„Familien früh stärken in Südtirol“ Bindung – das „emotionale Band ...
„Familien früh stärken in Südtirol“ Bindung – das „emotionale Band ...
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<strong>„Familien</strong> <strong>früh</strong> <strong>stärken</strong> <strong>in</strong> <strong>Südtirol“</strong><br />
Modul: Familien <strong>stärken</strong><br />
B<strong>in</strong>dung <strong>–</strong> <strong>das</strong> <strong>„emotionale</strong> <strong>Band</strong>“<br />
zwischen Eltern und K<strong>in</strong>dern<br />
Johannes Huber
Herausgeber Autonome Prov<strong>in</strong>z Bozen-Südtirol<br />
Abteilung 24 - Familie und Sozialwesen<br />
Familienservicestelle<br />
Kanonikus-Michael-Gamper-Str. 1<br />
39100 Bozen<br />
Tel. 0471/418207, Fax 0471/418249<br />
familienservicestelle@prov<strong>in</strong>z.bz.it<br />
www.prov<strong>in</strong>z.bz.it/sozialwesen<br />
Projektleitung <strong>„Familien</strong> <strong>früh</strong> <strong>stärken</strong> <strong>in</strong> <strong>Südtirol“</strong> <strong>–</strong> e<strong>in</strong> Projekt der Freien Universität Bozen<br />
im Auftrag der Autonomen Prov<strong>in</strong>z Bozen - Südtirol<br />
Projektleitung Prof. Dr. mult. Dr. h.c. mult. Wassilios E. Fthenakis<br />
ProjektmitarbeiterInnen: Marion Brandl, Umberta Dal Cero, Johannes Huber<br />
Mitglieder der<br />
Steuerungsgruppe Eugenio Bizzotto, Wassilios Fthenakis, Gerlach Barbara, Günther Mathà,<br />
Gudrun Schmid, Michaela Stockner, Gerwald Wallnöfer, Weis Barbara<br />
Mitglieder der<br />
Fachkommission Alexandra Adler, Beatrix Aigner, Irmgard Bayer-Kiener, Giorgio Bissolo, Eugenio<br />
Bizzotto, Renza Celli, Erw<strong>in</strong> Demichiel, Astrid Di Bella, Liliana Di Fede, Gerhard<br />
Duregger, Stefan Eikemann, Alexa Filippi, Toni Fiung, Brigitte Froppa,<br />
Wassilios Fthenakis, Tanja Hofer, Doris Jaider, Christa Ladurner, Eva Margherita<br />
Lanthaler, Irmgard Lantscher, Luigi Loddi, Giuseppe Maiolo, Fernanda<br />
Mattedi, Christa Messner, Klara Messner, V<strong>in</strong>zenz Mittelberger, Klaus<br />
Nothdurfter, Edith Ploner, Gudrun Schmid, Arnold Schuler, Josef<strong>in</strong>e<br />
Tappe<strong>in</strong>er Ludwig, Katia Tenti, Monica Turatti, Gabriella Vianello Nardelli,<br />
Rosmarie Viehweider, Deborah Vis<strong>in</strong>ta<strong>in</strong>er, Stefan Walder, Barbara Weis,<br />
Stefan Zublas<strong>in</strong>g<br />
Lektorat Eva Killmann von Unruh, München<br />
Layout Dipl. Mediendesigner<strong>in</strong> (BA) Cornelia Kocher, www.cokodesign.de<br />
Fotos Jochen Fiebig, Familie Blasius, Familie Huber<br />
Dank PD Dr. Fabienne Becker-Stoll, Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt<br />
Stand Mai 2010
2<br />
Inhalt<br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
1 Was genau ist „B<strong>in</strong>dung“? Welche Funktion erfüllt sie?<br />
1.1 B<strong>in</strong>dungsentwicklung <strong>–</strong> mehr als nur die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des<br />
1.2 B<strong>in</strong>dung als „psychisches Grundbedürfnis“<br />
2 Wie entwickelt sich die B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />
2.1 Die Beziehungsaufnahme beg<strong>in</strong>nt schon vorgeburtlich<br />
2.2 Stufen der B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />
2.3 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als <strong>in</strong>teraktiver Prozess<br />
2.4 B<strong>in</strong>dungserfahrungen werden vom K<strong>in</strong>d ver<strong>in</strong>nerlicht<br />
2.5 B<strong>in</strong>dungserfahrungen wirken sich auf die Entwicklung des Gehirns aus<br />
2.6 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als lebenslanger Prozess<br />
3 Woran erkennt man e<strong>in</strong>e „gute“ B<strong>in</strong>dung?<br />
3.1 Trennungs- und Wiedervere<strong>in</strong>igungssituationen als „Gradmesser“ der B<strong>in</strong>dungsqualität im<br />
<strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>desalter<br />
3.2 Die drei (vier) Typen der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
4 Welche Faktoren bee<strong>in</strong>flussen die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen<br />
Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />
4.1 Die Qualität der Fürsorge<br />
4.2 Das Temperament des Säugl<strong>in</strong>gs<br />
4.3 Der erweiterte systemische Kontext<br />
5 Generationsübergreifende Weitergabe von B<strong>in</strong>dungs(un)sicherheit<br />
5.1 Das <strong>in</strong>nere Modell von B<strong>in</strong>dung der Eltern als vermittelnde E<strong>in</strong>flussgröße<br />
5.2 Unterschiedliche B<strong>in</strong>dungsmuster der Eltern führen zu unterschiedlichen Kommunikationsmustern<br />
mit dem Säugl<strong>in</strong>g<br />
5.3 Das Konzept der Mentalisierung (Theory of M<strong>in</strong>d)<br />
H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen Merksätze<br />
Erfahrungsort Praxis Lese- und Internet-Tipps
6 Explorationssicherheit <strong>–</strong> die zweite Dimension „psychischer Sicherheit“<br />
im Leben e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
7 Der „Kreis der Sicherheit“ und der „Kreis begrenzter Sicherheit“<br />
8 Auswirkungen der B<strong>in</strong>dungsqualität auf andere Entwicklungsbereiche<br />
9 Die Rolle der außerfamiliären Betreuung und ihr E<strong>in</strong>fluss auf die B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
9.1 E<strong>in</strong>gewöhnung und B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />
9.2 Geschlechtsspezifische Aspekte der Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung<br />
10 Methoden der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />
10.1 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im K<strong>in</strong>desalter<br />
10.1.1 Beobachtungsmethoden für K<strong>in</strong>der bzw. Eltern und K<strong>in</strong>d<br />
10.1.2 Projektive Verfahren für K<strong>in</strong>der<br />
10.1.3 Interviewverfahren für K<strong>in</strong>der<br />
10.2 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im Jugend- und Erwachsenenalter<br />
10.2.1 Interviewverfahren<br />
10.2.2 Projektive Verfahren<br />
10.3 Fragebogen<strong>in</strong>strumente <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />
11 Handlungsempfehlungen für Eltern<br />
11.1 Allgeme<strong>in</strong>e Grundsätze<br />
11.2 Für die ersten Wochen und Monate<br />
11.3 Wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langsam selbstständiger wird<br />
11.4 Zum Schutz vor persönlicher Überforderung<br />
12 B<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Interventionsansätze im Bereich der Prävention<br />
12.1 Interventionsebenen b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Maßnahmen<br />
12.2 Methoden b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Frühförderprogramme<br />
12.3 Ausgewählte Programme<br />
12.3.1 SAFE® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern<br />
12.3.2 STEEP <strong>–</strong> Steps toward effective, enjoyable parent<strong>in</strong>g<br />
12.3.3 PALME® <strong>–</strong> Präventives Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter geleitet von<br />
ErzieherInnen<br />
12.3.4 Entwicklungspsychologische Beratung für junge Eltern (Ulmer Modell)<br />
Resümee & Ausblick<br />
Literatur<br />
3
4<br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
„B<strong>in</strong>dung ist <strong>das</strong> gefühlsgetragene <strong>Band</strong>, <strong>das</strong> e<strong>in</strong>e Person zu e<strong>in</strong>er anderen spezifischen Person anknüpft<br />
und <strong>das</strong> sie über Raum und Zeit mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det“ (John Bowlby).<br />
Kommt e<strong>in</strong> Baby auf die Welt und die Blicke von Säugl<strong>in</strong>g und Mutter oder Vater treffen sich zum<br />
ersten Mal, entfacht sich e<strong>in</strong> Zauber, der selbst außenstehende Beobachter anrührt und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bann<br />
zieht. Vieles von dem, was für Eltern vorher wichtig und dr<strong>in</strong>gend war, tritt nach der Geburt des K<strong>in</strong>des<br />
urplötzlich <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Mutter und Vater werden von ihrem Säugl<strong>in</strong>g emotional „angesteckt“<br />
und verlieben sich auf Anhieb <strong>in</strong> ihr K<strong>in</strong>d. Es werden Kräfte <strong>in</strong> ihnen mobilisiert, welche sie sich unter<br />
Umständen vorher gar nicht zugetraut hätten.<br />
Nun könnte man der beschriebenen Szene und den ihr <strong>in</strong>newohnenden Kräften volles Vertrauen schenken<br />
und an die quasi „Naturwüchsigkeit“ gelungener Interaktionsprozesse zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d glauben,<br />
welche die Basis e<strong>in</strong>er gesunden k<strong>in</strong>dlichen Entwicklung darstellen. Nach mehr als fünf Jahrzehnten<br />
<strong>in</strong>tensiver Theorieentwicklung, Forschung und Praxis über die Natur der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung können<br />
wir heute mit Sicherheit zweierlei D<strong>in</strong>ge sagen:<br />
1. Eltern verfügen über e<strong>in</strong>e „natürliche Kompetenz“ für den Umgang mit ihren K<strong>in</strong>dern und wissen<br />
