Weber auch; Deputierter am<br />
8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />
53. Johann Michael Stahl (1796 –?), Weber<br />
54. Johann Baltes Bordt (1807 –1878), Weber und Totengräber<br />
55. Daniel Siegle (1834 –1866), Weber und Taglöhner<br />
61. Johann Martin Schramm (1809 –?), Weber<br />
90. David Stahl (1815 –1880), Weber<br />
94. Heinrich Lumpp (1818 –?), Weber und Taglöhner<br />
100. Karl Winkler (1818 –?), Weber und Taglöhner<br />
(Deputierter am 8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />
1856 vergant (zahlungsunfähig), 9 Mon. Kraisgefängn.<br />
Ist im Irrenhaus in Göppingen<br />
105. Karl Friedrich Bordt (1809 –1867), Weber<br />
wohnt in Brettach<br />
hat sich im Arrest in Brettach 1867 erhängt.<br />
1842 wegen Diebstahl 2jährige Zuchthausstrafe<br />
112. Gottlieb Merz (1817 –1883), Weber<br />
145. Leonhardt Stahl (1829 –?), Weber<br />
Meister seit 15. Juli 1859<br />
151. Johann Plenefi sch jr. (1832 –1883), Weber<br />
(Sohn von Nr. 40)<br />
1860 Amts- und Polizeidiener<br />
164. Johann Georg Single (1804 –?), Weber<br />
231
232<br />
171. Christian Ehrhardt (1835 –?), Weber<br />
(Sohn von Nr. 31)<br />
192. Johann Christian Stahl (1835 –?), Weber<br />
(Sohn von Nr. 41)<br />
210. Johann Erhardt (1838 –?), Weber<br />
(Sohn von Nr. 31)<br />
235. Ludwig Ehrhardt (1849 –?), Weber<br />
(Sohn von Nr. 31)<br />
Zu den hier aufgezählten 23 <strong>Cleversulzbach</strong>ern,<br />
die sich im Ortsarchiv als Weber<br />
nachweisen lassen, kommen sicher noch<br />
weitere Weber, die in der „Bürgerliste“ als<br />
Taglöhner oder Bauern bezeichnet werden<br />
oder die dort gar nicht auftauchen,<br />
weil sie nicht das Bürgerrecht hatten.<br />
Wie die verzeichneten Nummern 171,<br />
192, 210 und 235 zeigen, gab es Leineweberfamilien,<br />
in denen sich das Handwerk<br />
vererbte. Eine Mitteilung des Neuenstadter<br />
Kaufmanns Hermann Payer von<br />
1985 ist in diesem Zusammenhang von<br />
besonderem Interesse, weil sie den letzten<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Weber Erhardt erwähnt:<br />
Bis nach dem ersten Kriegsende war hier<br />
[gemeint ist in Neuenstadt] noch der<br />
Weber Wurst aktiv unter primitivsten<br />
Verhältnissen und in <strong>Cleversulzbach</strong> der<br />
Weber Erhardt. Bei letzterem liess noch<br />
mein Vater bis in die Nazizeit hinein<br />
Blautuch für Männerschürzen aus ihm<br />
zuvor angelieferten Garnen weben. 4<br />
Flachsanbau und Leinweberei sind uralt,<br />
breiteten sich aber im 18. Jahrhundert<br />
von Norddeutschland her in unserer Gegend<br />
immer mehr aus und überschritten<br />
um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren<br />
Höhepunkt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
kam dann das Ende. Heute – ein<br />
weiteres Jahrhundert später – ist das<br />
Wissen um Flachs und seine Verarbeitung<br />
so sehr in Vergessenheit geraten, dass<br />
dieser für <strong>Cleversulzbach</strong> einst wichtige<br />
Wirtschaftszweig hier näher beschrieben<br />
werden soll.<br />
Leineweberordnung für das Amt Neuenstadt<br />
von 1621 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart)<br />
Säen, Rupfen, Riff eln, Taurösten<br />
Von der Aussaat des Flachses bis zum Weben<br />
des Leintuchs verging ein ganzes Jahr,<br />
wobei der Ort des Geschehens zuerst in<br />
der freien Flur lag, ab dem Spätherbst ins<br />
so genannte Brechhaus und im neuen<br />
Jahr in die Spinn- und Weberstuben<br />
wechselte. 5<br />
Im April wurde der Flachs (Linum usitalissimum)<br />
ausgesät. Da er reichlich Nährstoff<br />
e verbrauchte, eigneten sich nur gute<br />
Böden, auf denen erst nach sechs Jahren<br />
wieder Flachs angebaut werden konnte.<br />
Die Pfl anzen wurden etwa ein Meter hoch<br />
und blühten leuchtend blau. Ende Juli<br />
oder Anfang August, wenn die Fruchtkapseln<br />
fast reif waren, wurde der Flachs mit<br />
den Wurzeln „gerupft“ – nicht gemäht, da<br />
dies die Fasern verletzt hätte – und in<br />
kleinen Garben zum Nachreifen und<br />
Trocknen aufgestellt. Zum „Riff eln“<br />
brachte man den Flachs in die Scheune,<br />
wo man jeweils eine Handvoll Flachs<br />
durch einen Eisenrechen (Riff el) zog und<br />
so die Fruchtkapseln von den Stängeln<br />
entfernte. Der Leinsamen konnte teils im<br />
nächsten Jahr ausgesät oder zu Leinöl geschlagen<br />
werden. Die ausgepressten Leinkuchen<br />
dienten als Viehfutter.<br />
Die Flachsstängel legte man nun auf Wiesen<br />
zur so genannten „Tauröste“ aus, da-
mit Bakterien und Pilze den Pfl anzenleim<br />
und die Pektine in den Flachsstängel auflösen<br />
konnten. Der feuchte Morgentau<br />
setzte den dazu nötigen Verrottungsprozess<br />
in Gang und bereitete das spätere<br />
„Brechen“ vor. Manchmal legte man zu<br />
diesem Zweck den Flachs auch in Seen<br />
oder Bäche – (den Sulzbach oder die zwei<br />
Seen in den „Seewiesen“? ) – , doch konnte<br />
die Fäulnis das Wasser verderben. In solchen<br />
Fällen waren oft Verbote die Folge.<br />
Harte Arbeit in den Flachsdörren:<br />
Bleuen, Schwingen, Hecheln<br />
Die nächsten Verarbeitungsschritte führen<br />
uns zum Brechhaus, das in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
am Rand der Eberstädter Straße stand –<br />
etwa auf der Höhe der heutigen Hausnummer<br />
26. Der längs der Straße auf Gemeindegrund<br />
stehende einstöckige Bau war 17<br />
Meter lang, 4,40 Meter breit und bis zum<br />
Dachgiebel 4,20 Meter hoch. Als er zu Beginn<br />
des 19. Jahrhunderts gebaut wurde,<br />
lag er gut 100 Schritte vom letzten Wohnhaus<br />
entfernt – ein Abstand, der dem<br />
Brandschutz diente. Feuersgefahr ging von<br />
den beiden das Brechhaus fl ankierenden<br />
Flachsdörren aus. Es waren Häuschen, jeweils<br />
4,90 Meter lang, 3,80 Meter breit und<br />
bis zum Giebel 4,30 Meter hoch. Sie<br />
schützten die gemauerten runden Dörrgruben<br />
mit ihren hölzernen Rösten gegen Regen.<br />
Zu den Dörrgruben führten von außerhalb<br />
unterirdische Heizkanäle –<br />
„Füchse“ genannt – heiße Luft, die von so<br />
genannten Schierlöchern (gemauerte Öfen)<br />
kam. Die Füchse mussten lang genug sein,<br />
um Funkenfl ug zu verhindern, der den<br />
Flachs in den Dörrgruben in Brand gesetzt<br />
hätte. Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Anlage war mit<br />
ihren zwei getrennt vom Brechhaus stehenden<br />
Flachsdörren viel aufwändiger als<br />
die in Neuenstadt: dort gab es keine getrennten<br />
Flachsdörren und die einzige<br />
Dörrgrube war im Brechhaus selbst.<br />
Leider ist für die gemeindeeigene Einrich-<br />
tung des Brechhauses keine Benutzerordnung<br />
überliefert. Aus den jährlich vom Gemeinderat<br />
festgestellten „Gemeindeämtern“<br />
geht hervor, dass die Gemeinde zwei<br />
Dörrerinnen (Darrerinnen) beschäftigte.<br />
Lange Jahre waren dies Johanna Vögelin<br />
und „die Ehefrau des David Vögele“. Bei der<br />
Bestellung der letzteren durch den Gemeinderat<br />
am 17. September 1838 vermerkt<br />
das Protokoll, dass wenn sich solche<br />
durch … Untreuheit oder sonstige Vergehung<br />
verfehlen sollte, so hat solche ihre<br />
plötzliche Entlassung zu erwarten. Als Belohnung<br />
hat dieselbe rechtlich anzusprechen<br />
täglich 10 x 6 - ein Hungerlohn für<br />
harte Arbeit, die schon kurz nach Mitternacht<br />
anfi ng. Dann machten die Dörrerinnen<br />
in den Schierlöchern Feuer und legten<br />
die ersten Packungen Flachs in die beiden<br />
Dörrgruben. Rinde und Holz der Flachsstängel<br />
wurden in der Hitze so trocken und<br />
brüchig, dass man sie im Brechhaus weiterbehandeln<br />
konnte. Die einstockige Brechhütte<br />
(17,30 m x 4,40 m) hatte mit dem<br />
zwei Meter hohen Giebeldach eine Höhe<br />
von 4,20 Metern. Hier wurde nach dem<br />
Dörren der Flachs weiterverarbeitet.<br />
Über das Brechhaus und die Flachsdörren<br />
fi ndet man in den Gemeinderatsprotokollen<br />
fast nichts. Im Herbst 1836 beschloss<br />
der Gemeinderat für die bevorstehende<br />
Saison, da eine Flachsdörre defekt war, das<br />
alte Schierloch und Darrloch heraus zu<br />
räumen 7 , neu herzustellen und einige Mauern<br />
zu erneuern. Die nächste Erwähnung<br />
des Brechhauses in einem Gemeinderatsprotokoll<br />
erfolgte erst 1895 und zeigt, dass<br />
damals diese Gemeindeeinrichtung schon<br />
nicht mehr regelmäßig in Gebrauch war. Es<br />
ist zur Kenntniß gekommen, dass die unteren<br />
Räume der Darrhütte von Privatpersonen<br />
mit Wägen etc belegt werden; es wird<br />
daher beschlossen: mit Rücksicht darauf,<br />
dass die Gemeinde den Platz für sich nötig<br />
hat, den betre enden Personen aufzugeben,<br />
ihre Gegenstände innerhalb 3 Tagen<br />
233
234<br />
zu entfernen u. zugleich die fernere Benützung<br />
für die Folge bei Vermeidung von<br />
Strafe zu untersagen. 8<br />
Munteres Treiben im Brechhaus:<br />
Bleuen, Brechen, Schwingen, Hecheln<br />
Nachdem der Flachs gedörrt war, schaff te<br />
man ihn in das Brechhaus. Bei der Weiterverarbeitung<br />
des Flachses waren dort wohl<br />
bis zu einem Dutzend Bauersfrauen und<br />
Mägde, die froh waren, nicht im heißen<br />
Rauch bei den Dörrgruben arbeiten zu<br />
müssen. Gearbeitet wurde hier auch, aber<br />
dabei konnte man singen und den neuesten<br />
Dorfklatsch austauschen. Die Gerätschaften<br />
für die im Folgenden beschriebenen<br />
Arbeiten brachten die Flachsanbauer<br />
von ihren Höfen mit. Nicht selten waren<br />
es Aussteuerstücke der Bäuerinnen.<br />
Zuerst „bleute“ man mit einem fl achen<br />
Holzhammer den auf dem Boden ausgelegten<br />
gedörrten Flachs kräftig durch. Die<br />
Leinenfasern überstanden diese Prozedur,<br />
doch Rinde und Holz wurden zerkleinert.<br />
Dem diente auch die anschließende Behandlung<br />
auf der Flachsbreche. Über ein<br />
gerilltes Brett zog man büschelweise den<br />
Flachs und klopfte mit einem ebenfalls<br />
gerillten Holzhebel die Leinenfasern weiter<br />
frei. Danach legte man die Flachsbüschel<br />
in die Ausbuchtung des hölzernen<br />
Schwingstocks und schlug mit dem ebenfalls<br />
hölzernen Schwingmesser die noch<br />
verbliebenen Holzreste heraus. Den Abschluss<br />
der arbeitsintensiven Gewinnung<br />
der Leinenfasern bildete das Hecheln. Dabei<br />
wurden die Flachsbüschel am Hechelstuhl<br />
über runde Nagelbretter gezogen,<br />
sprich: „durchgehechelt“. Das etwas gröbere<br />
Werg verarbeitete man zu Bett- und<br />
Handtüchern, den feineren Flachs zu Linnenstoff<br />
. Für diese letzten Arbeitsgänge<br />
der Leinwandgewinnung müssen wir jedoch<br />
wieder einen Ortswechsel vornehmen<br />
– diesmal in die Stuben der Bauers-<br />
und Weberfamilien.<br />
Licht- und Spinnstuben und<br />
Weberwerkstätten<br />
In den Wintermonaten des neuen Jahres<br />
wurde aus dem duchgehechelten Flachs<br />
von den Bauersfrauen und Mägden Garn<br />
gesponnen. Um Lampenöl, Kerzen und<br />
auch Heizmaterial zu sparen, kam man<br />
reihum zum „Vorsitz“ („Vorsetz“) in verschiedenen<br />
Häusern zusammen. Es konnte<br />
schon mal ein Dutzend oder mehr Frauen<br />
und Mädchen sein, die, während die<br />
Spinnräder schnurrten, die neuesten Dorfgeschichten<br />
erzählten. Manche so genannten<br />
Lichtstuben waren von den jungen<br />
Burschen gern besuchte Orte, doch<br />
hatten Pfarrer und Schultheiß ein Auge<br />
darauf, dass jugendlicher Leichtsinn und<br />
Übermut nicht überhand nahmen. Das<br />
konnte zum Ausschluss der jungen Männer<br />
durch den Kirchenkonvent führen,<br />
eine „dörfl iche Sittenpolizei“, der Pfarrer<br />
und Schultheiß vorstanden.<br />
Die Arbeit der Weber, die das gesponnene<br />
Leinengarn zu Tuch verarbeiteten,<br />
war weniger unterhaltsam als die der<br />
Spinnerinnen. Die Weber gingen ihrer<br />
körperlich durchaus schweren Arbeit alleine<br />
nach, allenfalls von der Familie umgeben,<br />
wenn der Webstuhl – wie in den<br />
meisten Fällen – in der einzigen größeren<br />
Stube stand.<br />
Frauengruppe mit Spinnrädern
Der Flachsanbau hört auf, das<br />
Brechhaus verfällt, die Webstühle<br />
verstummen<br />
Die arbeitsaufwändige Flachsverarbeitung<br />
wurde, von England ausgehend, während<br />
des 19. Jahrhunderts Schritt für Schritt<br />
mechanisiert. Spinnereien und Webereien,<br />
aber auch die Fabriken, die die Arbeitsvorgänge<br />
vom Riff eln bis zum Hecheln maschinell<br />
schneller und billiger erledigten<br />
als Mägde und Knechte, führten in einem<br />
schleichenden, aber unaufhaltsamen Prozess<br />
zum Ende der Arbeiten im Brechhaus<br />
und der Weberei. In dieser Übergangszeit<br />
spielten Neuenstadter Kaufl eute wie Müller,<br />
Spohn und Payer als Aufkäufer von<br />
Flachs oder Lieferanten von fertigem Garn<br />
eine wichtige Rolle. Vom letzten <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Leineweber Erhardt Mitte der<br />
30er Jahre des letzten Jahrhunderts war<br />
oben schon die Rede. Das Anfang des 19.<br />
Jahrhunderts gebaute <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Brechhaus mit seinen beiden Flachsdörren<br />
und Schürlöchern (Öfen) wurde etwa hundert<br />
Jahre alt. Die Urkarte von 1834 verzeichnet<br />
seine Lage und das „Schätzungsprotokoll<br />
für die Gebäudebrandversicherung<br />
von 1895“ 9 nennt genaue Maße,<br />
Bauart und Unterhaltungszustand.<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Brechhaus nicht mehr<br />
gebraucht und verfi el. Mechanisierte Spinnereien<br />
und Webereien machten Brechhäuser<br />
überfl üssig. Zudem verdrängte die<br />
Baumwolle den Flachs immer mehr. Die<br />
Flur „ob dem Brechhaus“ erinnert jedoch<br />
noch an die alte Gemeindeeinrichtung.<br />
1 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 19, Bl. 125: Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 8. Mai 1848.<br />
2 Vgl. auch Karl Kuhn/Friedrich Schlaghoff : Die Revolution<br />
von 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
3 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 15: Bürgerliste.<br />
4 Brief von Hermann Payer vom 6. Juli 1985 an den Gemeinderat<br />
Neuenstadt, in welchem er sich u. a. zur Nr. 85<br />
der Beilage „Am Brunnen vor dem Tore“ (Die Brechhäuser<br />
in Stein, Kochertürn, Neuenstadt und <strong>Cleversulzbach</strong>) äußert<br />
und die oben zitierte Ergänzung macht.<br />
5 Eine reich illustrierte Darstellung des Flachsanbaus und<br />
der Leineweberei fi ndet sich in: Heinrich Mehl u. a., Alte<br />
Textilien im Bauernhaus, Schwäbisch Hall 1984.<br />
Beim Bearbeiten von Flachs<br />
(Foto 1920er/1930er Jahre)<br />
Auch der Hausnamen „Brechhausbauer“<br />
(Eberstädter Straße Nr. 24) ist bei der älteren<br />
Generation noch geläufi g wie auch die<br />
Flur „Bleichwiesen“, auf der die „fl achsblonde“<br />
Leinwand ausgelegt wurde, um<br />
möglichst hell zu werden.<br />
Flachsanbau und –verarbeitung haben in<br />
unserer Sprache Spuren hinterlassen, obwohl<br />
wir uns dessen oft gar nicht bewusst<br />
sind. Lausbuben werden heutzutage zwar<br />
nur noch selten „durchgebleut“, doch<br />
werden Abwesende bei Kaff eeeinladungen<br />
immer noch mit Wonne „durchgehechelt“.<br />
Dabei wird in lockerem Ton „gefl achst“,<br />
vielleicht auch „gesponnen“.<br />
Mit den nationalsozialistischen Bemühungen<br />
um wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />
vom Ausland (Autarkie) richtete sich das<br />
Augenmerk wieder auf den heimischen<br />
Flachs. In Künzelsau baute man 1937 ein<br />
Flachswerk, aber die Kürze des „Tausendjährigen<br />
Reiches“ setzte allen Hoff nungen<br />
auf eine Wiederbelebung des Flachsanbaus<br />
ein Ende.<br />
6 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 17, Seite 18: Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 17. September 1838.<br />
7 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 146b: Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 19. Septmber 1836.<br />
8 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 30, Seite 32: Gemeinderatsprotokoll<br />
vom 11. November 1895.<br />
9 Siehe: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 158 Seite 194 f.<br />
(Schätzungs=Protolkoll für die Gebäudebrandversicherung):<br />
Interessanterweise werden in diesem Band die<br />
Flachsdörren als „Hanfdörren“ bezeichnet, obwohl Hanfanbau<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> nicht nachgewiesen werden<br />
konnte.<br />
235
236<br />
Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Back-, Wasch- und Armenhaus<br />
Anfang des 19. Jahrhunderts war es eine<br />
Aufgabe der Kommunen, Back-, Wasch-,<br />
Dörr-, Armen- oder auch Badhäuser für<br />
die Einwohner zur Verfügung zu stellen.<br />
Ganz besonders war dies für die Landbevölkerung<br />
mit ihren meist sehr kinderreichen<br />
Familien, welche überwiegend in bescheidenen<br />
und ärmlichen Verhältnissen<br />
lebten, erforderlich. Die Kommunen waren<br />
deshalb aufgerufen, was zum täglichen<br />
Leben und Überleben, auch bezüglich der<br />
Hygiene, dringend von nöten war, ihren<br />
Bürgern bereitzustellen. Mit ein Grund zur<br />
Erstellung von öff entlichen Backhäusern,<br />
die aus Stein gebaut sein mussten, war<br />
das häufi ge Auftreten von Bränden in den<br />
privaten Backöfen oder -häusern, die oftmals<br />
nicht den Vorschriften entsprachen.<br />
Diese privaten Einrichtungen waren ursächlich<br />
für Brände, die mitunter Häuser,<br />
ganze Hofstellen oder auch Nach baranwesen<br />
vernichteten.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> erhielt mit Datum 12. Dezember<br />
1820 1 den Königl. Oberamtlichen<br />
Auftrag in Betre s der Erstellung eines<br />
ö entlichen Back- Wasch- und Dörrhauses.<br />
Der Gemeinderat hat diesen Auftrag<br />
umgehend aufgegriff en und erstmalig am<br />
12. Januar 1821 ernsthaft beraten und<br />
nachfolgenden Beschluss gefasst:<br />
Daß in dem hiesigen Ort bereits 2<br />
Dörrhäuser außerhalb des Orts angelegt<br />
sind. Was die Back- und Waschhäuser<br />
anbetri t, so haben die Bürger Ihre eigenen<br />
Back- und Waschhäuser, und werden<br />
von dem Feuerschauer alljährlich 2 mal<br />
eingesehen und die schadhaften Feuerungen<br />
angesprochen. Da nun der hiesige Ort<br />
in den nächsten Jahren wegen anderer<br />
dringenden noch vom Krieg und theurer<br />
Zeit herrührenden Schulden, vieles zu bestreiten,<br />
so kann erst wann solche ein<br />
wenig getilgt, vom Verkauf von dem Co-<br />
mun Wald des Holzes, mit höherer Genehmigung<br />
auch ein Back- und Waschhaus<br />
angelegt werden. Ein solches wird mit folgenden<br />
Unterschriften bekräftigt.<br />
Schultheiß und Gemeinderath<br />
Schultheiß Lumpp<br />
Samuel Segbach<br />
Friedrich Guldi<br />
Johannes Schlegel<br />
Christoph Kayser<br />
Jacob Adam Lumpp<br />
Jakob Hörmann<br />
Ludwig Herrmann<br />
Danach wurde es für längere Zeit still um<br />
diese Pläne. Neu aufgegriff en und zu einer<br />
Entscheidung 2 geführt wurde das Thema<br />
Back-, Wasch-, Dörr- und Armenhaus im<br />
Gemeinderat während mehrerer Sitzungen<br />
und Beratungen in den Jahren 1837/38.<br />
Das Vorhaben zur Einrichtung eines Armenhaus<br />
war noch hinzugekommen, da es<br />
immer mehr Bedürftige gab, die nicht in<br />
der Lage waren, sich Wohnraum zu schaffen<br />
bzw. zu unterhalten. Nachdem Gemeinderat<br />
und Bürgermeister den Beschluss<br />
zum Bau des Hauses gefasst hatten,<br />
wurde die Planung und Erstellung<br />
des Kostenanschlags an Stadtbaumeister<br />
Grotz übertragen.<br />
Der Kostenanschlag und die Vergabe der<br />
Arbeiten sind nachfolgend auszugsweise<br />
dokumentiert:<br />
Oberamt Neckarsulm<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
Kosten-Überschlag<br />
über ein daselbst nun zu erbauendes<br />
Back-, Wasch- und Dörrhaus mit einer<br />
Armen Wohnung.<br />
Das Gebäude wird 36 ' lang und 22 ' breit,<br />
bekomt einen steinernen Stock, der fl ächenweise<br />
ein Zwischengebälck<br />
erhält, und ein hölzernes Stockwerk in
Plan für das Back-, Wasch- und Armenhaus von Stadtbaumeister Grotz, 1838<br />
welches die Wohnung für Arme eingerichtet<br />
ist.<br />
Summa des ganzen Aufwands<br />
ohne das Anfüllen der Wätte<br />
welches in der Frohn geschieht und<br />
ohne des jenigen Holzwerkes welches<br />
die Gemeinde bereits dazu<br />
bestimt hat<br />
1853 f 47 kr.<br />
Vergeben wurden die einzelnen Gewerke<br />
zum Bau des Hauses in der öff entlichen<br />
Versteigerung 3 am 12. Mai 1838. Zuvor<br />
hatte der Bauplaner einen Kostenvoranschlag<br />
für die Gewerke erstellt, welcher<br />
dann bei der Versteigerung den interessierten<br />
und anwesenden Handwerkern<br />
nochmals mitgeteilt wurde.<br />
Nachfolgend fi nden sich, stellvertretend<br />
für weitere andere Arbeiten, die Gewerke<br />
von Maurer, Zimmermann, Ziegler sowie<br />
die Beifuhr der Steine und Baumaßnahmen<br />
am Brunnen, um zu zeigen, wie diese<br />
Vergaben in der Regel abliefen.<br />
Maurerarbeiten<br />
zur Maurer Arbeit Versteigerung sind 4<br />
Meister erschienen.<br />
Anschlag im Betrag von 646 Gulden.<br />
Es hat folgender als der Wenigstfordernde<br />
unter Vorbehalt Gemeinderats<br />
Genehmigung erhalten Leonard Stahl für<br />
600 Gulden T.: Leonard Stahl<br />
237
238<br />
Aufstellung der Baukosten von Stadtbaumeister<br />
Grotz, 1838<br />
Es wurde mit folgendem Ergebnis nachverhandelt;<br />
endlich hat auf ab und ab erhalten<br />
Leonard Stahl für 575 Gulden.<br />
T.: Leonard Stahl<br />
Zimmerarbeiten<br />
bei der Versteigerung waren 7 Meister<br />
anwesend.<br />
Die Arbeit beläuft sich auf 214 Gulden 29<br />
Kreuzer.<br />
Wird dem Mindestbietenden Däuble unter<br />
Vorbehalt Gemeinderahts Genehmigung<br />
überlassen für 179 Gulden.<br />
T.: Johannes Däuble; Johann Georg Däuble<br />
Ziegler<br />
Ziegler Waare im Betrag zu 247 Gulden<br />
15 Kreuzer.<br />
Welche sämtliche hierher geliefert werden<br />
[...] wovon jedoch der Balg in der<br />
Ziegelhütte durch eine Vertrauensperson<br />
abgefaßt werden, und durch den<br />
Lieferanten beigeführt werden muß.<br />
Backsteine nach dem neuen großen Maß<br />
4000 St. per Hundert – 1 Gulden 36 Kreuzer<br />
zu den Kamin Stuben 3000 St. per Hundert<br />
von den großen nach dem Maß genau<br />
1 Gulden 12 Kreuzer<br />
Ziegel v. d. Großen 3500 St. per hundert –<br />
1 Gulden 24 Kreuzer<br />
Backofenblatten 125 Stück a.) 3 Kreuzer<br />
Kalk gebrannter 230 Ltr. – a.) 24 Kreuzer<br />
Zusammen – 247 Gulden 15 Kreuzer.<br />
Um vorstehenden […] verbinden sich vorstehende<br />
Zieglerwaaren, wie anfangs bemerkt<br />
mit Einwilligung des Gemeinderaths<br />
zu liefern, Ziegler Zieglers Wittwe<br />
von Neuenstadt, und Ziegler August<br />
Wurst von Brettach.<br />
T.: August Wurst von Brettach. Von Neuenstadt<br />
T.: Gottlieb Ziegler; Christian Kern<br />
Vorstehende Verhandlung genehmigt und<br />
beurkundet Gemeinderath;<br />
Lumpp; Bühl [?]<br />
Jakob Hörmann; Schuler<br />
D. Lumpp; Salm<br />
Da noch nicht alle Arbeiten vergeben waren,<br />
wurde damit am 19. Mai 1838 fortgefahren:<br />
Es wird auf vorherige Bekanntmachung<br />
das Beiführen der Steine usw. zum Backhaus<br />
im Abstrich verakordiert, hierbei wird<br />
bedungen, daß das beiführen schleunigst<br />
zu geschehen hat, so daß der Maurer in<br />
seinem Geschäft nicht gehindert wird,<br />
wurde solches nicht befördert werden, so<br />
hat der Akkordant des Beiführens dem<br />
Maurer sämtlichen Schaden zu ersetzen.<br />
1) Wird das Beiführen von Materialien zum<br />
unteren Stock verabstreicht, wobei weiter<br />
bedungen wird, daß sich der Gemeinderath<br />
den letzten Streich zuvor behält, und daß<br />
das Zusammenfassen der sämtlichen Bausachen<br />
nicht gestattet wird
Anwesend sind 5 Bieter; das Erstgebot<br />
beträgt – 120 Gulden.<br />
Es hat als der Wenigstbietende erhalten<br />
Jung Jakob Herrmann für – 78 Gulden.<br />
T.: Jakob Herrmann<br />
bey 2ter Versteigerung<br />
hat bei auf ab und ab den Zuschlag erhalten<br />
für – 60 Gulden.<br />
T.: Ludwig Herrmann<br />
Versteigerung der weiteren Zufuhr:<br />
Die sämtlichen Steine zum Wohnstock<br />
und den beiden Giebeln sind bei zuführen<br />
unter bisherigen Bedingungen.<br />
Es sind 5 Bieter anwesend, das Erstgebot<br />
beträgt 44 Gulden.<br />
Es hat als der Wenigstnehmende erhalten<br />
Christian Erhart für – 29 Gulden<br />
T.: Christian Erhardt<br />
Es wurde auch hier nachgeboten,<br />
auch beim 2ten Abstreich hat erhalten<br />
auf ab und ab Christian Erhart für – 26<br />
Gulden.<br />
T.: Christian Erhardt<br />
Weitere Versteigerung, nun den Brunnen<br />
betreff end (der Brunnen musste durch die<br />
Baumaßnahme verändert und versetzt werden):<br />
Den Brunnen beizuführen unter vorbemerkten<br />
Bedingungen.<br />
Das Erstgebot beträgt – 14 Gulden.<br />
Es hat als der wenigstnehmende erhalten<br />
für – 13 Gulden Georg Lumpp.<br />
T.: Georg Lumpp<br />
Hier wurde ebenfalls nachgeboten.<br />
Bei der 2ten Versteigeung erhielt<br />
nach auf ab und ab für – 11 Gulden<br />
erneut Georg Lumpp den Zuschlag.<br />
T.: Georg Lumpp<br />
Auch in den darauff olgenden Wochen<br />
4 musste immer wieder in der<br />
obigen Sache verhandelt und beraten<br />
werden, da es teilweise mit<br />
den Handwerkern zu Unstimmig-<br />
keiten kam. Da auch noch nicht alle Gewerke<br />
vergeben waren bzw. neue oder ergänzende<br />
(so musste z. B. die Wette verlegt<br />
und ein neuer Wasserabfl ussgraben<br />
zum Bach, da der vorhandene dem Gebäude<br />
weichen musste, angelegt werden)<br />
hinzukamen, war der Gemeinderat ständig<br />
gefordert.<br />
Zimmermeister 5 Däuble teilte schließlich<br />
mit, dass man ab Mittwoch, 8. August<br />
1838 mit dem Aufrichten (Aufschlagen)<br />
des Backhauses beginnen könne:<br />
Er bitte deshalb bestimmen zu wollen wie<br />
viel die Gemeinde zum Aufrichten dieses<br />
Gebäudes beizutragen gewiegt seye. Es<br />
wurde nach hinlänglicher Beratung beschlossen,<br />
zu diesem Geschäft einen Beitrag<br />
von 10 Gulden zu verwilligen, womit<br />
sich auch Zimmerer Däuble begnügte.<br />
T.: Johannes Däuble<br />
In diesem „multifunktionalen Haus“, wie<br />
wir es heute nennen würden, waren, wie<br />
der Name schon sagt, die unterschiedlichsten<br />
Einrichtungen untergebracht und wie<br />
folgt auf die einzelnen Geschosse verteilt:<br />
– im Erdgeschoss ein Backraum mit zwei<br />
Öfen für 16 und 20 Laib Brot und einer<br />
Obstdörreinrichtung 6 , ein Waschhaus mit<br />
einer gemauerten Feuerstelle für zwei<br />
Waschkessel<br />
Bauplan vom Erdgeschoss, gefertigt von<br />
Zimmermeister Johannes Däuble von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, 1838<br />
239
240<br />
– im Wohngeschoss gab es zwei Wohnungen,<br />
jeweils mit Kamin und Kanonenofen<br />
in der Stube, einem, aber gemeinschaftlich<br />
zu nutzenden, außen liegenden<br />
Abort.<br />
Bauplan vom Obergeschoss, gefertigt von<br />
Zimmermeister Johannes Däuble von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
1838<br />
Die Bewohner der Armenwohnung<br />
Am 11. Februar 1839 7 wurden nach reifer<br />
Überlegung und Beschluß des Gemeinderaths<br />
gleich zwei Einweisungen ins Armenhaus<br />
vorgenommen. Als erste Bewohner<br />
im Armenhaus konnten folgende Personen<br />
ermittelt werden:<br />
Dem Gottlieb Herrmann wurde die vordere<br />
Wohnung gegen Entrichtung einer<br />
Jahresmiete von 12 Gulden, in vierteljährlichen<br />
Raten an die Gemeindekasse<br />
zu bezahlen, vermietet. In die weitere<br />
Wohnung wurde Michael Borgers Ehefrau<br />
eingewiesen. Nachdem sie zuvor auf<br />
dem Rathaus erschienen war und mitgeteilt<br />
hatte, dass sie für den Lebensunterhalt<br />
für sich und den von ihrer Tochter<br />
hinterlassenen 10 ½ Jahre alten Schulknaben<br />
nicht mehr aufkommen könne<br />
und deshalb um einen Zuschuss aus der<br />
Gemeindekasse bitte.<br />
Der 10 ½ Jahr alte Schulknabe sollte nach<br />
reifer Überlegung des Gemeinderaths, gegen<br />
ein ermäßigtes Kostgeld, an einen<br />
Bürger jedoch im Abstreich (Versteigerung<br />
gegen Mindestgebot) zu verköstigen, welcher<br />
demselben die nöthige Kleidung anzuscha<br />
en, zur Schule, und zur Arbeit anzuhalten,<br />
auch zu einem sittlichen u. geordneten<br />
Wandel anzuhalten hat gegeben<br />
werden.<br />
Die Vergabe 8 des o.g. Waisenknaben Christian<br />
Dittmann im Abstreich gegen Mindestgebot,<br />
für das die Gemeinde aufzukommen<br />
hatte, fand nach Gemeinderäthlichem<br />
Gutachten am 9ten März 1839 statt.<br />
Derjenige, welcher bei der „Auktion“ den<br />
Zuschlag erhalten sollte, musste folgende<br />
Forderungen des Gemeinderats zu<br />
Erziehung des Jungen gewährleisten<br />
können:<br />
Er solle hiermit solcher zum Arbeiten angehalten,<br />
und ordnungsgemäßig erzogen<br />
werden, zur Erziehung in Kost und Logie<br />
gegeben. Der Kostreicher ist verbunden,<br />
denselben mit alltäglichen Kleidungsstücken<br />
zu versehen. Zur Arbeit anzuhalten<br />
und in die Schule zu schicken, auch das<br />
erforderliche waschen und fl icken, und<br />
jährlich zwei neue Hemden anscha en.<br />
Von der Gemeinde gefordert wurde<br />
40 Gulden<br />
Georg Salm bietet<br />
20 Gulden<br />
David Lumpp, Wagner bietet<br />
19 Gulden<br />
David Herrmann bietet<br />
18 Gulden 45 Kreuzer<br />
David Lumpp, Wagner bietet<br />
18 Gulden 30 Kreuzer<br />
Martin Hesser bietet<br />
18 Gulden<br />
David Lumpp, Wagner bietet<br />
17 Gulden 45 Kreuzer<br />
Martin Hesser fordert<br />
17 Gulden 30 Kreuzer<br />
Es hat solchen als der wenigstnehmende<br />
erhalten<br />
Martin Hesser für 17 Gulden 30 Kreuzer<br />
T.: Martin Heßer
Die Nachfrage nach einem Wohnplatz im<br />
Armenhaus war groß und konnte nicht<br />
immer erfüllt werden. Zeitweise wurden in<br />
die verhältnismäßig kleinen Wohnungen 9<br />
noch zusätzlich ein bis zwei Personen eingewiesen.<br />
Solches wurde den Mietern bereits<br />
bei Abschluss des Mietvertrages mitgeteilt,<br />
damit es nicht zum Streit mit der<br />
Kommune kommt, wenn dieser Fall eintritt.<br />
Es gab im Armenhaus immer wieder Mieterwechsel<br />
und Ärger mit den Bewohnern,<br />
aber auch ungebetenen Besuchern. Wie<br />
aus dem folgenden Bericht 10 vom 28. Dezember<br />
1839 ersichtlich ist, wurde einem<br />
der Ärger Verursachenden Folgendes mitgeteilt.<br />
Schneider Gottlieb Borger wurde sein<br />
leichtsinniger Lebenswandel endlich untersagt,<br />
und dringend aufgefordert sich<br />
nun eine Logie oder Quartier umzusehen,<br />
und aus dem Armenhaus zu bleiben, auch<br />
zum Sparen dringend aufgefordert, nun<br />
sich gehörige Wohnung anzuscha en.<br />
So weit die Ermahnung des Gemeinderats<br />
an Borger, ob es was geholfen hat?<br />
Die negativen Berichte über das Armenhaus<br />
und seine Bewohner reißen nicht ab.<br />
Es würde aber den Rahmen sprengen, hier<br />
auf alle, sicherlich interessanten, aber<br />
überwiegend bedauerlichen Schicksale der<br />
Betroff enen, einzugehen. Trotz allem sollte<br />
in Erinnerung bleiben, dass das Armenhaus<br />
eine segensreiche Einrichtung für die<br />
damalige Zeit war, und dies auch so bleiben<br />
sollte bis Anfang der 1960er Jahre.<br />
Die Back-, Dörr- und Waschstuben<br />
Nicht nur der Bereich Armenhaus gab für<br />
den Gemeinderat immer wieder Anlass für<br />
langwierige Beratungen und Sitzungen,<br />
auch im Bereich des Back-, Dörr- und<br />
Waschhauses gab es Probleme. Sei es mit<br />
dem Aufsichtspersonal, den Nutzern oder<br />
auch mit öfters anstehenden Reparaturen.<br />
So mussten bereits Mitte 1841, gerade<br />
mal zwei Jahre nach Inbetriebnahme, die<br />
beiden Backöfen 11 wegen Einsturzgefahr<br />
abgebrochen und neu aufgebaut werden.<br />
Ursächlich hierfür waren die beim Bau<br />
verwendeten Backsteine, welche den hohen<br />
Temperaturen im Backofen nicht<br />
standhielten.<br />
Mit der Arbeit des Abbruchs sowie des<br />
Neuaufbaus der Öfen wurde der „Backofenmacher“<br />
Bohl aus Neckarsulm beauftragt.<br />
Er sollte die Backöfen nun gut<br />
Meistermäßig herstellen.<br />
Zur Befeuerung der Backöfen war Holz erforderlich.<br />
Um nun den Benutzern aus<br />
dem Ort etwas Gutes zu tun, hat der Gemeinderat<br />
12 am 1. Juni 1840 Folgendes<br />
beraten und beschlossen:<br />
Das Holz, um die Backöfen einzuheizen,<br />
um die erforderlichen Temperaturen für<br />
das Backen zu erhalten, wird für das erste<br />
Jahr von der Gemeinde kostenlos für einmal<br />
tägliches Anfeuern zur Verfügung gestellt.<br />
Da aber schon nach kurzer Zeit festgestellt<br />
wurde, dass das Holz um weitaus<br />
mehr weniger wurde, als das im Backhaus<br />
benötigte, sah man sich gezwungen, eine<br />
Aufsichtsperson für das Back- und Waschhaus<br />
zu benennen, um diesem Einhalt zu<br />
gebieten. Die Stelle des Aufsehers wurde<br />
im Dorf öff entlich bekannt gemacht, und<br />
Christoph Apfelbach zunächst für ein Jahr<br />
übertragen. Folgendes gehörte zu seinen<br />
Aufgaben und musste von ihm beachtet<br />
bzw. getan werden:<br />
Das Holz durfte von ihm nur für einmaliges<br />
Einheizen pro Ofen und Tag abgegeben<br />
werden, musste nachgeheizt werden,<br />
so war dies Sache der Backenden. Jeder,<br />
der Brot backen will, hat sich den Tag zuvor<br />
vormittags zu melden und die Laibe<br />
nebst Gewicht anzugeben. Der Aufseher<br />
hat die Namen der Backenden in ein Verzeichnis<br />
nebst den Laiben und Gewicht<br />
einzutragen.<br />
Als Entlohnung erhält der Aufseher für<br />
seine Tätigkeit neben der Personalfrei-<br />
241
242<br />
heit 13 von den Backenden von einem Laib<br />
Brot zwei Kreuzer und hat dafür auch die<br />
Asche wegzubringen.<br />
Danach 14 sollte ein Backmeister benannt<br />
und das Back-, Dörr- und Waschhaus von<br />
der Gemeinde im Abstreich verpachtet<br />
werden. Der Meistbietende hatte eine<br />
Jahrespacht von 23 Gulden an die Kommune<br />
zu entrichten, dafür standen ihm<br />
die Einnahmen aus dem laufenden Betrieb<br />
der Einrichtung zu. Zu seinen Aufgaben<br />
zählte die Kontrolle sowie die Aufsicht<br />
über die Einrichtung. Er hatte darauf zu<br />
achten, dass Verunreinigungen, Beschädigungen<br />
oder Streit unter den Benutzern<br />
erst gar nicht auftraten, wenn doch Schäden<br />
auftraten, diese durch die Verursacher<br />
umgehend beseitigen zu lassen. Ansonsten<br />
hatte er die Pfl icht, dies unter Angabe<br />
der Geschehnisse mit Namen der Verursacher<br />
oder Beteiligten der Gemeindeverwaltung<br />
anzuzeigen. Konnten diejenigen,<br />
bei denen etwas zu Bruch ging oder beschädigt<br />
wurde, nicht ermittelt werden, so<br />
sollte der Backmeister dafür aufkommen.<br />
Als erster Pächter ist Andreas Bordt eingetragen,<br />
dies geht aus einem Protokoll 15<br />
vom 10ten July 1845 hervor. Hierbei wird<br />
verhandelt, dass der Backmeister im abgelaufenen<br />
Jahr wohl seiner Verpfl ichtung,<br />
einer gewissenhaften Kontrolle der ihm<br />
anvertrauten Einrichtung, sowie der Bezahlung<br />
des vereinbarten Pachtpreises,<br />
nicht nachgekommen ist. Es wurde festgehalten,<br />
dass es einige Dinge, wie Tische,<br />
Türen, Fenster usw. unter anderem auch<br />
eine „Bärn“ 16 , zu richten oder zu erneuern<br />
galt.<br />
Im Original lautet dies wie folgt:<br />
Unter vorstehender Bemerkung wurde begutachtet<br />
dem Backmeister Andreas<br />
Bordt, welcher die Stelle per Aufstreich<br />
erhalten, und in die Gemeindekasse 23<br />
Gulden zu liefern hatte, und dadurch, daß<br />
er von einem Backbrod nur 1 Kreuzer, und<br />
für die Benutzung des Waschhauses per<br />
Tag 2 Kreuzer zu beziehen hatte. Wodurch<br />
er im verfl ossenen Jahr nicht im Stand<br />
war sein Pachtgeld vollständig zu entrichten.<br />
So hat sich Bord dazu erklärt,<br />
daß er: wenn man ihm das Zutrauen<br />
schenken, und diese Stelle auf das Jahr,<br />
vom 1ten July 1845 / 46 überlasse, so<br />
wolle er den Rest vollständig entrichten,<br />
und für dieses Jahr zur Gemeindepfl ege<br />
bezahlen 15 Gulden.<br />
Vorstehende Verhandlung bekunden Gemeinderath<br />
Lumpp<br />
Schuler<br />
Ludwig Herrmann<br />
Klein<br />
Speiser<br />
Volpp<br />
J. D. Lumpp<br />
die Anerkennung: T.: Ludwig Bordt<br />
Am 9. März 1847 vom Bürgerausschuß<br />
nachträglich zugestimmt<br />
d. Obmann Haug<br />
Möhle<br />
Erhardt<br />
Hesser<br />
Korb<br />
Klein<br />
Heßer<br />
Der Gemeinderat hat Bordt das Back-,<br />
Dörr- und Waschhaus zu den zuvor<br />
genannten Bedingungen überlassen. Es<br />
hat sich aber an den Gegebenheiten, was<br />
die Bezahlung, dem häufi gen Auftreten<br />
von Schäden und Reparaturen angehen,<br />
weder bei ihm noch bei den häufi g wechselnden<br />
Nachfolgern über Jahrzehnte hinweg<br />
etwas zum Guten geändert. Zum Beispiel<br />
war im Oktober 1893 schon der<br />
zweite Backofenbrand 17 aufgrund unzureichender<br />
Reinigung von Backöfen, Zugschächten<br />
und Zuglöchern in diesem Jahr<br />
aufgetreten. Dies ging aus einem Gutachten<br />
des zuständigen Kaminfegers hervor.<br />
Dieser forderte auch, dass die genannten
Einrichtungen alle acht Tage zu reinigen<br />
seien. Vom Gemeinderat wurde dies am<br />
19. Oktober 1893 verhandelt und beschlossen,<br />
dies der Backmeisterin Jung<br />
umgehend mitzuteilen. Sollte sie dieser<br />
Auff orderung nicht gewissenhaft nachkommen,<br />
so habe sie mit entsprechenden<br />
Konsequenzen zu rechnen.<br />
Eine Molkerei im Waschhaus?<br />
Schullehrer Lorch kannte die Probleme der<br />
kleinstrukturierten landwirtschaftlichen<br />
Betriebe im Ort. Er wollte daher diese<br />
kleinbäuerlichen Betriebe unterstützen.<br />
Seine Idee war, die von ihnen erzeugte<br />
Milch besser und gewinnbringender zu<br />
vermarkten. Um dies zu erreichen, wollte<br />
er im Waschhaus eine Molkerei 18 einrichten.<br />
Dazu musste er den Gemeinderat von<br />
seiner Idee überzeugen, dass diese auch<br />
Aussicht auf Erfolg hat. Dieses scheint ihm<br />
gelungen zu sein. Mit Datum vom 7. März<br />
1893 wird im Gemeinderat sein Antrag<br />
auf Überlassung des Waschhauses zur<br />
Umnutzung zur Molkerei eingehend behandelt<br />
und beraten. Nach längerer Diskussion,<br />
mit allem Für und Wider fasst der<br />
Gemeinderat mit den fünf anwesenden<br />
(Normalzahl sieben) Gemeinderäten einstimmig<br />
den Beschluss, dem Antrag und<br />
somit auch dem Vorhaben des Schullehrers<br />
Lorch zuzustimmen.<br />
Es muss sich über diese Entscheidung<br />
wohl Unmut im Dorf breit gemacht haben,<br />
denn man wollte nicht auf das<br />
Waschhaus verzichten. Aus diesem Grund<br />
tritt Lorch erneut an den Gemeinderat 19<br />
heran. Diesmal geht es um die der Gemeinde<br />
gehörende freie Fläche östlich<br />
vom Back- und Waschhaus. Schullehrer<br />
Lorch stellt folgenden Antrag:<br />
Um Ersatz für den bisherigen Waschraum<br />
schaff en zu können, bittet er um Verkauf<br />
der o. g. Fläche, um dort ein neues Waschhaus<br />
zu errichten. Eine löbliche Gesinnung<br />
und Einstellung von Lorch, sollte man<br />
meinen. Dem gemeinderätlichen Sitzungsprotokoll<br />
vom 1. April 1893 entnehmen<br />
wir Folgendes:<br />
Nach längerer Debatte, welche eine Abstimmung<br />
veranlaßte wurde diese vorgenommen<br />
u. der Antrag des Schullehrer<br />
Lorch auf Kaufweise Abtretung von Gemeindeeigentum<br />
mit 6 gegen 5 Stimmen<br />
abgelehnt.<br />
Aus war es mit der Molkerei im Ort. Die<br />
Enttäuschung des Schullehrers Lorch muss<br />
recht groß gewesen sein ob der Ablehnung<br />
seines lobenswerten Vorhabens. Es<br />
fi nden sich keine weiteren Eintragungen<br />
bezüglich der Molkerei im Ort.<br />
Tabaktrocknung auf den Dachböden?<br />
Auf Gesuch 20 des Christian Hesser sollte<br />
das öff entliche Haus einer weiteren Nutzung,<br />
in Form einer Tabaktrocknung auf<br />
den Dachböden zugeführt werden. Es<br />
sollte denjenigen Tabakerzeugern, welche<br />
keine geeigneten Räumlichkeiten besaßen,<br />
hier die Möglichkeit geboten werden, ihren<br />
geernteten Tabak aufzuhängen und zu<br />
trocknen. Der Gemeinderat verhandelte<br />
über den Antrag am 24. April 1907 und<br />
wies das Gesuch ab. Beschloss jedoch, die<br />
Böden auf 1 Jahr im ö entlichen Aufstreich<br />
zu verpachten. Daraus ist vermutlich<br />
nichts geworden, denn es ließen sich<br />
diesbezüglich keine weiteren Informationen<br />
in den Akten fi nden.<br />
Nutzungsbebühren während der<br />
Infl ation 1923<br />
Durch die Folgen der Infl ation von 1923<br />
waren auch die Nutzungsgebühren vom<br />
Back- und Waschhaus anzupassen. Das<br />
folgende, im Wortlaut wiedergegebene<br />
Protokoll 21 zeigt die Geldentwertung der<br />
damaligen Zeit. Verhandelt und beschlossen<br />
am 24. November 1923:<br />
Infolge der fortgeschrittenen Geldentwertung<br />
wird der Backkreuzer mit Wirkung<br />
vom 1. Dezember d.J. auf 5 Milliarden für<br />
243
244<br />
eine Hitze u. die Benützung des Waschhauses<br />
auf 40 Milliarden für einen<br />
Tag, u. der Back- u. Waschhauspacht auf<br />
550.000.000.000 für den Monat Dezember<br />
erfolgt.<br />
Erleichterung für die Hausfrauen -<br />
durch Errichtung einer<br />
fortschrittlichen Waschanlage<br />
Bei der am 8. Oktober 1938 zu diesem<br />
Punkt abgehaltenen Gemeinderatsitzung 22<br />
waren nicht nur die Beigeordneten und<br />
die Gemeinderäte, sondern auch die Vorstände<br />
der hiesigen Spar- und Darlehenskasse<br />
eingeladen worden. Es musste ein<br />
Antrag des Ortsbauernführers Blank beraten<br />
und entschieden werden. Dieser hatte<br />
die Anschaff ung einer Gemeindewaschanlage<br />
beantragt, um die Frauen bei der<br />
schweren Wascharbeit zu entlasten. Nach<br />
eingehender Beratung erklären die Vertreter<br />
der Spar- und Darlehenskasse, dass die<br />
Kasse bereit ist, die Finanzierung zu übernehmen.<br />
So, dass die Waschanlage Eigentum<br />
der Spar- und Darlehenskasse bleibt,<br />
welche den üblichen Zuschuss vom NS-<br />
Reichnährstand erhält. Im Einverständnis<br />
mit den Gemeinderäten fasst der Bürgermeister-Amtsverweser<br />
Blank die Entschließung,<br />
die alte Gemeindewaschküche, welche<br />
sich in schlechtem Zustand verhält, zu<br />
diesem Zweck instand zu setzen. Als jährliche<br />
Miete werden von der Spar- und Darlehenskasse<br />
20 RM erhoben.<br />
Es darf durchaus erwähnt werden, dass dies<br />
in der Zeit eine fortschrittliche und in die<br />
Zukunft gerichtete Entscheidung für den<br />
Ort war. Die Einrichtung wurde von den<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Hausfrauen noch bis in<br />
die 1960er Jahre genutzt, bis in den Haushalten<br />
die nicht mehr wegzudenkenden<br />
Waschmaschinen Einzug gehalten haben.<br />
Instandsetzungen im und am Backhaus<br />
waren ständig erforderlich und belasteten<br />
den Haushalt der Gemeinde. Die Einnahmen<br />
standen in keinem Verhältnis zu den<br />
Das Back-, Wasch- und Armenhaus (im<br />
Bildhintergrund) in einer Aufnahme von einem<br />
Festumzug 1955<br />
Aufwendungen. Trotzdem war das Back-,<br />
Wasch- und Armenhaus mit seinen vielen<br />
Funktionen für die Bevölkerung im Ort zu<br />
einer guten und wichtigen Einrichtung<br />
geworden. Mit Datum vom 7. November<br />
1964 wurde der Gemeinderat mit nachfolgendem<br />
Wortlaut darüber informiert, dass<br />
es am Backhaus wiederum umfangreiche<br />
Renovierungsarbeiten durchzuführen gilt:<br />
Das Backhausgebäude wird neu verputzt<br />
durch Gipsermeister Götz Neuenstadt,<br />
und die sämtlichen Fenster herausgemacht<br />
und von Schreinermeister Mack in<br />
Brettach neue Fenster eingesetzt. Nun<br />
steht das Gebäude wieder ordentlich hergerichtet<br />
da. Die Backhausöfen müssen<br />
im Frühjahr instandgesetzt werden, denn<br />
es sind einige Ofenplatten in den Öfen<br />
auszuwechseln welche durchgebrannt<br />
sind. Es ergeht einstimmiger Beschluß:<br />
Dem Verputzen des Backhausgebäudes<br />
durch Gipsermeister Götz Neuenstadt<br />
wird zugestimmt. Ebenfalls wird genehmigt,<br />
daß Schreinermeister Mack Brettach<br />
neue Fenster im Backhausgebäude einsetzt.<br />
Entsprechende Mittel hierfür sind<br />
im Haushaltsplan 1964 eingestellt. Die alten<br />
Fenster vom Backhaus sollen ö entlich<br />
versteigert werden. Die Backöfen sind
im Frühjahr wieder durch Backofenbauer<br />
Schwilk instandsetzen zu lassen.<br />
Die Backhauspacht war auch eine Sache,<br />
mit der sich der Gemeinderat immer wieder<br />
zu beschäftigen hatte, so auch am 13.<br />
Mai 1965. Zu beraten und entscheiden war<br />
ein Antrag der Backfrau Frl. Pauline Ohr.<br />
Frl. Ohr zahlt jährlich 20.— DM Backhauspacht.<br />
Sie bittet um Erlassung des<br />
Backhauspachtes mit der Begründung,<br />
weil die Benützung der Öfen derart zurückgegangen<br />
ist. Es wird oftmals nur<br />
noch ein Ofen für zwei Tage in der Woche<br />
benützt. Der Wohlstand ist so groß, daß<br />
viele Hausfrauen sich nicht mehr die<br />
Mühe machen das Brot selbst zu backen.<br />
Beschluß: Der Backhauspacht fürs Jahr<br />
1965 wird aus den vorerwähnten Gründen<br />
die der Tatsache entsprechen auf 10.-<br />
DM herabgesetzt.<br />
Auch die Vermietung der Backhauswohnung<br />
stand durch häufi gen Mieterwechsel<br />
immer wieder an, so zum Beispiel am 12.<br />
Juni 1967. Nachdem die Wohnung im<br />
Mai/Juni 1967 renoviert wurde, u. a.<br />
musste die Abortgrube und der Abort erneuert<br />
sowie eine Wasserleitung in der<br />
Küche neu verlegt werden, konnte die<br />
Wohnung nun neu vermietet werden. Als<br />
neue Mieter hatte sich die Familie Hagmann<br />
beworben, welche auch zum monatlichen<br />
Mietpreis von 50 DM den Zuschlag<br />
erhielt.<br />
Wiederum eine Beratung über die Backhauspacht,<br />
diesmal vom 8. März 1968. Erneut<br />
kommt ein Antrag von Frl. Pauline<br />
Ohr, welche noch immer die Pächterin des<br />
Backhauses ist, auf Erlass des Pachtgeldes<br />
von 10 DM, da die weiter zurückgehende<br />
Nutzung dadurch auch zu weniger Einnahmen<br />
führt. Weiter beantragt sie, die<br />
Hitze auf 20 Dpf. zu erhöhen, da seit April<br />
1958 der Preis bei 10 Dpf. festgeschrieben<br />
war. Am 29. April 1961 hat der Gemeinderat<br />
für die Benutzung des Waschraumes<br />
für einen Tag mit Schleuder, und desglei-<br />
chen für eine Schlachtung, die darin gemacht<br />
wird, eine Gebühr von je 2 DM<br />
festgesetzt, hiervon erhält Frl. Ohr als beaufsichtigende<br />
Person 45 Dpf.<br />
Beschluss:<br />
1. Es wird anerkannt, daß die Benützung<br />
des Backhauses immer weniger wird<br />
und daher wird das Pachtgeld für das<br />
Backhaus ab 1.1.68 auf 5.- DM jährlich<br />
festgesetzt.<br />
2. Für eine Hitze haben die Benützer der<br />
Backöfen ab sofort 20 Dpf. zu bezahlen.<br />
3. Für die Benützung des Waschraums<br />
zum Waschen mit Schleuderbenutzung<br />
für 1 Tag ist die Gebühr von 2.- DM zu<br />
bezahlen. Hiervon erhält die aufsichtführende<br />
Person 1.- DM.<br />
4. Der Waschraum darf zum Schlachten<br />
ab sofort nicht mehr benutzt werden.<br />
Backhausbrand – Wiederaufbau, Ein -<br />
bau eines Schlacht- und Kühlraumes<br />
Mit dem Backhausbra nd vom 1. Oktober<br />
1970 und dem folgenden Wiederaufbau<br />
sollte auch ein Schlacht- und Kühlraum im<br />
bisherigen Waschraum und in Teilen des<br />
Backraumes auf Wunsch des Ortschaftrates<br />
vom 2. November 1972 untergebracht<br />
werden. Dies war auch erforderlich geworden,<br />
um den Forderungen und Bedingungen<br />
bezüglich der Hygiene des Veterinäramtes<br />
Heilbronn für Notschlachtungen<br />
von Großvieh, welches über den im Stadtgebiet<br />
vorhandenen Viehversicherungsverein<br />
abgewickelt wurde, wie auch für Privatschlachtungen,<br />
zu erfüllen. Mit dieser<br />
Maßnahme wurde der hintere Backofen<br />
stillgelegt und der vordere renoviert, um<br />
der Bevölkerung auch weiterhin das Backen<br />
in gewohnter Weise zu ermöglichen.<br />
Im September 1973 war das Schlacht-<br />
und Kühlhaus fertiggestellt und zur Nutzung<br />
freigegeben.<br />
Folgende Gebühren wurden festgesetzt:<br />
für 1 Schweineschlachtung 12 DM<br />
245
246<br />
Das Back-, Wasch- und Armenhaus. Ab<br />
1972 wurde das Obergeschoss wieder vermietet.<br />
für 1 Rinderschlachtung 18 DM<br />
für die Benutzung des<br />
Kühlraumes pro Tag 3 DM<br />
Wurde das Schlachthaus anfangs mit ca.<br />
60 Schlachtungen pro Jahr recht häufi g<br />
benutzt, so waren diese bereits ab den<br />
1990er Jahren rückläufi g, was sicherlich<br />
sehr stark mit dem Verbraucherverhalten<br />
zu tun hat. Im Jahr 2011 gab es noch einen<br />
Nutzer, ab 2012 wird der Schlachtbetrieb<br />
im gemeindeeigenen Schlachthaus eingestellt,<br />
somit kann der Schlachtraum einer<br />
anderen Nutzung zugeführt werden.<br />
Als Mitte der 1980er Jahre das Backhaus<br />
geschlossen werden sollte, taten sich der<br />
Ortschaftsrat, die Vereine und große Teile<br />
der Bevölkerung zusammen, um ein Backhausfest,<br />
welches unter dem Motto „Unser<br />
tägliches Brot gib uns heute“ stand,<br />
auszurichten. Mit dem Erlös daraus sollte<br />
die erneut anstehende Renovierung des<br />
Backofens unterstützt werden. Um den<br />
Backbetrieb im Ort, welchen es zu der<br />
Zeit schon nahezu 150 Jahre gab, auch in<br />
Zukunft für die Bürgerschaft und Vereine<br />
erhalten zu können. Dass dies ein Fest der<br />
Superlativen werden würde, konnte niemand<br />
erahnen, weder Beteiligte, noch<br />
Gäste und Besucher. Tatsache ist, dass aus<br />
dem Reinerlös im Ort drei städtische<br />
Maßnahmen mit je 3.000 Mark unterstützt<br />
werden konnten, an denen wir uns<br />
noch heute freuen oder auch Nutzen ziehen<br />
können. Es sind bzw. waren dies folgende<br />
Projekte:<br />
Elfriede Speck beim Backhausfest 1986<br />
das Backhaus mit der Backofenrenovierung,<br />
die Aussegnungshalle mit dem<br />
Kunstglasfenster und die Kelter-Halle mit<br />
den vier Fenstern im Treppenaufgang,<br />
ebenfalls vom Künstler gestaltet und aus-<br />
geführt mit den Motiven der „Vier Jahreszeiten“.<br />
Für alle Helfer wurde noch ein Dorfabend<br />
als kleines „Dankeschön“ in der Kelter–<br />
Halle abgehalten.<br />
2012 wird das ehemalige Back-, Wasch-
Das ehemalige Back-, Wasch- und Armenhaus nach seiner Renovierung, Juni 2012<br />
und „Armenhaus“ erneut einer grundlegenden<br />
Sanierung unterzogen. Die Wohnung<br />
aus Anfang der 1970er Jahre entspricht<br />
ebenso wenig den heutigen Standards<br />
wie die energetische Ausstattung<br />
1 CB 14 S. 35 f.<br />
2 CB 17<br />
3 CB 17 S. 1 ff .<br />
4 CB 17 S. 6 ff .<br />
5 CB 17 S. 13b<br />
6 CB 17 S. 27<br />
7 CB 17 S. 51–51b<br />
8 CB 17 S. 53–53b<br />
9 CB 17 S. 180–180b<br />
10 CB 17 S. 111b<br />
11 CB 17 S. 173<br />
12 CB 17 S. 138–138b<br />
13 Mit dem Begriff Personalfreiheit war die Befreiung von<br />
den zu der Zeit noch üblichen Frondiensten gemeint. Es<br />
konnten damit Personen, welche öff entliche Ämter innehatten,<br />
aber keine angemessene Entlohnung erhielten wie<br />
Hebammen, Brunnenmeister, Feuerschauer, Backmeister<br />
oder Ähnliche ausgestattet werden.<br />
des Hauses. Nach Abschluss der Renovierungsarbeiten<br />
wird das „Öffentliche Haus“<br />
in neuem Glanz erstrahlen, sich gut in das<br />
Ortsbild einfügen und wieder für viele<br />
Jahre genutzt werden können.<br />
14 CB 18 S. 148–148b<br />
15 CB<br />
16 Eine Bärn ist eine Trage mit zwei durchgehenden Holmen<br />
und Querleisten sowie vier Abstellfüßen aus Hartholz (Buche,<br />
Esche, Eiche) Mix gefertigt, von zwei Personen zum<br />
Tragen von schweren Lasten oder sperrigen Gütern verwendet,<br />
hier Brot, Kuchen. In abgewandelter Ausführung<br />
auch für Steine, Erde oder Stalldung oder zur Anwendung<br />
in den Weinbergen.<br />
17 CB 29 S. 215<br />
18 CB 29 S. 148<br />
19 CB 29 S. 159<br />
20 CB 31 S. 496<br />
21 CB 34 S. 193<br />
22 CB 36 S. 468<br />
247
248<br />
Die Waagen im Dorf und das Waaghäusle<br />
Wann genau die erste Waage in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ihre Anwendung fand, lässt sich<br />
nicht genau feststellen. Ein erster Hinweis<br />
fi ndet sich, als Bürgerausschuss und Gemeinderat<br />
am 3. August 1839 über die<br />
neuen, geänderten Richtlinien zur Aufstellung<br />
der Waagen informiert wurden,<br />
und darüber verhandelt haben 1 . Übrigens<br />
war die hiesige Waage damals noch eine<br />
mobile Einrichtung, und der Transport sowie<br />
eine geeignete und zulässige Aufstellmöglichkeit<br />
zu fi nden, verursachten oft<br />
Probleme. Am 14. September 1866 steht<br />
die Anschaff ung einer Brückenwaage zur<br />
Debatte 2 :<br />
Es ist schon öfter vom Aufstellen eines<br />
verpfl ichteten Wagmeisters u. Ankauf einer<br />
Decimal-Brückenwage die Rede gewesen<br />
u. kam dieser Gegenstand heute wieder<br />
auf Anregung des Ortsvorstehers zur<br />
Sprache. Von beiden Collegien wird einstimmig<br />
beschlossen<br />
a) Vom 1. October d.J. an eine Brückenwage<br />
von etwa 8 bis 10 Ctr. Tragkraft anzuscha<br />
en;<br />
b) den Johann Lumpp, Br. Als Wagmeister<br />
aufzustellen u. vom Ortsvorsteher in<br />
Pfl icht nehmen zu lassen<br />
c) die Waggebühren auf 1 ½ Kreuzer pro<br />
Ctr. festzusetzen, welche in der Regel der<br />
Käufer zu bezahlen hat und im Streitfall<br />
auch Erkenntniß der Gebühr zu zahlen ist.<br />
Zur Beurkundung,<br />
Bürgerausschuß<br />
Lehmann<br />
Nef<br />
Herrmann<br />
Schlegel<br />
Lumpp<br />
Ch. Lumpp<br />
ad. b) sogleich geschehen<br />
T. Johann Lumpp<br />
erw. Auszug gefertigt u. der Gemeindepfl<br />
ege zugestellt<br />
In der Folgezeit fi nden sich immer wieder<br />
Einträge den Waagmeister oder die Waagen<br />
betreff end. So ist protokolliert 3 , dass<br />
Gemeinderat und Bürgerausschuss am 11.<br />
März 1872 über die Anschaff ung einer so<br />
genannten Schnellwaage verhandelt haben,<br />
nachdem die alte Waage vom Pfl ichtamt<br />
(Eichamt) für unbrauchbar zurückgewiesen<br />
und nicht gestempelt wurde. Da<br />
die 1866 angeschaff te Brückenwaage<br />
nicht schnell genug sei, und auch nicht so<br />
leicht transportiert werden kann, so wird<br />
die Anschaff ung einer solchen Waage mit<br />
3½ Zollzentner oder 175 Kilogramm Tragkraft<br />
empfohlen, und soll der Gemeindepfl<br />
eger den Auftrag erhalten, nun jene<br />
oben genannte Waage beim Mechanikus<br />
Dewald in Heilbronn, der sie um 21 Gulden<br />
zu liefern zugesagt hat, zu bestellen.<br />
Zur damaligen Zeit war es üblich, dass die<br />
Waagen zwar im Eigentum der Gemeinde<br />
waren, aber an (hoff entlich) geeignete Bewerber<br />
verpachtet wurden. Diese von den<br />
Kollegien bestellten, und durch den Ortsvorsteher<br />
eingewiesenen Waagmeister<br />
hatten das zuvor ausgehandelte Waagpachtgeld<br />
an die Gemeindekasse zu entrichten,<br />
dafür fl ossen ihnen die Waaggebühren<br />
zu. Dass die Einnahmen für den<br />
Waagmeister seinen Aufwendungen entsprechend<br />
mitunter nicht gerecht wurden,<br />
ist in folgendem Protokoll zu lesen 4 :<br />
Wagmeister Johann Lumpp bittet um Ermäßigung<br />
des Pachtgeldes für die Gemeindewage.<br />
Nach gepfl ogener Beratung<br />
wird in Betracht, daß seit der Bestellung<br />
des Wagmeisters Conkurrenz eingetreten<br />
und hierdurch der Verdienst desselben<br />
verringert ist.<br />
Beschloßen: das Pachtgeld vom 1. Juli<br />
1873 auf 3 f [Gulden] und pro 1. Juli<br />
1874/75 auf 2 f festzusetzen, respektive<br />
ermäßigen. Gemeinderaht u. Bürgerauschuß.