pr<strong>in</strong>zipiell, was diese für e<strong>in</strong>e gesunde Entwicklung brauchen.<br />
2. Diese <strong>in</strong>tuitive Kompetenz kann von Eltern, obwohl sie ihre K<strong>in</strong>der meist abgöttisch lieben, nicht<br />
immer bzw. automatisch so h<strong>in</strong>reichend gut umgesetzt werden, als es den jeweiligen Entwicklungsbedürfnissen<br />
des K<strong>in</strong>des im E<strong>in</strong>zelfall entspricht.<br />
Die Ursachen für derartige, die <strong>in</strong>tuitive Erziehungskompetenz der Eltern untergrabenden Belastungen<br />
s<strong>in</strong>d zahlreich und liegen manchmal auch außerhalb des E<strong>in</strong>flussbereiches vieler Eltern. Hier geht es<br />
zum Beispiel um die zunehmende Verknappung von Zeit durch steigende berufliche Anforderungen,<br />
e<strong>in</strong>e grundsätzlichen Verunsicherung (junger) Eltern bezüglich ihrer Erziehungskompetenz angesichts<br />
vielfacher und teilweise konkurrierender „richtiger“ Erziehungsideologien, die fehlende pädagogischpsychologische<br />
wie auch alltagsweltlich-praktische Unterstützung <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en Zeit der<br />
(Erst-)Elternschaft oder die Bee<strong>in</strong>trächtigung durch eigene (evtl. unbewusste) autobiografische „seelische<br />
Verletzungen“ oder gar Traumatisierungen aus der eigenen K<strong>in</strong>dheit.<br />
Vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser möglichen H<strong>in</strong>dernisse für die Ausübung e<strong>in</strong>er kompetenten Elternrolle,<br />
welche auch die Ausbildung e<strong>in</strong>er stabilen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d<br />
bee<strong>in</strong>trächtigen können, bedarf es <strong>früh</strong> e<strong>in</strong>setzender Unterstützungsmaßnahmen für Eltern <strong>in</strong> der<br />
Interaktion mit ihrem K<strong>in</strong>d. Hierbei s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere solche Maßnahmen langfristig Erfolg
versprechend, welche <strong>in</strong> konstruktiver Weise an den <strong>in</strong>tuitiven Kompetenzen der Eltern und an ge-<br />
lungenen Interaktionsprozessen zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d anknüpfen und diese zu ver<strong>stärken</strong> versu-<br />
chen (Ressourcenorientierung). Gleichzeitig müssen dysfunktionale und gestörte Interaktionsprozesse<br />
zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d erkannt, an Beispielen (z. B. mittels Videographie) veranschaulicht und <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em für Eltern gedanklich und emotional nachvollziehbaren Tempo lösungsorientiert bearbeitet wer-<br />
den. Hierbei kommt es darauf an, Eltern konkretes Handlungswissen zu vermitteln, was sie wann wie<br />
tun können, um die Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d erfolgreich (d. h. zur Zufriedenheit aller Beteiligten)<br />
zu gestalten. Dabei sollten e<strong>in</strong>zelne Handlungsschritte immer unter Berücksichtigung der subjektiven<br />
Vorstellungen der Eltern selbst und der bei ihnen dadurch ausgelösten Empf<strong>in</strong>dungen „rückgekoppelt“<br />
werden: Konkretes Handlungswissen kann nur dann erfolgreich se<strong>in</strong>, wenn Eltern dieses (relativ) frei<br />
von Widerständen und Ambivalenzen <strong>in</strong> positiver Weise umsetzen können.<br />
Positive Interaktionserfahrungen mit dem K<strong>in</strong>d wirken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art „Feedbackschleife“ auf die Eltern<br />
zurück und <strong>stärken</strong> ihr Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen bzw. bauen Schuld- und<br />
„Versagensgefühle“ bezüglich der eigenen Elternrolle ab. Dies vermittelt wiederum dem K<strong>in</strong>d die<br />
lebensnotwendige gefühlte Sicherheit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sozialen Umwelt. Die Zusammenarbeit mit den Eltern<br />
wird dabei stets getragen von der wertschätzenden Grundannahme, <strong>das</strong>s jeder Elternteil <strong>das</strong> Beste für<br />
se<strong>in</strong>/ihr K<strong>in</strong>d erreichen will, es aber <strong>in</strong> manchen Situationen eventuell (noch) nicht ganz schafft, die<br />
Bedürfnisse se<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des angemessen zu befriedigen.<br />
Im Folgenden soll zunächst e<strong>in</strong> Überblick über die wichtigsten Grundannahmen und Konzepte der<br />
B<strong>in</strong>dungstheorie gegeben werden. Im Anschluss werden praktische Handlungsempfehlungen für Eltern<br />
sowie e<strong>in</strong> Überblick über gegenwärtige, b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Interventionskonzepte der<br />
Prävention und entwicklungsorientierten Beratung angeführt.<br />
5
1<br />
6<br />
Was genau ist „B<strong>in</strong>dung“?<br />
Welche Funktion erfüllt sie?<br />
Vergegenwärtigen wir uns hierzu noch e<strong>in</strong>mal die anfangs beschriebene Ausgangssituation: E<strong>in</strong>e Mutter oder<br />
e<strong>in</strong> Vater nimmt se<strong>in</strong>en gerade auf die Welt gekommenen Säugl<strong>in</strong>g auf den Arm, lässt sich von dessen<br />
Anblick emotional verzaubern und anstecken. Welche Gedanken, welche Gefühle löst der Anblick des<br />
Neugeborenen aus? Beschützungstendenzen, aktives Forschen nach den augenblicklichen Bedürfnissen<br />
des Säugl<strong>in</strong>gs, Vorsichtigkeit im Umgang mit dem Körper des K<strong>in</strong>des, Liebkosungen des K<strong>in</strong>des <strong>–</strong> diese<br />
Gefühle stellen sich meist ganz automatisch e<strong>in</strong>.<br />
Die angeborenen Verhaltensprogramme der Bezugsperson für die sogenannten Fürsorge- und Pflege-<br />
handlungen erfüllen die Funktion, dem existenziell abhängigen Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Pflegeperson an die Seite<br />
zu stellen, die für die Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des sorgt und damit se<strong>in</strong> Über-<br />
leben sichert. Der Säugl<strong>in</strong>g sendet hierzu spezifische, angeborene Kommunikationszeichen aus (z. B.<br />
We<strong>in</strong>en, Schreien) und zeigt sogenannte B<strong>in</strong>dungsverhaltensweisen („Attachment behaviour“), welche<br />
der Pflegeperson unmissverständlich signalisieren, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d im Moment existentielle Bedürfnisse<br />
hat, die es aber aufgrund se<strong>in</strong>er körperlich-psychischen Unreife noch nicht selbstständig befriedigen<br />
kann und deswegen der Unterstützung bedarf.<br />
H<strong>in</strong>ter den konkreten Verhaltensweisen der Pflegeperson bzw. des K<strong>in</strong>des stehen sogenannte „Verhal-<br />
tenssysteme“: Das Fürsorge- und <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem s<strong>in</strong>d evolutionsbiologisch verankerte,<br />
komplementäre Verhaltensprogramme, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em permanenten Abstimmungs- und Wechsel-<br />
wirkungsprozess bef<strong>in</strong>den und die primäre Funktion erfüllen, <strong>das</strong> Überleben des K<strong>in</strong>des zu garantieren.<br />
B<strong>in</strong>dung gewährt Nähe (zur Pflegeperson), Nähe gewährt Schutz, Schutz erhöht die Überlebenswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
des K<strong>in</strong>des.<br />
Interaktionale Verhaltenssysteme von B<strong>in</strong>dung und Fürsorge
1.1 B<strong>in</strong>dungsentwicklung <strong>–</strong> mehr als nur die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des<br />
Die gegenseitige Verschränkung von Fürsorge- und B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem, welche aus Sicht des K<strong>in</strong>des<br />
vor allem <strong>in</strong> der Funktion der Überlebenssicherung bzw. der Versorgung mit ausreichend Nahrung,<br />
der Wärmeregulation, der äußeren Gefahrenabwehr steht, könnte leicht dazu verleiten, sich bei der<br />
Beschreibung der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion ausschließlich auf die körperlichen Prozesse beim K<strong>in</strong>d und<br />
deren Versorgung durch die Pflegeperson zu beschränken. Die Logik könnte lauten: Wenn der Säugl<strong>in</strong>g<br />
satt, sauber und an e<strong>in</strong>em sicheren und warmen Ort „aufbewahrt“ wird, ist für se<strong>in</strong>e gedeihliche Entwicklung<br />
ausreichend gesorgt. Die E<strong>in</strong>stellung, K<strong>in</strong>der könnten sich alle<strong>in</strong> durch e<strong>in</strong>e angemessene<br />
Ernährung und Gesundheitsfürsorge normal von selbst entwickeln, galt bei vielen pädagogischen<br />
und psychologischen Fachkräften teilweise noch bis <strong>in</strong> die Mitte des vorigen Jahrhunderts h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong> gültige und anerkannte Erziehungsideologie. Systematische Untersuchungen an Heim- und<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gsk<strong>in</strong>dern, die häufig wechselnder oder gar fehlender sozialer Betreuung <strong>in</strong> E<strong>in</strong>richtungen ausgesetzt<br />
s<strong>in</strong>d, deckten den folgenschweren Irrtum dieser bis dah<strong>in</strong> gängigen Lehrme<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> den 1940erund<br />
1950er-Jahren jedoch auf. Insbesondere konnte gezeigt werden, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der von Anfang an zuverlässige<br />
und fe<strong>in</strong>fühlige Bezugspersonen brauchen, um enge sozio-emotionale <strong>Band</strong>e zu ihrer Umwelt<br />
aufzubauen. Erfolgt dies nicht, haben solche K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Überlebenswahrsche<strong>in</strong>lichkeit oder<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer sozial-emotionalen Entwicklung deutlich bee<strong>in</strong>trächtigt (vgl. Spitz 1945).<br />
B<strong>in</strong>dung wird neben Nahrungsaufnahme und Sexualität als eigenständiges, primäres menschliches<br />
Bedürfnis angesehen.<br />
Diese Erkenntnisse lenkten den Blick von Forschern und Praktikern auf die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung.<br />
Obwohl die Füttersituation (z. B. über <strong>das</strong> Stillen) ohne Zweifel e<strong>in</strong>en wichtigen Handlungskontext für<br />
die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung darstellt, ist die B<strong>in</strong>dungsentwicklung per se dennoch<br />
nicht abhängig von der Befriedigung von Hunger. K<strong>in</strong>der entwickeln nämlich ebenso e<strong>in</strong>e vertrauens-<br />
volle B<strong>in</strong>dungsbeziehung zu Familienmitgliedern, die sie nur selten füttern, oder gar zu kuscheligen<br />
Objekten wie Teddybären oder Decken (nach dem englischen K<strong>in</strong>derpsychoanalytiker Donald<br />
W<strong>in</strong>nicott sog. „Übergangsobjekte“). Darüber h<strong>in</strong>aus setzt die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbe-<br />
ziehung zwischen K<strong>in</strong>d und Bezugsperson nicht zwangsläufig die biologische Verwandtschaft voraus<br />
(Bowlby 1980/2003, 1991/2003).<br />
7
8<br />
Die Entwicklung der B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d wird durch angeborene (evolutionsbiologische)<br />
Verhaltensprogramme gesteuert, die <strong>in</strong>sbesondere <strong>das</strong> physiologische Überleben des K<strong>in</strong>des sichern<br />
(Hunger stillen, Wärme herstellen etc.). Das Pflege- und Fürsorgeverhalten der Betreuungsperson wird<br />
dabei durch die B<strong>in</strong>dungsverhaltensweisen des K<strong>in</strong>des aktiviert.<br />
Die Ausbildung e<strong>in</strong>er ebenso überlebensnotwendigen vertrauensvollen B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen<br />
Eltern und K<strong>in</strong>d wird entscheidend von der regelmäßigen Verfügbarkeit und Fe<strong>in</strong>fühligkeit der Bezugsperson<br />
bestimmt, die nicht notwendigerweise für die körperliche Versorgung (<strong>in</strong>kl. Stillen) des K<strong>in</strong>des<br />
zuständig und auch nicht unbed<strong>in</strong>gt biologisch verwandt se<strong>in</strong> muss.<br />
1.2 B<strong>in</strong>dung als „psychisches Grundbedürfnis“<br />
B<strong>in</strong>dung stellt e<strong>in</strong> psychisches Grundbedürfnis dar, <strong>das</strong> unabhängig vom Nahrungstrieb existiert und<br />
nicht durch anderweitige Ersatzmittel befriedigt werden kann. Neben B<strong>in</strong>dung werden nach den beiden<br />
amerikanischen Motivationsforschern Deci und Ryan (1995) auch noch die psychischen Grundbedürfnisse<br />
von Kompetenz und Autonomie unterschieden.<br />
Das Grundbedürfnis nach B<strong>in</strong>dung steht für <strong>das</strong> Bedürfnis, enge zwischenmenschliche Beziehungen<br />
e<strong>in</strong>zugehen, sich sicher gebunden zu fühlen und sich als liebesfähig und liebenswert zu erachten. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus hat e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die angeborene Motivation zu e<strong>in</strong>er effektiven Interaktion mit der Umwelt, durch<br />
die positive Ergebnisse erzielt und negative verh<strong>in</strong>dert werden können (Kompetenz), und <strong>in</strong>nerhalb der<br />
sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d persönlich autonom und <strong>in</strong>itiativ erfahren kann (Autonomie).<br />
K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d von Geburt an soziale Wesen und darauf ausgerichtet, mit den sie umgebenden Menschen<br />
Beziehungen aufzubauen. Von Anfang an wird zwischen K<strong>in</strong>d und Eltern wechselseitig kommuniziert und<br />
<strong>in</strong>teragiert. Dies geschieht durch Lautäußerungen (zunächst We<strong>in</strong>en, später Lachen und Vokalisieren) und<br />
die Körpersprache (Anschauen, Lächeln, Strampeln, Zuwenden, Arme ausstrecken). Dabei werden nicht<br />
nur die Signale des K<strong>in</strong>des von den Eltern wahrgenommen und beantwortet, sondern <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d baut aktiv<br />
Beziehungen zu se<strong>in</strong>er sozialen Umwelt auf und kann sich, wenn se<strong>in</strong>e Signale beantwortet werden, als<br />
<strong>in</strong>itiativ und selbstwirksam erleben.<br />
(Becker-Stoll 2007)<br />
Für die weitere sozial-emotionale Entwicklung des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d diese <strong>früh</strong>en Interaktionsprozesse<br />
essentiell und nicht anderweitig kompensierbar. Ohne den Aufbau e<strong>in</strong>er vertrauensvollen und Sicher-<br />
heit spendenden B<strong>in</strong>dungsbeziehung zu m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>er primären B<strong>in</strong>dungsperson können sich Babys<br />
nicht optimal körperlich und psychisch entwickeln.
Was me<strong>in</strong>t der Begriff „B<strong>in</strong>dung“?<br />
In der B<strong>in</strong>dungstheorie hat der Begriff „B<strong>in</strong>dung“ e<strong>in</strong>e spezifische Bedeutung. Er verweist nicht auf die Dauerhaftigkeit<br />
e<strong>in</strong>er Beziehung, sondern zum e<strong>in</strong>en auf die Aktivierung speziell des B<strong>in</strong>dungssystems und <strong>das</strong><br />
damit ausgelöste B<strong>in</strong>dungsverhalten (samt begleitenden Kognitionen und Affekten), sowie zum anderen auf<br />
die spezifische (subjektive) Qualität e<strong>in</strong>es Beziehungspartners als B<strong>in</strong>dungsperson.<br />
Das „B<strong>in</strong>dungssystem“ wurde von Bowlby explizit nicht als Trieb, sondern als „zielkorrigiertes Verhaltenssystem“<br />
def<strong>in</strong>iert, <strong>das</strong> primär durch Defiziterfahrungen aktiviert wird. Dazu gehören Erfahrungen von Unsicherheit<br />
(z. B. Kummer, Not, Krankheit, Müdigkeit, Unbehagen), tatsächlich oder verme<strong>in</strong>tlich drohende<br />
Trennungen von e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson, akute Bedrohungen (<strong>in</strong>sbesondere durch unbekannte Situationen<br />
oder fremde Personen) oder auch Reizüberflutung und Überstimulation.<br />
Als „B<strong>in</strong>dungsverhalten“ gelten all jene Verhaltensweisen, die dazu geeignet s<strong>in</strong>d, sich der Nähe bzw.<br />
Erreichbarkeit der B<strong>in</strong>dungsperson zu versichern. Die Qualität „B<strong>in</strong>dungsperson“ ist nicht durch e<strong>in</strong>e äußere<br />
Beziehungskategorie (z. B. Mutter, Geschwister) def<strong>in</strong>iert, sondern durch ihre spezifische Funktion und<br />
Bedeutung, die die Person <strong>in</strong> der Beziehung für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d hat.<br />
E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung zur B<strong>in</strong>dungsperson liegt demnach vor, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d bei Bedürfnissen nach Nähe,<br />
Sicherheit, Trost und Verständnis <strong>in</strong> schwierigen oder belastenden Situationen (Aktivierung des B<strong>in</strong>dungssystems)<br />
e<strong>in</strong>e stabile Neigung zeigt, die (körperliche) Nähe und den Kontakt zu e<strong>in</strong>er oder mehreren<br />
anderen spezifischen Person(en) zu suchen und aufrechtzuerhalten, die dem K<strong>in</strong>d subjektiv e<strong>in</strong> Gefühl von<br />
physiologischer und/oder psychologischer Sicherheit vermitteln (Qualität der B<strong>in</strong>dungsperson).<br />
Die <strong>früh</strong>en B<strong>in</strong>dungserfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit haben E<strong>in</strong>fluss darauf,<br />
wie b<strong>in</strong>dungsrelevante Situationen <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit und auch im späteren Erwachsenenalter erlebt und verarbeitetet<br />
werden und wie wir Gefühle diesbezüglich wahrnehmen und regulieren. Aus den Erfahrungen<br />
mit wichtigen B<strong>in</strong>dungspersonen entwickeln sich verschiedene B<strong>in</strong>dungsmuster, wobei e<strong>in</strong>e sichere, e<strong>in</strong>e<br />
unsicher-vermeidende, e<strong>in</strong>e unsicher-ambivalente und e<strong>in</strong>e unsicher-desorganisierte B<strong>in</strong>dung unterschieden<br />
werden. Je nach Lebensalter äußern sich diese B<strong>in</strong>dungsmuster auf unterschiedliche Art und Weise.<br />
(vgl. Höger 2002; www.b<strong>in</strong>dungsdiagnostik.de)<br />
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2<br />
10<br />
Wie entwickelt sich die B<strong>in</strong>dung<br />
zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />
2.1 Die Beziehungsaufnahme beg<strong>in</strong>nt schon vorgeburtlich<br />
Der Aufbau der B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d beg<strong>in</strong>nt schon <strong>in</strong> der vorgeburtlichen<br />
Phase. Der „direkte Draht“ der Mutter über die Nabelschnur zum K<strong>in</strong>d stellt auch aus psychologischer<br />
Sicht e<strong>in</strong> wichtiges Moment der Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung dar, <strong>das</strong> e<strong>in</strong>e unvergleichliche Beziehungsqualität<br />
zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d entstehen lassen kann. Auch wenn es hier noch zu ke<strong>in</strong>en direkten, von<br />
außen beobachtbaren Interaktionen zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d kommt <strong>–</strong> sieht man e<strong>in</strong>mal von<br />
den bedeutsamen K<strong>in</strong>dsbewegungen im Mutterleib und den elterlichen Reaktionen hierauf ab <strong>–</strong>, und<br />
damit aus b<strong>in</strong>dungstheoretischer Sicht streng genommen noch ke<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungs- und Fürsorgeverhaltensweisen<br />
auszumachen s<strong>in</strong>d, entwickeln Eltern nach Kenntnis der Schwangerschaft (evtl. auch schon<br />
vorher) doch viele Fantasien und Wunschvorstellungen <strong>in</strong> Bezug auf ihr K<strong>in</strong>d: Wird <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d gesund<br />
se<strong>in</strong>? Wird es e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Temperament haben? Wie wünsche ich mir, <strong>das</strong>s es aussieht? Welche Art<br />
von Förderung soll ihm später e<strong>in</strong>mal zugutekommen? Eltern entwickeln dabei möglicherweise e<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>neres Bild vom „idealen K<strong>in</strong>d“ (imag<strong>in</strong>iertes K<strong>in</strong>d), welches später mit dem „realen K<strong>in</strong>d“ <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />
gebracht werden muss. Die von Eltern wahrgenommenen K<strong>in</strong>dsbewegungen im Mutterleib<br />
können hierfür Auslöser wie auch Projektionsfläche für dem K<strong>in</strong>d zugeschriebene Eigenschaften se<strong>in</strong>:<br />
Was möchte es mir mit se<strong>in</strong>en „Tritten“ sagen? Nimmt es Kontakt mit mir auf ? Bestimmt wird es später<br />
e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> ganz aktives K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>.<br />
Aus wissenschaftlicher Sicht ist hier ergänzend anzumerken, <strong>das</strong>s bisher noch ke<strong>in</strong> Zusammenhang<br />
zwischen dem Schwangerschaftserleben der Mutter und der Qualität der postnatalen Mutter-K<strong>in</strong>d-<br />
B<strong>in</strong>dungsbeziehung nachgewiesen werden konnte (Munz 2002).<br />
Die größere biologische Nähe der Mutter zum K<strong>in</strong>d verh<strong>in</strong>dert nicht, <strong>das</strong>s auch Väter von dem vor-<br />
geburtlichen Vorstellungsprozess quasi „angesteckt“ und <strong>in</strong> diesen e<strong>in</strong>gebunden werden. Insofern kann<br />
von e<strong>in</strong>em „pränatalen Beziehungsdreieck“ gesprochen werden (von Klitz<strong>in</strong>g et al. 1999). Diese <strong>früh</strong>en<br />
„B<strong>in</strong>dungsprozesse“ auf der Vorstellungsebene s<strong>in</strong>d wichtig und helfen den emotionalen Raum vorzu-<br />
bereiten, <strong>in</strong> den <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren werden wird. Je ausgeglichener <strong>das</strong> vorgeburtliche Beziehungs-<br />
dreieck zwischen Mutter, Vater und K<strong>in</strong>d ist (jeder hat Zugang zum anderen und schließt niemanden<br />
anderen noch sich selbst aus) und je lebendiger und flexibler der elterliche Fantasieraum <strong>in</strong> Bezug auf<br />
die zukünftigen „Interaktion zu Dritt“ ausgestaltet ist, umso besser entwickelt sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langfristig<br />
(von Klitz<strong>in</strong>g & Bürg<strong>in</strong> 2005). Auf Väter kommt hierbei <strong>in</strong>sbesondere die Herausforderung zu, sich <strong>in</strong><br />
Anbetracht der symbiotischen Mutter-K<strong>in</strong>d-Dyade nicht ausgeschlossen zu fühlen, sondern sich als<br />
aktiver „Dritter im Bunde“ selbst zu begreifen und e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen (z. B. <strong>in</strong>dem der Vater am Bauch der<br />
Mutter nach den Bewegungen des K<strong>in</strong>des „lauscht“ oder die Mutter aktiv unterstützt und entlastet).
Der Beziehungsaufbau zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d (und ebenso Vater und K<strong>in</strong>d) beg<strong>in</strong>nt bereits vorgeburtlich<br />
auch auf der Vorstellungs- bzw. Fantasieebene. Je ausgeglichener und positiver die Vorstellungen der<br />
Eltern gegenüber ihrem zukünftigen K<strong>in</strong>d sowie ihrer zukünftigen „Interaktionen zu Dritt“ s<strong>in</strong>d, umso mehr<br />
werden e<strong>in</strong>e gelungene Anpassung an die zukünftige Elternschaft sowie e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung des K<strong>in</strong>des<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />
Die bei beiden Elternteilen ausgelösten Gedanken und Gefühle s<strong>in</strong>d dabei nicht immer durchwegs<br />
positiv getönt (und können es auch nicht se<strong>in</strong>). In die Freude und anfängliche Euphorie mischen sich<br />
auch mögliche Sorgen und Befürchtungen bezüglich der mit dem Übergang zur Elternschaft erwarteten<br />
Veränderungen (z. B. h<strong>in</strong>sichtlich des Gesundheitszustandes des K<strong>in</strong>des, der eigenen Partnerschaft,<br />
der zukünftigen Berufsausübung). Der auch als „Ambivalenz“ bezeichnete Gefühlszustand stellt an sich<br />
e<strong>in</strong>en normalen und dem Transitionsgeschehen geschuldeten Übergangszustand dar, der bei beiden<br />
Eltern e<strong>in</strong> gesundes Maß an Ambivalenztoleranz voraussetzt. Extreme Ambivalenzen und heftige<br />
negative Affekte bezüglich der Schwangerschaft lassen auf e<strong>in</strong>en tiefer gehenden, <strong>in</strong>nerseelischen Konflikt<br />
schließen, der e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>fühlsamen therapeutischen Begleitung bedarf. Generell ist diesen bei Müttern<br />
(wie Vätern) vorgeburtlich ablaufenden Prozessen verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken, um <strong>das</strong><br />
subjektive Stresserleben (<strong>in</strong>sbesondere der Mutter) zu m<strong>in</strong>imieren bzw. weitestgehende Sicherheit und<br />
Zuversicht <strong>in</strong> Bezug auf die anstehende Geburt zu erreichen. Studien belegen, <strong>das</strong>s pränataler Stress<br />
zu Früh- und Mangelgeburtlichkeit wie auch zu e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung der emotional-behavioralen<br />
Entwicklung des Säugl<strong>in</strong>gs führen kann (Wurmser 2007).<br />
Verunsicherungen und Ängste der werdenden Mutter können auch durch <strong>früh</strong>ere Fehl- oder Todge-<br />
burten verstärkt werden, die als Traumatisierung nachwirken und durch die neue Schwangerschaft<br />
„getriggert“ werden. In solchen Fällen ist neben der mediz<strong>in</strong>ischen Begleitung stets e<strong>in</strong>e kompetente<br />
psychosoziale Begleitberatung oder gegebenenfalls Psychotherapie <strong>in</strong>diziert (Brisch 2007a). Gleiches gilt<br />
für die im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik möglicherweise ausgelösten Unsicherheiten (Angst<br />
vor Fehlbildungen des K<strong>in</strong>des etc.).<br />
11
12<br />
Die Bedeutung der Fähigkeit zur „Ambivalenztoleranz“<br />
Als e<strong>in</strong>e wichtige persönliche Kompetenz, <strong>in</strong>sbesondere im Zusammenhang mit tiefer greifenden Veränderungsprozessen<br />
im Leben, ist die sogenannte „Ambivalenztoleranz“ zu nennen. Diese bezeichnet die<br />
Fähigkeit, sowohl die „guten“ als auch die „bösen“ Aspekte der E<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>er Situation gleichzeitig<br />
zulassen zu können und diese nicht als sich gegenseitig ausschließend anzusehen. Sowohl die positiven<br />
als auch die negativen Seiten e<strong>in</strong>es Ereignisses bzw. e<strong>in</strong>er Person können akzeptiert und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sowohlals-auch-Perspektive<br />
<strong>in</strong>tegriert werden. Negative Gedanken und Gefühle gegenüber dem künftigen K<strong>in</strong>d<br />
und der Übernahme der Elternrolle stellen somit ke<strong>in</strong>e „Gefahr“ für die guten und angenehmen Seiten des<br />
Ereignisses dar und werden als normaler Bestandteil e<strong>in</strong>er realistischen Gesamte<strong>in</strong>schätzung erlebt.<br />
Ist die Fähigkeit zur „Ambivalenztoleranz“ nicht h<strong>in</strong>reichend genug entwickelt (worden), kann dies zu e<strong>in</strong>er<br />
dysfunktionalen bzw. die Anpassung erschwerenden Aufspaltung der Situationswahrnehmung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „nur<br />
positive“ oder „nur negative“ Erlebnisweise führen. Insbesondere bei tief greifenden Umwälzungssituationen,<br />
wie sie auch der Übergang zur Elternschaft darstellt, kann die vormals bestehende psychische Stabilität<br />