Auch in den nachfolgenden 1880 / 90er<br />
Jahren hatten Gemeinderat und Bürgerkollegien<br />
immer wieder über die Waagmeister,<br />
die Waagpachten oder Pachtgeldreduzierungen<br />
zu beraten. Eine gravierende<br />
Änderung bezüglich der Waagen<br />
sollte es 1903 geben, was auch den fi nanziellen<br />
Rahmen der Gemeinde überschritt.<br />
Eine Bodenbrückenwaage sollte bzw.<br />
musste angeschaff t werden, um der Erfordernis<br />
des Wiegens von Fuhrwerken mit<br />
größeren Lasten gerecht zu werden; die<br />
vorhandenen Waagen konnten dies nicht<br />
mehr erfüllen. Am 15. August 1903 wurde<br />
deshalb beschlossen 5 :<br />
1.) Es soll die notwendig gewordene Bodenbrückenwaage<br />
angescha t, und<br />
am Kelterplatz aufgestellt werden. Da<br />
die Gemeinde aber nicht in der Lage<br />
war, die Kosten von ca. 1000 M aus<br />
den laufenden Haushalten zu erbringen,<br />
sollte ein Antrag an die „Hohe Königl.<br />
Kreisregierung“ mit der Bitte um<br />
Genehmigung zu erteilen, daß die 1000<br />
M für diese Bodenbrückenwage dem<br />
Grundstock der Gemeinde entnommen<br />
werden dürfen.<br />
2.) Wegen Bescha ung der Wage fehlt die<br />
Genehmigung von der Königl. Kreisregierung<br />
somit ist eine ö entliche Ausschreibung<br />
zur Einbringung von O erten<br />
wegen Lieferung der Wage noch<br />
nicht zulässig.<br />
Die Antwort der Königlichen Kreisregierung<br />
ließ lange auf sich warten. Sicherlich<br />
hatte man dort die fi nanzielle Situation<br />
der Gemeinde eingehend geprüft und beraten.<br />
Die Entscheidung, den Grundstock<br />
anzugreifen, war mit Sicherheit keine<br />
leichte. Die Königliche Kreisregierung hat<br />
mit Datum vom 31. Dezember 1903, lt. Erlass<br />
Nr. 18914, diesem Angriff auf den<br />
Grundstock und der Entnahme von 1.000<br />
Mark zur Beschaff ung der Bodenbrückenwaage<br />
schließlich zugestimmt. Der Beschluss,<br />
die Bodenbrückenwaage nun an-<br />
zuschaff en, fi el einstimmig bei der Sitzung<br />
am 3. Februar 1904. Unter Einbeziehung<br />
des Straßenmeisters Siehler wurde nun<br />
über den geeigneten Standort diskutiert.<br />
Letztendlich wurde der Platz beim Back-,<br />
Wasch- und Armenhaus wohl als bester<br />
Standort gehalten 6 . Nach der Ausschreibung<br />
in der Neckarzeitung gingen neun<br />
Off erten bei der Gemeindeverwaltung ein.<br />
Im Januar 1905 wurde dann der Firma L.<br />
Wagner, Waagenfabrik, Heilbronn, der Zuschlag<br />
zur Lieferung der Bodenbrückenwaage<br />
mit 7.500 Kilogramm Tragkraft und<br />
mit Billetdruckapparat zum Preis von 750<br />
Mark der Zuschlag erteilt.<br />
Vertrag mit der Firma Wagner, Heilbronn,<br />
über die Lieferung einer Bodenbrückenwaage<br />
mit Billetdruckapparat, 1905<br />
249
250<br />
Die Arbeiten zum Einbau der Waage einschließlich<br />
des Waaghäuschens wurden,<br />
soweit im Ort ansässig, an die hiesigen<br />
Handwerker vergeben. Die Maurerarbeiten<br />
z. B. erhielt Maurer Stehpan um die<br />
Summe von 340 Mark. Der Vertrag sah<br />
vor, dass die Waage am 1. April 1905 einsatzbereit<br />
sein sollte. Da aber die Maurerarbeiten<br />
erst am 27. April vergeben wurden,<br />
war dies nicht möglich. Fertiggestellt<br />
und einsatzbereit war die Waage dann im<br />
Juli. Bei der Sitzung am 8. Juli 1905 7 , wobei<br />
beide Gremien vollzählig mit je sieben<br />
Mitgliedern anwesend waren, wurden die<br />
Waaggebühren festgelegt. Ein beladener<br />
Wagen bis 15 Zentner kostete 30 Pfennig,<br />
darüber 50 Pfennig, für einen leeren Wagen<br />
mussten 20 Pfennig bezahlt werden.<br />
Bei den Gebühren hatte man sich an die<br />
der Nachbargemeinde Eberstadt angepasst.<br />
Des Weiteren musste bei dieser Sitzung<br />
aus drei Bewerbern ein Waagmeister<br />
bestimmt werden. Folgende Personen hatten<br />
sich um die Stelle beworben: August<br />
Plenefi sch, Karl Euerle und Gottlieb<br />
Schick. Mehrheitlich entschied man sich<br />
für Karl Euerle als Waagmeister, und als<br />
Stellvertreter für August Plenefi sch. Des<br />
Weiteren hatte der Ortsvorsteher Lambert<br />
Herrmann die Kollegien über das dem<br />
Monteur Sinn nach Fertigstellung der<br />
Waage übergebene Trinkgeld in Höhe von<br />
fünf Mark informiert.<br />
Waagmeister Euerle hat seinen Dienst sehr<br />
lange versehen, sicherlich zur Zufriedenheit<br />
aller. Lange Zeit war es ruhig um die<br />
Waage, bis zum 3. September 1935, als<br />
sich im Gemeinderatsprotokoll 8 Folgendes<br />
fi ndet, worüber der Gemeinderat zu beraten<br />
hatte:<br />
Nach Schluß der Tagesordnung bringt ein<br />
Bürgervertreter folgendes vor:<br />
1 CB 17, S. 137<br />
2 CB 24, S. 105b § 157<br />
3 CB 24, S. 323b<br />
4 CB 25, S. 126<br />
Waaghäusle rechts neben Poststelle, 1955<br />
Den Juden soll das Wiegen von Vieh auf<br />
der Gemeindebodenwaage untersagt werden.<br />
Entschließung: der Bürgermeister hat<br />
dem Waagmeister Euerle davon Erö nung<br />
zu machen und entsprechend Weisung zu<br />
geben.<br />
Weitere Waagmeister nach Euerle bis zur<br />
Aufgabe der Waage Anfang der 1980er<br />
Jahre waren: Christian Plenefi sch, Gustav<br />
Stephan, Wilhelm Kuttruf, August Kuttruf.<br />
Das weitere Betreiben der Waage war aus<br />
den nachfolgend genannten Gründen<br />
nicht mehr gegeben. Zum einen gab es die<br />
jährlichen Unterhaltungskosten, die Wiegungen<br />
waren stark rückläufi g, sicherlich<br />
war u. a. hierfür auch die Baugröße der<br />
Waage mit nur 7,5 Tonnen Tragkraft mitverantwortlich.<br />
Eine Erneuerung der<br />
Waage auf den notwendigen technischen<br />
Stand ließ sich somit nicht rechtfertigen.<br />
Wieder ging ein Stück, das über Jahrzehnte<br />
zu den notwendigen örtlichen Einrichtungen<br />
zählte, verloren.<br />
5 CB 31, S. 210 § 5<br />
6 CB 31, S. 294<br />
7 CB 31, S. 335 ff .<br />
8 CB 33, S. 295
Die Milchsammelstelle<br />
Milch zählt auch heute noch zu den wichtigen<br />
Grundnahrungsmitteln, wenn sie<br />
auch nicht mehr die große Bedeutung wie<br />
in früheren Jahrzehnten hat. Schon sehr<br />
früh hat man in <strong>Cleversulzbach</strong>, wie auch<br />
in anderen ländlich orientierten Dörfern,<br />
Tiere zur Milcherzeugung gehalten. In der<br />
Regel Kühe, vereinzelt auch Ziegen. Schafe<br />
wurden zwar auch in großer Zahl gehalten,<br />
doch hauptsächlich der Wolle wegen.<br />
Wurden Kühe anfangs hauptsächlich zur<br />
Eigenversorgung gehaltenen, so wurde<br />
schon bald die überschüssige Milch im<br />
freien Handel verkauft. Um den Milchabsatz<br />
aber in geordnete Bahnen zu lenken,<br />
wurden in den 1920er Jahren vielerorts<br />
Molkereien gegründet, die den Bauern<br />
ihre Milch abkauften.<br />
Für die Milch der <strong>Cleversulzbach</strong>er Bauern<br />
bewarb sich die 1926 gegründete „Bezirksmolkerei<br />
Kochertal“ in Neuenstadt am<br />
Kocher. Sie richtete 1927 im Untergeschoss<br />
des Rathauses eine Milchsammelstelle<br />
ein, wo morgens und abends die<br />
Milch in Kannen angeliefert werden<br />
konnte. Sie wurde mit einem Pferdewagen<br />
abgeholt. Leiter der Sammelstelle war August<br />
Bordt.<br />
Anfang der 1930er Jahre wurde die deutsche<br />
Milchwirtschaft grundlegend umstrukturiert.<br />
Es erschien ein nationales<br />
Milchgesetz, dessen Hauptzweck es war,<br />
die leicht verderbliche Milch vor mangelnder<br />
Hygiene zu schützen. Alle mit der<br />
Milch in Berührung kommenden Personen,<br />
Gebäude (auch Milchsammelstellen)<br />
und Geräte mussten erlassenen Vorschriften<br />
genügen, deren Einhaltung regelmäßig<br />
überprüft wurde. Milchhändler wurden<br />
erst auf genehmigten Antrag zugelassen,<br />
wobei ein amtsärztliches Zeugnis vorzuliegen<br />
hatte, dass keine ansteckenden<br />
Krankheiten vorlagen.<br />
Zur Durchsetzung des Milchgesetzes<br />
wurde 1932 vom Württembergischen<br />
Wirtschaftsministerium ein „Milchwirtschaftlicher<br />
Zusammenschluss Unterland“<br />
mit Sitz in Heilbronn verordnet. Um Mitglied<br />
in diesem Zusammenschluss zu werden,<br />
war es angebracht, in den zugehörigen<br />
Gemeinden „Milcherzeugervereinigungen“<br />
zu gründen, um die Interessen<br />
der einzelnen Milchbauern besser vertreten<br />
zu können. In <strong>Cleversulzbach</strong> wurde<br />
daraufhin am 12. Februar 1933 durch 40<br />
anwesende Milcherzeuger die „Milcherzeugervereinigung<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>“ gegründet.<br />
Als Vorsitzender wurde für drei<br />
Jahre Bürgermeister Lambert Herrmann<br />
gewählt.<br />
1935 wurde die Milchsammelstelle als<br />
nicht mehr den Vorschriften genügend<br />
eingestuft und es musste nach einem anderen<br />
Raum gesucht werden. Die zunächst<br />
ins Auge gefasste Waschküche der alten<br />
Lehrerwohnung eignete sich nicht, weil sie<br />
im Winter schwer zugänglich war. Schließlich<br />
wurde von der Gemeinde die obere<br />
Rathausremise zur Verfügung gestellt, die<br />
ausgeräumt und mit einem Aufwand von<br />
600 RM als Milchsammelstelle hergerichtet<br />
wurde. Die Bezirksmolkerei Kochertal<br />
beteiligte sich an den Kosten, im Gegenzug<br />
dafür setzte sie einen neuen Mietvertrag<br />
mit einer Laufzeit von zehn Jahren<br />
durch.<br />
Während des Krieges wurde die Milch rationiert;<br />
sämtliche Milch bis auf täglich<br />
einen halben Liter pro Person des Milchbetriebes<br />
musste an die Sammelstelle abgeliefert<br />
werden. Leiterin war inzwischen<br />
Emma Bordt, unterstützt von ihrer Tochter<br />
Elli.<br />
Auch in den ersten Jahren nach dem Krieg<br />
war die Milch knapp. Die Bezirksmolkerei<br />
Kochertal verzeichnete einen drastischen<br />
251
252<br />
Rückgang der Milchanlieferung, zweifellos<br />
weil viele Milcherzeuger einen Großteil<br />
der Milch für sich zurückhielten, selbst<br />
verbutterten oder auf dem Schwarzmarkt<br />
absetzten. Der Heilbronner Landrat ermahnte<br />
daher im Dezember 1945 auch<br />
den <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgermeister, energisch<br />
gegen solche Gesetzesüberschreitungen<br />
vorzugehen. Kurz danach wurde<br />
vom Landrat angeordnet, dass sämtliche<br />
Buttermaschinen und Buttergläser auf<br />
dem Rathaus abzuliefern seien, und der<br />
Bürgermeister wurde aufgefordert, nachzuprüfen,<br />
ob dieser Anordnung überall<br />
nachgekommen worden war.<br />
Aber auch die Milchsammelstelle blieb<br />
weiter ein Problemkind. Bei Kontrollen<br />
wurde regelmäßig die fehlende Sauberkeit<br />
reklamiert. Die im Herbst 1950 durchgeführte<br />
Renovierung durch die Bezirksmolkerei<br />
Kochertal, bei der die verputzten<br />
Wände erneuert und bis zu einer Höhe von<br />
1,6 Metern mit einem abwaschbaren<br />
Farbanstrich versehen wurden, war der Gesundheitsbehörde<br />
nicht ausreichend; es<br />
wurde verlangt, den gesamten Raum mit<br />
Wand- und Bodenplatten zu versehen.<br />
Diese Verbesserung wurde von der Bezirksmolkerei<br />
zwar begrüßt, aber man sah sich<br />
aus fi nanziellen Gründen zu dem Zeitpunkt<br />
(1951) nicht in der Lage, die geschätzten<br />
Kosten von 2.500 DM zu tragen, zumal<br />
man mit der Wiederherstellung der durch<br />
den Krieg zerstörten Milchsammelstellen<br />
noch nicht fertig war. Aus dem gleichen<br />
Grund konnte die Errichtung einer neuen<br />
Sammelstelle in <strong>Cleversulzbach</strong> in absehbarer<br />
Zeit nicht ins Auge gefasst werden.<br />
Diese Situation wurde vom Landratsamt<br />
nicht akzeptiert und man drängte weiter<br />
auf eine baldige Verbesserung. Nach längerer<br />
Verhandlung war die Bezirksmolkerei<br />
schließlich bereit, die Kosten für den<br />
Belag mit Wand- und Bodenplatten sowie<br />
zwei Lüftern zu übernehmen, wobei sie<br />
dafür eine Mietverlängerung um 20 Jahre<br />
bis 1972 aushandelte. Zu dieser größeren<br />
Renovierung kam es dann doch nicht;<br />
denn nach einjährigem Hin und Her stellte<br />
es sich heraus, dass der an sich schon niedere<br />
Raum durch das Anbringen von Bodenplatten<br />
noch niedriger würde und die<br />
Wände vor dem Anbringen der Wandplatten<br />
mit einer 12 Zentimeter starken Vormauerung<br />
versehen werden müssten.<br />
Auch die geforderte Verbesserung der<br />
Entlüftung stieß auf große Schwierigkeiten.<br />
Die Bezirksmolkerei sah in diesem<br />
Raum als Sammelstelle keine Zukunft<br />
mehr, wollte deshalb darin nichts mehr<br />
investieren und stattdessen einen Neubau<br />
vorziehen, hatte jedoch, wie man dem<br />
Bürgermeister im Juni 1953 schrieb, noch<br />
keinen Bauplatz gefunden.<br />
Das Landratsamt ließ nicht locker und<br />
mahnte laufend die Verbesserung der hygienischen<br />
Situation an. Im Mai 1954<br />
teilte die Bezirksmolkerei dann mit, dass<br />
man in <strong>Cleversulzbach</strong> eine baufällige<br />
Scheune erworben habe. Nach Räumung<br />
und Abriss wolle man eine neue Sammelstelle<br />
bauen und sie bis Ende 1954 in Betrieb<br />
nehmen. Der Termin wurde eingehalten<br />
und seitdem konnte die Milch an eine<br />
allen Vorschriften entsprechende Sammelstelle<br />
angeliefert werden. Eine kleine<br />
Rampe mit seitlichen Stufen erleichterte<br />
die An- und Abfuhr.<br />
Auch die neue Sammelstelle hielt den<br />
schärfer werdenden Vorschriften nicht<br />
lange stand. So wurde im August 1962 beanstandet,<br />
dass die Einzelteile der Milchpumpe<br />
gängig gemacht werden müssten<br />
und die Pumpe danach täglich auseinander<br />
genommen werden soll. Im Dezember<br />
1966 wurden die ungenügende Waschgelegenheit<br />
sowie das Fehlen von Handtuch<br />
und Handbürste beanstandet. Auch sei die<br />
neue Sammlerin Pauline Ohr, die nach dem<br />
altersbedingten Ausscheiden von Emma<br />
Bordt die Sammelstelle übernommen<br />
hatte, noch nicht amtsärztlich untersucht
worden. Dies wurde mit positivem Bescheid<br />
nachgeholt und auch die kleineren<br />
Beanstandungen von der Bezirksmolkerei<br />
behoben. Eine größere Reklamation stand<br />
dagegen im Februar 1971 an. Die Türen<br />
und Fenster mussten neu gestrichen werden,<br />
ebenso der Unterbau der Milchwaage<br />
(immerhin stand das Gebäude jetzt 15<br />
Jahre). Außerdem musste ein Warmwasserbereiter<br />
angeschaff t werden, denn der bisher<br />
benutzte Tauchsieder wäre nicht ausreichend,<br />
um genügend heißes Wasser für<br />
die vorschriftsmäßige Reinigung sämtlicher<br />
Geräte und Gefäße herzustellen. Eine<br />
letzte dokumentierte Beanstandung betraf<br />
im August 1974 einen nicht mehr zulässigen<br />
Sammelbehälter, der daraufhin ausgesondert<br />
worden ist.<br />
Die Tage der Milchsammelstelle waren ohnehin<br />
gezählt. Die im Volksmund gern<br />
„Milchhäusle“ genannte Sammelstelle war<br />
über viele Jahre nicht nur der Ort, wo die<br />
zahlreichen Milchbauern (in der Blütezeit<br />
weit über 60) ihre überschüssige Milch ablieferten,<br />
sondern war auch morgens und<br />
abends ein Kommunikationstreff punkt für<br />
das Dorf. Hier traf man sich zu einem<br />
„Schwätzle“ und so manche Bekanntschaft<br />
fürs Leben wurde dort geknüpft.<br />
Dies ließ allmählich nach, zunächst langsam,<br />
dann aber immer rascher werdend,<br />
weil mehr und mehr Bauern ihre Ställe<br />
wegen Unrentabilität schlossen. In der<br />
Milchwirtschaft setzte eine große Konzentration<br />
ein. Die Bezirksmolkerei Kochertal<br />
in Neuenstadt, seit längerem eine Zweigstelle<br />
der Südmilch AG in Heilbronn (jetzt<br />
Friesland Campina) wurde Ende der<br />
1970er Jahre geschlossen, was auch das<br />
Ende der Milchsammelstelle in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
bedeutete. Die Milch wurde von da<br />
an täglich, später alle zwei Tage direkt von<br />
der Heilbronner Molkerei mit einem Tankzug<br />
abgeholt. Inzwischen (2012) nur noch<br />
bei einem Milchbauern, dem Hofgut von<br />
Manfred und Andreas Bürger an der Eberstädter<br />
Straße, die mit 40 Kühen und regelmäßigem<br />
Kälbernachwuchs die Tradition<br />
der Milchbauern in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
aufrecht erhalten. Wie lange noch? Das<br />
bleibt off en. Sohn Andreas will sich jedenfalls<br />
mit der Zucht von Angus-Rindern<br />
eine von der Milch unabhängige Zukunft<br />
aufbauen. Für ihn, der das „Milchhäusle“<br />
nur vom Hörensagen kennt, ist die Milchsammelstelle<br />
schon lange Geschichte geworden,<br />
wie auch für alle anderen jüngeren<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er.<br />
Milchsammelstelle von<br />
1955 bis 1978, das Gebäude<br />
war eine Zeit<br />
lang verpachtet, jetzt<br />
leerstehend (Foto 2012)<br />
253
254<br />
Gemeindehaus – Kelter-Halle<br />
Die heutige Kelter-Halle ist aus dem Dorfleben<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> nicht mehr wegzudenken.<br />
Die 1956 eingeweihte und<br />
1988 umgebaute und erweiterte Multifunktionshalle<br />
dient als Treff punkt für<br />
kulturelle, sportliche und viele andere<br />
dorfbezogene Veranstaltungen. Außerdem<br />
sind dort die Feuerwehr und – namensgebend<br />
– auch die Kelter untergebracht.<br />
Dieses Gebäude ersetzte den Bau der früheren<br />
alten Kelter, die nach verschiedenen<br />
Quellen dort seit 1529 gestanden hat.<br />
Der Bedarf für eine Mehrzweckhalle entstand<br />
in den Nachkriegsjahren, als auch in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> der Ausbau der Infrastruktur<br />
vorangetrieben wurde und das Wirtschafts-<br />
und kulturelle Leben seinen Aufschwung<br />
nahm.<br />
Eberstädter Straße. Im Hintergrund rechts<br />
die alte Kelter mit ihrem großen schrägen<br />
Dach<br />
Es begann mit der Feuerwehr, die über<br />
lange Jahre im Untergeschoss des Rathauses<br />
ihr „Spritzenlokal“ besaß, das immer enger<br />
wurde und neu angeschaff te Geräte nicht<br />
mehr aufnehmen konnte. Als erste Lösung<br />
wurde daher am 24. November 1952 im Gemeinderat<br />
beschlossen, ein neues Feuerwehr-Magazin<br />
zu bauen. Architekt Hedinger<br />
aus Kochersteinsfeld wurde mit der Pla-<br />
nung und dem Bau beauftragt, der auf dem<br />
Grundstück hinter dem Farrenstall erstellt<br />
wurde. Die daneben stehende alte Kelter-<br />
Remise war baufällig und musste abgebrochen<br />
werden, was die Ausfahrt vom Feuerwehr-Magazin<br />
begünstigte.<br />
Auch in der alten Kelter wurde der Platz<br />
eng. Die zunehmende Anzahl von Bütten<br />
und Berggölten konnte kaum noch aufgenommen<br />
werden. Nach dem Abbruch der<br />
baufälligen alten Kelterremise wurde beschlossen,<br />
eine neue Remise am Farrenstallgebäude<br />
zu bauen.<br />
Neben diesen wirtschaftlichen Erfordernissen<br />
entstand auch ein Bedürfnis nach<br />
Versammlungs- und Übungsräumen. So<br />
suchte der Musikverein nach einem geeigneten<br />
Raum und erhielt schließlich im Mai<br />
1952 die Erlaubnis, in der Kelterstube<br />
seine Übungen abzuhalten. Der Schlüssel<br />
musste jedes Mal beim Fronmeister abgeholt<br />
werden. Auch die Schule bemühte<br />
sich um zusätzliche Räume, um den gestiegenen<br />
Anforderungen zu genügen.<br />
Und so lag der Gedanke, ein Gemeindehaus<br />
zu bauen, in dem die Feuerwehr, die<br />
Kelter und Veranstaltungsräume unter einem<br />
Dach untergebracht werden konnten,<br />
seit längerem in der Luft. Doch erstaunlicherweise<br />
ist in den Gemeinderats-Protokollen<br />
kein offi zieller Beschluss zum Bau<br />
eines solchen Gebäudes zu fi nden. Der<br />
erste Hinweis darauf steht im Protokoll<br />
vom 18. Juni 1954, wo es unter § 1 heißt:<br />
Betr.: Architekt für Kelterbau<br />
Mehrere Architekten haben sich um die<br />
Planung des Kelterbaues beworben. Nach<br />
eingehender Beratung wird in geheimer<br />
Abstimmung mit 6 gegen 2 Stimmen beschlossen<br />
Architekt Alber aus Heilbronn<br />
den Planungsauftrag zum Kelterneubau<br />
zu geben.<br />
Dieses Bauprojekt – das umfangreichste<br />
bisher in der Geschichte von Cleversulz-
ach – beschäftigte den Gemeinderat danach<br />
auf vielen Sitzungen über die nächsten<br />
zweieinhalb Jahre, denn schon fünf<br />
Monate später legte Architekt Herbert Alber<br />
die Pläne für das Gemeindehaus vor,<br />
in dem neben der Kelter auch ein Feuerwehr-Gerätemagazin<br />
und ein Gemeindesaal<br />
mit Bühne vorgesehen war, der auch<br />
als Turnsaal genutzt werden konnte; daneben<br />
eine Küche mit Anrichte. Im Untergeschoss<br />
war ein großer Obstkeller geplant<br />
sowie ein Baderaum mit zwei Wannenbädern,<br />
drei Duschen und einem Brauseraum.<br />
Diesem Plan wurde zugestimmt<br />
und der Bauantrag nach Beseitigung einiger<br />
Unklarheiten im Frühjahr 1955 beim<br />
Landratsamt eingereicht. Am Ende lagen<br />
die Gesamtkosten von 240.674 DM nur<br />
unwesentlich über den anfangs geplanten<br />
215.000 DM.<br />
Die alte Kelter wurde abgerissen und<br />
gleichzeitig hinter dem Farrenstallgebäude<br />
ein Anbau erstellt, in dem die Bütten<br />
und Berggölten untergestellt werden<br />
konnten. Diese Kelterremise war Ende Juni<br />
1955 fertig, der Lagerraum wurde verpachtet.<br />
Der Bau des Gemeindehauses (in den Protokollen<br />
fast immer nur verkürzt mit „Kelterneubau“<br />
angesprochen; auch die Bauerlaubnis<br />
war nur betitelt „Bauerlaubnis<br />
für eine Kelter mit Turnhalle und Feuerwehrgerätemagazin“)<br />
schritt zügig voran.<br />
Für die Kelter wurde eine neue Presse der<br />
Firma AMOS aus Sontheim (heute Teilort<br />
von Heilbronn) beschaff t. Die Klapptische<br />
und Klappstühle für den Turn- und Gemeindesaal<br />
kamen von der Hohenloher<br />
Schulmöbel- und Turngerätefabrik aus<br />
Öhringen. Den Bühnenvorhang lieferte die<br />
Firma Staib aus Stuttgart.<br />
Im November 1956 war es dann so weit.<br />
Bürgermeister Nef lud zur Einweihung des<br />
Gemeindehauses am Sonntag, den 15. Dezember<br />
1956 nachmittags um 16 Uhr ein.<br />
Fast ganz <strong>Cleversulzbach</strong> war zugegen, als<br />
nach Ansprachen von Bürgermeister Richard<br />
Nef und Landrat Eduard Hirsch der<br />
Hausschlüssel feierlich vom Architekten<br />
Herbert Alber dem Bürgermeister übergeben<br />
wurde. Zahlreiche Ehrengäste wohnten<br />
der Einweihung bei, so MdL Lang,<br />
NSU-Direktor Wesp und Kreisbrandinspektor<br />
Rebmann. Die Einweihungsfeier wurde<br />
durch Gedicht- und Gesangsvorträge des<br />
Männerchores „Liederkranz“, des Gemischten<br />
Chores und Schüler der Volksschule<br />
umrahmt. Die Regie führte dabei der damalige<br />
Hauptlehrer Helmut Braun.<br />
In zwei Artikeln der Heilbronner Stimme<br />
wurde dieses Ereignis als denkwürdiger<br />
Die neue Kelter-Halle nach ihrer Einweihung<br />
1956<br />
Tag für <strong>Cleversulzbach</strong> hervorgehoben.<br />
Mit der Geschichte von Kelter und Gemeindehaus<br />
ist auch das Schicksal der Eiche<br />
verbunden, die ursprünglich davor gestanden<br />
hatte. Diese 1883 zum 400. Geburtstag<br />
von Martin Luther gepfl anzte so<br />
genannte Luther-Eiche wurde sehr bald<br />
im Volksmund nur noch Kelter-Eiche genannt.<br />
Lange hielt sie Wind und Wetter<br />
stand. Doch nach 100 Jahren zeigten sich<br />
starke Fäulniserscheinungen. Sie musste<br />
schließlich im Frühjahr 2004 zum Leidwe-<br />
255
256<br />
sen vieler <strong>Cleversulzbach</strong>er aus Sicherheitsgründen<br />
gefällt werden.<br />
Das Gemeindehaus – oft nur kurz Kelter<br />
genannt – wurde in den folgenden Jahren<br />
von der Bevölkerung, besonders auch den<br />
Vereinen, gut angenommen. Im Gemeindesaal<br />
fanden viele Veranstaltungen statt.<br />
Auch der Baderaum wurde anfangs regelmäßig<br />
aufgesucht, da noch viele alte Häuser<br />
ohne eigenes Badezimmer waren.<br />
Mit dem Bau neuer modern eingerichteter<br />
Häuser ging später der Besuch der Baderäume<br />
praktisch auf null zurück, so dass der<br />
Badebetrieb eingestellt wurde. Die Baderäume<br />
wurden daraufhin im November<br />
1984 dem Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong><br />
von 1921 e.V. (RMC) auf dessen<br />
Antrag zur kostenlosen Nutzung überlassen.<br />
Der RMC hat sie auf eigene Kosten umgebaut<br />
und für seine Zwecke hergerichtet.<br />
Nach etwa 25 Jahren wurden Reparaturen<br />
immer häufi ger, auch zeigte es sich, dass<br />
die Elektro-Installation, die Heizungs- und<br />
Lüftungsanlage und nicht zuletzt die Toiletten-<br />
und Waschräume nicht mehr zeitgemäß<br />
waren. Auch die Größe des Festsaales<br />
entsprach nicht mehr der gestiegenen<br />
Bevölkerungszahl. Bei vielen Vereinsveranstaltungen<br />
war die Halle jeweils übervoll<br />
und Fragen der Sicherheit bedrückten zunehmend<br />
die Veranstalter. Daher reifte<br />
schon Anfang der 1980er Jahre im Ortschaftsrat<br />
der Gedanke, das Gemeindehaus<br />
umzubauen und zu vergrößern.<br />
Architekt Werner Rüdele aus Neuenstadt<br />
erhielt den Auftrag, mehrere Varianten<br />
zum Umbau auszuarbeiten. Im März 1985<br />
trug er dem Ortschaftsrat vier Planungsvarianten<br />
vor. Die einfachste Variante lag<br />
bei geschätzten Kosten von 300.000 DM,<br />
die umfangreichste Variante 4 bei 655.000<br />
DM. Der Ortschaftsrat entschied sich für<br />
diese Variante, u. a. auch, weil sie die Vergrößerung<br />
des Saales für ca. 60 zusätzliche<br />
Personen beinhaltete. In mehreren<br />
Sitzungen der folgenden zwei Jahre wurde<br />
die Planung weiter konkretisiert, wodurch<br />
aber auch die geschätzten Kosten auf<br />
950.000 DM anstiegen. Im August 1988<br />
wurden Details der Inneneinrichtung und<br />
der Fertigstellungstermin auf Ende November<br />
1988 festgelegt. Einwände des<br />
Umweltschutzamtes zum Schutz der als<br />
Naturdenkmal stehenden Keltereiche<br />
machten Änderungen in der Fundamentierung<br />
notwendig, um den Wurzelbereich<br />
der Eiche nicht zu gefährden. Auch die<br />
Dachneigung musste wegen der Baumkrone<br />
verändert werden.<br />
Rechtzeitig vor der Einweihung wollte<br />
man der umgebauten Gemeindehalle auch<br />
einen neuen Namen geben. Im Amtsblatt<br />
wurde die Bevölkerung aufgerufen, Namensvorschläge<br />
zu machen. Von den 33<br />
eingegangenen Vorschlägen wollte die<br />
Mehrheit (55 %) im Namen einen Bezug zu<br />
Eduard Mörike sehen. Doch nach eingehender<br />
Beratung im Ortschaftsrat kam klar<br />
zum Ausdruck, dass eine Beziehung zur<br />
Kelter in den Namen einfl ießen musste.<br />
Schließlich wurde einstimmig beschlossen,<br />
das Gebäude Kelter-Halle zu nennen.<br />
Das in Kratztechnik (Sgra to) hergestellte<br />
Wandbild an der Straßenseite erstellte der<br />
bekannte Heilbronner Künstler Walter<br />
Maisak (1912–2002)
Am 26. November 1988 konnte die<br />
für rund eine Million Mark sanierte<br />
und erweiterte Kelter-Halle nach<br />
neunmonatiger Bauzeit mit einem<br />
großen Festabend eingeweiht werden.<br />
Architekt Werner Rüdele übergab<br />
den symbolischen Schlüssel an<br />
Bürgermeister Rolf Bernauer, der<br />
dann die Schlüsselgewalt an Ortsvorsteher<br />
Werner Uhlmann weiterreichte.<br />
An die 200 <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
nahmen an dem Festakt teil, der<br />
vom Mörike-Chor und dem Akkordeon-Spielring<br />
musikalisch umrahmt<br />
wurde. Kunststücke auf Fahrrädern<br />
wurden vom Rad- und Motorsportclub<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> vorgeführt.<br />
Staatssekretär Hermann<br />
Mühlbeyer vom baden-württembergischen<br />
Sozialministerium überbrachte<br />
nicht nur die Grüße seiner Amtskollegen<br />
sondern auch einen Scheck über<br />
293.000 DM aus dem Förderprogramm<br />
„Ländlicher Raum“. Insgesamt hatte das<br />
Land aus verschiedenen Töpfen knapp die<br />
Die Kelter-Halle nach dem 1988 durchgeführten<br />
Erweiterungsbau. Im Vordergrund<br />
der bei dieser Gelegenheit angelegte Dorfbrunnen<br />
Hälfte zur Finanzierung der Kosten beigesteuert.<br />
Landrat Otto Widmaier würdigte<br />
in seiner Ansprache die Tatsache, dass hier<br />
eine gute Verschmelzung des Gebäudes<br />
von 1956 und der neuen Bausubstanz gelungen<br />
sei.<br />
Dem Festabend schloss sich am Sonntag<br />
(1. Advent) ein „Tag der off enen Tür“ an,<br />
der rege zur Besichtigung der renovierten<br />
und neuen Räume genutzt wurde. Die<br />
„Heilbronner Stimme“ berichtete am Montag<br />
darauf in einem längeren Artikel mit<br />
einem Foto von der Schlüsselübergabe<br />
über dieses für <strong>Cleversulzbach</strong> so bedeutende<br />
Ereignis. Am Samstagnachmittag<br />
Neue Keltereiche, gepfl anzt anlässlich der<br />
Einweihung der neuen Kelter-Halle am 26.<br />
November 1988 (v. r.: Bürgermeister Rolf Bernauer,<br />
Roland Seebold, Thomas Schulze, Dieter<br />
Plenefi sch, Willi Korb, Otto Lumpp, Klaus<br />
Schlegel, Ortsvorsteher Werner Uhlmann)<br />
257
258<br />
hatte bereits der Ortschaftsrat zum Gedenken<br />
an diesen Tag auf dem Vorplatz<br />
eine junge Eiche gepfl anzt. (Bedauerlicherweise<br />
ist dieser Baum aber schon einige<br />
Jahre später aufgrund eines 1.-Mai-<br />
Streiches wieder eingegangen).<br />
Vom Reinerlös der Einweihungsfeier (ca.<br />
700 DM) und dem Gastscheck des Landkreises<br />
Heilbronn über 1.500 DM wurde<br />
für die Kelter-Halle ein hölzernes Ortswappen,<br />
gestaltet von der Neckarsulmer<br />
Holzbildhauerin Harst, in Auftrag gege-<br />
Die Keltereiche zu <strong>Cleversulzbach</strong> (1883 –2004)<br />
Gepfl anzt wurde die <strong>Cleversulzbach</strong>er Eiche 1883, zum 400. Geburtstag von Martin Luther<br />
als so genannte Luther-Eiche. Unsere Eiche war aufgrund ihrer stattlichen Größe<br />
ortsbildprägend. Ihre Höhe maß 1995 ca. 23 Meter, ihr Kronendurchmesser stattliche<br />
32 Meter, wobei der Stammdurchmesser in ein Meter Höhe 119 Zentimeter betrug.<br />
Die Keltereiche, links die Remise der<br />
alten Kelter, rechts der Farrenstall<br />
(Foto 1930er Jahre)<br />
ben. Aus einem weiteren Spendentopf<br />
wurden im Treppenhaus vier Bleiglasfenster<br />
fi nanziert, die die Jahreszeiten darstellen.<br />
Ein Eduard-Mörike-Fenster wurde von<br />
Ortsvorsteher Werner Uhlmann gestiftet.<br />
Seit dieser Zeit hat die Kelter-Halle viele<br />
Veranstaltungen erlebt. Traditionell werden<br />
die Jahresfeiern der örtlichen Vereine<br />
dort abgehalten und des Weiteren ist die<br />
Halle auch ein gern genutzter Ort für kulturelle<br />
Veranstaltungen und nicht zuletzt<br />
auch für größere Familienfeiern.<br />
Aufgrund von eingedrungenen Pilzen und<br />
fortgeschrittener Fäulnis im Inneren des<br />
mächtigen Stammes (an Wandstärke wurden<br />
nur noch zwischen 8 und 15 Zentimetern gemessen),<br />
war die Standsicherheit nicht mehr<br />
gewährleistet. Der Kronendurchmesser des<br />
Baumes musste auf nahezu die Hälfte seines<br />
damaligen Durchmessers zurückgeschnitten<br />
werden, was nicht nur für den Baum, sondern<br />
auch für die <strong>Cleversulzbach</strong>er sehr schmerzlich<br />
war. Noch schmerzlicher war dann das<br />
Resultat einer Baumuntersuchung im Herbst<br />
2003. Die Zersetzung im Inneren des Stammes<br />
war weiter fortgeschritten und auch durch die<br />
in den Jahren zuvor eingeleiteten Erhaltungsmaßnahmen<br />
nicht mehr aufzuhalten gewesen.<br />
Unsere Keltereiche musste zur Sicherheit<br />
der Bürger gefällt werden, da sie bei jedem<br />
stärkeren Sturm hätte zerbersten können.<br />
Im März 2004 war es so weit. Mit viel Wehmut<br />
im Herzen, aber auch im Bewusstsein um<br />
die Sicherheit der Bürger, wurden die Sägen<br />
an den Baum gesetzt. Gleichzeitig wurde in<br />
der Grünanlage vor der heutigen Kelter-Halle eine junge Eiche gepfl anzt. Zur Erinnerung<br />
an die alte, über 120 Jahre alte Keltereiche wurde eine Baumscheibe für die<br />
Nachwelt erhalten und in der neuen Kelter-Halle angebracht. Werner Uhlmann
Schwierige Zeiten<br />
Die Revolution von 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> war die Bevölkerung<br />
zwischen 1812 und 1846 innerhalb von<br />
nur 34 Jahren von 547 auf 688, also um<br />
26 Prozent erheblich angewachsen. Auch<br />
in den umliegenden Gemeinden, sogar in<br />
ganz Deutschland und Mitteleuropa war<br />
diese Einwohnerexplosion in ähnlichem<br />
Ausmaß zu verzeichnen. Die landwirtschaftlichen<br />
Nutzfl ächen, die der Grundversorgung<br />
der Menschen diente, wuchsen<br />
allerdings nicht in dem benötigten<br />
Umfang. Zudem verursachten Witterungsextreme<br />
und verregnete Sommer Missernten<br />
und damit weiter ansteigende Armut.<br />
Auch waren von der Grundherrschaft die<br />
(Wald-)Nutzungsrechte zur Schweinemast<br />
oder Laub- und Streuernte wegen hoher<br />
Kriegsfolgekosten und der Ernährung von<br />
Soldaten stark eingeschränkt, in einigen<br />
Orten ganz verboten worden. Die Folge<br />
der Unterversorgung der Bevölkerung mit<br />
dem Lebensnotwendigsten waren oftmals<br />
Waldfrevel mit Wilderei und Holzdiebstahl<br />
und daraus resultiertender Strafverfolgung<br />
mit Verurteilungen und weiterer<br />
Verarmung der Familien.<br />
Nach den Wirren der Französischen Revolution,<br />
der Napoleonischen Kriege und<br />
dem sich anschließenden Ausbau des Obrigkeitsstaats<br />
machte sich Mitteleuropa,<br />
und in diesem Verbund auch Württemberg,<br />
auf den Weg, sich politisch konservativ<br />
zu festigen und, in einer Epoche industriell<br />
rasanter Entwicklungen, sich<br />
wirtschaftlich zu orientieren. Es setzte<br />
eine Zeit voller Aufbruchstimmung ein, in<br />
der auch die Bürger nach politischer Teilnahme<br />
strebten. Vordringlicher war allerdings<br />
für die Ortsbewohner die Überwindung<br />
der wirtschaftlichen Not, die Her-<br />
auslösung aus der Fronpfl icht und der<br />
Kampf gegen Hunger. Während der Revolution<br />
1848 waren vor allen Dingen die<br />
Grundherren Ziel der Angriff e. Es kam zu<br />
Plünderungen der Rentämter, auch wurden<br />
Verwaltungsangestellte bedroht. Projektionsfl<br />
äche für aufgestaute Aggressionen<br />
boten desgleichen der Gemeinderat<br />
und der Bürgerausschuss.<br />
Es kann davon ausgegangen werden, dass<br />
auch in der Gemeindeverwaltung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
eine gewisse Besorgnis über<br />
die sich seit einiger Zeit entwickelnde<br />
Spannung zwischen Bürgern und der<br />
Ortsobrigkeit bestand, mit der Befürchtung,<br />
dass auch der Gemeinderat von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zur Zielscheibe bürgerlichen<br />
Unmuts werden könnte.<br />
Am 8. Mai 1848 vormittags kommt es in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> zu einer Verhandlung vor<br />
dem, wegen der Brisanz der Sache vollständig<br />
versammelten Gemeinderat: Eine<br />
Bürgerabordnung verlangt den Rücktritt<br />
aller (auf Lebenszeit) gewählten Gemeinderäte<br />
einschließlich des Ortsvorstehers,<br />
weil sie ihrer Auff assung nach dem neuen<br />
Zeitgeist nicht mehr entsprechen würden,<br />
ihren berechtigten Existenzsorgen nicht<br />
hinreichend Beachtung zollten. Als entsprechende<br />
Rückversicherung ihres Begehrens<br />
habe man bereits eine Untersuchung<br />
des vorgeworfenen Amtsmissbrauchs<br />
beim Oberamt Neckarsulm eingeleitet.<br />
Von den acht beschwerdeführenden Bürgern<br />
waren vier Weber – ein Berufsstand,<br />
der besonders unter der zunehmenden<br />
Mechanisierung litt und mehr und mehr<br />
verarmte. Bekannt ist der schlesische Weberaufstand<br />
von 1844, der die Folgen der<br />
259
260<br />
Industrialisierung und die Folgen der Einfuhr<br />
ausländischer, billig erworbener Tuche<br />
einer breiten Öff entlichkeit bewusst<br />
machte. Inwieweit sich die <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />
an dem Bürgerbegehren beteiligten<br />
Weber nun 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong> als<br />
Vertreter ihrer revolutionären Zunftgenossen<br />
sahen, ließ sich nicht erschließen. Fest<br />
steht, dass mit gleich vier <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Leinewebern unter den Wortführern<br />
ein ohnehin revolutionär gestimmter Berufsstand<br />
in jener unruhigen 1848er-Revolutionszeit<br />
in diesem Ort besonders augenfällig<br />
mitwirkte 1 .<br />
Das abgefasste Gemeinderatsprotokoll zu<br />
dem Vorfall am 8. Mai 1848 liest sich folgendermaßen:<br />
Es erscheinen die hiesigen Bürger:<br />
1. Jakob Korb, Weber<br />
2. Christoph Plenefi sch, Weber<br />
3. Carl Winkler, Weber<br />
4. Christoph Stahl, Schneider<br />
5. Christoph Bord, Weber<br />
6. Gg Friedrich Eurich, B[aue]r<br />
7. Jakob Karg, B[aue]r<br />
8. Heinrich Ernst, Weingtr<br />
angeblich als Deputirte von 52 Bürger u<br />
übergeben dem Gemeinderath einen ununterschriebenen<br />
Aufsatz des Inhalts:<br />
Unserm Herrn Orts Vorsteher und unsere<br />
sämtlich lebenslänglichen gewählten Gemeinderäthe<br />
fordern wir hiemit auf, als<br />
mit der Zeit nicht mehr passend, sogleich<br />
ihre Stellen nieder zu legen u sich einer<br />
neuen Wahl zu unterwerfen; sollten sie<br />
aber darauf beharren, so müssen wir ihnen<br />
bemerken, dass wir die bereits schon<br />
beim königl Oberamt beantragte Untersuchung<br />
fortsezen werden, wo sie dan<br />
nicht rühmlich ihren Funktionen verlassen<br />
müssen; lezteres unterbleibt, wen ihr<br />
Austritt freiwillig geschieht. Diß der<br />
Wunsch zwei und fünfzig Bürger inerhalb<br />
24 Stunden erwartet man förmliche Erklärung<br />
zurük u zwar schriftlich, was dieselben<br />
gesonen sind.<br />
Der Vorwurf bleibt nicht ohne deutliche<br />
Verunsicherung der Gemeinderäte. Das<br />
Gemeinderatsprotokoll vermerkt dazu:<br />
Das Factum erregte bei dem Gemeinderath<br />
großen Sturm, weßhalb zu einer ruhigen<br />
Berathung Sitzung auf heute Nachmittag<br />
bestimt u die Deputation mit der<br />
Weisung entlassen wird, dass eine dießfällige<br />
Erklärung des Gemeinderaths<br />
nachfolgen werde.<br />
Noch am gleichen Tag beraten die Gemeinderäte<br />
über die erhobenen Vorwürfe.<br />
Das Gemeinderatsprotokoll liest sich wie<br />
eine sehr moderne und fast anmaßend abgefasste<br />
Verwaltungserklärung mit der<br />
Prüfung der Zulässigkeit und der Bagatellisierung<br />
einer solchen Eingabe, in Verbindung<br />
mit einer Beschuldigung der Antragsteller<br />
eines ehrabschneidenden Vorgehens.<br />
Mit Sicherheit waren sich alle Honoratioren<br />
darüber einig, dass man sich hier auf<br />
äußerst gefährlichem Gelände bewegte.<br />
Off enbar hat es während der Formulierung<br />
des Protokolls noch weitere Diff erenzen<br />
unter den Gemeinderäten gegeben. Auff ällig<br />
sind auch die vielen Streichungen und<br />
Änderungen in der Abfassung dieses Protokollteils.<br />
Es fasst das Ergebnis dieser Sitzung<br />
wie folgt zusammen:<br />
Dem Beschluße von diesem Morgen zu<br />
Folge hat der Gemeinderath zur Beschlußnahme<br />
in der obigen Sache sich versamelt.<br />
In Erwägung<br />
1. dass dem Gemeinderathe die angebliche<br />
52 Bürger nicht bekant gemacht worden,<br />
um die moralische Kraft derselben<br />
zu ersehen überhaupt, um den würdigen<br />
Charakter derselben zu erkenen;<br />
2. Die einzelnen Glieder der erschienenen<br />
Deputation 2 nicht geeignet erkant<br />
worden 3 die Beanstandung Pkt 1 zu<br />
beseitigen; zudem<br />
3. jene angeblich 52 Bürger blos ein Drittheil<br />
samtlicher Bürger dahier ausmachen,
4. bei der angeführten Drohung die Ehre<br />
des Gemeinderaths es erfordert, seine<br />
Handlungen gegen jeden zu verantworten,<br />
der ein Interresse nachweisen<br />
kan, u ein jeziger Austritt Furcht vor<br />
einer Untersuchung beurkunden würde<br />
u zugleich Anerkenung einer ungetreuen<br />
Verwaltung wäre,<br />
beschließt<br />
der Gemeinderath einstimig:<br />
1. Vorerst seinen Austritt aus dem Gemeinderath<br />
nicht zu erklären,<br />
2. Wegen der durch Drohung 4 erlittenen<br />
Ehrenbeleidigung eine dießfällige Klage<br />
anzustellen,<br />
3. Behufs der Erforschung der Gesinungen<br />
der Bürger auf nächsten Sontag,<br />
den 14. ten d M Nachmittags 3 Uhr<br />
eine Bürger Versamlung zu vertagen 5 ,<br />
die auf dem Rathhause stattfi nden<br />
solle u zu diesem Behufe die<br />
Bürger hiezu einzuladen.<br />
Zur Beurkundung<br />
Gemeinderath<br />
D. Lumpp<br />
F. Herrman H. Lumpp<br />
Ludwig Herrmann<br />
Volpp Speisser<br />
Vom Ausgang dieser Eingabe ist jedoch<br />
leider nichts bekannt.<br />
Off enbar sorgte die neue Entwicklung<br />
auch für ein mulmiges Gefühl beim Ge-<br />
1 Siehe auch: Gottfried Reichert, Brechhaus, Flachs und Leineweberei.<br />
2 Folgt gestrichen: „den Gemeinderath von seinem Zweifel<br />
P[un]kt 1 abzubringen“.<br />
meinderat <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Räte wollten<br />
der Zunahme aufkommender Gewaltakte<br />
auf keinen Fall untätig ihren Lauf<br />
lassen, sondern überlegten sich, dass eine<br />
gezielte Aufrüstung möglicherweise geeignet<br />
wäre, ambitionierten und militanten<br />
Revolutionären Respekt einzufl ößen.<br />
So kam es dann im Herbst 1848 zu dem<br />
folgenden Gemeinderatsbeschluss:<br />
Verhandelt den 27. t[en] Sept[em]br[is]<br />
Nachdem heute abermahls zur Berathung<br />
gekommen ist, wie die Musketten oder<br />
Gewehre der Bürgerwehr angeschaft werden<br />
sollen, wird hierauf einstim[m]ig beschlossen,<br />
dass die Gewehre der hies[igen]<br />
Bürgerwehr vordersamst auf Kosten der<br />
Gemeindepfl ege aus der (sic!)<br />
König[lichen] Arsenal zu Ludwigsburg<br />
übernom[m]en und die Beförderung derselben<br />
durch den Gemeindepfl eger besorgt<br />
werden solle.<br />
Zur Beurkundung<br />
D. Lumpp Obman[n] Schlegel<br />
Kaiser Christian Bordt<br />
Klein Kaiser<br />
Korb Gottlieb Lumpp<br />
Apfelbach Balthas Speiser<br />
Bordt Christian Lumpp<br />
Heinrich Hesser<br />
3 Folgt gestrichen: „kön[n]en“.<br />
4 Folgt gestrichen: „sich“.<br />
5 Links am Rand nachgetragen: „fällt weg“.<br />
261
262<br />
Unterm Hakenkreuz<br />
Wie es begann<br />
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg<br />
und der Abdankung des Kaisers gab es in<br />
Deutschland viele Bestrebungen, eine<br />
parlamentarische demokratische Republik<br />
zu bilden, die schließlich 1919 zur<br />
Bildung der Weimarer Republik führten.<br />
Doch große Erfolge stellten sich nicht<br />
ein. Eines der Hemmnisse war die Infl ation,<br />
die 1923 ihren Höhepunkt erreichte.<br />
Des Weiteren führten die ständig<br />
wechselnden Mehrheitsverhältnisse<br />
im Reichstag zu politischen Dauerquerelen,<br />
von denen zunehmend die rechtsgerichteten<br />
Gruppierungen profi tierten. Es<br />
kam 1929 die Weltwirtschaftskrise, die<br />
in Deutschland zu über sechs Millionen<br />
Arbeitslosen führte. Der damalige<br />
Reichskanzler Heinrich Brüning wurde<br />
1932 entlassen. Bei den Neuwahlen erreichte<br />
die 1920 im Münchner Hofbräuhaus<br />
gegründete Nationalsozialistische<br />
Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)<br />
die Mehrheit und deren 1. Vorsitzender<br />
Adolf Hitler wurde daraufhin am 30. Januar<br />
1933 zum Reichskanzler ernannt.<br />
Mit harter Hand festigte Hitler seine<br />
Diktatur. Schon im März 1933 setzte er<br />
das so genannte Ermächtigungsgesetz<br />
durch, wonach seine Regierung Gesetze<br />
auch ohne Zustimmung des Reichstags<br />
erlassen konnte. Alle anderen Parteien<br />
wurden aufgelöst. Die Länderparlamente<br />
wurden gleichgeschaltet. Die Geheime<br />
Staatspolizei (Gestapo) wurde gegründet<br />
und Menschen, die sich der nationalsozialistischen<br />
Willkür widersetzten, eliminiert.<br />
Der im Parteiprogramm festgeschriebene<br />
Antisemitismus wurde grausam<br />
durchgesetzt. Die rote Parteifahne<br />
mit dem nach links versetzten schwarzen<br />
Hakenkreuz im runden weißen Feld beherrschte<br />
bald Straßen und Gebäude.<br />
Was es in <strong>Cleversulzbach</strong> bewirkte<br />
Welche Auswirkungen hatte diese Bewegung<br />
auf <strong>Cleversulzbach</strong>? Wie haben die<br />
kommunale Führung und die ländlich orientierte<br />
Bevölkerung reagiert? Um es kurz<br />
zu sagen: Man hat sich angepasst! So wie<br />
in allen anderen Städten und Gemeinden<br />
des „tausendjährigen“ Reiches auch.<br />
Lange Jahre vorher war die Partei „Württembergischer<br />
Bauern- und Weingärtnerbund“<br />
(WBWB) immer als stärkste Partei<br />
bei den Reichstagswahlen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gewählt worden. Zweitstärkste Partei<br />
war die SPD. Dies Bild änderte sich ab<br />
1932. Schon bei den zwei Wahlen dieses<br />
Jahres lagen der WBWB und die neu dazugekommene<br />
NSDAP nahezu Kopf an<br />
Kopf und 1933 konnte der WBWB nur<br />
noch 30 Prozent und die NSDAP dagegen<br />
52 Prozent der Stimmen erringen. Drittstärkste<br />
Partei war die SPD mit 16 Prozent,<br />
für die KPD stimmten nur noch zwei<br />
Personen (0,8 %).<br />
Es hat ein Umdenken stattgefunden, das<br />
sicherlich auch dadurch gefördert worden<br />
ist, dass sich die wirtschaftliche Lage<br />
merkbar gebessert hatte. Der Aufschwung<br />
hatte den Bauern und Arbeitern wieder<br />
neue Zuversicht gegeben. Der in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
stark vertretene Bauernstand erholte<br />
sich nach den infl ationären Jahren<br />
und konnte für seine Produkte wieder<br />
rentable Preise erzielen.<br />
Doch begleitet mit dieser positiven Entwicklung<br />
wurde die Durchsetzung des nationalsozialistischen<br />
Gedankenguts systematisch<br />
vorangetrieben, und spätestens<br />
mit der 1935 von den Nationalsozialisten<br />
durchgesetzten neuen Gemeindeordnung<br />
waren auch in <strong>Cleversulzbach</strong> Gemeinderat<br />
und Bürgermeister Teil der nationalsozialistischen<br />
Organisation. Die jugendlichen<br />
Bewohner (vielleicht nicht alle) tra-
ten in die Hitlerjugend (HJ) bzw. in den<br />
Bund Deutscher Mädel (BDM) ein. Für deren<br />
Veranstaltungen, wie Sonnenwendfeier,<br />
Sportwettbewerbe und dergleichen,<br />
wurde die Gemeinde jedes Mal auf „höheren<br />
Antrag“ zur fi nanziellen oder materiellen<br />
Unterstützung angehalten.<br />
Doch gab es auch zustimmende Reaktionen<br />
aus der Gemeinde, wie aus dem Pfarrbericht<br />
1935 des Brettacher Pfarrers Julius<br />
von Jan hervorgeht, wo er schreibt: „Die<br />
Zucht der ledigen Jugend hat durch die<br />
nationalen Organisationen entschieden<br />
gewonnen. Es wurde auch begrüßt, dass<br />
der junge Mann wieder militärischen<br />
Schliff bekommen soll“. (<strong>Cleversulzbach</strong><br />
war seit 1931 ohne eigenen Pfarrer. Pfarrer<br />
Friedrich Wiesner hatte am 13. September<br />
einen Schlaganfall erlitten und<br />
konnte von da an keinen Dienst mehr tun.<br />
Pfarrer von Jan versorgte ab dieser Zeit<br />
von Brettach aus die Gemeinde.)<br />
In der NS-Frauenschaft (NSF) wurden<br />
Näh- und Mütterschulungskurse durchgeführt.<br />
Hierzu musste eine von der Gemeinde<br />
bezahlte neue Nähmaschine angeschaff<br />
t werden. Auch diese Entwicklung<br />
wurde von der ländlichen Bevölkerung im<br />
Großen und Ganzen positiv gesehen. Man<br />
traf sich zu gemeinsamen Aktionen und<br />
geselligen Runden.<br />
Örtliche Gruppe der NS-Frauenschaft<br />
Anders dagegen erging es dem 1921 in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> gegründeten Radfahrerverein,<br />
der sich dem sozialdemokratisch<br />
orientierten Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität<br />
angeschlossen hatte. Er wurde<br />
1933 verboten. Alle Vereinsunterlagen<br />
und das Vereinsbanner wurden beschlagnahmt<br />
und anschließend vernichtet. Der<br />
Rad- und der in den 1930er Jahren hinzugekommene<br />
Motorradsport kam zum Erliegen,<br />
denn eine Fortführung im NS-<br />
Kraftfahrkorps (NSKK) kam für die Mitglieder<br />
nicht infrage.<br />
Das Sammeln von Spenden für die unterschiedlichsten<br />
Zwecke wurde zu einem<br />
nicht enden wollenden Ritus. Für neue<br />
Uniformen der SA und SS anlässlich des<br />
Reichsparteitages in Nürnberg 1933, für<br />
Werbezettel für die „Reichsschwimmwoche“<br />
1934, für die Einrichtung einer Nachrichten-Empfangs-<br />
und Sendestation in<br />
Bad Friedrichshall, für die Festschrift anlässlich<br />
des Kreiskongresses der NSDAP in<br />
Neuenstadt und für viele andere „wohltätige“<br />
und/oder „bildende“ Zwecke.<br />
Im Mai 1936 bereiste der Reichsbauernführer<br />
und Reichsminister für Ernährung<br />
und Landwirtschaft Richard Walther Darré<br />
mit dem Reichsbauernrat die fränkischen<br />
Gebiete des Bauernkrieges von 1525. Auf<br />
seinem Weg von Würzburg nach Weinsberg<br />
war auch eine Durchfahrt von Bürg,<br />
Neuenstadt und <strong>Cleversulzbach</strong> vorgesehen.<br />
Die Bevölkerung wurde informiert<br />
und zum Schmücken der Durchfahrtsstraßen<br />
angeregt. Die Straße wurde daraufhin<br />
mit Bäumchen geschmückt und viele Hakenkreuzfahnen<br />
wurden herausgehängt.<br />
Am 15. Mai erreichte der Autokorso von<br />
Neuenstadt kommend <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />
fuhr im Schritttempo an den jubelnden<br />
Dorfbewohnern vorbei, wie man aus dem<br />
nachstehenden Foto sehen kann. Immerhin<br />
hatte der Reichsbauernführer durch<br />
seine Agrarpolitik den Bauernstand als Bestandteil<br />
der Volkswirtschaft stark geför-<br />
263
264<br />
Reichsbauernführer R. W. Darré und Reichsstatthalter W. Murr auf der Durchfahrt in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
in Höhe des Gasthofs „Zum Adler“<br />
dert. So ist sicherlich auch aus dieser Sicht<br />
der Jubel zu sehen. Der Reichsbauernführer<br />
war begleitet vom Reichsstatthalter in<br />
Württemberg und NSDAP-Gauleiter für<br />
Württemberg-Hohenzollern Wilhelm Murr,<br />
der vorne stehend mit großem Geltungsbedürfnis<br />
den Leuten zuwinkte. Nach einigen<br />
Minuten war alles wieder vorbei.<br />
Die sich durchgesetzende antisemitische<br />
Einstellung wird durch zwei Ereignisse dokumentiert.<br />
Im September 1935 stellte ein<br />
Beigeordneter den Antrag, den Juden das<br />
Wiegen von Vieh auf der Gemeindewaage<br />
zu untersagen. Dem wurde vom Bürgermeister<br />
zugestimmt und der Waagmeister<br />
entsprechend angewiesen. Im anderen Fall<br />
berichtet ein Zeitzeuge, dass er als Schüler<br />
im Klassenzimmer saß und der damalige<br />
Lehrer nach einem Blick aus dem Fenster<br />
rief, dass unten vor dem Gasthof „Adler“<br />
wieder das Auto des jüdischen Viehhändlers<br />
stünde und er die Schüler auff orderte,<br />
herunterzurennen und die Scheiben des<br />
Autos einzuschlagen. Alle wären heruntergelaufen,<br />
aber der erzählende Zeuge hätte<br />
sich dann doch davor gedrückt, bei dieser<br />
Schandtat mitzumachen.<br />
Nach Einführung der Luftschutzpfl icht<br />
1935 mussten sich auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
weite Kreise der Bevölkerung einer vorgeschriebenen<br />
Dienstpfl icht unterziehen.<br />
Luftschutzkeller mussten eingerichtet<br />
werden und nachts mussten alle Fenster<br />
verdunkelt werden, wozu besonderes Verdunkelungspapier<br />
anzuschaff en war. Das<br />
Verhalten bei Luftangriff en wurde in regelmäßigen<br />
Luftschutzübungen geprobt.<br />
Mit dem 1938 in <strong>Cleversulzbach</strong> eingeführten<br />
„Erntekindergarten“ wurden<br />
schon frühzeitig die Kinder auf gemeinnützige,<br />
dem Volk dienende Aufgaben<br />
eingeschworen. Man machte mit, denn<br />
Widerstand war zwecklos, wie man am<br />
Beispiel des Posthalters Friedrich Lumpp<br />
sah, der nach Aussagen von Zeitzeugen<br />
mehrfach bedrängt worden war, der
Luftschutzübung der Frauen 1937<br />
NSDAP beizutreten. Doch der überzeugte<br />
Sozialdemokrat hätte jedes Mal abgelehnt,<br />
was ihn schließlich seinen Posten<br />
kostete; er wurde vom Amt des Posthalters<br />
suspendiert. Auch der langjährige<br />
Feuerwehrkommandant Gottlob Lumpp<br />
wurde immer wieder zum Eintritt in die<br />
NSDAP angehalten, was aber auch er abgelehnt<br />
hat. Seiner Suspendierung ist er<br />
schließlich zuvorgekommen, indem er<br />
1935 von seinem Amt zurücktrat.<br />
Die erste Abreibung hatte Friedrich Lumpp<br />
nach Aussagen eines Augenzeugen bereits<br />
im April 1933 bekommen, als SS-Männer<br />
in schwarzen Uniformen mit einem off enen<br />
LKW ins Dorf einfuhren und außer<br />
ihm auch noch die SPD-Kollegen Christian<br />
Heiß, Karl Kress und Gottlob Seebold sowie<br />
Wilhelm Weiß von der KPD abholten,<br />
sie dann ins Rathaus brachten und dort<br />
auf sie einprügelten, dass ihre Schreie bis<br />
auf die Straße zu hören waren. Danach<br />
wurden die fünf Männer ca. vier Wochen<br />
lang auf dem Hohenasperg eingesperrt.<br />
Unter der Aufl age, kein Wort darüber zu<br />
verlauten, was man ihnen angetan hatte,<br />
wurden sie wieder freigelassen.<br />
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges September<br />
1939 änderte sich die bislang für<br />
die Bevölkerung noch tragbare Situation.<br />
Die wehrtüchtigen jungen Männer wurden<br />
zum Kriegsdienst eingezogen und ab<br />
1941 verging kein Jahr, in dem nicht mehrere<br />
Gefallene oder Vermisste zu beklagen<br />
waren.<br />
Die Einschränkungen für den Bezug von<br />
Lebensmitteln und Konsumgütern durch<br />
Lebensmittelmarken, Kleiderkarten und Bezugsscheinen<br />
hatten für die landwirtschaftlich<br />
orientierte <strong>Cleversulzbach</strong>er Bevölkerung<br />
dagegen keine so drastische Einwirkungen<br />
wie in den größeren Städten.<br />
Die Lücken, die durch die zum Krieg eingezogenen<br />
Männer entstandenen waren,<br />
wurden im Laufe der Kriegsjahre durch<br />
Einweisung von Zwangsarbeitern aus Polen<br />
und später auch aus Russland und<br />
Kriegsgefangenen aus Frankreich so gut es<br />
ging ausgefüllt. Zeitweilig waren 15 polnische<br />
und 7 russische Fremdarbeiter im<br />
Dorf, in Scheunen und Ställen untergebracht.<br />
Die 18 französischen Kriegsgefangenen<br />
waren im oberen Saal der Gastwirtschaft<br />
„Löwen“ einquartiert und genossen<br />
einen etwas besseren Status als die Fremdarbeiter.<br />
Die meisten fanden mit der Zeit<br />
in den Bauernfamilien sogar eine Art Familienanschluss.<br />
Zum Glück blieb <strong>Cleversulzbach</strong> bis zum<br />
Kriegsende von dramatischen Kriegseinwirkungen<br />
wie Bombenangriff en und Artilleriebeschuss<br />
verschont; anders als bei<br />
den Nachbargemeinden Neuenstadt und<br />
Brettach, die in den letzten Kriegstagen<br />
im April 1945 durch amerikanische Jagdbomberangriff<br />
e zum Teil schwer zerstört<br />
worden waren. Ein Zeitzeuge berichtete<br />
lediglich von einer deutschen Pioniereinheit,<br />
die im April 1945 geräumige Scheunen<br />
zum Abstellen ihrer großen LKWs<br />
suchte. Man fragte sich, was diese Soldaten<br />
hier im Dorf wollten und was sie geladen<br />
hatten? Es zeigte sich, dass sie vollgepackt<br />
mit Sprengstoff waren, wahrscheinlich<br />
für die Sprengung der vielen Eisenbahn-<br />
und Straßenbrücken über Jagst und<br />
265
266<br />
Kocher. Diese Vorahnung wurde bald<br />
durch die Tatsache bestätigt, dass in der<br />
Nacht vom 12. auf 13. April 1945 die Kocherbrücken<br />
der näheren Umgebung<br />
durch eine SS-Pioniereinheit gesprengt<br />
worden sind, so auch die von Gochsen<br />
und Kochertürn. Die Kocherbrücke von<br />
Neuenstadt nach Bürg wurde bereits am<br />
1. April von der Wehrmacht gesprengt, zu<br />
früh, denn die nachfolgende SS musste<br />
eine Behelfsbrücke bauen.<br />
Am 13. April 1945 rückten die amerikanischen<br />
Truppen in Neuenstadt ein, was<br />
auch für <strong>Cleversulzbach</strong> das Ende des<br />
Krieges und damit auch das Ende der unseligen<br />
NS-Zeit bedeutete. Insgesamt 28<br />
Bürger hatten mit ihrem Leben für die<br />
Machtvorstellungen der nationalsozialistischen<br />
Herrschaft gezahlt, sie kehrten<br />
nicht mehr vom Kriegsdienst zurück.<br />
Die Nachkriegszeit<br />
Große Veränderungen gab es nach Kriegsende<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> nicht. Einige Monate<br />
war das Dorf quasi ohne Führung.<br />
Doch die amerikanische Militärregierung<br />
in Heilbronn sorgte bald für eine Neuord-<br />
nung. Am 2. November 1945 wurde der<br />
Landwirt Richard Nef zum kommissarischen<br />
Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ernannt. Bei der ersten Bürgermeisterwahl<br />
durch die Bevölkerung1946 wurde er mit<br />
großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt,<br />
das er dann bis zur Eingemeindung im Januar<br />
1972 inne hatte.<br />
In den ersten Gemeinderat nach dem<br />
Krieg wurden am 7. Dezember 1947 die<br />
folgenden acht Männer gewählt: Fritz<br />
Weber, Reinhold Hesser, Richard Herrmann,<br />
Wilhelm Lumpp, Ludwig Kuttruf,<br />
Karl Lang, Karl Kress und Paul Bauer.<br />
Das bäuerlich orientierte Leben mit seinen<br />
täglichen Sorgen wurde wie gewohnt<br />
fortgeführt. Ein großes Problem hatte die<br />
Gemeinde mit der großen Anzahl von<br />
Flüchtlingen und Evakuierten zu bewältigen.<br />
Diese „Neubürger“ konnten anfangs<br />
nur in dürftigen Unterkünften untergebracht<br />
werden, fanden zunächst oft auch<br />
keine sehr freundliche Aufnahme, konnten<br />
aber später durch ihren Fleiß und ihre<br />
Integrationswilligkeit mehr und mehr Respekt<br />
gewinnen.
Einer der Hauptscharfrichter des Deutschen Reiches<br />
Gottlob Bordt stammt aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Gottlob Bordt war von 1940 bis 1945<br />
zuständiger Scharfrichter im Strafgefängnis<br />
Posen mit Wohnort in Posen. 1<br />
Ihm werden mindestens 1.000 Hinrichtungen<br />
zugeschrieben. Die Scharfrichter<br />
bildeten bei den Hinrichtungen das<br />
letzte Glied in der Kette der NS-Justiz.<br />
Das Familienbuch der Kirche <strong>Cleversulzbach</strong><br />
weist aus, dass Gottlob Bordt am<br />
24. Juni 1882 als das fünfte von insgesamt<br />
acht Geschwisterkindern geboren<br />
wurde und 1896 daselbst konfi rmiert<br />
wurde, kurz nachdem sein Vater gestorben<br />
war. Danach verliert sich die Spur<br />
der Familie in <strong>Cleversulzbach</strong>. 2<br />
Gottlob Bordt taucht 1930 in Hannover<br />
wieder auf, wo er als Kaufmann registriert<br />
ist, und seit 1937 als Gehilfe des<br />
Scharfrichters Friedrich Hehr (1879–<br />
1952) fungierte. Er bewarb sich im Dezember<br />
1939 als Scharfrichter für Posen<br />
und meldete sich zum 1. April 1940 nach<br />
dort ab 3 .<br />
1 Matthias Blazek, Scharfrichter in Preußen und im Deutschen<br />
Reich 1866–1945, Stuttgart 2010, S. 103, Ricciotti<br />
G. Lazzero, Gli schiavi di Hitler: i deportati italiani in Germania<br />
nella seconda guerra mondiale. 1996.<br />
Der vorliegende Beitrag ist eine stark gekürzte Zusammenfassung<br />
aus o.g. Veröff entlichung von Matthias Blazek.<br />
2 Mitteilung von Pfarrer Ulrich Weber, <strong>Cleversulzbach</strong>, gegenüber<br />
dem Autor vom 3. Februar 2010.<br />
Im Zuge der „Neuordnung des Scharfrichterwesens”<br />
vom 25. August 1937<br />
wurde Gottlob Bordt zum Hauptscharfrichter<br />
des Deutschen Reiches ernannt.<br />
Er wurde am 3. Mai 1940 vereidigt und<br />
vollstreckte am 2. Juli 1940 das erste Todesurteil<br />
in Posen.<br />
Insgesamt gab es 1944 für den NS-Staat<br />
10 Scharfrichter und 38 Gehilfen. Allein<br />
in Posen, der Wirkungsstätte Bordts,<br />
wurden bis zum Januar 1945 1.680 Todesurteile<br />
vollstreckt. 4<br />
Im Januar 1945 wurde das Strafgefängnis<br />
Posen wegen der herannahenden Roten<br />
Armee nach Bayreuth evakuiert.<br />
Bordts Dienstantritt wurde jedoch durch<br />
schwere Luftangriff e (5./ 8. und 11. April<br />
1945) vereitelt.<br />
Es ist nicht auszuschließen, dass Gottlob<br />
Bordt das Kriegsende überlebt und danach<br />
unbehelligt seinen Lebensabend<br />
verlebt hat.<br />
3 Angelika Ebringhaus / Karsten Linne, Kein abgeschlossenes<br />
Kapitel: Hamburg im Dritten Reich, Hamburg 1997, S. 337<br />
f.<br />
4 Vgl. Diemut Majer, United States Holocaust, „Non-Germans“<br />
under the Third Reich: The Nazi Judicial and Administrative<br />
System in Germany and Occupied Eastern Europe,<br />
with Special Regard to Occupied Poland, 1939–1945,<br />
S. 894 ff .<br />
267
268<br />
Gedenken der Gefallenen und Vermissten beider<br />
Weltkriege<br />
Erster Weltkrieg<br />
Anfang der 1920er Jahre schloss der Gemeinderat<br />
mit dem Lichtbildverlag Karl<br />
Hinsching in Ansbach einen Vertrag über<br />
die Herstellung einer künstlerisch gestalteten<br />
Ehrentafel für die im Krieg gefallenen<br />
und vermissten Soldaten aus <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Hierzu mussten von den Angehörigen<br />
Bilder, Geburts- und Todesdaten<br />
eingeschickt werden. Die Ehrentafel (in<br />
Holz gerahmt, 78 x 60 cm) fand ihren Platz<br />
in der Kirche. Viele Jahre später wurde sie<br />
in das Rathaus gebracht, wo sie noch<br />
heute im Vorraum zum Sitzungszimmer<br />
hängt.<br />
Ehrentafel für die Kriegsopfer des Ersten<br />
Weltkriegs<br />
Auch andere setzten sich für das Gedenken<br />
an die Kriegsopfer ein, so die Verlagsanstalt<br />
für Vaterländische Geschichte und<br />
Kunst in Stuttgart, die unter dem Titel<br />
„Das Eiserne Buch“ ein schweres, mit eisernen<br />
Schließen versehenes Buch herausbrachte,<br />
in das man eigenhändig die<br />
Namen der Kriegsteilnehmer eintragen<br />
konnte. Solch ein Buch wurde 1919 von<br />
der Gemeinde angeschaff t, und der damalige<br />
Hauptlehrer Friedrich Schick hat darin<br />
sorgfältig alle <strong>Cleversulzbach</strong>er Kriegsteilnehmer<br />
mit einer kurzen Beschreibung ihrer<br />
militärischen Laufbahn eingetragen<br />
und ein Vorwort verfasst. 1<br />
Das Anbringen von lediglich einer Gedenktafel<br />
in der Kirche war vielen Bürgern nicht<br />
genug. Zur Erinnerung und zum Gedenken<br />
an die Kriegstoten sollte ein würdevoller<br />
Ort geschaff en werden. Besonders die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Ortsgruppe des Reichsbundes<br />
der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer<br />
und Kriegshinterbliebenen (heute Sozialverband<br />
Deutschland e.V.) nahm sich<br />
dieses Wunsches an. Deren damaliger Vorsitzender<br />
Wilhelm Weiß brachte, unterstützt<br />
durch Unterschriften zahlreicher<br />
Bürger, in mehreren Eingaben vor, dass der<br />
Ehrung der Kriegstoten durch eine Gedenktafel<br />
in der Kirche nicht Genüge getan<br />
werde, und dass zu ihrem Gedenken ein<br />
Ehrenmal errichtet werden müsse.<br />
Als sich immer mehr Bürger der Gemeinde<br />
hinter diesen Antrag stellten, wurde<br />
schließlich am 25. Januar 1922 im Gemeinderat<br />
die Errichtung eines Kriegerdenkmals<br />
auf Kosten der Gemeinde beschlossen.<br />
Der Auftrag ging an den Bildhauer<br />
Wender in Bitzfeld, der das Denkmal<br />
entworfen und zum Preis von 12.500<br />
M. angeboten hatte.
Nach knapp einem Jahr Bauzeit war das<br />
Denkmal fertig gestellt. Es wurde im Dezember<br />
1922 von <strong>Cleversulzbach</strong>er Pferdebauern<br />
unentgeltlich zum Ortsfriedhof<br />
gefahren und dort aufgerichtet. Im Zuge<br />
der Infl ation konnte Bildhauer Wender<br />
den ursprünglichen Preis von 12.500 M.<br />
nicht mehr halten und verlangte schließlich<br />
für das Denkmal 38.000 M. plus 2 Ztr.<br />
Weizen. Der höhere Preis wurde ihm gewährt,<br />
die Lieferung des Weizens aber<br />
wurde abgelehnt.<br />
Die Inschrift auf dem Mittelpfeiler des<br />
Denkmals lautete:<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
seinen im Weltkrieg<br />
gefallenen Helden<br />
Darunter waren die Namen und Todesdaten<br />
der 19 gefallenen Bürger eingemeißelt,<br />
links und rechts davon die Namen<br />
der vier Vermissten. An beiden Seiten des<br />
Denkmals waren steinerne Sitzbänke zum<br />
stillen Gedenken angebracht.<br />
Besonders getroff en hatte es die Familie<br />
Schuler, die den Verlust ihrer drei Söhne<br />
Gustav, Wilhelm und Daniel zu beklagen<br />
hatte. Alle drei dienten im gleichen Regiment<br />
und als Gustav am 23. September<br />
1914 in einem Gefecht bei Verdun gefallen<br />
war, haben ihn seine beiden Brüder<br />
Wilhelm und Daniel dort beerdigt. Schon<br />
kurz darauf erkrankte Wilhelm an der<br />
Front und wurde ins Lazarett nach Wittenberg<br />
gebracht, wo er am 30. Dezember<br />
1914 an einer Lungenentzündung starb.<br />
Sein Leichnam wurde nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
überführt und dort am 3. Januar 1915 begraben.<br />
Daniel, der dritte Sohn der Familie<br />
Schuler, wurde am 26. September 1916 als<br />
vermisst gemeldet. An der Grabstätte des<br />
Sohnes Wilhelm hat die Familie Schuler<br />
einen Gedenkstein errichten lassen zum<br />
Gedächtnis an alle ihre drei Söhne. Als die<br />
Witterung dem Stein immer mehr zusetzte,<br />
beschloss die Stadt, ihn an die<br />
Ehrenmal für die Kriegsopfer des Ersten<br />
Weltkriegs (errichtet Dezember 1922)<br />
überdachte Wand der Aussegnungshalle<br />
zu versetzen, wo er seit Februar 2011 seinen<br />
Platz hat. Die kaum noch lesbaren Lebensdaten<br />
wurden durch seitlich angebrachte<br />
Tafeln ersetzt.<br />
Im März 1928 bat die Bibliothek des<br />
Württembergischen Landesgewerbemuseums<br />
Stuttgart, die eine Sammlung aller<br />
Kriegsdenkmäler anlegte, um Bilder aus<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>. Ein Fotograf wurde beauftragt,<br />
und es wurden, außer dem Denkmal<br />
auf dem Friedhof, Aufnahmen vom Gedenkstein<br />
der drei Schuler-Brüder und der<br />
Gedenktafel in der Kirche angefertigt. Leider<br />
konnten diese Fotos trotz vieler Recherchen<br />
nicht mehr ausfi ndig gemacht<br />
werden. Das damalige Landesgewerbemuseum<br />
ist im Haus der Wirtschaft aufge-<br />
269
270<br />
Gedenkstein der Schuler-Brüder am jetzigen<br />
Standort an der Wand der Aussegnungshalle<br />
gangen. Alte Unterlagen gibt es dort nicht<br />
mehr.<br />
Zweiter Weltkrieg<br />
Auch dieser Krieg forderte aus den Reihen<br />
der <strong>Cleversulzbach</strong>er Männer wieder viele<br />
Opfer. Es waren 13 Soldaten gefallen, 14<br />
weitere wurden als vermisst gemeldet.<br />
Auch für diese Kriegsopfer wurde eine Ehrentafel<br />
erstellt und zunächst in der Kirche<br />
neben der Ehrentafel zum Ersten<br />
Weltkrieg angebracht. Später fand auch<br />
diese Tafel im Rathaus ihren neuen Platz.<br />
Zum Andenken an die Gefallenen wurden<br />
um 1948 auf dem Gemeindefriedhof vor<br />
dem Kriegerdenkmal des Ersten Weltkriegs<br />
für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges<br />
weiße Kreuze errichtet, auf denen<br />
Name, Dienstgrad, Geburts- und Todestag<br />
aufgeführt waren, auf einigen auch der<br />
Ehrentafel für die Kriegsopfer des Zweiten<br />
Weltkriegs<br />
Ort, wo sie gefallen waren, und auf einigen<br />
auch ein Eisernes Kreuz. Auf wessen<br />
Initiative die Kreuze erstellt wurden, war<br />
nicht mehr herauszufi nden; vermutlich<br />
veranlassten dies die Angehörigen, denn<br />
Mitte der 1950er Jahre trug sich der Gemeinderat<br />
mit dem Gedanken, die Namen<br />
der Gefallenen und Vermissten des Zweiten<br />
Weltkriegs in das Ehrenmal des Ersten<br />
Weltkriegs einzufügen und stattdessen die<br />
Kreuze zu entfernen, die sich inzwischen<br />
teilweise in einem schlechten Zustand befanden;<br />
manche Schriften waren nicht<br />
mehr deutlich lesbar. Hierzu wurden die<br />
Angehörigen befragt. Sechs betroff ene<br />
Angehörige waren jedoch mit der Entfernung<br />
zunächst nicht einverstanden.<br />
Dieses Vorhaben wurde auch deshalb immer<br />
wieder verschoben, weil man nicht so<br />
recht wusste, in welcher Weise das alte
Ehrenmal mit davor gesetzten Kreuzen für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs (Foto um 1948)<br />
Kriegerdenkmal umgestaltet werden<br />
sollte. Hinzu kam, dass ab 1968 die Pläne<br />
für den Bau einer Leichenhalle reiften,<br />
nachdem aus der Bevölkerung zunehmend<br />
der Wunsch nach einer würdigeren Bestattungsweise<br />
geäußert worden war.<br />
Im Laufe des Winters 1969/70 wurde dafür<br />
die alte Friedhofsmauer auf der Westseite<br />
abgebrochen und die dahinter stehenden<br />
Bäume gefällt, um einen Zugang<br />
für die neue Leichenhalle zu schaff en.<br />
Das im Wege stehende Kriegerdenkmal<br />
sollte zunächst an eine andere Stelle des<br />
Friedhofs versetzt werden, doch im März<br />
1970 beschloss der Gemeinderat, das alte<br />
Kriegerdenkmal abzubrechen und stattdessen<br />
in der neuen Leichenhalle Gedenktafeln<br />
für die Gefallenen und Vermissten<br />
beider Weltkriege anzubringen. Nach längerer<br />
Bauzeit wurde die Halle im Mai 1971<br />
ihrer Bestimmung übergeben. Die von<br />
Steinmetzmeister Otto Reinmann aus<br />
Brettach gestalteten Gedenktafeln wurden<br />
links und rechts eines großen Holz-<br />
kreuzes an der Nordseite der Halle angebracht,<br />
wo sie bis heute an die Opfer der<br />
beiden Weltkriege erinnern.<br />
Fremde Soldatengräber – Gefallene des<br />
Zweiten Weltkrieges<br />
Für rund 11 Jahre (von 1945 bis 1956) war<br />
für sechs ortsfremde Soldaten der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Gemeindefriedhof die letzte<br />
Ruhestätte. Warum sie dort bestattet wurden<br />
und wie und wo sie zu Tode gekommen<br />
waren, konnte trotz großer Bemühungen<br />
nicht belegbar ermittelt werden.<br />
Von zwei Zeitzeugen gibt es hierzu widersprüchliche<br />
Angaben. Nach der Erinnerung<br />
des einen hat man die Soldaten im<br />
April 1945 aufgehängt an der Kastanie<br />
vor dem Friedhof gefunden; ein anderer<br />
berichtete, dass ein deutscher Panzer vorgefahren<br />
sei und man die toten Soldaten<br />
vom Panzer auf dem Friedhof abgelegt<br />
hat. Bei den Recherchen nach den wahren<br />
Begebenheiten zeigten sich die zuständigen<br />
Behörden und Verbände wenig hilfs-<br />
271
272<br />
Aussegnungshalle, errichtet Mai 1971<br />
Gedenktafeln an der Wand der Aussegnungshalle<br />
für die Kriegsopfer der beiden<br />
Weltkriege<br />
bereit oder entschuldigten sich damit,<br />
dass es keine alten Unterlagen mehr gäbe.<br />
Fest steht, dass im Mai 1948 das Deutsche<br />
Rote Kreuz auf der Suche nach noch unbekannten<br />
gefallenen und vermissten<br />
deutschen Soldaten die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
um Exhumierung der dort bestatteten<br />
Soldaten bat, um diese zu iden-<br />
1 Das Eiserne Buch ist im Ortsarchiv aufbewahrt (CB<br />
167)<br />
tifi zieren. Das beauftragte Unternehmen<br />
Martin Nestler aus Stuttgart-Bad Cannstatt<br />
führte die Exhumierung durch und<br />
konnte vier der sechs Toten anhand der<br />
Erkennungsmarken mit Namen, Geburtsdatum<br />
und Dienstgrad identifi zieren, zwei<br />
blieben unbekannt.<br />
Nach der Rückbestattung übernahm die<br />
Gemeinde die Pfl ege der Gräber. Diese<br />
wurden mit Grabeinfassungen versehen<br />
und es wurden Grabkreuze errichtet. Gärtner<br />
Gustav Stephan übernahm ab 1950<br />
für fünf Jahre die Pfl ege der Gräber, was<br />
auch die Bepfl anzung und den jahreszeitlich<br />
wechselnden Blumenschmuck einschloss.<br />
Er erhielt dafür pro Jahr 38,— DM<br />
aus der Gemeindekasse.<br />
Auf Veranlassung des Volksbund Deutscher<br />
Kriegsgräberfürsorge (VDK) wurde<br />
1956 eine Umbettung der toten Soldaten<br />
in die Wege geleitet. Am 16. April 1956<br />
wurden die sechs Soldaten auf den Ehrenfriedhof<br />
in Weinsberg umgebettet und<br />
fanden dort ihre letzte Ruhestätte.
Spielende Kinder vor dem Haus der<br />
Familien Wetterauer und Hesser<br />
(in den 1950er Jahren)<br />
Hochzeit von Margot und<br />
Hermann Bordt, 1947<br />
Bauarbeiten an der Ortskanalisation,<br />
Abriss des Anwesens der<br />
Familie Blank in der Brettacher<br />
Straße, Mai 1963<br />
Familie Stephan vor ihrem Haus<br />
in der Brettacher Straße (in den<br />
1920er Jahren)<br />
273
274<br />
Hermann Bordt mit seinem Pferd<br />
(Mitte der 1950er Jahre)<br />
Margot Bordt mit dem Traktor<br />
(in den 1960er Jahren)<br />
Paul Lumpp mit Entenküken in der Eberstädter<br />
Straße (Ende der 1940er Jahre)<br />
Das Haus der Familie Meier, ehemals Bordt,<br />
in der Brettacher Straße 34 (um 1962)
Hochzeit von Albert<br />
Schlegel, die<br />
Hochzeitsgesellschaft<br />
am Gasthof<br />
„Zum Löwen“,<br />
16. März 1922<br />
Die damalige Hauptstraße, heute<br />
Brettacher Straße, im Winter<br />
(Anfang der 1950er Jahre)<br />
Das Haus von Lina Brand und<br />
Gottlob Lumpp in der Unteren<br />
Straße 2, 2006<br />
Das Haus von Korbmacher Ehnle in der Neuenstädter<br />
Straße (Ende der 1950er Jahre)<br />
275
276<br />
Das Doppelhaus der Familien Süpple und<br />
Röhrlein im Hirtengässle, heute Turmhahnstraße,<br />
v.l., stehend: Herr Süpple, Frau<br />
Hofstätter, Schneider Röhrlein und Lehrer<br />
Hofstätter (Ende der 1920er Jahre)<br />
Das Haus von Fritz Weber,<br />
heute von Walter Markus,<br />
in der Brettacher Straße 48<br />
(in den 1920er Jahren)<br />
Das Haus von Hermann<br />
Volpp, Eberstädter Straße 1<br />
(Mitte der 1950er Jahre)<br />
Das Haus von Lambert<br />
Herrmann, heute von Familie<br />
Ellwanger, in der Brettacher<br />
Straße 46<br />
(in den 1950er Jahren)
Konfi rmandengruppe mit<br />
Pfarrer Grawunder, 1954<br />
Scheune von Herrmann Seebold, mit Nichte und Ne e<br />
aus Frankfurt 1939, Brettacher Straße 37<br />
Frauenabteilung der<br />
Feuerwehr während des<br />
Zweiten Weltkrieges<br />
In der Haupstraße, heute<br />
Brettacher Straße<br />
(in den 1950er Jahren)<br />
277
278<br />
Brettacher Straße, von der<br />
Bachbrücke bis zum<br />
gemeindeeigenen Lehrerwohnhaus,<br />
v.l.: Bernhard<br />
Gehres, Herbert Zimmermann,<br />
Oskar Gehres, auf<br />
ihren NSU-Motorrädern<br />
(Anfang der 1950er Jahre)<br />
Die Schulklassen 3 und 4 mit ihrer Lehrerin Frl. Käfer<br />
(verh. Grawunder) im September 1951<br />
Fritz Bauer und Ludwig Rüber<br />
vor ihren Häusern in der Seestraße<br />
(in den 1960er Jahren)
Die Dritt- und<br />
Viertklässler<br />
vor dem<br />
Schulhaus,<br />
1957<br />
Das Haus von Schmied Euerle in der<br />
damaligen Hauptstraße, heute Brettacher<br />
Straße 14 (um 1950)<br />
Unterklasse<br />
(Klassen 1–4)<br />
mit Lehrer<br />
Clement,<br />
1948<br />
In der Seestraße, mit Blick auf die<br />
Bordt‘sche Scheune in der Brettacher<br />
Straße und das Wohnhaus der Familie<br />
Bordt (Anfang der 1950er Jahre)<br />
279
280<br />
Beim Festumzug 1955 in der<br />
Brettacher Straße<br />
Hermann Seebold mit seinem Tempo-<br />
Dreirad beim Festumzug 1955, auf der<br />
Pritsche Mitglieder des Musikvereins<br />
Das Haus der Familie Kronika in der<br />
Brettacher Straße, 1952<br />
Beim Festumzug 1955 in der<br />
Brettacher Straße
Familie Nef vor ihrem Anwesen<br />
in der Brettacher Straße 2,<br />
rechts unter der Stalltüre aus<br />
Roggenstroh gefertigte<br />
Strohseile zum Binden von<br />
Getreidegarben (Ende der<br />
1920er Jahre)<br />
Das Haus von Eugen Hesser und Friedrich Eckert,<br />
Neuenstädter Straße 1 (vor dem Brand, Anfang<br />
der 1920er Jahre)<br />
Pferdefuhrwerk von Wilhelm Lumpp, mit den<br />
Söhnen Karl und Hermann und Tochter Paula, 1932<br />
Musikkapelle <strong>Cleversulzbach</strong><br />
(in den 1930er Jahren)<br />
281
282<br />
Rot-Kreuz-Kurs am 7. März 1937<br />
Das Haus der Familie Rüber in<br />
der Seestrasse (um 1930)<br />
Junge Frauen bei der Jungpfl anzenpfl ege im<br />
Wald mit Waldschütz Seebold (um 1937/38)<br />
Das Haus der Familie Stahl in der Brettacher<br />
Straße, rechts im Bild Gustav Stephan beim<br />
Holzspalten (Ende der 1950er Jahre)
Besuch bei Frau Bordt in der Haupstraße<br />
(„Eckbordt“), heute das Haus der Familie<br />
Kronika, Sommer 1943<br />
Brettacher<br />
Straße, vom<br />
Kirchplatz aus<br />
gesehen (in den<br />
1950er Jahren)<br />
Kirche, Schulhaus<br />
und Wohnhaus<br />
der Familie Eckert<br />
(in den 1950er<br />
Jahren)<br />
Winter 1954/55<br />
in der Eberstädter<br />
Straße, Paula<br />
Lorenz mit den<br />
Söhnen Günter<br />
und Hermann<br />
vor der alten<br />
Kelter<br />
283
284<br />
Auf dem Friedhof, 1979<br />
Am Katzenberg, mit Blick auf den Hohberg, 1983<br />
Pfarrhaus mit Brunnen und<br />
Garten (in den 1930er Jahren)
Das Haus der Familie Schuler<br />
in der Eberstädter Straße 8,<br />
rechts das angebaute Haus<br />
von Wilhelm Uhlmann, links<br />
daneben das Haus von<br />
Schmiedemeister Friedrich<br />
Birk (in den 1920er Jahren)<br />
Auf dem Schulhof hinter der<br />
Kirche (in den 1920er Jahren)<br />
In die Brettacher Straße, links<br />
das Doppelhaus von Karl<br />
Hesser und Wilhelm Rüber<br />
(heute Parkplätze), Sommer<br />
1943<br />
In der Eberstädter Straße, rechts im Bild<br />
eine Ecke der alten Kelter (um 1950)<br />
285
286<br />
Das Haus der Familie Plenefi sch in der<br />
Eberstädter Straße 5, v. r.: August<br />
Plenefi sch, Liese Schwarz mit Körbchen,<br />
dahinter Lina Plenefi sch mit der kleinen<br />
Erna auf dem Arm (Ende der 1920er<br />
Jahre)<br />
Im südlichen Bereich der Seestraße, im<br />
Hintergrund das Haus von Hermann<br />
Schlegel<br />
(Seestraße 4),<br />
1949 1949<br />
In der Seestraße vor dem Haus von Fritz<br />
Bauer (Anfang der 1940er Jahre)<br />
In der Eberstädter Straße vor dem Gasthaus<br />
„Zum „Löwen“ (in den 1950er Jahren)
Kirche und kirchliches Leben<br />
Die evangelische Kirchengemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Filial zu Neuenstadt oder Der lange Weg<br />
zur Eigenständigkeit<br />
Vermutlich schon vor der ersten Erwähnung<br />
im Jahr 1262 kann man davon ausgehen,<br />
dass das Dorf <strong>Cleversulzbach</strong> immer<br />
eng mit Helmbund bzw. später mit<br />
der Stadt Neuenstadt verbunden war.<br />
Diese Verbindung galt für die bürgerliche<br />
Herrschaft wie für kirchliche Belange –<br />
oft genug bei geistlichen Herrschaften sowieso<br />
eins. Die Herrschaften wechselten<br />
gerade im 13. bis 15. Jahrhundert des Öfteren.<br />
So wurde, ohne genannt zu werden,<br />
sicherlich auch <strong>Cleversulzbach</strong> im Jahr<br />
1352 auf eine Anordnung des Papstes Innocenz<br />
VI. hin, der die Kirche von Neuenstadt<br />
dem Kloster Schöntal übergab, mit<br />
zu den Besitzungen Schöntals genommen<br />
und das Dorf musste unter dessen Obhut<br />
die klösterlichen Aufl agen, wie den Zehnten<br />
zu geben, erfüllen. 1481 wurde die<br />
Pfarrkirche von Helmbund auf Erlaubnis<br />
des Würzburger Bischofs Rudolph in die<br />
neugegründete Stadt Neuenstadt verlegt<br />
und zwar in die dortige St.-Nikolaus-Kapelle.<br />
Allerdings sollte die Kirche in Helmbund<br />
erhalten bleiben, „weil <strong>Cleversulzbach</strong><br />
dahin eingepfarret war“. Auch weil<br />
die Einwohner <strong>Cleversulzbach</strong>s den „lang<br />
Kirweg“ gerne gingen, wurden der damalige<br />
Pfarrer Wendelin Oberländer und<br />
seine Nachfolger verpfl ichtet, an allen<br />
Sonn- und Feiertagen auch in Helmbund<br />
Gottesdienst zu halten. So machten sich<br />
die <strong>Cleversulzbach</strong>er also jeden Sonn- und<br />
Feiertag auf den Weg zur Helmbundkirche.<br />
Außerdem wurden die verstorbenen<br />
Gemeindeglieder auch in Helmbund begraben.<br />
Durch Krieg kam Neuenstadt 1504<br />
– und somit auch <strong>Cleversulzbach</strong> – zum<br />
Herzogtum Württemberg. Von 1520 an<br />
gehörte es 15 Jahre zu Österreich. Erste<br />
reformatorische Regungen konnten sich<br />
nicht festsetzen. Mit dem Bauernkrieg<br />
brachen im Jahre 1525 unruhige Zeiten<br />
an. In unmittelbarer Nachbarschaft in<br />
Weinsberg tobte eine große Schlacht, bei<br />
der Weinsberger Bluttat (oder Weinsberger<br />
Blut-Ostern) wurde Graf Ludwig von<br />
Helfenstein, nachdem über 6.000 Bauern<br />
Weinsberg angegriff en und erobert hatten,<br />
gefangen, dann sofort verurteilt und<br />
getötet. Der Führer der aufrührerischen<br />
Bauern Jäcklein Rohrbach wurde daraufhin<br />
gefangen genommen und zur Abschreckung<br />
langsam verbrannt und<br />
Weinsberg wurde total zerstört und seiner<br />
Stadtrechte beraubt. 1534 kamen die<br />
1504 zu Württemberg gekommenen nördlichen<br />
Gebiete nach 15 Jahren „Fremdherrschaft“<br />
wieder zu Württemberg.<br />
Schließlich wird Neuenstadt und somit<br />
auch unser Dorf 1541 evangelisch.<br />
Der Weg in die kirchliche Selbständigkeit<br />
sollte allerdings noch dauern. Ein Schritt in<br />
diese Richtung bildete sicherlich der Bau<br />
einer eigenen – wohl hölzernen – Kapelle,<br />
von der wir zum ersten Mal 1523 erfahren,<br />
die aber auch schon deutlich älter sein<br />
kann. In einem kirchlichen Bericht heißt es:<br />
„daselbst in Clepharsulzpach ist kein Pfarr<br />
noch Pfründe“, aber eine Kapelle wird erwähnt<br />
– „eine Kapelle zwischen ein Haus<br />
und des Schultheißen Besenacker gelegen,<br />
stößt hinten an den Speckacker“. Allerdings<br />
tauchen diese Flurnamen nirgends mehr<br />
auf, so dass in letzter Eindeutigkeit nicht<br />
gesagt werden kann, wo die Kapelle tatsächlich<br />
stand. Es spricht sehr vieles dafür,<br />
gerade auch die Konstanz der „heiligen<br />
287
288<br />
Orte“, dass sie dort lag, wo die spätere Kirche<br />
gebaut wurde.<br />
1531 stellte die Gemeinde ihren ersten<br />
Antrag mit der Bitte, dem Dorf einen eigenen<br />
Pfarrer „zu geben“. Allerdings blieb<br />
eine Beantwortung aus. 1534 – nach der<br />
gewonnen Schlacht bei Lauff en – wurde<br />
das Herzogtum Württemberg evangelisch,<br />
denn Herzog Ulrich verpfl ichtete sich im<br />
Vertrag von Kaden, in seinen Landen die<br />
Reformation nach dem Augsburger Bekenntnis<br />
(1530) durchzuführen. Bis dies<br />
allerdings im ganzen Land durchgeführt<br />
wurde, sind Jahre ins Land gegangen.<br />
Heilbronner Geistliche führten diesen<br />
Auftrag in den nördlichen Gebieten Württembergs<br />
(Weinsberg, Neuenstadt und<br />
Möckmühl) durch. Wie schon erwähnt,<br />
wurde unser Dorf 1541 evangelisch. Jacob<br />
Ratz, der erste evangelisch genannte Pfarrer,<br />
tritt seinen Dienst in Neuenstadt an<br />
und war somit auch für <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zuständig.<br />
Kurz vorher muss es so etwas wie die Etablierung<br />
eines Geistlichen gegeben haben,<br />
denn 1537 in einem Schreiben an den<br />
„obersten Bischof“ an Herzog Ulrich, hieß<br />
es: „… seind schon bis ins 3. Jahr von einem<br />
Hirten verlassen, bitten fl ehentlich<br />
ein Prister verordnen, der allen Sonntag<br />
zu uns in des Fleckens Kirch ging, denn<br />
etwa 300 junger und alter Menschen bei<br />
uns seindt.“ Dieser Versuch einer ersten eigenen<br />
pfarrerlichen Versorgung scheiterte<br />
und auch ein zweiter Anlauf, einen Pfarrer<br />
zu haben, war wieder von kurzer Dauer.<br />
Kurze Zeit später hieß es: „… daß ein Prister<br />
aus Gochsen her, Michael Pfi ster, 8<br />
Wochen zu uns in des Fleckens Kirch gegangen<br />
und gepredigt hat … jetzt widerumb<br />
gekündigt.“ Parallel zum Bemühen<br />
um einen eigenen Pfarrer vergrößerten<br />
die <strong>Cleversulzbach</strong>er ihre Kapelle zu einer<br />
Kirche. Erste Hinweise darauf gab es im<br />
Jahr 1537. In dieser Zeit wurde am Rohbau<br />
gearbeitet. Auch danach versuchten<br />
die <strong>Cleversulzbach</strong>er immer wieder, einen<br />
eigenen Pfarrer zu bekommen. So lassen<br />
sich verschiedene Bittschreiben an den<br />
Herzog nachweisen, u. a. folgende Eingabe<br />
nachdem ein weiterer Geistlicher seinen<br />
Dienst aufgekündigt hatte und „… wiederumb<br />
ein Predigt am Sonntag felt.“ 1548<br />
brach das so genannte Interim an, der katholische<br />
Kaiser Karl hatte durch den<br />
Schmalkaldischen Krieg wieder die Oberhand<br />
gewonnen. Bis 1554 war in Neuenstadt<br />
Gregorius, ein Mönch aus Schöntal,<br />
als Pfarrer eingesetzt, der auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />
mitversorgte. Mit dem Augsburger<br />
Religionsfrieden 1555 begannen ruhigere<br />
Zeiten.<br />
1584 dann ein positiver Bescheid – man<br />
teilte der Gemeinde mit, dem Anliegen<br />
„auf Errichtung einer Pfarrstelle wohlwollend“<br />
gegenüberzustehen, und es wurde<br />
zugesagt, baldigst ihrem berechtigten<br />
Wunsch zu entsprechen. Nachdruck verlieh<br />
dieser Bitte sicherlich auch der Umstand,<br />
dass die Kirche kurz vor ihrer Vollendung<br />
stand. Vermutlich 1585 wurde die<br />
Kirche geweiht – wohl auf den gleichen<br />
Namen, den schon die Kapelle innehatte:<br />
St. Jost. Die „Zusage“ von 1584 ging acht<br />
Jahre später – 1592 – in Erfüllung, als der<br />
erste Ortsgeistliche Michael Wolff in der<br />
St.-Jost-Kirche durch den damit beauftragten<br />
Pfarrer Wolfgang Denk aus Neuenstadt<br />
eingesetzt wurde. Eine Kirchenakte<br />
formuliert es so: „unter ihm ist die<br />
Pfarrei Cleff er Sulzpach, so ein Filial von<br />
Neuenstadt gewest, aufgerichtet worden“.<br />
Der Fürst, Herzog Ludwig von Württemberg,<br />
hat endlich „auf wiederholtes Anhalten<br />
zur Beförderung von Ehr Gottes<br />
und der Untertanen Seel Heil“ <strong>Cleversulzbach</strong><br />
„zu einer Pfarrei gemacht“. Aus dem<br />
„Filial von Neuenstadt“ ist endlich nach<br />
langem Ringen und Bitten eine eigenständige<br />
Gemeinde geworden. 1592 ist somit<br />
das eigentliche Geburtsdatum der evangelischen<br />
Kirchengemeinde Cleversulz-
Älteste Taufeinträge aus dem Jahr 1597<br />
bach – wenn es natürlich auch schon vorher<br />
kirchliches Leben gab. Die ersten Einträge<br />
im ältesten Kirchenbuch der Kirchengemeinde<br />
sind von Pfarrer Abraham<br />
Krämer, der mit den Taufeinträgen am 17.<br />
Februar 1597 begann.<br />
250 Jahre gemischte Zeitläufe<br />
Jetzt war die sonn- und feiertägliche Predigt<br />
in der eigenen Kirche und die<br />
Rundum-Versorgung durch einen eigenen<br />
Pfarrer Wirklichkeit geworden, allerdings<br />
sollten die kommenden Zeitabschnitte<br />
nicht nur Gutes bringen. Nur 26 Jahre<br />
nach der Einsetzung des ersten Pfarrers<br />
begann der Dreißigjährige Krieg, der viel<br />
Not mit sich brachte. Nach der Schlacht<br />
von Nördlingen (September 1634) wurden<br />
die Zeiten besonders schlecht. Die Jahre<br />
1634 bis 1637 waren für unser Dorf wohl<br />
die schlimmsten Jahre überhaupt in seiner<br />
ganzen Geschichte – wie auch für ganz<br />
Württemberg, denn die Bevölkerung nahm<br />
gerade durch die Pestzeiten, besonders im<br />
Jahr 1637, von 350.000 im Jahr 1618 auf<br />
ca. 120.000 im Jahr 1648 ab. Zunehmende<br />
Unsicherheit, Überfälle, Plünderungen und<br />
am schlimmsten die Pest – das waren die<br />
Begleitumstände dieser Zeit. So wurden<br />
im Jahr 1634 von 31 Häusern 14 abgebrannt<br />
und „im Flecken und in der Kirch<br />
alles geplündert“. Allein 45 Einwohner des<br />
Dorfes starben in diesem Jahr laut dem<br />
Totenregister, alle namentlich aufgeführt<br />
– zusätzlich fi ndet sich noch eine Notiz<br />
des Pfarrers Johann Mezger nach dem 42.<br />
Namen, dass aufgrund des ungarischen<br />
Fiebers und der Kriegsfolgen viele gestorben<br />
sind, die nicht aufgeschrieben wurden.<br />
Im Taufregister sind für dieses Jahr<br />
neun Namen aufgeführt, allerdings acht<br />
mit einem kleinen Kreuzchen gekennzeichnet,<br />
sie sind wohl bald gestorben …<br />
Und es sollte so weitergehen: 1635 sind<br />
53 Tote verzeichnet, 1636 sind es 43, und<br />
das schlimmste Jahr sollte noch kommen:<br />
1637 sind insgesamt 55 Tote im Sterberegister<br />
namentlich verzeichnet, beim Taufregister<br />
sind nur drei Namen genannt,<br />
zwei mit Kreuzchen … d. h., in diesen vier<br />
Jahren sind über 200 Einwohner unseres<br />
Dorfes – vermutlich mehr als die Hälfte<br />
der Bevölkerung – gestorben! So sind<br />
ganze Familien binnen weniger Tage aus-<br />
289
290<br />
Einträge im Totenbuch aus dem Jahr 1634<br />
gelöscht worden, ob Alt ob Jung, ob Kleinkind<br />
oder Greis, der Tod hielt reiche Ernte<br />
im Dorf <strong>Cleversulzbach</strong> …<br />
Weil so viele starben und weil der Weg nach<br />
Helmbund ohne Karren so beschwerlich war<br />
(alle Zugtiere waren wegen des Krieges requiriert<br />
bzw. geraubt worden), kam man auf<br />
die naheliegende Idee, einen Friedhof in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> anzulegen. Der „erbare Bürger<br />
Konrad Kern“ wurde gebeten, ein Stück<br />
seines Krautgartens – am Kyrchweg gelegen<br />
– für einen gebührenden Preis abzutreten.<br />
Dies sagte er auch zu. Als dann Kerns Frau<br />
Barbara – aus deren Familie der Krautgarten<br />
kam – bald darauf starb, hat er ihn „ohne<br />
entgeltnuß“, also ohne Geld dafür zu nehmen,<br />
der Kirche gespendet.<br />
Im Jahr 1634 war neben vielen Häusern<br />
des Dorfes auch das Kirchenschiff so stark<br />
beschädigt worden, dass die westliche Giebelwand<br />
einzustürzen drohte. Zunächst<br />
wurde noch Kirche darin gehalten, aber<br />
1654 heißt es, dass keine Kirche mehr darin<br />
gehalten wird. 1660 brach dann der marode<br />
Giebel der Kirche zusammen, das<br />
Dach stürzt ein, der Turm war vorher schon<br />
nass – die Kirche ist nicht mehr zu gebrauchen.<br />
Woher sollte Hilfe kommen?<br />
Auf jeden Fall konnte die dezimierte<br />
und völlig verarmte Bevölkerung<br />
einen Neubau niemals<br />
allein schaff en! Deshalb<br />
ruhten alle Hoff nungen auf<br />
Herzog Friedrich, den Begründer<br />
der Herzogslinie Württemberg-Neuenstadt<br />
und Bruder<br />
des Herzogs in Stuttgart. Seit<br />
1650 bewohnte er das Schloss<br />
in Neuenstadt. Durch diese<br />
Verbindungen und dank der<br />
von Stuttgart fl ießenden Geldmittel<br />
und auch den Anstrengungen<br />
der Kirche und der<br />
Kirchengemeinde wurde beschlossen,<br />
das ganze Kirchenschiff<br />
abzureißen und das Langhaus um<br />
13 Schuh (3,72 m) zu verlängern. Allerdings<br />
waren die Maße mehr als bescheiden:<br />
hatte vorher die Kirche praktisch die<br />
Größe von zweimal der Turmfl äche (11,80<br />
x 7,30 m), so wurde sie jetzt ungefähr bis<br />
zur Vorderkante der heutigen Empore vergrößert.<br />
Dank eines Vorschusses von 4.760<br />
fl (Gulden) wurde der Bau von 1666 bis<br />
1670 erstellt – allerdings zogen sich die<br />
letzten Wiederaufbauarbeiten bis 1740<br />
hin, denn es war festgelegt, dass nur so<br />
weit gebaut werden durfte, wie auch Mittel<br />
vorhanden waren.<br />
Schicksalsjahr 1742<br />
Dann 1742 ein Schicksalsjahr, denn die<br />
jahrzehntelange Aufbauleistung wurde<br />
binnen weniger Minuten im Spätsommer<br />
zunichte gemacht. Ein Blitzschlag zerstörte<br />
alles bisher Geleistete: „das Kirchenschiff<br />
brannte völlig aus, der Turm<br />
blieb etwas stabil.“<br />
Nun was tun? Woher sollte Hilfe kommen?<br />
Geld hatte die Gemeinde für einen Neubau<br />
gewiss nicht. Wieder musste die Hilfe von<br />
außerhalb kommen. Der 75-jährige Herzog<br />
Karl Rudolf muss angerührt worden sein<br />
von diesem Schaden, denn er engagierte
sich, war Fürsprecher und gab Hilfestellungen<br />
aller Art. Er und auch die Kirchenbehörde<br />
stellten die zum Neubau benötigten<br />
Mittel zur Verfügung. Und der Herzog versprach<br />
dazu noch, nach gelungenem Aufbau<br />
der Kirchengemeinde eine Orgel zu<br />
stiften. Allerdings erlebte er weder Neubau<br />
noch die Aufstellung seiner gestifteten Orgel,<br />
denn er starb am 17. November 1742.<br />
Bis zum Jahr 1744 wurden die schon 1742<br />
beschlossenen Änderungen umgesetzt: Das<br />
alte Kirchenschiff wurde abgerissen, das<br />
Kirchenschiff verbreitert und nochmals verlängert,<br />
und dazu wurde noch eine Empore<br />
eingebaut. So wurde nach einem großen<br />
Schaden innerhalb von zwei Jahren doch<br />
alles zum Guten gewendet! Auch hier gilt:<br />
Des HERRN Wege sind unerforschlich! Zu<br />
der Form, in der wir die Kirche heute noch<br />
sehen, kam sie im Jahr 1782. Damals wurde<br />
die Sakristei angebaut und die beiden<br />
Stützpfeiler am Turm angebracht. Die Kirche,<br />
die wir heute haben, geht also von den<br />
Maßen auf die Pläne von 1742 zurück.<br />
Danach folgten ruhigere Jahre, in denen<br />
das Leben auf dem Land seinen von der<br />
Landwirtschaft und dem Rhythmus der<br />
Natur geprägten Lauf nahm.<br />
Eng verwoben war das Ergehen der Kirchengemeinde<br />
mit dem Ergehen der Menschen.<br />
Im Auf und Ab der Zeiten war die<br />
Kirchengemeinde, die ja über Jahrhunderte<br />
fast deckungsgleich mit den Einwohnern<br />
war, wie alle anderen betroff en.<br />
Waren die Zeiten gut, so ging es zumindest<br />
äußerlich auch der Kirchengemeinde<br />
gut – waren es schlechte Zeiten, so hinterließ<br />
auch das seine Spuren in der Kirchengemeinde.<br />
So waren z. B. die beiden Weltkriege<br />
Zeiten, in denen <strong>Cleversulzbach</strong> einen<br />
hohen Blutzoll entrichten musste und<br />
viele aus der blühenden Jugend nicht das<br />
Alter sahen. Im Ersten Weltkrieg fi elen<br />
bzw. wurden 23 <strong>Cleversulzbach</strong>er vermisst,<br />
im Zweiten Weltkrieg waren es 26 Vermisste<br />
bzw. Gefallene aus dem Dorf.<br />
Die Zeit des Dritten Reiches – über die an<br />
anderer Stelle mehr zu lesen sein wird –,<br />
die harten Jahre nach dem Krieg, die Zeit<br />
des Wiederaufbaus, das waren Zeiten, die<br />
auch die Kirchengemeinde durchlebt bzw.<br />
durchlitten hat.<br />
1960 dann wieder ein für die Kirchengemeinde<br />
ganz wichtiges Jahr. Wieder hängt<br />
dieses Jahr mit dem Kirchengebäude zusammen.<br />
Wieder wird das Kirchenschiff<br />
abgerissen, da es von der Bausubstanz her<br />
so schlecht war, dass dieser Schritt unausweichlich<br />
war. An der heutigen Treppe<br />
war eine Rampe und die Bauern fuhren<br />
den Bauschutt ab – schon immer half<br />
man zusammen, wenn es um die Anliegen<br />
Abriss des Kirchenschi s im Sommer 1960<br />
des Dorfes ging! Insgesamt 13.000 DM<br />
konnte man so bei den Abbrucharbeiten<br />
sparen, die eine sich ergebende Verteuerung<br />
am Turm auff angen konnten.<br />
Der gesamte Umbau der Kirche war damals<br />
auf 200.000 DM berechnet worden.<br />
Erwähnenswert ist auch, dass durch Vermittlung<br />
des Jagdpächters Direktor Philipp<br />
Wesp über 21.000 DM von 13 verschiede-<br />
291
292<br />
nen Industriellen für die Kirchensanierung<br />
gespendet wurden. Professor Hannes<br />
Mayer aus Stuttgart-Kaltental war der<br />
ausführende Architekt, der damals die gesamte<br />
Renovierung in seinen Händen hielt.<br />
Am Morgen des Festtages, am 12. Juli<br />
1961, traf man sich an der Kelter. Nach<br />
ersten Dankesworten war man von der<br />
Kelter aus in einem geordneten Zug aufgebrochen<br />
mit den Kindern, dem Kirchengemeinderat,<br />
der Bauleitung, den Handwerkern,<br />
dem Gemeinderat, dem Gesangverein<br />
und schließlich der gesamten Gemeinde.<br />
Die Festpredigt hielt Prälat Dr. Hege.<br />
Zum großen Jubiläum der Kirchengemeinde<br />
1992 wurde die Kirche innen renoviert,<br />
die ganze Kirche wurde gewissermaßen<br />
farblich an die Orgel angeglichen,<br />
was ihr einen hellen und freundlichen<br />
Charakter gab. Der Festakt mit Festgottesdienst<br />
und Feierstunde fand am Dritten<br />
Advent, dem 13. Dezember 1992 statt; der<br />
damalige Prälat Hans Kümmel hielt die<br />
Festpredigt. Der Grund zum Feiern: 400<br />
Jahre eigenständige Evangelische Kirchengemeinde<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Ein Bauvorhaben, das die Kirchengemeinde<br />
seit 2001 beschäftigte, war das neue<br />
schöne Gemeindehaus, das schließlich im<br />
Oktober 2008 eingeweiht wurde. Es passt<br />
äußerlich harmonisch in das Ortskernensemble<br />
aus Kirche, Schule und Pfarrhaus<br />
hinein und befriedigt auch das innere Bedürfnis<br />
nach einem zentralen Ort für alle<br />
Aktivitäten der Kirchengemeinde.<br />
Noch heute – wie schon immer und auch<br />
in Zukunft – sind die Hauptaufgaben der<br />
Kirchengemeinde: Glauben zu leben und<br />
zu teilen, zu begleiten, zu trösten, für andere<br />
da zu sein, Gottesdienste zu feiern,<br />
die Menschen bei wichtigen Schritten zu<br />
begleiten wie bei Taufen, Konfi rmationen,<br />
Trauungen, Beerdigungen, Gemeinschaft<br />
zu leben, Möglichkeiten des Glaubens zu<br />
eröff nen, sich zum Wohl des Dorfes einzubringen,<br />
Gruppen und Kreise anzubieten<br />
und hinzuweisen auf Christus, der die Erfüllung<br />
aller menschlichen Sehnsüchte ist.<br />
Pfarrer – aus alter und neuerer Zeit<br />
Unter den Pfarrern sind folgende zu erwähnen,<br />
was allerdings nichts über die Bedeutung<br />
für die Menschen vor Ort heißt …<br />
Michael Wolff (1592 –1597) – der erste<br />
Pfarrer von bis dato 48 Pfarrhausbewohnern<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Johann Heinrich Schoppach (1714 –1731)<br />
– er ist genannt auf der Grabplatte für<br />
seinen ältesten Sohn, der mit 12 Jahren<br />
im Jahr 1723 starb. Die Grabplatte ist an<br />
der Außenmauer des Friedhofs angebracht.<br />
Eberhard Ludwig Rabausch (1747–1759)<br />
– er hat nicht den besten Ruf, wegen eines<br />
unsoliden Lebenswandels; so sind unter<br />
ihm (nach ihm?) ein Ehe- und Totenbuch<br />
von 1667–1735 verloren gegangen,<br />
und er ist derjenige, der im Pfarrhaus spuken<br />
soll, wovon der jetzige Amtsinhaber<br />
bislang nichts bemerkt hat … Allerdings<br />
widerspricht dem schlechten Bild über<br />
diesen Pfarrer eine Notiz im ältesten Kirchenbuch<br />
am Ende der Aufzählung der<br />
ersten Pfarrer bis zum Jahr 1735, wo es als<br />
Auskunft aus dem Pfarramt Untergruppenbach<br />
heißt: „Rabausch war hier Pfarrer<br />
von 1759 bis 1787 … er starb [im Alter<br />
von 67 Jahren] nachdem er über 28 Jahre<br />
rechtschaff en und treu gearbeitet hatte.“<br />
Johann Gottlieb Franckh (1799 –1804) –<br />
er war mit Schillers Schwester Louise verheiratet.<br />
Die Mutter Schillers war auf einem<br />
Besuch bei ihrer Tochter im Pfarrhaus,<br />
als sie 1802 in <strong>Cleversulzbach</strong> verstarb<br />
und nach damaligem Brauch sehr<br />
bald auf dem hiesigen Friedhof bestattet<br />
wurde. Pfarrer Franckh ging nach seiner<br />
Zeit hier im Dorf als Stadtpfarrer nach<br />
Möckmühl.
Eduard Mörike (1834 –1843) – er ragt unter<br />
den Pfarrern heraus. Auch wenn er<br />
mehr Dichter als Pfarrer war – der Name<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> hätte ohne ihn in keinem<br />
Fall einen solchen guten Klang, und das<br />
sogar weltweit! Nur er gehörte als Pfarrer<br />
zu den Großen von Deutschlands Dichtern<br />
und – meines Wissens nach – hatte er allein<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> einen Vikar zur<br />
Seite bzw. deren vier, denn die rund 500<br />
bis 600 Gemeindeglieder wurden normalerweise<br />
von einem Pfarrer allein betreut,<br />
nur in größeren Gemeinden wurden Vikare<br />
eingesetzt. Einer der Vikare, Jakob Wilhelm<br />
Haueisen, wurde später der Nachfolger<br />
Mörikes (1843 –1866).<br />
Fritz Wiesner (1903 –1931) – er war der<br />
Pfarrer, der am längsten von allen 48<br />
Pfarrern hier im Ort war – insgesamt 28<br />
Jahre lebte er im Pfarrhaus. Durch eine<br />
Stiftung von ihm konnte die Sakristei<br />
nach seinem Weggehen 1931 renoviert<br />
werden. Erwähnenswert bei den ihm folgenden<br />
Vertretungen ist Pfarrer Julius<br />
von Jan aus Brettach (dort von 1928 bis<br />
1935), der als einziger nach der so genannten<br />
„Reichskristallnacht“ im November<br />
1938 in der Buß- und Bettagspredigt<br />
öff entlich dazu Stellung genommen und<br />
dieses Tun verurteilt hat. Die Württembergische<br />
Landeskirche hat ihn aus dem Kirchendienst<br />
entfernt, und er musste nach<br />
Bayern gehen.<br />
Im Jahr 1935 zog Pfarrer Karl Fischer auf,<br />
der eigentlich schon im Ruhestand war,<br />
als er hierher kam, aber dann doch freiwillig<br />
den Dienst bis zu seinem Tod am 15.<br />
Juni 1945 versah. An ihn werden sich<br />
noch viele der älteren <strong>Cleversulzbach</strong>er als<br />
feinen alten Mann erinnern.<br />
Danach kamen Pfarrer und eine Pfarrerin,<br />
die – wie zu allen Zeiten – den Menschen<br />
mal mehr, mal weniger geben konnten:<br />
Otto Wüst (1946 –1949); Herrmann Grawunder<br />
(1950 –1956); Helmut Schmid<br />
(1957–1971); Hermann Pape (1971–1978);<br />
zwischenzeitliche Versorgung von<br />
Brettach (Pfarrer Podratz und Schaller)<br />
und Neuenstadt (Dekan Schubert); dann<br />
die erste Pfarrerin: Christa Lange (1983–<br />
1992); gefolgt von Ulrich Müller (1993–<br />
1999). Seit 1999 ist Pfarrer Ulrich Weber<br />
im Dienst. Mit ihm kam es zu einer ersten<br />
Auswirkung des Pfarrplans – der Anpassung<br />
oder auch Kürzung von Pfarrstellen<br />
auf lange Sicht – er versorgt <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nicht als alleinige Pfarrstelle, wie alle<br />
anderen Pfarrer vor ihm, sondern er versorgt<br />
mit Bürg noch eine zweite, selbstständige<br />
Kirchengemeinde.<br />
Die Kirchengemeinde ist zwar klein, aber<br />
es gab und gibt vielfältige Tätigkeiten. So<br />
seien in Erinnerung gerufen: der Frauenkreis,<br />
Bastelkreis, der Singkreis, Adventsbazare,<br />
Kinderkirchfeste mit Musicalaufführungen<br />
und vieles andere, was in den<br />
Erinnerungen der <strong>Cleversulzbach</strong>er zu fi nden<br />
ist.<br />
Aktuell im Jahr 2012 gibt es neben dem<br />
sonntäglichen Gottesdienst für die „Großen“,<br />
den sonntäglichen Kindergottesdienst<br />
für die Kinder von 5 bis 12 Jahren.<br />
Für die ganz Kleinen und ihre Eltern gibt<br />
es mehrmals im Jahr den „Gottesdienst für<br />
kleine Leute“. Die ganz Kleinen treff en sich<br />
im wöchentlichen Mini-Club. Für die<br />
Jungs von 9 bis 13 Jahren ist die wöchentliche<br />
Jungschar da, die älteren Jungs ab<br />
der Konfi rmation können sich in der zweiwöchentlichen<br />
Jungenschaft treff en. Außerdem<br />
gibt es jährlich in den Herbstferien<br />
die Kinder-Bibel-Tage für alle Kinder<br />
von 5 bis 12 Jahren. Die Frauen treff en<br />
sich zum Frauenfrühstück und thematischen<br />
Abendterminen, die übers Jahr verteilt<br />
sind. Der monatliche Senioren-Nachmittag<br />
ist ein beliebter Treff punkt am<br />
Nachmittag. Der Beerdigungschor verleiht<br />
den Beerdigungen einen feierlichen Rahmen,<br />
der 2010 neu gegründete Kirchenchor<br />
„Wie im Himmel“ setzt musikalische<br />
293
294<br />
Akzente in verschiedenen Gottesdiensten.<br />
Die zweiwöchentliche Bibelstunde der<br />
APIS (Evangelischer Gemeinschaftsverband<br />
Württemberg) rundet das Angebot<br />
der Kirchengemeinde ab. Das Gemeindefest,<br />
das seit 1999 im Pfarrgarten gefeiert<br />
wird, ist ein Treff punkt der ganzen Gemeinde.<br />
Im Jahreslauf nimmt die Konfi rmation einen<br />
wichtigen Platz ein. War sie früher immer<br />
vier Wochen vor Ostern, so wird sie ab<br />
dem Jahr 2011 nach Ostern gefeiert, und<br />
der früher gewohnte Vor- und Konfi rmandenunterricht<br />
wurde umgewandelt in nur<br />
noch einen einjährigen Konfi rmandenunterricht.<br />
Auch heute noch setzt man sich<br />
mit den Grundaussagen des Glaubens auseinander,<br />
wenngleich methodisch in ganz<br />
anderer Weise als in den vorhergehenden<br />
Generationen, die ja zum Großteil den Katechismus<br />
auswendig gelernt haben.<br />
Erntedank ist ein weiteres wichtiges Fest<br />
im Jahreslauf, aber dadurch, dass es immer<br />
weniger Bauern gibt, geht das Bewusstsein<br />
für diesen Tag und auch die Erntedankgaben<br />
für den Kirchenschmuck zurück.<br />
Trotzdem ist es wichtig, sich bewusst<br />
zu machen, dass das Ernten, trotz des Vielen,<br />
das wir Menschen dazutun können, im<br />
Letzten ein Geschenk Gottes ist und mit<br />
seinem Segen zusammenhängt.<br />
Das Fest, das auch heute noch die Kirche<br />
füllt, ist Weihnachten. Viele, die unterm<br />
Jahr nicht den Weg in die Kirche fi nden,<br />
gehen gerne in diesen Gottesdienst, gehört<br />
doch der Gottesdienst an Heiligabend<br />
für viele wie selbstverständlich dazu.<br />
Lange Zeit hat das Krippenspiel im Familiengottesdienst<br />
am Abend des Vierten Advents<br />
wie selbstverständlich zum Weihnachtskreis<br />
dazugehört. Seit dem Jahr<br />
2009, nachdem das Proben für das Krippenspiel<br />
einen so großen Raum eingenommen<br />
hat und die Zahl der Mitspieler<br />
sehr schwankend war, hat die Kinderkirche<br />
etwas Neues ausprobiert: die Wald-<br />
Die Kirche St. Jost in den 1950er Jahren<br />
weihnacht. Diese Art im Wald zu feiern<br />
gewinnt immer mehr an Zuspruch.<br />
Der letzte Pfarrer in der Aufzählung weiter<br />
oben hat diesen Artikel geschrieben<br />
unter Berücksichtigung von schon zuvor<br />
Niedergeschriebenem vom geschichtlich<br />
sehr versierten, leider schon verstorbenen<br />
Rektor i.R. Helmut Braun. Der jetzige Pfarrer<br />
ist vielleicht der letzte – zumindest im<br />
Pfarrhaus in <strong>Cleversulzbach</strong> wohnende<br />
Pfarrer des Ortes – denn Kürzungen bei<br />
der Zahl der Dekanatspfarrer könnten<br />
dazu führen, dass, wenn nicht gleich, so<br />
doch in den nächsten Jahren, <strong>Cleversulzbach</strong><br />
von außerhalb versorgt werden<br />
müsste. Selbst das würde das Schiff , das<br />
sich Gemeinde nennt, nicht zum Kentern<br />
bringen, wenn die Gemeinde aufschaut<br />
auf Jesus, den Anfänger und Vollender des<br />
Glaubens! Und wenn für viele aus der nur<br />
nominellen Zugehörigkeit eine persönliche<br />
Zugehörigkeit zur Kirchengemeinde wird
Die Kirche St. Jost 2011<br />
– wenn aus der Kirchengemeinde (zu der<br />
ja zwei Drittel der Einwohner gehören)<br />
meine Kirchengemeinde wird – an deren<br />
Veranstaltungen man teilnimmt und sich<br />
selbst auch einbringt.<br />
Es folgt eine Beschreibung der Orte und<br />
Gebäude, die für die Kirchengemeinde besonders<br />
wichtig sind:<br />
Die Kirche St. Jost<br />
In der Oberamtsbeschreibung Neckarsulm<br />
aus dem Jahr 1881 wird die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Kirche als „klein und unansehnlich“<br />
beschrieben. Das mag damals auch so gewesen<br />
sein, zum Glück haben sich die Zeiten<br />
geändert!<br />
Die Kirche ist – allerdings erst seit dem<br />
Abbruch der Kelter – das älteste Gebäude<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>s. Weiter oben ist die Baugeschichte<br />
beschrieben, hier auf dem Plan<br />
kann man die verschiedenen Bauphasen<br />
ablesen:<br />
Die Bauphasen der Kirche St. Jost<br />
Die Innenrenovierung zur Jubiläumsfeier<br />
1992, die der Kirche ihren freundlichen<br />
Charakter gegeben hat, war die letzte Renovierung.<br />
Nun, nach 20 Jahren (Wände)<br />
bzw. 52 Jahren (Heizung, Beleuchtung), ist<br />
die nächste Innenrenovierung schon absehbar<br />
…<br />
An Besonderheiten in und von der Kirche<br />
sind zu nennen:<br />
Der Name<br />
Einen seltenen und eher ungewöhnlichen<br />
Namen trägt unsere St.-Jost-Kirche! Jost<br />
oder auch genannt Jodok, Jodokus, Jobst<br />
oder Josse. Um 600 wurde er als Spross eines<br />
nordwestfranzösischen keltischen<br />
Fürstengeschlechts geboren, entsagte aber<br />
um 640 dem Thron und wurde ab 665<br />
Einsiedler. Er lebte am Ort der später nach<br />
295
296<br />
ihm benannten Benediktinerabtei St.<br />
Josse-sur-Mer bei Montreuil (Pas-de-Calais).<br />
Er starb um das Jahr 669. Früh wurde<br />
er heiliggesprochen. Seine Verehrung breitete<br />
sich auch in den deutschen Raum aus<br />
(z. B. Kloster Prüm und Landshut). Es ist<br />
davon auszugehen, dass der Vorgängerbau<br />
unserer Kirche, die Kapelle, wohl schon<br />
diesem Heiligen geweiht war und man<br />
den Namen übernahm. Sonst hätte man<br />
wohl nicht gerade den Namen eines katholischen<br />
Heiligen gewählt.<br />
Die Glocken<br />
Von den im Turm hängenden drei Glocken<br />
ist nur eine richtig alt: es ist die kleinste<br />
(mit dem roten Klöppel) – sie ist aus dem<br />
Jahr 1700 und von dem bekannten Glockengießer<br />
Johann Georg Rohr aus Heilbronn<br />
gegossen. Der Spruch, der auf ihr<br />
geschrieben ist, lautet: „Joh. Georg Rohr<br />
zu Heilbronn goß mich, nacher <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gehor ich“.<br />
Die beiden andern Glocken – die „Mörikeglocke<br />
und die Schillerglocke“ (an Eduard<br />
Mörike und Schillers Mutter erinnernd)<br />
sind aus dem Jahr 1951 und die Firma Bachert<br />
aus Bad Friedrichshall hat sie gegos-<br />
Der Glockenstuhl mit den drei Glocken; links<br />
die älteste aus dem Jahre 1700<br />
sen. Sie haben die im Zweiten Weltkrieg<br />
heruntergeholten und eingeschmolzenen<br />
Glocken ersetzt, diese wiederum waren<br />
nach dem Ersten Weltkrieg neu gegossen<br />
worden, da auch damals zwei Glocken für<br />
Kriegszwecke eingeschmolzen worden waren.<br />
Schlecht sind die Zeiten, wenn die<br />
Glocken ihre eigentliche Aufgabe nicht<br />
mehr erfüllen dürfen! Der Glockenstuhl<br />
aus Stahl und die elektrische Läuteanlage<br />
sind aus dem Jahr 1965. Heute würde man<br />
wieder einen Glockenstuhl aus Holz wählen,<br />
aber damals war das ganz modern …<br />
oben: Die Orgel von 1789<br />
Die Orgel<br />
Die Orgel ist 1789 erbaut und aufgestellt<br />
worden. 1888 wurde sie von Orgelbauer<br />
Schäfer aus Heilbronn renoviert und der<br />
fand – laut Pfarrbericht von 1905 – im Innern<br />
der Kirche einen Zettel des Erbauers.<br />
Darauf stand: „Dieses Orgelwerk wurde<br />
ganz neu verfertigt von Georg Ludwig<br />
Mezler, Bürger und Orgelmacher zu Comburg<br />
zu Gottes Ehr und Verherrlichung<br />
des Gottesdienstes. Anno Domini 1789 im<br />
Mai vollendet.“ Der Orgelbauer G. L. Mezler<br />
ist bekannt für seine hochwertigen Orgeln,<br />
so ist z. B. die Orgel in Bürg vom<br />
gleichen Orgelmacher (allerdings aus dem<br />
Jahr 1797). Sie hat noch den originalen<br />
schönen Orgelprospekt und – ungewöhn-
links: Jesus der Erlöser, Mitte: Apostel Petrus, rechts: Apostel Paulus<br />
lich für eine kleine Dorfkirche – der berühmte<br />
Albert Schweitzer hat öfters auf<br />
ihr gespielt, wenn er zu Besuch in<br />
Deutschland war.<br />
Die drei Gemälde<br />
Diese in eher einfacher bäuerlicher Malerei<br />
gemalten Bilder stellen Jesus, den Erlöser<br />
der Welt (mit dem Kelch), und die<br />
Apostel Petrus (mit dem Schlüssel) und<br />
Paulus (mit dem Schwert des Geistes) dar.<br />
Sie stammen aus dem Jahr 1836 und wurden<br />
wohl in der Zeit Mörikes in der Kirche<br />
aufgehängt.<br />
Der Taufstein<br />
Er ist kunstvoll gestaltet und stammt aus<br />
dem Jahr 1701. Oben ist die Zahl 1735<br />
rechts: Der Taufstein mit den Kerzen der<br />
Konfi rmanden<br />
297
298<br />
oben: Detailansicht vom Taufstein<br />
unten: Die im Taufstein eingeritzte Jahreszahl<br />
1735<br />
eingeritzt, wobei genauere Informationen<br />
zu dieser Jahreszahl fehlen.<br />
Der Kruzifi xus<br />
Diese Christusfi gur ist das Älteste, was wir<br />
in unserer Kirche haben – noch älter als<br />
der Turm – sie entstammt der Zeit der<br />
Spätromanik. Ohne, dass es genauere Untersuchungen<br />
gab, kann man diese Figur<br />
des Gekreuzigten wohl um 1400 datieren.<br />
Woher genau der Korpus stammt und wie<br />
oben: Kopf des Gekreuzigten<br />
unten: Der gekreuzigte Christus<br />
er nach <strong>Cleversulzbach</strong> gekommen ist –<br />
das lässt sich wohl nicht mehr genau klären.<br />
Bei der Renovierung 1961 heißt es in<br />
den Akten: „… ferner den Aufwand für die
Die 2010 eingerichtete Gebetsecke<br />
Renovierung eines auf dem Dachboden<br />
des Pfarrhauses aufgefundenen spätgotischen<br />
Kruzifi xus der in der Kirche aufgestellt<br />
werden soll…“ Aber wie kam er auf<br />
den Dachboden und woher ist er? Wird<br />
man es jemals klären können?<br />
Die Gebetsecke<br />
Sie wurde 2010 eingerichtet und besteht<br />
aus den jahrelang achtlos im Pfarrhauskeller<br />
herumliegenden Teilen des alten Altars,<br />
der vor dem jetzigen in der Kirche<br />
stand und von dem auch das eiserne<br />
Kreuz stammt, das beim Treppenaufgang<br />
an der Kirchenaußenwand zum 400-jährigen<br />
Jubiläum angebracht wurde. Gereinigt<br />
und mit einer Sandschale versehen,<br />
lädt die Gebetsecke jetzt ein, eine Kerze<br />
anzuzünden, still werden und zu beten.<br />
Der Turmhahn<br />
Weltberühmt wurde der alte <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Turmhahn durch das Mörikegedicht<br />
„Der alte Turmhahn“ aus dem Jahr 1852.<br />
Bei der Kirchturmrenovierung 1840 vom<br />
Turm herabgeholt und von Mörike auch<br />
gleich in einem ersten Gedichtentwurf be-<br />
Der originale Turmhahn …<br />
… und sein neuzeitlicher Kollege<br />
schrieben, hat er Mörike sein Leben lang<br />
begleitet. Heute ist das Original im Deutschen<br />
Literaturarchiv in Marbach, eine Kopie<br />
befi ndet sich im Museum hier vor Ort.<br />
Heute kann man sagen, dass die Clever-<br />
299
300<br />
Der Friedhofseingang mit der Hinweistafel auf die „Dichtermütter“<br />
sulzbacher eine zwar kleine, aber schmucke<br />
Kirche haben – die zudem noch täglich<br />
geöff net ist!<br />
Der Friedhof<br />
1634 aufgrund der vielen Kriegs- und Pesttoten<br />
dieses Jahres angelegt, 1764 ganz<br />
mit einer Mauer umgeben (siehe Jahreszahl<br />
auf dem Eingangstor). Dort standen –<br />
heute nicht mehr sichtbar, aber durch eine<br />
Notiz von Pfarrer Grawunder erhalten –<br />
Gedichtzeilen des schlesischen Dichters<br />
Benjamin Schmolck:<br />
Sterblicher du gehst vorbei,<br />
wo man mich hat hingelegt!<br />
Schaue hier dein Konterfei,<br />
wenn man dich zu Grabe trägt.<br />
Meine Gruft ist dein Prophet,<br />
dass es dir wie mir ergeht.<br />
1964 wurde der Friedhof erweitert, auch<br />
wurde eine Leichenhalle gebaut. 2011<br />
wurde er mit neuen Wegen versehen. Weltbekannt<br />
ist er durch eine einmalige Sache<br />
– die Dichtermüttergräber. Die nebeneinanderliegenden<br />
Gräber der Mütter von<br />
Friedrich Schiller und von Eduard Mörike,<br />
von Elisabetha Dorothea Schiller und Charlotte<br />
Mörike. Weil beide hier verstorben<br />
sind (1802 und 1841), kam diese überaus<br />
ungewöhnliche Grab-Nachbarschaft zustande.<br />
Erwähnenswert ist auch noch ein<br />
besonderer Grabstein, der jetzt außen an<br />
der Leichenhalle aufgestellt wurde, der für<br />
die drei Schuler-Brüder ist, die alle im Ersten<br />
Weltkrieg gefallen sind. Dargestellt ist,<br />
wie die beiden Brüder Wilhelm und Daniel<br />
ihren Bruder Gustav bestatten.<br />
Das Pfarrhaus und der Pfarrgarten<br />
1755 ist als Datum über der Tür zum Garten<br />
des wohl schönsten und auff älligsten<br />
der alten <strong>Cleversulzbach</strong>er Häuser eingemeißelt.
links: Historische Ansicht des Pfarrhauses aus der Zeit Mörikes, rechts: Das Pfarrhaus heute<br />
Zu diesem Zeitpunkt war der Bau wohl<br />
fertiggestellt. Der Vorgängerbau – der ja<br />
nötig war zur Aufrichtung einer selbstständigen<br />
Pfarrstelle – ist im Jahr 1592<br />
durch herzogliches Spendengeld gekauft<br />
worden um 600 Gulden. Auch der Pfarrgarten<br />
wurde im selben Jahr erworben, so<br />
dass der neue Pfarrer eine standesgemäße<br />
Unterkunft bekam. Dieser Vorgängerbau<br />
war vermutlich abgerissen worden und<br />
das neue Pfarrhaus wurde an die Stelle<br />
des alten gesetzt. Äußerlich ist es dem<br />
Umfang nach auch heute noch das gleiche,<br />
wenn sich auch im Innern vieles verändert<br />
hat, wenn auch mancher Winkel<br />
noch so ist, wie Eduard Mörike ihn schon<br />
sah.<br />
Um die Erbauungszeit herum wurde sehr<br />
viel, gerade auch in Pfarrhäuser investiert.<br />
Die Pfarrhäuser in Brettach 1740, Neuenstadt<br />
1747, <strong>Cleversulzbach</strong> 1755, Lampoldshausen<br />
1758, Gochsen 1772 stammen<br />
alle aus derselben Zeitspanne. Heute<br />
sind sie natürlich nicht mehr kalt, sondern<br />
es ist schön dort zu wohnen. Etwas Besonderes<br />
beim hiesigen Pfarrhaus ist der<br />
direkte ebenerdige Zugang zum Garten<br />
vom Wohnstock aus. Der große Garten<br />
mit seinen 14 Ar liegt ganz in der Tradi-<br />
links: Zeichnung Mörikes mit einem Detail<br />
eines Fensters im Pfarrhaus<br />
rechts: Heutige Ansicht desselben Fensters<br />
tion der württembergischen Pfarrgärten,<br />
die damals auch durch einen großen<br />
Nutzgarten zum Lebensunterhalt der<br />
Pfarrfamilien beitrugen. In der Grundfl äche<br />
ist er bis heute erhalten geblieben. Etwas<br />
Besonderes war die so genannte<br />
Mörikebuche, eine Hainbuche (nicht die,<br />
die jetzt im Pfarrgarten steht, sie ist ein<br />
Sämling der Mörikebuche), denn Eduard<br />
Mörike hatte sich dort oft im Schatten<br />
aufgehalten und mit eigener Hand Dichternamen<br />
eingeschnitzt. Am 12. Juli 1956<br />
wurde sie zum Naturdenkmal erklärt. Sie<br />
301
302<br />
musste im Jahr 1991 gefällt werden, da sie<br />
nicht mehr austrieb.<br />
Das Gemeindehaus<br />
Ein langer Weg lag hinter der Kirchengemeinde<br />
von den ersten Gedanken bis zum<br />
endgültigen Einzug im Oktober 2008!<br />
Aber der Reihe nach. Als das alte Gebäude,<br />
die so genannte Salm'sche Schmiede, die<br />
auf dem Grundstück stand, auf dem jetzt<br />
das Gemeindehaus steht, von der Stadt<br />
gekauft wurde, ergab sich die Frage, ob<br />
nicht die Kirchengemeinde das Grundstück<br />
kaufen will, um an dieser Stelle ein<br />
Blick auf das 2008 vollendete evangelische<br />
Gemeindehaus vom Kirchturm aus<br />
Gemeindehaus zu bauen. Das war natürlich<br />
eine einmalige Chance, und der damalige<br />
Kirchengemeinderat hat sich dafür<br />
ausgesprochen, alles in seinen Möglichkeiten<br />
Stehende zu tun, damit dieses Projekt<br />
verwirklicht werden konnte. Der Blick auf<br />
die Finanzen war eher ernüchternd, da die<br />
Kirchengemeinde nicht eben im Geld<br />
schwamm (Innenrenovierung zum 400jährigen<br />
Jubiläum 1992). Es galt noch im-<br />
Der Schlussstein mit der Jahreszahl 1755<br />
über der zum Pfarrgarten gelegenen Tür<br />
mer von der Kirchengemeinde, was Pfarrer<br />
Schmidt 1964 an den Kreistag in einem<br />
Bittbrief um einen Zuschuss zur Orgelrenovierung<br />
einmal so ausdrückte: eine „fi -<br />
nanzschwache Gemeinde“ sei <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
die für eine entsprechende Hilfe<br />
sehr dankbar wäre. So wurde beschlossen,<br />
eine Gemeindeversammlung durchzuführen,<br />
um über die sich eröff nenden Möglichkeiten<br />
zu informieren. Auf die positive<br />
Resonanz der versammelten Gemeindeglieder<br />
hin wurde beschlossen, einen Brief<br />
an jeden Haushalt zu verfassen, zur Information<br />
und mit einem Einleger versehen,<br />
auf dem jeder verbindlich festlegen<br />
konnte, ob und wie viel er spenden würde,<br />
wenn es zum Gemeindehausbau käme.<br />
Vom Rücklauf dieser Aktion machte der<br />
Kirchengemeinderat die Entscheidung abhängig,<br />
ob es zu weiteren Schritten kommen<br />
würde. Käme nur wenig zusammen,<br />
so würde man keine weiteren Schritte unternehmen.<br />
Käme indes viel zusammen,<br />
dann sollte das Projekt in Angriff genommen<br />
werden. Die Spannung stieg – und<br />
dann zum festgelegten Termin – die Überraschung!<br />
Knapp 100.000 DM wurden verbindlich<br />
zugesagt – das war für den Kirchengemeinderat<br />
das deutliche und untrügliche<br />
Signal, alles in die Wege zu leiten<br />
und zu tun, dass ein Gemeindehaus<br />
gebaut würde. Dies war der Auftakt zu<br />
vielerlei Aktionen, wie z. B. Flohmärkten,<br />
Baby-Bazaren, Bücherfl ohmärkten, Festen<br />
(erwähnt sei hier nur das große Fest im
Jahr 2003, bei dem alle Vereine mitgeholfen<br />
haben und der gesamte Erlös in das<br />
Bauvorhaben Gemeindehaus fl oss) und<br />
vielen anderen „Geldbeschaff ungsmaßnahmen“<br />
wie z. B. Filmabende, Kleingeldsammlung,<br />
… Viele haben Herz und Geldbeutel<br />
geöff net und gespendet, so dass es<br />
der Kirchengemeinde gelang, die Gesamtkosten<br />
von rund 450.000 Euro zu schultern<br />
(bei einem Eigenanteil von 225.000<br />
Luftbild des Ensembles<br />
aus Kirche,<br />
Schule und<br />
Salm'scher Schmiede,<br />
dem Vorgängerbau<br />
des evangelischen<br />
Gemeindehauses<br />
(Foto um 1985)<br />
Euro). Und man höre und staune – um<br />
schon kurz nach Abschluss der Bauarbeiten<br />
schuldenfrei dazustehen! Heute ist das<br />
durch den Neuenstädter Architekten Alexander<br />
Rüdele geplante Gemeindehaus aus<br />
dem Ortsbild und vor allem aus dem Gemeindeleben<br />
nicht mehr wegzudenken!<br />
Gott sei Dank – im wahrsten Sinne des<br />
Wortes – und auch allen, die auf irgendeine<br />
Art mitgeholfen haben!!<br />
303
304<br />
Die katholischen Christen in <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />
ökumenisches Leben<br />
Wie üblich in Orten, vor allem in sehr kleinen,<br />
die von einer Konfession geprägt<br />
wurden, gab es oftmals einige wenige Einwohner,<br />
die der „anderen“ der beiden vorherrschenden<br />
Konfessionen – katholisch,<br />
evangelisch – angehörten.<br />
Nahezu geschlossen dem evangelischen<br />
Bekenntnis zugehörig waren z. B. <strong>Cleversulzbach</strong><br />
und Neuenstadt am Kocher, wohingegen<br />
Kochertürn und Stein nahezu<br />
homogen katholisch waren, in Bürg allerdings<br />
die konfessionelle Zusammensetzung<br />
schon etwas mehr durchsetzt war.<br />
Für das Jahr 1827 ist in einem Pfarrbericht<br />
festgehalten, dass zwei katholische<br />
Christen in <strong>Cleversulzbach</strong> wohnten (bei<br />
597 Einwohnern), um 1905 (bei 548 Einwohnern)<br />
waren es ebenfalls zwei. Sie<br />
wurden von Dahenfeld aus betreut, das in<br />
seiner Tradition als Deutsch-Ordens-Gemeinde<br />
fast in seiner Gesamtheit dem katholischen<br />
Bekenntnis angehörte.<br />
Die nicht nur in Württemberg bestehende<br />
konfessionelle „Einteilung“ der zumindest<br />
kleineren, vorwiegend bäuerlich strukturierten<br />
Orte wurde verändert durch die<br />
Folgen des Zweiten Weltkrieges. Zunächst<br />
kamen Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter<br />
und Ausgebombte, schließlich mussten<br />
Millionen Menschen aus ihrer Heimat in<br />
den Ostgebieten fl iehen, und bei Kriegsende<br />
eritten viele das Schicksal, aus ihrer<br />
Heimat vertrieben zu werden. Mit ihnen<br />
veränderte sich – mal mehr, mal weniger<br />
–, die konfessionelle Zusammensetzung<br />
eines Ortes.<br />
In der ersten Zeit nach Kriegsende<br />
herrschte ein Kommen und Gehen. Die<br />
Suche nach Arbeit und die Möglichkeiten<br />
zum Verbleib beeinfl ussten das Ausmaß<br />
von Zu- und Abwanderung. Für <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
einer landwirtschaftlich orien-<br />
tierten Gemeinde mit damals nur wenigen<br />
Gewerbebetrieben, bezeugt eine statistische<br />
Momentaufnahme zum 6. Juni 1961<br />
zur Bevölkerungszusammensetzung und<br />
zu den Konfessionen: 505 Einwohner, davon<br />
13,5 Prozent Flüchtlinge und Heimatvertriebene;<br />
insgesamt 463 evangelisch<br />
und 26 katholisch Gläubige. Im Vergleich<br />
zum 17. Mai 1939: 441 Einwohner, 433<br />
evangelisch und 3 katholisch.<br />
Damals, während und nach dem Krieg,<br />
konnte keine Rücksicht mehr auf eine irgendwie<br />
konfessionelle Prägung einer Gegend<br />
genommen werden. Das hat, auf der<br />
einen Seite – wenn die Neubürger einer<br />
anderen Konfession angehörten – zunächst<br />
nicht unbedingt zur erhöhten Akzeptanz<br />
der Flüchtlinge und Vertriebenen<br />
beigetragen, hat aber, auf der anderen<br />
Seite, das Miteinander und das Aufeinanderzuwachsen<br />
der Konfessionen ungemein<br />
gestärkt, und wirkt auch heute in unserer<br />
Zeit einer mulitkulturellen Gesellschaft.<br />
So gab es nach dem Krieg in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
eine, relativ betrachtet, deutliche Zunahme<br />
der katholischen Einwohner. Sie<br />
besuchten von 1956 bis 1968 die eigens<br />
eingerichteten Gottesdienste im Untergeschoss<br />
des Forstamtes in Neuenstadt, von<br />
Dekan Dieterich am 16. September 1956<br />
als Kapelle auf den Titel „Heiligstes Herz<br />
Jesu“ benediziert 1 , dann ab 1968 die Gottesdienste<br />
in der neu erbauten Kirche<br />
„Zum Guten Hirten“ in Neuenstadt. Offi ziell<br />
waren sie aber bis 1975 nach Dahenfeld<br />
eingepfarrt, erst dann wurden die 352 Katholiken<br />
von Brettach und <strong>Cleversulzbach</strong><br />
umgepfarrt nach Kochertürn. 1981 leben<br />
65 Katholiken in <strong>Cleversulzbach</strong>, 1998 sind<br />
es 109, im Jahr 2005 sind es 133 und im<br />
Jahr 2011 sind es 117 Personen, die der katholischen<br />
Kirche angehören.
Ökumenischer<br />
Gottesdienst<br />
anlässlich des<br />
Backhausfestes<br />
im Festzelt am<br />
5. Oktober 1986<br />
Was die Ökumene angeht, so ist das prinzipielle<br />
Verhältnis zwischen den beiden<br />
großen Kirchen ein gutes. So gibt es auf<br />
der Ebene der Gesamtgemeinde Neuenstadt<br />
im Lauf eines Jahres verschiedene<br />
ökumenische Feiern und gemeinsame<br />
Schulgottesdienste. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gab es bisher zwei ökumenische Gottesdienste<br />
anlässlich der beiden großen<br />
Dorff este 1986 und 2003. Ein weiterer<br />
wird folgen anlässlich der 750-Jahrfeier<br />
im September 2012, und hoff entlich wer-<br />
1 Vgl. die Ausführungen von Karin und Gottfried Reichert:<br />
Am Brunnen vor dem Tore. Geschichtliche und heimatkundliche<br />
Beilage zum Amtsblatt der Stadt Neuenstadt<br />
und ihrer Teilorte. Nr. 53.<br />
den noch weitere folgen, wenn auch die<br />
schiere Größe des katholischen Seelsorgebereichs<br />
dieses Unterfangen nicht erleichtern<br />
wird, da <strong>Cleversulzbach</strong> eben<br />
nur ein Ort von vielen ist in der seit dem<br />
1. Januar 2001 gebildeten katholischen<br />
Seelsorgeeinheit JaKoBuS (Neuenstadt–<br />
Kochertürn und Möckmühl) – zumal,<br />
wenn es irgendwann einmal nur noch einen<br />
katholischen Pfarrer (momentan<br />
noch zwei) für dieses riesige Gebiet geben<br />
wird …<br />
305
306<br />
Versorgung und Betreuung<br />
Die Hebammen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Informationen über die Hebammen im<br />
Dorf <strong>Cleversulzbach</strong> sind erst ab Mitte des<br />
18. Jahrhunderts vereinzelt in verschiedenen<br />
Dokumenten des Archivs zu fi nden,<br />
und in den meisten Fällen erfahren wir lediglich<br />
den Namen der betreff enden<br />
Frauen. Der Gemeinderat bestimmte, wer<br />
die Stelle der Hebamme bekommen sollte:<br />
So wurde Sabina Lumpp „nach mehreren<br />
Durchgängen gewählt”, vermerken die<br />
Beilagen zur Gemeindepfl egrechnung 1 für<br />
das Jahr 1836.<br />
Die Bezahlung für den „wohl ältesten Beruf<br />
der Welt” scheint alles andere als üppig<br />
gewesen zu sein, nicht einmal auf königliche<br />
Auff orderung (28. Oktober 1842)<br />
besserte der Gemeinderat den „Geburtslohn<br />
und das Wartgeld” auf. Lediglich den<br />
Gegenwert in „baarem Geld” für den üblichen<br />
„Leib Brod 8 Pfund”, bzw. Gemeindeholz<br />
und Reisig 2 wollte man der Hebamme<br />
zugestehen. Als Aufwandsentschädigung<br />
und für Zehrgeld konnte Magdalene Bort<br />
im Jahre 1813 immerhin 7 f 12 x – also 24<br />
Kreuzer täglich – geltend machen; sie war<br />
insgesamt 18-mal nach Neckarsulm gegangen,<br />
um beim dort niedergelassenen<br />
„Hr. Physicus und Hebarzt” eine entsprechende<br />
Ausbildung zu absolvieren.<br />
Es fällt auf, dass etwa ab 1800 im Ort jeweils<br />
zwei Hebammen ihren Dienst versahen,<br />
ein Umstand, der trotz der geringen<br />
Bevölkerungszahl wenig überrascht, war<br />
damals die Anzahl der Schwangerschaften<br />
doch wesentlich höher als das heute der<br />
Fall ist.<br />
Es wird berichtet, dass in neuerer Zeit <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Frauen auch in Neuenstadt<br />
bzw. Brettach entbinden konnten. Hierü-<br />
ber erhalten wir in einem Interview,<br />
durchgeführt von Schülern der Grundschule<br />
Langenbrettach, genauere Auskunft:<br />
Die langjährige Brettacher Hebamme<br />
Lore Ehmann hatte in ihrer Privatwohnung<br />
in der Hauptstraße 23 von<br />
„1948 bis 1970 zwei Zimmer für die<br />
Wöchnerinnen. Hier konnten die Frauen<br />
ihr Kind zur Welt bringen und wurden bei<br />
mir noch etwa eine Woche versorgt.”<br />
Der Geburtsstuhl<br />
Dass die meisten Geburten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
von alters her Hausgeburten waren,<br />
Geburtsstuhl aus dem 19. Jahrhundert,<br />
ähn lich dem von Doktor Göring in Auftrag<br />
gegebenen Stuhl
liegt auf der Hand. Das nächstgelegene<br />
Krankenhaus befand sich in Neuenstadt<br />
und die Wöchnerinnen-Station in Brettach<br />
– wie oben erwähnt – war eher eine Privatinitiative<br />
der Hebamme L. Ehmann in<br />
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />
So ist es kaum verwunderlich, dass schon<br />
1833 in den Akten auf einen so genannten<br />
„Geburts-Stuhl“ verwiesen wird, eine<br />
Einzelanfertigung aus Kirschbaumholz<br />
und zerlegbar, also transportabel. Es handelte<br />
sich um eine Investition, die mit einem<br />
Gesamtvolumen von fast 30 Gulden<br />
ein gewaltiges Loch in den Gemeindesäckel<br />
gerissen haben dürfte. Schreinermeister<br />
Schweitzer von Neuenstadt machte<br />
der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> für den von<br />
„Herrn Docktor Göring“ in Auftrag gegebenen<br />
Geburtsstuhl folgende Rechnung<br />
auf:<br />
Schlosser Arbeit<br />
u. a. starkes Scharnirband, 2 starke Blatten nebst Stahls mit<br />
Schrauben, Gewinde, Handgri ; 4 Blatten zu den Fustritt<br />
[und diverse Kleinteile] 8 f 30 x<br />
Schreiner Arbeit<br />
GeburtsStuhl aus Kirschbaumholz, ganz zum zusammen<br />
legen gericht 10 f 30 x<br />
19 f<br />
Neuenstadt 20 t Dec. 1833<br />
Für den letzten Schliff (Polsterarbeiten<br />
usw.) sorgte F. Ellsässer aus Neuenstadt,<br />
der für seine Bemühungen fast 11 Gulden<br />
Rechnung von Friedrich Ellsässer<br />
Sattler und Tapizier<br />
für Wohlloebliche Gemeinde Pfl ege in Cl.Sulzbach<br />
18. Dec. 1833<br />
in Rechnung stellte und den Empfang<br />
„mit höfl ichstem Dank“ quittierte.<br />
Einen Geburts Stuhl ganz neu beschlagen<br />
wozu ich gegeben habe, Leder 2 f 36 x<br />
wergene Leinwand 44 x<br />
Gurten 16 x<br />
gelbe Naegel 40 x<br />
Sattler- und Cardetschennägel 30 x<br />
2 Pfund Roßhaare à 48 x 1 f 36 x<br />
dieselben zu zopfen 4 x<br />
4 Pfund Rehhaare 40 x<br />
Arbeits-Verdienst 3 f 48 x<br />
Summa 10 f 54 x<br />
307
308<br />
Rechnung von Friedrich Ellsässer für Polsterarbeiten am neuen Geburtsstuhl<br />
Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Hebammen<br />
Eine lückenlose Übersicht über die Hebammen<br />
im Ort und ihre Dienstzeiten ist<br />
nicht möglich – zu bruchstückhaft sind<br />
die entsprechenden Angaben in den Gemeinderatsprotokollen.<br />
Auch die so ge-<br />
nannten „Aemterersetzungen” geben nur<br />
unvollständig Auskunft.<br />
Die folgende Aufl istung nennt die zuständigen<br />
Hebammen bis einschließlich Lore<br />
Ehmann, die in ihrer Brettacher Wohnung<br />
Wöchnerinnenzimmer unterhielt.