(vorübergehend) e<strong>in</strong>er erhöhten Belastung ausgesetzt se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e ganzheitliche Wahrnehmung der<br />
Situation verh<strong>in</strong>dern. Eltern, die e<strong>in</strong>er solchen Wahrnehmungspolarisierung verfallen, sehen nur noch die<br />
negativen Aspekte der künftigen Elternschaft bzw. wehren alle positiven und bereichernden Aspekte dieser<br />
Entwicklungsherausforderung ab. Eventuell projizieren sie auch den eigenen Ärger und Aggressionen auf<br />
den/die Partner/<strong>in</strong>, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d oder die Gesamtsituation.<br />
Die Fähigkeit zur Ambivalenztoleranz ist somit e<strong>in</strong>e sehr wichtige Grundfähigkeit zur erfolgreichen Anpassung<br />
und Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft. Dieser gilt es <strong>in</strong> der praktischen Arbeit mit durch die<br />
werdende Elternschaft belasteten Müttern und Vätern gezielt Aufmerksamkeit zu schenken.<br />
Bereits <strong>in</strong> der vorgeburtlichen Phase wird die enge Verschränkung von körperlichen und seelisch-<br />
emotionalen Prozessen deutlich.<br />
2.2 Stufen der B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />
Die nachgeburtliche B<strong>in</strong>dungsentwicklung vollzieht sich dem gegenwärtigen Forschungsstand zufolge <strong>in</strong><br />
vier Phasen (vgl. Berk 2005; Oerter & Montada 2002; Siegler et al. 2005).<br />
1. Vorphase der B<strong>in</strong>dung (Geburt bis ca. 12 Wochen)<br />
In diesem Lebensabschnitt können wir noch nicht von e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung im eigentlichen S<strong>in</strong>ne sprechen.<br />
Vielmehr verhelfen angeborene Signale wie <strong>das</strong> Greifen, Lächeln, We<strong>in</strong>en oder der Blick <strong>in</strong> die Augen<br />
des Erwachsenen dem Säugl<strong>in</strong>g dazu, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en engen Kontakt mit anderen Menschen zu treten und sich<br />
deren Nähe zu „sichern“. Eltern reagieren mit ihrem Fürsorgeverhalten von Geburt an meist <strong>in</strong>tuitiv<br />
richtig auf die Signale ihres K<strong>in</strong>des, <strong>in</strong>dem sie mit dem Säugl<strong>in</strong>g beispielsweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dgerechten
Art und Weise, <strong>in</strong> der sogenannten Ammensprache („baby-talk“) kommunizieren. Es kommt <strong>in</strong> dieser<br />
<strong>früh</strong>en Entwicklungsphase vor allem auf fe<strong>in</strong>fühlige Kooperationen, sanfte Pflegeabläufe und Fürsorge<br />
zur Unterstützung der k<strong>in</strong>dlichen Regulationsfähigkeiten an. Dabei hat der Körper- und Hautkontakt<br />
zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und K<strong>in</strong>d von Anfang an e<strong>in</strong>e herausragende Bedeutung für die Ausbildung<br />
e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen beiden und e<strong>in</strong>e gesunde psychische Entwicklung des K<strong>in</strong>des. Insbe-<br />
sondere (aber nicht nur) bei zu <strong>früh</strong> geborenen K<strong>in</strong>dern erweist sich der Hautkontakt zwischen Baby<br />
und Eltern als überlebenswichtig. Babys erkennen <strong>in</strong> diesem Alter die eigene Mutter bereits am Geruch<br />
und an der Stimme. Allerd<strong>in</strong>gs zeigen Säugl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> diesem Alter noch ke<strong>in</strong>e Präferenz für e<strong>in</strong>e bestimmte<br />
B<strong>in</strong>dungsperson (z. B. die Mutter), was daran zu erkennen ist, <strong>das</strong>s es sie für gewöhnlich nicht irritiert,<br />
bei e<strong>in</strong>er ihnen unbekannten Person zu bleiben. Diese Phase wird deswegen auch als „Vorphase der<br />
B<strong>in</strong>dung“ bezeichnet.<br />
Babys s<strong>in</strong>d von Geburt an kommunikative und soziale Wesen. Sie verfügen über vielerlei Möglichkeiten,<br />
Aufmerksamkeit zu gew<strong>in</strong>nen. Achten Sie darauf, wie Babys Kontakt mit Ihnen herstellen, <strong>in</strong>dem sie den<br />
Kopf neigen, mit den Zehen wackeln, Ihnen <strong>in</strong> die Augen schauen, e<strong>in</strong>en Gegenstand hochhalten, lächeln<br />
und Laute von sich geben. „Gespräche“ mit Babys f<strong>in</strong>den durch körperliche Nähe, Blickkontakt, Berührungen<br />
und den richtigen E<strong>in</strong>satz der Stimme statt. Gehen Sie so auf Ihr Baby e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s es sich verstanden fühlt,<br />
wenn es hungrig, müde, glücklich, traurig oder e<strong>in</strong>sam ist und sprechen Sie <strong>das</strong> wahrgenommene Gefühl<br />
bewusst an.<br />
(Bertelsmann Stiftung & Staats<strong>in</strong>stitut für Frühpädagogik 2006)<br />
2. Phase des B<strong>in</strong>dungsaufbaus (ca. 12. Woche bis ca. 6. <strong>–</strong> 8. Monat)<br />
In diesem Entwicklungszeitraum durchläuft <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en „biosozialen Verhaltensschub“. Der Säugl<strong>in</strong>g<br />
beg<strong>in</strong>nt allmählich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Verhaltensreaktionen Unterschiede zwischen ihm vertrauten und unbekannten<br />
Personen zu machen. Das K<strong>in</strong>d zeigt e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tentionales „soziales Lächeln“, <strong>das</strong> sich vom vormaligen,<br />
eher reflexhaften Lächeln unterscheidet. Se<strong>in</strong> Orientierungsverhalten beschränkt sich zunehmend auf<br />
ihm bekannte Bezugspersonen. So lächelt, lacht und plappert e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Zeit ungeh<strong>in</strong>derter <strong>in</strong><br />
der Interaktion mit se<strong>in</strong>er vertrauten Bezugsperson und lässt sich von dieser auch schneller beruhigen<br />
als von fremden Personen. Indem <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d wiederholt die Erfahrung macht, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale bei<br />
den Bezugspersonen unmittelbare Reaktionen hervorrufen (z. B. bei Kummer getröstet zu werden),<br />
entwickelt es e<strong>in</strong> Gefühl von Vertrauen und Zuverlässigkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Bezugsperson. K<strong>in</strong>der zeigen <strong>in</strong><br />
diesem Alter allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>e Anzeichen von Trennungsprotest und Trennungsangst, wenn sich<br />
die primäre B<strong>in</strong>dungsperson entfernt.<br />
13
14<br />
3. Phase der ausgeprägten B<strong>in</strong>dung (ca. 6. <strong>–</strong> 8. Monat bis ca. 18. Monat)<br />
In diesem Entwicklungsstadium kann erstmals vom Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „richtigen“ B<strong>in</strong>dung zwischen<br />
Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d und Bezugsperson gesprochen werden. Beim K<strong>in</strong>d können e<strong>in</strong>e Reihe von Verhaltensmustern<br />
beobachtet werden, die Ausdruck für se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e bestimmte Person (meist die Mutter) s<strong>in</strong>d.<br />
In diesem Entwicklungsstadium ist <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d „geistig reif“, die B<strong>in</strong>dungsperson zu vermissen. So sucht es<br />
zum Beispiel nach Personen oder D<strong>in</strong>gen, die es nicht sieht. Die B<strong>in</strong>dungsperson ist <strong>das</strong> Zentrum der<br />
Orientierung und des Wohlbef<strong>in</strong>dens des K<strong>in</strong>des.<br />
Die Signale des K<strong>in</strong>des und se<strong>in</strong>e Orientierung oder Bewegungen dienen dazu, die Nähe zur Mutter<br />
herzustellen. Zu diesen Signalen gehören <strong>das</strong> „differenzierende We<strong>in</strong>en“, welches <strong>das</strong> Baby hören lässt,<br />
wenn es von jemand anderem (fremden) gehalten wird, und <strong>das</strong> sofort aufhört, wenn die Mutter <strong>das</strong><br />
K<strong>in</strong>d aufnimmt. Weiter zählen dazu <strong>das</strong> „differenzierende Lächeln und Vokalisieren“, bei dem <strong>das</strong> Baby<br />
<strong>in</strong> der Interaktion mit der Mutter deutlich mehr Signale als im Kontakt zu anderen Personen zeigt.<br />
Schließlich gehören auch <strong>das</strong> We<strong>in</strong>en und die Protestreaktionen des K<strong>in</strong>des beim Weggehen der Mutter<br />
sowie <strong>das</strong> Begrüßungsverhalten des K<strong>in</strong>des (gerichtetes Anlächeln, die Arme heben oder <strong>in</strong> die Hände<br />
klatschen und freudige Laute äußern) nach e<strong>in</strong>er Trennungsepisode dazu. Das K<strong>in</strong>d sucht somit aktiv<br />
Kontakt zu se<strong>in</strong>er ihm vertrauten Bezugsperson oder zeigt deutliches Unbehagen und Protest, wenn diese<br />
sich entfernen will. Sofern <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d körperlich dazu schon <strong>in</strong> der Lage ist, folgt es der B<strong>in</strong>dungsperson<br />
<strong>in</strong> der Trennungssituation, versucht an ihr hochzuklettern und ihre Gegenwart nicht zu verlieren. Die<br />
B<strong>in</strong>dungsperson wird zur „sicheren Basis“ des K<strong>in</strong>des (A<strong>in</strong>swort 1964/2003; Bowlby 1980/2003).<br />