Zeitraum Name<br />
1742 Agnes Lümmelmajorin;<br />
Fr. Simon Schlegel Wittib3 1749 Peter Lumpp Balthasen<br />
Sohnes Frau4 1756 Andreas Borthen Frau5 um 1780 Auen Wittib 6 die Witwe des Au stirbt im April 1800<br />
1800 Christian Niethen Ehefrau 7<br />
1815 Barbara, Michael Märzen<br />
Wittib; Christian Borten<br />
Weib 8<br />
„waren es schon vorher“<br />
Barbara März stirbt Ende 1831 9<br />
1836 Sabina Lumpp 10 nach mehreren Durchgängen gewählt<br />
1842 Christian Bordts Wittwe;<br />
Sabine Siegle11 1875 Henriette Seeber<br />
Caroline Lumpp12 Georg Siegles Wittwe; wg. hohen Alters<br />
entlassen 15. Juni 1878<br />
eingewiesen 21. Juni 1875<br />
*1845 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Hebamme seit 1879, Rentengesuch 31. Okt. 13<br />
1910)<br />
1909 Karoline Dietrich14 nach 23 Jahren Dienstzeit ausgewandert;<br />
lt. vorhandenen Unterlagen15 nach 25-jähriger<br />
Tätigkeit und 4-jähriger Krankheit am 19.<br />
Sept. 1935 gestorben<br />
1927 Marie Simpfendörfer16 von Brettach; Dienstvertrag 7. März 1927<br />
vor 1935 Pauline Eckle17 Zuständigkeitsbereich Neuenstadt, Bürg,<br />
Kochertürn, <strong>Cleversulzbach</strong>;<br />
teilt sich das Wartgeld in Höhe von 60 DM<br />
ab 1955 mit Marie Ehmann<br />
vor 1935 Marie Ehmann18 von Brettach; erhält Lohn für Einsätze in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
1958 Lore Ehmann19 *1932 in Brettach; Einrichtung von Wöchnerinnenzimmern<br />
im Privathaus in Brettach<br />
1 CR 281<br />
2 CB 18<br />
3 Visitation Pastor Landerer<br />
4 CB 10<br />
5 CB 10<br />
6 CB 11 S. 4<br />
7 CB 11 S. 4<br />
8 CB 13<br />
9 CB 1 S. 206<br />
10 CR 281<br />
11 CB 12 S. 114<br />
12 CB 150 Nr. 271<br />
13 CA 682<br />
14 CR 424 Nr.149, CA 682<br />
15 CB 36 S. 306<br />
16 CA 682<br />
17 CA 682, CR 272<br />
18 CR 182 S. 643<br />
19 CA 682<br />
309
310<br />
Das Schicksal des <strong>Cleversulzbach</strong>er Knaben<br />
Christian Gottlieb Bordt<br />
Im Jahre 1865 wird Christian Gottlieb Bordt<br />
als unehelicher Sohn des Maurers Christian<br />
Tobias Bordt und der Christiane Regine Ott<br />
geboren und wächst bei der Mutter auf. Als<br />
er acht Jahre alt ist, heiratet diese den<br />
Schneider Hamann, welcher den Jungen unter<br />
der Bedingung behalten will, dass Bordt<br />
wie bisher Kostgeld bezahle. Da sich der Vater<br />
nun weigert, übergibt man das Kind dem<br />
Großvater Filipp Bordt, der seinerseits am<br />
Rande des Existenzminimums lebt. Erst als<br />
sich Vater Bordt mit Maria Margarethe Fenter<br />
verheiratet, nimmt er seinen Sohn zu sich, allerdings<br />
ohne seiner Frau etwas von dessen<br />
Existenz gesagt zu haben. Es kommt zum Eklat,<br />
und der Knabe wird, da von Natur aus<br />
recht störrisch, erneut zum mittellosen Großvater<br />
abgeschoben. Ein Antrag auf Einweisung<br />
ins Waisenhaus war erfolglos geblieben,<br />
nun drängt die Zeit, und so fi ndet man einen<br />
Platz in der Rettungsanstalt Lichtenstern –<br />
allerdings gegen ein jährliches Kostgeld von<br />
50 bis 40 Gulden, das Bordt und Hamann je<br />
zur Hälfte tragen sollen. Hamann lehnt ab,<br />
wäre aber bereit, den Knaben um 20 Gulden<br />
in sein Haus aufzunehmen.<br />
Nun wendet sich die Gemeinde an den Bezirkswohltätigkeitsverein<br />
mit der Bitte um<br />
Beteiligung an den Kosten für Lichtenstern. 1<br />
Fünf Wochen später fragt das Oberamt Neuenstadt<br />
an, inwiefern sich die Gemeinde an<br />
den ausstehenden 30 Gulden beteiligen<br />
werde. Pfarrer Meyding und Schultheiß<br />
Lumpp machen glaubhaft, dass die Gemeinde<br />
in Armenangelegenheiten an den restirenden<br />
30 fl 10 bezahle, so daß noch 20 fl jährlich zu<br />
bestreiten wären; diese sollen durch genannte<br />
Institution übernommen werden.<br />
Die nächste Gemeinderatssitzung erbringt<br />
folgende Rechnung:<br />
Der Bez. Wohltätigkeitsverein hat<br />
20 fl . bewilligt. – die Gemeinde gibt<br />
1 CB 66 S. 46 Sitzung vom 6. Juni 1873<br />
10 fl . Die Anstalt Lichtenstern will jährlich<br />
10 fl . nachlassen.<br />
40 fl . Somit bleiben noch zu leisten.<br />
10 fl . Hieran hat nach Antrag des Pfarrers<br />
Hamann 5 fl u. Bordt 5 fl . jährlich an die Gemeindecasse<br />
zu bezahlen, was beiden recht<br />
wohl zugemuthet werden kann, indem beide<br />
jung u. arbeitsfähig sind.<br />
Bordt ist abwesend, doch glaubt man – da er<br />
vorher mit 20 Gulden Beteiligung einverstanden<br />
war – ihm die 5 Gulden ohne seine ausdrückliche<br />
Einwilligung zumuten zu können;<br />
Hamann erklärt sich unterschriftlich einverstanden.<br />
Doch das Geschachere geht auf anderer<br />
Ebene weiter:<br />
Der Knabe hat mitzubringen 2 Paar<br />
Schuhe 1 doppelte Kleidung 2 Paar wollene<br />
3 Paar baumwollene Strümpfe. 4<br />
Hemden 4 Sack – 2 Halstücher Hamann<br />
versteht sich dazu alles anzuscha en –<br />
wenn Bordt ihm 5 fl gebe.<br />
Mit dem Beschluss, wenn Bordt sich hiezu<br />
nicht versteht, so hat jeder Theil die Hälfte<br />
der Montur für sich anzuscha en, endet<br />
diese unrühmliche Episode, der Knabe wird<br />
nach Lichtenstern verfrachtet und verschwindet<br />
aus dem Bewusstsein seiner Eltern<br />
und der <strong>Cleversulzbach</strong>er. Norbert Gessner
Der <strong>Cleversulzbach</strong>er Kindergarten und<br />
seine Entstehung<br />
Die Errichtung einer Kinderschule, so die<br />
frühere Bezeichnung, bzw. eines Kindergartens<br />
war schon immer eine kommunale<br />
oder kirchliche Aufgabe gewesen. Dass<br />
diese Einrichtung für die Kleinen eine immens<br />
wichtige ist und war, speziell für die<br />
frühkindliche und vorschulische Erziehung<br />
wie auch das soziale Verhalten, ist und<br />
bleibt unbestritten. Doch wie es in <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
einem Ort, dessen fi nanzielle Ausstattung<br />
nie die beste war, mit dieser dringend<br />
notwendigen Einrichtung seinen Verlauf<br />
genommen hat, soll hier, wenn auch<br />
nur in Auszügen, geschildert werden.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> fi nden sich die ersten<br />
Informationen über Beratungen betreff s<br />
einer Kleinkinderschule im Ruggerichtsprotokollbuch<br />
von 1822 bis 1879. So<br />
wurde das Thema am 21. / 22. August 1876<br />
– erneut – aufgegriff en, nämlich aufgrund<br />
einer Auff orderung des Königlichen Oberamtes<br />
Neckarsulm. Vorausgegangen war<br />
im Übrigen eine Beratung in den Kollegien<br />
vom 27. Januar 1876 - mit ablehnender<br />
Beschlussfassung.<br />
Auszug aus dem Ruggerichtsprotokoll<br />
vom 21. / 22. August 1876:<br />
Zu bedauern ist, daß die Verhandlung am<br />
27. Jan. d. J. über die Herrichtung einer<br />
Kleinkinderschule ablehnend endete u. es<br />
sollte von den Colegien diese wichtige<br />
Frage abermals in Erwägung gezogen<br />
werden.<br />
Die Errichtung einer Kleinkinderschule<br />
wurde nicht mehr in Erwägung […] da bei<br />
der Puplikation dieses Rezeses sämmtliche<br />
Mitglieder der bürgerl. Colegien erklärten,<br />
diesen Punkt vorerst abzulehnen.<br />
Die nächste Beratung über die Errichtung<br />
einer Kleinkinderschule nach Auff orderung<br />
durch das Königliche Oberamt Ne-<br />
ckarsulm fand am 6. Oktober 1885 statt.<br />
Nach den vorliegen Protokollen haben Gemeinderat<br />
und Bürgerausschuss nach eingehender<br />
Erörterung und Beratung folgende<br />
kurz gefasste Entscheidung getroff en:<br />
Von der Errichtung einer Kleinkinderschule<br />
wegen mangelnder Mittel abzusehen.<br />
Gemeinderat: Bürgerausschuß:<br />
Kuttru Obmann: Karl Lohmann<br />
Klein August Bordt<br />
Herrmann Gottlob Herrmann<br />
Nef Johann Seebold<br />
Lumpp l D. Hesser<br />
Bordt<br />
Lumpp ll<br />
Somit war die Angelegenheit mit erneuter<br />
Ablehnung fürs Erste erledigt. Es sollte<br />
aber nicht lange dauern, keine zwei Jahre<br />
später landete wieder eine Auff orderung<br />
des Königlichen Oberamtes, vom 8. Mai<br />
1888, zur Errichtung einer Kleinkinderschule<br />
u. a. mit folgendem Hinweis auf<br />
dem Ratstisch:<br />
[...] Die Erö nung einer Kleinkinderschule<br />
wozu Staatshilfe zu erwarten wäre müßte<br />
als Fortschritt anerkannt werden.<br />
Der Ortsvorsteher sah die Schaff ung der<br />
Einrichtung ebenfalls positiv und trug den<br />
bürgerlichen Kollegien am 2. Juni 1888<br />
vor:<br />
Der Ortsvorsteher beantragt die Errichtung<br />
einer Kleinkinderschule in nicht so<br />
ferner Zeit, da diese Schule auf die sittliche<br />
Grundlage der Erziehung der Kinder<br />
einen guten Einfl uß in der hiesigen Gemeinde<br />
üben würde.<br />
Von dem Collegium wird nach längerer<br />
Erörterung in Anbetracht, daß noch ein<br />
Schuldenstand von 850 Mark von der<br />
Feuerwehr herrührend erhalten ist:<br />
311
312<br />
Einstimmig beschlossen: Die Errichtung<br />
einer Kleinkinderschule abzulehnen.<br />
In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen<br />
musste immer wieder über die zu<br />
errichtende Kleinkinderschule beraten werden,<br />
und immer fanden die Kollegien einen<br />
Grund, dies wie bisher abzulehnen.<br />
Nach erneutem Drängen und Ermahnen<br />
seitens des Oberamtes in Neckarsulm<br />
musste das für die <strong>Cleversulzbach</strong>er leidige<br />
Thema Kleinkinderschule wieder verhandelt<br />
werden, und stand am 11. Juli<br />
1910 erneut auf der Tagesordnung der gemeinsamen<br />
Sitzung von Gemeinderat und<br />
Bürgerausschuss. Von Ortsvorsteher Lambert<br />
Herrmann wurde gemäß § 42 vorgetragen:<br />
Die Errichtung einer Kleinkinderschule u.<br />
die Anstellung einer Kinderschwester,<br />
welche zugleich die Kranken besuchen<br />
könnte, in die Wege zu leiten, welches bei<br />
den zahlreichen kleinen Kindern der Gemeinde,<br />
welche besonders über den Sommer<br />
aufsichtslos sich herumtreiben, als<br />
ein dringendes Bedürfnis erscheint. Die<br />
Kleinkinderschule könnte unschwer in<br />
dem schönen leerstehenden Lokal unterhalb<br />
des Rathauses untergebracht werden.<br />
Für die Errichtung der Kleinkinderschule<br />
kann bei der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins<br />
u. bei dem Bezirkswohltätigkeitsverein<br />
um einen Beitrag nachgesucht<br />
werden.<br />
Der Ortsvorsteher beantragt die Errichtung<br />
einer Kleinkinderschule, da diese<br />
Schule auf die sittliche Grundlage der Erziehung<br />
der Kinder einen guten Einfl uß in<br />
hiesiger Gemeinde übernimmt.<br />
Von den Kollegien wird nach längerer Erörterung<br />
in Anbetracht des in Aussicht<br />
stehenden Baues einer Wasserleitung,<br />
Feldbereinigung u. Einrichtung der Elektrizität<br />
einstimmig beschlossen:<br />
Die Errichtung einer Kleinkinderschule abzulehnen.<br />
Wenige Monate später, am 5. Januar 1911,<br />
erneute Verhandlung in den Bürgerlichen<br />
Kollegien, diesmal mit etwas anderen Bedingungen.<br />
Auch der Ton seitens des<br />
Königlichen Oberamtes ist ein etwas anderer.<br />
Unter § 5 der Tagesordnung fi ndet<br />
sich Folgendes:<br />
Das Kgl. Oberamt verlangt in seinem Erlaß<br />
vom 12. vorigen Monats, daß die Errichtung<br />
einer Kleinkinderschule nochmals<br />
in Erwägung gezogen werde, u. teilt<br />
mit, daß sich damit die Errichtung einer<br />
Krankenpfl egestation zweckdienlicher<br />
Weise verbinden ließe.<br />
Heute wurde in Gegenwart des Ortsgeistlichen<br />
Herrn Pfarrer Wiesner über diesen<br />
Gegenstand beraten. Es wird zur Sprache<br />
gebracht, daß in 2 bis 3 Jahren eine Diakonissin<br />
angestellt. Da sofort die Mittel<br />
nach bestehender Forderung noch nicht<br />
ausreichen, u. auch z. Z. Mangel dieser<br />
Personen hat, u. wird hiernach beschlossen:<br />
Die Errichtung einer Kleinkinderschule insolange<br />
zu verschieben, bis eine Diakonissin<br />
hier angestellt, welche dann auch die<br />
Aufsicht der Kinder zu übernehmen hätte.<br />
Nach dieser Entscheidung wurde es erneut<br />
sehr lange ruhig um die Kleinkinderschule<br />
im Ort. Wie wir heute wissen, wurden Entscheidungen,<br />
wichtige Projekte in den<br />
Kommunen voranzubringen, wesentlich<br />
durch den Beginn des Ersten Weltkrieges,<br />
der nachfolgenden Weimarer Republik mit<br />
der Infl ation sowie der Weltwirtschaftskrise<br />
beeinfl usst oder gänzlich unmöglich<br />
gemacht, so auch in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Mitte der 1930er Jahre, zur Zeit des Nationalsozialismus,<br />
musste das Thema Kindergarten<br />
auf Anweisung der NS-Volkswohlfahrt<br />
wiederum aufgegriff en werden.<br />
Der Gemeinderat sowie die Beigeordneten<br />
wurden am 29. März 1936 über die Forderung<br />
der NS-Wohlfahrt nach einem Kindergarten<br />
informiert und mussten darüber
entscheiden. Der Antrag zur Errichtung eines<br />
Erntekindergartens sollte der Gauamtsleitung<br />
spätestens am 31. des Monats<br />
vorliegen. Aus dem Antrag sollte hervorgehen,<br />
ob und wann hier ein Kindergarten<br />
errichtet werden kann.<br />
Vorgetragen, besprochen und entschieden<br />
wurde:<br />
Heute wurde über diesen Gegenstand mit<br />
den Gemeinderäten und einem Beigeordneten<br />
darüber beraten und von Pfarrer Fischer<br />
und von Bürgermeister Herrmann<br />
diese wohltätige Einrichtung empfohlen.<br />
Vom Gemeinderat wird dagegen der Kostenpunkt<br />
(wie bisher) bei der geringen Kinderzahl<br />
– es handelt sich etwa um 20 Kinder,<br />
beanstandet, weshalb die Entschließung<br />
des Bürgermeisters dahin geht:<br />
Einen Kindergarten vom 15.<br />
Juni bzw. 1. Juli bis November<br />
des Jhr. heuer versuchsweise<br />
zu errichten, wenn das Gehalt<br />
der Kindergärtnerin von der<br />
H.S.W.-Kasse bezahlt wird, da<br />
die Gemeinde nicht in der Lage<br />
ist, neben den Einrichtungskosten<br />
(Bescha ung von Stühlen<br />
usw.), sowie der Wohnung<br />
und Kost der Kindergärtnerin,<br />
noch diese Kosten zu übernehmen.<br />
Bürgermeister: Herrmann<br />
Gemeinderat: Schlegel<br />
Rüber<br />
Beigeordneter: Blank<br />
Aus dem Erntekindergarten,<br />
welchen die Kinder, und ganz<br />
besonders ihre überlasteten<br />
Mütter, dringend gebraucht<br />
hätten, wurde wieder nichts.<br />
Auch die Auff orderungen der<br />
NS-Volkswohlfahrt in den darauff<br />
olgenden Jahren, doch<br />
endlich einen Kinder- bzw. Ernte-Kindergarten<br />
einzurichten, löste zwar jeweils<br />
Diskussionen und Beratungen aus, führte<br />
aber nie zu einem konkreten Ergebnis. Erst<br />
als die Not immer größer wurde und die<br />
Frauen die anfallende Arbeit in Haus, Hof<br />
und Feld sowie die Kinderbetreuung kaum<br />
noch alleine bewältigen konnten, da die<br />
Männer zur Wehrmacht einberufen worden<br />
waren, hat 1941 mitten im Krieg auch<br />
hier im Ort ein Umdenken in Sachen Kindergarten<br />
stattgefunden. Mit Datum vom<br />
8. Mai 1941 stellt Altbürgermeister Lambert<br />
Herrmann einen Antrag an die Kreisamtsleitung<br />
der NSV in Heilbronn zur Errichtung<br />
eines Erntekindergartens für die<br />
Zeit der Sommerernte vom 1. Juli bis 1.<br />
November mit der oben aufgeführten Begründung.<br />
Weiter führt er aus, dass ein<br />
geeigneter Raum in der alten Lehrerwoh-<br />
Vertrag vom 28. März 1942 über die Einrichtung<br />
des NSV-Erntekindergartens<br />
313
314<br />
nung (die alte Lehrerwohnung war an<br />
Ludwig Seebold vermietet, ihm konnte<br />
kurzfristig Ersatzraum zur Verfügung gestellt<br />
werden), ebenso ein Spielplatz auf<br />
dem Sportplatz vorhanden seien. Er erwähnt<br />
auch, dass die Gemeinde monatlich<br />
60 RM an Miete zur Unterbringung der<br />
Kindergärtnerin übernimmt. Sein Schlusssatz<br />
lautete:<br />
Damit bitte ich um Veranlassung des<br />
Weiteren. „Heil Hitler“, B.V. Herrmann<br />
Auch 1941 tat sich nichts in Sachen Kindergarten,<br />
1942 erneute Beratungen, Beschlüsse<br />
und Verträge, alle waren voller<br />
Hoff nung – wieder nichts.<br />
Zum 1. Mai 1943, endlich ist es so weit,<br />
eröff net die NS-Volkswohlfahrt e.V. den<br />
ersten Kindergarten in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Den Müttern wird ein Stein vom Herzen<br />
gefallen sein, und die Kinder haben sich<br />
sicherlich riesig darauf gefreut, etwas<br />
Neues und bisher gänzlich Unbekanntes<br />
zu besuchen und erkunden zu können.<br />
Die erste Kindergärtnerin, welche laut<br />
Vertrag von der NSV gestellt wurde, war<br />
Fräulein Else Söhner. Weiter war vertraglich<br />
vereinbart, dass das Personal ausschließlich<br />
der Dienstaufsicht der NSV untersteht.<br />
Kindergartengruppe mit<br />
Else Söhner vor dem<br />
Schulhaus von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
im Kriegsjahr 1943<br />
Die Gemeinde unterstützte<br />
die NSV in ihrem<br />
Bestreben, die Entwicklung<br />
der Kindertagesstätte<br />
zu fördern. Zu diesem<br />
Zweck waren die Vertreter<br />
der Gemeinde berechtigt,<br />
die Einrichtung<br />
jederzeit im Einvernehmen<br />
mit der Kreis- oder<br />
Ortsgruppenamtsleitung<br />
der NSV zu besuchen und<br />
sich von ihrem ordnungsgemäßen Zustand<br />
zu überzeugen. Anregungen und Wünsche<br />
waren der zuständigen Kreisamtsleitung<br />
der NSV vorzubringen.<br />
Die von der Gemeinde zu erbringenden<br />
Leistungen und Pfl ichten waren Folgende:<br />
kostenlos einen geeigneten Raum zur Verfügung<br />
zu stellen sowie die Spielanlage an<br />
der Schule, ferner die Wohnung für das<br />
Personal, hier bestehend aus einem möblierten<br />
Zimmer. Logiergeberin für Fräulein<br />
Söhner war laut einer Rechnung Eugenie<br />
Kuttruf. Weiter war vertraglich vereinbart:<br />
Vertragsdauer, Kündigung, die Renovierungskosten,<br />
Heizung usw.<br />
Mietrechnung von Eugenie Kuttruf an die<br />
Gemeinde für die Unterkunft der Kindergärtnerin<br />
Else Söhner, 1944
Auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
lief der Kindergarten im Ort unter gleicher<br />
Leitung weiter. Mit Datum vom 24. Oktober<br />
1945 hatte Fräulein Söhner eine Aufstellung<br />
über das im Kindergarten vorhandene<br />
Inventar gefertigt. Die Liste war<br />
schnell aufgestellt, da der Kindergarten<br />
nur mit dem Allernötigsten ausgestattet<br />
war; vorhanden waren:<br />
7 kleine Tische, 4 kleine Bänke, 35 kleine<br />
Stühle, 5 Handtücher u. 5 Waschlappen, 1<br />
Regal für und mit Spielsachen, 1 großer<br />
Tisch, 1 großer Stuhl, sowie Vorhänge für<br />
5 Fenster.<br />
Mit Schreiben vom 19. Dezember 1945<br />
richtete die Vermögensverwaltung des<br />
Stadt- und Landkreises Heilbronn einige<br />
Fragen den Kindergarten betreff end (es<br />
ging dabei um Gegenstände und Besitzverhältnisse)<br />
an die Gemeinde, und bat<br />
um deren Beantwortung. Der Württem-<br />
Inventurliste vom 24. Oktober 1945 über die<br />
Einrichtung des Kindergartens, erstellt von<br />
Else Söhner<br />
bergische Wohlfahrtsbund e. V. war an der<br />
Übernahme und Weiterführung des örtlichen<br />
Kindergartens interessiert und richtet<br />
ein entsprechendes Ersuchen an die<br />
Gemeinde. Dem Ersuchen ist man wohl<br />
nachgekommen, denn mit kurzem Schreiben<br />
vom 20. März 1946 wird Bürgermeister<br />
Nef darüber informiert, dass der Württembergische<br />
Wohlfahrtsbund Herrn Werner<br />
Hübener von hier mit der vorläufi gen<br />
Führung des Kindergartens betraut hat.<br />
Wie lange es ging mit dem Kindergarten<br />
im Ort lässt sich nicht genau ermitteln,<br />
denn über Jahre hinweg (1938–1947) sind<br />
Gemeinderatsprotokolle und Dokumente<br />
nicht oder nur spärlich vorhanden. Mit<br />
ziemlicher Sicherheit kann aber festgehalten<br />
werden, dass der Kindergarten spätestens<br />
mit der Währungsreform 1948<br />
geschlossen wurde.<br />
Neben der Freude über den Kindergarten,<br />
wenn auch nur für kurze Zeit, sollte auch<br />
Folgendes nicht unerwähnt bleiben. Die<br />
erste Kindergärtnerin im Ort, Fräulein Else<br />
Söhner, hat sicherlich unter schwierigen<br />
Bedingungen und unter dem Druck zur<br />
Zeit des Nationalsozialismus und seinen<br />
teils abartigen Ideologien ihren Dienst<br />
hier zur Zufriedenheit der Eltern versehen.<br />
Ansonsten hätte man ihr den Kindergarten<br />
nach dieser Zeit nicht mehr anvertraut.<br />
Sie muss sich hier im Ort sehr wohlgefühlt<br />
haben, hat sie doch die Zeit gefunden,<br />
sich in einen jungen Mann aus<br />
dem Ort zu verlieben und sich mit ihm zu<br />
verheiraten. Der Glückliche, den sie sich<br />
ausgesucht hatte, war Ludwig Kuttruf aus<br />
der Eberstädter Straße.<br />
Anfang der 1950er Jahre war es erneut so<br />
weit. Anlässlich einer Gemeindebesichtigung<br />
durch Herrn Landrat Hirsch im Februar<br />
1951 hatte dieser darauf gedrängt, in<br />
Sachen Kindergarten doch zu einer endgültigen<br />
Lösung zu kommen, um den Kindern<br />
aus dem Ort in der vorschulischen<br />
Erziehung und Bildung Chancengleichheit<br />
315
316<br />
mit denen aus den Nachbargemeinden,<br />
dort gab es diese Einrichtungen bereits<br />
seit längerem, zu bieten. Um der Sache etwas<br />
Nachdruck zu verleihen, hatte er auch<br />
noch darum gebeten, ihn darüber zu informieren,<br />
wie, wo und wann die Einrichtung<br />
geschaff en werden solle.<br />
Bürgermeister und Gemeinderat haben die<br />
Angelegenheit ernst genommen und sich<br />
in der Gemeinderatsitzung am 21. Februar<br />
1951 eingehend damit beschäftigt. Alle<br />
Für und Wider wurden besprochen, diskutiert<br />
und abgewogen. Beschlossen wurde<br />
letztendlich:<br />
1.) Den Kindergarten einzuführen.<br />
2.) Die Kosten werden von der Gemeinde<br />
getragen.<br />
3.) Der Kindergarten ist geö net vom<br />
1.3. bis 31.10. jeden Jahres.<br />
4.) Für das 1. und 2. Kind sind monatlich<br />
je Kind 2.— DM an die Gemeindekasse<br />
zu entrichten; für das 3. Kind 1.— DM<br />
und das 4. Kind ist frei.<br />
5.) Der untere Raum im Rathaus wird für<br />
den Religions- und Handarbeitsunterricht<br />
gerichtet (damit der Kindergarten<br />
in der alten Lehrewohnung, wo er<br />
schon einmal war, eingerichtet werden<br />
kann).<br />
6.) Über die Anstellung der Kindergärtnerin<br />
und deren Gehalt<br />
wird später beraten, wenn<br />
sich die Eltern der Kinder über<br />
die Person der Kindergärtnerin,<br />
welche sie für geeignet<br />
halten, ausgesprochen haben<br />
Nun ging es fl ott voran. Die<br />
Stelle der Kindergärtnerin wurde<br />
ausgeschrieben, und schon am<br />
21. März konnte der Gemeinderat<br />
erneut in Sachen Kindergarten<br />
beraten und beschließen. Zuvor<br />
hatte am 14. März 1951 eine Besprechung<br />
mit den Eltern stattgefunden.<br />
Sie waren sich darüber einig, dass sie ihre<br />
Kinder in den Kindergarten schicken,<br />
wenn eine ledige Kindergärtnerin in Frage<br />
käme. Das Gremium hatte fünf Bewerbungen<br />
zur Auswahl vorliegen (eine Bewerberin<br />
kam aus Ostheim v. d. Rhön),<br />
wobei nicht alle Bewerberinnen den Status<br />
ledig erfüllen konnten.<br />
Der Gemeinderat beschließt nach eingehender<br />
Beratung:<br />
1.) Marie Draxler als Kindergärtnerin anzustellen.<br />
[Vielen von uns, besonders denjenigen,<br />
welche bei ihr in den Kindergarten<br />
gingen, noch als Tante „Marie“ bekannt.]<br />
2.) Ihr einen Monatslohn von 90.— DM zu<br />
gewähren.<br />
3.) Sie zur Kranken- u. Invalidenversicherung<br />
anzumelden. Die Krankenkassen-<br />
u. Invalidenbeiträge werden von der<br />
Gemeinde bezahlt.<br />
4.) Mit ihr einen Dienstvertrag abzuschließen.<br />
5.) Beginn der Schule im Jahr 1951 nach<br />
Fertigstellung des Raumes (die Räumlichkeiten<br />
sind noch für Wohnzwecke<br />
vermietet), sonst wie im Dienstvertrag<br />
festgelegt.<br />
6.) Zur Schule gemeldet sind 23 bis 25<br />
Kinder.<br />
Kindergartengruppe mit Marie Draxler vor<br />
dem Schulhaus, 1951
Am 5. Mai wurde der Gemeinderat durch<br />
den Bürgermeister informiert, dass der<br />
Mieter Ludwig Seebold aus der alten Lehrerwohnung<br />
(Teil des heutigen Mörike-<br />
Museums) demnächst ausziehen werde.<br />
Somit konnten die für den Kindergartenbetrieb<br />
notwendigen Räume hergerichtet<br />
Die Kindergartenkinder Werner und Herbert<br />
Uhlmann, 1952<br />
Kindergartengruppe<br />
mit<br />
Frau Stephan,<br />
1952<br />
werden und die Einrichtung noch vor der<br />
Ernte 1951 in Betrieb gehen.<br />
Gerne erinnern wir uns noch an die Zeit im<br />
Kindergarten bei Tante Marie zurück. Jedoch<br />
sollte die Zeit mit ihr als Leiterin nur<br />
von kurzer Dauer sein, schon nach dem<br />
ersten Kinderschuljahr hat sie aus familiären<br />
Gründen zum 31. Dezember 1951 gekündigt.<br />
Weiter ging es dann zum März<br />
1952 mit Fräulein Erna Stephan als Leiterin.<br />
Auch sie hat nach kurzer Zeit, bereits zum<br />
1. September 1952, nachdem sie geheiratet<br />
hatte, gekündigt. Sie hat den Dienst auf<br />
Bitten der Beteiligten dann noch bis Ende<br />
des Kindergartenjahres versehen.<br />
Erneut musste eine neue Kindergärtnerin<br />
gefunden und angestellt werden. Die<br />
Stelle wurde wie üblich öff entlich bekannt<br />
gemacht, es gab zwei Bewerbungen. Die<br />
Eltern durften wieder mit entscheiden,<br />
wer angestellt wird. Von den beiden Bewerberinnen<br />
wurde Frau Pauline Ohr, die<br />
bei der letzten Vergabe leer ausgegangen<br />
war, nun zur neuen Kindergartenleiterin<br />
ab 1953 ernannt. Das Kindergartenjahr<br />
ging wie bisher vom 1. März bis 31. Oktober.<br />
An den sonstigen Bedingungen, auch<br />
an den Kindergartenbeiträgen, hatte sich<br />
ebenfalls nichts geändert.<br />
317
318<br />
Ein ruhiges Kindergartenjahr 1953? Nur<br />
scheinbar, am 30. Dezember informiert<br />
Bürgermeister Nef den Gemeinderat über<br />
eine Besichtigung des Kindergartens durch<br />
das Landratsamt-Kreisjugendamt, welche<br />
am 21. Dezember 1953 stattgefunden hat.<br />
Das Ergebnis war erschütternd, einem<br />
Fortbestand des <strong>Cleversulzbach</strong>er Kindergartens<br />
konnte unter den vorgefundenen<br />
Gegebenheiten nicht mehr zugestimmt<br />
werden. Vor allem wurden die Räumlichkeiten<br />
beanstandet; sie müssen sich in einem<br />
sehr schlechten Zustand befunden<br />
haben.<br />
Im Einzelnen wurde Folgendes beschlossen<br />
und vereinbart:<br />
Die Gemeinde beginnt im Jahr 1955 mit<br />
dem Bau eines Gemeindehauses [der heutigen<br />
Kelter-Halle]. Darin soll dann der<br />
Kindergarten einen, den Richtlinien entsprechenden<br />
Raum erhalten. Damit der<br />
Kindergarten im Frühjahr 1954 wieder erö<br />
net werden kann, werden die festgestellten<br />
Mängel so gut wie möglich behoben.<br />
Der Raum wird frisch gerichtet; die<br />
Wand ausgebessert und eine abwaschbare<br />
Wandverkleidung bis zur Höhe der<br />
Fenstersimsen angebracht. Ein Ofenschutzgitter<br />
wird vom Schmiedemeister<br />
Birk angebracht. Für das Aufhängen der<br />
Kleider werden Garderobenhaken angescha<br />
t. Der Fußboden wird mit einem Bodenöl<br />
gepfl egt. Hinter der Kirche wird für<br />
die Kinder der Garten eingezäunt und darin<br />
ein Sandkasten aufgestellt; Zugang<br />
vom Schulhof aus. Die Aborte sind im<br />
Nov. d. Jahres neu gerichtet worden, sodaß<br />
sie den geforderten Verhältnissen<br />
entsprechen. Die Kindergärtnerin wird angewiesen<br />
ein Kinderverzeichnis und Anwesenheitsblätter<br />
zu führen.<br />
Das Jugendamt wird gebeten bei Erö -<br />
nung des Kindergartens im März 1954<br />
die Erlaubnis nach § 20 des Kreisjugendwohlfahrtsgesetzes<br />
vom 9.7.1922 zu erteilen.<br />
Die Hoff nung, dass alles so läuft wie gedacht,<br />
war groß. Jedoch musste der Bürgermeister<br />
den Gemeinderat am 22. Februar<br />
1954 erneut über die Dinge informieren,<br />
die bisher noch nicht erledigt waren.<br />
Das Schreiben vom 18. Januar an das<br />
Landratsamt mit der Bitte um Zustimmung<br />
zur Eröff nung des Kindergartens<br />
zum 1. März 1954 war von dort noch<br />
nicht beantwortet worden. Und die baulichen<br />
Beanstandungen konnten infolge<br />
der kalten Witterung noch nicht behoben<br />
werden. Außerdem hatte das evangelische<br />
Pfarramt die Genehmigung zur Einzäunung<br />
des Gartens bei der Kirche zur Aufstellung<br />
eines Sandkastens bisher nicht<br />
erteilt (kam auch nie). Somit konnte der<br />
Termin der Eröff nung des Kindergartens<br />
noch nicht festgelegt werden. Nach eingehender<br />
Beratung wurde beschlossen,<br />
den Kindergarten zu eröff nen, sobald die<br />
vorgenannten Bedingungen erfüllt bzw.<br />
die off enen Dinge erledigt sind<br />
Da die nicht eingeplanten Renovierungskosten<br />
den Haushalt der Gemeinde unvorhergesehen<br />
belasteten, wurde schnell noch<br />
ein Zuschussantrag von 500 DM zur Förderung<br />
von Kindertagesstätten ans Innenministerium<br />
gestellt. Damit die Mittel aus<br />
dem Landesjugendplan des Landes fl ießen<br />
konnten, war Bedingung, dass der Elternbeitrag<br />
zum neuen Kindergartenjahr auf<br />
mindestens 3 DM monatlich angehoben<br />
wurde. Toll, zwei Fliegen mit einer Klappe.<br />
Kindergartenbeitrag um 50 Prozent erhöht,<br />
ohne Ärger mit den Eltern zu bekommen,<br />
und noch 500 DM Zuschuss erhalten.<br />
Der Kindergarten muss mit Kinderspielzeug<br />
recht sparsam ausgestattet gewesen<br />
sein, denn die Kindergärtnerin stellte folgenden<br />
Antrag, welcher am 6. März 1955<br />
vom Gemeinderat beraten wurde.<br />
Die Kindergärtnerin hat gebeten für die<br />
Kinderschule etliches Spielzeug zu kaufen.<br />
Die Kinder hätten zum Spielen sehr wenig<br />
Spielgeräte und nur diese, welche sie von
zu Hause mitbringen. Mit den wenigen<br />
Spielsachen können nicht alle Kinder<br />
spielen und streiten sich daher während<br />
des Spiels um die Spielgeräte.<br />
Nach Beratung wird beschlossen:<br />
Um den Betrag von 20.— DM Kinderspielzeug<br />
anzukaufen.<br />
Was aufgefallen ist beim Durchschauen der<br />
Sitzungsprotokolle ist, dass man sich bei<br />
den Terminen, zu welchen der Kindergarten<br />
im Frühjahr öff nete und im Herbst<br />
schloss, an der Arbeitsbelastung der Mütter<br />
orientierte und dabei sehr fl exibel war.<br />
Mit dem Kindergartenjahr 1956 wurde die<br />
Tagesstätte für die Kleinsten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
aus nicht dokumentierten Gründen<br />
eingestellt. Eine segensreiche Einrichtung<br />
im Ort, auch für Mütter, und, besonders,<br />
was die vorschulische Erziehung und Bildung<br />
betraf, für die Kinder, sollte nicht<br />
mehr sein. Dies nahm auch die Chancengleichheit<br />
beim Start der Kinder ins Schulleben<br />
– im Vergleich zu den Nachbargemeinden,<br />
wo es Kindergärten gab. Umso<br />
bedauerlicher war es, dass es lange, ja sehr<br />
lange dauern sollte, bis es für die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Kinder wieder eine Einrichtung<br />
zur vorschulischen Erziehung und Bildung<br />
geben sollte.<br />
Im Jahr 1969 mit Stichtag 15. November<br />
galt es, den Gemeindefragebogen vom Innenministerium<br />
Baden-Württemberg, eine<br />
Erhebung über Bestand und Bedarf an<br />
Kindertagesstätten (Kindergärten, Kindergrippen,<br />
Tagheimgärten und Kinderhorte),<br />
auszufüllen und an das Kreisjugendamt<br />
einzureichen. Obwohl aus den Geburtsjahrgängen<br />
1963 bis 1968 die Anzahl von<br />
59 Kindern gemeldet war, sah man keine<br />
kurzfristige Notwendigkeit, einen Kindergarten<br />
einzurichten. Erst im Jahr 1973<br />
oder später wollte man sich der Herausforderung<br />
stellen. Als Grund, warum es in<br />
der Gemeinde nicht möglich war, die geforderten<br />
mindestens zwei Jahre vor der<br />
Einschulung einen Kindergarten zu besuchen,<br />
war angekreuzt: die Eltern sind an<br />
einem Kindergarten wenig interessiert!<br />
Wie war das mit der Hoff nung ?<br />
Endlich war es so weit, zum Oktober 1975<br />
konnte der neu erbaute Kindergarten in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> eröff net und an die Kinder<br />
übergeben werden. Mit zu verdanken ist<br />
dies der Initiative von Ewald Eisele, dem<br />
ehemaligen Schulleiter der Grundschule<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, dem die Vorschulerziehung<br />
sehr am Herzen lag.<br />
Eisele hatte zum 1. September 1968 die<br />
Leitung der Grundschule <strong>Cleversulzbach</strong><br />
übernommen. Zu dieser Zeit gab es in Baden-Württemberg<br />
schon etliche ein- bzw.<br />
zweiklassige Grundschulen, deren Unterricht<br />
bereits mit sehr viel „innerer Diff erenzierung“,<br />
d. h. Gruppenarbeit, gehalten<br />
wurde. Für das Erlernen einer selbständigen<br />
Arbeitsweise war dies ein Vorteil. Die<br />
Förderung der mündlichen Ausdrucksfähigkeit,<br />
besonders auf Hochdeutsch, befand<br />
Eisele allerdings als ungenügend.<br />
Sein Anliegen war es deshalb, den <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Kindern schon vor Erreichen<br />
des Schulalters ein sprachliches und auch<br />
soziales Training zu ermöglichen, das Defi -<br />
zite auszugleichen in der Lage war, wie es<br />
in Kindergärten möglich ist und zum Erziehungsprogramm<br />
gehört. In den Nachbarorten<br />
Brettach und Neuenstadt gab es<br />
Kindergärten, die sich um diese Aufgaben<br />
kümmern konnten. In <strong>Cleversulzbach</strong> dagegen<br />
blieb die Vorschulerziehung lange<br />
ein Wunschbild.<br />
Ewald Eisele nahm sich nun dieser Förderidee<br />
ab dem Schuljahr 1969/70 verstärkt<br />
an. Um das Bewusstsein in der Elternschaft<br />
zur gleichberechtigten Vorschulerziehung<br />
ihrer Kinder zu schärfen und<br />
Chancengleichheit herzustellen, trat er an<br />
die Öff entlichkeit und gründete die „Aktion<br />
Kindergarten <strong>Cleversulzbach</strong>“. Interessierte,<br />
engagierte Eltern trafen sich nun<br />
einmal pro Woche im oberen Schulsaal<br />
319
320<br />
neben der <strong>Cleversulzbach</strong>er Kirche. Für<br />
die Leitung des Aktionskreises konnte die<br />
Hauswirtschaftslehrerin Frau Berta Scharpf<br />
gewonnen werden. Oster- und Weihnachtsbasare,<br />
für die der Aktionskreis Geschenke<br />
bastelte, erhöhten die Aufmerksamkeit<br />
für diese Sache, und die Erlöse aus<br />
den Verkäufen kamen dem Vorhaben zur<br />
Einrichtung eines Kindergartens zugute.<br />
Auch die ortsansässigen Vereine in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
– Mörike-Chor, Rad- u. Motorsport-Club,<br />
Akkordeon-Spielring – zeigten<br />
sich aufgeschlossen und spendeten die Erlöse<br />
gemeinsamer Veranstaltungen dem<br />
Projekt „Kindergarten <strong>Cleversulzbach</strong>“. Der<br />
erste Schritt, durch diese Aktivitäten das<br />
Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen,<br />
dass ein Kindergarten für einen erfolgreichen<br />
Schulstart in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zwingend notwendig sei, war somit erfolgreich<br />
getan, wobei am Anfang der 1970er<br />
Jahre – wieder aus fi nanziellen Gründen<br />
– an eine Verwirklichung zunächst<br />
nicht zu denken war.<br />
Unerwartete Hilfe kam von außen: Das<br />
Land Baden-Württemberg hatte eine Gemeindereform<br />
beschlossen, bei deren Umsetzung<br />
gab es Zuschüsse für Gemeinden,<br />
die einen Zusammenschluss mit Nachbargemeinden<br />
eingingen. <strong>Cleversulzbach</strong><br />
schloss sich als erste Gemeinde der Stadt<br />
Neuenstadt an und konnte somit davon<br />
profi tieren. Der Bau eines Kindergartens in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> rückte damit näher. Dennoch<br />
sollte es nach der Eingemeindung<br />
nach Neuenstadt zum 1. Januar 1972<br />
noch nahezu drei Jahre dauern, bis der<br />
langersehnte Kindergarten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Wirklichkeit werden konnte. Wieder,<br />
wie schon zig Jahre und einige Male zuvor,<br />
hatten andere Vorhaben eine höhere<br />
Priorität.<br />
Als Übergangslösung bis zur Fertigstellung<br />
und zum Bezug des neuen Kindergartens<br />
im Wiesenweg wurde der älteste Kindergartenjahrgang<br />
mit Kleinbussen des Bus-<br />
unternehmers Nies aus Brettach täglich<br />
nach Neuenstadt und hin- und zurückbefördert.<br />
Die Kosten hierfür übernahm die<br />
Gemeinde. Somit war zumindest der Be-<br />
Der Kindergarten von <strong>Cleversulzbach</strong> im<br />
Wiesenweg Mitte der 1980er Jahre<br />
ginn für eine Chancengleichheit der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Kinder geschaff en worden.<br />
Mit der Aufnahme des Kindergartenbetriebs<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> zum Oktober<br />
1975, die erste Leiterin war Frau Gärtner<br />
aus Brettach, wurde diese Kinderbeförderung<br />
eingestellt, und die Spendengelder<br />
der „Aktion Kindergarten <strong>Cleversulzbach</strong>“<br />
Kindergartengruppe mit ihren Leiterinnen<br />
Frau Kuder und Frau Gärtner, 1975
dem Kindergarten für die Ausstattung zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
Der Kindergarten in <strong>Cleversulzbach</strong> fand<br />
regen Zuspruch und ist zu einer Einrichtung<br />
für Kinder geworden, die ihnen die<br />
Möglichkeit bietet, soziales Miteinander<br />
einzuüben und gezielt auf die Schule in<br />
einem ersten Schritt vorbereitet zu werden.<br />
In den Jahren 2000/2001 hat man auf die<br />
hohe Zahl an Kindergartenkindern (bis zu<br />
54 Kinder auf der Anmeldeliste) vonseiten<br />
Verwaltung, Gemeinde- und Ortschaftsrat<br />
auf diese Tatsache hin reagiert, den Kindergarten<br />
erweitert und somit die Zweizügigkeit<br />
geschaff en. Ab dem Kindergartenjahr<br />
2001/2002 hatten alle Kinder ab<br />
drei Jahren die Möglichkeit, den Kindergarten<br />
zu besuchen, was auch gerne von<br />
den Eltern angenommen wurde.<br />
Erweiterungsbau des Kindergartens,<br />
fertiggestellt 2001<br />
Inzwischen ist die Kinderzahl auch bei uns<br />
stark rückläufi g. Gleichzeitig hat sich aber<br />
auch die Anforderung an die bisherige Art<br />
der Kindertagesstätten einem Wandel unterzogen.<br />
Ursächlich hierfür sind auch berufstätige<br />
Mütter oder Alleinerziehende.<br />
Gefordert werden verstärkt Kinderkrippenplätze.<br />
Diese waren, durch die nicht<br />
mehr benötigte Zweizügigkeit der Einrichtung<br />
kostengünstig zu schaff en. Somit<br />
konnten durch notwendige kleinere Umbaumaßnahmen<br />
kurzfristig und den Bedürfnissen<br />
entsprechend reagiert und gehandelt<br />
werden konnte. Seit 2011 wird<br />
diese ergänzende Einrichtung angeboten<br />
und auch rege genutzt.<br />
Kindergartengruppe im März 2012 mit den<br />
Erzieherinnen Frau Beier, Frau Schmitt und<br />
Frau Winkler (v. l.)<br />
Der Kindergarten ist auch bei uns, für<br />
unsere Kinder und Enkel zu einer Ein richtung<br />
geworden, die nicht mehr wegzudenken<br />
ist. Entstehen doch hier die ersten<br />
Freundschaften unter den Kinder, bildet<br />
und prägt sich hier das soziale Verhalten<br />
unter Gleichaltrigen aus, und beginnt<br />
schon hier das kindliche und spielerische<br />
Lernen; hier wird mit der Grundstock gebildet<br />
für eine hoff nungsvolle Zukunft.<br />
Quellen: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong><br />
321
322<br />
Vom Schulwesen in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong><br />
Zur Geschichte der Schule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
bis um 1800<br />
Große Verdienste um die Einführung von<br />
Volksschulen in Württemberg erwarb sich<br />
Herzog Christoph mit seiner Großen Kirchenordnung<br />
von 1559. Die Errichtung einer<br />
Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong> ist aber<br />
erst für das Jahr 1613 bezeugt, als Schultheiß<br />
und Gericht um die Berufung eines<br />
„deutschen Schulmeisters” (so die damalige<br />
Bezeichnung eines Lehrers an der<br />
Volksschule) baten, damit „die Kirch mitt<br />
Christlichem Gesang, die liebe Jugend<br />
aber mitt nottwendigem Underricht und<br />
disciplin etwas beßers versehen wäre” 1 .<br />
Die Gemeinde nominierte Martin Legier<br />
von „Grunaw”, der sich schon an verschiedenen<br />
Orten habe „gebrauchen lassen”<br />
und der am 2. Juli 1613 durch das Konsistorium<br />
in Stuttgart als für die Schulaufsicht<br />
zuständiges Gremium der württembergischen<br />
Landeskirchenverwaltung bestätigt<br />
wurde. Angesichts einer äußerst<br />
geringen Besoldung, die <strong>Cleversulzbach</strong><br />
aufbringen konnte, durfte Legier neben<br />
seiner Schultätigkeit ein Handwerk betreiben.<br />
Bemerkenswert ist 1613, dass die<br />
Verantwortung für den Gesang in der Kirche<br />
einen zweiten Schwerpunkt bei der<br />
Tätigkeit des Schulmeisters in früherer<br />
Zeit bildete. 1613 zeigte sich auch, dass<br />
das Nominationsrecht für einen Schulmeister<br />
bei der Gemeinde lag, das Recht<br />
der Bestätigung und damit der tatsächlichen<br />
Ernennung aber bei dem Konsistorium<br />
in Stuttgart.<br />
Martin Legier und seine ersten Nachfolger<br />
amtierten jeweils nur für kurze Zeit. Im<br />
Juni 1617 war Legiers Nachfolger Caspar<br />
Rod (Rhott) „eingewandter fahrläßigkeitt<br />
halb zur Schul untüchtig”, so dass Hans<br />
Schilling, der nunmehr wie die weiteren<br />
Nachfolger zugleich das Mesneramt an<br />
der Kirche übernahm, zum neuen Schulmeister<br />
berufen wurde. Hans Schilling war<br />
zuvor im Winter 1616/17 in „Schwapach”<br />
(wohl Schwabbach bei Bretzfeld) tätig gewesen.<br />
Mit Michael Schilling starb 1628<br />
ein weiterer „sehr fl eißiger” Schulmeister<br />
aus dieser Familie, der für „ein fein schuolwesen”<br />
gesorgt hatte 2 und erstmals auch<br />
während der Sommermonate unterrichtete<br />
(„Sommerschule”). Seine bescheidene<br />
jährliche Besoldung betrug 1628 neben<br />
einer „Behausung” nur 11 1/2 Gulden an<br />
Geld, dazu kamen 4 Scheff el Dinkel und<br />
das von den Eltern zu entrichtende Schulgeld<br />
für die damals etwa 30 bis 50 Schulkinder,<br />
das insgesamt etwa 10 Gulden erbrachte.<br />
Um Michael Schillings Nachfolge gab es<br />
1628 einen Streit zwischen der Gemeinde<br />
und dem Konsistorium. Die Gemeinde nominierte<br />
den örtlichen Schmied Niclaus<br />
Schäff er, den das Konsistorium aber „usser<br />
sondern ursachen” nicht bestätigte, vermutlich<br />
weil ihn Dekan Johann Werner<br />
aus Neuenstadt als „groben Idiot” charakterisiert<br />
hatte und Schäff er sich auch als<br />
Reif- oder Gassenwirt betätigte. Zudem
wurde befürchtet, dass Schäff er als<br />
Schmied von den Bauern auch während<br />
der Schulstunden in Anspruch genommen<br />
worden wäre. Daraufhin wurde im Sommer<br />
1628 Christian Küener aus Eberstadt<br />
ernannt.<br />
Über das Schulwesen in den schwierigsten<br />
Jahren des Dreißigjährigen Krieges<br />
nach 1630 sind keine Hinweise überliefert.<br />
1647 wurde der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Bürger Michael Lump Schulmeister und<br />
Mesner, der 1653 darüber klagte, dass er<br />
wegen seiner geringen Besoldung „das<br />
Brot nicht habe” 3 . Als Bürger mit Besitz<br />
von Feldgütern verfügte er aber über ein<br />
gewisses Vermögen, so dass ihn die Gemeinde<br />
1661 „mit glimpff und guetten<br />
wortten bei dem Schuldienst zue erhaltten”<br />
suchte, da sich ein von auswärts<br />
kommender Schulmeister nicht im Ort<br />
halten könne. Bei Kirchenvisitationen<br />
wurde Lump, der auch im Sommer wenigstens<br />
für wenige Stunden unterrichtete,<br />
als fl eißig beurteilt. 1661 galt er als<br />
„frommer, unärgerlicher Mann”, der aber<br />
auch, so hieß es 1676, während der<br />
Schulzeit „seinen Geschäften” nachging,<br />
so dass mitunter „Unfl eiß” in der Schule<br />
herrschte. Die Eltern beschwerten sich<br />
1676 zudem über das zu bezahlende<br />
Schulgeld und wollten ihre Kinder lieber<br />
daheim informieren.<br />
Während der Amtszeit von Lump, in der<br />
1655 ein Schulhausbau erwähnt wird,<br />
fallen insbesondere die Schulversäumnisse<br />
im Sommer auf, wenn die Eltern<br />
ihre Kinder zu Feldarbeiten oder zur Beaufsichtigung<br />
kleinerer Geschwister benötigten.<br />
So besuchten 1661 im Winter<br />
39 Kinder die Schule, im Sommer aber<br />
nur 12. Auch noch im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />
wurden derartige Versäumnisse<br />
gerügt, und 1802 entschuldigten sich die<br />
Eltern mit „vielen Geschäften” und dem<br />
Hinweis, dass man in <strong>Cleversulzbach</strong> „keinen<br />
Taglöhner haben könne”.<br />
Nach Lump erscheint Johann Mertz als<br />
Schulmeister, der 1683 nach gar nicht<br />
langer Tätigkeit „wegen hohen Alters” zurück<br />
trat. Lump und Mertz entstammten<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Familien, die schon im<br />
15. Jahrhundert im Ort ansässig waren.<br />
1683 folgte der aus Speyer stammende<br />
Johann Jakob Christian Wallmann (oder<br />
Wollmann), der zuvor in Dürnau (Herrschaft<br />
Degenfeld), Essingen und Stetten<br />
am Heuchelberg tätig gewesen war. Er<br />
wurde 1684 als fl eißig beurteilt, fand bei<br />
der Bürgerschaft jedoch „weder Respect<br />
noch Liebe”, weil er in höchster Armut<br />
lebte und wie ein Bettler auf „Brandsohlen”<br />
daher komme. Wallmann ist ein gutes<br />
Beispiel dafür, dass ein nicht im Ort verbürgerter<br />
Schulmeister <strong>Cleversulzbach</strong><br />
schon bald wieder verlassen musste.<br />
Auf Wallmann folgte 1686 mit dem in Hollenbach<br />
bei Mulfi ngen geborenen Haus -<br />
metzger Georg Nieth wieder ein Bürger aus<br />
dem Ort, für den Hinweise auf das Exa men<br />
überliefert sind, dem sich der jeweilige<br />
Schulmeister vor seinem Dienstantritt<br />
durch den Stiftsprediger in Stuttgart unterziehen<br />
musste. Bei der Prüfung kam<br />
Nieth im Buchstabieren „fein zu recht”, im<br />
Lesen des Geschriebenen und Gedruckten<br />
bestand er „wohl”, im Schreiben zeigte er<br />
sich mittelmäßig, im Singen gut und im<br />
Katechismus „zur Genüge versiert”. 1692<br />
waren die Eltern mit Nieth, der in jenem<br />
Jahr im Winter 50 und im Sommer 40<br />
Kinder betreute, zufrieden, gerügt wurde<br />
aber seine Handschrift als „etwas gering”.<br />
1698 oder 1699 folgte auf Nieth der aus<br />
Wimpfen stammende Johann Philipp Gerner,<br />
der als Apotheker einen für einen<br />
Schulmeister ungewöhnlichen Beruf hatte,<br />
1702 „gut im Lesen und Schreiben informierte”,<br />
über dessen „elenden Choralgesang”<br />
aber 1709 bitter geklagt wurde, so<br />
dass viele Gottesdienstbesucher die Kirche<br />
erst dann betreten wollten, wenn der Pfarrer<br />
bereits die Kanzel zur Predigt betreten<br />
323
324<br />
hatte. Durch seine Äußerung, niemand im<br />
Dorf könne ihn „abschaff en”, zog sich<br />
Gerner, so der Dekan aus Neuenstadt,<br />
schließlich „den gemeinen Haß von jedermann”<br />
zu und wurde auf Georgii 1710 abberufen.<br />
Ersetzt wurde Gerner durch Johann<br />
Adam Brenzinger (der Name wurde<br />
in den Akten auch in der Form Brinzinger<br />
oder Preusinger geschrieben), der als erster<br />
Schulmeister Anfangskenntnisse im<br />
Rechnen besaß, das im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />
als Schulfach eingeführt wurde.<br />
Bereits 1712 wechselte Brenzinger auf<br />
eine besser dotierte Stelle in Heilbronn.<br />
Mit Johann Jakob Schmid, dem Sohn des<br />
Schulmeisters Michael Schmid in Kochersteinsfeld,<br />
begann 1712 die lange Epoche<br />
der Schulmeister aus der Familie Schmid<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>. Dekan Wagner in Neuenstadt<br />
hatte ihm nur „schwache qualitäten”<br />
bescheinigt, doch die Gemeinde<br />
konnte wegen großer Armut keine höhere<br />
Besoldung für einen qualifi zierteren<br />
Schulmeister aussetzen (als Jahresbesoldung<br />
wurden jetzt 15 Gulden an Geld und<br />
7 Scheff el Dinkel neben dem Schulgeld<br />
der Eltern genannt). Man müsse halt jemanden<br />
nehmen, der überhaupt zum<br />
Dienstantritt in <strong>Cleversulzbach</strong> bereit sei.<br />
Immerhin konnte auch Johann Jakob<br />
Schmid „etwas rechnen”, sang den Choral<br />
„fein”, verstand etwas von Musik, spielte<br />
Klavier und wurde dann ohne besondere<br />
Klagen der Schulmeister mit der bis dahin<br />
längsten Amtszeit im Ort. 1740 galt er als<br />
„guter, fl eißiger und frommer Schuldiener”,<br />
der seiner Tätigkeit „in einem gar zu<br />
schlechten Schulhaus” nachgehen musste,<br />
weil die zum Unterhalt verpfl ichtete Heiligenpfl<br />
ege ebenso wie die Gemeinde über<br />
kein nennenswertes Vermögen verfügte.<br />
Nach 41-jähriger Tätigkeit starb 1753 Johann<br />
Jakob Schmid, dessen Amt nun sein<br />
sich damals bei den Soldaten aufhaltender<br />
erst 19-jähriger Sohn Johann Gottlieb<br />
Schmid übernahm. Wieder hieß es, dass<br />
sich der Sohn mit vom Vater geerbten<br />
Feldgütern besser als ein Fremder in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ernähren könne. Zur Besoldung<br />
gehörten inzwischen — hier werden<br />
weitere Aufgaben des Schulmeisters sichtbar<br />
— 4 Gulden für das Schlagen der Orgel,<br />
1 Gulden für das Läuten der Abendglocke<br />
und 2 Gulden für das Mitwirken<br />
bei Beerdigungen.<br />
Johann Gottlieb Schmid prägte die Schule<br />
während der gesamten zweiten Hälfte des<br />
18. Jahrhunderts. Bei Kirchenvisitationen<br />
wurde sie mehrfach in gutem oder gar „in<br />
ziemlich gutem Stand” befunden. Der<br />
Schulmeister wende, so hieß es 1783,<br />
seine „mittelmäßigen Schulgaben” fl eißig<br />
an. Er achtete auf gute Schulzucht, war<br />
„ehrbar und fl eißig im Wandel” und war<br />
1803 auch in hohem Alter „ein sehr<br />
brauchbarer und tätiger Mann”. 1768<br />
meinten allerdings auch einige Bauern,<br />
dass es besser wäre, wenn der Schulmeister<br />
in der Kirche „kürzer singen” würde.<br />
Das Schulhaus wurde 1762 renoviert, war<br />
1783 aber erneut in „schlechtem” Zustand<br />
mit einer sehr engen Schulstube für die<br />
damals 60 bis 70 Schulkinder.<br />
Die erhaltenen schriftlichen Quellen aus<br />
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
erlauben erstmals nähere Hinweise auf<br />
den Schulbetrieb und den Unterricht in<br />
der Amtszeit von Johann Gottlieb<br />
Schmid. Im Winter gab es außer an<br />
Sonn- und Festtagen zunächst 4 Stunden<br />
Unterricht, ab 1783 wie damals schon<br />
seit längerem in ganz Württemberg 5<br />
Stunden (am Vormittag 3 Stunden von 8<br />
bis 11 Uhr und 2 Stunden nachmittags).<br />
Im Sommer wurden die älteren Kinder<br />
von 6 bis 8 Uhr und die jüngeren von 8<br />
bis 10 Uhr unterrichtet. Diese Regelung<br />
sollte den sommerlichen Schulversäumnissen<br />
entgegenwirken. Im Unterricht<br />
wurden die jeweiligen Predigten des<br />
Pfarrers „examiniert”, ferner „auswendig<br />
schreiben und Briefe lesen” geübt. 1779
egann man mit den älteren Kindern das<br />
Rechnen, obwohl sich einige Eltern widersetzten,<br />
weil sie ihren Kindern aus Armut<br />
weder Papier noch Rechenblätter<br />
kaufen konnten. Daher wurde eine<br />
schwarze Tafel angeschaff t, an der die<br />
Kinder auch ohne Papier üben konnten.<br />
Als Schulbücher werden 1773 das württembergische<br />
„Schatzkästlein” und Gesangbuch<br />
genannt, auch dies ein Hinweis<br />
auf den großen Einfl uss der Kirche auf<br />
die Schule in früherer Zeit. Ab 1788<br />
sollte der Schulmeister ein neu eingeführtes<br />
„abc Büchlein” benutzen. Mit den<br />
ledigen erwachsenen Söhnen und Töchtern<br />
wurde ganzjährig eine Sonntagsschule<br />
gehalten.<br />
Auch um 1790 war die Armut im Dorf<br />
durch mehrere Fehlherbste besonders groß<br />
und behinderte den Schulbetrieb. Vor al-<br />
1 Schulakte <strong>Cleversulzbach</strong> im Landeskirchlichen Archiv<br />
Stuttgart Bestand A 29 Nr. 757. Eine weitere Quelle für<br />
den vorliegenden Beitrag bilden die Kirchenvisitationsakten<br />
im Hauptstaatsarchiv Stuttgart Bestand A 281.<br />
2 In einem Verzeichnis der württembergischen Kirchen- und<br />
Schuldiener (Landeskirchliches Archiv A 12 Nr. 3) fi ndet<br />
sich für die Zeit um 1620 auch der Name Georg Schilling,<br />
lem bei armen Kindern häuften sich<br />
Schulversäumnisse, weil sie teils das Brot<br />
erbetteln mussten, teils keine Kleidung<br />
besaßen. Dennoch wurde die Schule kurz<br />
vor dem Tod von Johann Gottlieb Schmid<br />
1804 gut beurteilt. Die Kinder zeigten<br />
Fortschritte „im Lesen, Schreiben und<br />
Rechnen, im Recitiren des auswendig gelernten<br />
und besonders in fertiger Beantwortung<br />
der an sie gemachten Fragen”.<br />
Erneut folgte 1804 mit Johann Christoph<br />
Schmid, für zwei Jahre zunächst als Provisor,<br />
ein Sohn seinem Vater. Die Gemeinde<br />
wollte sich mit der Berufung des Sohnes<br />
auch dankbar gegenüber ihrem „gestorbenen<br />
so verdienten treuen Lehrer” zeigen<br />
und seiner Witwe mit nur geringem Vermögen<br />
einen Umzug aus dem Schulhaus<br />
ersparen.<br />
den die in Anm. 1 genannte Schulakte nicht anführt. Die<br />
Synodusprotokolle, die möglicherweise ein weitere Information<br />
geben könnten, waren zur Zeit der Abfassung des<br />
vorliegenden Beitrags wegen Restaurierungsarbeiten<br />
nicht zugänglich.<br />
3 Vgl. E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg,<br />
Stuttgart 1927, S. 117.<br />
325
326<br />
Der Werdegang des alten Schulhauses an der Kirche<br />
Unterlagen zu Planung und Bau des<br />
Schulhauses an der Kirche sowie zu seiner<br />
Finanzierung fi nden sich im Ortsarchiv<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> nur bruchstückhaft; die<br />
Angaben werden allerdings detaillierter,<br />
wo es um den Erweiterungsbau geht. Eine<br />
recht ergiebige Informationsquelle sind<br />
die Brandkataster, ab 1784 geführt, auch<br />
Einschätzungsprotokolle oder Feuerversicherungsbücher<br />
genannt. Sie ordnen allen<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Gebäuden fortlaufende<br />
Identifi kationsnummern zu – das Schulhaus<br />
war Nr. 11, der spätere Anbau Nr.<br />
11 ½ –, geben eine kurze Objektbeschreibung<br />
und den Versicherungswert an und<br />
halten Besonderheiten und Veränderungen<br />
am Gebäude fest.<br />
Eine erste Erwähnung fi ndet das Schulhaus<br />
in einer Quittung von 1752 1 . Laut<br />
Verdienstzettel konnte der Maurer Christian<br />
Friedrich Schockh aus Brettach „vor<br />
an dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Schul Hauß Bau<br />
verrichtete Maurer Arbeit” von der Gemeinde<br />
38 fl 16 x, und vom Heiligen 37 fl<br />
24 x verlangen. Dem Zimmermann Weller<br />
zu Neuenstadt standen für geleistete Arbeit<br />
insgesamt 23 fl 40 x zu.<br />
Die Höhe der Rechnungsbeträge lassen<br />
vermuten, dass es sich allenfalls um Reparatur-<br />
bzw. Erweiterungsmaßnahmen handelte.<br />
Erst 110 Jahre später sollte die Gemeinde<br />
wieder in ein größeres Schulbauprojekt<br />
investieren.<br />
Liest man die Einträge in den Brandkatastern<br />
2 in chronologischer Reihenfolge, so<br />
lässt sich der Werdegang des Schulgebäudes<br />
an der Kirche recht gut nachvollziehen:<br />
Das Brandkataster von 1784 legt den Versicherungswert<br />
für ein Schulhaus bei der<br />
Kirche lapidar auf 200 Gulden fest. Die<br />
Feuerversicherung spricht im Jahre 1808<br />
von einem geringen Schulhausgebäude,<br />
dessen ursprünglicher Versicherungswert<br />
von 200 Gulden im Jahre 1829 zunächst<br />
auf 300 Gulden, dann auf 400 Gulden erhöht<br />
wird. Ausdrücklich ausgenommen ist<br />
der Backofen im zweiten Stock, er sei<br />
„ungesezlich Feuerwerk”. Außerdem fi ndet<br />
sich der interessante Hinweis, dass in dem<br />
dreistöckigen Rathaus seit 1809 „eine<br />
Schule”, sprich „ein Schulraum”, eingerichtet<br />
ist.<br />
Ab 1861 wurde der Versicherungswert des<br />
Schulhauses an der Kirche „wegen bedeutender<br />
baulicher Verbesserung” auf 2.000<br />
Gulden erhöht. Was war geschehen – nun<br />
erfährt man von einem 1860 neu erbauten<br />
Schulbau, „von Stein und Fachwerk,<br />
mit gewölbtem Keller”, westlich an das<br />
alte Schulgebäude angebaut, und das Einschätzungsprotokoll<br />
von 1864 nennt das<br />
Gebäude nunmehr „Volksschule” und erwähnt<br />
eine Erhöhung des Versicherungswertes<br />
von 4.720 M (die Währung in Gulden<br />
war zwischenzeitlich abgeschaff t<br />
worden) auf 6.700 M, und zwar wegen<br />
Vergrößerung (Eintrag vom 16. Dezember<br />
1880); festgehalten wurden auch die genauen<br />
Gebäudemaße:<br />
lang 14,5’<br />
breit 11’<br />
Stock hoch 7’<br />
Knie- und Dachstock 11’<br />
Bereits seit einiger Zeit waren das Raumangebot<br />
und der Bauzustand der Lehrerwohnung<br />
zum Problem geworden, und so<br />
hatte man sich entschlossen, das alte<br />
Schullehrerwohnhaus von Grund auf zu<br />
renovieren und einen hinteren Neubau zu<br />
erstellen.<br />
Der Umfang des Projekts nahm im Laufe<br />
der Planung zu, wie sich an den Erstellungsdaten<br />
der Kostenüberschläge unschwer<br />
feststellen lässt, die Oberamtswerkmeister<br />
Lell aus Neuenstadt erstellte. Und die Zunahme<br />
der tatsächlichen Kosten dürfte den<br />
Gemeinderäten und dem Schultheißen<br />
schlafl ose Nächte bereitet haben:
Aufriss vom neuen, westlich an das alte anzubauende Schulhaus, 1860<br />
Kostenüberschlag Lell (1858–1861):<br />
1. Herstellung [von] verschiedenen<br />
Bauarbeiten in der Schulmeisterwohnung,<br />
August 1858 500 fl 29 x<br />
2. Nachbauüberschlag (daselbst)<br />
October 1859 855 fl 20 x<br />
3. Herstellung eines Anbaus auf der<br />
hinteren Seite des Schulhauses zur<br />
Einrichtung von zwey Schulzimmern<br />
(mit einem Bauriss und Situationsplan),<br />
Januar 1860 3.248 fl 13 x<br />
4. „Herstellung verschiedener Bauarbeiten<br />
an dem Vorplatz und dem Zugang der<br />
Kirche sowie an diesen selbst und dem<br />
Schulhauße” (mit einer Zeichnung;<br />
nicht mehr vorhanden), April 1861<br />
574 fl 10 x<br />
Im Frühjahr 1861 war es dann so weit:<br />
Die Gewerke wurden im Heilbronner Tagblatt<br />
auf der Grundlage der von Oberamtswerkmeister<br />
Lell erstellten Anschläge<br />
ausgeschrieben. In der Folgezeit<br />
liefen die Angebote der interessierten<br />
Handwerksbetriebe ein, und zwar in Form<br />
von Abschlägen, die jeweils prozentual<br />
angegeben wurden. Zum Beispiel off erierte<br />
Schlossermeister Gottlieb Apfelbach<br />
sen. seine Dienste um „18 Procent<br />
vom 100” unter dem Anschlag (16. Mai<br />
1860). Etwas höher hatte Schlosser Ludwig<br />
Beck spekuliert, der erst zehn, dann<br />
„zwölf Prozent weniger” verlangte – und<br />
schließlich den Auftrag bekam; vielleicht<br />
spielten Bekanntheitsgrad und seine<br />
Nähe zum Objekt die ausschlaggebende<br />
Rolle. Weniger erfolgreich war die<br />
„Bauoff ert” von Carl Goepfert (17. Mai<br />
1860), Flaschnermeister aus Neuenstadt,<br />
der gegen seinen Konkurrenten Ferdinand<br />
Gmelin, ebenfalls Neuenstadt, nicht<br />
zum Zuge kam.<br />
Ob die von Lell anvisierten Obergrenzen in<br />
jedem Falle eingehalten werden konnten,<br />
mag angesichts der Flut an Rechnungen,<br />
die in der Folgezeit im Rathaus eingingen,<br />
bezweifelt werden. So trieben zum Beispiel<br />
die in den Verdienstzetteln der Arbeitskräfte<br />
ausgewiesenen Löhne die Baukosten<br />
beträchtlich in die Höhe. Die folgende<br />
Aufl istung stellt auszugsweise die<br />
beteiligten Handwerksbetriebe aus der<br />
näheren Umgebung dar; außerdem ihre<br />
(Teil-) Forderungen und das entsprechende<br />
Datum:<br />
Christian Kaiser, Ofenvertrieb, Heilbronn,<br />
22. September 1860 5 fl 24 x<br />
Johannes Däuble, Zimmermeister, <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
3. Oktober 1860 5 fl 48 x<br />
327
328<br />
Jacob Blank, Schreinermeister, Brettach,<br />
27. Oktober 1860 100 fl<br />
Karl Betz, Kocherthürn, liefert fünf<br />
Bockgestelle, 16. Dezember 1860 5 fl<br />
Glasermeister Schöck, Neuenstadt,<br />
6. März 1861 20 fl<br />
Lud[wig] Euerle, Schmied, 11. Mai 1861<br />
24 fl 3 x<br />
Ludwig Beck, Schlosser, Neuenstadt,<br />
Mai 1861 20 fl 30 x<br />
Carl Winkler, Glasermeister von Brettach,<br />
28. Juni 1861 8 fl 36 x<br />
Ferdinand Gmelin, Flaschner, 9. Juli 1861<br />
65 fl 30 x<br />
Maurer und Steinhauer, laut „Verdienstzettel“,<br />
9. Juli 1861 1.020 fl<br />
Schmiedemeister Salm, <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
11. Juli 1861 10 fl 10 x<br />
Dass die Arbeiten nicht immer zur vollkommenen<br />
Zufriedenheit der Auftraggeber<br />
erledigt wurden, zeigt ein erboster<br />
Brief des Schultheißen Ziegler an seinen<br />
Amtskollegen in Neuenstadt, in dem er<br />
dem Schlosser Beck eröff net, dass dieser<br />
seinen Auftrag bis zum „morgenden Tage”<br />
ausführen möge – andernfalls „solche[r]<br />
auf seine Kosten um jeden Preis durch einen<br />
anderen Meister gefertigt werde” (2.<br />
November 1860). Beck wurde aufs Neuenstädter<br />
Rathaus zitiert – jedenfalls legt<br />
seine Unterschrift unter dem oben erwähnten<br />
Brief diese Vermutung nahe –,<br />
und er scheint seinen Verpfl ichtungen<br />
umgehend nachgekommen zu sein, erhielt<br />
er doch weiterere Aufträge im darauff olgenden<br />
Frühjahr 1861, und zwar in der<br />
„Lehrers Wohnung“:<br />
Eine neue Haustüre, Zimmertüren im ersten<br />
Stock, die „Thüre in das Nebenzimmer<br />
bey der Stiege ist mit vorgeschriebenem<br />
Beschlag angeschlagen” usw. Insgesamt<br />
stellte der Schlossermeister dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Gemeinderat 93 fl 22 x für erbrachte<br />
Leistungen in Rechnung.<br />
Die Bauarbeiten konnten mit Begleichung<br />
der Rechnungen als abgeschlossen gelten,<br />
das neue Schulhaus der Gemeinde und die<br />
renovierte Wohnung der Schullehrerfamilie<br />
Hinderer übergeben werden. Der folgende<br />
Grundriss zeigt, wie der projektierte<br />
Anbau (rot) das bestehende Schullehrerhaus<br />
(schwarz) erweitern sollte. Bemerkenswert<br />
die Absicht, das Schulzimmer im<br />
zweiten Stock einzurichten.<br />
Für die nächsten Jahrzehnte gehen wir<br />
davon aus, dass weitere Investitionen in<br />
das Schulgebäude nur vorgenommen<br />
wurden, wenn dies zur Sicherung des Baubestandes<br />
unbedingt erforderlich war.<br />
Übrigens nennt das Feuerversicherungsbuch<br />
von 1869 erstmalig den Eigentümer<br />
des Gebäudes: Stiftungspfl ege und Gemeindepfl<br />
ege „in getheilter Gemeinschaft”.<br />
Außerdem kann der Bau nun offi -<br />
ziell als Lehrerwohnung dienen, da mit Nr.<br />
11 ½ ein 2-stöckiges Schulgebäude bei<br />
der Kirche an Nr. 11 teilweise […] angebaut<br />
worden ist.<br />
Das alte Gebäude Nr. 11 muss bereits in<br />
recht baufälligem Zustand gewesen sein,<br />
denn für das Jahr 1894 wurde aufgeführt,<br />
dass es baulich verbessert wurde. An gleicher<br />
Stelle erfährt man, welche „Zubehörden”<br />
das Schulgebäude Nr. 11 ½ hatte:<br />
im Schulsaal im Erdgeschoß<br />
20 Subsellien ohne Oelfarbanstrich<br />
zusammen 50,00 m lfd.<br />
1 Katheder samt Podium<br />
1 Bücherkasten mit Oelfarbenanstrich<br />
1 Schiefertafel in Rahmen<br />
und dazu gehörigen Gestell<br />
3 Kleiderrechen mit eisernen<br />
Haken zus. 5,00 m lfd.<br />
im Schulsaal des I. Stockes:<br />
21 Subsellien ohne Oelfarbenanstrich<br />
1 Katheder st. Podium
Grundrisse vom 1. und 2. Stock; die linke Gebäudehälfte ist der Neubau, 1860<br />
1 Harmonium<br />
1 Schiefertafel mit Rahmen<br />
u. Gestell<br />
5 Kleiderrechen<br />
weitere Zubehörden:<br />
1 elektr. Beleuchtungsanlage<br />
bestehend aus 8 Glühlampen<br />
nebst Leitung<br />
Einige Erweiterungen – ein Schuppen,<br />
südlich vom Wohnhaus und „ein freistehender<br />
einstockigter Schülerabtritt von<br />
gemischter Bauart hinten 1896 neu erbaut”<br />
– bringen den Versicherungswert<br />
auf 8.800 M. Auch Ergänzungen zu den<br />
genannten Details werden ausgewiesen.<br />
Für Gebäude Nr. 11 (Lehrerwohnung) wird<br />
eine äußere Zugangsstaff el gesondert erwähnt,<br />
zudem ist die Rede von fünf elektrischen<br />
Lichtern samt Leitungen und einer<br />
Wasserleitung mit zwei Hahnen. Im Schulhaus<br />
(erster Stock von Gebäude Nr. 11 ½)<br />
befi ndet sich zusätzlich ein Eckschrank<br />
von Holz; außerdem wurde die Elektrifi -<br />
zierung verbessert: sechs elektrische Lichter<br />
samt Leitung. Versicherungswert nunmehr<br />
10.000 M. Hier brechen die Aufzeichnungen<br />
des Brandkatasters ab und<br />
machen für die Ortsgebäude No. 1– 49 leider<br />
keine Angaben mehr.<br />
329
330<br />
Zustand des Schulhauses ab 1934<br />
Die Bestandsaufnahme, die am 6. November<br />
1934 vom Ortsschulrat vorgenommen<br />
wurde, fi el wenig vielversprechend aus,<br />
soweit es um den baulichen Zustand des<br />
Schulhauses ging: Da die Beschläge z. T.<br />
abgerostet sind, schließen die Fenster<br />
nicht, was die Heizkosten unnötig in die<br />
Höhe treibt; die hygienischen Verhältnisse<br />
in den Aborten der Knaben lassen zu wünschen<br />
übrig; auch stellt die schadhafte<br />
Umzäunung des Schulhofes eine unmittelbare<br />
Gefahr für die Schüler dar. Darüber<br />
hinaus müssten „die vor der Schule<br />
aufgestellten Fahnenstangen mit einem<br />
Anstrich versehen werden”!<br />
Schulklasse auf der Schulsta el zwischen<br />
Kirche (links) und altem Schulgebäude<br />
(rechts) am 10. November 1941<br />
Wie aus einem Bericht von 1943/44 hervorgeht,<br />
sind zwischenzeitlich zu den alten<br />
noch weitere Mängel hinzugekommen,<br />
so besteht im Schulhof akute Einsturzgefahr<br />
der Mauer an der nördlichen<br />
Einfassung. Geringere Schäden, wie die<br />
starke Schwärzung der Schulzimmerdecke<br />
oder die Beschädigung von Türpfosten,<br />
könne man – so der Bezirksschulrat – nach<br />
Kriegsende beseitigen.<br />
Schülergruppe mit Lehrer Braun am Eingang<br />
zum Schulhaus; im Hintergrund rechts die<br />
Zugangssta el zum Lehrerwohnhaus (Foto<br />
aus der zweiten Hälfte der 1950er Jah re)<br />
Auch in den Nachkriegsjahren bis weit in<br />
die Wirtschaftswunderzeit hinein tut sich<br />
off enbar wenig in Bezug auf eine grundlegende<br />
Instandsetzung des Schulhauses.<br />
So werden zehn Jahre später (1. Oktober<br />
1953) bei einer Schulhausbesichtigung<br />
durch das Staatliche Gesundheitsamt<br />
Heilbronn der allgemeine Zustand der<br />
Schulzimmer, Einrichtungsgegenstände,<br />
Abortanlage und des Bodenbelages gerügt.<br />
Als am 27. Juni 1956 festgestellt wird,<br />
dass „das untere Schullokal äußerst fußkalt”<br />
sei, kommt ein Beschluss vom 28. Ja-
nuar 1954 in Erinnerung, wonach man einen<br />
„Auftrag für die Installation eines<br />
neuen Ofens zu gegebener Zeit erteilen”<br />
werde. Immerhin holt man bis zum 10.<br />
Oktober 1956 entsprechende Angebote<br />
von drei Heizungsherstellern ein – der<br />
Winter 1956/57 steht schließlich vor der<br />
Tür!<br />
Im Schulzimmer mit Lehrerin Grawunder,<br />
1955<br />
Wir können nur vermuten, dass der Ofen<br />
nun installiert wurde. Wie anders wären<br />
die Schüler durch die folgenden zehn<br />
Jahre gekommen, denn die Unterlagen geben<br />
erst am 2. Juni 1966 wieder Auskunft<br />
über das leidige Heizungsproblem: Architekt<br />
Rüdele informiert über Möglichkeiten<br />
einer Heizungsanlage in der Volksschule.<br />
In Betracht kommen eine Warmluftheizung<br />
(Kohle- oder Ölfeuerung) oder eine<br />
Warmwasserheizung (über Fußleisten).<br />
1959/60 werden weitere dringende Reparaturen<br />
angemahnt: u.a. seien Türschlösser<br />
und Fenster defekt, im unteren Saal müsse<br />
die innere Wandverkleidung erneuert und<br />
das Ofenrohr ersetzt werden. Außerdem<br />
müsse die Schulhofummauerung nun end-<br />
lich ausgebessert werden. Besonders wird<br />
auf folgenden Umstand hingewiesen: Der<br />
Unterricht sei wegen des „Schweinestalls”<br />
mit seinen „unliebsamen Begleiterscheinungen”<br />
unzumutbar geworden. Ob damit<br />
nun ein tatsächlicher Schweinestall gemeint<br />
ist, oder ob es sich eher um eine<br />
Anspielung auf den Zustand der ehemaligen<br />
Lehrerdienstwohnung handelt, die gerade<br />
von den Mietern Baier und Lang verlassen<br />
wurde, kann hier nicht entschieden<br />
werden.<br />
Aus dem Jahr 1964 kann etwas Positives<br />
berichtet werden. Mitte des Jahres erhält<br />
das untere Schulzimmer einen neuen Parkettboden,<br />
geliefert und verlegt von einer<br />
Fachfi rma in Roigheim. Von nun an dürfen<br />
die Schüler das Zimmer nur in Hausschuhen<br />
betreten!<br />
Selbst in den prosperierenden 1970er Jahren<br />
fl ießt das Geld nur spärlich, vielleicht<br />
ist man auch nur weitsichtig und ahnt,<br />
dass sich im Zuge der Eingemeindung bzw.<br />
Auslagerung der Schule nach Neuenstadt<br />
größere Investitionen nicht mehr lohnen.<br />
Die Liste der reparaturbedürftigen „Baustellen”<br />
ist lang und betriff t vor allem den<br />
Zustand der Aborte. Ein Umbau der Toiletten<br />
in „Spülaborte” ist zwar geplant, soll<br />
aber bis nach dem Bau der Kläranlage verschoben<br />
werden und die WCs einstweilen<br />
„mit wenig Geldaufwand”, wie es ausdrücklich<br />
heißt, in den Sommerferien gerichtet<br />
werden (16. Juli 1970) 3 . Zu den allgemeinen<br />
Abnutzungserscheinungen und<br />
langjährigen Vernachlässigungen treten<br />
auch mutwillige Beschädigungen, etwa<br />
durch Brettacher Schüler. Die Instandsetzung<br />
muss durch die entsprechenden Eltern<br />
der Schüler fi nanziert werden (22.<br />
April 1975).<br />
Die weitere Bestimmung der beiden Gebäude<br />
lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />
Mit der Erstellung der Lehrerwohnung an<br />
der Brettacher Straße (1936) wurde Nr. 11<br />
331
332<br />
für andere Nutzung frei, u.a. sollte die Hitlerjugend<br />
einen Raum für ihre Aktivitäten<br />
bekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
wurden ausgebombte Flüchtlinge eingewiesen.<br />
Die Eingemeindung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
nach Neuenstadt erfolgte 1972, zwei Jahre<br />
später wurde die Dorfschule aufgegeben.<br />
Die alte Lehrerwohnung konnte von der<br />
Gemeinde an die Firma Lawes verpachtet<br />
werden, die nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten<br />
– u.a. Sicht barmachung<br />
des Fachwerks – ihre Anti quitäten in angemessenem<br />
Ambiente präsentieren konnte.<br />
Der Pachtvertrag lief 1999 aus, Gebäude<br />
Nr. 11 wurde nochmals strukturellen Umbau-<br />
und Renovierungsarbeiten unterzogen<br />
(2004 abgeschlossen) und erweitert<br />
nunmehr das Mörike-Museum.<br />
Der obere Stock im Gebäude Nr. 11 ½<br />
diente nach der Eingemeindung der evangelischen<br />
Gemeinde als Versammlungsort,<br />
der kleine Anbau westlich (die ehemaligen<br />
Abtritte) wurde für die Jungschar ausgebaut.<br />
Laut Ortschaftsratsprotokoll vom 14.<br />
Dezember 1979 wurde der untere Schulsaal<br />
ab 1. Februar 1980 an Shirley Lawes<br />
vermietet. Davor war dieser Teil des Ge-<br />
1 CB 216<br />
2 CB 143–CB 156<br />
3 CA 600<br />
bäudes vom Mörike-Chor und dem Akkordeon-Spielring<br />
genutzt worden. Ab 1996<br />
fand im Erdgeschoss das neu eingerichtete<br />
Mörike-Museum sein Zuhause.<br />
Das alte Lehrerwohnhaus wurde 1980 an<br />
das Antiquitätengeschäft von Shirley Lawes<br />
verpachtet (bis 1999)
Die Schule in <strong>Cleversulzbach</strong> und ihre Lehrer seit<br />
dem 18. Jahrhundert<br />
Erziehung und Bildung lagen sowohl in<br />
den Händen von Kirche als auch von<br />
Staat, der die Pfl icht, im christlichen Sinne<br />
zu erziehen, durch das Konsistorium wahr<br />
nahm, eine Art Oberbehörde, die Mitte des<br />
16. Jahrhunderts eingerichtet wurde. War<br />
es ursprünglich der Pfarrer gewesen, dem<br />
die religiöse Unterweisung und die Vermittlung<br />
des weltlichen Stoff es oblag, so<br />
kam nun der Schulmeister hinzu, dem<br />
auch das Mesneramt übertragen wurde,<br />
das auf diese Weise kostenneutral geführt<br />
werden konnte. Hier ist möglicherweise<br />
auch der Grund dafür zu suchen, dass der<br />
Unterricht meistens in der Nähe der Kirche<br />
stattfand, nämlich in der Wohnstube<br />
des Mesners. Aus diesem Provisorium ging<br />
die Volksschule hervor.<br />
Es fällt nicht leicht, konkrete Bezüge auf<br />
die Anfänge der Schule unseres Dorfes zu<br />
fi nden, war doch das „Urbuch” von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
bereits in den ersten Wirren<br />
des Dreißigjährigen Krieges verloren gegangen<br />
und mit ihm möglicherweise<br />
auch Hinweise auf Schule und Lehrer. Die<br />
erhaltene Nachschrift „Chronik von <strong>Cleversulzbach</strong>”<br />
(1626) enthält jedenfalls<br />
kein verwertbares Material zum Thema<br />
„Schule“.<br />
Dem Johann Jacob Schmidt 1 wurden 1737<br />
in der Beeth, also dem Schuldenregister,<br />
die Erlassung von 50 Gulden Steuern bestätigt.<br />
Es war gängige Praxis der Schulmeister,<br />
sich einen Lehrgehilfen, Provisor<br />
genannt, zur Seite zu stellen, der ihnen<br />
beim Unterrichten half, der allerdings<br />
auch untergebracht und verköstigt werden<br />
musste. Oft zog sich ein Lehrer den<br />
eigenen Sohn für diese Arbeit heran, der<br />
dann bei entsprechender Eignung eine Familientradition<br />
weiterführte. Es verwundert<br />
nicht, dass Amtmann Anhäußer vor<br />
dem Gemeinderat am 14. August 1753 zu<br />
Protokoll gibt, dass<br />
Nachdeme Hr Pfarrer Rabausch letzhin<br />
ohne mein des Ambtmanns Vorwissen<br />
Gericht und Rath auch die Bürgerschaft<br />
auf das Rathhauß beru en laßen, und<br />
selbigen Vorgestellt, daß sie den vacanten<br />
Schuldienst deß Verstorbenen Schulmeisters<br />
Jüngsten Sohn Gottlieb Schmieden<br />
anvertrauen möchten.<br />
Hintergrund für die Bitte des im Sterben<br />
liegenden Johann Jacob Schmidt an Pfarrer<br />
Rabausch war die Sorge um „zwey etwas<br />
Simpelhafte Kinder”, für deren Unterhalt<br />
der jüngste Sohn aufkommen sollte.<br />
Obwohl sich zwei weitere Bewerber um<br />
die Stelle bemühten und trotz moralischer<br />
Bedenken – immerhin hatte der 19-jährige<br />
Johann Gottlieb Schmid „eine Zeith<br />
lang unter der Soldatesque alß querpfeiffer<br />
gestanden” – bekam dieser die Anstellung,<br />
und die Gemeinde hatte auf elegante<br />
Art und Weise das Problem der Sorgepfl<br />
icht für dessen zwei ältere Geschwister<br />
gelöst. Nach Kirchenvisitationsakten<br />
aus dem Jahr 1794 2 hielt Johann Gottlieb<br />
Schmid übrigens auf diesem Posten beständig<br />
über 50 Jahre aus, bis er, 71 Jahre<br />
alt, 1804 verstarb! Er unterrichtete im<br />
Winter 1793/94 68 Schulkinder (40 Knaben<br />
und 28 Mädchen), im Sommer besuchten<br />
36 Knaben und 23 Mädchen die<br />
Schule. Schulmeister Schmid besaß „gute<br />
Gaben” zum Unterricht, war „vorzüglich”<br />
im Rechnen und versah zugleich das Mesneramt<br />
in der Kirche. Das Rechnen mit<br />
den dazu fähigen Kindern wurde „mit<br />
Nutzen getrieben”. Buchstabieren, Lesen,<br />
Schreiben, Diktate schreiben, Briefe lesen<br />
waren in Übung. Auf Rechtschreibung, das<br />
richtige Buchstabieren und auf Lesen<br />
333
334<br />
wurde besonders geachtet, auch auf das<br />
Memorieren der vornehmsten Sprüche aus<br />
dem Katechismus und der Gesangslieder<br />
in der Kirche. Die Fassungskräfte der Kinder<br />
reichten aber nicht aus, um vorgelesene<br />
moralische Geschichten oder gute<br />
und böse Beispiele aus lehrreichen Fabeln<br />
selbst zu Papier zu bringen.<br />
Der Schulbetrieb wurde in den Folgejahren<br />
von Johann Christoph Schmid aufrecht<br />
erhalten, dann werden die Informationen<br />
über die Lehrer spärlicher. Wir dürfen<br />
aber annehmen, dass der Unterricht<br />
der Jugend zumindest teilweise von den<br />
Dorfpfarrern übernommen wurde. So wird<br />
auch Eduard Mörike in seiner aktiven Zeit<br />
als Pfarrer neben der Kirche Schule gehalten<br />
haben.<br />
Als gesichert nehmen wir an, dass der<br />
Schuldienst von den Lehrern Frieß (1859<br />
weggezogen) und Hinderer (im Frühjahr<br />
1866 nach Weilheim verzogen) weitergeführt<br />
wurde, und dass im selben Jahr<br />
Schulmeister Johannes Höneß übernahm,<br />
der allerdings am 16. März 1874 an Auszehrung<br />
verstarb.<br />
Die Überlieferung der Protokolle der Ortsschulbehörde,<br />
des Kirchenkonvents (1870)<br />
und der Bürgerliste (1886) dokumentiert<br />
in anschaulicher Weise die rasche Abfolge<br />
der Haupt- und Unterlehrer, die in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ihren Dienst versahen:<br />
Dienstzeit in <strong>Cleversulzbach</strong> Lehrer<br />
um 1712 Johann Jacob Schmidt<br />
20. April 1754 Johann Gottlieb Schmidt<br />
1804 Johann Christoph Schmid<br />
vor 1850 Louis Häker<br />
um 1850 Hörtkorn<br />
bis 1859 Frieß<br />
1866 Hinderer<br />
bis 1866 (?) Johannes Höneß<br />
11. November 1875 –19. April Luther<br />
1882<br />
8. Juni 1882 –25. Juli 1888 Mathias Haug<br />
25. April 1889–Juni 1896 Georg Lorch (Schullehrer)<br />
22. September 1896 Münz<br />
3. März 1904 Bayer (Schullehrer)<br />
6. Dezember 1905 Emil Bauer (Unterlehrer)<br />
25. Oktober 1906 Otto Scherne (Unterlehrer)<br />
18. April 1907 Dagenbach (Hauptlehrer)<br />
27. November1907 Wilhelm Schnizler<br />
11. Januar 1909 August Rogg (Amtsverweser)<br />
1. Mai 1910 Gotthold Wurster (Unterlehrer)<br />
29. März 1911 Karl Schmieg (provisorischer Unterlehrer)<br />
28. Juni 1911 Dagenbach (Hauptlehrer)
28. Juni 1911 Fritz Belz (Unterlehrer)<br />
26. März 1912 Wilhelm Steinhilper (stellvertretender Unterlehrer)<br />
22. Oktober 1912 Robert Brinkmann (Amtsverweser)<br />
22. Mai 1915 Ernst August Zeuner (Unterlehrer)<br />
bis 1916 Geiser (Amtsverweser)<br />
1920 Hans Müller (Unterlehrer)<br />
15. Januar1921 Schick (Hauptlehrer)<br />
1. Dezember 1922 Otto Trefz (Unterlehrer)<br />
30. Januar 1926 Zipperle (Lehrer)<br />
ca. 1933 Hofstetter<br />
1. Juni 1935 Hermann Busch<br />
7. März 1946 Hedwig Beug (Schulleiterin)<br />
15. Oktober 1946 Arnold Bölkow<br />
26. Oktober1946 Werner Schenk<br />
24. Februar 1950 Irene Schmidt (apl. Lehrerin)<br />
9. März 1950 Otto Mössner<br />
24. März 1950 Wilhelm Schmid (apl. Lehrer)<br />
1. Januar 1951 Helmut Braun (apl. Amtsverweser)<br />
September 1951–Januar 1957 Edith Grawunder, geb. Käfer<br />
1961–1963 Barbara Schlegel, geb. Freimann<br />
(kommissarische Schulleiterin)<br />
um 1965 Schlumberger (Schulleiter)<br />
21. September 1967 Waltraud Boczek<br />
28. August 1968 Ewald Eisele (Hauptlehrer z. A.)<br />
1972–1975 Lydia Lohmann<br />
Unterstützt wurden die Lehrer bei ihrer<br />
gewiss nicht leichten Aufgabe (Klassenstärke<br />
in dörfl ichen Volksschulen oft 60<br />
Schüler und mehr) zunächst von einem<br />
Lehrgehilfen – dem so genannten Provisor<br />
–, den sie für diesen Dienst zu entlohnen<br />
und ihm Kost und Logis zu verschaffen<br />
hatten. Dies waren ganz junge Leute,<br />
quasi Azubis, die in ihrem zukünftigen Beruf<br />
erste Erfahrungen sammeln konnten.<br />
Behördlicherseits sah man es gerne, wenn<br />
der zuständige Lehrer seinen Gehilfen<br />
möglichst nahe um sich hatte, so konnte<br />
er diesen besser beaufsichtigen, was in<br />
dem einen oder anderen Falle in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
auch ganz angeraten schien (vgl.<br />
dazu z. B. die die nachfolgend aufgeführte<br />
Rüge des Gehilfen Wolf wegen seines Lebenswandels).<br />
Lehrgehilfe Wolf – aller Anfang ist<br />
schwer<br />
Ein Lehrgehilfe war Berufsanfänger, oftmals<br />
der Sohn des Dorfl ehrers und kaum<br />
älter als 16 bis 18 Jahre. Fast selbst noch<br />
ein Kind, sollte er dem altehrwürdigen<br />
Schulmeister zur Hand gehen, erste Geh-<br />
335
336<br />
versuche vor der Klasse machen und Erfahrung<br />
sammeln. Die Gehilfen wechselten<br />
in rascher Reihenfolge ihre Einsatzorte,<br />
Probleme tauchten im Allgemeinen<br />
selten auf, und auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
scheint ihr Engagement insgesamt auf<br />
Zustimmung gestoßen zu sein – bis auf<br />
den Fall Wolf!<br />
Am 9. Januar 1882 erhält nämlich der<br />
Oberschulinspektor ein anonymes<br />
Schreiben, in welchem Lehrgehilfe Wolf<br />
beschuldigt wird, „daß er schlechten Samen<br />
in die Kinder streue” (was immer<br />
das heißt). Auch wird ihm Erfolglosigkeit<br />
bei der Erziehung der Jugend angelastet.<br />
Der Inspektor mahnt den Schulmeister in<br />
der Gemeinderatssitzung (18. Januar<br />
1882) eindringlich, den Lehrgehilfen<br />
schärfer zu überwachen und namentlich<br />
Unzuchtsvergehen umgehend dem Bezirksschulinspektor<br />
zu melden. Der Fall<br />
war heiß, denn auch der übergeordneten<br />
Behörde, dem Königlichen Dekanat, war<br />
ein anonymes Schreiben zugekommen,<br />
in dem die Kompetenz des Lehrgehilfen<br />
massiv angezweifelt wurde: Er führe „ein<br />
ausschweifendes seinen bösen Lüsten u.<br />
dem Trunk ergebenes Leben” und sei<br />
„nicht nur seiner Schule sondern sogar<br />
noch den ledigen Burschen das schlechteste<br />
Vorbild u. Verleiter”.<br />
In der eiligst einberufenen Gemeinderatssitzung<br />
(26. Januar 1882) kam zu<br />
Gehör, dass Wolf bereits öfter vom Ortsschulinspektor<br />
– auch wegen seines<br />
Mangels an Sparsamkeit, Fleiß und Einsatzwillen<br />
– gerügt worden war. Allerdings<br />
müsse man ihm zugute halten,<br />
dass ein Beweis für sittliche Vergehen<br />
nicht erbracht sei und die anstehende<br />
Visitation Genaueres über die Lehrbefähigung<br />
des Gehilfen erbringen werde.<br />
Wie auch immer, Pfarrer Paulus, Schultheiß<br />
Kuttruff und Schulleiter Luther sowie<br />
die Gemeinderatsmitglieder hielten<br />
eine Versetzung des Lehrgehilfen für<br />
wünschenswert, um wieder Ruhe in Gemeinde<br />
und Schule einkehren zu lassen.<br />
Wie der folgende Originalauszug aus der<br />
Gemeinderatssitzung zeigt, konnte sich<br />
Wolf bis in den Mai 1882 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
halten.<br />
Bei dem Durchgang auf dem Rathhaus<br />
bei der gestrigen dekanatamtlichen Kirchenvisitation<br />
wurde dem Gmd.aktuar u.<br />
Bezirksschulinspektor auf seine Frage,<br />
wie man mit dem Betragen des Lehrgehilfen<br />
K. Wolf zufrieden sei, die Anzeige<br />
gemacht, daß derselbe am 2. April einer<br />
Polizeistrafe von 3 M. verfallen ist wegen<br />
ruhestörenden Lärmens in einer Wirtschaft<br />
des hiesigen Orts. So bedauerlich<br />
dieser Vorfall ist, so muß doch auf der<br />
andern Seite auch anerkannt werden,<br />
was zu Gunsten des Lehrgehilfen spricht.<br />
Derselbe hat sich in der Schule diesen<br />
Winter fl eißig bemüht, daß die Kinder im<br />
Lernen vorankommen, die auch größtentheils<br />
die Schule desselben gerne besuchen.<br />
Seit jenem Vorfall am 2. April ist<br />
nichts derart mehr vorgekommen u. es<br />
hat sich seitdem Lehrgehilfe Wolf keinerlei<br />
Klage u. Tadel in der Gemeinde zugezogen.<br />
Er ist sichtlich bemüht durch verdoppelten<br />
Eifer jenes Vergehen gut zu<br />
machen u. in Vergessenheit zu bringen.<br />
Doch glaubt die Ortsschulbehörde, daß<br />
es ihm leichter auf einer anderen Stelle<br />
neu anzufagen, da er selbst einsieht u.<br />
bedauert, daß er durch allzu kameradschaftlichen<br />
Umgang mit der ledigen Jugend<br />
seine Autorität bei dieser erschüttert<br />
(zu haben), dabei ist jedoch nicht zu<br />
verschweigen, daß er die Sonntagsschule<br />
mit Eifer hält u. in derselben keinerlei<br />
Unordnung vorgekommen ist, vielmehr<br />
die Schüler ihre Aufgaben jederzeit richtig<br />
machen u. lernen u. in der Schule<br />
selbst sich gebührend betragen. 3<br />
Angesichts der Tatsache, dass Wolf eine<br />
positive Entwicklung erkennen ließ und
auch weiterhin an sich zu arbeiten gelobte,<br />
wollte sich nun auch die Ortsschulbehörde<br />
nachsichtig zeigen und das Kö-<br />
Dienstzeit in <strong>Cleversulzbach</strong> Lehrgehilfe/Provisor<br />
3. Februar 1870 (?) Simon<br />
um 1874 Lindenberger<br />
11. November 1875 –<br />
1880 Holzapfel<br />
ab August 1880 Wolf<br />
1. Mai 1886 Lang<br />
20. Oktober 1886 Karr<br />
1. Juli 1887 Theurer<br />
5. Mai 1890 Jäkle<br />
25. Juli 1888 Kißling<br />
6. Mai 1890 Strähle<br />
18. Mai 1891 G. Böhringer<br />
12. September 1891 Hermann Gauß<br />
20. Januar 1893 Burkhardt<br />
25. Januar 1893 Lang<br />
5. Januar 1897 Georg Bender<br />
1899 Gröner<br />
2. August 1946 Gerhard Henninger<br />
Die Lehrgehilfen hielten sich besonders<br />
zur Winterszeit wohl recht gerne im<br />
Wirtshaus auf; dies lag daran, dass ihr<br />
Wohnzimmer gänzlich unbeheizt war. Am<br />
30. Dezember 1848 bringt das Oberamt<br />
sein „Wohlgefallen“ darüber zum Ausdruck,<br />
dass „manche Gemeinden schon<br />
freiwillig den bey ihnen angestellten Lehr-<br />
Gehilfen heizbare Wohnzimmer eingerichtet“<br />
haben, damit sich diese „ordnungsliebenden<br />
fl eissigen“ Lehrkräfte in ihren<br />
„Freystunden der eigenen Fortbildung und<br />
der Vorbereitung auf den Unterricht widmen,<br />
anstatt in Wirthshäussern sich aufhalten<br />
müssen.“ Anscheinend waren die<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er und Brettacher Gemein-<br />
nigliche Konsistorium bitten, dem Lehrgehilfen<br />
durch eine Versetzung noch einmal<br />
eine Chance zum Neuanfang zu geben.<br />
deräte weniger wohlgefällig gewesen,<br />
denn durch Rundbrief wurden sie nachdrücklich<br />
angewiesen, im Vorgriff auf die<br />
„bevorstehende Revission des Schulgesezes<br />
[…] das Zimmer des Provisors nicht nur<br />
heizbar machen zu lassen, sonder[n] auch<br />
demselben bey seinem geringen Gehalte,<br />
das wenige Holz anzuweissen, welches zur<br />
Heizung […] erforderlich ist.“<br />
Wer seine Ausbildungszeit ohne Beanstandung<br />
absolviert hatte, konnte irgendwo<br />
im Lande mit einer Anstellung als<br />
Unterlehrer rechnen und dort relativ selbständig<br />
arbeiten. Die jährlichen Schulvisitationen<br />
sorgten dafür, dass nichts aus<br />
dem Ruder lief. Die Übersicht zeigt für die<br />
337
338<br />
Jahre 1870 bis 1946 die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Provisoren in chronologischer Reihenfolge,<br />