Im Gegensatz zu e<strong>in</strong>em genetisch festgelegten, „<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv“ ablaufenden Verhalten, besteht die<br />
Besonderheit der Entwicklung der B<strong>in</strong>dungsbeziehung <strong>in</strong> deren Individualisierung. B<strong>in</strong>dung ist e<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>tensives, lang anhaltendes emotionales <strong>Band</strong> zu e<strong>in</strong>er ganz bestimmten Person, die nicht austauschbar<br />
ist (Bowlby 1987/2003).<br />
Die Spezifität der B<strong>in</strong>dung an besondere Personen wird <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres<br />
zunehmend deutlich, wenn weitere B<strong>in</strong>dungen zu dem K<strong>in</strong>d unbekannten Personen durch <strong>das</strong> soge-<br />
nannte Fremdeln („Acht-Monats-Angst“) erschwert werden. Das K<strong>in</strong>d differenziert zwischen vertrauten<br />
Personen, zu denen es e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung aufgebaut hat, und Fremden, zu denen ke<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung besteht.<br />
Durch die zunehmenden motorischen Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des wird die B<strong>in</strong>dungsperson während ihrer<br />
Gegenwart vom K<strong>in</strong>d als sichere Basis genutzt, von der aus <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d es sich zutrauen kann, die weitere<br />
Umgebung auszukundschaften, sowie sie für die Bewältigung se<strong>in</strong>er Kummererlebnisse (Trennung,
Anwesenheit fremder Personen, Krankheit etc.) zu benutzen. Die regelmäßige Rückkehr zur Mutter<br />
nach Phasen der Exploration lässt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d bei der B<strong>in</strong>dungsperson „emotional auftanken“, um wieder<br />
Sicherheit zu f<strong>in</strong>den und <strong>das</strong> vorübergehend erhöhte psychophysiologische Erregungsniveau abzu-<br />
senken („sicherer Hafen“). Sicherheit vermittelt dem K<strong>in</strong>d während se<strong>in</strong>er Explorationsphasen auch<br />
die Rückversicherung des eigenen Blickes zur B<strong>in</strong>dungsperson, welche <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d dabei aufmerksam und<br />
wohlwollend beobachten und sprachlich, mimisch und gestisch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Tun ermutigen sollte („social<br />
referenc<strong>in</strong>g“). Das K<strong>in</strong>d lernt auf diese Weise auch vielfältige Formen der Nähe-Distanz-Regulierung<br />
auszuprobieren.<br />
Das K<strong>in</strong>d kann bereits <strong>früh</strong> zwischen Bezugspersonen und Fremden unterscheiden. Fremde werden<br />
gemieden, zu B<strong>in</strong>dungspersonen wird der Kontakt aufrechterhalten. Das „Fremdeln“ ist somit Ausdruck<br />
von B<strong>in</strong>dung und e<strong>in</strong> normaler Vorgang. Die Bezugsperson wird zur sicheren Basis. Hier starten K<strong>in</strong>der ihre<br />
Exploration und dorth<strong>in</strong> kehren sie zurück, um Sicherheit „zu tanken“ und Erregung regulieren zu lernen.<br />
Entfernt sich die Bezugsperson (Trennung) und/oder hat <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d Angst, so reagiert <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit<br />
B<strong>in</strong>dungsverhalten (z. B. We<strong>in</strong>en).<br />
4. B<strong>in</strong>dungsdifferenzierung und Aufbau reziproker Beziehungen (ca. 18. <strong>–</strong> 24. Monat und darüber h<strong>in</strong>aus)<br />
In diesem Altersstadium kommt es zu e<strong>in</strong>em rapiden Anstieg der Entwicklungsfortschritte des K<strong>in</strong>des,<br />
<strong>in</strong>sbesondere im Bereich der kognitiven und sprachlichen Entwicklung. Gegen Ende des zweiten<br />
Lebensjahres ist es dem K<strong>in</strong>d möglich, e<strong>in</strong>ige der Gründe zu verstehen, die e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf <strong>das</strong><br />
Kommen und Gehen der Eltern haben und ihre Wiederkehr e<strong>in</strong>leiten. Die Gefühle, Ziele und Motive<br />
der Eltern werden vom K<strong>in</strong>d besser verstanden und es nutzt dieses Verständnis, <strong>in</strong>dem es se<strong>in</strong>e Anstrengungen<br />
darauf ausrichtet, <strong>in</strong> der Nähe der Eltern zu bleiben und bei drohenden Trennungssituationen<br />
mit diesen zu „verhandeln“ oder sie umzustimmen. Mit der geistigen Fähigkeit des K<strong>in</strong>des, sich<br />
allmählich Zukunft (und damit Zeitdimensionen) vorzustellen, kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mithilfe von Wörtern<br />
und Sprache (vorübergehende) Trennungen von der B<strong>in</strong>dungsperson tolerieren.<br />
Bowlby bezeichnete diese Art der B<strong>in</strong>dungsbeziehung als e<strong>in</strong>e „zielkorrigierte Partnerschaft“, <strong>in</strong> der<br />
beide Partner (Elternteil und K<strong>in</strong>d) <strong>in</strong> die Beziehung ihre emotional wichtigen Ziele e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, die<br />
Interessen des anderen anhören und reflektieren und die jeweiligen Ziele schließlich aushandeln und<br />
gegenseitig anpassen. Das K<strong>in</strong>d nimmt ab diesem Entwicklungszeitpunkt im Vergleich zu <strong>früh</strong>er e<strong>in</strong>e<br />
deutlich aktivere Rolle <strong>in</strong> der Beziehungsgestaltung e<strong>in</strong> und der Trennungsstress geht <strong>in</strong>sgesamt zurück.<br />
Das Fremdeln dauert etwa bis zum 30. Lebensmonat des K<strong>in</strong>des an, nach dem dritten Lebensjahr<br />
nehmen Fremdeln und Trennungsangst immer mehr ab.<br />
15
16<br />
E<strong>in</strong> Beispiel für die aktivere Rolle des K<strong>in</strong>des im B<strong>in</strong>dungs- und Trennungsgeschehen s<strong>in</strong>d die sich<br />
abspielenden Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen, wenn die Eltern ausgehen und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d beim Babysitter lassen<br />
wollen und mit ihm den Zeitpunkt der Rückkehr „nachverhandeln“ müssen.<br />
Im Verlaufe dieser vier Phasen entwickelt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e emotionale B<strong>in</strong>dung an se<strong>in</strong>e zentralen Bezugs-<br />
personen, wobei <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mehrere B<strong>in</strong>dungen zu verschiedenen Personen aufbauen kann, die sich<br />
h<strong>in</strong>sichtlich ihrer B<strong>in</strong>dungsqualität unterscheiden können und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungshierarchie organisiert<br />
s<strong>in</strong>d („multiple B<strong>in</strong>dungen“). So kann e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d aufgrund positiver Erfahrungen e<strong>in</strong>e gute B<strong>in</strong>dungsbe-<br />
ziehung zur Mutter aufbauen, während h<strong>in</strong>gegen die B<strong>in</strong>dungsqualität zum Vater weniger vertrauens-<br />
voll oder sogar unsicher se<strong>in</strong> kann (oder umgekehrt). Diejenige B<strong>in</strong>dungsperson, die am kompetentesten<br />
die Beunruhigung des K<strong>in</strong>des durch liebevolles und fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten aufzulösen vermag, wird zur<br />
Hauptb<strong>in</strong>dungsperson. Nachgeordnete B<strong>in</strong>dungspersonen werden vom K<strong>in</strong>d für kle<strong>in</strong>ere Beunruhigungen<br />
oder <strong>in</strong> Zeiten, <strong>in</strong> denen die Hauptb<strong>in</strong>dungsperson nicht verfügbar ist, „verwendet“.<br />
Die Qualität der B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen K<strong>in</strong>d und B<strong>in</strong>dungsperson ist nicht auf andere Personen<br />
„übertragbar“, sondern immer <strong>das</strong> Resultat der <strong>in</strong>dividuellen Lern- und Erfahrungsgeschichte zwischen<br />
K<strong>in</strong>d und Bezugsperson.<br />
2.3 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als <strong>in</strong>teraktiver Prozess<br />
E<strong>in</strong>e zentrale Annahme der B<strong>in</strong>dungstheorie von Bowlby besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />
beim Menschen durch e<strong>in</strong>en sozialen Lernprozess ausgeformt bzw. aufgebaut werden muss. Das K<strong>in</strong>d<br />
kommt somit nicht mit e<strong>in</strong>er Anlage zur sicheren B<strong>in</strong>dung auf die Welt, sondern ist (<strong>in</strong>sbesondere<br />
<strong>in</strong> <strong>früh</strong>en Jahren) <strong>in</strong> höchstem Maß abhängig von bestimmten „Qualitätsmerkmalen“ des zwischenmenschlichen<br />
Umgangs mit se<strong>in</strong>en Bezugspersonen. Die B<strong>in</strong>dungsentwicklung wird als e<strong>in</strong> Prozess verstanden,<br />
der m<strong>in</strong>destens zwei Personen (die B<strong>in</strong>dungsperson und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d) umfasst und die wechselseitigen<br />
Interaktionsabläufe zwischen diesen zum Gegenstand hat. Dabei haben <strong>in</strong>sbesondere <strong>das</strong> fe<strong>in</strong>fühlige<br />