soweit dies aus den Unterlagen hervorgeht.<br />
Der Beruf des Lehrers war gemeinhin den<br />
Männern vorbehalten. Zwar kam unter<br />
Umständen gelegentlich auch die Frau des<br />
Lehrers als Gehilfi n zum Einsatz, aber eine<br />
diesbezügliche Berufsausbildung fand<br />
kaum statt.<br />
In den so genannten „Industrieschulen“<br />
kamen bei Bedarf Arbeitslehrerinnen zum<br />
Einsatz, die meistens ohne besondere pädagogische<br />
Ausbildung ihre Kenntnisse und<br />
Fähigkeiten im Stricken, Nähen, Flicken<br />
1 Siehe im Kapitel „Zur Geschichte der Schule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
bis um 1800“.<br />
2 Hauptstaatsarchiv Stuttgart Bestand A 281<br />
3 CB 66 5. Mai 1882<br />
4 CB 66 S. 189<br />
usw. an die jungen Mädchen des Orts weitergaben.<br />
So versah ab 11. November 1875<br />
Rosine, Ehefrau des ansässigen Schuhmachers<br />
Ott, diesen Dienst; gefolgt wurde sie<br />
von Frau Erhardt (ab 1884), Friederike<br />
Korb (1889) und Christiane Schick (1896).<br />
Anders als der Dienst auf Lebenszeit, den<br />
ein Lehrer verrichtete, war der einer „Arbeitslehrerin“<br />
saisonal begrenzt und<br />
brachte z. B. der Friederike Korb in der<br />
Wintersaison 1889/90 ganze 40 Pfennig 4<br />
und in der darauf folgenden Saison 0,70<br />
M pro gehaltener Stunde ein 5 – ein wahrhaft<br />
karges Zubrot zum Verdienst des Ehemannes!<br />
6<br />
5 CB 66 S. 202<br />
6 Lt. CR 424 Beilage 289 erhält M. Bordt am 9. Juni 1921 für<br />
im Sommer und Winter gehaltenen Handarbeitsunterricht<br />
880 Mark.
Schulunterricht anno dazumal<br />
Die Mitglieder des Königlichen Evangelischen<br />
Konsistoriums waren dafür zuständig,<br />
die Einhaltung des Schulkanons, der<br />
Schulordnungen usw. in regelmäßigen Abständen<br />
zu überprüfen und die Arbeit der<br />
Lehrer und Lehrgehilfen zu bewerten. Im<br />
Regelfall übernahm der Pfarrer der Gemeinde<br />
diese Aufgabe, kannte er doch die<br />
Verhältnisse vor Ort am besten. Die<br />
schriftlich ausgearbeiteten Berichte über<br />
diese Schulbesuche wurden dem Dekanat<br />
in Neuenstadt vorgelegt, das sie weiterreichte,<br />
bzw. für die Mängelbeseitigung<br />
zuständig zeichnete.<br />
Laut der württembergischen Schulordnung<br />
von 1582 1 sollten die Pfarrer „unversehens<br />
/ doch zu gelegener Zeit sich in<br />
die Schul verfügen / sehen und acht nemen<br />
/ wie sich der Schulmeister gegen die<br />
Schuljungen / mit Lehr und Disciplin halte<br />
/ auch er selber / etliche darunter im Catechismo<br />
/ Buchstaben / Syllabieren / lesen<br />
/ auch schreiben / examinieren / damit<br />
er erkündigen mög / ob der Schulmeister<br />
fl eissig / und was er Frucht bey den Kindern<br />
schaff e”.<br />
Schul–Visitationen – Auszüge aus Visitations–Protokollen 2<br />
Am 18. April 1870 wurde unter Anwesenheit des Schullehrers Höneß die Sonntagsschule<br />
visitiert und zwar in den behandelten Fächern:<br />
Memorieren, Lesen, Religion das Zeugniß ein gutes<br />
Schönschreiben, Kopfrechnen, metrisches Rechnen das Zeugniß z. g. 3<br />
t. 4 Höneß<br />
t. Kielmeyer<br />
Am 25. und 26. April wurden die beiden Werktagsschulen visitiert und zwar<br />
Cl. I Memorieren m. 5 anwesend:<br />
Bibl. Gesch. g. Schulth. Ziegler<br />
Lesen g. Gdpfl eger Schmiech<br />
Geogr. g. Schulrath Lehmann<br />
Deutsche Spr. g. GdR. Klein<br />
Dictat z. g.<br />
Rechnen g. (metrisches Rechnen)<br />
Singen g<br />
Schönschrift z. g.<br />
Cl. II a) bibl. Gesch. g. anwesend:<br />
Memorieren m. Schultheiß Ziegler<br />
Lesen z. g. Schullehrer Höneß<br />
Ansch. Unterr.<br />
Deutsche Sprache m.<br />
Dictat m.<br />
Schönschreiben m.<br />
Rechnen schwach<br />
Singen z. g.<br />
339
340<br />
b) bibl. Gesch. m.<br />
Memorieren zg.<br />
Lesen zg.<br />
Schreiben zg.<br />
Zählen zg.<br />
Singen zg.<br />
t. Höneß 6<br />
t. Simon 7<br />
t. Kielmeyer<br />
Ein ziemlich herbes Urteil muss Pfarrer<br />
Hartmann als Vertreter der Ortsschulbehörde<br />
am 27. Oktober 1890 den Schülern<br />
der Oberklasse ausstellen, wobei er die<br />
Vertreter des Gemeinderats gleichermaßen<br />
abrügt, aber wenigstens die Lehrer halbwegs<br />
verschont:<br />
Der Ortsschulinspektor kann nicht umhin,<br />
zu constatieren, daß seit seinem Hiersein<br />
seit fünf Jahren der Stand in der OClasse<br />
in Absicht auf Kenntnisse u. Zucht noch<br />
nie ein so unerfreulicher war wie diesmal,<br />
daß aber auch dem Lehrer wie dem Geistlichen<br />
die Arbeit an den Schülern sehr erschwert<br />
wurde durch die Zuchtlosigkeit,<br />
Unachtsamkeit u. Gleichgültigkeit eines<br />
großen Teils der Schüler. – Sodann spricht<br />
der O.schulinspektor auch darüber sein<br />
Bedauern aus, daß bei dieser Visitation,<br />
wie überhaupt bei den 3 letzten pfarramtl.<br />
Schulvisitationen kein einziges<br />
weltliches Mitglied der Ortsschulbehörde<br />
anwohnte, obwohl die O.schulbehörde jedesmal<br />
einige Tage vorher eingeladen<br />
worden ist. Die Ortsschulbehörde hat<br />
über den Stand der Schule nichts zu sagen;<br />
auch will dieselbe den Lehrern nichts<br />
zur Last legen. 8<br />
Ferienverteilung anno 1870<br />
Die so genannten Vakanztage in der<br />
Volksschule wurden für das laufende<br />
Schuljahr folgendermaßen aufgeteilt, wobei<br />
die Sonn- und Feiertage nicht eingerechnet<br />
waren:<br />
für Heu Ernte 6 Tage<br />
Ernte 18 –<br />
Karto el 9 –<br />
Herbst 12 –<br />
45 Tag<br />
Die genaue Festlegung auf bestimmte<br />
Tage oder Zeiträume erfolgte spontan<br />
durch den Gemeinderat je nach erwarteter<br />
Wetterlage.<br />
Unterrichtszeiten<br />
Nachdem bereits am 1. April 1892 „die<br />
hies. öff entliche Uhr nach der mitteleuropäischen<br />
Einheitszeit” gerichtet worden<br />
ist, sieht sich auch die Ortsschulbehörde<br />
aufgerufen, „die Einteilung der täglichen<br />
Schulzeit […] auf der Grundlage der neuen<br />
Uhrzeit […] zu ordnen.” Statt aber die entsprechende<br />
Verfügung des „Königlichen<br />
Cultministeriums“ (23. Februar 1892) umzusetzen,<br />
beharrt die örtliche Schulbehörde<br />
„mit Rücksicht auf die Gewohnheiten<br />
u. Bedürfnisse des bürgerlichen Lebens”<br />
auf der Beibehaltung der gewohnten<br />
Unterrichtszeiten. Das bedeutet, dass<br />
Beginn und Ende des Unterrichts sich wie<br />
bisher nach den Jahreszeiten (Sommer/<br />
Winter) richten. 9<br />
Maschinendreschen<br />
Auszug aus dem Protokoll der Bezirksschulversammlung<br />
1908 10 :<br />
Die am 16. September in Neuenstadt<br />
tagende Bezirksschulversammlung hat<br />
beschlossen, künftig den Schülern zum<br />
Maschinendreschen keine Erlaubnis<br />
mehr zu erteilen. Die Ortsschulbehörden<br />
werden hievon ausdrücklich in<br />
Kenntnis gesetzt.<br />
Turnunterricht<br />
Im Februar 1900 gibt das Königliche Evangelische<br />
Konsistorium zu erkennen, dass<br />
die in dem Erlass vom 8. Juli 1883 (!) gegebenen<br />
Bestimmungen zur Durchführung<br />
des Turnunterrichts 11 noch immer
nicht in ausreichendem Maße an den<br />
Volksschulen umgesetzt werden. Deshalb<br />
erfolgt nochmals ein dringlicher Hinweis<br />
darauf, wie der Turnunterricht abzuhalten<br />
ist: Alle Lehrer (Ausnahmen aufgrund von<br />
Alter, Gesundheitsverhältnissen) sind verpfl<br />
ichtet, Turnunterricht ab der 4. Klasse<br />
zu geben und sich dabei an die neueste<br />
Aufl age des Standardwerkes „Anweisung<br />
zur Erteilung des Turnunterrichts” zu halten.<br />
Auf Variation der Übungen ist zu<br />
achten, besonders Lauf- und Marschübungen<br />
sind zu favorisieren. Bei „niederer<br />
Temperatur sollen Stabübungen vermieden,<br />
dagegen Marsch- u. Laufübungen<br />
u. Turnspiele vorgenommen werden.”<br />
Die Lehrer müssen ein genaues Diarium,<br />
d.h. Tagebuch, führen.<br />
Für <strong>Cleversulzbach</strong> werden spezielle Anweisungen<br />
gegeben:<br />
– Herstellung einer waagrechten Leiter<br />
– Kiesung des Turnplatzes<br />
Ein Vollzugsbericht ist bis 20. Mai 1900<br />
vorzulegen. 12<br />
Lehrspaziergänge<br />
Ab 1906 waren die Ortsschulinspektoren<br />
ermächtigt, den Lehrern „höchstens 6mal<br />
im Jahr die Erlaubnis zu erteilen, während<br />
der Schulzeit einen Lehrspaziergang auszuführen”;<br />
dieser dürfe ein bis zwei Schulstunden<br />
dauern und müsse im Diarium<br />
genauestens vermerkt werden. Ein Erfahrungsbericht<br />
solle bis 1907 vorgelegt werden.<br />
13<br />
Schulmaterialien im 19. und<br />
20. Jahrhundert<br />
Über den wichtigen Bereich der Schulmaterialien<br />
gibt das <strong>Cleversulzbach</strong>er „Mobiliar<br />
Inventar des Schulfonds“ 14 hinreichend<br />
Auskunft. Angelegt hat es der Lehrgehilfe<br />
Karr im Dezember 1883, und alle<br />
nachfolgenden Provisoren haben bis in die<br />
30er Jahre des 20. Jahrhunderts in diesem<br />
ca. 90 Seiten umfassenden Büchlein ihre<br />
Eintragungen über den Bestand an Schulmaterial<br />
vorgenommen. Überprüft wurde<br />
das Inventarium in regelmäßigen Abständen<br />
von den Schullehrern und Pfarrern.<br />
Der Lehrgehilfe verwaltete seinen eigenen<br />
kleinen Bereich an Gerätschaften: Ihm<br />
standen ein Katheder und eine Bank zur<br />
Verfügung, auch diverse Wandtafeln, je<br />
eine Rechen- und Lesemaschine, aber<br />
auch wichtige Utensilien wie ein Thermo-<br />
Schulausfl ug zur<br />
Ruine Weibertreu,<br />
Weinsberg, im<br />
Jahre 1929<br />
341
342<br />
meter oder eine Stimmgabel. Da die Berufsanfänger<br />
off enbar wenig bemittelt<br />
waren, listet das Inventarium auch Dinge<br />
auf, die eher dem persönlichen Bereich<br />
zuzuordnen sind: Kleiderkasten, Bettlade,<br />
Fenstervorhänge und zwei Handtücher. Es<br />
wurde peinlich darauf geachtet, dass diese<br />
Gegenstände dem Nachfolger weitergereicht<br />
wurden, wenn ein Provisor an eine<br />
andere Schule wechselte.<br />
Bereits der Lehrgehilfe konnte über eine<br />
umfangreiche Büchersammlung verfügen,<br />
die zum einen Teil aus pädagogischen<br />
Lehrwerken, zum anderen aus Standardwerken<br />
in Klassenstärke bestand. Auff allend<br />
ist der hohe Anteil an religiös ausgerichteter<br />
Literatur: ein Klassensatz Bibeln,<br />
30 Schnorr’sche Bibelbilder, eine Lehrerausgabe<br />
des Schulchoralbuchs usw.<br />
Wie nicht anders zu erwarten, war das Inventarium<br />
des regulären Schullehrers umfangreicher;<br />
an Gerätschaften fi nden sich<br />
zusätzlich zu den oben genannten Dingen<br />
z. B.:<br />
20 Subsellien15 mit Tintengefäßen<br />
1 Harmonium<br />
1 Ofenschirm<br />
2 Wandtafeln mit Gestellen<br />
1 Schultafel (23 Mark 45 Pf.)<br />
1 neuer Tisch (14 M. angeschaff t<br />
mit Schublade 1911)<br />
1 Zitiert nach der Ortschronik Obersulm, S. 503.<br />
2 CB 66<br />
3 z.g. = ziemlich gut<br />
4 t. = testum; durch Unterschrift bescheinigt<br />
5 m. = mäßig<br />
6 Johannes Höneß, wahrscheinlich seit 1866 angestellt,<br />
stirbt am 16. März 1874 an Auszehrung<br />
7 Simon, ab 1871 Lehrgehilfe an der Schule<br />
8 CB 66<br />
9 CB 66 2. Mai 1892<br />
10 CB 67 Schulrezessbuch<br />
11 Gegen die Einführung eines obligatorischen Turnunterrichts<br />
in der <strong>Cleversulzbach</strong>er Schule hatten folgende hie-<br />
div. Länderkarten (15 M.–22 M./1913)<br />
1 Stempel 1580 M./1922!)<br />
20 Reagenzgläser (4000 M./1923)<br />
4 Zylinder (13.260 M.)<br />
1 Mörser (2.500 M.)<br />
20 Reagenzgläser (0,88 M./1928;<br />
vgl. oben!)<br />
1 Hindenburg-Bild (10 M./1933)<br />
1 Hakenkreuzfahne (14 M. 50 Pf./1933)<br />
Die Schulbibliothek bestand aus ca. 400<br />
bis 450 verschiedenen Titeln, darunter natürlich<br />
die pädagogischen Standardwerke<br />
der Zeit (Gesang-, Lieder-, Lese-, Rechenund<br />
Sprachbücher, die Kinderlehre, das<br />
Harbacher Hilfsbüchlein für die<br />
w[eiblichen] Sonntagsschüler, 1876); auch<br />
hier fällt der umfangreiche Bestand an<br />
christlich orientiertem Lesestoff auf.<br />
Darüber hinaus verfügte die kleine Schule<br />
über eine Lesebibliothek, zu der off enbar<br />
auch die Schüler Zugang hatten. Sie umfasste<br />
etwa 255 verschiedene Bücher und<br />
wurde im Laufe der Zeit ständig an sich<br />
ändernde Geschmacksrichtungen und politische<br />
Strömungen angepasst. So fi nden<br />
sich neben Storms „Meisternovellen” (1,60<br />
M./1932) auch Krieck „Nat. pol. Erziehg.”<br />
(3,90 M./1933) und Hitlers „Mein Kampf“<br />
(5,70 M./1933).<br />
sige Büger Einspruch erhoben und sich geweigert, ihre<br />
Kinder daran teilnehmen zu lassen:<br />
Schneider Stahl, Zimmermann Däuble, Karl Lumpp, Ludwig<br />
Kleber u. Baumwart Dietrich<br />
12 Schulrezessbuch CB 67<br />
13 Schulrezessbuch CB 67<br />
14 CR 263<br />
15 Subsellium Die Schulbank mit schräger Schreibplatte kam<br />
um 1800 auf. Sie wurde oftmals vom Dorfschreiner nach<br />
Anleitung des Lehrers gebaut. Diese Bänke wurden 1964<br />
durch neues Gestühl ersetzt, das von der Hohenloher<br />
Schulmöbelfabrik für 1824 DM geliefert wurde. Die alten<br />
Bänke wurden meistbietend verkauft (CB 33 Bl. 2).
... mit gebotener Strenge – Zucht und Ordnung<br />
in Schule und Alltag im 19. Jahrhundert<br />
Spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
waren alle Heranwachsenden bis zu ihrem<br />
Eintritt in die Berufswelt schulpfl ichtig.<br />
Unentschuldigtes Fehlen im Unterricht<br />
oder bei der Sonntagslehre konnten hart<br />
geahndet werden, mitunter wurden auch<br />
die Erziehungsberechtigten zur Verantwortung<br />
gezogen. Denn diese waren es<br />
schließlich, die in der von Landwirtschaft<br />
geprägten Dorfgemeinschaft <strong>Cleversulzbach</strong><br />
besonders im Sommer und Herbst<br />
ihre Kinder immer wieder zum Ernteeinsatz<br />
heranzogen.<br />
Einige Beispiele aus der guten, alten<br />
Schulzeit zeigen, wie verschiedenartig die<br />
Beweggründe für ungesetzliche Schulversäumnisse<br />
gelagert waren, und wie die<br />
kirchlichen und weltlichen Autoritäten<br />
darauf reagierten. Im Februar 1873 wurde<br />
der Einwohnerschaft nochmals von der<br />
Kanzel herab der Konsistorialerlass zur<br />
Kenntnis gebracht, welcher das neue<br />
Reichsgesetz betreff end die Schulversäumnisse<br />
zum Gegenstand hatte. Wenn<br />
Mahnen und Warnen „wie bisher” nicht<br />
fruchte, dann müsse u. a. mit bis zu 24<br />
Stunden Arrest gestraft werden! 1<br />
In der Folgezeit wurden in fast allen Gemeinderatssitzungen<br />
als Tagespunkt 1 die<br />
Schulversäumnisse summarisch abgerügt,<br />
ohne dass es zu namentlichen Einträgen<br />
ins Protokoll kam.<br />
Eine ernstliche Mahnung traf Löwenwirt<br />
Blatt, dem untersagt wurde, seine Dienstmagd<br />
Pauline Kleiner vom Besuch der<br />
Sonntagskinderlehre abzuhalten. Blatt<br />
versprach, seine Magd so oft es sein Geschäft<br />
erlaube, „diesen für die Jugend so<br />
nötigen und heilsamen Gottesdienst” besuchen<br />
zu lassen. 2 Im Oktober desselben<br />
Jahres, 1886, wurde Christine Christ, die<br />
zweite Dienstmagd des Löwenwirts, vor-<br />
geladen. Als evangelische Christin dürfe<br />
sie sich durch ihren Dienstherrn Blatt<br />
nicht vom Besuch der Kinderlehre abhalten<br />
lassen, zumal ihr Verhalten „ein übles<br />
Vorbild gebe”.<br />
Der moralische Zeigefi nger wurde am 6.<br />
Februar 1889 gleich von zwei Seiten gegen<br />
Gottlieb Hesser erhoben, der einer<br />
Vorladung des Ortsgeistlichen nicht Folge<br />
geleistet hatte und nun vor den Ortschaftsrat<br />
zitiert wurde. Der Junge hatte<br />
in Heilbronn „die Gottesdienste der sog.<br />
‚apostolischen Gemeinde‘ (Irringianer 3 )<br />
besucht”, und Pfarrer Hartmann wollte<br />
seelsorgerlich auf ihn einwirken, sich von<br />
„Gottesdiensten einer außerhalb der<br />
evang. Landeskirche stehenden Sekte wie<br />
die Irringianer überh. fernzuhalten” und<br />
die „Christenlehrgottesdienste der evang.<br />
Landeskirche, in welcher er getauft u.<br />
confi rmiert wurde, regelmäßig zu besuchen.”<br />
Etwa ein halbes Jahr später (2. Oktober<br />
1889) machte eine Empfehlung des<br />
Königlichen Gemeindeoberamts klar, dass<br />
die „Bestrafung der Schüler der ObClasse<br />
wegen Versäumnis der Sonntagsgottesdienste<br />
mittelst Schulstrafen […] einer<br />
festen, gesetzlichen Grundlage entbehre<br />
[…] und außer Wirksamkeit zu setzen” sei.<br />
Dennoch seien die Schüler auch weiterhin<br />
zum Besuch der Veranstaltung verpfl ichtet.<br />
Schullehrer Lorch bot sich an, hierfür<br />
durch „persönliche, moralische Einwirkung<br />
auf die Kinder” Sorge zu tragen.<br />
Etwas anders als im kirchlichen Bereich,<br />
wo man eher durch eine moralische Strafpredikt<br />
eine Verhaltensänderung der Kinder<br />
erreichen wollte, nahm sich die Reaktion<br />
der Lehrer auf Schulversäumnisse<br />
aus: Strafen und vor allem die körperliche<br />
Züchtigung für Schulvergehen waren bis<br />
lange nach dem Zweiten Weltkrieg in<br />
343
344<br />
Deutschland gang und gäbe. Der Autor<br />
hat dies noch aus eigener Anschauung in<br />
Erinnerung; besonders schmerzhaft war<br />
für ihn, dass die Strafe immer coram publico<br />
– also vor versammelter Mannschaft<br />
– verabreicht wurde. Ein interessanter Aspekt<br />
kommt insofern hinzu, dass im <strong>Cleversulzbach</strong><br />
des 19. Jahrhunderts auch<br />
Übertretungen, die außerhalb der Schule<br />
begangen worden waren, im Auftrag des<br />
Gemeinderats vom Lehrer geahndet wurden.<br />
Off enbar war man sich um 1885 über<br />
die rechtliche Seite dieses Vorgehens nicht<br />
mehr ganz sicher, so dass eine diesbezügliche<br />
Anfrage an das Königliche Evangelische<br />
Konsistorium für Klarheit sorgen<br />
sollte. In einem Antwortschreiben wird die<br />
„Anwendbarkeit von Schulzuchtstrafen<br />
gegen Schüler wegen Schulversäumnisses”<br />
eindeutig bejaht, der Sachbearbeiter<br />
Schickhardt, Stuttgart, stützt sich dabei<br />
auf einen Erlass des Konsistoriums vom 4.<br />
April 1882.<br />
Stellvertretend für die vielen ähnlich gelagerten<br />
Fälle mag hier die Bestrafung von<br />
sechs <strong>Cleversulzbach</strong>er Schülern stehen:<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, den 26. August 1886<br />
Am letzten Sonntag, dem 22. Aug. haben<br />
6 Werktagsschüler, nemlich: Karl Fingel,<br />
Ludwig Euerle, Paul Kaiser, Otto Salm,<br />
Karl Erhardt u. Hermann Schlegel die<br />
Sonntagskinderlehre versäumt, welche<br />
mit den Söhnen gehalten wurde, u. während<br />
der Zeit des Gottesdienstes das Feuerwehrfest<br />
in Neuenstadt besucht. Unter<br />
Bezug auf den Beschluß der Ortsschulbehörde<br />
vom 20. September 1884 sollen die<br />
betr. Kinder in der Schule seitens des<br />
Schullehrers mit Tatzen abgestraft werden,<br />
wie dies üb[er]h[aupt] künftig bei<br />
unerlaubten Versäumnissen der Kirche<br />
geschehen soll.<br />
Bei der Gemeinderatssitzung am 3. Februar<br />
1871 „kam die Unsitte zur Sprache,<br />
daß bei Leichenbegräbnissen die<br />
Schulkinder auf öff entlichen Straßen<br />
mit Wein bewirthet werden, so daß es<br />
oft mehr einem Hochzeitsgelage als einem<br />
Leichenbegräbnis gleicht. Es soll<br />
das abbestellt werden u. die Einwohner<br />
aufgefordert werden statt Wein lieber j.<br />
Kind Zucker zu geben. Dieser Rathschluss<br />
soll von der Kanzel mitgetheilt<br />
werden.”<br />
Verhandelt den 13. Mai 1875<br />
Der KirchenConvent versammelt sich,<br />
um Unarten abzurügen welche in dem<br />
Vormittags Gottesdienst des vergang.<br />
Sonntags (S. Exandi) & schon früher<br />
von einigen Sonntagschülern verübt<br />
worden & von Schullehrer Luther zur<br />
Anzeige gebracht sind. Karl Kuttruff<br />
hat während der ganzen Kirche durch<br />
Gestikulationen & Manipulationen<br />
die anderen lächerlich gemacht, nach<br />
ihnen mit dem Kopf gestoßen & sonst<br />
Lärm getrieben, Johann Walter u.<br />
Christian Ott haben darüber gelacht &<br />
dadurch Anlass zur Fortsetzung des<br />
Unfugs gegeben. In Anbetracht, daß<br />
der Unfug sich wiederholt hat & ein<br />
Exempel statuirt w. muß, wird beschlossen,<br />
Karl Kuttruff mit 12 Stund, Johann<br />
Walter & Christian Ott mit je 3 St. Arrest<br />
zu bestrafen, welcher am Pfi ngstmontag<br />
zu erstehen ist.<br />
Die Eröff nung unter Rekursbelehrung<br />
bezeugt<br />
T. Karl Kuttruff<br />
T. Gottlieb Ott<br />
T. Johann Walter
Der Lehrgehilfe Karr bringt am 10. Juli<br />
1884 zur Anzeige, dass die achtjährige<br />
Schülerin Nane Christiane Bordt aus seiner<br />
Speisekammer ca. 30 Eier entwendet<br />
und diese an andere Kinder verteilt<br />
habe. Hierin sieht der Gemeinderat einen<br />
besonders hohen Grad von Frechheit<br />
und Schamlosigkeit; außerdem habe<br />
der Vorfall in der ganzen Gemeinde<br />
schweres Ärgernis erregt, „auch den übrigen<br />
Kindern zum schädlichen Beispiel<br />
gereicht“, weswegen beschlossen wird,<br />
dass sowohl „die Nane Christiane Bordt,<br />
als die übrigen Kinder, welche die gestohlenen<br />
Eier angenommen haben u.<br />
welche bei der heutigen Vernehmung<br />
vor der OrtsSchulbehörde sich besonders<br />
frech u. lügenhaft benommen haben,<br />
in der Schule in Gegenwart der<br />
Classe seitens des Lehrgehilfen mit geschärfter<br />
körperlicher Züchtigung abgestraft<br />
werden, u. zwar soll Nane Christiane<br />
Bordt 6 Tage hindurch je zum Anfang<br />
u. zum Schluß 2 Schläge auf die<br />
Hand erhalten; ferner die 13 J. alte Caroline<br />
Pauline Bordt 3 Tage lang je 6<br />
Schläge zum Schluß der Schule u. 3 ff .<br />
Tage je 4 Schläge, Anna Bordt 4 Tage je 4<br />
u. Pauline Bordt 3 Tage je 2 Schläge erhalten.<br />
Zugleich sollen die Kinder in beiden<br />
Classen vor derartigen Vergehen für<br />
die Zukunft ernstlich verwarnt werden.“<br />
Verhandelt den 20. September 1884<br />
Die Schüler der oberen Schule: August<br />
Däuble u. Ludwig Seebold wurden vorigen<br />
Sonntag 14. Sept. vom Feldschützen<br />
beim Obstdiebstahl betroff en, ein Vergehen,<br />
das dadurch erschwert wird, daß<br />
dieser Frevel während des Nachmittagsgottesdienstes<br />
geschah. Um solchen<br />
Vorkommnissen für künftig vorzu-<br />
Gegen diesen Beschluss erhebt der Korbmacher<br />
Gottfried Bordt, Vater der Pauline,<br />
Einspruch, muss aber hinnehmen,<br />
dass dieser vom Königlichen Gemeindeoberamt<br />
am 18./19. des Monats als<br />
ungerechtfertigt verworfen wird. Der Fall<br />
erhält eine erneute Wendung durch das<br />
Geständnis der Nane Bordt, sie sei am<br />
20. d. M. durch ihre Schwester Pauline<br />
dazu verleitet worden, der Witwe Schlegel<br />
„4 Krägchen u. 5 Manchetten” zu<br />
stehlen. Daraufhin wird die Mutter der<br />
beiden Schwestern mit 2 Tagen Arrest<br />
„wegen Nichtabhaltung vom Diebstahl”<br />
bestraft. Pauline selbst versucht der gegen<br />
sie am 10. Juli verhängten Züchtigung<br />
durch den Lehrgehilfen dadurch zu<br />
entgehen, dass sie „unversehens aus dem<br />
Schullokal” herausspringt. In diesem Benehmen<br />
zeige sich – so der Gemeinderat<br />
– „Widerspenstigkeit, boshafter Mutwille<br />
u. zugleich Hohn gegen den die<br />
Strafe vollziehenden Lehrer wie gegen<br />
die Schulordnung”, so dass eine weitere<br />
Bestrafung der 13-Jährigen unumgänglich<br />
sei. Mit Verweis auf den entsprechenden<br />
Gesetzesparagraphen wird über<br />
Pauline Bordt strenger Schularrest von<br />
12 Stunden verhängt, abzusitzen am 9.<br />
August 1886 von 6.00 –12 Uhr und<br />
12.30 –18.30 Uhr<br />
beugen, wird beschlossen, daß alle Schüler<br />
der Oberklasse künftig regelmäßig u.<br />
streng zum Besuch des Gottesdienstes<br />
auch am Sonntag Nachmittags angehalten<br />
werden sollen, so daß dieser Besuch<br />
ihnen obligatorisch zur Pfl icht gemacht<br />
u. die Versäumnis des Gottesdienstes in<br />
der Schule strafbar sein soll, wie bei den<br />
Werktagsgottesdiensten.<br />
345
346<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, den 22. September 1887<br />
Die Sonntagsschüler Hermann Schlegel<br />
u. August Schlegel haben am 4. September<br />
während einer Taufhandlung<br />
den Gottesdienst durch Lachen gestört.<br />
Denselben wird wegen dieses Unfugs<br />
für diesmal ein ernster Verweis erteilt<br />
mit der gleichzeitigen Bedingung,<br />
daß die künftige Wiederholung eines<br />
derartigen Unfugs, sei es daß derselbe<br />
von ihnen oder andern Sonntagschülern<br />
begangen wird, mit Arrest im Ortsgefängnis<br />
4 bestraft wird.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>, den 5. Dezember 1887<br />
Die Winterabendschüler Hermann Schlegel<br />
u. Christian Riggert haben im Religionsunterricht<br />
in der Winterabendschule<br />
am 20. lf. M. durch ganz unmotiviertes<br />
Lachen den Unterricht gestört. Dieselben<br />
werden wegen dieses Unfugs, den sie<br />
eingestehen, heute von der Ortsschulbehörde<br />
gemäß § 10 Abs. 7 der Schulzuchtverfügung<br />
vom 22. Mai 1880 mit strengerem<br />
Schularrest im Ortsgefängnis abgestraft<br />
u. zwar Hermann Schlegel, der<br />
schon einmal in der Sitzung vom 22.<br />
Septbr. d. J. wegen desselben Unfugs mit<br />
einer Verwarnung bestraft worden ist: 8<br />
Stunden, Christian Riggert mit: 6 Stunden.<br />
Der Schularrest soll bei Hermann<br />
Schlegel vom Donnerstag, 26. Jan. morgens<br />
8 Uhr an, bei Christian Riggert am<br />
Freitag, 27. Jan. von morgens 8 Uhr an<br />
vollzogen werden u. die Eltern der beiden<br />
Kinder von dieser Verfügung in Kenntnis<br />
gesetzt werden.<br />
Christian Riggert hat den Arrest am 27.<br />
Januar v. morgens 8 bis abends 2 Uhr erstanden.<br />
Hermann Schlegel hat den Arrest am 28.<br />
Januar morgens 9 Uhr bis abends 5 Uhr<br />
erstanden.<br />
Schlegel erklärt ferner am Donnerstag<br />
Am 21. November 1887 wird „in Betreff<br />
des Schlittenfahrens seitens der Kinder”<br />
beschlossen, dass das Fahren auf<br />
dem Weg zur Kirche, dem sog. Hirtengäßle,<br />
streng verboten und dieses<br />
Verbot den Schulkindern insbesondere<br />
eingeschärft werden soll. Wird dieses<br />
Verbot dennoch von den Schülern<br />
übertreten, so sollen dieselben in der<br />
Schule streng abgestraft werden. Polizeidiener<br />
Lumpp wird mit der Umsetzung<br />
des Beschlusses beauftragt. 5<br />
den 26. Januar 1888 habe er mit seinem<br />
Vater in Wald gemußt u. habe deshalb<br />
den Arrest erst am 28. Januar antreten<br />
können.<br />
Polizeidiener Lumpp bezeugt am 5. Februar<br />
1889 die Verbüßung der Strafe der drei<br />
Schüler Johann Kleber, Gottlieb Lumpp<br />
und Christian Plenefi sch.
Am 5. Februar 1889 bezeugt Polizeidiener<br />
Lumpp im Gemeinderatsprotokoll,<br />
dass drei Delinquenten die gegen sie verhängte<br />
Strafe „ohne Klage” abgesessen<br />
hätten.<br />
Was war vorgefallen?<br />
Dem Schulinspektorat lag im Januar<br />
1889 eine Klageschrift des Schulamtsverwesers<br />
Theurer vor, worin er gegen<br />
die 3 Sonntags- bzw. Winterabendschüler<br />
Johann Kleber<br />
Gottlieb Lumpp<br />
Christian Plenefi sch<br />
die Beschwerde erhebt, dass diese Schüler<br />
unentschuldigt nicht zum Nachmittagsarrest<br />
erschienen seien, um versäumte<br />
oder schlecht angefertigte Arbeiten<br />
nachzuholen. Kleber und Lumpp<br />
hätten außerdem zwei Strafarbeiten<br />
nicht abgeliefert.<br />
Darüber hinaus bringt der Ortsgeistliche<br />
“Bezüglich des Verhaltens der Kinder<br />
spricht die Ortsschulbehörde den dringenden<br />
Wunsch aus, die Lehrer möchten<br />
darauf bedacht sein und dafür sorgen,<br />
daß die Schulkinder beim Kommen zur u.<br />
beim Heimgehen von der Schule den ärgerlichen<br />
Lärm unterlassen, auch<br />
Freunden gegenüber, welche durch den<br />
Ort gehen, sich anständiger betragen u.<br />
Fuhrwerke u. dgl. unbehelligt lassen,<br />
über welchen Unfug schon mehrfach<br />
Klage geführt wurde.” 6<br />
1 CB 66<br />
2 CB 66 4. Juni 1886<br />
3 Irringianer: katholische apostolische Sekte<br />
4 Das Ortsgefängnis (oder „Zuchthäußle“, wie es landläufi g<br />
hieß) befand sich im Rathaus.<br />
5 Polizeidiener Lumpp (und viele seiner Amtsnachfolger)<br />
werden wohl mitunter ein Auge zugedrückt haben, denn<br />
vor, Hermann Schlegel habe seine Anweisung,<br />
zur Strafe „in den freien Raum<br />
des Schulzimmers zu stehen u. die Hand<br />
nicht in die Hosentasche zu stecken<br />
nicht befolgt, sondern sich an die Säule<br />
mit in die Tasche gesteckter Hand anlehnte,<br />
daß er auch, als die Reihe des Lesens<br />
an ihn kam, nicht lesen wollte u.<br />
erst auf 2malige Auff orderung des Geistlichen<br />
hin mit Widerwillen zum Lesen<br />
sich anschickte.<br />
Nach längerer Beratung erlässt die Ortschulbehörde<br />
unter Pfarrer Hartmann<br />
und Schultheiß Kuttruff gemäß § 10 Abs.<br />
7 der Schulzuchtverfügung gegen die<br />
Schüler folgende Strafen:<br />
Strenger Schularrest, „welcher im Ortsgefängnis<br />
zu erstehen ist, und zwar<br />
Hermann Schlegel mit 12 Stunden<br />
Johann Kleber u.<br />
Gottlieb Lumpp mit je 10 Stunden<br />
Christian Plenefi sch mit 6 Stunden”<br />
Rüge der Ortsschulbehörde 1891<br />
von Zeitzeugen aus den 1950 und 1960er Jahren ist zu<br />
erfahren, dass zur Winterszeit „die ganze wilde Jagd“ das<br />
Hirtengäßle hinunter mit dem Schlitten gerast ist, dann<br />
über den Kirchplatz und die Brettacher Straße bis zur<br />
Post.<br />
6 CB 66 30. November 1891<br />
347
348<br />
Des Sonntags ist er Organist,<br />
des Montags fährt er seinen Mist,<br />
des Dienstags hütet er die Schwein,<br />
das arme Dorfschulmeisterlein.<br />
Lehrerbesoldung im 18. und 19. Jahrhundert<br />
Das weitverbreitete Spottlied beschreibt<br />
verzerrt-übertreibend den sozialen Status<br />
des Volksschullehrers bis weit ins 19. Jahrhundert<br />
hinein. Auch wenn er die Mesnerei<br />
bei Amtsantritt stillschweigend zusätzlich<br />
übernahm und derart sein Salär etwas<br />
aufbesserte, war damit sein Lebensunterhalt<br />
noch keineswegs befriedigend gesichert.<br />
Nicht selten musste der Lehrer seine<br />
Nahrungsmittel im „Krautgärtchen“ selbst<br />
anbauen, oder in den Sommermonaten<br />
Aushilfsarbeiten beim Bauern annehmen.<br />
Die fi nanzielle Lage des Volksschullehrers<br />
besserte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts,<br />
vor allem auch, weil man den nun<br />
besser ausgebildeten Lehrern eine halbwegs<br />
angemessene Besoldung nicht länger<br />
versagen konnte.<br />
Die Besoldung der Schullehrer erfolgte<br />
ursprünglich „aus dem Heiligen“. Darunter<br />
muss man sich eine Art Ortskirchenkasse<br />
vorstellen. Während diese Kirchenstiftung,<br />
auch Heiligenpfl ege oder Kirchenfabrik<br />
genannt, hauptsächlich mit<br />
der Unterhaltung der Kirchengebäude<br />
und dessen Zubehör wie Ausstattung und<br />
Friedhof, Sachbedarf für den Gottesdienst<br />
und Besoldung der Geistlichen zuständig<br />
war, wurden aus der Schulstiftung<br />
bzw. dem Schulfond die Kosten für<br />
die Volksschule bestritten. 1 Später war<br />
die Gemeindepfl ege für die Besoldung<br />
zuständig.<br />
1726<br />
Rechnungsführer Johann Martin Hesser<br />
führt laut der Bürgermeister-Anstands-<br />
Rechnung von 1726 2 11 Gulden an „Schul-<br />
meister Johann Jacob Michael Schmieder<br />
zu einer jährlichen Besoldung 6 Gulden ab:<br />
Von der Abendglocke 1 Gulden<br />
zu läuten<br />
Und von Schlagung der Orgel 4 Gulden<br />
Welches wir im Manual attestirt schon<br />
empfangen.“<br />
Der Eintrag belegt, dass der Schullehrer<br />
sein kärgliches Gehalt durch Zusatzleistungen,<br />
die auch Teil seines Arbeitsvertrages<br />
waren, zu erhöhen trachtete.<br />
1757<br />
Aus der Kopie eines „Gehaltszettels“ (30.<br />
Januar 1757) 3 geht hervor, dass der Schulmeister<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> in dieser Zeit 59<br />
Gulden und 45 Kreuzer Jahresgehalt bezog.<br />
Gehaltszettel eines Lehrers, 30. Januar 1757
1806<br />
Johann Christoph Schmid, der von Pfarrer<br />
Rabausch protegierte Sohn des verstorbenen<br />
Altlehrers Gottlieb Schmid, wird „per<br />
unan. zum Schulmstr. 4 erwählt, da sonst<br />
kein fremder Candidat sich bei der Wahl<br />
eingefunden hatte.“ 5<br />
Wahrscheinlich hatte die zu Grunde gelegte<br />
„Schulbesoldungscompetenz und die<br />
damit verbundenen Accidenzien und jura<br />
Skolae 6 “ weitere Bewerber von einer Kandidatur<br />
abgehalten. Diese Vertragsbedingungen<br />
listen die Verdienstmöglichkeiten<br />
des zukünftigen Lehrers penibel auf und<br />
sie scheinen auf den ersten Blick ein recht<br />
lukratives Angebot zu sein. Bei näherer<br />
Betrachtung stellt sich allerdings heraus,<br />
dass die über 20 Posten, aus denen sich<br />
das Gehalt zusammensetzte, in vielen Fällen<br />
abhängig waren von der Anzahl der<br />
Zusatzdienste, die der Lehrer zu verrichten<br />
hatte, und die von ihm nicht fest eingeplant<br />
werden konnten: Taufen, Hochzeiten,<br />
Beerdigungen, Waschen von Chorhemden,<br />
Innenreinigung der Kirche usw.<br />
Selbst der Erlös aus dem eigentlichen<br />
Kerngeschäft war abhängig von der Anzahl<br />
der unterrichteten Kinder. So nett<br />
sich der „Güter Genuß<br />
3 Viertel Wiesen in der Hagenach<br />
Ein Almandland zu 100 Ruten 7<br />
Ein KüchenGärdtle bei der Kirch.<br />
Dinkel Sieben Scheff el<br />
Stroh 6 Bundt“<br />
auch anhören mag, das ausgelobte Jahresgehalt<br />
für Lehrer Johann Schmid wird unter<br />
dem Strich kaum über 120 Gulden betragen<br />
haben.<br />
1827<br />
Belief sich das Einkommen eines Schulmeisters<br />
im Jahr 1827 noch auf insgesamt<br />
153 Gulden (Geldwert und Naturalien) zuzüglich<br />
einer mietfreien Wohnung, so<br />
konnte er knapp 50 Jahre später über 425<br />
Gulden jährlich verfügen (um 1870).<br />
1836<br />
Einem Auszug aus dem Kirchenkonvents-<br />
Protokollbuch 8 entnehmen wir, dass der<br />
Gemeinde- und Stiftungsrat, in Verbindung<br />
mit dem Bürgerausschuss, gewillt<br />
sei, „es solle der hiesigen Schulstätte eine<br />
bleibende Zulage von 19 f 56 x aus der<br />
Kommun Kasse angewiesen seyn, um die<br />
Besoldung [des Lehrers] auf den Normalfall<br />
von 200 f zu bringen.“<br />
1872<br />
In Folge der Teuerung ging man 1872<br />
auch in <strong>Cleversulzbach</strong> daran, die Lehrerbesoldung<br />
gemäß des Gesetzes vom 18.<br />
April 1872 anzupassen. So sollte der<br />
Schulmeister summa summarum nun 525<br />
fl erhalten, das Gehalt eines Provisors von<br />
160 fl auf 210 fl (zusätzlich des Gegenwertes<br />
für „7 ½ ltr. Dinkel und ½ Klfr. Holz“)<br />
steigen.<br />
Die Schulbeschreibung von Pfarrer<br />
Rheinwald<br />
Eine außerordentlich umfangreiche<br />
und detaillierte Bestandaufnahme der<br />
örtlichen Verhältnisse gibt Pfarrer M.<br />
Rheinwald 9 im Februar 1828 ab. In Abschnitt<br />
VI seines Berichts beschäftigt er<br />
sich eingehend mit dem Schulwesen,<br />
nachfolgend auszugsweise zusammengefasst:<br />
Es ist nur eine Schule im Ort (§ 1), deren<br />
Schulmeister 1806 (Name im Bericht<br />
nicht genannt) vom Gemeinderat<br />
bestimmt wurde (§ 2). Schulbeginn für<br />
die älteren Schüler ist 7 Uhr während<br />
der Sommerzeit, ansonsten 8 Uhr. Die<br />
Zahl der Schüler im Jahr 1827 betrug<br />
41 Knaben und 44 Mädchen, deren Eltern<br />
je 32 Kreuzer jährlich an Schulgeld<br />
entrichteten (§ 3). Das Schulhaus neben<br />
der Kirche wird mangels Pfl ege („baufälliger<br />
Zustand“) als Schulmeisterwohnung<br />
genutzt, der Unterricht fi ndet in<br />
einer Stube im unteren Stock des Rat-<br />
349
350<br />
hauses statt (§ 4)<br />
Für die Heizung des Unterrichtsraumes<br />
kommt die Gemeinde auf (veranschlagt<br />
werden 2 Klafter gemischtes Holz und<br />
100 Büschel Reisig), die Schulutensilien<br />
sind Sache der Heiligenpfl ege, während<br />
die Anschaff ung von Schulbüchern aus<br />
dem Schulfond bestritten wird (§ 5).<br />
Der Schulfond schöpft aus einer Stiftung<br />
der verstorbenen Prinzessin Charlotte<br />
zu Neuenstadt. Der Zinsertrag<br />
reicht kaum, das Nötigste anzuschaffen,<br />
folglich sind keine Prämien für<br />
hervorragende Schüler möglich (§ 6).<br />
Das Einkommen des Schullehrers besteht<br />
z. T. aus einem fi xen Betrag, z.T.<br />
aus Naturalien und Privilegien, und es<br />
beläuft sich auf 75 Gulden 45 Kreuzer.<br />
Hinzu kommt der sog. Gütergenuss, z. B.<br />
„¾ Wiesen, in einer schlechten Lage“,<br />
„ein geringes Allmandstücklein“ und<br />
eine Bürgergabe – in diesem Falle etwas<br />
Holz – insgesamt ein Einkommen<br />
von 81 fl 39 x.<br />
Bestimmte Sonderleistungen des Lehrers,<br />
etwa Abhaltung der Sonntagsschule,<br />
Weihnachtsgesang usw. vergütet<br />
„der Heilige“ mit 11 Gulden. Darüber<br />
hinaus erhält er von dieser Institution<br />
„ein kleines Küchegärtlein“ und ein<br />
Diensteinkommen von 12 Gulden.<br />
Die Emolumente 10 des Schullehrers<br />
betrugen im Jahr Georgii 1826/27<br />
von 21 Taufen 3 fl 51 x, von<br />
Bezüge des Schullehrers 1826/27<br />
8 Leichen 4 fl 30 x, von 4 Hochzeiten<br />
6 fl . Von 80 Schulkindern<br />
41 fl 36 x, von 2 Schulvisitationen<br />
30 x , zusammen 56 fl 27 x.<br />
Nach der Taxe wurden für 1 Taufe<br />
½ Maas Wein und für 2 x Brod<br />
für die Leiche einer erwachsenen Person<br />
45 x für 1 Kindsleiche 15 x für<br />
1 Hochzeit 1 fl 30 x bezahlt.<br />
An Accidenzien, d.h. freiwilligen Geschenken,<br />
durfte der Schullehrer 1 Gulden<br />
annehmen.<br />
Das gesamte Einkommen des Lehrers<br />
belief sich auf 153 Gulden und 24<br />
Kreuzer, „hinzu kommt noch freye<br />
Wohnung“ (§ 7).<br />
Paragraph 8 führt aus, dass die Sonntagsschule<br />
wechselweise für die Söhne<br />
und Töchter des Dorfes gehalten wurde,<br />
bis diese 18 Jahre alt waren. Die Mädchen<br />
wurden zu „weiblichen Arbeiten,<br />
Stricken, Nähen usw.“ angeleitet, die<br />
Knaben zu „Baumpfl anzen“ (§ 8). Der<br />
Bericht schließt mit der Feststellung,<br />
dass es im Ort keine Juden gibt (§ 9).<br />
Pfarrer M. Rheinwald bezeugt mit seiner<br />
Unterschrift die Richtigkeit der<br />
Pfarrbeschreibung.<br />
Lehrer Kißling bezieht um 1888 jährlich<br />
700 Gulden – bestimmt kein übermäßig<br />
großes Gehalt, wenn man bedenkt, dass<br />
Pfarrer Mörike 50 Jahre vorher über ein<br />
Jahreseinkommen von 600 fl verfügte, mit<br />
dem er seinen Lebensunterhalt kaum bestreiten<br />
konnte. Vor diesem Hintergrund<br />
wird verständlich, mit welchem Nachdruck<br />
Lehrer Lorch in einer Eingabe an den Gemeinderat<br />
(12. November 1895) auf die<br />
Tatsache verweist, dass der Gegenwert der<br />
so genannten Fruchtbesoldung im vorangegangenen<br />
Jahr zweimal nach unten
korrigiert wurde, was für ihn einer Verdienstrückstufung<br />
gleichkommt. Er verweist<br />
auf die gängige Praxis in Gochsen,<br />
derzufolge Preisschwankungen am Markt<br />
für die „Besoldungsfrüchte“ (also Dinkel,<br />
„Kernen“, „Haber“ usw.) nicht in willkürlicher<br />
Weise an die Lehrer weitergegeben<br />
würden. Der Schultheiß fühlte sich zwar<br />
im Recht, schrieb aber doch sofort zehn (!)<br />
umliegende Gemeinden an, um in Erfahrung<br />
zu bringen, nach welchen Verwaltungsvorschriften<br />
man die Fruchtbesoldung<br />
der Lehrer durchzuführen habe. In<br />
Roigheim wurde die Fruchtbesoldung, da<br />
„hier 1894/95 bezügl. des Preises keine Einigung<br />
erzielt werden konnte, in natura<br />
geliefert & geschieht dies auch 1895/96.“<br />
Kochendorf meldete, dass man seit Jahren<br />
keine Fruchtbesoldung mehr durchführe.<br />
Der Lehrgehilfe beziehe jedoch nach<br />
wie vor „für 1 ½ Ctr. Dinkel und 2 Rmtr.<br />
Buch[en] Holz in Geld jährl[ich] 150 M u.<br />
1 R[aum]m[e]t[e]r. gem[ischtes] Holz.“ Alle<br />
anderen Gemeinden verfahren für die<br />
„betr. Lehrer infolge des oberamtl.<br />
Con[sistorial] Erlasses v. 13. 8. 1894, [wonach<br />
man ] am 1. 9. 1894 beschloß, von da<br />
ab die für jedes Erntejahr festgestellten<br />
staatlichen Preise der Besoldungsfrüchte<br />
der Kirchen- & Schuldiener zu berechnen.<br />
(1894 / 95 Staatsanz. v. 10. 3. 1894)“.<br />
Während sich die Schullehrer in den meisten<br />
der Nachbargemeinden ins Unver-<br />
1 Matthias Schönthaler, Schriftgut des 19. und frühen 20.<br />
Jahrhunderts in württembergischen Gemeindearchiven<br />
(Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, W.<br />
Kohlhammer Verlag Stuttgart 2007)<br />
2 CR 1<br />
3 Aus dem Nachlass von Rektor H. Braun; Fundort des Originals<br />
unbekannt<br />
4 Einstimmig zum Schulmeister<br />
meidliche fügten und klein beigaben,<br />
zeigt sich unser Mann aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
kämpferisch, indem er die Gesetzmäßigkeit<br />
der in den anderen Gemeinden geübten<br />
Praxis anzweifelt. Des Weiteren bemängelt<br />
er die Verfahrensweise, die der<br />
Gemeinderat an den Tag gelegt habe, dadurch<br />
dass die betroff enen Lehrer zur Sache<br />
nie gehört worden seien. Unter Verweis<br />
auf ähnliche Ungerechtigkeiten, die<br />
ihm während seiner Dienstzeit in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
durch den Gemeinderat zuteil<br />
geworden seien, protestiert er ganz entschieden<br />
gegen eine derartige Behandlung<br />
und stellt in Aussicht, dass er, „sollte<br />
diese Sache nicht bis zum 7. März d.J. in<br />
der von [ihm] vorgeschlagenen Weise geregelt<br />
werden, so werde [er] sämtliche<br />
diesbezüglichen Fälle dem K. Oberamt zur<br />
Entscheidung vorlegen.“<br />
Off enbar eskalierte der Fall derart, dass<br />
sich Pfarrer Harr zu intervenieren bemüßigt<br />
fühlte. Sein Vorschlag war, „es<br />
möchte dem Herrn Lehrer pro 1894/95 der<br />
durch früheres Übereinkommen festgesetzte<br />
Preis von 7 M 80 Pf pro Centner<br />
Frucht berechnet u. fortan der Landesdurchschnittspreis<br />
zu Grunde gelegt werden.<br />
Dieses Übereinkommen dürfte für<br />
beide Teile billig sein u. wären die H. Lehrer<br />
damit einverstanden.“ Damit war der<br />
Streitfall wohl vom Tisch.<br />
5 CB 11, 3. Juli 1806<br />
6 Schulgesetze, Bestimmungen<br />
7 Längenmaß (1 Rute = ca 2,85 m)<br />
8 CR 281<br />
9 Karl Eduard Rheinwald, Amtsinhaber der 31. Pfarrstelle in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> (1825–1830)<br />
10 Emolumente: der Mahlgewinn (des Müllers); demnach: der<br />
Vorteil, Nutzen<br />
351
352<br />
Lehrerwohnung im Schulhaus – Das Lehrerwohnhaus<br />
an der Brettacher Straße<br />
Laut Gesetz hatte die Gemeindepfl ege für<br />
die ständigen Lehrer Wohnungen bereitzuhalten.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> war dies zunächst<br />
eine kleine Lehrerdienstwohnung<br />
im alten Schulhaus neben der Kirche. Die<br />
Verhältnisse müssen ursprünglich äußerst<br />
beengt gewesen sein, waren auf den beiden<br />
Stockwerken doch die Lehrerfamilie<br />
und die Schulzimmer untergebracht; außerdem<br />
sollte – wie bereits an anderer<br />
Stelle ausgeführt – auch noch der Lehrgehilfe<br />
in dem Haus eine Bleibe fi nden.<br />
In den Jahren 1860/61 entstand hinter<br />
diesem Wohnhaus ein Anbau, der in der<br />
Folgezeit die zwei Unterrichtsräume der<br />
Volksschule beherbergte 1 . Dies bedeutete,<br />
dass ein Schulzimmer frei wurde, das nun<br />
der Lehrerwohnung zugeschlagen werden<br />
konnte.<br />
Natürlich war das Lehrerhaus im Laufe der<br />
Jahrzehnte arg ramponiert worden, und es<br />
hatte wohl auch Reparaturen oder den einen<br />
oder anderen Umbau über sich ergehen<br />
lassen müssen. 2 So ist es gar nicht<br />
verwunderlich, dass im Jahre 1920 massive<br />
Restaurationsarbeiten an dem altehrwürdigen<br />
Bau vorgenommen wurden. Mit<br />
einem Kostenvoranschlag für die Hauptlehrerwohnung<br />
in Höhe von 10.000 Mark<br />
bereitet Architekt Bez aus Neckarsulm den<br />
Gemeinderat auf eine Kostenlawine vor 3 ,<br />
ein Betrag, der 14 Tage später durch einen<br />
zweiten Kostenvoranschlag über 3.700<br />
Mark für die zwei Schulsäle noch einmal<br />
wesentlich erhöht wird. 4<br />
Da die Bewerbung des dringend benötigten<br />
Amtsverwesers Schick als Lehrer an<br />
die Herrichtung der Wohnung geknüpft<br />
war, blieb der Gemeinde keine andere<br />
Wahl, als den Beschluss zu der Investition<br />
von fast 14.000 Mark zu fassen – dies jedoch<br />
lediglich unter der Bedingung, dass<br />
sich Schick verpfl ichtete, mindestens auf<br />
fünf Jahre als Lehrer in <strong>Cleversulzbach</strong> zu<br />
unterrichten, und dass der Architekt den<br />
genannten Betrag auf keinen Fall überschreiten<br />
dürfe.<br />
Aufrisszeichnung vom geplanten Lehrerwohnhaus<br />
an der Brettacher Straße, 1933<br />
In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
wurde ein Wohnhaus an der Straße<br />
nach Brettach gebaut. Über diesen Neubau<br />
bringt der Oberschulrat bei einer Prüfungssitzung<br />
am 6. November. 1934 5 seine<br />
Freude zum Ausdruck und lobt die Tatsache,<br />
dass „die Dienstwohnungsfrage in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> so vorbildlich gelöst sei”.<br />
Als Einzugstermin für einen Lehrbewerber<br />
sieht er den 1. April 1935 vor. Vielleicht<br />
hätte der Schulrat etwas weniger drängen
Grundrisse vom Erdgeschoss und 1. Stock<br />
im neuen Lehrerwohnhaus<br />
sollen, denn bereits drei Jahre nach Bezug<br />
des Hauses wendet sich Schulleiter Busch<br />
an das Bürgermeisteramt mit der dringenden<br />
Bitte, folgende Mängel abzustellen:<br />
1. Ersetzung der Holztreppe durch eine<br />
Steintreppe 6<br />
2. Trockenlegung einer feuchten Wand im<br />
Erdgeschoss<br />
3. Begutachtung von Baurissen und Verputz<br />
durch den Architekten erforderlich<br />
Ob die Bitte des Schulmannes off ene Oh-<br />
Das Lehrerwohnhaus in der Brettacher<br />
Straße, nord-östliche Ansicht, 1938<br />
ren fand, mag bezweifelt werden, denn<br />
das verfügbare Geld ging spätestens im<br />
nächsten Jahr ganz andere Wege. Von<br />
dem vollmundigen Versprechen, der „neue<br />
Staat” werde „Wissen und Erziehung” mit<br />
großer Priorität behandeln – und zwar<br />
„ohne Rücksicht auf etwaige Geldfragen<br />
(6. November 1934), wird angesichts des<br />
nun folgenden Krieges wenig übrig geblieben<br />
sein. So verwundert es auch nicht,<br />
dass in einem Bericht (Bezirksschulrat II<br />
vom 4. Mai 1944) an der Dienstwohnung<br />
erhebliche, auch gesundheitsrelevante<br />
Mängel gerügt wurden. Der Bericht stellte<br />
in Aussicht, dass die Mängel „nach Kriegsende”<br />
abgestellt werden und lobte, „dass<br />
die Zimmer durch Frau Busch in Ordnung<br />
gehalten werden.”<br />
Off enbar gab es auch noch ein Dienstzimmer<br />
für Lehrer im Rathaus, das – so der<br />
Schulrat – nun für andere Zwecke Verwendung<br />
fi nden könne. Im gleichen<br />
Atemzug forderte er als unumgängliche<br />
Notwendigkeit, „auch der Hitlerjugend einen<br />
geeigneten Raum zur Verfügung zu<br />
353
354<br />
stellen. Dazu wäre der untere Wohnraum<br />
besonders günstig und gut geeignet.”<br />
Gleich nach Kriegsende verlor der oben<br />
erwähnte Schulleiter Hermann Busch im<br />
Zuge der Entnazifi zierung seinen Status<br />
als Lehrer, er verlor gleichzeitig seine Pensionsansprüche<br />
und sein Anrecht auf Nutzung<br />
des Wohnhauses. Immerhin wurde<br />
ihm ein Aufschub bis zur Räumung des<br />
Hauses gewährt, obwohl die meisten Gemeindemitglieder<br />
den Wunsch hegten,<br />
„Busch möge wegziehen” 7 . Busch selbst<br />
duldete notgedrungen, dass Teile des Lehrerwohnhauses<br />
von Vertriebenen und<br />
Ausgebombten in Anspruch genommen<br />
wurden, obwohl solch eine Zwangsmaßnahme<br />
durch die Gemeinde vom Gesetz<br />
nicht abgedeckt war.<br />
Die Stelle eines ständigen Volksschullehrers<br />
blieb nach dem Krieg zunächst vakant,<br />
z. T. auch, weil der vom Schulamt zugewiesene<br />
Lehrer Arnold Bölkow seinen<br />
1 Vgl. die weiteren Ausführungen im Kapitel „Das alte<br />
Schulhaus an der Kirche”.<br />
2 Bereits Ende 1912 war der Neubau einer Lehrerwohnung<br />
Gegenstand einer Gemeinderatssitzung gewesen, nachdem<br />
die 1907 durch Konsistorialerlass gewährte Baufrist<br />
ergebnislos abgelaufen war. Nur durch Entgegenkommen<br />
des neu verpfl ichteten Hauptlehrers Dagenbach 1909 war<br />
es der Gemeinde überhaupt möglich gewesen, eine weitere<br />
Verlängerung der Baufrist bis 1920 zu erlangen. Immerhin<br />
deutet die Bildung eines Baufonds (seit 1908<br />
jährliche Einlage 500 Mark) darauf hin, dass die Ge-<br />
Dienst nicht antreten wollte, da die Gemeinde<br />
keine Wohnmöglichkeit zur Verfügung<br />
stellte (22./29. Oktober 1946). Die<br />
Lage besserte sich, als Irene Schmidt in<br />
das Lehrerhaus einzog (24. Februar 1950),<br />
der (1. Januar 1951) Helmut Braun als<br />
Amtsverweser folgte. Aus Lehrerin<br />
Schmidt wurde bald Frau Braun, das Haus<br />
an der Brettacher Straße hatte nun bis<br />
Anfang der 1960er Jahre hinein beständige<br />
Mieter 8 . Als diese in den eigenen<br />
Neubau am östlichen Ortsrand umzogen,<br />
meldete Hauptlehrer Ewald Eisele Interesse<br />
an der Wohnung an.<br />
Das Haus wurde einer Renovierung unterzogen,<br />
so wurde z. B. im Herbst 1968 eine<br />
Kläranlage und Öllagerung installiert.<br />
Zehn Jahre später erfolgte der Beschluss,<br />
„das Lehrerwohnhaus an der Brettacher<br />
Straße zu verkaufen, da ein Vermieten<br />
dieser Wohnung nicht mehr wirtschaftlich<br />
ist.” 9<br />
Das ehemalige Lehrerwohnhaus<br />
heute<br />
meinde zumindest ansatzweise die Umsetzung des Projektes<br />
„Neubau einer Lehrerwohnung“ ins Auge fasste. Es<br />
sollte noch bis 1934 dauern, bis das Vorhaben realisiert<br />
wurde.<br />
3 CR 424 Beilage 108 4. März 1920<br />
4 CR 424 Beilage 107 17. März 1920<br />
5 CA 597<br />
6 Vgl. hierzu auch CB 36 S. 469 8. Oktober 1938<br />
7 CA 600 30. Juli 1947<br />
8 CA 337 26. Oktober 1962<br />
9 CB 33 Bl. 92 13. April 1978
Einzugsbereich der Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
15. März 1965<br />
Der Gemeinderat beschließt, die Klassen<br />
6–8 in Neuenstadt unterrichten zu lassen,<br />
die jeweiligen Klassen 5 aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
und Neuenstadt jedoch gemeinsam<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>. 1<br />
22. Juni 1965<br />
Seit Beginn des Schuljahres 1965/66 werden<br />
die Schüler der fünften Volksschulklasse<br />
aus Neuenstadt im Klassenraum<br />
(Obergeschoss) unterrichtet 2 . Mit Einführung<br />
eines neuen Schulentwicklungsplanes<br />
soll zu diesem Verbund auch noch<br />
Goch sen hinzukommen. Hier sollen die<br />
neuen Klassen 8 und 9 unterrichtet werden<br />
3 . Diese Regelung wird 1967 geändert:<br />
Die Klassen 5 und 6 werden in Gochsen,<br />
die Klassen 7, 8 und 9 in Neuenstadt unterrichtet.<br />
21. März 1969<br />
Im Landkreis kommt es zu einer Neuordnung<br />
der „Beschulung” der Kinder, von<br />
denen auch die <strong>Cleversulzbach</strong>er Schüler<br />
betroff en sind:<br />
Die Gemeinden Neuenstadt, Gochsen,<br />
Lampoldshausen, Brettach und Kochersteinsfeld<br />
machen, je nach den örtlichen<br />
Gegebenheiten, Bildungsangebote, wobei<br />
ggf. ganze Klassenstufen ausgelagert werden,<br />
oder aufeinander folgende Klassenstufen<br />
wie zu Urväters Zeiten zusammen<br />
unterrichtet werden. Besonders gravierend<br />
fällt dies in <strong>Cleversulzbach</strong> aus, wo die<br />
Grundschule aus einer einzigen Klasse besteht,<br />
in der die Schuljahre 1–4 unterrichtet<br />
werden.<br />
1 CA 597 und CB 33<br />
2 CA 600 und CB 33<br />
3 CB 33 Bl.137 1. Oktober 1966<br />
4 CA 597<br />
31. Oktober 1969<br />
Die einzelnen Klassenstufen setzen sich<br />
wie folgt zusammen4 :<br />
Klasse 1 10 Schüler<br />
Klasse 2 14 Schüler<br />
Klasse 3 11 Schüler<br />
Klasse 4 7 Schüler<br />
42 Schüler<br />
Auslagerung der Klassen 5–9 nach Neuenstadt<br />
15. Oktober 1970<br />
Klasse 1 10 Schüler<br />
Klasse 2 11 Schüler<br />
Klasse 3 13 Schüler<br />
Klasse 4 12 Schüler<br />
46 Schüler<br />
Laut Beschluss des Gemeinderates vom 6.<br />
November 1970 sollen die Eltern der Klassen<br />
1–4 durch Abstimmung entscheiden,<br />
ob ihre Kinder ab Klasse 3 den Unterricht<br />
der Nachbarschaftshauptschule Neuenstadt<br />
besuchen.<br />
24. August 1971<br />
In Übereinstimmung mit den Eltern beschließt<br />
der Gemeinderat, dass künftig die<br />
Schüler der Klasse 4 in Jahrgangsklassen<br />
die Grundschule Neuenstadt besuchen<br />
sollen. D.h. Auslagerung der Klasse 4–9<br />
nach Neuenstadt<br />
16. Oktober 1972<br />
Klasse 1 8 Schüler<br />
Klasse 2 13 Schüler<br />
Klasse 3 10 Schüler<br />
31 Schüler<br />
1974 kam das Aus für die Schule in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
355
356<br />
Entwicklung zum modernen<br />
Gemeinwesen<br />
Die Entwicklung von <strong>Cleversulzbach</strong> seit der<br />
Eingemeindung im Jahr 1972 bis heute<br />
Bürg, <strong>Cleversulzbach</strong>, Kochertürn, Stein<br />
und Neuenstadt am Kocher – fünf Stadtteile<br />
mit ganz individuellem Charakter<br />
machen heute Neuenstadt am Kocher aus.<br />
Eingemeindung<br />
Und <strong>Cleversulzbach</strong> war es auch, das sich<br />
zuerst im Rahmen der Gemeindereform<br />
am 1. Januar 1972 Neuenstadt anschloss.<br />
Es folgten Kochertürn (1. September 1972),<br />
Stein am Kocher (31. Dezember 1972) und<br />
Bürg (1. Januar 1973). Ob es immer eine<br />
Liebesheirat war, sei dahin gestellt. Sicher<br />
ist aber, dass es keine Zwangsehen waren.<br />
Ende der 1960er Jahre wurde unter dem<br />
damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger<br />
die große Kommunalreform vorangebracht.<br />
Sie gab dem Land, und auch<br />
dem Landkreis Heilbronn, ein neues Ge-<br />
Bürgermeister Richard Nef bei der Ansprache zur Eingemeindung von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> nach Neuenstadt am Kocher<br />
sicht. In Baden-Württemberg verringerte<br />
sich die Zahl der Kommunen von 3.379 bis<br />
zum Jahr 1975 auf 1.111.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> begleitete man die vom<br />
Landratsamt Heilbronn vorgelegte Zielplanung<br />
zur „Gemeindereform“ kritisch. Im<br />
November 1970 lautete eine Stellungnahme<br />
des <strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeinderates,<br />
dass die Gemeinde schon immer zur<br />
sinnvollen überörtlichen Zusammenarbeit<br />
bereit war, dass sie aber ihre Dinge auch<br />
weiterhin in eigener Zuständigkeit erledigen<br />
will.<br />
Nach weiteren Gesprächen und Verhandlungen<br />
im Jahr 1971 wurde eine Eingliederungsvereinbarung<br />
ausgearbeitet und auf<br />
einer gemeinsamen Sitzung der Gemeinderäte<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> und Neuenstadt<br />
am Kocher im Sitzungssaal des Rathauses
Symbolischer Wechsel der Ortsschilder<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> beraten. Dabei konnte<br />
unter der Leitung der damaligen Bürgermeister<br />
Richard Nef und Rolf Bernauer<br />
über die noch ungeklärten Bestimmungen<br />
Einigkeit erzielt werden. So wurde die Zahl<br />
der Ortschaftsräte auf acht festgesetzt<br />
und <strong>Cleversulzbach</strong> wurden im Gemeinderat<br />
der Stadt Neuenstadt drei Sitze garan-<br />
tiert. Bei der Bürgeranhörung am 12. Dezember<br />
1971 sprach sich dann eine große<br />
Mehrheit mit 81 Prozent für eine Eingliederung<br />
nach Neuenstadt aus.<br />
Bereits zwei Tage später, am 14. Dezember<br />
1971, beschloss der Gemeinderat einstimmig,<br />
der Eingliederung zuzustimmen. Umringt<br />
von den Gemeinderäten übergab am<br />
1. Januar 1972 Bürgermeister Richard Nef<br />
seine Gemeinde zu treuen Händen an Bürgermeister<br />
Rolf Bernauer. Danach wurde<br />
mit einem Tausch der Ortsschilder die Eingliederung<br />
symbolisch besiegelt.<br />
Siedlung, Gemarkung und Entwicklung<br />
Die Gemarkung von <strong>Cleversulzbach</strong> umfasst<br />
528 Hektar. Die Einwohnerzahl ist im<br />
Vergleich zu 1946 von 543 auf 820 im<br />
Jahr 2012 gestiegen.<br />
Auch <strong>Cleversulzbach</strong> stellte sich der großen<br />
Herausforderung, unmittelbar nach<br />
Kriegsende evakuierte Flüchtlinge und Heimatvertriebene<br />
aufzunehmen. Es herrsch te<br />
eine große Wohnungsnot.<br />
Die Gemeinde nutzte die Chance, die Zusammensetzung<br />
der Ortsbevölkerung innerhalb<br />
weniger Jahre nachhaltig und positiv<br />
zu verändern. Dank der aktiven Vereine<br />
gelang eine schnelle Integration.<br />
Postkartenansicht<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
in den<br />
1960er Jahren<br />
357
358<br />
Die Zunahme der Bevölkerung beruht<br />
auch auf einer umsichtigen Baulanderschließung.<br />
Zwischen 1960 und 1996 wurden<br />
acht Baugebiete mit insgesamt 160<br />
Bauplätzen erschlossen. Im Jahr 2012 sind<br />
in diesen Baugebieten mit 450 Personen<br />
mehr als die Hälfte der derzeitigen Einwohner<br />
gemeldet.<br />
Durch die Ausweisung von neuen Baugebieten<br />
am Ortsrand bestand aber die Gefahr,<br />
dass eine Überalterung in der Ortsmitte,<br />
sowohl in der Altersstruktur der Bewohner,<br />
als auch in der Bausubstanz der<br />
Gebäude, droht. <strong>Cleversulzbach</strong> war ursprünglich<br />
stark landwirtschaftlich geprägt<br />
und zeichnet sich durch dörfl iche Strukturen<br />
mit an der Straße stehenden Wohnhäusern<br />
und teilweise direkt angebauten<br />
Scheunen aus. Die früher ortsbestimmende<br />
Landwirtschaft hat, wie in zahlreichen vergleichbaren<br />
Orten, weitestgehend an Bedeutung<br />
verloren. Die oftmals kleinteilige<br />
und verschachtelte Grundstücksgliederung<br />
trägt dazu bei, dass dieser innerörtliche<br />
Konfl ikt verstärkt wird.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> hat man sich bereits<br />
früh mit den Chancen aus dem „Entwicklungsprogramm<br />
Ländlicher Raum“ beschäftigt.<br />
Mitte der 1990er Jahre hat die<br />
Stadt Neuenstadt eine Strukturuntersuchung<br />
in Auftrag gegeben. Diese kam zum<br />
Ergebnis, dass der Ortskern von Clever-<br />
sulzbach sich in den letzten Jahren kaum<br />
verändert hat. Durch die natürliche Bevölkerungsentwicklung<br />
hat sich das Verhältnis<br />
der im Ortskern wohnenden Personen<br />
gegenüber den in den Neubaugebieten<br />
wohnenden Personen prozentual<br />
drastisch verschlechtert. Dies ist darauf<br />
zurückzuführen, dass der Ortskern für<br />
Bebauungsplan Jahr Anzahl der Bauplätze Einwohnerzahl 2012<br />
Lange Äcker 1960 15 44<br />
Kleienbaum 1964 10 20<br />
Nebenweg 1965 21 56<br />
Lange Äcker II 1971 22 62<br />
Nebenweg II 1975 9 22<br />
Nebenweg III 1980 18 57<br />
Heiligenhäusle 1986 33 96<br />
Lange Äcker/Greut 1996 32 93<br />
Seestraße 2006 9 24<br />
eine Wohnnutzung als unattraktiv bezeichnet<br />
werden muss. Diese Unattraktivität<br />
begründet sich in der Hauptsache<br />
auf die Struktur des Ortskerns mit seiner<br />
sehr dichten Bebauung und der teilweise<br />
vorhandenen Nutzungskonfl ikte (Wohnen<br />
und landwirtschaftliche sowie gewerbliche<br />
Nutzung).<br />
Es wurde das Ziel vereinbart, den Ortskern<br />
zu stärken und eine erhebliche strukturelle<br />
Verbesserung der Ortsmitte zu bewirken.<br />
Dazu sollten insbesondere alte, seit<br />
Jahren nicht mehr bewohnte landwirtschaftliche<br />
Gebäude weichen, um auch<br />
Flächen für Ersatzneubauten zu schaff en.<br />
Als innerörtliches kleines Baugebiet ist<br />
dies 2006 mit der „Seestraße“ gelungen.<br />
Eine ebenfalls städtebaulich sinnvolle Abrundung<br />
wäre die Neuordnung der Kleingärten<br />
zu Wohnbaugrundstücken zwischen<br />
der Fladenstraße und der Neuenstädter<br />
Straße.<br />
Ein früh formulierter Wunsch war die<br />
Schaff ung eines Dorfplatzes. Dieser
Ortskern mit Neubaugebiet, 2012<br />
könnte dem alten Ortskern seine Funktion<br />
als Lebensmittelpunkt wiedergeben. Mit<br />
Hilfe des „Entwicklungsprogramms Ländlicher<br />
Raum“ und dank der großzügigen<br />
Förderung mit Landesmitteln konnten in<br />
den vergangenen 15 Jahren zahlreiche öffentliche<br />
und private Maßnahmen verwirklicht<br />
werden. Einige Beispiele seien<br />
besonders erwähnt.<br />
1988 wurde aus dem Förderprogramm<br />
„Ländlicher Raum“ der Umbau der im Jahr<br />
1956 eingeweihten Kelter-Halle bezuschusst.<br />
Die Kelter-Halle dient als Treff punkt für<br />
kulturelle, sportliche und zahlreiche andere<br />
dorfbezogene Veranstaltungen. Sie<br />
ist für das gesellschaftliche und aktive<br />
Vereinsleben von <strong>Cleversulzbach</strong> eine<br />
große Bereicherung. Neben dem großen<br />
Versammlungsraum sind dort mehrere<br />
Vereinsräume und eine vollfunktionstüchtige<br />
Kelter untergebracht.<br />
2006 hatte der Gemeinderat einstimmig<br />
beschlossen, die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong><br />
als selbstständige Abteilung der Freiwilligen<br />
Feuerwehr Neuenstadt am Kocher zu<br />
erhalten. Auf Grundlage dieses Beschlusses<br />
wurden 2008 neue Schulungs- und<br />
Umkleideräume für die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong><br />
in der Kelter-Halle geschaff en.<br />
2011 feierte die Freiwillige Feuerwehr in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> ihr 125-jähriges Jubiläum.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> ist in literarischen Fachkreisen<br />
schon seit langer Zeit ein fester<br />
Begriff . 1996 wurde das aus dem 18. Jahrhundert<br />
stammende alte Schulhaus zum<br />
Mörike-Museum umgestaltet. Im Juli 2004<br />
erfolgte dann die Erweiterung. 2004 war<br />
auch das Jahr, in dem der Pfarrer und<br />
Dichter Eduard Mörike seinen 200. Geburtstag<br />
gefeiert hätte. Dank des engagierten<br />
Freundeskreises Mörike-Museum<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> e. V. sind das Museum und<br />
die vielen literarischen Veranstaltungen<br />
nicht mehr aus dem kulturellen Leben<br />
wegzudenken. Im gleichen Jahr wurden<br />
auch die Brettacher Straße und die angrenzenden<br />
Gehwege grundlegend saniert.<br />
Gerade mit wohnumfeldverbessernden<br />
Maßnahmen soll die Bereitschaft der<br />
Bevölkerung, eigene Gebäude im alten<br />
Ortskern zu sanieren, erhöht werden.<br />
359
360<br />
In diesem Zusammenhang ist auch die Sanierung<br />
des alten Backhauses an der<br />
Brettacher Straße zu sehen. Rechtzeitig<br />
zur 750-Jahrfeier im September 2012 wird<br />
das 1839 erbaute Backhaus mit der Woh-<br />
Blick von der Brettacher Straße zur<br />
Kirche und zum Mörike-Museum<br />
nung im Obergeschoss grundlegend<br />
saniert. In der künftigen<br />
Planung des zentralen<br />
Dorfplatzes wird das Backhaus<br />
eine wichtige Funktion<br />
übernehmen. Der dazu notwendige<br />
Grunderwerb ist<br />
2012 erfolgt. Somit könnte<br />
bei Gewährung des beantragten<br />
Zuschusses bereits 2013 der neue<br />
Dorfplatz verwirklicht werden. Am 1. Mai<br />
wurde im Bereich des neuen Dorfplatzes<br />
erstmals ein Zunftbaum, als Auftakt zur<br />
750-Jahr-Feier, aufgestellt.
Infrastruktur<br />
Für junge Familien gibt es in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
bedarfsgerechte Betreuungsangebote<br />
für Kinder von ein bis sechs Jahren.<br />
Die Kindertagesstätte „Wiesenweg“ wurde<br />
durch einen Anbau vergrößert. 2011<br />
wurde nach weiteren Umbaumaßnahmen<br />
eine Kinderkrippengruppe mit zehn Plätzen<br />
eröff net.<br />
Für die Zukunftsfähigkeit eines Dorfes ist<br />
es heute wichtiger denn je, dass eine gut<br />
ausgebaute Breitbandversorgung vorhanden<br />
ist. Schnelles Internet gehört zwischenzeitlich<br />
zur Daseinsvorsorge wie ein<br />
leistungsfähiger öff entlicher Personennahverkehr<br />
und eine gesicherte Wasserversorgung.<br />
Seit Dezember 2011 ist <strong>Cleversulzbach</strong><br />
an ein hochleistungsfähiges<br />
Glasfasernetz angeschlossen und somit in<br />
diesem Bereich auf die Herausforderung<br />
der Zukunft bestens vorbereitet.<br />
Zur Infrastruktur und Daseinsvorsorge gehört<br />
auch eine Abwasserbeseitigung, die<br />
den gestiegenen Anforderungen des Umweltschutzes<br />
gerecht wird. <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ist der einzige Stadtteil, der nicht an die<br />
Kläranlage des Abwasserzweckverbandes<br />
„Unteres Kochertal“ in Stein am Kocher<br />
angeschlossen ist, sondern an die vor wenigen<br />
Jahren generalsanierte Verbandskläranlage<br />
im Brettachtal.<br />
In <strong>Cleversulzbach</strong> gibt es eine Bankfi liale<br />
der Volksbank Möckmühl-Neuenstadt und<br />
eine Verkaufsstelle der Bäckerei Discher.<br />
Örtliche Firmen und Handwerksbetriebe<br />
bieten wohnortnahe Arbeitsplätze.<br />
Das Restaurant „Brunnenstüble“ der Familie<br />
Seebold bereichert seit über 20 Jahren<br />
das gastronomische Angebot des Ortes.<br />
Seit 2009 ist das neue evangelische Gemeindehaus<br />
eine beliebte Begegnungsstätte<br />
für Jung und Alt in der Ortsmitte.<br />
Kommunalwahl<br />
Für Bürg, <strong>Cleversulzbach</strong>, Kochertürn und<br />
Stein am Kocher gilt seit der Eingemein-<br />
dung nicht nur die Unechte Teilortswahl,<br />
sondern auch die Ortschaftsverfassung.<br />
Damit fi nden alle fünf Jahre auch Wahlen<br />
zum Ortschaftsrat statt.<br />
Bei der letzten Kommunalwahl am 7. Juni<br />
2009 gab es 622 Wahlberechtigte. 361<br />
gingen zur Wahl, was einer Wahlbeteiligung<br />
von 58,04 Prozent entspricht.<br />
Dem aktuellen Ortschaftsrat gehören an:<br />
Helmar Birk<br />
Andreas Bürger<br />
Susanne Endreß<br />
Gabi Gottselig<br />
Matthias Hofmann<br />
Martin Simpfendörfer<br />
Rose Spahmann<br />
Günther Stahl<br />
Ortsvorsteher ist seit 2009 Günther Stahl.<br />
Seine Vorgänger waren Werner Uhlmann<br />
(1986–2009), Dieter Plenefi sch (1978–<br />
1986) und Richard Nef (1972–1978).<br />
Den Ehrenring der Stadt Neuenstadt für<br />
besondere Verdienste im kommunalen Eh-<br />
Zunftbaum, aufgestellt am 1. Mai 2012<br />
361
362<br />
renamt tragen in <strong>Cleversulzbach</strong> Gotthilf<br />
Arlt, Erwin Lumpp, Klaus Schlegel und<br />
Werner Uhlmann.<br />
Kulturelles Leben<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> hat sich seit der Eingemeindung<br />
seinen individuellen Charakter<br />
bewahrt. Mit seinem Gedicht „Der alte<br />
Turmhahn“ hat Eduard Mörike den Ort<br />
weithin bekannt gemacht. Vieles erinnert<br />
bis heute an diese Zeit:<br />
Das Grab der Dichtermütter von Schiller<br />
und Mörike auf dem Friedhof, das mächtige<br />
Pfarrhaus, der Pfarrgarten, die Kirche<br />
und vor allem das liebevoll gestaltete<br />
Mörike-Museum und der Mörike-Pfad.<br />
Der „Kirchweg“ von <strong>Cleversulzbach</strong> zum<br />
Helmbundkirchle, den auch Mörike oft<br />
gegangen ist, weist auf die von jeher enge<br />
Verbindung zu Neuenstadt hin.<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> ist auch der einzige Stadtteil,<br />
in dem Weinbau eine Tradition hat.<br />
Seit Mitte der 1970er Jahre ist <strong>Cleversulzbach</strong><br />
auch den Liebhabern von Antiquitäten<br />
ein Begriff . John und Edda Birchall<br />
und Shirley Lawes haben mit ihren Antiquitätengeschäften<br />
seit 1977 das Ortsbild<br />
einfühlsam mitgeprägt.<br />
Das aktive Vereinsleben wird durch den<br />
Akkordeon-Spielring, den Mörike-Chor,<br />
den Freundeskreis Mörike-Museum, den<br />
Rad- und Motorsportclub und den Landfrauenverein<br />
geprägt.<br />
Die jährlichen Vereinsfeste sind ein fester<br />
Bestandteil im kulturellen Angebot von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit,<br />
dass das Festwochenende<br />
im September 2012 zum 750-jährigen Jubiläum<br />
von den Vereinen, der evangelischen<br />
Kirchengemeinde und dem Ortschaftsrat<br />
mitgestaltet wird.<br />
Antiquitätengeschäft in der Eberstädter Straße
Gruppen und Vereine, Kultur<br />
und Sport<br />
Akkordeon-Spielring 1966 <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />
HCC Harmonika-Club <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Bereits im Jahre 1949 radelten junge<br />
Männer und Frauen aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
nach Neckarsulm, um dort das diatonische<br />
Handharmonikaspiel zu erlernen. Ab 1950<br />
erfolgte der Unterricht durch Herrn Römmele<br />
im Gasthaus „Zum Löwen“ in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Diese Spielschar nannte sich damals<br />
HCC (Harmonika-Club <strong>Cleversulzbach</strong>),<br />
traf sich regelmäßig und bildete<br />
auch junge Spieler aus.<br />
1966 folgte die Vereinsgründung des Akkordeon-Spielring<br />
1966 <strong>Cleversulzbach</strong><br />
e. V. unter der Leitung von Werner Beitinger.<br />
Herr Beitinger dirigierte den Verein<br />
drei Jahre lang. Im Frühjahr 1969 übernahm<br />
Ewald Eisele die musikalische Leitung<br />
des Vereins. Mit ihm gab es in den<br />
Jahren darauf regelmäßige Winterfeiern<br />
unter Mitwirkung des DRK Oberstenfeld<br />
und gemeinsame Veranstaltungen mit<br />
dem Mörike-Chor und dem Rad- und Motorsportclub<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Ende der 1970er Jahre schloss sich der<br />
Neuenstadter Akkordeon-Club unserem<br />
Spielring an und so kam auch die heutige<br />
1. Vorsitzende des Vereins, Annegret Plenefi<br />
sch (geb. Herrmann), nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Zum 25-jährigen Jubiläum fand im Oktober<br />
1991 eine Gemeinschaftsveranstaltung<br />
mit dem befreundeten Akkordeon-<br />
Orchester Neustadt/Holstein und dem<br />
Volkstanzkreis Neustadt/Holstein in der<br />
Kelter-Halle statt.<br />
Nach über 30 Jahren Vereinsarbeit gab<br />
Ewald Eisele im Frühjahr 2000 die musikalische<br />
Leitung an den langjährigen Spieler<br />
Willi Speck ab.<br />
Das Repertoire der Spieler reicht von<br />
volkstümlicher Musik über Musical und<br />
Operette, Rock und Pop bis zu klassischen<br />
Darbietungen.<br />
Heute dürfen wir uns über die bisherigen<br />
Erfolge und den Rückhalt unseres Spielrings<br />
in der Bevölkerung freuen. Wir bedanken<br />
uns herzlich für die bis heute erhaltene<br />
ideelle und materielle Unterstützung.<br />
Der Akkordeon-Spielring bei der Winterfeier<br />
im Februar 2012 in der Kelter-Halle<br />
363
364<br />
Mörike-Chor <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />
Im Jahr 1902 gründeten August Bordt,<br />
Wilhelm Bordt, Gottlob Korb, Ludwig Kutruff<br />
, Gottlob Stahl und namentlich nicht<br />
bekannte Sängerinnen und Sänger den<br />
„Gemischten Chor <strong>Cleversulzbach</strong>”. Neben<br />
diesem Verein gab es einen bereits bestehenden<br />
Chor, den „Liederkranz <strong>Cleversulzbach</strong>”.<br />
Es wurde neben den weltlichen Liedern<br />
auch in der Kirche und bei Beerdigungen<br />
gesungen. Der „Gemischte Chor <strong>Cleversulzbach</strong>”<br />
überstand die beiden Weltkriege,<br />
ohne auseinanderzubrechen. Als<br />
Dirigent fungierten in der Regel die Dorflehrerinnen<br />
bzw. -lehrer.<br />
Präsentation der Vereinsfahne anlässlich<br />
des 75-jährigen Bestehens 1977<br />
In den Jahren 1964 bis 1967 war Herr<br />
Schlumberger Dirigent. Nach dessen Abgang<br />
übernahm Wolfgang Herpe den<br />
Chor. Ihm folgte Waldemar Sparn von<br />
1977 bis 1981. Martin Ihle leitete den<br />
Chor in der Zeit von 1981 bis 1999. Danach<br />
folgte Harald Feix in den Jahren<br />
1999 bis 2009. Seit 2010 leitet Johanna<br />
Törner den Chor.<br />
Der Verein besteht heute aus 18 aktiven<br />
Sängerinnen und Sängern.<br />
Sopran: Helmgard Wölk, Doris Heuschele,<br />
Ruth Ellwanger, Sonnja Kotsch, Iris Mall,<br />
Edith Leichtle, Hannelore Scherer.<br />
Alt: Ruth Balbach, Gerlinde Lorenz, Meta<br />
Schlegel, Waltraud Seebold, Hannelore<br />
Stephan.<br />
Tenor: Klaus Schlegel, Achim Kotsch.<br />
Bass: Hans Mall, Hans Konrad Ellwanger,<br />
Roland Seebold, Günter Suchanek.<br />
1969 hatte der Verein eine so gute Gesangsleistung<br />
vorzuweisen, dass der Süddeutsche<br />
Rundfunk Lieder aufzeichnete.<br />
Des Öfteren sind Lieder des Chores im<br />
Wunschkonzert gesendet worden.<br />
Bis 1953 war Heinrich Kollmar Vorsitzender<br />
des „Gemischten Chores <strong>Cleversulzbach</strong>”.<br />
Er wurde abgelöst von Fritz Weber,<br />
der den Vorsitz bis 1965 innehatte. Mit<br />
dem Vorstandswechsel im Jahr 1965 an<br />
Klaus Schlegel erhielt der Verein den Namen<br />
„Mörike-Chor <strong>Cleversulzbach</strong>”. 1999<br />
wurde eine Vorstandsgruppe mit Anja<br />
Mall, Doris Heuschele und Günther Suchanek<br />
gebildet. Letzterer übernahm die Aufgabe<br />
des Sprechers und die Leitung des<br />
Vereins. Im Jahr 2000 ersetzte Achim<br />
Kotsch Anja Mahl im Vorstand, die wiederum<br />
nun als Kassiererin des Vereins fungierte.<br />
2002 wurde als Nachfolger von<br />
Achim Kotsch Waltraud Seebold ins Gremium<br />
gewählt. Achim Kotsch kehrte 2007<br />
wieder in den Vorstand zurück aufgrund<br />
des Weggangs von Günther Suchanek.<br />
Doris Heuschele übernahm nun die Aufgabe<br />
des Sprechers und die Leitung des<br />
Vereines.<br />
Im Jahresablauf von <strong>Cleversulzbach</strong> sind<br />
die Veranstaltungen und Darbietungen<br />
nicht mehr wegzudenken. Besonders zu<br />
erwähnen ist die traditionelle Winterfeier<br />
mit Gesang und die Laienspielgruppe mit<br />
Theaterauff ührungen. Das gemeinsame<br />
Singen der „Neuenstädter Chöre” wäre
Der Mörike-Chor bei der Winterfeier am 15. Januar 2011<br />
hinten (v.l.): Doris Heuschele, Helmgard Wölk, Hilde Spahmann (verdeckt), Gisela Füllemann,<br />
Klaus Schlegel, Achim Kotsch, Roland Seebold, Gerlinde Lorenz (verdeckt), Konrad Ellwanger,<br />
Erwin Spahmann, Elfriede Baier (verdeckt), Hans Mall<br />
vorn (v.l.): Dirigentin Johanna Törner, Iris Mall, Edith Leichtle, Sonnja Kotsch, Hannelore<br />
Scherer, Hannelore Stephan, Waltraut Seebold, Meta Schlegel, Ruth Balbach<br />
noch zu erwähnen und der alljährliche<br />
Wandertag im Mai, sowie die ein- und<br />
mehrtägigen Ausfl üge.<br />
Seit 1975 hat der Verein eine Abteilung<br />
Frauenturnen. Jeden Donnerstagabend fi nden<br />
Turnübungen statt. Gymnastik, Spiele<br />
und leichtes Geräteturnen dienen der körperlichen<br />
Ertüchtigung.<br />
Im Jahre 2002 konnte der Verein sein<br />
100-jähriges Bestehen feiern. Zu diesem<br />
Anlass wurde ein Umzug durch <strong>Cleversulzbach</strong><br />
veranstaltet, an dem auch andere<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Vereine und der Kindergarten<br />
teilnahmen.<br />
Theaterau ührung<br />
1999<br />
365
366<br />
Freundeskreis Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />
Die Gründung dieses noch jungen <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Vereins hängt unmittelbar mit<br />
der früheren Mörike-Stube und dem heutigen<br />
Mörike-Museum zusammen. Wie<br />
schon an anderer Stelle unter diesen<br />
Stichworten zu lesen, war der Auslöser für<br />
das 1996 errichtete Mörike-Museum der<br />
Erwerb der Sammlungen aus der Mörike-<br />
Stube und die Idee, diese in angemessener<br />
Form wieder auszustellen.<br />
Doch aus Kapazitäts- und Kostengründen<br />
konnte die Stadt Neuenstadt am Kocher<br />
als Träger dieses neuen Museums für die<br />
Betreuung keine Vollzeitkraft einplanen,<br />
wie z. B. im Neuenstädter Museum Schafstall.<br />
Es musste ehrenamtlich organisiert<br />
werden. Werner Uhlmann, damals Ortsvorsteher<br />
und engagierter Mörike-Freund,<br />
hatte den Gedanken, es ähnlich wie auch<br />
in anderen Orten durch die Mitglieder der<br />
örtlichen Vereine durchzuführen. Doch<br />
diese Idee kam aus verschiedenen Gründen<br />
nicht zum Tragen, und so reifte in<br />
Werner Uhlmann der Gedanke, einen<br />
Freundeskreis hierfür ins Leben zu rufen.<br />
Aus der Zeit der Museumsvorbereitung<br />
gab es bereits die Verbindung zu Helmut<br />
Braun, dem ehemaligen Rektor der Helmbundschule<br />
Neuenstadt und passionierten<br />
Mörike-Kenner. Andere Mörike-Freunde<br />
wurden dazu gewonnen. Dieser Freundeskreis<br />
Mörike-Museum (zunächst noch kein<br />
eingetragener Verein) sorgte jetzt dafür,<br />
dass das Museum jeden Sonn- und Feiertag<br />
von 11.00 bis 16.30 Uhr geöff net sein<br />
konnte. Genauso wichtig war, dass Führungen<br />
für größere Gruppen durchgeführt<br />
werden konnten (von Meta Merkle, Helmut<br />
Braun und Werner Uhlmann). Der<br />
Freundeskreis wuchs schließlich auf 15<br />
Mitglieder an.<br />
Vor allem auch aus steuerlichen Gründen<br />
war eine Vereinsgründung bald angeraten.<br />
Am 4. Juni 2000, dem 125. Todestag Eduard<br />
Mörikes, fand die Gründungsversammlung<br />
statt. In den Vorstand wurden<br />
gewählt:<br />
Vorsitzender: Werner Uhlmann<br />
Stellv. Barbara Simpfendörfer<br />
Vorsitzende:<br />
Schriftführer: Helmut Braun,<br />
Helga Stephan<br />
Kassierer: Roland Seebold<br />
Beisitzer: Waltraut Bund<br />
Willi Korb<br />
Hilde Maysenhölder<br />
Elisabeth Merkle<br />
Meta Merkle<br />
Inge Stephan<br />
Christel Uhlmann<br />
Beatrice Weber<br />
Ulrich Weber<br />
Harald Zipf<br />
Eine Satzung wurde erstellt und beim<br />
Amtsgericht Heilbronn die Registrierung<br />
beantragt. Der Verein wurde unter dem<br />
Namen „Freundeskreis Mörike-Museum<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> e.V.“ am 26. Februar 2001<br />
in das Vereinsregister des Amtsgerichts<br />
Heilbronn eingetragen. Die aus der Ausstellung<br />
„Eduard Mörike und sein <strong>Cleversulzbach</strong>“<br />
1989 und anderen Veranstaltungen<br />
gesammelten Einnahmen auf dem<br />
Konto „Heimatpfl ege“ konnten dem neu<br />
gegründeten Verein gutgeschrieben werden.<br />
2003 wurde die Stabsstelle „Referent für<br />
Öff entlichkeitsarbeit“ eingeführt und Rudolf<br />
Schwan übertragen. Im Jahre 2005<br />
gab es einen Wechsel im Vorstand. Die<br />
Schriftführerin Helga Stephan hatte nicht<br />
mehr kandidiert; als neuer Schriftführer<br />
wurde Michael Speck gewählt. Zum<br />
10-jährigen Bestehen des Mörike-Museums<br />
(2006) wurde im Treppenhaus eine
Der Vorstand seit 2005<br />
v.l.: Michael Speck (Schriftführer), Bärbel Simpfendörfer (2. Vorsitzende),<br />
Werner Uhlmann (1. Vorsitzender), Roland Seebold (Kassier)<br />
Fotoserie mit der Geschichte des Museums<br />
eröff net, in Anwesenheit aller damals<br />
aktiv beteiligten Personen.<br />
Das weit über <strong>Cleversulzbach</strong> hinaus bekannte<br />
Mörike-Museum wird jährlich von<br />
durchschnittlich 2.000 Gästen besucht. Im<br />
Mörike-Jahr 2004 (200. Geburtstag) kamen<br />
sogar 6.500 Besucher.<br />
Der Verein „Freundeskreis Mörike-Museum<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> e. V.“ ist stolz darauf, dass<br />
er mit seinen Mitgliedern dieses Kleinod<br />
der deutschen Literaturgeschichte bewahren<br />
kann.<br />
367
368<br />
Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong> 1921 e.V.<br />
Der RMC wurde im Jahre 1921 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
als Radfahrerverein von Herrn<br />
Wilhelm Ültzhöfer und Herrn Batzer gegründet<br />
und hat sich schon bald dem sozialdemokratisch<br />
orientierten Arbeiter-<br />
Radfahrerbund Solidarität als Dachverband<br />
angeschlossen.<br />
Schon 1922 gab es eine Bannerweihe und<br />
viele gesellige Anlässe, wie z. B. Waldfeste<br />
oder Radlertreff s mit befreundeten Vereinen.<br />
Anfang der 1930er Jahre kamen Motorräder<br />
dazu. Der Verein nannte sich nun<br />
Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerverein Solidarität.<br />
Am 17. Mai 1933 wurde per nationalsozialistischer<br />
Verordnung der Verein<br />
als „Gefahr für Volk und Staat“ aufgrund<br />
der sozialdemokratischen Gesinnung verboten<br />
und alle Vereinsunterlagen, Ausrüstungen<br />
und das Vereinsbanner vernichtet.<br />
1946 – nach dem Zweiten Weltkrieg –<br />
versuchte man einen Neuanfang unter<br />
Frieder Bauer und Max Maisenhölder. Und<br />
1952 gab es das erste Radfahrertreff en in<br />
Frankfurt am Main. Und bereits 1954<br />
konnte mit vielen Partnervereinen ein Fest<br />
organisiert und ein neues Banner geweiht<br />
werden.<br />
Der Verein begann viele Aktivitäten neu:<br />
z. B. Reigenfahren, Auto-Meisterschaftsläufe<br />
und Motorradgeländefahrten, die<br />
bei geselligen Veranstaltungen im Ort endeten.<br />
1968 änderte der Verein seinen Namen in<br />
Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong><br />
1921 e. V. und trat dem Württembergischen<br />
Radsportverband und dem Bund<br />
Deutscher Radfahrer bei. Seither gibt es<br />
jedes Jahr ein Sommerfest mit Volksradfahren<br />
und sonstigen geselligen Veranstaltungen.<br />
Bannerweihe 1954 (auf dem Bild: L. Seebold, G. Kutru , Th. Bauer, N. Häusler, E. Baier,<br />
P. Bauer sen., H. Müller, E. Huhmann, Fr. Bauer, H. Lumpp, A. Seebold, S. Heiß, A. Bordt,<br />
G. Heiß, W. Ültzhöfer, H. Schott, E. Heiß, Ch. Heiß, M. Messer)
Radsternfahrt<br />
rund um <strong>Cleversulzbach</strong><br />
1975<br />
Seit 1970 sind die <strong>Cleversulzbach</strong>er Hallenradsportler<br />
bei vielen Meisterschaften<br />
unter ihrem Vorsitzenden Werner Hübener<br />
zu fi nden und viele Titel wurden schon<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> geholt.<br />
Im 4er-Kunstradfahren konnte 1970 in<br />
Schwenningen der erste Erfolg mit der<br />
Württembergischen Vizemeisterschaft verbucht<br />
werden. Weitere Erfolge konnten<br />
Karl-Heinz Schäfer, Manfred Bürger, Wil-<br />
3. Deutscher Meister –<br />
die 4er-Mannschaft<br />
des RMC 1973<br />
(v.l.: J. Hübener,<br />
U. Kollmar,<br />
K. H. Schäfer,<br />
M. Bürger)<br />
helm Lumpp und Joachim Hübener 1973<br />
in Hannover verzeichnen. Sie wurden dort<br />
3. Deutscher Jugendmeister.<br />
Auch wenn die 4er-Mannschaft in den 13<br />
Jahren ihrer aktiven Laufbahn immer wieder<br />
neue Fahrer, wie Martin Maisenhölder<br />
und zuletzt Martin Kollmar, eintrainieren<br />
mussten, waren die Kunstradsportler in<br />
Württemberg führend. Selbst bei den<br />
Deutschen Meisterschaften 1974 in Augs-<br />
369
370<br />
burg oder 1976 in Moers kamen die Radsportler<br />
unter die zehn besten Mannschaften<br />
der Bundesrepublik.<br />
Bis 1985 wurden außerdem jedes Jahr<br />
Auto-Fuchsjagden und Auto-Orientierungsfahrten<br />
gestartet, die viele Motorsportler<br />
ins Sulzbachtal lockten.<br />
Der von den Mitgliedern in Eigenarbeit<br />
geschaff ene Clubraum konnte 1983 eingeweiht<br />
werden. Seither dient der Clubraum<br />
in der Kelter-Halle internen Sitzungen,<br />
aber auch gemütlichen Clubabenden.<br />
Unter dem neuen Vorsitzenden Günther<br />
Stahl (seit 1984) bietet der RMC auch<br />
anderen Freizeitsportlern Angebote, z. B.<br />
Die Kunstradsportler<br />
bei einer<br />
Vorführung<br />
(Ende der 1970er<br />
Jahre)<br />
Fussball-Gaudi-Turniere, und seit 1988<br />
das „Spiel ohne Grenzen“ am Sommerfest.<br />
Viele Hobbyradler wissen die Freizeitangebote<br />
des Rad- und Motorsportclubs <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zu schätzen.<br />
Der RMC nimmt bis heute unter ihren<br />
Trainern Karl-Heinz Schäfer und Andreas<br />
Stahl erfolgreich an den vom Württembergischen<br />
Landessportbund ausgeschriebenen<br />
Meisterschaften im Kunstradfahren<br />
teil.<br />
Damit erfüllt der RMC seit seiner Gründung<br />
vor 91 Jahren eine gesellschaftspolitische<br />
Aufgabe, die in <strong>Cleversulzbach</strong> von<br />
Bedeutung ist.<br />
Beim „Spiel ohne<br />
Grenzen“ (Foto<br />
Mitte der 1980er<br />
Jahre)
<strong>Cleversulzbach</strong> – Dorf mit Motorsportgeschichte<br />
Erste größere Veranstaltungen im Bereich<br />
des Motorsports sind seit Anfang der<br />
1950er Jahre zu verzeichnen. Der Rad-<br />
und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong> 1921<br />
e. V. (RMC) war hierbei ursprünglich die<br />
treibende Kraft. Schon in den 1930er Jahren<br />
war der Sport mit Motorrädern im<br />
RMC neben dem Fahrradsport eine beliebte<br />
Freizeitbeschäftigung. Nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg erlebte der zweirädrige<br />
Motorsport eine Renaissance , und in den<br />
1960er Jahren waren es die vierrädrigen<br />
Kraftmaschinen in den Rennen um den<br />
Bergpreis, der <strong>Cleversulzbach</strong> in das Licht<br />
einer motorsportbegeisterten Öff entlichkeit<br />
rückte und den kleinen Ort in der Region<br />
bekannt machte.<br />
Motorrad-Gelände- und<br />
Geschicklichkeitsfahrten des RMC<br />
Damals, in den 1950er Jahren, begaben<br />
sich im Frühjahr, nach der alljährlichen<br />
Begrüßung durch den 1. Vorstand des<br />
RMC <strong>Cleversulzbach</strong>, Wilhelm Ültzhöfer,<br />
um die dreißig Motorradenthusiasten mit<br />
ihren geländetauglichen Maschinen unterschiedlicher<br />
Klassen auf den schwierigen<br />
Parcours. Vom damaligen Sportplatz,<br />
das war die Farrenwiese südlich des Dorfes,<br />
ging es Richtung „Kleines Seele“ hoch<br />
zur „Abgebrannten Eiche“, am Steinbruch<br />
links steil abwärts, über einen Sumpfweg<br />
zum Horn, dann quer über die Wiesen die<br />
Weinberge hinauf und zurück zum Ausgangspunkt.<br />
Insgesamt drei bis vier Kilometer,<br />
und nur die Besten kamen an! Frieder<br />
Bauer erinnert sich noch heute gerne<br />
an diese Zeit, in der die durchzugsstarken<br />
NSU-Maschinen aus heimischer Produktion<br />
dominierten. Ganz nebenbei erfahren<br />
wir von Frieder Bauer, dass er in einem<br />
dieser Rennen auf seiner NSU Max den<br />
ersten Platz gemacht hat.<br />
Der ortsansässige Ewald Heiß berichtet, er<br />
habe mit seiner 250er-DKW gegen starke<br />
Konkurrenz aus dem Profi lager in einem<br />
dieser Rennen den 12. Platz von 30 Star-<br />
Ewald Heiss mit seiner 250er-DKW 1955 im<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Wald am Horn<br />
tern belegen können. Das Foto zeigt ihn<br />
bei einer Gelände-Geschicklichkeits- Fahrt<br />
am 1. Mai 1955 im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />
am Horn.<br />
Dass er sich dem Motorradfahren auch im<br />
Festzug 1952 (v.l.: Oskar Gehres, Heinz<br />
Lumpp, Frieder Bauer, Walter Plenefi sch,<br />
Bernhard Arlt)<br />
371
372<br />
Motorrad-Ausfl ug nach Rappach 1954 (v.l.: Willi Schott, Wilhelm Speck, Erwin Humann,<br />
Herbert Lumpp, Paul Bauer, Frieder Bauer, Walter Riegler im Beiwagen, Ewald Heiß,<br />
Siegfried Heiß, Max Maysenhölder)<br />
fortgeschrittenen Alter noch verpfl ichtet<br />
fühlt, zeigen die 1.000 Kilometer, die er<br />
jeden Sommer mit seinem 1000-ccm-Suzuki-Gespann<br />
absolviert.<br />
Der Motorsport hatte in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
viele begeisterte Anhänger. Dies beweist<br />
u. a. das Foto von einer Motorrad-Ausfahrt,<br />
die der RMC 1954 nach Rappach<br />
durchführte.<br />
Es zeigt ein knappes Dutzend <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
auf ihren Maschinen vor dem dortigen<br />
Gasthaus „Bartholomä“.<br />
Nach Querelen mit dem Waldpächter wurden<br />
die Veranstaltungen als Zuverlässigkeitsfahrten<br />
an den „Steinernen Tisch“<br />
(Gemeinde Hölzern) verlegt und schließlich<br />
ganz eingestellt.<br />
ADAC–Bergpreis in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Mit der zunehmenden Motorisierung stieg<br />
das Interesse der Bevölkerung am Motorsport,<br />
zunächst noch dominiert von Motorrädern<br />
und Motorrädern mit Beiwagen.<br />
Plakat für den 1. Heilbronner Bergpreis 1965
Streckenverlauf der Bergpreis-Rennen 1965–1967<br />
Dabei wurden die Rennen meist nicht als<br />
Straßenrennen durchgeführt, sondern<br />
führten durch oft sehr schwieriges Gelände.<br />
Als die deutsche Autoindustrie nach Ende<br />
des Zweiten Weltkrieges wieder respektable<br />
Autos produzierte, wurden immer<br />
mehr Autorennen veranstaltet. Eine beliebte<br />
Sportart waren Bergrennen, die auf<br />
kurvenreichen Bergstraßen erfolgten, die<br />
sonst ihren alltäglichen Zweck als öff entliche<br />
Land- oder Kreisstraßen erfüllten.<br />
Bergrennen waren auch deswegen so beliebt,<br />
weil sie „Motorsport zum Anfassen“<br />
waren. Auf Böschungen und an Hängen<br />
sitzend konnten die Zuschauer alles hautnah<br />
miterleben.<br />
Der Motorsportclub Heilbronn (MCH), ein<br />
Ortsclub des ADAC, war schon früh be-<br />
müht, solche Bergrennen zu organisieren.<br />
Nachdem die frühere Wartbergstrecke<br />
nicht mehr befahren werden durfte, wurde<br />
man auf der Suche nach einer Ersatzstrecke<br />
in der Nähe von Heilbronn mit der<br />
Bergstrecke <strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt fündig.<br />
Der 1. Heilbronner ADAC-Bergpreis wurde<br />
am 3. /4. April 1965 auf dieser Strecke<br />
ausgetragen und war mit 130 Fahrern<br />
schon sehr gut besetzt, da er auch als<br />
„Lauf zur deutschen Bergmeisterschaft<br />
1965“ gewertet worden ist. Es wurde in<br />
unterschiedlichen Klassen, je nach Hubraumgröße<br />
gefahren. Beliebte Autos in<br />
den unteren Klassen waren NSU Prinz,<br />
DKW Junior und FORD Cortina.<br />
Das Interesse beim motorsportbegeisterten<br />
Publikum war sehr groß, konnte man<br />
Gerhard Siekmann,<br />
Gütersloh, mit einem<br />
BMW, wurde Vierter<br />
beim 1. Bergrennen<br />
1965<br />
373
374<br />
doch, wie schon anfangs erwähnt, die Autos<br />
und ihre Fahrer aus nächster Nähe erleben<br />
und später im Fahrerlager Fachgespräche<br />
führen. Geschätzte 7.000 Besucher<br />
sollen sich zu diesem ersten Rennen<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> begeben haben. Die<br />
Siegerehrung fand im Gemeindesaal der<br />
Kelter-Halle statt.<br />
Auch die folgenden zwei Bergpreise 1966<br />
und 1967 wurden auf der Strecke <strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt<br />
ausgetragen, wobei der<br />
3. Bergpreis am 8. / 9. April 1967 schon das<br />
letzte Rennen in <strong>Cleversulzbach</strong> sein<br />
sollte. Der Bau der Autobahn A 81 Heilbronn-Würzburg<br />
und die damit verbundene<br />
Begradigung des unteren Streckenabschnitts<br />
und der Wegfall des Fahrerlagers<br />
machten weitere Rennen auf dieser<br />
Strecke unmöglich. Der MCH wich auf<br />
1 Vgl. Frank Mentel: Festschrift zum 75-jährigen Bestehen<br />
des Motorsportclubs Heilbronn (MCH).<br />
Die Geschichte zum ADAC-Bergpreis und zur Motorsportgeschichte<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> wurde von Norbert Gessner<br />
recherchiert.<br />
eine Strecke zwischen Gronau und Prevorst<br />
zurück. 1<br />
Zwar hätte der Motorsportclub Heilbronn<br />
Mitte der 1980er Jahre den Bergpreis gern<br />
wieder auf die Strecke <strong>Cleversulzbach</strong>–<br />
Eberstadt verlegt und hatte einen entsprechenden<br />
Antrag beim Ortschaftsrat<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> gestellt. Doch inzwischen<br />
waren 20 Jahre vergangen und das<br />
Umweltbewusstsein gestiegen. Und so<br />
waren es hauptsächlich befürchtete Lärm-<br />
und Schadstoff belästigungen, die den<br />
Ortschaftsrat zu einer Ansage bewogen<br />
haben.<br />
Heute sind die drei ausgetragenen Bergrennen<br />
nach 45 Jahren schon wieder Geschichte<br />
und nicht mehr allzu viele <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
können sich noch daran erinnern.
Landfrauenverein Neuenstadt, <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />
Stein e.V.<br />
Gegründet wurde unser Verein im Jahre<br />
1952 von Frau Lina Haussecker und zwölf<br />
Frauen. Christel Schenk, Neuenstadt, ist<br />
seit 1974 Schriftführerin und seit 1984<br />
Vorsitzende.<br />
2012 feiern wir nun 60-jähriges Jubiläum<br />
– mit 110 Mitgliedern.<br />
Unser Symbol ist die Biene.<br />
Unser Leitthema lautet: „Leben ist mehr<br />
wert – Unsere Nahrung wert-geschätzt?!“<br />
Die zahlreichen Bildungsveranstaltungen<br />
und Vorträge des Landfrauenvereins beinhalten<br />
die Themen Gesundheit, Körperpfl<br />
ege, Kultur, Politik, Ernährungslehre,<br />
Mode und vieles andere mehr.<br />
Darüber hinaus unternimmt der Landfrauenverein<br />
ein- und zweitägige Bildungsreisen<br />
mit Zielen in nah und fern, auch in die<br />
benachbarten Länder.<br />
Auch der Sport spielt im Vereinsleben der<br />
Landfrauen eine große Rolle. Der Verein<br />
hat einen Gymnastik-, einen Walking- und<br />
einen Kegelclub.<br />
Der Landfrauenverein lädt alle Interessierten<br />
zu den Vorträgen und Veranstaltungen<br />
herzlich ein und freut sich über rege<br />
Teilnahme und neue Mitglieder!<br />
375
376<br />
Persönlichkeiten<br />
Eduard Mörike (1804 –1875)<br />
Nach sieben Jahren Vikardienst in zehn<br />
zumeist kleineren Gemeinden in Württemberg<br />
wurde Eduard Mörike durch königliches<br />
Dekret vom 20. Mai 1834 die<br />
Pfarrstelle in <strong>Cleversulzbach</strong> zugesprochen.<br />
Am 3. Juli 1834 (er war inzwischen<br />
30 Jahre alt) konnte er seinen Aufzug in<br />
der Gemeinde, die damals 600 Einwohner<br />
zählte, halten. Als Pfarrer erhielt er neben<br />
freier Wohnung ein Jahresgehalt von 600<br />
Gulden. Seine 63-jährige Mutter und<br />
seine 18-jährige Schwester Klara zogen<br />
mit ihm ins Pfarrhaus ein. Die Haushaltskasse<br />
war ziemlich leer; das Geld für den<br />
Umzug hatte man erst borgen müssen.<br />
Das bescheidene Jahresgehalt von 600<br />
Gulden bekam er auch nur zur Hälfte in<br />
bar, der Rest setzte sich aus Naturalien<br />
zusammen.<br />
Mörikes Vorfahren stammen aus Neuenstadt<br />
am Kocher. Albrecht Ludwig Mörike<br />
(1705 –1771), zweiter Hofapotheker in<br />
Neuenstadt, ist der Urgroßvater Eduard<br />
Mörikes. Sein in Neuenstadt lebender Vetter,<br />
der zu Wohlstand gekommene Apotheker<br />
Karl Abraham Mörike (1806 –1874),<br />
verheiratet mit der gesangsbegabten Marie<br />
Seyff er, gab in seiner Wohnung über<br />
der Apotheke viele gesellschaftliche Feiern<br />
und Veranstaltungen, an denen Mörike<br />
auch gelegentlich teilnahm.<br />
Die Amtspfl ichten als Pfarrer, zu denen<br />
damals auch die Schulaufsicht, Ortsordnung,<br />
Führung von Geburts-, Heirats- und<br />
Sterberegistern zählten, waren nicht<br />
Mörikes besondere Stärke. Stattdessen gefi<br />
el es ihm, im großen Pfarrgarten zu wandeln,<br />
zu sinnieren und unter dem grünen<br />
Schirm seinen eigenen Grillen zu verfal-<br />
len. Eduard Mörike hat in seiner <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Zeit an die hundert Gedichte<br />
geschrieben. Das wohl bekannteste dürfte<br />
die Idylle „Der alte Turmhahn“ sein, deren<br />
erste Verse 1840 entstanden.<br />
Schon in seinen frühen Amtsjahren war<br />
Mörike oftmals krank. Immer öfter mussten<br />
Vikare den Pfarrdienst übernehmen.<br />
Am 26. April 1841 starb Mörikes Mutter,<br />
die er neben dem Grab von Schillers Mutter<br />
beerdigte. Deren Grab hatte er am Be-<br />
Eduard Mörike
ginn seiner Amtszeit vernachlässigt vorgefunden,<br />
es wieder hergerichtet und mit<br />
einem steinernen Kreuz versehen, in das er<br />
eigenhändig die Worte „Schillers Mutter“<br />
eingravierte.<br />
Da Mörikes gesundheitlicher Zustand trotz<br />
ärztlicher Behandlung und Kuren nicht<br />
besser wurde, bat er schließlich am 3. Juni<br />
1843 König Wilhelm I. wegen seiner andauernden<br />
Krankheitsumstände um vorzeitige<br />
Versetzung in den Ruhestand. Er<br />
war jetzt 39 Jahre alt. Dem Antrag wurde<br />
stattgegeben, und Mörike wurde mit einer<br />
Pension von 280 Gulden in den vorzeitigen<br />
Ruhestand versetzt. Am 13. August<br />
1843 übergab er sein Amt in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
an den letzten seiner Vikare, Wilhelm<br />
Haueisen, und zog mit seiner Schwester<br />
Klara zunächst zur befreundeten Familie<br />
Hartlaub nach Wermutshausen bei Bad<br />
Mergentheim. Seine weiteren Lebensstationen<br />
waren Schwäbisch Hall, Bad Mergentheim,<br />
Lorch, Nürtingen, Fellbach und<br />
Stuttgart, wo er am 4. Juni 1875 starb<br />
und auf dem dortigen Pragfriedhof beigesetzt<br />
wurde.<br />
377
378<br />
Schillers Mutter<br />
Elisabeth Dorothea Kodweiß wurde am 13.<br />
Dezember 1732 in Marbach geboren. Mit<br />
16 ½ Jahren heiratete sie in Marbach den<br />
Militärarzt Johann Caspar Schiller. Sie gebar<br />
ihm sechs Kinder, von denen aber<br />
schon zwei früh starben, und die jüngste<br />
Tochter Nanette starb mit 18 Jahren. Neben<br />
dem berühmten Sohn Friedrich erreichten<br />
lediglich die Töchter Christophine<br />
und Louise das Erwachsenenalter.<br />
Christophine heiratete 1786 den Biblio-<br />
thekar Wilhelm Reinwald aus Meiningen<br />
(Thüringen). Sohn Friedrich verehelichte<br />
sich 1790 mit Charlotte von Lengefeld in<br />
Langenjena bei Jena. Und Tochter Louise<br />
gab 1799 nach langer Verlobungszeit<br />
Pfarrer Gottlieb Franckh ihr Ja-Wort,<br />
nachdem er nach längerer Vikarzeit die<br />
Pfarrstelle in <strong>Cleversulzbach</strong> zugesprochen<br />
bekommen hatte. Schillers Mutter<br />
war zu der Zeit bereits drei Jahre Witwe<br />
und lebte im Schloss Leonberg, wo sie<br />
durch den Herzog freies<br />
Wohnrecht mit einer bescheidenen<br />
Pension von<br />
jährlich 100 Gulden erhalten<br />
hatte. Die Sommermonate<br />
1800 und 1801 verbrachte<br />
sie bei ihrer Tochter<br />
Louise und Schwiegersohn<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>. Sie<br />
wurde im Dorf liebevoll<br />
und auch etwas ehrfürchtig<br />
die „Frau Majorin“ genannt<br />
und verkehrte öfters im<br />
Gasthof „Löwen“, denn der<br />
damalige Wirt war auch<br />
gleichzeitig Bäcker und<br />
Schillers Mutter stammte<br />
ebenfalls aus einem Bäckerhaushalt.<br />
Schillers Mutter in<br />
jungen Jahren …
Im Herbst 1801 erkrankte sie an heftigen<br />
Unterleibsschmerzen. Sie wurde zunächst<br />
von befreundeten Ärzten in Leonberg, danach<br />
in Stuttgart behandelt, ohne dass<br />
eine Besserung eintrat. Im Februar 1802<br />
holte Louise sie mit der Chaise, in ein Federbett<br />
gehüllt, nach <strong>Cleversulzbach</strong>, wo<br />
ihr der Schwiegersohn seine beheizbare<br />
Studierstube abtrat. Der hinzugezogene<br />
Neuenstädter Arzt Dr. Karl Ludwig Hehl<br />
diagnostizierte Gebärmutterkrebs. Dem<br />
Sohn berichtet die Mutter<br />
am 20. Februar in ihrem<br />
letzten Brief:<br />
Er kente Nichts thun als<br />
so viel wie möglich mir<br />
meine Schmerzen len-<br />
… und als gereifte Frau<br />
dern. Er vermuthet wie ich wohl gemergt<br />
dass es bös artig werden kente. ... Ach<br />
bester Sohn wie entbört sich alles in mir<br />
jhm nur solche Nachricht zu geben. Gott<br />
wird jhm Sein so große Liebe und sorgfald<br />
vor mich mit Tausendfachen Seegen<br />
belohnen ... jhre ihn ewig liebende und<br />
dankbare Mutter.<br />
Am 29. April 1802 starb Elisabeth Dorothea<br />
Schiller und wurde am 1. Mai auf<br />
dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof beerdigt.<br />
379
380<br />
Pfarrer Rabausch und der Spuk im Pfarrhaus<br />
Eberhard Ludwig Rabausch war von 1747<br />
bis 1759 Pfarrer in <strong>Cleversulzbach</strong>. Sein<br />
Name wird mit mysteriösen Ereignissen im<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Pfarrhaus in Verbindung<br />
gebracht.<br />
Schon kurz nach seinem Aufzug in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
im Sommer 1834 erlebt Eduard<br />
Mörike Spukerscheinungen im Pfarrhaus.<br />
Er hält die Ereignisse in einem Tagebuch<br />
fest und berichtet darüber an den Arzt<br />
und Freund Justinus Kerner in Weinsberg,<br />
der sie in seiner Zeitschrift „Magikon“ veröff<br />
entlicht.<br />
Die Spukerscheinungen äußern sich im<br />
Wesentlichen in Geräuschen (Klopfen, Po-<br />
chen, Schlürfen, Tappen, Atmen) und<br />
Licht erscheinungen. Außerdem, aber seltener,<br />
werden Berührungen und Bewegungen<br />
registriert. So berichtet Mörike im<br />
Tagebuch vom 2. bis 6. September 1834:<br />
Die Geister-Indizien dauern fort, und zwar<br />
jetzt in verstärktem Grade. Am 2. dieses<br />
Monats nach dem Abendessen, als eben<br />
die Mutter durch den Hausöhrn ging, vernahm<br />
sie ein dumpfes starkes Pochen an<br />
der hinteren Haustür. Ihr erster Gedanke<br />
war, es verlange noch jemand herein; nur<br />
war das Klopfen von einem durchdringenden<br />
Seufzer gefolgt. Man riegelte unverzüglich<br />
auf und sah im Garten nach, ohne
irgendeine menschliche Spur zu entdecken.<br />
Auch Karl (mein ältester Bruder) sowie<br />
Klärchen (meine Schwester) und die<br />
Magd hatten das Klopfen gehört.<br />
16. Oktober 1834:<br />
Heute nacht abermals Unruhen im Haus.<br />
Ein starkes Klopfen auf dem oberen Boden.<br />
Dann war es auch einmal, als würden<br />
Ziegelplatten vom Dach in den Hof<br />
auf Bretter geworfen.<br />
Der Spuk ließ nach. Erst etwa sechs Jahre<br />
später berichtete am 29. November 1840<br />
Mörikes Vikar Friedrich Sattler:<br />
Ich war abends um 8 ½ zu Bette gegangen<br />
... Plötzlich, wie mit einem Zauberschlage<br />
ergri mich ein Gefühl der Unheimlichkeit<br />
(...). Ich sah zurück und erblickte<br />
an der Wand zwei Flämmchen, ungefähr<br />
in der Gestalt einer mittleren Hand<br />
(...). Ob sie doch wohl brennen? dachte<br />
ich, und streckte meine Hand nach ihnen<br />
aus. Allein das eine Flämmchen, das ich<br />
berührte, verschwand mir unter der Hand<br />
und brannte plötzlich daneben (...). So betrachtete<br />
ich die Flämmchen vier bis fünf<br />
Minuten lang, ohne eine Abnahme des<br />
Lichts an ihnen zu bemerken, wohl aber<br />
kleine Biegungen und Veränderungen der<br />
Gestalt.<br />
Bereits drei Pfarrer vor Mörike wussten<br />
von derlei Phänomenen zu berichten. Zum<br />
ersten Mal trat der Spuk im Pfarrhaus unter<br />
dem Pfarrer David Eberhard Leyrer<br />
(1811–1818) auf. Am lebhaftesten war er<br />
unter Pfarrer Gottlob Ludwig Hochstetter<br />
(1818 –1825), der Mörike die auff allendsten<br />
Dinge erzählt hat. Auch nachher, noch<br />
zur Zeit des Pfarrers Karl Eduard Rheinwald<br />
(1825 –1830), gab es von starken<br />
Justinus Kerners „Magikon“, hier die Bände<br />
von 1842 und 1850, aufgeschlagen der<br />
Band von 1842, worin Mörike über die<br />
Spukerscheinungen im Pfarrhaus von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> berichtet.<br />
Spukerscheinungen zu berichten, die immer<br />
wieder dem Geist des früheren Pfarrers<br />
Rabausch zugeschrieben wurden, der<br />
angeblich einen gottlosen Lebenswandel<br />
geführt hat und bei seinem Wegzug von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> ein Ehe- und Totenbuch<br />
der Gemeinde aus den Jahren 1667 bis<br />
1705 hat mitgehen lassen und deswegen<br />
zur Strafe spukend sein Unwesen trieb.<br />
Wer war nun dieser Pfarrer Rabausch?<br />
Eberhard Ludwig Rabausch wurde am 14.<br />
Januar 1720 in Stuttgart geboren. Sein<br />
Vater war Grenadierhauptmann und Kommandant<br />
im Schloss Hohentübingen. Rabausch<br />
studierte Theologie in Tübingen<br />
und legte am 28. August 1737 sein Magister-Examen<br />
ab. Seine erste Pfarrstelle trat<br />
er 1747 in <strong>Cleversulzbach</strong> an. Ein Jahr<br />
später, am 6. Februar 1748, heiratete er in<br />
Neuenstadt die zehn Jahre jüngere Maria<br />
Christina Reiner aus Schwaigern. Sie kam<br />
aus besserem Hause; ihr Vater war Anwalt<br />
und Richter in Schwaigern.<br />
Nach zwölf Jahren Amtszeit in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
wechselte Rabausch im Jahre 1759<br />
nach Untergruppenbach. Hier amtierte er<br />
28 Jahre bis zu seinem Tod am 28. Dezember<br />
1787. Seine Frau starb bereits am 11.<br />
Juli 1786 mit 56 Jahren. Aus den spärlichen<br />
Kirchenunterlagen geht hervor, dass<br />
das Ehepaar Rabausch eine Tochter mit<br />
Namen Reg.(ina) Wilhe.(lmina) gehabt hat,<br />
die ab 3. September 1787 in Untergruppenbach<br />
Patin war. Wann sie geboren<br />
wurde und für wen sie Patin war, ist nicht<br />
vermerkt. Auff ällig ist eine Bemerkung<br />
beim Eintrag des Sterbedatums von Pfarrer<br />
Rabausch am 28. Dezember 1787. Dahinter<br />
steht in Klammern mit einem Fragezeichen:<br />
„(? an der Hektik)“. Man war<br />
sich off enbar über die Todesursache nicht<br />
ganz klar und wahrscheinlich war er vor<br />
seinem Tod oft gereizt, ruhelos und erregt<br />
gewesen, daher der (mögliche) Gedanke,<br />
dass er an der Hektik gestorben ist.<br />
381
382<br />
Pfarrer Franckh und seine Frau Louise, geb. Schiller<br />
Am 16. Oktober 1799 begann Johann<br />
Gottlieb Franckh seine Amtszeit als Pfarrer<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>, nachdem er viele Jahre<br />
als Vikar in verschiedenen Württemberger<br />
Gemeinden, so zuletzt in Gerlingen, Dienst<br />
getan hatte. Nur drei Tage vorher hatte er<br />
in der Stadtkirche zu Leonberg Louise<br />
Schiller geheiratet. Damit hatte die jahrelange<br />
Verlobungszeit endlich ein Ende;<br />
das erfolglose Warten auf eine eigene<br />
Pfarrstelle, die damals Voraussetzung für<br />
eine Familiengründung war, hatte immer<br />
als Grund für die Verschiebung der Hochzeit<br />
herhalten müssen.<br />
Das Ehepaar zog in das große Pfarrhaus<br />
ein, in dem damals nur ein Zimmer beheizbar<br />
war. Dieses belegte der Pfarrer als<br />
sein Studierzimmer. Die feierliche Investitur<br />
fand am Sonntag, den 15. Dezember<br />
1799 durch Dekan Geß aus Neuenstadt<br />
statt. Pfarrer Franckhs Gehalt betrug 333<br />
Gulden jährlich, ein Teil davon bestand<br />
aus Naturalien. Es wurde dem Pfarrer<br />
nachgesagt, dass er ein sehr sparsamer,<br />
wenn nicht gar geiziger Mensch war. Als<br />
Louises Mutter in den Jahren 1800 und<br />
1801 für längere Zeit zu Besuch kam, gab<br />
sie ihrer Tochter immer etwas Kostgeld<br />
und zahlte für Kerzen, Seife und andere<br />
Kleinigkeiten. Sie trug auch mit der Hälfte<br />
des Betrages (50 Gulden) zum Kauf einer<br />
einspännigen Kutsche bei, damit Tochter<br />
und Schwiegersohn beweglicher wurden.<br />
Zu dieser Zeit war <strong>Cleversulzbach</strong> auch<br />
von französischen Truppen besetzt, als<br />
Folge des zweiten Koalitionskrieges zwischen<br />
Frankreich und Österreich, Russland,<br />
Preußen und Großbritannien. Der Offi zier<br />
der Einheit kam öfters ins Pfarrhaus, weil<br />
Pfarrer Franckh etwas Französisch konnte.<br />
Die Bevölkerung versorgte die Truppen<br />
(etwa 30 Mann) mit Verpfl egung. Außerdem<br />
musste die Gemeinde im August<br />
1800 eine Kriegssteuer von 150 Gulden<br />
zahlen. Da die Gemeindekasse für eine<br />
Kontribution in dieser Höhe nicht aufkommen<br />
konnte, nahm sie beim Bürger<br />
Paul Kollmer ein entsprechendes Darlehen<br />
auf.<br />
Louise Schiller, etwa 30 Jahre alt, gemalt<br />
von ihrer Schwester Christophine<br />
Ihr erstes Kind gebar Louise am 11. August<br />
1800. Es war ein Mädchen und wurde auf<br />
die Namen Elisabetha Justina Louisa getauft.<br />
Doch es erkrankte bald an Gichter<br />
und starb schon nach 17 Tagen.<br />
Am 11. Februar 1802 holte Louise ihre<br />
todkranke Mutter vom Schloss Leonberg<br />
zu sich nach <strong>Cleversulzbach</strong> und pfl egte<br />
sie bis zu deren Tod am 29. April. Sie<br />
wurde auf dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof<br />
beerdigt. Im selben Jahr wurde am 20. Oktober<br />
1802 Louises zweites Kind geboren.<br />
Es war zwar eine schwere Geburt, aber es<br />
kam ein gesunder Junge zur Welt, der sich<br />
gut entwickelte. Er wurde wie sein Vater<br />
Johann Gottlieb getauft. Zur Geburt des
Knaben schickte Louises Bruder Friedrich<br />
Schiller aus Weimar ein Glückwunschschreiben<br />
an seinen Schwager, Pfarrer<br />
Franckh, in dem es u. a. heißt:<br />
Weimar, 29. Oktober 1802<br />
Die glückliche Entbindung der lieben<br />
Schwester hat uns alle herzlich erfreut<br />
und mich, ich darf es jetzt wohl sagen,<br />
von einer großen Furcht befreit, dem<br />
Himmel sei Dank für den erfreulichen<br />
Ausgang. Doch will ich Sie, lieber Herr<br />
Schwager, recht inständig gebeten haben,<br />
die Wöchnerin ein wenig kurz zu<br />
halten, daß sie sich nicht zu früh herauswagt<br />
und sich überhaupt aufs äußerste<br />
in acht nimmt , weil wir gar zu<br />
viel Beispiele gehabt, daß die Wochen<br />
übel ablaufen.<br />
Zu dem lieben Sohn und Stammhalter<br />
wünsche ich herzlich Glück, ich weiß<br />
aus eigener Erfahrung, wie groß die<br />
Freude des Vaters ist, sich in einem<br />
Sohn fortleben zu sehen. (...) Ich werde<br />
als Oncle und Pate meine Pfl icht redlich<br />
an ihm erfüllen, wenn ich die Freude erlebe,<br />
ihm nützlich sein zu können.<br />
(...) Die Zeitungen haben mir den Adel<br />
von Wien aus zuerkannt, ich selbst aber<br />
habe noch nichts von dorther erhalten.<br />
Indessen mag an dem Gerüchte etwas<br />
Wahres sein, denn ich habe Ursache zu<br />
vermuten, daß mein Herzog mir damit<br />
ein Geschenk machen wollte. Herzlich,<br />
bester Schwager, umarme ich Sie. Der<br />
lieben Schwester tausend brüderliche<br />
Grüße.<br />
Ihr aufrichtig ergebener<br />
Schiller<br />
Zwei Jahre später gebar Louise am 3. Juli<br />
1804 ihr drittes Kind. Die Tochter wurde<br />
Friderike Christiane Louise getauft. Zum<br />
Ende dieses Jahres erhielt Pfarrer Franckh<br />
eine erfreuliche Promotion. Er wurde<br />
durch den Kurfürsten am 28. Dezember<br />
1804 zum Stadtpfarrer von Möckmühl ernannt.<br />
Kurz darauf bekamen sie aus<br />
Möckmühl die Nachricht, dass man sie<br />
Anfang Februar 1805 mit einer Abordnung<br />
abholen würde. Am 11. Februar 1805<br />
ist die Familie Franckh aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
in ihr neues Zuhause nach Möckmühl gezogen,<br />
damals noch eine Oberamtsstadt.<br />
383
384<br />
Landrat Eugen Kaiser (1879 –1945)<br />
Am 28. Oktober 1879 kam Eugen Kaiser in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> zur Welt. Sein Vater war<br />
der Wirt des Gasthofs „Löwen“ Christian<br />
Kaiser. Nach dem Besuch der örtlichen<br />
Volksschule absolvierte er von 1893 bis<br />
1896 eine Gartenbaulehre in Neckarsulm.<br />
Anschließend arbeitete er bis 1906 als<br />
Gärtnergehilfe. Von 1906 bis 1910 übernahm<br />
er die Gauleitung des Allgemeinen<br />
Deutschen Gärtnervereins, einer freigewerkschaftlichen<br />
Organisation. Um 1898<br />
trat er in die Sozialdemokratische Partei<br />
Deutschlands (SPD) ein. Er heiratete im<br />
Jahre 1907. Nach dem Besuch der Gewerkschaftsschule<br />
in diesem Jahr wurde<br />
er am 1. Juni 1910 in die Position des Arbeitersekretärs<br />
in Frankfurt/M. berufen.<br />
Als Vorsitzender der SPD zu Groß-<br />
Frankfurt/M. von 1909 bis 1921 gehörte<br />
er für kurze Zeit (1919 –1921) der Stadtverordnetenfraktion<br />
an. Bei der Reichstagswahl<br />
vom Juni 1920 wurde Kaiser in<br />
den ersten Reichstag der Weimarer Republik<br />
gewählt, dem er bis zur Wahl vom<br />
Mai 1924 als Vertreter des Wahlkreises 21<br />
(Hessen-Nassau) angehörte. 1922 übernahm<br />
Eugen Kaiser die Geschäfte des<br />
Landrates und Polizeidirektors in Hanau<br />
(im heutigen Mainz-Kinzig-Kreis). Während<br />
seiner Amtszeit wurden soziale und<br />
wirtschaftliche Einrichtungen neu geschaff<br />
en und aufgebaut. Nach der Machtübernahme<br />
der NSDAP wurde er am 9.<br />
März 1933 in den einstweiligen Ruhestand<br />
versetzt. Von den Nationalsozialisten<br />
weiterhin politisch verfolgt, wurde er<br />
Landrat Eugen Kaiser, Landkreis Hanau<br />
nach dem gescheiterten Hitlerattentat<br />
vom 20. Juli 1944 am gleichen Tage von<br />
der Gestapo verhaftet und am 16. September<br />
1944 in das Konzentrationslager<br />
Dachau eingeliefert. Ende März 1945,<br />
beim Einmarsch der amerikanischen Truppen,<br />
sollten die KZ-Häftlinge in die bayerischen<br />
Berge verlegt werden. Der damals<br />
65-Jährige war den körperlichen Strapazen<br />
nicht mehr gewachsen und verstarb<br />
auf dem Marsch. Als sein Todestag gilt der<br />
4. April 1945.<br />
Heute erinnert die Eugen-Kaiser-Schule in<br />
Hanau und die Eugen-Kaiser-Straße in<br />
Nidderau an Kaisers Leben und politische<br />
Tätigkeit.