Verhalten der B<strong>in</strong>dungsperson sowie deren „<strong>in</strong>neres Modell“ von B<strong>in</strong>dung wie auch Verhaltensdispositionen<br />
des K<strong>in</strong>des selbst (<strong>das</strong> sog. „Temperament“) entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf <strong>das</strong> Gel<strong>in</strong>gen<br />
e<strong>in</strong>es sensibel abgestimmten Interaktionsablaufs und damit auf die sichere B<strong>in</strong>dungsentwicklung des<br />
K<strong>in</strong>des.<br />
2.4 B<strong>in</strong>dungserfahrungen werden vom K<strong>in</strong>d ver<strong>in</strong>nerlicht<br />
Aus unzähligen tagtäglichen Interaktionserlebnissen zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und Säugl<strong>in</strong>g entwickelt<br />
<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d im Laufe des ersten Lebensjahres Vorstellungen (mentale Repräsentationen) des Verhaltens
und der damit verbundenen Affekte von sich, der B<strong>in</strong>dungsperson sowie der Beziehung zwischen diesen<br />
<strong>–</strong> die sogenannten <strong>in</strong>neren Arbeitsmodelle von B<strong>in</strong>dung („<strong>in</strong>ner work<strong>in</strong>g model“). K<strong>in</strong>der verallgeme<strong>in</strong>ern<br />
dabei die <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsbeziehungen gemachten Erfahrungen von Unterstützung und Wertschätzung<br />
oder auch Zurückweisung durch die Bezugspersonen auf die Erwartung von allgeme<strong>in</strong>er Wertschätzung<br />
bzw. Ablehnung durch andere.<br />
Die <strong>in</strong>neren Arbeitsmodelle haben die Funktion, <strong>das</strong> Verhalten der Bezugsperson(en) <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungssitua-<br />
tionen vorhersagbar zu machen. Es handelt sich dabei um e<strong>in</strong>e Reihe von ver<strong>in</strong>nerlichten Erwartungen<br />
an die Verfügbarkeit und Bereitschaft der jeweiligen B<strong>in</strong>dungsperson, dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er stressreichen<br />
Situationen Schutz, Trost und Unterstützung zu geben. Für jede e<strong>in</strong>zelne Bezugsperson (z. B. Mutter<br />
oder Vater) werden eigenständige „Arbeitsmodelle“ entwickelt.<br />
Das <strong>in</strong>nere Modell erfüllt auch die Funktion, dem K<strong>in</strong>d trotz der Abwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson<br />
die Gewissheit zu vermitteln, über e<strong>in</strong>e „sichere Basis“ zu verfügen, von der aus es die Welt erkunden<br />
kann. Das bedeutet: Trotz physischer Abwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d an sie denken<br />
und sie er<strong>in</strong>nern (Symbolisierung, Personenpermanenz) und sich dadurch sicher fühlen. Folglich trägt<br />
die Symbolisierungsfähigkeit des K<strong>in</strong>des bzw. se<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Modell sicherer B<strong>in</strong>dung dazu bei, von der<br />
unmittelbaren Anwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson bzw. ihren zuwendenden und sicherheitsspendenden<br />
Funktionen allmählich unabhängiger zu werden. Damit können unbekannte Situationen vom K<strong>in</strong>d<br />
zunehmend auch alle<strong>in</strong>e bewältigt werden, und es kann darauf vertrauen, sich „im Notfall“ wieder an<br />
die B<strong>in</strong>dungsperson wenden zu können (Bretherton 2003).<br />
In der heutigen B<strong>in</strong>dungsforschung wird davon ausgegangen, <strong>das</strong>s diese geistigen Repräsentationen <strong>in</strong><br />
Form von Ereignisschemata, den sogenannten „Skripts“, im Gedächtnis gespeichert werden (Bretherton<br />
1991). Ereignisschemata enthalten Vorstellungen bzw. Vorannahmen über bestimmte Situationen und<br />
Menschen wie auch über deren Beziehung untere<strong>in</strong>ander und erlauben e<strong>in</strong>e entsprechende Vorhersage<br />
über die Ereignisse.<br />
K<strong>in</strong>der, die von Geburt an die Erfahrung machen, <strong>das</strong>s ihre Äußerungen sofort beantwortet und verstanden<br />
werden, lernen, <strong>das</strong>s sie sich bei Unwohlse<strong>in</strong> auf ihre Hauptbezugspersonen verlassen können: „Immer<br />
wenn ich traurig b<strong>in</strong> und getröstet werden möchte, erlebe ich, <strong>das</strong>s me<strong>in</strong>e Mutter me<strong>in</strong>en Kummer wahrnimmt,<br />
diesen anspricht und mir Nähe und Trost zum Bewältigen me<strong>in</strong>er Gefühle gibt. Dadurch lerne ich<br />
darauf zu vertrauen, mich immer an sie wenden zu können.“<br />
17
18<br />
Das <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell von B<strong>in</strong>dung basiert auf den <strong>früh</strong>en Erfahrungen des K<strong>in</strong>des mit se<strong>in</strong>er<br />
jeweiligen Bezugsperson, <strong>in</strong> deren Verlauf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> Ausmaß an Zuverlässigkeit entdecken konnte,<br />
mit dem se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse befriedigt wurden und damit <strong>in</strong>sgesamt zu se<strong>in</strong>em Sicherheitsgefühl<br />
<strong>in</strong> der Welt („Urvertrauen“) beigetragen wurde. Diese <strong>in</strong>nere Repräsentation wird somit zu e<strong>in</strong>er Art<br />
„H<strong>in</strong>tergrundfolie“ für alle zukünftigen Beziehungen. Wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d von Beg<strong>in</strong>n an die Erfahrung<br />
machen darf, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Bezugsperson zugänglich und imstande ist, se<strong>in</strong>e augenblickliche Bedürfnislage<br />
zu erkennen, e<strong>in</strong>fühlsam darauf zu reagieren und diese geme<strong>in</strong>sam mit dem K<strong>in</strong>d zu bewältigen, dann<br />
wird <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Zukunft erwarten, <strong>das</strong>s zwischenmenschliche Beziehungen <strong>in</strong>sgesamt etwas Erfreu-<br />
liches s<strong>in</strong>d, anderen Menschen vertraut werden kann und es selbst der Fürsorge und Liebe wert ist.<br />
Erfährt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen durchgehend Unverständnis und mangelnde E<strong>in</strong>fühlsamkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Bedürfnislage, dann wird es ke<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> sich und andere Menschen aufbauen können, e<strong>in</strong>e<br />
negative E<strong>in</strong>schätzung von Beziehungen allgeme<strong>in</strong> entwickeln und darüber h<strong>in</strong>aus lernen, sich <strong>in</strong> Situ-<br />
ationen der Hilfsbedürftigkeit nicht an se<strong>in</strong> soziales Umfeld zu wenden bzw. stattdessen mit se<strong>in</strong>er Not<br />
„lieber“ alle<strong>in</strong>e bleiben zu wollen. Die Entwicklung der <strong>in</strong>neren Repräsentationen des Selbst, der B<strong>in</strong>-<br />
dungspersonen und der Beziehungen im Allgeme<strong>in</strong>en verläuft dabei sehr eng mite<strong>in</strong>ander „verzahnt“<br />
(Bretherton 2003).<br />
Das <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell von B<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des ist anfangs noch flexibel, wird aber im weiteren<br />
Entwicklungsverlauf zunehmend stabiler und entwickelt sich h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er psychischen Repräsentanz,<br />
der sogenannten „B<strong>in</strong>dungsrepräsentation“. B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen können teils bewusst, teils unbe-<br />
wusst se<strong>in</strong>. Im Laufe des Lebens kann sich die allgeme<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsrepräsentanz durch bedeutungsvolle<br />
Beziehungserfahrungen mit anderen Personen verändern. So kann beispielsweise e<strong>in</strong>e vertrauensvolle<br />
und positiv erlebte Partnerschaft für e<strong>in</strong>en Menschen mit eher unsicherem B<strong>in</strong>dungsmodell e<strong>in</strong>e heilsame<br />
Wirkung bezüglich se<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong> erlebten Unsicherheit <strong>in</strong> Beziehungen entfalten und somit se<strong>in</strong>e<br />
psychische Repräsentanz von B<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Richtung Sicherheit modifizieren. Gleichfalls können e<strong>in</strong>-<br />
schneidende Erlebnisse, wie etwa plötzliche Verluste oder andere unvorhergesehene, traumatische<br />
Erfahrungen, <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell zu e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>dungsrepräsentanz verändern. Im Laufe<br />
der Zeit wird dies aber immer schwieriger, da sich <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell mit zunehmendem Alter<br />
verfestigt.<br />
„Innere Arbeitsmodelle“ von B<strong>in</strong>dung s<strong>in</strong>d nicht statisch, sondern können durch positive wie negative<br />
emotionale Erfahrungen im Laufe des Lebens verändert werden. Mit zunehmendem Alter verfestigen sich<br />
jedoch die <strong>in</strong>neren Erwartungshaltungen <strong>in</strong> Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen. Entscheidend<br />
für die Kont<strong>in</strong>uität sicherer B<strong>in</strong>dungsrepräsentation sche<strong>in</strong>t vor allem die zeitliche Konstanz positiver<br />
Beziehungserfahrungen zu se<strong>in</strong>.