Ortsvorsteher Schultheiß Lambert Herrmann<br />
(1872 –1947)<br />
Der langjährige <strong>Cleversulzbach</strong>er Ortsvorsteher<br />
und Schultheiß Lambert Herrmann<br />
wurde am 12. Januar 1872 als Sohn des<br />
Bauern Carl August Herrmann in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
geboren und auf die Namen<br />
Christian Lambert getauft. Seine Mutter<br />
Katharina Elisabeth war eine geborene<br />
Gundelfi nger. Über seine Schul- und Jugendzeit<br />
konnte nichts in Erfahrung gebracht<br />
werden. Auch die näheren Umstände<br />
seiner Wahl zum Ortsvorsteher von<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> (Bewerbung, Wahlergebnis<br />
usw.) blieben im Dunkeln. Schultheiß<br />
Reinhold Kögel, der seit 1889 die Geschäfte<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong> geführt hatte,<br />
war am 31. März 1902 verstorben. Bis zur<br />
Neubesetzung dieser Stelle wurde der damals<br />
älteste Gemeinderat G. Lumpp mit<br />
der Stellvertretung betraut. Das Königli-<br />
che Oberamt Neckarsulm bat um Mitteilung,<br />
ob für die Neubesetzung ein Fachmann<br />
oder ein Gemeindebürger in Aussicht<br />
genommen sei. Der Gemeinderat<br />
entschied sich für einen Fachmann, für<br />
den ein Bewerbungsaufruf im Staatsanzeiger<br />
erfolgen sollte. Die Wahl wurde<br />
vom Oberamt für den 9. Mai 1902 angesetzt.<br />
Vom Gemeinderat nahm Christian<br />
Lumpp als Mitglied der Wahlkommission<br />
daran teil.<br />
Bei der Wahl entfi elen die meisten Stimmen<br />
auf den aus Reichenbach, Oberamt<br />
Waiblingen, stammenden „geprüften Verwaltungskandidaten“<br />
Johannes Schäfer,<br />
der zu diesem Zeitpunkt Stellvertreter und<br />
Grundbuchbeamter in Oedheim war. Obwohl<br />
der Gewählte bereit gewesen war,<br />
die Wahl anzunehmen, hat er dieses Amt,<br />
Veteranenverein <strong>Cleversulzbach</strong>, um 1906. Lambert Herrmann sitzend Vierter von links<br />
385
386<br />
aus welchen Gründen auch immer, letztendlich<br />
nicht angetreten. Stattdessen fand<br />
am 6. August erneut eine Wahl statt, über<br />
die aber in den Protokollen seltsamerweise<br />
nichts zu lesen ist. Erst in der Gemeinderatssitzung<br />
vom 1. September, die von Regierungsrat<br />
Haller geleitet wurde, verkündete<br />
dieser, dass bei der Wahl am 6. August<br />
1902 der Landwirt Lambert Herrmann<br />
zum Ortsvorsteher und Ratsschreiber<br />
gewählt worden war. Während dieser<br />
Sitzung wurde er in sein Amt eingesetzt<br />
und feierlich vereidigt.<br />
Es folgten nun 35 Jahre intensiver Amtszeit<br />
in zum Teil sehr bewegten Zeiten. Ein<br />
Jahr nach seiner Amtseinführung heiratete<br />
er am 17. September 1903 in Lehrensteinsfeld<br />
Karoline Amalie, geborene Hüttinger.<br />
Am 28. Januar 1904 wurde seine<br />
Tochter Hedwig Else geboren.<br />
In seine lange Amtszeit fi elen deutliche<br />
Verbesserungen der Infrastruktur des Dorfes.<br />
Für die Zwecke der Land- und Viehwirtschaft<br />
wurde 1905 von der Heilbronner<br />
Waagenfabrik L. Wagner eine Fuhrwerkswaage<br />
von 7.500 kg Tragkraft in<br />
„Laufgewichts-Construction mit Billetdruckapparat“<br />
angeschaff t, die auf einem<br />
eisernen Fundament installiert und mit einem<br />
Holzhäuschen geschützt worden ist,<br />
im Volksmund später das „Waaghäusle“<br />
genannt. Es stand an der Straßenecke, wo<br />
heute die Vereinsschaukästen hängen.<br />
Die Wasserleitung mit einem Hydrantenhochbehälter<br />
wurde 1911 erbaut. Die Anlage<br />
wurde von einem Wassermeister betreut.<br />
Ab 1910/11 erfolgte die schrittweise<br />
Elektrifi zierung des Ortes, 1909 wurde die<br />
erste Telegraphenhilfsstelle eingerichtet,<br />
womit <strong>Cleversulzbach</strong> Zugang zum Rest<br />
der Welt erhielt. Es folgte 1922 eine eigene<br />
Poststelle und Schultheiß Herrmann<br />
erhielt in seiner Wohnung einen vom Rathaus<br />
umschaltbaren Telefonanschluss. Die<br />
Mobilität der Bürger wurde ab 1907 mit<br />
der Eröff nung der Eisenbahnlinie Jagst-<br />
feld–Neuenstadt und ab 1913 mit der<br />
Verlängerung über Gochsen, Kochersteinsfeld,<br />
Möglingen bis nach Ohrnberg stark<br />
verbessert. Zwar wurde der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Antrag, bei der Helmbundkirche eine<br />
Haltestelle einzurichten – wofür man bereit<br />
gewesen wäre, 500 Mark für das Projekt<br />
zuzuzahlen – nicht berücksichtigt,<br />
und man musste den Fußmarsch zum<br />
neuen Neuenstädter Bahnhof in Kauf<br />
nehmen. Die Situation verbesserte sich, als<br />
es dem Gemeinderat 1926 nach langen<br />
Bemühungen und vorherigem Straßenausbau<br />
gelang, <strong>Cleversulzbach</strong> an die<br />
Kraftpostverbindung Neuenstadt–Öhringen<br />
anzubinden. Der Ort wurde fortan<br />
über lange Zeit zweimal am Tag, morgens<br />
und abends, bedient.<br />
In Herrmanns Amtszeit wurde auch der<br />
Schulbetrieb vorangetrieben und der Zustand<br />
des Schulgebäudes – immer wieder<br />
vom Hauptlehrer Friedrich Schick angemahnt<br />
– laufend verbessert. Mehr noch ist<br />
der Lehrer durch sein 1925 herausgegebenes<br />
Büchlein „Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland<br />
…, Mörike und <strong>Cleversulzbach</strong>“ bekannt<br />
geworden. Die Schrift enthält viel<br />
Lesenswertes über <strong>Cleversulzbach</strong> in der<br />
damaligen Zeit und ist auch heute noch<br />
antiquarisch erhältlich.<br />
Die Pfl ichtfeuerwehr in den Anfangsjahren<br />
von Herrmanns Amtszeit bestand aus<br />
rd. 70 Mann. Zur Ausrüstung gehörte zuerst<br />
eine Saug- und Druckpumpe, 1911<br />
wurden zwei Hydrantenwagen und 1925<br />
eine Zweirad-Leiter angeschaff t.<br />
Zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten<br />
Weltkrieges ließ der Gemeinderat Anfang<br />
1920 eine Ehrentafel anfertigen und<br />
später nach längeren Verhandlungen ein<br />
vom Bildhauer Wender aus Bitzfeld gestaltetes<br />
Kriegerdenkmal im Dezember<br />
1922 auf dem Friedhof errichten.<br />
Wegen seines Ischiasleidens trat Schultheiß<br />
Herrmann im Juni 1924 eine Kur an.<br />
Seine Vertretung übernahm für diese Zeit
Gemeinderat Friedrich Lumpp. Anfang des<br />
Jahres 1928 gab es für die Herrmanns ein<br />
familiäres Ereignis zu feiern. Tochter Else<br />
heiratete am 23. Februar Heinrich Laub,<br />
damals Schultheiß von Pfedelbach, später<br />
Bürgermeister in Langenburg.<br />
Es kam das Jahr 1933 und damit eine völlig<br />
neue politische Ausrichtung. Bereits im<br />
April 1933 musste der Gemeinderat neu<br />
gebildet werden. Die Zusammensetzung<br />
erfolgte aufgrund von Wahlvorschlägen,<br />
die in <strong>Cleversulzbach</strong> vom Württembergischen<br />
Bauern- und Weingärtnerbund<br />
(WBWB) und von der Nationalsozialistischen<br />
Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)<br />
eingereicht worden sind. Daraufhin rückten<br />
zwei neue Mitglieder in den Gemeinderat<br />
auf; zwei andere schieden dafür aus.<br />
Der Einfl uss der nationalsozialistischen<br />
Regierung wuchs. Schon bald mussten neben<br />
den üblichen Projekten wie Pachtverträge,<br />
die Weinberghut, Schädlingsbekämpfung<br />
und anderen dorfbezogenen<br />
Aufgaben, zunehmend von der Kreisleitung<br />
oder anderen NS-Organisationen angeordnete<br />
Aktionen durchgesetzt und die<br />
Kosten dafür getragen werden.<br />
Im September 1934 wurden alle Beamten<br />
(darunter auch die Gemeinderäte) neu<br />
vereidigt. Wortlaut: „Ich schwöre: Ich<br />
werde dem Führer des Deutschen Reiches<br />
und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam<br />
sein, die Gesetze beachten und meine<br />
Amtspfl ichten gewissenhaft erfüllen, so<br />
wahr mir Gott helfe.“ Die vollzogene Vereidigung<br />
wurde von Bürgermeister Herrmann<br />
beurkundet.<br />
Schon ein Jahr später wurde durch die<br />
Nationalsozialisten eine neue Gemeindeordnung<br />
durchgesetzt. Bürgermeister<br />
Herrmann ließ dazu eine neue Satzung<br />
einführen, und basierend darauf wurde<br />
der Gemeinderat durch Wahl neu zusammengesetzt.<br />
Es gab jetzt zwei Beisitzer<br />
und vier neue Gemeinderäte; die bisherigen<br />
Mitglieder mussten ausscheiden. Es<br />
darf angenommen werden, dass von diesem<br />
Zeitpunkt an Gemeinderat und Bürgermeister<br />
Teil der nationalsozialistischen<br />
Organisation waren.<br />
Was sich in den Kriegsjahren 1939 bis1945<br />
in der Gemeinde abgespielt hat, lässt sich<br />
leider nicht belegbar nachweisen. Die<br />
meisten Dokumente aus dieser Zeit sind –<br />
wie in vielen anderen Orten auch – aus<br />
dem Ortsarchiv beseitigt worden.<br />
Belegt ist aber, dass gemäß eines neuen<br />
Erlasses des Württembergischen Innenministeriums<br />
vom 1. Dezember 1937 alle Gemeindebeamten<br />
mit Erreichen der Altersgrenze<br />
von 65 Jahren aus ihrem Amt auszuscheiden<br />
hatten. Dieser Erlass traf auch<br />
Bürgermeister Herrmann, der das 65. Lebensjahr<br />
zu diesem Zeitpunkt bereits um<br />
fast ein Jahr überschritten hatte. Sein<br />
Ausscheiden wurde auf den 23. Dezember<br />
1937 festgelegt. Die Amtsgeschäfte wurden<br />
zunächst von seinem Stellvertreter<br />
Eugen Blank übernommen. Knapp zwei<br />
Jahre später, am 13. Juni 1939, wurde der<br />
Maschinenschlosser Friedrich Mayer, seit<br />
1931 Mitglied der NSDAP, als neuer Bürgermeister<br />
eingesetzt. Dieses Amt hat er<br />
aber nur einen Monat ausgeübt, denn er<br />
wurde am 15. Juli 1939 zum Heer eingezogen,<br />
und Altbürgermeister Lambert<br />
Herrmann übernahm die Geschäfte als<br />
Stellvertreter, wie es in einem Eintrag im<br />
Rechnungsbuch der Gemeinde zu lesen<br />
ist, wo es heißt:<br />
Altbürgermeister Herrmann hat ab<br />
15. 7. 1939 infolge Einziehung des Bürgermeisters<br />
Mayer zum Heeresdienst auf<br />
Grund Anordnung des Landrats die Geschäfte<br />
wieder stellvertretungsweise übernommen.<br />
Die Aufwendungsentschädigung<br />
beträgt ab 1. 7. 1941 monatlich 100 RM.<br />
Bürgermeister Mayer, der bei der Luftwaff<br />
e diente, ist aus dem Krieg nicht mehr<br />
zurückgekehrt. Er wurde am 17. Dezember<br />
1942 als vermisst gemeldet. So ist anzunehmen,<br />
dass Lambert Herrmann die<br />
387
388<br />
Amtsgeschäfte bis zum Kriegsende fortgeführt<br />
hat.<br />
Sein Nachfolger nach dem Kriege war Richard<br />
Nef, der am 2. November 1945 zunächst<br />
als kommissarischer Bürgermeister<br />
vom damaligen Landrat Beutingen eingesetzt<br />
worden ist und danach <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
langjähriger Bürgermeister war<br />
(sein Lebensweg ist in einem anderen Kapitel<br />
beschrieben).<br />
Lambert Herrmann starb am 19. April<br />
1947 und wurde am 22. April auf dem<br />
Friedhof von <strong>Cleversulzbach</strong> begraben.<br />
Eine Lungenentzündung hatte ihn mit 75<br />
Jahren dahingeraff t. Seine Grabstätte ist<br />
nicht mehr zu fi nden; sie wurde nach Ablauf<br />
der Ruhefrist 2008 abgeräumt.<br />
Herrmanns zwölf Jahre jüngere Witwe<br />
Amalie blieb in deren stattlichem Wohnhaus<br />
an der Brettacher Straße (jetzt Nr.<br />
46) wohnen. Sie starb am 23. Juni 1966<br />
im Alter von 82 Jahren.<br />
Porträtfoto Lambert Herrmann 1940,<br />
68-jährig
Bürgermeister Richard Nef (1917 –1993)<br />
Richard Nef wurde am 17. Mai 1917 in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> als Sohn des Landwirts<br />
Paul Nef geboren. Richards Mutter Elsa<br />
war eine geborene Herrmann. Nach ihm<br />
kamen 1920 noch seine Schwester Mina<br />
und 1922 seine Schwester Hilde zur Welt.<br />
Richard Nefs Großvater Karl war in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
ein angesehener Gemeinderat<br />
und lange Jahre auch Gemeindepfl eger.<br />
Nach der Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
besuchte Richard Nef die Landwirtschaftliche<br />
Fachschule in Heilbronn, wohin er<br />
bei jedem Wetter mit dem Fahrrad fuhr.<br />
Der Unterricht fand damals nur in den<br />
Wintermonaten statt, da die Bauern die<br />
andere Zeit des Jahres mit der Landwirtschaft<br />
beschäftigt waren. Nach dem Abschluss<br />
der Landwirtschaftlichen Fachschule<br />
arbeitete er auf dem väterlichen<br />
Bauernhof, bis er 1939 zur Wehrmacht<br />
einberufen wurde. Er war zunächst an der<br />
Ostfront eingesetzt, wo er 1943 in Sewastopol<br />
(Krim) verwundet wurde. Nach kurzem<br />
Heimaturlaub wurde er nach Frankreich<br />
in die Normandie versetzt. Dort verlor<br />
er 1944 bei der Invasion der alliierten<br />
Truppen seinen linken Arm. Bis zum<br />
Kriegsende blieb er dann als Verwundeter<br />
in der Heimat.<br />
Am 2. November 1945 wurde er vom damaligen<br />
Landrat Beutingen zum kommissarischen<br />
Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
eingesetzt, ein Jahr später vom Gemeinderat<br />
auf zwei weitere Jahre im Amt<br />
bestätigt.<br />
1948 heiratete er Klara Hilligardt aus<br />
Brettach. Aus der Ehe gingen die drei Kinder<br />
Helmut, Erhard und Hildegard hervor.<br />
Bei den weiteren Wahlen 1948, 1953 und<br />
1966 wurde er jeweils mit großer Mehrheit<br />
wiedergewählt. Nach der Eingemeindung<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong> nach Neuenstadt<br />
am Kocher am 1. Januar 1972 wurde Ri-<br />
Stimmzettel für die Wahl des Bürgermeisters<br />
am 6. Dezember 1953<br />
chard Nef Ortsvorsteher und Verwaltungsstellenleiter<br />
von <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
In die Zeit seiner fast 33-jährigen Tätigkeit<br />
fällt eine lange Reihe von Ortsverbesserungen,<br />
so 1948 die Wasserversorgung,<br />
1950 die Bachkorrektur, 1956 der Bau des<br />
Gemeindehauses (später Kelter-Halle);<br />
dann die Renovierung der St. Jost-Kirche<br />
1960, in den Jahren 1956 und 1966 Ausbau<br />
der Durchfahrtstraßen nach Neuenstadt,<br />
Eberstadt und Brettach, die Flurbereinigung<br />
und die Begradigung des Sulzbachs<br />
im Jahr 1970 sowie die komplette<br />
Renovierung des fast 100 Jahre alten Rathauses.<br />
1971 konnten die Arbeiten an der<br />
Kanalisation abgeschlossen werden. Richard<br />
Nef ist in den Jahren seines Wirkens<br />
für seine Sparsamkeit bekannt geworden.<br />
So soll er eine Hilfskraft aus eigener Tasche<br />
bezahlt haben, um eine fi nanzielle<br />
Belastung der Gemeinde zu vermeiden.<br />
389
390<br />
Währungsreform 1948, Bürgermeister<br />
Richard Nef beim Geldtransport<br />
Nach einer langjährigen verdienstvollen<br />
Amtstätigkeit wurde Richard Nef 1978 in<br />
einer großen Feierstunde in den Ruhestand<br />
verabschiedet. Seine Nachfolger als<br />
Ortsvorsteher waren Dieter Plenefi sch<br />
(von 1978 –1986), Werner Uhlmann (von<br />
1986 –2009) und seit 2009 Günther<br />
Stahl.<br />
Als Pensionär leitete Richard Nef weiterhin<br />
bis Mai 1982 die Verwaltungsstelle<br />
auf dem Rathaus und erstellte über viele<br />
Jahre hinweg für das Statistische Landesamt<br />
Baden-Württemberg landwirtschaft-<br />
Zur Verabschiedung in den Ruhestand<br />
überreicht Neuenstadts Bürgermeister Rolf<br />
Bernauer Richard Nef ein Abschiedsgeschenk,<br />
1978<br />
liche statistische Werte. Darüber hinaus<br />
widmete er sich den Diensten des evangelischen<br />
Kirchengemeinderats, in dem er<br />
fast 30 Jahre Zweiter Vorsitzender war.<br />
Er litt seit seinem 50. Lebensjahr an einer<br />
Herzkrankheit. Die dafür 1992 angesetzte<br />
Operation musste wegen einer Virusinfektion<br />
verschoben werden. Am 23. Dezember<br />
1993 erlitt er eine Lungenentzündung,<br />
an der er mit geschwächtem Herzen noch<br />
am selben Tag verstarb. Er wurde auf dem<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof unter großer<br />
Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt.
Erinnerungen an Mörike<br />
Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland<br />
Hundertunddreizehn Jahr' ich stand,<br />
Auf dem Kirchturm ein guter Hahn,<br />
Als ein Zierat und Wetterfahn'.<br />
In Sturm und Wind und Regennacht<br />
Hab' ich allzeit das Dorf bewacht.<br />
Manch falber Blitz hat mich gestreift,<br />
Der Frost mein' roten Kamm bereift,<br />
Auch manchen lieben Sommertag,<br />
Da man gern Schatten haben mag,<br />
DER ALTE TURMHAHN<br />
Idylle<br />
Hat mir die Sonne unverwandt<br />
Auf meinen goldigen Leib gebrannt.<br />
So ward ich schwarz für Alter ganz,<br />
Und weg ist aller Glitz und Glanz.<br />
Da haben sie mich denn zuletzt<br />
Veracht ' t und schmählich abgesetzt.<br />
Meinthalb! so ist der Welt ihr Lauf,<br />
Jetzt tun sie einen andern 'nauf.<br />
Stolzier', prachtier' und dreh'' dich nur!<br />
Dir macht der Wind noch andre Cour.<br />
391
392<br />
Ade, o Tal, du Berg und Tal!<br />
Rebhügel, Wälder allzumal!<br />
Herzlieber Turn und Kirchendach,<br />
Kirchhof und Steglein übern Bach!<br />
Du Brunnen, dahin spat und früh<br />
Öchslein springen, Schaf' und Küh',<br />
Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken<br />
Und Bastes Evlein mit dem Schecken!<br />
— Ihr Störch' und Schwalben, grobe Spatzen,<br />
Euch soll ich nimmer hören schwatzen!<br />
Lieb deucht mir jedes Drecklein itzt,<br />
Damit ihr ehrlich mich beschmitzt.<br />
Ade, Hochwürden, Ihr Herr Pfarr,<br />
Schulmeister auch, du armer Narr!<br />
Aus ist, was mich gefreut so lang',<br />
Geläut ' und Orgel, Sang und Klang.<br />
Von meiner Höh' so sang ich dort<br />
Und hätt' noch lang' gesungen fort,<br />
Da kam so ein krummer Teufelshöcker,<br />
Ich schätz', es war der Schieferdecker,<br />
Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoß<br />
Mich richtig von der Stange los.<br />
Mein alt preßhafter Leib schier brach,<br />
Da er mit mir fuhr ab dem Dach<br />
Und bei den Glocken schnurrt hinein;<br />
Die glotzten sehr verwundert drein,<br />
Regt ' ihnen doch weiter nicht den Mut,<br />
Dachten eben, wir hangen gut.<br />
Jetzt tät man mich mit altem Eisen<br />
Dem Meister Hufschmied überweisen;<br />
Der zahlt zween Batzen und meint Wunder,<br />
Wie viel es wär' für solchen Plunder.<br />
Und also ich selben Mittag<br />
Betrübt vor seiner Hütte lag.<br />
Ein Bäumlein — es war Maienzeit -<br />
Schneeweiße Blüten auf mich streut,<br />
Hühner gackeln um mich her,<br />
Unachtend, was das für ein Vetter wär'.<br />
Da geht mein Pfarrherr nun vorbei,<br />
Grüßt den Meister und lächelt: »Ei,<br />
Wär's so weit mit uns, armer Hahn?<br />
Andrees, was fangt Ihr mit ihm an?<br />
Ihr könnt ihn weder sieden noch braten,<br />
Mir aber müßt ' es schlimm geraten,<br />
Einen alten Kirchendiener gut<br />
Nicht zu nehmen in Schutz und Hut.<br />
Kommt! tragt ihn mir gleich vor ins Haus,<br />
Trinket ein kühl' Glas Wein mit aus.«<br />
Der rußig' Lümmel, schnell bedacht,<br />
Nimmt mich vom Boden auf und lacht.<br />
Es fehlt ' nicht viel, so tat ich frei<br />
Gen Himmel einen Freudenschrei.<br />
Im Pfarrhaus, ob dem fremden Gast<br />
War groß und klein erschrocken fast;<br />
Bald aber in jedem Angesicht<br />
Ging auf ein rechtes Freudenlicht.<br />
Frau, Magd und Knecht, Mägdlein und Buben,<br />
Den großen Göckel in der Stuben<br />
Mit siebenfacher Stimmen Schall<br />
Begrüßen, begucken, betasten all'.<br />
Der Gottesmann drauf mildiglich<br />
Mit eignen Händen trägt er mich<br />
Nach seinem Zimmer, Stiegen auf,<br />
Nachpolteret der ganze Hauf'.<br />
Hier wohnt der Frieden auf der Schwell'!<br />
In den geweißten Wänden hell<br />
Sogleich empfing mich sondre Luft,<br />
Bücher- und Gelahrtenduft,<br />
Gerani- und Resedaschmack,<br />
Auch ein Rüchlein Rauchtabak.<br />
(Dies war mir all' noch unbekannt.)<br />
Ein alter Ofen aber stand<br />
In der Ecke linkerhand.<br />
Recht als ein Turn tät er sich strecken<br />
Mit seinem Gipfel bis zur Decken,<br />
Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und spitz —<br />
O anmutsvoller Ruhesitz!<br />
Zuöberst auf dem kleinen Kranz<br />
Der Schmied mich auf ein Stänglein pflanzt '.<br />
Betrachtet mir das Werk genau!<br />
Mir deucht 's ein ganzer Münsterbau;<br />
Mit Schildereien wohl geziert,<br />
Mit Reimen christlich ausstaffiert.<br />
Davon vernahm ich manches Wort,<br />
Dieweil der Ofen ein guter Hort<br />
Für Kind und Kegel und alte Leut ',<br />
Zu plaudern, wann es wind' t und schneit.
Hier seht ihr seitwärts auf der Platten<br />
Eines Bischofs Krieg mit Mäus' und Ratten,<br />
Mitten im Rheinstrom sein Kastell.<br />
Das Ziefer kommt geschwommen schnell,<br />
Die Knecht ' nichts richten mit Waffen und Wehr,<br />
Der Schwänze werden immer mehr.<br />
Viel tausend gleich in dicken Haufen<br />
Frech an der Mauer auf sie laufen,<br />
Fallen dem Pfaffen in sein Gemach;<br />
Sterben muß er mit Weh und Ach,<br />
Von den Tieren aufgefressen,<br />
Denn er mit Meineid sich vermessen.<br />
Sodann König Belsazers seinen Schmaus,<br />
Weiber und Spielleut ', Saus und Braus;<br />
Zu großem Schrecken an der Wand<br />
Rätsel schreibt eines Geistes Hand.<br />
— Zuletzt da vorne stellt sich für<br />
Sara lauschend an der Tür,<br />
Als der Herr mit Abraham<br />
Vor seiner Hütte zu reden kam<br />
Und ihme einen Sohn versprach.<br />
Sara sich Lachens nicht entbrach,<br />
Weil beide schon sehr hoch betaget.<br />
Der Herr vernimmt es wohl und fraget:<br />
»Wie, lachet Sara? glaubt sie nicht,<br />
Was der Herr will, leicht geschicht? «<br />
Das Weib hinwieder Flausen machet,<br />
Spricht: »Ich habe nicht gelachet.«<br />
Das war nun wohl gelogen fast,<br />
Der Herr es doch passieren laßt,<br />
Weil sie nicht leugt aus arger List,<br />
Auch eine Patriarchin ist.<br />
Seit daß ich hier bin, dünket mir<br />
Die Winterszeit die schönste schier.<br />
Wie sanft ist aller Tage Fluß<br />
Bis zum geliebten Wochenschluß!<br />
— Freitag zu Nacht, noch um die Neune,<br />
Bei seiner Lampen Trost alleine,<br />
Mein Herr fangt an sein Predigtlein<br />
Studieren; anderst mag's nicht sein;<br />
Eine Weil' am Ofen brütend steht,<br />
Unruhig hin und dannen geht:<br />
Sein Text ihm schon die Adern reget;<br />
Drauf er sein Werk zu Faden schläget.<br />
Inmittelst einmal auch etwan<br />
Hat er ein Fenster aufgetan -<br />
Ah, Sternenlüfteschwall wie rein<br />
Mit Haufen dringet zu mir ein!<br />
Den Verrenberg ich schimmern seh',<br />
Den Schäferbühel dick mit Schnee!<br />
Zu schreiben endlich er sich setzet,<br />
Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet,<br />
Zeichnet sein Alpha und sein 0<br />
Über dem Exordio.<br />
Und ich von meinem Postament<br />
Kein Aug' ab meinem Herrlein wend';<br />
Seh', wie er, mit Blicken steif ins Licht,<br />
Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,<br />
Einmal sacht eine Prise greifet,<br />
Vom Docht den roten Butzen streifet;<br />
Auch dann und wann zieht er vor sich<br />
Ein Sprüchlein an vernehmentlich,<br />
So ich mit vorgerecktem Kopf<br />
Begierlich bringe gleich zu Kropf.<br />
Gemachsam kämen wir also<br />
Bis Anfang Applicatio.<br />
Indes der Wächter Elfe schreit.<br />
Mein Herr denkt: es ist Schlafenszeit;<br />
Ruckt seinen Stuhl und nimmt das Licht;<br />
»Gut ' Nacht, Herr Pfarr!« — Er hört es nicht.<br />
Im Finstern wär' ich denn allein.<br />
Das ist mir eben keine Pein.<br />
Ich hör' in der Registratur<br />
Erst eine Weil' die Totenuhr,<br />
Lache den Marder heimlich aus,<br />
Der scharrt sich müd' am Hühnerhaus;<br />
Windweben um das Dächlein stieben;<br />
Ich höre, wie im Wald da drüben -<br />
Man heißet es im Vogeltrost -<br />
Der grimmig' Winter sich erbost,<br />
Ein Eichlein spalt ' t jähling mit Knallen,<br />
Eine Buche, daß die Täler schallen.<br />
— Du meine Güt ', da lobt man sich<br />
So frommen Ofen dankbarlich!<br />
Er wärmelt halt die Nacht so hin,<br />
Es ist ein wahrer Segen drin.<br />
— Jetzt, denk' ich, sind wohl hie und dort<br />
Spitzbuben aus auf Raub und Mord;<br />
Denk', was eine schöne Sach' es ist,<br />
393
394<br />
Brave Schloß und Riegel zu jeder Frist!<br />
Was ich wollt ' machen herentgegen,<br />
Wenn ich eine Leiter hört ' anlegen;<br />
Und sonst was so Gedanken sind;<br />
Ein warmes Schweißlein mir entrinnt.<br />
Um zwei, gottlob, und um die drei<br />
Glänzet empor ein Hahnenschrei,<br />
Um fünfe, mit der Morgenglocken,<br />
Mein Herz sich hebet unerschrocken,<br />
Ja voller Freuden auf es springt,<br />
Als der Wächter endlich singt:<br />
»Wohlauf, im Namen Jesu Christ!<br />
Der helle Tag erschienen ist!«<br />
Ein Stündlein drauf, wenn mir die Sporen<br />
Bereits ein wenig steif gefroren,<br />
Rasselt die Lis' im Ofen, brummt,<br />
Bis's Feuer angeht, saust und summt.<br />
Dann von der Küch' 'rauf, gar nicht übel,<br />
Die Supp' ich wittre, Schmalz und Zwiebel.<br />
Endlich, gewaschen und geklärt,<br />
Mein Herr sich frisch zur Arbeit kehrt.<br />
Am Samstag muß ein Pfarrer fein<br />
Daheim in seiner Klause sein,<br />
Nicht visiteln, herumkutschieren,<br />
Seine Faß einbrennen, sonst hantieren.<br />
Meiner hat selten solch' Gelust.<br />
Einmal — ihr sagt 's nicht weiter just —<br />
Zimmert ' er den ganzen Nachmittag<br />
Dem Fritz an einem Meisenschlag,<br />
Dort an dem Tisch, und schwatzt ' und schmaucht ',<br />
Mich alten Tropf kurzweilt ' es auch.<br />
Jetzt ist der liebe Sonntag da.<br />
Es läut ' t zur Kirchen fern und nah.<br />
Man orgelt schon; mir wird dabei,<br />
Als säß' ich in der Sakristei.<br />
Es ist kein Mensch im ganzen Haus;<br />
Ein Mücklein hör' ich, eine Maus.<br />
Die Sonne sich ins Fenster schleicht,<br />
Zwischen die Kaktusstöck' hinstreicht<br />
Zum kleinen Pult von Nußbaumholz,<br />
Eines alten Schreinermeisters Stolz;<br />
Beschaut sich, was da liegt umher,<br />
Konkordanz und Kinderlehr',<br />
Oblatenschachtel, Amtssigill,<br />
Im Dintenfaß sich spiegeln will,<br />
Zuteuerst Sand und Grus besicht,<br />
Sich an dem Federmesser sticht<br />
Und gleitet übern Armstuhl frank<br />
Hinüber an den Bücherschrank.<br />
Da stehn in Pergament und Leder<br />
Vornan die frommen Schwabenväter:<br />
Andreä, Bengel, Rieger zween,<br />
Samt Oetinger sind da zu sehn.<br />
Wie sie die goldnen Namen liest,<br />
Noch goldener ihr Mund sie küßt,<br />
Wie sie rührt an Hillers Harfenspiel -<br />
Horch! klingt es nicht? so fehlt nicht viel.<br />
Inmittelst läuft ein Spinnlein zart<br />
An mir hinauf nach seiner Art<br />
Und hängt sein Netz, ohn' erst zu fragen,<br />
Mir zwischen Schnabel auf und Kragen.<br />
Ich rühr' mich nicht aus meiner Ruh',<br />
Schau' ihm eine ganze Weile zu.<br />
Darüber ist es wohl geglückt,<br />
Daß ich ein wenig eingenickt. -<br />
Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt<br />
Ein alter Kirchhahn besser hat?<br />
Ein Wunsch im stillen dann und wann<br />
Kommt einen freilich wohl noch an.<br />
Im Sommer stünd' ich gern da draus<br />
Bisweilen auf dem Taubenhaus,<br />
Wo dicht dabei der Garten blüht,<br />
Man auch ein Stück vom Flecken sieht.<br />
Dann in der schönen Winterzeit,<br />
Als zum Exempel eben heut:<br />
Ich sag' es grad' — da haben wir<br />
Gar einen wackern Schlitten hier,<br />
Grün, gelb und schwarz; — er ward verwichen<br />
Erst wieder sauber angestrichen:<br />
Vorn auf dem Bogen brüstet sich<br />
Ein fremder Vogel hoffärtig -<br />
Wenn man mich etwas putzen wollt ',<br />
Nicht, daß es drum viel kosten sollt ',<br />
Ich stünd' so gut dort als wie der<br />
Und machet ' niemand nicht Unehr'!<br />
— Narr! denk' ich wieder, du hast dein Teil!<br />
Willt du noch jetzo werden geil?<br />
Mich wundert, ob dir nicht gefiel',
Daß man, der Welt zum Spott und Ziel,<br />
Deinen warmen Ofen gar zuletzt<br />
Mitsamt dir auf die Läufe setzt<br />
Daß auf dem G'sims da um dich säß'<br />
Mann, Weib und Kind, der ganze Käs'!<br />
In seiner <strong>Cleversulzbach</strong>er Zeit hat Eduard<br />
Mörike über hundert Gedichte geschrieben.<br />
Eines der bekanntesten Gedichte<br />
dürfte die Idylle Der alte Turmhahn sein.<br />
Nach einer Renovierung der Kirche wurde<br />
der alte Turmhahn vom Schmied Salm<br />
durch einen neuen ersetzt. Den alten<br />
Turmhahn fand Mörike beim alten Eisen<br />
des Schmieds und nahm ihn zu sich. Er inspirierte<br />
ihn zu dem Gedicht, das in seiner<br />
ersten kurzen Fassung von nur 22 Versen<br />
1840 entstand.<br />
1 Siehe Helmut Braun, Rudolf Schwan, Werner Uhlmann: Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland.<br />
Eduard Mörikes Zeit in <strong>Cleversulzbach</strong>. Betulius Verlag Stuttgart, 2004, S. 64 ff .<br />
Du alter Scherb, schämst du dich nicht,<br />
Auf Eitelkeit zu sein erpicht?<br />
Geh in dich, nimm dein Ende wahr!<br />
Wirst nicht noch eimal hundert Jahr!<br />
Die erste Fassung des Alten Turmhahns<br />
schickte Mörike seinem Freund Hartlaub<br />
mit der Bemerkung:<br />
Hieraus erseht Ihr, was ich für eine Aquisition<br />
gemacht habe. Ihr könnt nicht<br />
glauben, wie der alte Kerl sie freut, bis er<br />
Euch den Brettacher Weg herfahren sieht.<br />
Mörike hat an diesem Gedicht lange Jahre<br />
gearbeitet, Ergänzungen und Änderungen<br />
durchgeführt, bis es 1852, lange nach seiner<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Zeit, aber getragen<br />
von der Erinnerung an diese Jahre, in seiner<br />
endgültigen Form vorlag. 1<br />
395
396<br />
Die Mörike-Stube und die Entstehung des<br />
Mörike-Museums<br />
Nur langsam leerte sich der Friedhof. Sehr<br />
viele <strong>Cleversulzbach</strong>er hatten sich am 2.<br />
August 1994 zur Beerdigung von Margarete<br />
Seebold eingefunden und sie auf ihrem<br />
letzten Erdenweg begleitet. Aber<br />
noch bedeutend mehr Auswärtige waren<br />
angereist, um an dieser Trauerfeier teilzunehmen,<br />
für eine Frau, die sie von Besuchen<br />
ihrer Mörike-Stube in lebendiger Erinnerung<br />
hatten.<br />
Pfarrer Ulrich Müller hatte ergreifende<br />
Worte gesprochen und das große Engagement<br />
von Margarete Seebold als rührige<br />
Wirtin, Betreuerin der Mörike-Stube und<br />
nicht zuletzt auch als langjährige Organistin<br />
der St.-Jost-Kirche gewürdigt; wenn<br />
auch nicht aus eigener Erinnerung, denn<br />
als er vor gut einem Jahr sein Amt als<br />
neuer Pfarrer in <strong>Cleversulzbach</strong> antrat,<br />
war Margarete Seebold, von heftiger<br />
Krankheit geplagt, schon 1991 gezwungen<br />
gewesen, die Gastwirtschaft, und damit<br />
auch die Mörike-Stube, für immer zu<br />
schließen. Bis zuletzt wohnte sie gut umsorgt<br />
im „Turmhahn“. Als aber die Kräfte<br />
der Helferinnen der Pfl ege nicht mehr gewachsen<br />
waren, kam Margarete Seebold<br />
am 18. Juli 1994 in ein Pfl egeheim. Dort<br />
ist sie zehn Tage später gestorben.<br />
Sie war sechs Jahre alt, als sie nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
kam. Ihre Eltern, die Wirtsleute<br />
Franz Ludwig und Mathilde Seebold,<br />
wollten nach Jahren in Frankfurt wieder<br />
zurück in die Heimat und hatten im Juli<br />
1912 von Hermann Schön das von ihm ein<br />
Jahr zuvor neu erbaute Haus mit Schankwirtschaft<br />
erworben. Das stattliche Gebäude<br />
an der Ecke Neuenstädter Straße<br />
und Hauptstraße (heute Brettacher<br />
Straße), schräg gegenüber der St.-Jost-<br />
Kirche, war bereits mit elektrischem Licht<br />
und fl ießendem Wasser versehen.<br />
Die Wirtsleute nannten ihre neue Gastwirtschaft<br />
„Zum Adler“. Der Name wurde<br />
in großen Buchstaben an der Wand zur<br />
Neuenstädter Straße angebracht und an<br />
der Eckwand zeigte ein schönes Wirtshausschild<br />
von beiden Straßenseiten<br />
sichtbar einen schwarzen, teilweise vergoldeten<br />
Adler. Ein Jahr später erhielt der<br />
„Adlerwirt“ auch die Erlaubnis, zwei Zimmer<br />
des ersten Stocks zur Beherbergung<br />
von Fremden zu nutzen.<br />
Margarete Seebold wuchs mit ihrer sechs<br />
Jahre jüngeren Schwester Hildegard Karoline<br />
(in der Familie nur Hilde genannt), die<br />
noch in Frankfurt am 10. März 1912, einige<br />
Monate vor dem Umzug, geboren<br />
war, in der umtriebigen Umgebung einer<br />
Gastwirtschaft auf. Zur Schule hatte sie<br />
nicht weit. Die war praktisch auf der anderen<br />
Straßenseite. Und die Hausaufgaben<br />
wurden sicherlich an einem Nebentisch im<br />
Gastraum gemacht.<br />
Als der Erste Weltkrieg 1914 begann,<br />
brauchte ihr Vater nicht mehr zum Militär;<br />
er war da bereits 43 Jahre alt. Viele<br />
andere junge Burschen dagegen wurden<br />
eingezogen und waren überzeugt, in spätestens<br />
sechs Wochen wieder zurückzukehren.<br />
Es sollte fünf Jahre dauern, bis der<br />
letzte Überlebende (aus Kriegsgefangenschaft)<br />
wieder zurückkam. Doch für 23<br />
junge Bürger gab es keine Rückkehr; 19<br />
sind im Krieg gefallen, vier wurden als<br />
vermisst gemeldet.<br />
Für die Bevölkerung brachte der Krieg erhebliche<br />
Einschränkungen. Lebensmittel und<br />
Konsumartikel wurden rationiert, Schlachtungen<br />
mussten beantragt und der Fleischüberschuss<br />
abgegeben werden. Hierunter<br />
hatten auch die Gastwirtschaften zu leiden.<br />
Die Speisezettel wurden magerer; der Umsatz<br />
von Bier und Wein musste es bringen.
Pfarrer in dieser schwierigen Zeit war Fritz<br />
Wiesner, der schon seit 15 Jahren an der<br />
evangelischen St.-Jost-Kirche seinen Dienst<br />
tat. Gut 70 Jahre zurück hatte er einen<br />
weit über <strong>Cleversulzbach</strong>s Grenzen hinaus<br />
bekannten Amtsvorgänger, den Pfarrer und<br />
Dichter Eduard Mörike. Seine Werke wurden<br />
auch nach seinem Tod 1875 sehr verehrt.<br />
Die Erinnerung an den großen deutschen<br />
Dichter der Spätromantik war groß<br />
und so war es nicht verwunderlich, dass<br />
viele Freunde seiner schwäbischen Dichtkunst<br />
in den Jahren danach immer wieder<br />
seine Wirkungsstätte in <strong>Cleversulzbach</strong> besuchten;<br />
die St.-Jost-Kirche, das Pfarrhaus<br />
und die Grabstätten seiner Mutter und der<br />
von Schillers Mutter, seinen Lieblingshügel<br />
und andere in seinen Gedichten und Briefen<br />
beschriebene romantische Ruheorte.<br />
Sicherlich legten dann viele Besucher eine<br />
Rast im Gasthof „Adler“ ein und mit der<br />
Zeit ist bei der Gastwirtsfamilie das Interesse<br />
an dem Dichterpfarrer gewachsen und<br />
man begann, Erinnerungsstücke an Eduard<br />
Mörike zu sammeln, die man im Zimmer<br />
gleich am Eingang unterbrachte. Wer und<br />
wann dafür den Begriff Mörike-Stube geprägt<br />
hat, ließ sich nicht mehr herausfi nden.<br />
Fest steht jedoch, dass im Herbst 1918<br />
ein Mörike-Freund aus Saarbrücken mit<br />
seiner Frau im „Adler“ für einige Tage Quartier<br />
bezogen hatte und wohl von ihm die<br />
Idee stammte, ein Gästebuch anzulegen;<br />
denn der erste Eintrag vom 8. September<br />
1918 ist von ihm, einem Dr. Thomas Hoenes,<br />
der Lehrer an der Cecilienschule in<br />
Saarbrücken war. Unter das von ihm gesetzte<br />
Zitat von Mörikes Gedicht „Septembermorgen“<br />
schrieb er:<br />
Mit diesen Versen unseres Dichters grüßen<br />
wir <strong>Cleversulzbach</strong> und sein Mörike-<br />
Stübchen und die schönen Septembertage,<br />
die wir hier zugebracht haben und<br />
wünschen, daß in kommenden Friedenszeiten<br />
sich noch recht viele frohe Gäste in<br />
dieses Buch einzeichnen möchten.<br />
Die von ihm erhoff ten Friedenszeiten wurden<br />
glücklicherweise bald Wirklichkeit;<br />
das Ende des ruhmlosen Krieges zeichnete<br />
sich bereits ab. Am 11. November 1918<br />
wurde der Waff enstillstand unterschrieben,<br />
dem am 28. Juni 1919 der Friedensvertrag<br />
von Versailles folgte.<br />
Diesem ersten Gästebuch, in dem viele<br />
Einträge vom September 1918 bis Juni<br />
1938 enthalten sind folgten noch elf weitere,<br />
von denen bis auf eines alle erhalten<br />
geblieben sind (sechs befi nden sich im<br />
heutigen Mörike-Museum, vier im Privatbesitz).<br />
Wie man aus den Einträgen bereits<br />
im ersten Gästebuch entnehmen kann,<br />
sprach sich die neue Mörike-Erinnerungsstätte<br />
erstaunlich schnell herum. Neben<br />
Besuchern aus dem süddeutschen Raum,<br />
wie z. B. Heilbronn, Ludwigsburg, Karlsruhe,<br />
Würzburg, München, gab es schon<br />
bald Eintragungen im Gästebuch von<br />
Mörike-Freunden aus ganz Deutschland,<br />
aus Hamburg, Bremen, Berlin, Frankfurt,<br />
Dresden, um nur einige Städte zu nennen.<br />
Aber auch Besucher aus dem Ausland fanden<br />
zunehmend ihren Weg nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
So aus der Schweiz, aus Holland,<br />
Tschechien, Polen und den USA. Daneben<br />
gibt es arabische, koreanische, japanische,<br />
italienische und spanische Einträge.<br />
Aus vielen Eintragungen kommt zum Ausdruck,<br />
dass es sich um einen wiederholten<br />
Besuch handelt. Einige der frühen Eintragungen<br />
seien hier noch zitiert:<br />
Am 21. September 1918 trug sich ein Enkel<br />
Eduard Mörikes ein:<br />
Auf einem Herbstspaziergang nach hierher,<br />
rastete ich zum erstenmal im Mörike-<br />
Stüble. Mit dem Wunsche, daß sich hier<br />
noch recht vieles, was die Erinnerung an<br />
meinen Großvater aufl eben läßt, entfalten<br />
möge, ziehe ich heute weiter und<br />
rufe: „Auf Wiedersehen!“ Eduard Hildebrand<br />
Er war das jüngste der drei Kinder von<br />
Mörikes Tochter Franziska (Fanny), die<br />
397
398<br />
1882 den Uhrmachermeister Georg Hildebrand<br />
geheiratet und mit ihm später in<br />
Neu-Ulm gelebt hat. Zum Zeitpunkt seines<br />
Besuches war er 22 Jahre alt, sein Vater<br />
war elf Jahre vorher gestorben und seine<br />
Mutter verbrachte inzwischen ihren Lebensabend<br />
im Dr.-Möricke-Frauenstift im<br />
benachbarten Neuenstadt am Kocher.<br />
Wahrscheinlich hat er sie dort besucht<br />
und dann den Abstecher zur Mörike-<br />
Stube gemacht. Sie selbst machte sich im<br />
Mai 1919, jetzt 64-jährig, auf den Weg<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> und schrieb ins Gästebuch:<br />
Wir freuen uns nach herrlicher Fahrt<br />
durchs grüne Wiesental, rasten zu dürfen<br />
in den traulichen Räumen des Adlers. –<br />
Du liebes Stübchen dort am Eingang bist<br />
bestimmt und gewillt, außer Speise und<br />
Trank die Wanderer zu erquicken mit vergangener<br />
beschaulicher Zeit. Darum bringen<br />
wir Dir heute zu weiterem Schmuck<br />
ein alt lieblich Bild zur Erinnerung an den<br />
großen Meister Richter, der einstens seinem<br />
Freunde Eduard Mörike Freude damit<br />
bereitete.<br />
Fanny Hildebrand geb. Mörike<br />
Um welches Bild von Ludwig Richter, dem<br />
bekannten Maler und Zeichner der Ro-<br />
mantik, es sich handelte, konnte nicht<br />
mehr in Erfahrung gebracht werden. Bekannt<br />
sind seine Zeichnungen zu Mörikes<br />
Gedicht „Der alte Turmhahn“, mit denen<br />
er dieses Gedicht bebildert hat.<br />
Am 6. Oktober 1918 besuchte der Maler<br />
und Zeichenlehrer der Gewerbe- und Realschule<br />
in Göppingen Gustav Kolb mit<br />
seinem Sohn Hans die Mörike-Stube und<br />
schrieb ins Gästebuch:<br />
Maler machen nicht in Worten. Sie drücken<br />
ihre Empfi ndungen in Formen und Farben<br />
aus. Und so habe ich heute in aller Kürze<br />
zwei Bildchen gemalt, die später an der<br />
Wand des Mörike-Zimmers hängen werden.<br />
Was uns die Familie Seebold Liebes und<br />
Gutes erwiesen, das soll unvergessen sein.<br />
Eines dieser Bilder (die St.-Jost-Kirche) ist<br />
erhalten geblieben und im Mörike-Museum<br />
aufbewahrt.<br />
Ein weiterer Freund der ersten Stunde war<br />
Dr. Rudolf Kapff , zu der Zeit Lehrer an einem<br />
Heilbronner Gymnasium, der, wie<br />
auch Dr. Hoenes, einige Sammlerstücke zu<br />
Mörike in die Mörike-Stube eingebracht<br />
hat. Er besuchte den „Adler“ zum ersten<br />
Mal an Pfi ngsten 1919, später noch mehrmals<br />
1920 und 1932.<br />
Zeichnung von<br />
Ludwig Richter
Mörike-Gedenkecke, um 1925 Mörike-Stube, um 1928<br />
Die Sammlung wurde im Laufe der Zeit<br />
durch weitere Spenden und Geschenke erweitert,<br />
u.a. durch das alte Ziff ernblatt der<br />
Kirchturmuhr, die von 1776 bis 1926 an<br />
der St.-Jost-Kirche die Stunden schlug.<br />
Nach dem frühen Tod des Vaters 1921, er<br />
wurde nur 50 Jahre alt, unterstützten die<br />
Das Zi ernblatt der alten Turmuhr von 1776.<br />
Sie wurde 1926 durch eine neue ersetzt.<br />
Töchter ihre Mutter bei der Führung der<br />
Gastwirtschaft und bei der Betreuung der<br />
zunehmenden Anzahl von Besuchern der<br />
Mörike-Stube. Nach der Machtergreifung<br />
1933 zeigte es sich, dass auch die nationalsozialistisch<br />
orientierten Gruppierungen ihr<br />
Interesse an Mörike nicht verhehlten. Es<br />
kamen Besucher vom Motorsturm, vom<br />
NSKK (Nationalsozialistische Kraftfahrkorps),<br />
vom BDM (Bund Deutscher Mädel),<br />
vom RAD (Reichsarbeitsdienst), vom zweiten<br />
Flakregiment aus Ludwigsburg, eine<br />
Gruppe vom KdF (nationalsozialistische<br />
Gemeinschaft „Kraft durch Freude“) und<br />
nach Ausbruch des Krieges 1939 zunehmend<br />
Soldaten auf Urlaub, oft begleitet<br />
von ihren Frauen. Daneben kamen weiterhin<br />
viele Mörike-Freunde, Schulklassen,<br />
Wanderer, Chöre und auch immer wieder<br />
Mitglieder der Familie Mörike.<br />
Als die Mutter 1940 starb, führten die<br />
zwei Töchter die Gastwirtschaft weiter<br />
und betreuten liebevoll die Mörike-Stube.<br />
Die ältere Schwester Margarete war jetzt<br />
34 Jahre alt und sicherlich die aktivere<br />
von beiden. Sie hatte inzwischen ihr musi-<br />
399
400<br />
kalisches Talent entdeckt und tat seit einiger<br />
Zeit als Organistin an der St.-Jost-Kirche<br />
ihren Dienst, zusätzlich zum Wirtshausbetrieb.<br />
Zu der Zeit war auch, nach<br />
vierjähriger Vakatur, die Pfarrstelle wieder<br />
besetzt; der pensionierte Pfarrer Karl Fischer<br />
hatte den Posten 1935 übernommen<br />
und bis zum Kriegsende 1945 ausgeübt.<br />
Kurz vor Kriegsende, als die Front immer<br />
näher rückte, waren zunehmend Offi ziere<br />
Damaliger Grabstein der Wirtsleute Seebold<br />
im „Adler“ einquartiert und hinterließen<br />
im Gästebuch eindrucksvolle Einträge.<br />
Fünf Tage nach Kriegsende machten drei<br />
Soldaten, ein Hauptmann und zwei Unteroffi<br />
ziere, „auf der Flucht vom Chiemsee in<br />
die Heimat“, wie sie ins Gästebuch schrieben,<br />
Rast im „Adler“ auf ihrem Weg in die<br />
Heimatorte Speyer, Maikammer und Saarbrücken.<br />
Sie waren wohl vom offi ziellen<br />
Kriegsende noch nicht ganz überzeugt.<br />
Auch in den Jahren nach dem Krieg verlor<br />
der „Adler“ mit seiner Mörike-Stube nichts<br />
von seiner Beliebtheit. Besucher kamen<br />
zunächst erst aus der näheren Umgebung,<br />
in späteren Jahren auch aus der weiteren<br />
Ferne, aus München, Berlin, Bozen, Wien,<br />
der Schweiz und den USA.<br />
Langsam wurde der Platz für die unterschiedlichsten<br />
Sammlerstücke zu eng. Auf<br />
Initiative von Dr. Hans Köpf, dem damaligen<br />
Stellvertreter des Heilbronner Landrats<br />
Eduard Hirsch, wurde 1956 mit fi nanzieller<br />
Unterstützung aus verschiedenen<br />
Quellen das Gasthaus umgebaut und renoviert.<br />
Die Sammlung wurde im seitherigen<br />
Gastraum untergebracht und unter<br />
dem Namen „Heimatstube und Gedenkstätte<br />
Eduard Mörikes“ am 1. Juni 1956<br />
unter Anwesenheit vieler Ehrengäste feierlich<br />
neu eröff net. Auf Vorschlag von Dr.<br />
Köpf erhielt das Gasthaus den neuen Namen<br />
„Zum alten Turmhahn“. Ein schönes<br />
Wirtshausschild mit einem goldenen<br />
Turmhahn wurde über dem Eingang angebracht.<br />
Die architektonische Einrichtung<br />
stammte von der Heilbronner Künstlerin<br />
Maria Fitzen-Wohnsiedler, die auch den<br />
Kachelofen mit handgemalten Kacheln<br />
mit Mörike-Motiven schuf.<br />
Kurz nach der Neueröff nung kam ein<br />
wertvolles Geschenk von Anne Maria<br />
Schleebach, geb. Mörike. Zu der alten<br />
Büste Mörikes in sitzender Position stif-<br />
Neuerö nung 1. Juni 1956
Neues Wirtshausschild „Zum alten Turmhahn“<br />
tete sie eine neue, beide stammten von<br />
dem bekannten Bildhauer Adolf Donndorf.<br />
Ein anderes wertvolles Stück war ein<br />
Originalbrief von Mörikes Mutter, den<br />
Margarete Seebold von Oberstudienrat<br />
Hans Kolb aus Schwäbisch Gmünd geschenkt<br />
bekam. Dessen Vater war 1918 einer<br />
der ersten Besucher der Mörike-Stube.<br />
1967 schenkte der Autor Manfred Koschlig<br />
der Mörike-Stube ein signiertes Exemplar<br />
seines neuesten Werkes „Unbekannte<br />
Bildnisse Eduard Mörikes und seiner<br />
Freunde“.<br />
Nach dem Tod ihrer Schwester Hilde am 6.<br />
Februar 1964 führte Margarete Seebold,<br />
jetzt 58 Jahre alt, die Wirtschaft und die<br />
Mörike-Stube allein weiter. Sie war zwar<br />
immer noch rüstig und weiterhin eine viel<br />
Margarete Seebold (re.) mit ihrer Schwester<br />
Hilde, um 1960<br />
und gern besuchte Gastgeberin – Mörike<br />
war ihr Lebensinhalt geworden – doch<br />
machten ihr zunehmende Altersbeschwerden<br />
mehr und mehr zu schaff en. In der<br />
Margarete Seebold in ihrer Gaststube, um<br />
1966<br />
401
402<br />
Gemeindeverwaltung begann man sich<br />
Sorgen zu machen, wie es auf Dauer mit<br />
der Mörike-Erinnerungsstätte weitergehen<br />
sollte. Bürgermeister Richard Nef<br />
wandte sich 1967 an Dr. Köpf, der vor rd.<br />
zehn Jahren den Ausbau der Mörike-Stube<br />
organisiert hatte und inzwischen Landrat<br />
von Tuttlingen geworden war. Dieser<br />
schaltete seinen Amtskollegen Landrat<br />
Widmaier in Heilbronn ein. Bei einem<br />
Ortsbesuch wurde aber festgestellt, dass<br />
Frau Seebold noch rüstig genug war, um<br />
die Mörike-Stube für längere Zeit weiter<br />
zu führen. Doch ab 1984 wurde Margarete<br />
Margarete Seebold liest im Gästebuch,<br />
um 1985<br />
Seebold – sie stand jetzt im 78. Lebensjahr<br />
– immer häufi ger von Krankheiten geplagt.<br />
Werner Uhlmann, seit 1. Mai 1986<br />
Ortsvorsteher von <strong>Cleversulzbach</strong> und seit<br />
jungen Jahren großer Mörike-Freund,<br />
hatte während ihrer Krankenhausaufenthalte<br />
und wenn es ihr nicht gut ging, immer<br />
wieder „Führungen“ durch die<br />
Mörike-Stube für angereiste Mörike-<br />
Freunde durchgeführt. Am 1. Januar 1988<br />
wurde für die 82-Jährige anlässlich ihres<br />
50-jährigen Jubiläums als Organistin der<br />
St.-Jost-Kirche ein Festgottesdienst von<br />
Pfarrerin Christa Lange gehalten. Danach<br />
traf man sich in der Mörike-Stube und<br />
sprach der Jubilarin Dank, Anerkennung<br />
und Gottes Segen aus. Doch drei Jahre<br />
später musste Margarete Seebold wegen<br />
ihrer Krankheit 1991 endgültig die Gastwirtschaft<br />
und damit auch die Mörike-<br />
Stube schließen.<br />
Margarete Seebold an der Orgel der<br />
St.-Jost-Kirche<br />
Drei Jahre später, am 28. Juli 1994, ist<br />
Margarete gestorben. Sie wurde, wie wir<br />
am Beginn gelesen haben, am 2. August<br />
1994 auf dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof<br />
neben ihren Eltern und ihrer Schwester<br />
begraben. Die Mörike-Stube war damit<br />
Geschichte geworden.<br />
Einen sehr aufschlussreichen Teil des<br />
Nachlasses bilden die zehn erhalten gebliebenen<br />
Gästebücher der Mörike-Stube.<br />
Schon das erste überlieferte Buch, beginnend<br />
mit dem Eintrag von Dr. Hoenes im
50-jähriges Jubiläum als Organistin 1988<br />
September 1918 und endend nach 20 traditionsreichen<br />
Jahren mit einem Eintrag<br />
vom 17. Juli 1938, lässt erahnen, welchen<br />
kulturellen Treff punkt diese Erinnerungsstube<br />
darstellte und welches Anlaufziel es<br />
für viele Mörike-Freunde bot. Der Autor<br />
hat sich die Mühe gemacht, die Einträge<br />
der vielen Gäste zu sichten und meint,<br />
dass an der Geschichte der Mörike-Stube<br />
etwas fehlen würde, wenn nicht auch das<br />
ungeheuer breite Spektrum der Besucherkreise<br />
aufgezeigt wird.<br />
Aus der Mörike-Familie<br />
Mit zu den ersten Gästen gehörten Besucher<br />
aus der Mörikefamilie. Wie erwähnt,<br />
besuchte der jüngste Enkel, Eduard Hildebrandt,<br />
die Erinnerungsstube seines Großvaters<br />
schon sehr früh und Fanny Hilde-<br />
brandt, seine Mutter, kam im Sommer<br />
1919. Kurz danach trug sich ihr Schwiegersohn<br />
Eduard Jöckel ein, der mit seiner<br />
Frau Helene und Tochter Ada aus München<br />
angereist kam. Noch im selben Jahr<br />
besuchte Fanny Hildebrandt erneut die<br />
Mörike-Stube und brachte diesmal ihren<br />
Sohn Eduard und ihre Schwiegertochter<br />
Irmgard, verheiratet mit Fannys Sohn Max<br />
aus Nürnberg, mit. Ihr Mann Max besuchte<br />
bald darauf mit seiner Mutter die<br />
Mörike-Stube. Aus der großen Mörike-Familie<br />
fi ndet man Eintragungen von Otto<br />
Mörike aus Hamburg, Emma Mörike aus<br />
Fellbach, Dr. Otto Moerike, Oberbürgermeister<br />
von Konstanz, Dr. Dagobert Moerike<br />
aus Karlsruhe, Anna Moerike aus<br />
München, Anna Doermer-Mörike aus Opladen.<br />
Aus Fannys Umfeld<br />
Zu den bemerkenswerten Besuchern der<br />
ersten Zeit zählen auch Hanns Wolfgang<br />
Rath, Gründer und Erster Vorsitzender der<br />
Gesellschaft der Mörikefreunde e.V. zu<br />
Ludwigsburg und sein Zweiter Vorsitzender<br />
Dr. Rudolf Frank. Beide pfl egten zunächst<br />
eine gute Beziehung zu Mörikes<br />
Tochter Fanny Hildebrandt, die am Gründungstag<br />
der Gesellschaft am 24. März<br />
1920 zum Ehrenmitglied ernannt worden<br />
war, und auch zu ihrem Schwiegersohn<br />
Eduard Jöckel in München. Doch sehr bald<br />
trübte sich das Verhältnis aufgrund von<br />
der Gesellschaft herausgegebener Schriften,<br />
in denen Mörikes Eheleben in beschämender<br />
Weise dargestellt worden ist, jedenfalls<br />
aus der Sicht Fannys und ihres<br />
Schwiegersohnes. Es führte zu jahrelangem<br />
Streit, der von beiden Seiten auch in<br />
die Öff entlichkeit ausgetragen wurde,<br />
mittels Flugblättern und Zeitungsanzeigen.<br />
Dieses Zerwürfnis hat nach Raths Tod<br />
1934 sicherlich mit zur Aufl ösung der Gesellschaft<br />
der Mörikefreunde 1938 beigetragen.<br />
403
404<br />
Aus Künstlerkreisen<br />
Viel erfreulicher waren da die Besuche<br />
zahlreicher Maler, Schriftsteller, Komponisten<br />
und Sänger. Genannt sei hier der in<br />
Heilbronn-Böckingen geborene Walter<br />
Maisak (1912–2002), der sich mit Wand-<br />
und Fensterbildern sowie Gemälden einen<br />
Namen gemacht hat; der Zeichner Paul<br />
Jauch (1870–1957), vielen bekannt durch<br />
den Mörike-Gedichtband Am frisch geschnittenen<br />
Wanderstab, den er mit 120<br />
Zeichnungen ausgeschmückt hat. Dann<br />
die Schriftsteller Hermann Lenz (1913–<br />
1998), mit seinen vielen Erzählungen und<br />
Romanen (Eugen Rapp); Paul Wanner<br />
(1895–1990), der Märchen- und Kindergeschichten<br />
schrieb sowie Freilicht-Bühnenstücke<br />
(besonders für Schwäbisch<br />
Hall); Hermann Burger (1942–1989), der<br />
Schweizer Schriftsteller, der sich mit seinen<br />
Werken besonders den Außenseitern<br />
der Gesellschaft widmete; Kurt Meyer-Rotermund<br />
(1884–1977) aus Wolfenbüttel,<br />
der zunächst in der Zeitungsbranche arbeitete,<br />
später dann Anthologien und<br />
Schriften zur Lokalgeschichte herausbrachte;<br />
Heinrich Krauß aus dem bayerischen<br />
Schwabach, von dem viele Bücher<br />
zur Heimatkunde und zum heimischen<br />
Handwerk stammen; ebenso wie der Heimatkundler<br />
Dr. Erich Strohhäcker aus<br />
Möckmühl. Erwähnt seien noch der<br />
Mundartforscher und Spracherzieher Fritz<br />
Rahn (1891–1964), der als Gymnasiallehrer<br />
und Schriftsteller aktiv war. Unvergessen<br />
auch Marianne Langewiesche (1908–<br />
1979) aus München, die mit ihren Romanen,<br />
aber auch ihren Reiseberichten zu Erfolg<br />
kam (Auf den Spuren des schwäbischen<br />
Dichterkreises). Aus Eisenach kam<br />
Dr. Wilhelm Greiner, Herausgeber des<br />
Otto-Ludwig-Kalenders, der zu Ehren dieses<br />
thüringischen Schriftstellers erscheint.<br />
Einige Jahre später trug sich Adolf Wurmbach<br />
(1891–1968) ein, Schriftsteller und<br />
Heimatdichter aus Westfalen und Schrift-<br />
leiter des Siegerländer Heimatkalenders.<br />
Der zwischen Berlin und Chicago pendelnde<br />
Schauspieler Oscar Fambach<br />
schrieb nachdenkliche Worte über die<br />
unterschiedlichen Wertschätzungen diesseits<br />
und jenseits des großen Teiches ins<br />
Gästebuch und mahnte dann: Die verehrten<br />
Leser haben nicht nur die Pfl icht,<br />
sich gelegentlich ihres Mörike-Besuches<br />
ein wenig zu besinnen, sie sollen ein<br />
mehres tun: Einem Jeden sagen: „Lernt<br />
den Dichter und sein Land verstehen.“<br />
Im Juni 1958 wurde in der neu erbauten<br />
Kelter-Halle ein Mozart-Abend unter dem<br />
Titel Mozart auf der Reise nach Prag gegeben.<br />
Die drei Ausführenden Willy Rosenau<br />
(Bariton), Martin Winkler (Sprecher)<br />
und Hermann Loux (Klavier) besuchten<br />
anschließend die Mörike-Stube und<br />
schrieben, dass sie in den letzten zehn<br />
Jahren mehr als 600 Auff ührungen im In-<br />
und Ausland gestaltet haben und es ihnen<br />
heute eine besondere Freude sei, in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zu sein, weil sie ihr Werk zur<br />
Verehrung von Mörike und Mozart ausgeschmückt<br />
haben.<br />
Im Jahre 1969 war der damals schon sehr<br />
bekannte Komponist Reinhard Schwarz-<br />
Schilling (1904–1985) aus Berlin mit seiner<br />
Frau zu Gast in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Zu erwähnen wäre noch der Besuch des<br />
Schweizer Verlegers Werner Classen aus<br />
Zürich, der für sein verlegtes Buch Schwabenland-Dichterland<br />
von Bonaventura<br />
Tecchi warb.<br />
Von der Geistlichkeit besuchten nicht nur<br />
die Pfarrer der umgebenden Gemeinden<br />
Brettach, Langenbeutingen und Schwabbach<br />
die Mörike-Stube, auch Dekan Friedrich<br />
Breining aus Neuenstadt war in seiner<br />
Amtszeit (1913–1933) zu Gast bei Familie<br />
Seebold. Von weiter weg besuchte das<br />
evangelisch-lutherische Kirchenregisteramt<br />
zu Augsburg mit einer kleinen Delegation<br />
die Mörike-Stube. Enkel und Urenkel<br />
des Vikars Sattler, der während Möri-
kes Amtszeit 1840 bei den Pfarrgeschäften<br />
aushalf, kamen, um die Wirkungsstätte<br />
ihres Groß- und Urgroßvaters zu<br />
bestaunen. Im Oktober 1957 besuchte<br />
Catharina R. Wheeler aus Seaford, England,<br />
zum zweiten Mal <strong>Cleversulzbach</strong>, wo<br />
ihr Onkel Fritz Wiesner 60 Jahre nach<br />
Mörike Pfarrer von 1903 bis 1931 gewesen<br />
war. Ein Besuch der Mörike-Stube gehörte<br />
dazu.<br />
Schulen und Universitäten<br />
Die Mörike-Stube war auch ein Anlaufpunkt<br />
für viele Schulklassen. Schon sehr<br />
früh kamen einige Male Klassen der Cecilienschule<br />
aus Saarbrücken, einmal in Begleitung<br />
von Dr. Hoenes und der Lehrerin<br />
Klara Schmitz-Hübsch. Die meisten anderen<br />
Schulklassen kamen jedoch aus der<br />
näheren Umgebung, so aus Heilbronn, Neckarsulm<br />
und Mosbach. Insbesondere<br />
auch aus Schulen mit Eduard Mörikes Namen.<br />
Dazu passte ein Besuch von Doris<br />
Klett vom Stuttgarter Schulbuch-Verlag<br />
Ernst Klett.<br />
Im November 1957 reiste vom Ludwig-<br />
Uhland-Institut für Deutsche Altertumswissenschaft,<br />
Volkskunde und Mundartenforschung<br />
der Universität Tübingen Prof.<br />
Dr. Wölker mit 30 Teilnehmern an, in der<br />
Mehrzahl Studenten, um vor Ort Volkskunde<br />
zu erfahren (heute Ludwig-Uhland-<br />
Institut für empirische Kulturwissenschaften).<br />
Vom Internationalen Studienzentrum Heidelberg<br />
kamen mehrmals Gruppen Studierender<br />
aus den unterschiedlichsten Ländern,<br />
wie Zypern, Marokko, Korea, Philippinen<br />
und Iran.<br />
Auch VHS-Gruppen aus verschiedenen<br />
Städten reisten an.<br />
Verehrer von Schiller und seiner Mutter<br />
Am 13. Dezember 1932 versammelte sich<br />
eine große Zahl von Schiller-Verehrern in<br />
der Mörike-Stube, um den 200. Geburts-<br />
tag von Schillers Mutter zu begehen. Da<br />
sie auf dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof beerdigt<br />
ist, lag es nahe, diese Feierstunde<br />
an diesem Ort abzuhalten. Neben dem<br />
Ersten und Zweiten Vorsitzenden des<br />
Schwäbischen Schillervereins, Dr. Otto<br />
Güntter und Dr. Hieber, war auch der<br />
Marbacher Bürgermeister und Vorsitzende<br />
des Marbacher Schillervereins Wilhelm<br />
Kopf anwesend, und aus der Schillerfamilie<br />
Amalie Kießling-Krieger aus Möckmühl,<br />
Ururenkelin von Schillers Mutter.<br />
Insgesamt waren 30 Teilnehmer zusammengekommen.<br />
Viele Jahre später, 1988, kam der Vorstand<br />
des Marbacher Schillervereins erneut in<br />
die Mörike-Stube und begrüßte „liebe alte<br />
Freunde und Bekannte.“ Diesmal mit seinem<br />
Ersten Vorsitzenden, dem Marbacher<br />
Bürgermeister Heinz Georg Keppler.<br />
Bedeutende Besucher<br />
Prominente Besucher konnte die Mörike-<br />
Stube mit Albrecht Goes und seiner Frau<br />
Elisabeth am 11. Mai 1938 empfangen;<br />
mit dabei war der <strong>Cleversulzbach</strong>er Pfarrer<br />
Karl Fischer, auf dessen Einladung wahrscheinlich<br />
der Besuch stattgefunden hat.<br />
Im Oktober 1959 kam ein weitbekannter<br />
Besucher nach <strong>Cleversulzbach</strong>. Es war der<br />
– jetzt schon 84-jährige – Friedensnobelpreisträger<br />
Albert Schweitzer, Theologe,<br />
Orgelkünstler, Philosoph und Arzt, der den<br />
Eugen Salzer Verlag in Heilbronn besuchte,<br />
bei dem eine Anthologie seiner<br />
Werke erscheinen sollte. Danach fand er<br />
noch Zeit, Freunde in Brettach und mit<br />
denen <strong>Cleversulzbach</strong> zu besuchen. Dort<br />
spielte der „Urwalddoktor“ von Lambaréné<br />
auf der Kirchenorgel zu Ehren Mörikes<br />
zwei Fugen von Johann Sebastian Bach.<br />
Anschließend sucht er noch das Pfarrhaus<br />
auf; zu einem Besuch der Mörike-Stube<br />
hat es dann nicht mehr gereicht.<br />
Doch blieb diese „Wallfahrt nach <strong>Cleversulzbach</strong>“,<br />
wie er es gegenüber seinem<br />
405
406<br />
Schreiben von Albert Schweitzer „An die Organiste der Mörike-Kirche“<br />
Margarete Seebold, 1962<br />
Brettacher Freund Pfarrer Klein nannte,<br />
lange in seiner Erinnerung und bewegte<br />
ihn Ende 1962 dazu, mehrere Erinnerungsstücke<br />
nach <strong>Cleversulzbach</strong> zu schicken,<br />
und in einer Mitteilung „An die Organiste<br />
der Mörike Kirche“ schrieb er, dass<br />
es ihm leid tue, dass er das Mörike-Stüble<br />
nicht besucht habe, ihr aber dann ans<br />
Herz legte, gut über die Orgel zu wachen,<br />
denn sie müsse so erhalten bleiben, wie<br />
sie zu Mörikes Zeiten war. Margarete Seebold<br />
hat sicher diesen Wunsch so lange es<br />
ging bestens vertreten.<br />
Die Wirtstochter war bekannt dafür, dass<br />
sie zur Weihnachtszeit ausgezeichnete<br />
Springerle backen konnte. Sie verwendete<br />
dafür ein Model mit dem Mörike-Familienwappen.<br />
Vom Bundespräsidenten Theodor<br />
Heuss, dem sie zu Weihnachten so ein<br />
Mörike-Springerle zugeschickt hatte, ist<br />
überliefert, dass er in einem Dankesbrief<br />
gefragt habe, ob er es essen oder in die<br />
Vitrine stellen solle.<br />
Als jung Verlobte war’n wir da, wir kommen<br />
wieder als Ehepaar. Diesen Eintrag<br />
schrieb kein geringerer als der FDP-Politiker<br />
und spätere Außenminister Klaus Kin-<br />
kel mit seiner Verlobten Ursula Huber am<br />
1. Mai 1958.<br />
Besucht hat die Mörike-Stube auch ein<br />
gewisser Herr Pferdmenges, der damals Finanzberater<br />
und Freund Konrad Adenauers<br />
war. Auch Baden-Württembergs damaliger<br />
Finanzminister Dr. Hermann Müller<br />
kam vorbei und trug sich in das Gästebuch<br />
ein.<br />
Der Leiter der Arbeitsstelle für literarische<br />
Museen, Archive und Gedenkstätten in<br />
Baden-Württemberg in Marbach am Neckar,<br />
Prof. Dr. Thomas Scheuff elen, legte<br />
1988 Auf einer Exkursion in Dichters<br />
Lande, wie er schrieb, mit seiner Frau und<br />
drei weiteren Ehepaaren eine Rast in der<br />
Mörike-Stube ein. Nur wenige Jahre später,<br />
nach dem Tod von Margarete Seebold,<br />
setzte sich Prof. Scheuff elen für die Gründung<br />
des heutigen Mörike-Museums ein,<br />
als Aufbewahrungsstätte für den Nachlass<br />
aus der Mörike-Stube.<br />
Humor- und liebevolle Einträge<br />
Eine Besucherin aus Dresden schrieb: Leider<br />
bin ich nur aus Sachsen, wo nicht solche<br />
Dichter wachsen.
Gerhard Rost aus Bischofsstein (Ostpreußen)<br />
1935: Vom fernen Ostseestrand habe<br />
ich auf einem Fahrrad den Weg nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />
gefunden.<br />
Zwei Besucher aus Austin, Texas machten<br />
einen der kürzesten Einträge: Love to you,<br />
Mörike.<br />
Nach der Änderung des Gasthausnamens<br />
von „Adler“ zu „Zum alten Turmhahn“<br />
schrieb der emigrierte Mörike-Forscher<br />
Siegbert Salomon Prawer, der in Oxford<br />
lehrte:<br />
Der Turmhahn hat wirklich den Adler<br />
verstoßen!<br />
So geht’s den übermütigen Großen.<br />
Wir lernen es endlich nach vielen Jahren:<br />
Am Ende siegen die Unscheinbaren.<br />
Und abschließend das Zitat eines Gästebucheintrags<br />
voller Erinnerung:<br />
12.10.63<br />
Endlich waren wir in <strong>Cleversulzbach</strong> an<br />
der Wirkungsstätte eines Großen unter<br />
den Großen. Sein ‘Gebet’: Herr, schicke<br />
was Du willt 1 ...<br />
war in der Kriegsgefangenschaft mein<br />
tägliches Gebet.<br />
Es inspirierte mich derart, dass ich es vertonte<br />
und von Peter Cahrs, Opernsänger<br />
aus Hamburg, vor sechshundert Gefangenen<br />
singen ließ. (Ich begleitete am Harmonium).<br />
Den mitleidenden und mithoffenden<br />
Kameraden standen am Ende die<br />
Tränen in den hohlen Augen.<br />
Es war ein Gottesdienst eigener Art.<br />
Mörike, der „verkannte Seelenhirte“ hatte<br />
uns näher zu Gott geführt als viele Predigten<br />
der Lagergeistlichen beider christlichen<br />
Konfessionen.<br />
Eugen Störkle, Enzberg<br />
Eugen Störkle (1907–1993) war langjähriger<br />
Gauchormeister im Enzgau und Schillergau<br />
sowie Dekanatsdirigent von Pforzheim.<br />
Er komponierte viele Chorstücke,<br />
darunter die oft aufgeführte „Schwäbische<br />
Bauern-Kantate“.<br />
Nachbetrachtung<br />
Beim Betrachten der Geschichte der<br />
Mörike-Stube stellt sich einem unweigerlich<br />
die Frage: Was hat den Reiz der<br />
Mörike-Stube in <strong>Cleversulzbach</strong> ausgemacht?<br />
Warum haben in rd. 80 Jahren<br />
immer wieder Menschen der verschiedensten<br />
Bildungsschichten, aus den unterschiedlichsten<br />
Gegenden Deutschlands<br />
und anderen Ländern diesen Ort aufgesucht?<br />
Was bewegte viele Besucher zu oft<br />
so schwärmerischen Gästebucheintragungen,<br />
wie Ein Lebenstraum ist in Erfüllung<br />
gegangen ...; Es war ein langgehegter<br />
Wunsch ...; Es zieht einen immer wieder<br />
nach Cleverslzbach ...; Wir kommen wieder!;<br />
Wir waren schon oft hier und es gefällt<br />
uns immer wieder; Wie konnten wir<br />
so lange warten, ehe uns der Weg nach<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> zu Mörike und zur Wirtin<br />
Frau Seebold führte ...<br />
Es muss off enbar eine Kombination verschiedener<br />
Momente gewesen sein, die<br />
diese Sehnsucht geweckt hat. Einmal das<br />
Werk Mörikes, seine romantischen Gedichte,<br />
seine gefühlvollen Novellen und<br />
Romane. Dann der Ort, voller Erinnerung<br />
an den Dichterpfarrer. Und schließlich die<br />
Erinnerungsstätte, und mit ihr ganz besonders<br />
die Wirtstochter Margarete Seebold,<br />
die mit ihrer Liebe und Begeisterung<br />
zu Mörike für diese Atmosphäre sorgte,<br />
die in unzähligen Einträgen von den Besuchern<br />
gelobt wurde. Das folgende Zitat<br />
möge diese Stimmung wiedergeben:<br />
Die Nachmittagssonne schien in die Vitrine<br />
mit den Andenken an Mörike. Vorher<br />
sind wir durch die Weinberge gelaufen –<br />
auch in der warmen Nachmittagssonne.<br />
Diese Stimmung, die samtene Luft – das<br />
ist die Sphäre und die Landschaft Mörikes!<br />
Gründung des Mörike-Museums<br />
Nach dem Tod von Margarete Seebold bemühten<br />
sich <strong>Cleversulzbach</strong>er Mörike-<br />
Freunde, die Sammlung zu erhalten und in<br />
407
408<br />
angemessener Form wieder auszustellen.<br />
Ihren gesamten Nachlass, einschließlich<br />
der Stücke aus der Mörike-Stube, hatte<br />
Margarete Seebold Alexander Burk aus<br />
Heilbronn, einem späten Freund des Hauses,<br />
vermacht. Er führte zu der Zeit ein<br />
Geschäft „Bäuerliches Barock“. Die Stadt<br />
Neuenstadt war bereit, die Mörike-Sammlung<br />
aufzukaufen. Die Teile wurden in das<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>er Rathaus gebracht und<br />
durch Dr. Nagel vom gleichnamigen Stuttgarter<br />
Auktionshaus mit einem Wert<br />
von 12.000 DM geschätzt. Die Sammlung<br />
wurde schließlich für 25.000 DM von der<br />
Volksbank Möckmühl-Neuenstadt für die<br />
Stadt Neuenstadt erworben.<br />
Über den Standort zur Ausstellung des<br />
Nachlasses gab es zunächst unterschiedliche<br />
Meinungen. Die Stadt Neuenstadt<br />
hätte sie gerne in der Mörike-Ecke ihres<br />
kürzlich eröff neten „Museum im Schafstall“<br />
untergebracht. Ortsvorsteher Werner<br />
Uhlmann, bestärkt durch Rektor i.R. und<br />
Mörike-Kenner Helmut Braun, war dafür,<br />
die Sammlung in <strong>Cleversulzbach</strong> zu behalten.<br />
Die Arbeitsstelle für literarische Museen,<br />
Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg<br />
beim Schiller-Nationalmuseum<br />
und Deutschen Literaturarchiv in<br />
Marbach am Neckar unterstützte den<br />
Standort <strong>Cleversulzbach</strong> und favorisierte<br />
das Pfarrhaus. Da dies aber aus organisatorischen<br />
Gründen ausschied, wurde auf Vorschlag<br />
des Ortsvorstehers die alte Schule<br />
ins Auge gefasst. Diese war zwar noch teilweise<br />
vom Antiquitätengeschäft von Shirley<br />
Lawes (Shirley’s Antiquitäten) belegt,<br />
doch der Mietvertrag mit der Stadt lief aus<br />
und wurde nicht mehr verlängert.<br />
Der hintere aus dem Jahre 1862 stammende<br />
Anbau der alten Schule, in der bis<br />
1974 noch unterrichtet worden war,<br />
wurde unter der Leitung des Stuttgarter<br />
Architekturbüros Benno Kos umfangreich<br />
restauriert. Konzipiert und eingerichtet<br />
wurde das Mörike-Museum von Thomas<br />
Scheuff elen und Albrecht Bergold von der<br />
oben genannten Arbeitsstelle, und gestaltet<br />
von Erich Hofmann, Konstanz. Die aus<br />
dem Nachlass von Margarete Seebold<br />
stammenden Dokumente wurden ergänzt<br />
durch Leihgaben und Faksimiles der Arbeitsstelle<br />
sowie des Landeskirchlichen Archivs<br />
Stuttgart, der Württembergischen<br />
Landesbibliothek Stuttgart, der Kirchengemeinde<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> und der Firma<br />
Birchall aus <strong>Cleversulzbach</strong>. Besonders engagiert<br />
hatten sich bei dem Projekt Werner<br />
Uhlmann, Ortsvorsteher von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />
der Bürgermeister von Neuenstadt<br />
Rolf Bernauer, Rektor i.R. Helmut<br />
Braun, <strong>Cleversulzbach</strong>, und Gottfried Reichert,<br />
Rektor des Progymnasiums Neuenstadt.<br />
Das Mörike-Museum wurde am 6. September<br />
1996 durch den damaligen Staatssekretär<br />
Dr. Christoph Palmer, Ministerium<br />
für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />
Baden-Württemberg, Stuttgart, im Beisein<br />
von vielen Gästen feierlich eröff net.<br />
Dr. Christoph Palmer bei seiner Erö nungsansprache
Der Museumshof war gefüllt mit vielen erwartungsvollen Gästen<br />
Im Mörike-Museum<br />
(Teilansicht)<br />
Die Betreuung des Museums übernahm<br />
der dafür gegründete Verein „Freundeskreis<br />
Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e. V.“<br />
(siehe dazu auch das Kapitel Vereine). Dessen<br />
Mitglieder sorgen ehrenamtlich dafür,<br />
Eingangsseite des Museums<br />
mit Wirtshausschild<br />
der früheren Gastwirtschaft<br />
„Zum alten Turmhahn“<br />
dass das Museum jeden Sonn- und Feiertag<br />
von 11.00 bis 16.30 Uhr für Besucher<br />
geöff net ist und halten auch Führungen<br />
ab für größere Gruppen, die sich inzwischen<br />
großer Beliebtheit erfreuen.<br />
409
410<br />
Rundgang durch die neuen Räume nach der<br />
Erö nung, (v.l.) Ortsvorsteher Werner Uhlmann,<br />
Staatsminister Dr. Christoph Palmer,<br />
MdL Dr. Bernhard Lasotta, Bürgermeister<br />
Norbert Heuser<br />
Nach dem Auszug des Antiquitätenhandels<br />
1999 aus dem vorderen Teil der alten<br />
Schule wurde entschieden, die Bausubstanz<br />
zu erhalten und es für eine Erweiterung<br />
des Mörike-Museums zu nutzen.<br />
Hierfür waren umfangreiche Sanierungsarbeiten<br />
des 200-jährigen Gebäudes erforderlich,<br />
die wieder vom Architekturbüro<br />
Benno Kos aus Stuttgart geplant<br />
worden sind.<br />
In den renovierten Räumen fanden Teile<br />
der bisherigen Ausstellung, so die Mörike-<br />
Stube von Margarete Seebold, eine neue<br />
Bleibe, und weitere Erinnerungsstücke an<br />
Eduard Mörike und seine Familie konnten<br />
jetzt in den neuen Vitrinen untergebracht<br />
werden. Die Konzeption und Einrichtung<br />
stammte wiederum von Thomas Scheuff elen<br />
und Albrecht Bergold von der Arbeitsstelle<br />
für literarische Museen in Marbach.<br />
In einigen Vitrinen wurde dem Freundeskreis<br />
Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e. V.<br />
Platz eingeräumt für die im Laufe der Zeit<br />
angesammelten Stücke einiger Mitglieder,<br />
die dem Museum als Leihgabe zur Verfügung<br />
gestellt wurden.<br />
Stele des Mörike-Museums, beleuchtet<br />
Nach zweijähriger Bauzeit konnte am 3.<br />
Juli im Mörikejahr 2004 (200. Geburtstag)<br />
die Erweiterung eingeweiht werden. Sie<br />
war eingebettet in das alljährliche Mörike-<br />
Fest und stand wieder, wie schon vor acht<br />
Jahren, unter der Schirmherrschaft von Dr.<br />
Christoph Palmer, nunmehr Staatsminister<br />
für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />
Baden-Württemberg, Stuttgart. Weitere<br />
Festredner waren Prof. Dr. Ulrich Ott, Leiter<br />
des Schiller-Nationalmuseums und<br />
Deutschen Literaturarchivs Marbach, sowie<br />
Albrecht Bergold von der Arbeitsstelle<br />
für literarische Museen in Marbach.<br />
Die neu gestaltete Fassade glich wieder<br />
dem ursprünglichen Zustand, denn das vor<br />
Jahren freigelegte Fachwerk war nicht als<br />
Sichtfachwerk vorgesehen und hatte deshalb<br />
auch an verschiedenen Stellen bereits<br />
Witterungsschäden. Statt eines Schrift-
Hinweisschild<br />
an der A 81<br />
zugs „Mörike-Museum“ an der Giebelfront,<br />
was nach Meinung des Leiters des<br />
Stadtbauamtes wie bei einer Gastwirtschaft<br />
ausgesehen hätte, wurde auf dem<br />
freien Platz vor dem Museum rechts von<br />
der Treppe eine ansprechende Stele aus<br />
Edelstahl errichtet, in der auf der Frontseite<br />
ein großer stilisierter Turmhahn und<br />
darunter der Name Mörike-Museum herausgeschnitten<br />
sind, die bei Dunkelheit<br />
von innen beleuchtet werden.<br />
Seit Dezember 2004 weist auch entlang<br />
der Autobahn A 81 vor den Ausfahrten<br />
Neuenstadt am Kocher eines der bekannten<br />
braunen kulturellen Hinweisschilder<br />
auf Mörike und <strong>Cleversulzbach</strong> hin. Die<br />
Initiative dafür ging vom Freundeskreises<br />
Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. aus,<br />
aber es brauchte zwei Jahre intensiver<br />
1 „willt“ – Mörike hat in seinem so genannten „Gebet“ absichtlich<br />
statt „willst“ die Abänderung „willt“ gewählt, da<br />
sich diese Wortform auf „quillt“ reimen sollte:<br />
Überzeugungsarbeit bei Behörden und<br />
Politikern, bis die anfänglich ablehnende<br />
Haltung umgewandelt werden konnte.<br />
Weitere sechs Jahre hat es gebraucht, um<br />
zu erreichen, dass auch an den Wegweisschildern<br />
am Ende der Ausfahrten auf die<br />
Richtung zum Mörike-Museum in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
hingewiesen wird.<br />
Das Museum erfreut sich großer Beliebtheit.<br />
Die Besucher (rd. 2.000 pro Jahr)<br />
kommen, wie schon bei der Mörike-Stube<br />
von Margarete Seebold, nicht nur aus der<br />
näheren Umgebung, sondern oft von weit<br />
her, um sich die Ausstellung mit Erinnerungsstücken<br />
an den Dichterpfarrer Eduard<br />
Mörike anzusehen.<br />
Es ist für <strong>Cleversulzbach</strong> ein kulturelles<br />
Aushängeschild geworden.<br />
Herr! schicke was du willt, / Ein Liebes oder Leides! / Ich<br />
bin vergnügt, daß Beides / Aus deinen Händen quillt.<br />
411
412<br />
Der Mörike-Pfad<br />
Zeitgleich mit der Eröff nung des Mörike-<br />
Museums wurde 1996 von der Stadt Neuenstadt<br />
am Kocher mit Förderung der Arbeitsstelle<br />
für literarische Museen in Baden-Württemberg<br />
mit Sitz in Marbach am<br />
Neckar auch der Mörike-Pfad eingerichtet.<br />
Er wurde erarbeitet von Albrecht<br />
Bergold und Thomas Scheuff elen von der<br />
Arbeitsstelle unter Mithilfe von Werner<br />
Uhlmann und Helmut Braun, beides Mitglieder<br />
des Freundeskreises Mörike-Museum<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Der Mörike-Pfad ermöglicht eine Wanderung<br />
auf Mörikes Spuren in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Hierfür wurden einige markante<br />
Stellen ausgewählt, die durch Mörikes<br />
Briefe und Gedichte besondere Bekanntheit<br />
erhalten haben. Es sind zehn Stellen<br />
innerorts und fünf weitere außerhalb des<br />
Ortskerns. Sie sind durch Tafeln oder Stelen<br />
gekennzeichnet, auf denen hierzu passende<br />
Mörike-Zitate festgehalten sind.<br />
Stilisierter Turmhahn<br />
Für den Rundweg im Ort benötigt man ca.<br />
45 Minuten. Für die Erwanderung des<br />
kompletten Mörike-Pfades sollte man 2<br />
bis 3 Stunden einplanen. Vom Freundeskreis<br />
Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />
werden auch geführte Wanderungen angeboten,<br />
bei denen man weitere wissenswerte<br />
und auch humorvolle Einzelheiten<br />
Tafel mit Verlauf des Mörike-Pfades<br />
über Mörikes Leben in <strong>Cleversulzbach</strong> erfahren<br />
kann.<br />
Ein Muss auf dem Mörike-Pfad ist der Besuch<br />
der Grabstätte der Dichtermütter<br />
von Schiller und Mörike auf dem Dorffriedhof.<br />
Schillers Mutter lebte zuletzt bei ihrer<br />
Tochter Louise, die mit dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Pfarrer Gottlieb Franckh verheiratet<br />
war, und ist dort am 29. April 1802 gestorben.<br />
Ihr Grab, das Eduard Mörike kurz<br />
nach seinem Amtsantritt 1834 ziemlich<br />
verwahrlost fand, wurde durch sein Zutun
Auf einer geführten Wanderung<br />
Grabstätte der Dichtermütter von Schiller und Mörike<br />
wieder in einen etwas würdigeren Zustand<br />
versetzt. Etwas später beschaff te er ein<br />
steinernes Kreuz, in das er selbst die Inschrift<br />
„Schillers Mutter“ eingemeißelt<br />
hat. Nach dem Tod von Mörikes Mutter<br />
am 26. April 1841 hat er sie neben dem<br />
Grab von Schillers Mutter beerdigen lassen.<br />
413
414<br />
Die Grabstätte wurde 1859 dem Marbacher<br />
Schillerverein als Schenkung übergeben.<br />
Seit der Zeit wurde sie mehrmals restauriert<br />
und umgestaltet. Die letzte größere<br />
Umgestaltung fand 1989 statt. Und<br />
bei der Errichtung des Mörike-Pfades<br />
wurde 1996 neben der Grabstätte eine<br />
Stele aufgestellt, auf der ein Auszug aus<br />
Mörikes Brief an seinen Studienfreund<br />
Hermann Kurz enthalten ist, in dem er<br />
ihm berichtet, wie er das Grab von Schillers<br />
Mutter vorgefunden und wieder hergerichtet<br />
hat.<br />
Zwei Wanderpunkte existieren als Original<br />
nicht mehr, so das Haus der Metzgerfamilie<br />
Herrmann, von der einzelne Mitglieder für<br />
Mörike zeitweise Dienst taten (am ehemaligen<br />
Standort gegenüber des Rathauses<br />
weist eine Stele, Wanderpunkt 4, darauf<br />
hin) und die Salm'sche Schmiede (Wanderpunkt<br />
9) neben der alten Schule, in deren<br />
Alteisen Mörike den durch sein späteres<br />
Gedicht berühmt gewordenen alten Turmhahn<br />
fand. Nachdem die Schmiede aus<br />
wirtschaftlichen Gründen geschlossen worden<br />
war, wurde das Gebäude noch mehr-<br />
Die Salm'sche<br />
Schmiede (Foto<br />
um 1920)
Mörikes Zeichnung mit Blick vom „Eichenportal“<br />
Die Bemerkungen lauten:<br />
1.) Das Waldportal Genau nach der Natur gezeichnet<br />
2.) Straße nach Eberstadt auf der Höhe über der alten Gips-<br />
3.) Weg zur Kohlplatte grube zwischen den Weinbergen und<br />
4.) Zum grünen See der Waldecke, Montag, d. 3. Sept.<br />
Nachmittags ½ u. ¾ vor 4 Uhr.<br />
mals umgebaut, war aber zum Schluss<br />
nicht mehr bewohnt. Es wurde 2006<br />
schließlich abgerissen und an seiner Stelle<br />
das evangelische Gemeindehaus errichtet,<br />
das nach 1 ½-jähriger Bauzeit am 12. Oktober<br />
2008 eingeweiht werden konnte. Ein<br />
altes Foto zeigt den Schmied Salm mit seiner<br />
Familie vor der Schmiede.<br />
Diese Schmiede wurde auch von Paul Jauch<br />
in seinem 1956 erschienenen Buch „Am<br />
frisch geschnittenen Wanderstab“ skizziert,<br />
das mit 120 Zeichnungen einfühlsam Mörikes<br />
Lebensstationen beschreibt.<br />
Eine andere markante Stelle auf dem<br />
Mörike-Pfad ist der Wanderpunkt 3a „Ei-<br />
chenportal“, von dem man einen schönen<br />
Blick auf die gegenüber liegende Landschaft<br />
genießen kann. (Bei guter Sicht<br />
auch den Katzenbuckel, den mit 626 m<br />
höchsten Berg des Odenwaldes). Wenn<br />
man sich die (manchmal etwas laute) Autobahn<br />
wegdenkt, dann sieht man das<br />
Bild, das auch Eduard Mörike hier von dieser<br />
Stelle genossen und in seiner Zeichnung<br />
1838 festgehalten hat.<br />
Den gesamten Mörike-Pfad mit seinen 15<br />
Anlaufstellen zu beschreiben, würde den<br />
Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Ein<br />
ausführlicher Führer ist als Faltblatt im<br />
Mörike-Museum erhältlich.<br />
415
416<br />
Persönliche Erinnerungen<br />
Der Neuanfang März 1946<br />
Aus den Erinnerungen von Erna Ültzhöfer<br />
aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Nach der Flucht aus Westpreußen im Januar<br />
1945 und ein Jahr Notunterkunft in<br />
Moisburg bei Hamburg, konnten wir durch<br />
Vermittlungen durch das Hilfskomitee und<br />
der Landeskirche nach Württemberg einreisen.<br />
Unser Vater Wilhelm Kaldun und mein<br />
Onkel mit Familie, insgesamt zehn Personen,<br />
haben sich für dieses Angebot entschieden.<br />
In der Osterwoche 1946 haben<br />
wir auf dem Bahnhof in Buxtehude unsere<br />
Pferde mit Wagen verladen. Meine Familie<br />
mit vier Personen und die anderen Personen<br />
sind dann auch mit dem Güterzug mitgefahren.<br />
An der Zonengrenze in Kassel hatten<br />
wir große Schwierigkeiten, von der<br />
englischen in die amerikanische Zone zu<br />
kommen. Unser Ziel war Heilbronn. Als wir<br />
dort angekommen sind, hat sich aber niemand<br />
uns angenommen. Es war nicht gut<br />
organisiert und so mussten wir dort auf<br />
dem Bahnhof drei Tage auf einem Abstellgleis<br />
verbringen. Die Stadt Heilbronn lag in<br />
Trümmern und der Bahnhof war notdürftig<br />
instand gesetzt. Das Postamt nebenan war<br />
unbeschädigt vom Bombenangriff (4. Dezember<br />
1944) geblieben. Gegenüber vom<br />
Bahnhof war schon ein Hotel (Royal) im<br />
Rohbau entstanden, die Fenster waren<br />
schon eingesetzt. Es wurden Leute zum<br />
Fensterputzen gesucht. Da meine Mutter<br />
sich gemeldet hatte, wurde sie sehr gut mit<br />
Lebensmitteln belohnt, so dass wir über die<br />
Tage kein Hunger leiden mussten. Wo aber<br />
das Wasser und Futter für die Pferde herkam,<br />
das weiß ich heute nicht mehr. Ich bin<br />
dann in der Zeit auf dem Bahnhof sehr<br />
krank geworden.<br />
Aus dem Gepäck, das wir bei uns hatten,<br />
wurde ein Krankenlager gemacht. Wir waren<br />
ja am Rande auf dem Bahnhof abgestellt,<br />
somit konnte man ein kleines Feuer<br />
machen und heißes Wasser für Tee zubereiten.<br />
Da ich ja auch sehr gefroren habe,<br />
hat man einen Ziegelstein heiß gemacht,<br />
der zum Wärmen diente.<br />
Nach drei Tagen kam ein Bescheid vom<br />
Hilfskomitee, dass die Gemeinde Gochsen<br />
uns aufnimmt. Wir machten uns auf den<br />
Weg und waren um die Mittagszeit in Gochsen.<br />
Wir haben uns dort auf dem Rathaus<br />
gemeldet. Dort lag aber keine Benachrichtigung<br />
vor, das uns Flüchtlinge<br />
aufnehmen soll, und so bekamen wir auch<br />
keine Unterkunft. Unsere Pferde hatten<br />
gleich einen Unterstellplatz. Unser Gepäck<br />
hat man zwischen Rathaus und Pfarrhaus<br />
abgestellt. Mein Gesundheitszustand war<br />
nach wie vor sehr schlecht. Meine Mutter<br />
hat wieder von dem Gepäck ein Krankenlager<br />
zurechtgemacht. Und so lag ich auf<br />
dem Gepäck am Straßenrand. Im Laufe<br />
des Nachmittags hat uns jemand ein heiße<br />
Suppe gebracht. Es war in der Osterwoche.<br />
Das Backhaus muss wohl in der Nähe<br />
gewesen sein. Die Frauen liefen den ganzen<br />
Nachmittag hin und her mit ihrem<br />
Gebäck. Es wurde bald Abend und wir<br />
hatten immer noch keine Unterkunft. Eine<br />
Frau Schramm gleich neben der Kirche hat<br />
sich erbarmt und hat uns vorübergehend<br />
über die Osterfeiertage – bis alles geregelt<br />
war – aufgenommen. So bekamen wir<br />
gleich nach Ostern vom Rathaus Bescheid,<br />
dass wir für <strong>Cleversulzbach</strong> zugeteilt waren.<br />
Wir haben dann wieder alles zusammengepackt<br />
und sind hingefahren. Von da
an hatte alles seine Richtigkeit. Wir waren<br />
für die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> bestimmt<br />
und bekamen auch gleich mit<br />
Pferd und Wagen eine Unterkunft.<br />
Eine ältere, alleinstehende Frau Hesser hat<br />
uns aufgenommen, obwohl schon drei<br />
Flüchtlinge aus dem Sudentenland in ihrem<br />
Haus waren. So hatte jede Familie ein<br />
Zimmer bekommen, Feldbetten und Bettzeug<br />
gab es vom Roten Kreuz, die Küche<br />
war gemeinsam. Inzwischen war es Frühling<br />
geworden. Ich habe beim Bürgermeister<br />
Lambert Herrmann eine Dienststelle<br />
bekommen. Dort verrichtete ich die Arbeit<br />
im Haus, Feld oder Weinberg. Hauptsache<br />
war, man war irgendwie versorgt. Der Monatslohn<br />
betrug 30 RM. Meine Schwester<br />
Alma, die sechs Jahre älter war, hatte<br />
schon einen Beruf, den der Schneiderin,<br />
gelernt. In der Nachkriegszeit hatte man<br />
nur die Möglichkeit, aus alten abgetragenen<br />
Kleider etwas Neues zu schneidern,<br />
oder man konnte sich Stoff eintauschen<br />
gegen Lebensmittel. So hatte meine<br />
Schwester vollauf zu schaff en. Von einem<br />
Arbeitslohn konnte keine Rede sein. Jeder<br />
brachte anstatt Lohn etwas an Lebensmitteln,<br />
das jeder so zur Verfügung hatte.<br />
Mein Vater war mit seinem Pferdegespann<br />
sehr gefragt. Es waren<br />
viele alleinstehende Frauen mit<br />
kleiner Landwirtschaft da, deren<br />
Männer noch in Gefangenschaft<br />
waren oder gar im Krieg gefallen<br />
sind. Die Frauen waren recht<br />
froh, dass die Äcker und Wiesen<br />
bearbeitet wurden. Es war Frühling,<br />
wir hatten wohl eine Wohnung,<br />
aber es fehlte an allem.<br />
Wir gingen zu jeder freien<br />
Stunde in den Wald. Mit der Erlaubnis<br />
vom Bürgermeister<br />
konnten wir uns so viel Brockel-<br />
holz und Tannenzapfen zum<br />
Feuermachen holen, wie wir<br />
brauchten. Als Streu für die<br />
Pferde haben wir trockene Blätter im<br />
Wald in große Säcke gefüllt, so dass immer<br />
ein Vorrat da war. Der Wald hat uns<br />
in der Not über das ganze Jahr hinweg<br />
geholfen. Der Wald war wie eine große<br />
Vorratskammer. Im Sommer gab es Pilze<br />
und Beeren und im Herbst waren reichlich<br />
Haselnüsse und Buchecker zu fi nden.<br />
Die komplette Familie ging über die<br />
Herbstzeit in den Wald, um die Buchele<br />
aufzulesen. Das Ergebnis war eine große<br />
Kanne Öl, denn in der Nähe von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
war eine Ölmühle. Für längere<br />
Zeit hatten wir doch Fett im Haus. Das Öl<br />
eignete sich zum Kochen und Braten. Die<br />
Buchecker rösteten wir mit Zucker wie gebrannte<br />
Mandeln, es war etwas ganz Besonderes.<br />
Aus getrockneten Apfelschalen<br />
wurde Tee zubereitet. Der Kaff ee wurde<br />
aus gerösteter Gerste und Roggenkörnern<br />
gemahlen und zubereitet. Im Sommer<br />
wurden auf abgeernteten Getreidefeldern<br />
die übrigen Ähren gesammelt, und wie<br />
stolz waren wir, von der Mühle ein Säckchen<br />
Mehl nach Hause zu tragen. Der<br />
erste Hefekranz, den wir von dem Mehl<br />
gebacken haben, wird für uns unvergesslich<br />
bleiben. Es war der beste aller Zeiten.<br />
Mein Vater konnte 1948 über die Landes-<br />
Familie Kaldun bei der Heuernte in den Märzenwiesen,<br />
Ende der 1940er Jahre, im Hintergrund der „Verrenberg“.<br />
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418<br />
siedlung einen kleinen Bauernhof erwerben<br />
(von Daniel Schuler) und so konnte<br />
man sich selbst versorgen.<br />
Im Stall waren eine Kuh und Schweine,<br />
auch Gefl ügel wie Hühner, Enten und<br />
Gänse wurden angeschaff t. Nebenbei hat<br />
unser Vater noch immer die fremden Äcker<br />
bearbeitet, so dass wir einigermaßen davon<br />
leben konnten. Die Zeit bleibt ja nicht<br />
stehen. Ein ganz anderes Leben hat sich<br />
entwickelt. Viele Männer, die im Krieg und<br />
in der Gefangenschaft waren, kamen Gott<br />
sei Dank zu ihren Familien zurück. Das<br />
Wirtschaftswunder hatte begonnen. In der<br />
Landwirtschaft wurde ein Trecker nach<br />
dem anderen angeschaff t. Das bedeutete<br />
für meinen Vater Arbeitslosigkeit und so<br />
musste er seine Pferde verkauften.<br />
An dem Tag, als die Pferde abgeholt wurden,<br />
ging Vater solange aus dem Haus. Er<br />
wollte sich den Abschied ersparen, denn<br />
an einem Pferd, es hieß Hans, daran hing<br />
er besonders. Als wir damals 1941 in<br />
Westpreußen angesiedelt wurden, fanden<br />
wir unter anderem ein kleines hilfl oses<br />
Fohlen vor, dessen Mutter kurz zuvor verunglückt<br />
war. Wir haben es mit der Flasche<br />
groß gezogen. Die ganze Familie<br />
wollte sich den Anblick ersparen, als der<br />
Lastwagen vorfuhr. Noch heute höre ich<br />
die Tritte der Pferde, als sie die Rampe<br />
zum Wagen raufl iefen. Der Pferdestall<br />
aber war nun leer. Als Ersatz haben zwei<br />
Ziegen den Platz eingenommen. So hatte<br />
unser Vater doch noch nach der Arbeit<br />
und am Wochenende was mit Tieren zu<br />
tun. Meine Mutter machte aus der Milch<br />
den leckersten Käse.<br />
Unser Vater hat bei der Stadt Neuenstadt<br />
Arbeit gefunden und hat dort bis zum<br />
Rentenalter gearbeitet. Die ersten Siedlungen<br />
für Flüchtlinge sind 1949 entstanden.<br />
Mein Onkel mit Familie hat in Willsbach<br />
gebaut. Das Grundstück, ein kleines<br />
Haus mit Garten, ein Stall für Gefl ügel<br />
und Hasen, auch ein Schweinestall waren<br />
mit eingeplant. Ich kann mich noch erinnern,<br />
mein Onkel war der Erste, der ein<br />
Ferkel aufgezogen und gefüttert hat. Die<br />
ganzen Anwohner der Straße haben sämtliche<br />
Abfälle, wie Kartoff elschalen, Äpfel<br />
und Sonstiges gebracht, so dass immer<br />
genügend Futter da war. Wie das<br />
Schlachtfest ausgefallen ist, daran kann<br />
ich mich leider nicht mehr erinnern – sicherlich<br />
schön. Nach langer Zeit mal wieder<br />
eigene echte bessarabische Bratwurst,<br />
Kotletten und Spezialitäten vieler Art zu<br />
genießen, war ein Glücksgefühl. So nach<br />
und nach konnte man sich das Allernötigste<br />
für den Haushalt anschaff en. Bei aller<br />
Bescheidenheit waren wir glücklich<br />
und zufrieden.<br />
Inzwischen kam auch mein Bruder Waldemar<br />
aus der französischen Gefangenschaft<br />
zurück. Nach langem Suchen hat er uns<br />
doch gefunden. Wir hatten schon lange<br />
Zeit keine Nachricht mehr von ihm und<br />
hatten schon mit dem Schlimmsten gerechnet,<br />
umso größer war unsere Freude<br />
über das Wiedersehen. Der Verlobte meiner<br />
Schwester kam auch unversehrt aus<br />
italienischer Gefangenschaft. Somit war<br />
unsere Familie wieder komplett. Für uns<br />
alle hat ein neues Leben begonnen, jeder<br />
ist einer Arbeit nachgegangen. Wir drei<br />
Geschwister blieben in <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />
jeder von uns hat eine Familie gegründet.<br />
Unsere Eltern konnten sich noch an ihren<br />
Enkeln erfreuen und haben beide ein gesegnetes<br />
Alter erreicht.<br />
Rückblickend kann ich heute, im Alter von<br />
83 Jahren sagen, nach allen Kriegswirren,<br />
Not und Heimatlosigkeit, so wie ein<br />
schwerer Schicksalsschlag, haben wir doch<br />
noch eine friedliche schöne Zeit erlebt<br />
und ein Zuhause in <strong>Cleversulzbach</strong> gefunden<br />
– im Schwabenland, in der Urheimat<br />
unserer Vorfahren.<br />
Juli 2011<br />
Erna Ültzhöfer geb. Kaldun
Eine junge Lehrerin erinnert sich ...<br />
Aus dem Tagebuch von Frl. Freimann<br />
Fräulein Barbara Freimann meldete sich<br />
im Jahre 1961 bei ihrer ersten Dienststelle<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong>. Sie hat in einem Tagebuch<br />
ihre Gedanken, ihre Gefühle freudiger<br />
Erwartung, aber auch kleine Sorgen<br />
auf einfühlsame Weise niedergeschrieben<br />
und mit Zeichnungen versehen. Auf diese<br />
Weise entstand ein einmaliges Bild von<br />
einem Teilbereich des damaligen Dorfl ebens,<br />
und zwar aus der Sicht eines jungen<br />
Menschen, der sich fernab vom Elternhaus,<br />
nun zum ersten Mal im Berufsleben<br />
bewähren musste. Dass Fräulein Freimann<br />
diese Anforderung in besonderem<br />
Maße gemeistert hat, davon zeugen nicht<br />
nur die überaus positiven Erinnerungen<br />
ihrer ehemaligen Schüler, wie sie sich in<br />
Gesprächen mit dem Autor darstellten,<br />
sondern auch ein Fototagebuch, das ihr<br />
zwei Praktikantinnen verehrten, die sie im<br />
Februar und März 1963 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
auszubilden hatte.<br />
Ich danke Frau B. Schlegel, geb. Freimann,<br />
aus Brettach für ihre Bereitschaft, uns<br />
alle an diesem Zeitdokument<br />
teilhaben zu lassen,<br />
das hier in Auszügen vorgelegt<br />
wird.<br />
Norbert Gessner<br />
Wenn ich einst in späten<br />
Tagen<br />
Dieses Büchlein nehm’ zur<br />
Hand,<br />
Soll’s erzählen und mir<br />
sagen –<br />
Wie’s mir ging im Lehrerstand.<br />
B. Freimann<br />
Es ist ein eigenartiges Gefühl,<br />
nun so erwachsen zu<br />
sein, daß man dazu berech-<br />
tigt ist, andere Menschen dahin zu führen,<br />
wo man selbst erst mit einem Bein steht.<br />
Wird man überhaupt für voll genommen?<br />
Hält man den kritischen Schülerblicken<br />
stand? – Nun, die Prüfung ist bestanden<br />
und der Rubel fängt an zu rollen.<br />
Ich bin apl – außerplanmäßige Hauptlehrerin<br />
und warte auf den Stellungsbefehl.<br />
Jetzt ist nicht die Frage „Komme ich<br />
durch?” sondern „Wohin?”<br />
Jeden Tag warte ich vergeblich auf Post –<br />
bis zum Herbst werde ich aber ganz sicher<br />
Nachricht bekommen.<br />
[Die Nachricht des Schulamts kommt eines<br />
Tages, und Familie Freimann aus Obrigheim<br />
sucht stundenlang nach einem<br />
Ort in Nord-Württemberg „<strong>Cleversulzbach</strong>”.<br />
Was man auf einer Autokarte<br />
schließlich fi ndet, ist wenig vielversprechend:<br />
abgelegen, keine Bahnstation, wenig<br />
Busverkehr! Weitere Recherchen<br />
bringen’s an den Tag. <strong>Cleversulzbach</strong> ist<br />
berühmt durch Mörikes Turmhahngedicht.]<br />
419
420<br />
[Nach einer knappen Stunde ist Neuenstadt<br />
erreicht, und Fräulein Freimann fragt<br />
sich, vorbei an einer Kirchenruine, nach<br />
„<strong>Cleversulzbach</strong> unter den Linden” durch.<br />
Nach weiteren drei Kilometern wird das<br />
ersehnte Ortsschild sichtbar … ]<br />
Nun heißt es, den Weg zum Lehrer des<br />
Dorfschulhauses zu fi nden. Immer brennender<br />
werden die Fragen: Ist <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />
Schule ein- oder zwei- oder mehrklassig?<br />
Wie und wer sind die anderen<br />
Lehrer? Kann ich hier eine Wohnung oder<br />
ein Zimmer bekommen?<br />
Das erste Wort, das ich nach der Fahrt<br />
hierher spreche, richte ich an einen Dorfjungen<br />
auf der Straße: „Wo geht es zum<br />
Schulhaus?” Antwort: „Ein paar Häuser<br />
weiter rechts bei der Kirche – aber eben<br />
ist keine Schule.” Im Weiterfahren kann<br />
ich gerade noch hören: „Das ist bestimmt<br />
unsere neue Lehrerin.” [Eine alte Frau<br />
weist schließlich den Weg zum Lehrerwohnhaus.]<br />
Der Weg zum Lehrerhaus, das etwas erhöht<br />
ganz am Ende des kleinen Dörfchens<br />
liegt, habe ich bald gefunden und nun<br />
stehe ich schon eine ganze Weile wartend<br />
vor der Tür und beobachte, ob sich nicht<br />
irgendwo ein Gesicht aus einem der Fenster<br />
blicken lässt. Man läßt mich ganz<br />
schön warten, wie sich das für einen Anfänger<br />
auch gehören mag. Doch nun öff -<br />
net sich laut ein Fenster über mir und eine<br />
Frau – ich erfahre bald, daß sie nur das<br />
Mädchen ist – steckt den neugierigen<br />
Kopf zu mir heraus. Bald danach wird mir<br />
geöff net und ich bin nun nicht vergeblich<br />
die knapp 40 Kilometer von Obrigheim<br />
herausgeradelt. „Lehrers sin geschtern erst<br />
spät heimkomme”, so erfahre ich von Marianne,<br />
dem Mädchen.<br />
Ich mache es mir nun bequem, schaue<br />
mich im Wohnzimmer der Lehrersleute um<br />
und bin erstaunt von den Zeichnungen<br />
und Gemälden, die die guten Leute sicher<br />
selber gefertigt haben.<br />
Eine Beschreibung der Bilder, um die Geschmacksrichtung<br />
zu zeigen:<br />
Ganz groß und fast gespensterhaft blickt<br />
eine Frauengestalt, die in einem roten<br />
Samtkleid leger am Flügel sitzt, auf mich<br />
herab. Das Gesicht ist nicht gerade anziehend<br />
– aber auch nicht hässlich. Es scheint<br />
eine Mischung aus Romantik und Kälte<br />
aus der vergangenen Zeit durch die Zusammenstellung<br />
der Farben auf das Bildnis<br />
gekommen zu sein. Auff allend sind die<br />
Hände mit den sehr langen Fingern und<br />
die Nase. Das Bild könnte alt wirken. Warum<br />
aber wählt man zu einem Bild aus der<br />
Jetztzeit – die Frau trägt auch eine Armbanduhr<br />
– diese staubigen roten Portieren<br />
als Hintergrund? Die Proportionen der<br />
Schönen sind nicht ganz geglückt. Zweifellos<br />
ist es ein gutes Stück für einen<br />
freien Lehrer.<br />
Ein anderes kleineres Bild wird jedem Mann<br />
zweifellos sofort ins Auge springen, denn<br />
es zeigt eine unbekleidete Schöne. Farben:<br />
Elfenbein mit Grau-grün. Doch mein Blick<br />
entdeckt auch an der dritten Wand ein<br />
Aktbild mit allerhand Akten. In der Mitte<br />
steht ein kraftstrotzender Jüngling als Wagenlenker<br />
auf einem Zweiradwagen und<br />
bändigt 4 verschiedenfarbige Rosse, die<br />
durch gigantische Gewitterwolken sprengen.<br />
Auch die Sonnenstrahlen bringen die<br />
anderen Regenbogenfarben ins Bild. Off enbar<br />
ist der Maler ein Liebhaber der Farben.<br />
Nun zu den vielen Akten. Frauen mit gutem<br />
Körperbau liegen herum und umjubeln<br />
den jugendlichen Helden. Auf Einzelheiten,<br />
wie auf Hände und Finger, wurde zugunsten<br />
des Ganzen verzichtet. Die Farbe wiegt<br />
vor. Das Bild hat irgend etwas mit den<br />
Kraft- und Symbolbildnern des 3. Reiches<br />
zu tun. Es gefällt mir aber trotzdem besser<br />
als die zwei zuvor beschriebenen Bilder. Sicher<br />
ist der Mann der Maler und die Frau<br />
das Modell. Musikalisch scheint die Frau<br />
auch wirklich zu sein, denn im Zimmer<br />
steht ein Cembalo.
In der Ecke hängt noch ein tolles romantisches<br />
Bild mit Klippen, die aus weißgischtigen,<br />
blauen Meereswogen herausragen.<br />
Nun höre ich Schritte im Treppenhaus.<br />
Männerschritte, der Lehrer betritt das<br />
Zimmer.<br />
Name: Braun – nicht mein Chef, sondern<br />
seine Frau wird meine Kollegin sein.<br />
Ist seine Frau jene Frau auf dem zuerst beschriebenen<br />
Gemälde? Als die Tür aufgeht,<br />
fi nde ich meine Frage mit ‘ja’ beantwortet.<br />
Allerdings wirkt die schlanke, mich um<br />
Haupteslänge überragende Frau viel hübscher<br />
mit ihren sicher blondierten Haaren<br />
als auf dem Bild. Die Nase ist auch nicht so<br />
krumm wie auf dem Bild. Also, es handelt<br />
sich nicht um eine dürerhafte Wiedergabe.<br />
Wir treten nun einen Gang durch das Dorf<br />
an, um<br />
a) die Schule zu besichtigen<br />
b) den Bürgermeister zu sprechen<br />
c) den Pfarrer zu besuchen<br />
d) ein Quartier für mich ausfi ndig zu<br />
machen.<br />
An historischer Stätte: Besuch beim<br />
Pfarrer von <strong>Cleversulzbach</strong> im Mörikegarten<br />
und im Mörike-Pfarrhaus<br />
Der Besuch beim Pfarrherrn von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
(Pfarrverweser Schmid) wird mir<br />
insofern im Gedächtnis bleiben, als<br />
ich zum erstenmal das Haus Mörikes<br />
betrete. Aber für heute soll es beim<br />
Nur-Anschauen des Hausfl ures und<br />
einiger Zimmertüren bleiben. Dafür<br />
gehen wir hinaus in den Pfarrgarten<br />
und schauen uns die alte Mörike-<br />
Buche an, die aber nicht mehr die<br />
laubenartigen Zweige hat, die ein<br />
gemütliches Gartenplätzchen einst<br />
überdacht haben, wie es auf dem<br />
Teil der Postkarte zu sehen ist. Überhaupt<br />
sind weder Lehrersfamilie<br />
noch der Herr Pfarrer sehr an das<br />
Historische dieser Stätte gebunden.<br />
Frei und off en – sogar mit einem<br />
teils erhabenen Lächeln wird von dem Romantiker<br />
nur knapp erzählt, wie er wohl in<br />
dem Pfarrgarten einhergeschritten ist und<br />
wie er an jener Stelle des Zaunes in seinem<br />
Garten verweilte, wo er an dem heute total<br />
verfallenen Törle Wundersames vernommen<br />
haben soll … davon weiß ich<br />
heute freilich noch nichts Genaues zu berichten.<br />
Im Pfarrgarten haben wir uns<br />
dann an jener Stelle zum Plaudern niedergelassen,<br />
wo auch einst der Dichter seine<br />
Gartenlaube stehen hatte. Der Pfarrer saß<br />
mir nun zum ersten Mal gegenüber und<br />
ich hatte Gelegenheit dazu, ihn zuweilen<br />
kritisch zu mustern:<br />
Ein kleinerer Mann als ich – schätzungsweise<br />
1,65 m, dünnes blondes Haar. […]<br />
Wie sein Wesen und seine Berufseinstellung<br />
ist, das kann ich noch nicht in Erfahrung<br />
bringen. Nur soviel ist mir aufgefallen:<br />
ein begeisterter Mensch in seinem<br />
Amt, ein Geistlicher mit Leib und Seele<br />
scheint er nicht unbedingt zu sein – dafür<br />
erfahre ich jetzt mehr von seinem Hobby,<br />
dem Fotografi eren.<br />
Es ist gut, nicht zu wissen, wie eine Stätte<br />
aussieht, wenn man sie verlassen hat. Die<br />
Erinnerung würde Mörike gewiß auch<br />
heute noch einen anderen Garten zeigen<br />
– einen nicht verwahrlosten!<br />
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422<br />
Die Frau des Pfarrers mit ihren Kindern<br />
kann ich heute noch nicht begrüßen, da<br />
sie mit den Letzteren noch in Frankreich<br />
weilt. Ich erfahre, dass sie eine Französin<br />
ist, und später erzählen mir Brauns noch<br />
von dem nicht immer stillen und idyllischen<br />
Leben im Pfarrhaus.<br />
Das mag auch der Grund sein, weshalb<br />
man mir im Pfarrhaus kein Quartier geben<br />
kann. Damit habe ich auch gleich ein ganz<br />
bedeutendes Problem berührt: die Wohnungsfrage.<br />
Heute gelten die Besuche<br />
nicht allein der „Bekanntmachung“ der<br />
neuen Lehrerin, nein, sie haben einen viel<br />
realeren Zweck, eine Bleibe für die Arme<br />
zu fi nden.<br />
Überhaupt werde ich sehr bedauert, daß<br />
ich fast glaube, in der Vorhölle gelandet<br />
zu sein. „Auch das noch – die sind wohl<br />
nicht ganz gescheit – um Himmels willen<br />
– schicken die ein Mädle – hier soll doch<br />
endlich eimal ein Mann her!!“ Das waren<br />
die ersten Worte der Frau Braun nach unserer<br />
Begrüßung, die nun bei jedem erneuten<br />
Vorstellen, wenn auch mit etwas<br />
anderen Worten, an meine Ohren dringen.<br />
Nun, die Lehrersleute wollen mir behilfl ich<br />
sein, ein Unterkommen zu fi nden – es<br />
wird ja auch als Pfl icht angesehen. Der<br />
Bürgermeister – einen einfacheren Mann<br />
habe ich mir für dieses Amt nicht vorstellen<br />
können, zumal er nur einen rechten<br />
Arm hat und infolgedessen die Polizeigewalt<br />
nur mit der Kraft des Amtes ausüben<br />
kann – eben der Bürgermeister überlegt<br />
auch krampfhaft, wie er an eine Wohnung<br />
kommen soll. Das Pfarrhaus wird von allen<br />
erwähnt – als Möglichkeit aber bald wieder<br />
abgelehnt – aus Höfl ichkeit dem Pfarrer<br />
gegenüber. Das steigert natürlich<br />
meine Neugier auf Frau „Georgette“.<br />
Wir kehren nun den Rücken zum Bürgermeisteramt<br />
und wollen der Schule einen<br />
Besuch abstatten. Ich betrete den Klassenraum<br />
zum ersten Mal und fi nde ihn recht<br />
groß und hell durch die beiden Fensterrei-<br />
hen. Die Tische und Stühle sind fast neu,<br />
und so habe ich einen Klassenraum, in<br />
dem ich mich schon jetzt ganz zu Hause<br />
fühle. Wie mein Gefühl allerdings aussehen<br />
wird am ersten Tag, wenn ich hier vor<br />
einer vollbesetzten Klasse mit vier Schuljahren<br />
und insgesamt 37 Schülern stehe,<br />
das kann ich mir noch nicht ganz ausmalen!<br />
Auf jeden Fall ist das leere Klassenzimmer<br />
mir durchaus nicht unheimlich!<br />
Vom Schulhof aus betrachtet, sieht meine<br />
Klasse (obere Fensterreihe) so aus:<br />
Nachdem ich das ganze Schulhaus besichtigt<br />
habe, bin ich froh, wieder frische Luft<br />
atmen zu können. Tatsächlich ist mein<br />
Klassenzimmer noch der Raum des Schulhauses,<br />
in welchem man es am längsten<br />
aushalten kann. Von dem Kartenraum, in<br />
welchem der damalige Lehrer (von 1930<br />
etwa) noch sein Schlaf- oder Kinderschlafzimmer<br />
hatte, lässt sich ein Kleid<br />
machen aus den vielen Spinnwebenfäden.<br />
Die Enge des Raumes ist einfach erdrückend,<br />
und nun erkenne ich, wie wahr jenes<br />
Lied vom „armen Dorfschulmeisterlein“<br />
ist. Aber die Tür zu dem etwa 5 qm<br />
großen Raum kann ich nicht recht öff nen,<br />
da von einem halb-verschimmelten Torso<br />
Magen und Leber herausgefallen sind, die<br />
den Eintretenden an die Erdanziehungskraft<br />
erinnern, die alles zu Boden zieht.<br />
Dieser Raum ist erdrückender als ein Mu-
seum – aber eigentlich ist er ein Stück<br />
Museum der Lehrergeschichte!<br />
Zu Gast bei Lehrer Brauns – oder das<br />
erste Mahl in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Nachdem der erste Rundgang durch das<br />
Dorf beendet ist, gelangen wir wieder im<br />
Lehrerhaus an, wo das Mädchen Marianne<br />
inzwischen den Tisch gedeckt hat. Es gibt<br />
ein Brotmittagessen mit Tee. Während des<br />
Essens erfahre ich, daß unser Wasser im<br />
Dorf nicht gerade gut zum Verbrauch ist.<br />
Das Leitungswasser ist sehr kalkhaltig –<br />
etwa 46° Härte. Die Leute im Dorf ziehen<br />
es daher vor, nicht dieses Wasser zu nehmen,<br />
das eigentlich keimfrei ist, aber die<br />
gekochte Milch gerinnen lässt, sie holen<br />
ihren Wasservorrat am Dorfbrunnen, der<br />
aber Wasser aus einem Leitungsrohr ohne<br />
Hahn spendet, das schon unter dem halben<br />
Dorf hindurchgelaufen ist. Infolge<br />
dessen hat das Wasser viele Bestandteile,<br />
d.h. viel Würze aus den landwirtschaftlichen<br />
Stallungen bezogen. Das Wasser<br />
muß daher vor dem Verbrauch erst abgekocht<br />
werden. Mir hat das Essen trotz allem<br />
sehr gut geschmeckt und ich muß<br />
nun wieder an meine Heimreise denken,<br />
nachdem ich alle meine Geschäfte im Dorf<br />
erledigt habe. Ich fahre heim mit der Botschaft:<br />
Am 10. April ist mein erster Schultag in<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Die Wohnungsfrage soll inzwischen mit<br />
vereinten Lehrers- und Bürgermeisterkräften<br />
gelöst werden. Die erste Zeit fi nde ich,<br />
wenn kein Zimmer verfügbar ist, im Lehrerhaus<br />
ein Notquartier. Aus diesem Grund<br />
soll ich vorerst noch keinen Möbelwagen<br />
schicken.<br />
[Daheim wettert Papa Freimann: „Wenn<br />
du innerhalb 10 Tagen kein Zimmer bekommst<br />
in jenem Hinterweltsdorf, dann<br />
kommst du nicht dorthin; dafür werde ich<br />
sorgen!”]<br />
Mein zweiter Einzug war indessen für<br />
mich eine viel traurigere Angelegenheit,<br />
da ich mit dem Zug fahren mußte.<br />
In diesem Schwabenbähnle wurde es mir<br />
ganz übel bei dem Gedanken, eine ganze<br />
Welt zu verlassen und diese gegen eine Einsamkeit<br />
zu vertauschen. Bei jedem Pfeifen<br />
und Bimmeln des „Entenmörders” wurde<br />
mir trauriger zumute. Mit einem Auto wäre<br />
alles kein Problem und man hätte auch ein<br />
kleines, eigenes Dächlein über dem Kopfe,<br />
das doch in einer Einöde Weg und Zeit<br />
leicht zu überbrücken vermag.<br />
423
424<br />
In Neuenstadt stand ich da ohne Fahrrad<br />
(ich hatte es aufgegeben) und ohne Busanschluss.<br />
Zum Glück konnte ich mit dem<br />
Auto des Kraftfahrunternehmers Seebold<br />
mit nach <strong>Cleversulzbach</strong> fahren. So hatte<br />
ich mal wieder mehr Glück als Verstand<br />
gehabt.<br />
Ich komme im Lehrerhaus an und darf<br />
auch heute wieder warten. Ein Brief liegt<br />
auf dem Tisch, der mich trösten soll. Ich<br />
bin von Braun dazu eingeladen, es mir inzwischen<br />
bequem zu machen.<br />
Na, und dann kommen Brauns nach etwa<br />
drei Stunden an und wir machen noch ein<br />
paar Plauderstündchen miteinander, bis es<br />
Zeit wird, ins Bett zu gehen. Ich schlafe im<br />
Kinderzimmer der Tochter Myra und bekomme<br />
sogar noch ein Betthupferl – eine<br />
Tafel Tobler-Weinbrandkirschen – auf den<br />
Nachttisch gelegt. Diese erste Nacht habe<br />
ich noch gut schlafen können. Anders die<br />
zweite Nacht, diejenige zum Montag, weil<br />
da der erste Unterrichtstag bevorstand.<br />
Mein erster Unterrichtstag. Es wird<br />
ernst!<br />
Würdig schreiten wir am Montagmorgen<br />
des Jahres 1961, es ist der 10. April, so gegen<br />
10.00 Uhr die Front der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />
Schüler ab. Herr Braun übernimmt<br />
die dankbare Aufgabe, mich vorzustellen.<br />
Er nimmt auch noch die Umsetzung einiger<br />
Schüler vor. Dann fällt die Tür ins<br />
Schloss und ich stehe allein vor der Meute<br />
von 37 Kindern. Ein Wald von Köpfen<br />
scheint das zu sein. Aller Augen haben nur<br />
ein Objekt – MICH! Meiner ersten Worte<br />
kann ich mich nicht mehr entsinnen. Aber<br />
die ersten Stunden waren Erdkunde und<br />
Naturkunde. Noch ein paar Fragen werden<br />
gestellt, um mich stoffl ich zu orientieren –<br />
dann höre ich noch ein Getrampel auf der<br />
Treppe und die Schule ist für heute aus.<br />
Unten stehen die Kinder nochmals Spalier,<br />
um mich auch beim Treppensteigen genau<br />
aufs Korn nehmen zu können.<br />
Heute schmeckt mir das Mittagessen bei<br />
Braun gut und ich gehe am Nachmittag<br />
mit Tochter Myra auf den Friedhof, um<br />
das gemeinsame Grab von Schillers und<br />
Mörikes Mütter zu besuchen. […] Ein kleines<br />
Hinweisschild am Zaun, das von den<br />
Laubdächern großer Kastanien beschattet<br />
wird, soll auf die Ruhestätten hinweisen –<br />
doch wer achtet auf diese unscheinbaren<br />
Buchstabentäfelchen? So sind meine Gedanken<br />
beim Besuch der Gräber.<br />
Und nun fi ng die arbeitsreiche Zeit an.<br />
Und ich hatte auch nach 10 Tagen noch<br />
kein eigenes Zimmer. Ich kam mir vor wie<br />
gewollt und kaum geduldet. Die Zimmersuche<br />
wurde immer schwieriger – ich<br />
traute mich kaum nach Hause – wie würden<br />
wohl Papa und Mutti reagieren auf<br />
solch eine Botschaft?<br />
Aber alles kommt anders als man es denkt.<br />
Frau Braun läßt Myra im Gasthaus „Zum<br />
Alten Turmhahn” nach einem Zimmer für<br />
mich fragen, und zum erstemal sagt jemand<br />
‘ja’! Ich kann gleich am Samstag<br />
einziehen – nun sind meine Tage im Lehrerhaus<br />
gezählt. Und im Turmhahn gibt es<br />
Fernsehen – also bin ich auch mit der Außenwelt<br />
weiter in Verbindung.<br />
Mein Einzug im Gasthof „Zum Turmhahn“<br />
in <strong>Cleversulzbach</strong><br />
Ein wenig schüchtern war ich schon, als<br />
ich dieses Haus zum ersten Mal betrat:<br />
Wird man mich gut aufnehmen und hoffentlich<br />
ist es nicht zu laut usw. Doch ich<br />
kann diese Gedanken ruhig alle begraben.<br />
Mir gefällt mein Zimmer, das nun mein<br />
zweites eigenes ist nach dem Studienaufenthalt<br />
in Schwäbisch Gmünd. Das Zimmer<br />
ist einfach mit Blick gegen ein Bauernhaus<br />
und auf einen kleinen Hof mit<br />
Ställen und Komposthaufen. Unter mir ist<br />
die Küche.<br />
Am ersten Tag bewundere ich die Mörikestube<br />
und bringe in Erfahrung, daß die<br />
beiden Geschwister Seebold ganz ohne
Hilfe das Gasthaus bewirtschaften und<br />
auch noch die Mörike-Gedenkstube eingerichtet<br />
haben. Dies ist der einzige Ort,<br />
an dem man noch das Andenken an den<br />
großen Dichter pfl egt. Die Mörikestube ist<br />
noch nicht sehr lange in der jetzigen Form<br />
zu besichtigen. Im unteren Gastraum befi<br />
nden sich Bilder, Scherenschnitte und<br />
Handschriften des Dichters. In einem kleinen<br />
Schränkchen in dem Raum werden<br />
noch einige Gebrauchsgegenstände von<br />
Mörike aufbewahrt: eine Lichtputzschere,<br />
ein Federkiel, eine Vase und ein Stein zum<br />
Briefbeschweren. Von der Dichtertochter<br />
bewahren die Geschwister noch ein Geldtäschchen<br />
auf, in welchem sie sich eine<br />
kleine Sammlung von Münzen aus jener<br />
Zeit angelegt haben.<br />
Die Tochter, die lange Zeit nicht leben<br />
konnte, wie es ihr gebührte, hat viele<br />
Handarbeiten gefertigt. Seebolds, die die<br />
Tochter als Kinder gekannt haben, bewahren<br />
noch eine kleine handgearbeitete Decke<br />
von ihr in einem Schränkchen auf.<br />
Als ganz besonderes Utensil gilt ein kleines<br />
Rundbildchen, in dem eine Haarlocke<br />
des Dichters aufbewahrt wird. […]<br />
Schaut man sich im Mörikestübchen um,<br />
dann kann man am Kachelofen einige<br />
Zeichnungen Mörikes wiederentdecken.<br />
Unter anderem ist das Wappen zu sehen,<br />
dessen Muster heute auf den Springerles<br />
zu fi nden ist, die Seebolds noch nach altem<br />
Rezept anfertigen.<br />
In dem Raum ist es sehr gemütlich und<br />
man kann dort gut träumen, wenn man<br />
die Bilder anschaut.<br />
Auch ein Bild Ludwig Richters ist hier zu<br />
fi nden, das der Künstler Mörike gewidmet<br />
hat.<br />
Nun klemme ich mir einige Bücher unter<br />
den Arm, um in ein paar Minuten darin<br />
lesen zu können. Beim Verlassen des Gastzimmers<br />
fällt mir der Turmhahn aus Ton<br />
auf, der auf dem Kamin thront. Weshalb –<br />
nun, das erfahre ich im Turmhahngedicht.<br />
[Es folgt das berühmte Turmhahngedicht<br />
in voller Länge, in schöner Druckschrift<br />
und grafi sch besonders aufbereitet; aus<br />
Platzgründen hier allerdings nur ausschnittweise]<br />
425
426<br />
[Als der Turmhahn solchermaßen aus dem<br />
Schrott der Salm'schen Schmiede gerettet<br />
worden ist, nimmt er seinen Platz in des<br />
Pfarrers Haus ein und beobachtet nun das<br />
Treiben seines neuen Herrn und dessen<br />
Familie. Aus diesen Betrachtungen ergibt<br />
sich das idyllische Bild einer intakten, heilen<br />
Dorfgemeinschaft – <strong>Cleversulzbach</strong><br />
eben, zu des Dichters Zeiten]<br />
Schulalltag<br />
In der Schule ist nun mein ganzer Tag ausgefüllt.<br />
Morgens steht man oft unausgeschlafen<br />
vor der Klasse und ist ängstlich<br />
darauf bedacht, den Kindern auch noch<br />
etwas beizubringen, damit der Ruf, den<br />
man braucht, im Dorf nicht so schlimm ist.<br />
Überhaupt ist alles neugierig, wie ich mich<br />
entpuppe. Eines Tages höre ich, daß die<br />
Kinder stolz darauf sind, meine mir unbekannten<br />
Vorgängerinnen zum Weinen gebracht<br />
zu haben. Die Kinder scheinen nun<br />
darauf zu warten, daß ich irgendwann<br />
auch in Tränen aufgelöst vor ihnen stehe –<br />
ich will ihnen freilich den Gefallen nicht<br />
tun. Anfangs sind sie zu still – ja, noch<br />
etwa einen ganzen Monat hält diese Ebbe<br />
an, um dann eines Tages orkanartig loszu-<br />
brechen. Wie werde ich diesen Tag je vergessen<br />
können, an dem ich im off enen<br />
Kampf mit der Klasse stand. Es lag eigentlich,<br />
mir nicht zu erkennen, schon seit lan-
gem etwas in der Luft, was von den Eltern<br />
her und vielleicht auch daher kam, daß die<br />
Kinder in der Oberklasse eine starke Männerhand<br />
zu spüren gewohnt waren. Die<br />
Enttäuschung – wieder für kurze Zeit (oder<br />
länger?) eine Frau das Regiment führen zu<br />
sehen, hat die Buben um die Freude des<br />
Sports gebracht. Fußball war ja wichtiger<br />
als Unterricht. Wird nun der Geliebte zu<br />
kurz kommen?<br />
Weiter fanden die Kinder es unnötig, einem<br />
jungen Mädchen zu gehorchen, das<br />
in ihren Augen viel zu streng war. Mein<br />
erster Spitzname – geprägt von Erich<br />
Heiß, war: „die bissige Hündin.”<br />
Die Kinder beklagten sich weiterhin, daß<br />
sie zu viel tun müßten und zu wenig Singen<br />
hätten. „Beim Herrn Lehrer war das<br />
nicht so!” Bei meiner Vorgängerin, die ein<br />
halbes Jahr die Oberklasse geführt hatte,<br />
scheint dieser Ausspruch auch schon öfter<br />
gefallen zu sein.<br />
Aus der „Damenecke” kam immer wieder –<br />
gerade noch hörbar – das Gemurmel „Hier<br />
gehört halt einfach ein Mann her.”<br />
[Natürlich wußten die Schüler, daß nach<br />
<strong>Cleversulzbach</strong> kein Lehrer wollte; jeder<br />
‚Refl ektant’ auf die Stelle war nach der<br />
Besichtigung des Ortes ganz schnell gefl<br />
üchtet. Nach vielen Diskussionen haben<br />
sich die Lehrerin und ihre Schüler schließlich<br />
miteinander arrangiert] … obwohl es<br />
mich Kraft kostete und meine Stimme<br />
ziemlich erschöpft war. Die Kinder haben<br />
mich von dem Zeitpunkt an mehr und<br />
mehr für voll genommen und sogar anerkannt.<br />
Das war am besten zu erkennen<br />
auf Ausfl ügen und am Lagerfeuer. Das Lagerfeuer<br />
und noch eine Schnitzeljagd<br />
konnten endlich meine Stellung festigen.<br />
Die Mühe und das Opfer von zwei Abenden<br />
haben mehr zuwege gebracht als<br />
manche Moralpredigt, die ich ja auch gar<br />
nicht zu halten im Stande war.<br />
Zum Ausgleich gehe ich oft und gerne in<br />
den Weinberg. Dort ist es gut schaff en –<br />
ganz besonders, wenn das Wetter gut ist.<br />
Andernfalls kann man auf dem klebrigen<br />
Boden – daher der Name <strong>Cleversulzbach</strong> –<br />
rückwärts in die Tiefe abrutschen. Über<br />
den Weinbau habe ich so allerhand gelernt.<br />
Auch erinnere ich mich gern der<br />
Stunden, die ich mit den Schwestern beim<br />
Plaudern über die Menschen und deren<br />
Schwächen verbracht habe. Vor allen Dingen<br />
haben die Leute im Dorf – wie Lehrer,<br />
Bürgermeister und Pfarrer dran glauben<br />
müssen.<br />
Der Schulrat macht Visite<br />
Zum Glück war es gerade in der Klasse<br />
still, als der hohe Herr eintrat. Der erste<br />
Besuch war kurz wie die Schulvereidigung.<br />
Aber eine komische Vorliebe sollte mir an<br />
diesem Tage gleich auff allen: Gedichte<br />
müssen die Schüler so viele wie möglich<br />
auswendig aufsagen können. Ach, und<br />
wie wenige konnten da nur ein Gedicht<br />
aufsagen. Am größten war das Können<br />
von „Es war einmal ein Huhn”. Nun, auch<br />
das ging vorüber.<br />
Der Inspektionsbesuch nach den Sommerferien<br />
war dann ganz besonders klasse.<br />
[Dazu eine Vorgeschichte: Eines Morgens<br />
steht ein zunächst unbekannter, junger<br />
Mann in Fräulein Freimanns Unterrichtssaal.<br />
Es stellt sich heraus, dass er ihr Mieternachfolger<br />
aus Schwäbisch Gmünd ist,<br />
ebenfalls Lehrer. Off enbar ist er auf Arbeitssuche,<br />
und so ergibt es sich – Frau<br />
Braun ist gerade krank, und Fräulein Freimann<br />
muß 70 Schüler gleichzeitig unterrichten!<br />
– dass Herr Maier einen Teil der<br />
Großgruppe übernimmt. Um die Sache<br />
nicht auffl iegen zu lassen, muss Herr<br />
Maier ‚von dannen segeln’, als der Schulrat<br />
seine Inspektion ansagt]<br />
Es dauerte fast 2 Stunden. Ich wurde auf<br />
Leib und Seele geprüft und mußte meine<br />
Fähigkeiten zeigen – 8 Klassen mit meinen<br />
Geistesgaben versorgen. Aber ich habe<br />
mich nicht aus der Ruhe bringen lassen<br />
427
428<br />
und konnte den Schulrat in Sprachkunde,<br />
Geschichte, Gemeinschaftskunde und im<br />
Lesen zufrieden stellen. Eine Panne war es,<br />
daß meine Schüler nicht genug Gedichte<br />
hersagen konnten, was mir dann auch in<br />
der Beurteilung extra noch ans Herz gelegt<br />
wurde – nämlich diesen Teil des Unterrichts<br />
ernster zu nehmen.<br />
Nun, es war immerhin ein beruhigendes<br />
Gefühl, daß die Prüfung so zufriedenstellend<br />
für mich ausgegangen war.<br />
Das Lagerfeuer<br />
Da hatte ich mal in einer Plauderstunde<br />
mit meinen Schülern über Lagerfeuer gesprochen.<br />
Die Folge waren Zurufe und<br />
Betteleien, doch auch ein solches Feuer im<br />
Walde machen zu dürfen. Na ja, ich<br />
konnte nicht widerstehen und stimmte zu.<br />
Die Klasse war aber zu groß, zu groß waren<br />
vor allem die Altersunterschiede. Also:<br />
zwei Lagerfeuer!<br />
Das Vorrecht des ersten Feuers bekamen<br />
die 5. und 6. Klässler, die so eifrig Holz gesammelt<br />
haben, daß es ein prima Feuer<br />
für sie gegeben hätte, wenn nicht die 7.<br />
und 8. Klässler so frei gewesen wären, das<br />
Holz zu beschlagnahmen. Trotzdem ging<br />
die Sache ohne Streit aus, die Feuer<br />
brannten und alle waren zufrieden. Dann<br />
erwachte der Abenteuergeist. Die Kleinen<br />
hatten Stricke mitgebracht, um einander<br />
zu fesseln. Die Mädchen fl üchteten sich<br />
nach einigen Lassowürfen immer dichter<br />
in meine Nähe.<br />
Die ersten Zeugnisse, die ich selber<br />
schreiben durfte.<br />
Es war schon eine schwere Aufgabe, die<br />
Kinder gerecht zu beurteilen. Was sollte<br />
man die Kinder strafen, wenn sie nichts<br />
wußten, weil man selbst sich unklar ausgedrückt<br />
hatte? In einigen Fächern habe<br />
ich ein System angewendet, das ich<br />
früher bei Lehrern, die mein Zeugnis ausstellten,<br />
vermutet hatte: Die Zensur des<br />
Vorgängers wird nach kurzem oder langem<br />
Zögern einfach übernommen!<br />
Ob die Kinder es bemerkten, das wurde<br />
mir bald klar, als sie die Zeugnisse in den<br />
Händen hatten. Widerstreben war nicht<br />
berade zu bemerken – aber die Enttäuschung<br />
fi ndet bei einigen Schülern immer<br />
einen Unterschlupf!<br />
Sobald ich die Zeugnisse mit den Unterschriften<br />
wieder im Regal verstaut hatte,<br />
war die Unsicherheit eher dem Stolz gewichen<br />
– endlich auch schicksalsbestimmend<br />
zu wirken – sofern ein Herbstzeugnis<br />
in das Leben eines Menschen so tief<br />
eingreifen kann.<br />
Ich war am meisten stolz auf ganze 37<br />
Unterschriften, die ich fertiggebracht<br />
hatte, ohne mich auch nur einmal zu verschreiben.<br />
Nach den Ferien begann die herbstliche<br />
Feldarbeit und die Obsternte. Die Weinlese,<br />
„Herbsten” genannt, habe ich auch<br />
mitgemacht. Etwas enttäuscht war ich insofern,<br />
als das Ganze zu wenig gemütlich<br />
und festlich war. Es hatte eher den Charakter<br />
einer Hamsterernte. Es wurde verglichen<br />
und getratscht, statt gesungen.<br />
Die Radtour<br />
Noch im Oktober hatte ich mit den Kindern<br />
der Oberklasse eine Radtour nach<br />
Schwäbisch Hall angesetzt, die vom Schulrat<br />
sicher niemals genehmigt worden<br />
wäre.<br />
[Die Entfernung wurde durch den Umstand<br />
sehr vergrößert, daß man von <strong>Cleversulzbach</strong><br />
zunächst nach Bad Wimpfen<br />
fahren musste, um dort die bestellten Jugendherbergs-Ausweise<br />
abzuholen!]<br />
Es war ein herrlicher Spätherbsttag, und<br />
die Gruppe – darunter Frieder Hübener,<br />
Werner Schlegel und die Mädchen der 8.<br />
Klasse: Anita Schreck und Doris Stephan,<br />
sowie die zwei Siebklässlerinnen Ruth<br />
Bräuninger und Edelgard Bordt – machte<br />
zum ersten Mal in den Löwensteiner Ber-
gen Rast. Danach bekamen es dann alle<br />
recht mit der Angst zu tun, denn wir wurden<br />
Zeugen eines Unfalls. Ein Knabe von<br />
11 Jahren war wohl aus einer Nebenstraße<br />
in ein Auto gelaufen und lag nun in eine<br />
Wolldecke verpackt neben der weinenden<br />
Mutter. Mir wurde da klar, was ich für eine<br />
Verantwortung auf mich geladen hatte.<br />
Das Quartier war leer – die Jugendherberge<br />
wurde nur von uns bewohnt. So<br />
hatten wir es uns bald bequem gemacht,<br />
und wir fanden es hier in Hall so prima,<br />
daß wir nicht mehr weiter nach Rothenburg<br />
wollten – wie ursprünglich eigentlich<br />
geplant. Dann passierte etwas Ärgerliches:<br />
Edelgard Bordt bekam am 2. Tag so starke<br />
Schmerzen, daß ich es für besser hielt, die<br />
Das Schulhaus vom Hof aus gesehen, 1962<br />
Mutter anzurufen. Ich bekam wieder Angst<br />
– aber alles verlief noch zu meinen Gunsten,<br />
denn Edelgards Mutter kam und holte<br />
die Tochter ab: Diese war zuvor schon<br />
krank gewesen und hatte ihre Mutter und<br />
mich angeschwindelt, daß es ihr gut gehe.<br />
Da hab ich noch mal Glück gehabt, daß ihr<br />
Gesundheitszustand nicht Folge der Anstrengung<br />
während der Fahrt war.<br />
So haben wir die Rückfahrt ohne Edelgard<br />
antreten müssen.<br />
Die Aufzeichnungen von Fräulein Freimann<br />
über ihre Schulzeit enden mit einigen<br />
Bildern aus dem Fotobuch ihrer Praktikantinnen<br />
Monika Gebhardt und Ingrid<br />
König.<br />
429
430<br />
„Und die Jungen kamen doch zu ihrem<br />
geliebten Fußballspiel!“<br />
(Im Hintergrund das freistehende Lehrerwohnhaus<br />
am Ortsausgang Brettacher<br />
Straße)<br />
Fräulein Freimann vor ihrer Klasse<br />
Ein Theaterstück<br />
wird geprobt
Das Gasthaus „Zum Turmhahn“<br />
Die Vermieterin Margarete Seebold<br />
Traubenlese anno 1962 (im Bild rechts Frl. Freimann neben Margarete Seebold)<br />
431
432<br />
Bildnachweis<br />
Die Mehrzahl der Fotografi en, größtenteils<br />
bisher unveröff entlicht, stammt aus privaten<br />
Sammlungen, besonders von Einwohnern<br />
aus <strong>Cleversulzbach</strong>, aber auch von<br />
Privatpersonen aus Brettach, Neuenstadt<br />
und Ravensburg, die in besonderer Weise<br />
mit <strong>Cleversulzbach</strong> verbunden sind. Sie<br />
alle haben auf diese Weise zum Gelingen<br />
des Projektes „Heimatbuch“ beigetragen.<br />
Fotografi en, historische Postkarten oder<br />
Grafi ken wurden uns auch von ortsansässigen<br />
Firmen zur Verfügung gestellt, von<br />
Wolfgang Domesle (Flein), aus seiner Postkartensammlung,<br />
von Vereinen, von der<br />
Stadtverwaltung Neuenstadt am Kocher,<br />
vom Landratsamt Heilbronn/Vermessungsamt,<br />
vom Kreisarchiv Heilbronn sowie vom<br />
Landesarchiv Baden-Württemberg/Hauptstaatsarchiv<br />
Stuttgart. Ihnen allen gilt unser<br />
aufrichtiger Dank. Ebenso durften wir<br />
mit freundlicher Genehmigung Abbildungen<br />
und Fotografi en aus der Festschrift<br />
zum 75-jährigen Bestehen des Motor-<br />
sportclubs Heilbronn (MCH) 1978 von<br />
Frank Mentel, aus der Festschrift zum<br />
150-jährigen Bestehen der Feuerwehr<br />
Neuenstadt 2011, und aus „Am Brunnen<br />
vor dem Tore“, der geschichtlichen und<br />
heimatkundlichen Beilage zum Amtsblatt<br />
der Stadt Neuenstadt und ihrer Teilorte,<br />
entnehmen. Zahlreiche Abbildungen<br />
stammen aus dem Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong><br />
sowie auch aus dem Mörike-Museum<br />
<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />
Über die Herkunft aller Abbildungen kann<br />
gerne beim Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, bei<br />
den beteiligten Autoren oder bei der<br />
Stadtverwaltung Neuenstadt am Kocher<br />
nachgefragt werden.<br />
Nicht zuletzt die Autoren selbst trugen<br />
vielfach mit eigenen Aufnahmen zur Bebilderung<br />
bei.<br />
Den Buchumschlag gestalteten Michael<br />
Koszt aus Neuenstadt am Kocher und Elke<br />
Pfeifer von formx-design in Schwäbisch<br />
Hall.