2.5 B<strong>in</strong>dungserfahrungen wirken sich auf die Entwicklung des Gehirns aus<br />
Erkenntnisse der Neurobiologie und Gehirnforschung belegen, <strong>das</strong>s sich <strong>früh</strong>e B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />
auf die Entwicklung des Gehirns auswirken. Das k<strong>in</strong>dliche Gehirn erfährt <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren<br />
e<strong>in</strong> enormes Wachstum und e<strong>in</strong>e starke Verdichtung neuronaler Netzwerke. Fe<strong>in</strong>fühlige Interaktionen<br />
zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und K<strong>in</strong>d stimulieren mehrere Gehirnareale gleichzeitig, was Voraussetzung<br />
für die neuronale Vernetzung und damit für <strong>das</strong> Hirnwachstum ist.<br />
Die <strong>früh</strong>k<strong>in</strong>dlichen emotionalen Erfahrungen bee<strong>in</strong>flussen die funktionelle Entwicklung des Gehirns<br />
und führen zur Entstehung von neuen (sensorischen, motorischen und limbischen) Schaltkreisen im<br />
Gehirn, die wiederum e<strong>in</strong>e optimale Leistungsfähigkeit und Anpassung an die Umwelt ermöglichen.<br />
Fehlt e<strong>in</strong>e entsprechende Stimulation (z. B. bei Deprivation, Isolation, fehlender Anregung), dann<br />
entwickeln sich diese hochkomplexen Strukturen im Gehirn nur unzureichend und erschweren somit<br />
die Anpassung an die Herausforderungen alterstypischer Entwicklungsaufgaben.<br />
(Becker-Stoll 2007)<br />
2.6 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als lebenslanger Prozess<br />
Das erste Lebensjahr ist sehr entscheidend für die B<strong>in</strong>dungsentwicklung des K<strong>in</strong>des. In dieser Zeit<br />
werden die Strukturen aufgebaut, die später e<strong>in</strong>e Basis für die Wahrnehmung und Bewertung der <strong>in</strong><br />
zwischenmenschlichen Beziehungen gemachten Erfahrungen bilden. E<strong>in</strong>e zentrale Erkenntnis der B<strong>in</strong>dungsforschung<br />
besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sich die <strong>in</strong> <strong>früh</strong>er K<strong>in</strong>dheit erworbenen Muster auch auf weitere<br />
Beziehungen auswirken. B<strong>in</strong>dung ist somit nicht als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>mal aufgebauter und dann unveränderlicher<br />
Zustand zu betrachten, sondern als e<strong>in</strong> Prozess, der sich „von der Wiege bis zur Bahre“ weiterentwickelt.<br />
Die Neigung, starke emotionale B<strong>in</strong>dungen zu anderen Menschen aufzubauen, ist e<strong>in</strong> grundlegender<br />
Teil der menschlichen Natur, der bereits beim Neugeborenen vorhanden ist und bis <strong>in</strong>s hohe Alter<br />
bestehen bleibt (A<strong>in</strong>sworth 1985/2003).<br />
Das Bedürfnis nach Unterstützung <strong>in</strong> belastenden Situationen ist e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> menschliches, <strong>das</strong><br />
nicht nur K<strong>in</strong>der betrifft. In der B<strong>in</strong>dungstheorie wird die Fähigkeit, B<strong>in</strong>dungen zu anderen Personen<br />
aufzubauen, als Merkmal e<strong>in</strong>er „funktionierenden“ Persönlichkeit angesehen.<br />
19
3<br />
20<br />
Woran erkennt man e<strong>in</strong>e „gute“ B<strong>in</strong>dung?<br />
E<strong>in</strong>e gute B<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>er Person besteht nach Grossmann und Grossmann (2004) dann, wenn diese<br />
Person <strong>in</strong>sbesondere bei Belastung und <strong>in</strong> fremder Umgebung <strong>das</strong> Zentrum der Orientierung des K<strong>in</strong>-<br />
des ist. Das K<strong>in</strong>d muss sich <strong>in</strong> der unmittelbaren Nähe dieser Person entspannen können und se<strong>in</strong>e<br />
Angst verlieren, sie als Sicherheitsbasis für se<strong>in</strong>e Explorationen der Umgebung nutzen und sie bei dabei<br />
aufkommendem Unbehagen aufsuchen. Das B<strong>in</strong>dungskonzept ist somit durch den im Rahmen der<br />
B<strong>in</strong>dungsbeziehung vom K<strong>in</strong>d erworbenen Sicherheitsaspekt def<strong>in</strong>iert, im <strong>in</strong>neren Arbeitsmodell<br />
abgespeichert und zeigt sich auf der subjektiven Ebene <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er erfolgreichen Stressregulation<br />
bzw. M<strong>in</strong>derung des Erregungszustandes des K<strong>in</strong>des. Dieses vom K<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />
Stressregulation erlebte Sicherheitsgefühl lässt sich auch psychophysiologisch <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Reduktion<br />
der Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel nachweisen. Das K<strong>in</strong>d wird immer „prüfen“,<br />
ob se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson zugänglich und reaktionsbereit ist, sich se<strong>in</strong>er aktuellen Bedürfnislage anzuneh-<br />
men, und se<strong>in</strong> Verhalten danach ausrichten, <strong>in</strong>dem es zum Beispiel nach ihrer Aufmerksamkeit verlangt,<br />
mit ihr redet oder se<strong>in</strong> Spiel <strong>in</strong> ihr Blickfeld verlegt. Erlebt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Bezugsperson als zuverlässig<br />
emotional verfügbar, lernt es Stress schneller zu regulieren.<br />
Kriterien für <strong>das</strong> Bestehen e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>er Person<br />
1. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d nutzt e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson als „sicheren Hafen“, als Ort der Sicherheit und des Schutzes,<br />
besonders <strong>in</strong> fremder Umgebung. Bei Angst flieht es zur B<strong>in</strong>dungsperson. Ohne sie s<strong>in</strong>d unvertraute<br />
Situationen belastender als mit ihr.<br />
2. E<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson funktioniert als Sicherheitsbasis des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des, von der aus es exploriert. Dabei<br />
vergewissert es sich stets, wo die B<strong>in</strong>dungsperson ist und ob sie auf es achtet, selbst wenn es nicht<br />
direkt mit ihr spielen will.<br />
3. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d protestiert <strong>in</strong> unvertrauter Umgebung gegen e<strong>in</strong>e Trennung von der B<strong>in</strong>dungsperson. Es<br />
vermisst sie, wenn sie nicht da ist, und lässt sich gut von ihr beruhigen.<br />
4. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d wird eifersüchtig, wenn die B<strong>in</strong>dungsperson Zuneigung zu e<strong>in</strong>em anderen K<strong>in</strong>d zeigt.<br />
5. KEINE B<strong>in</strong>dung besteht wahrsche<strong>in</strong>lich dann, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Bevorzugung dieser Person bei<br />
Belastung erkennen lässt, sich wenig um ihren Verbleib kümmert, ke<strong>in</strong> Trennungsleid oder Vermissen<br />
zeigt und ke<strong>in</strong>e Erleichterung und ke<strong>in</strong>en Sicherheitsgew<strong>in</strong>n aus ihrer Gegenwart zieht.<br />
(nach: A<strong>in</strong>sworth et al. 1967, zit. n. Grossmann & Grossmann 2004)<br />
Wenn davon ausgegangen werden kann, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsqualität e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des sowie se<strong>in</strong> im Laufe der<br />
Zeit entwickeltes „<strong>in</strong>neres Arbeitsmodell“ von B<strong>in</strong>dung <strong>das</strong> Resultat unzähliger, tagtäglicher Interaktionen<br />
zwischen Bezugsperson und K<strong>in</strong>d ist, und der entwicklungsförderliche Effekt der B<strong>in</strong>dungsbeziehung im<br />
Aufbau des Sicherheitsgefühls beim K<strong>in</strong>d besteht, dann müsste sich folglich <strong>in</strong> Situationen, die <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
verunsichern, anhand se<strong>in</strong>er Verhaltensreaktionen ablesen lassen, wie gut es an se<strong>in</strong>e Bezugsperson<br />
gebunden ist (oder nicht).
3.1 Trennungs- und Wiedervere<strong>in</strong>igungssituationen als „Gradmesser“ der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
im <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>desalter<br />
Die amerikanische Entwicklungspsycholog<strong>in</strong> und B<strong>in</strong>dungsforscher<strong>in</strong> Mary A<strong>in</strong>sworth, e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong><br />
John Bowlby´s, dem „Vater“ der B<strong>in</strong>dungstheorie, hat diese grundlegenden Überlegungen, die sie aus<br />
zahlreichen natürlichen Beobachtungen <strong>in</strong> verschiedenen Kulturen gewann, <strong>in</strong> den 1970er-Jahren <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em standardisierten Testverfahren konzeptualisiert: dem sogenannten „Fremde-Situations-Test“.<br />
Hierbei wird e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d (im Alter zwischen 12 und 18 Monaten) zweimal h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>er zeitlich<br />
befristeten Trennung von se<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson (i. d. R. der Mutter) ausgesetzt und dann wieder mit<br />
ihr zusammengeführt. Währenddessen kommt es auch zu Interaktionen mit e<strong>in</strong>er fremden Person <strong>–</strong><br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Gegenwart der Mutter und e<strong>in</strong>mal alle<strong>in</strong>e. Die Dauer der jeweiligen Trennungse<strong>in</strong>heiten<br />
wird hierbei situationsangemessen verkürzt, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d durch die Trennungen übermäßig stark<br />
beunruhigt wird.<br />
Anhand der Verhaltensreaktionen des K<strong>in</strong>des auf die Trennung von der Mutter <strong>in</strong> der „fremden Um-<br />
gebung“ und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der sich anschließenden Wiedervere<strong>in</strong>igungssituation mit ihr konnten die<br />
Forscher zunächst drei verschiedene Kategorien von B<strong>in</strong>dungsqualitäten identifizieren, welche weltweit<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Kulturen und Gesellschaften <strong>in</strong> ähnlicher Form gefunden wurden (A<strong>in</strong>sworth & Wittig<br />
1969/2003). Nachfolgende b<strong>in</strong>dungstheoretische Studien ließen noch e<strong>in</strong>e weitere, vierte Kategorie der<br />
B<strong>in</strong>dungsorganisation entdecken, die häufig nicht als typisches „B<strong>in</strong>dungsmuster“ e<strong>in</strong>gestuft wird , weil<br />
dem beobachtbaren Verhalten des K<strong>in</strong>des häufig jegliche „Logik“ fehlt und deswegen häufig als vierter<br />
Typus der B<strong>in</strong>dungsorganisation getrennt behandelt wird.<br />
3.2 Die drei (vier) Typen der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
Sichere B<strong>in</strong>dung (B-K<strong>in</strong>der)<br />
Sicher gebundene K<strong>in</strong>der nutzen ihre Eltern als „sichere Basis“ <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> unvertrauten Räumen<br />
<strong>–</strong>, von der aus sie ihre Umgebung erkunden. Während der Exploration blicken sicher gebundene K<strong>in</strong>der<br />
gelegentlich zurück, um sich der Mutter (oder des Vaters) zu versichern („social referenc<strong>in</strong>g“). Sie<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer Körperorientierung bei räumlicher Entfernung der B<strong>in</strong>dungsperson zugewandt oder beziehen<br />
die B<strong>in</strong>dungsperson aktiv <strong>in</strong> ihr Spiel mit e<strong>in</strong>. So br<strong>in</strong>gen sie zum Beispiel e<strong>in</strong> Spielzeug und zeigen es<br />
dem jeweiligen Elternteil. Wenn die B<strong>in</strong>dungsperson den Raum verlässt, reagieren sicher gebundene<br />
K<strong>in</strong>der (manchmal) nicht sofort <strong>–</strong> offenbar, weil sie darauf vertrauen, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsperson bald wiederkommt.<br />
Wenn die Bezugsperson aber länger wegbleibt, zeigen solche K<strong>in</strong>der deutliche Anzeichen<br />
von Kummer und Vermissensgefühlen <strong>–</strong> besonders, wenn sie völlig alle<strong>in</strong>e gelassen werden. Sie we<strong>in</strong>en,<br />
rufen und suchen aktiv nach der B<strong>in</strong>dungsperson und lassen sich auch nicht von e<strong>in</strong>er fremden Person<br />
beruhigen bzw. zeigen e<strong>in</strong>e deutliche Präferenz für die B<strong>in</strong>dungsperson. Wenn die B<strong>in</strong>dungsperson dann<br />
21
22<br />
zurückkehrt, zeigen sie deutlich ihre Freude und Erleichterung, die Mutter oder den Vater wiederzu-<br />
sehen. Sie suchen dabei aktiv die körperliche Nähe, krabbeln oder laufen auf die B<strong>in</strong>dungsperson zu<br />
und wollen von ihr hochgenommen werden. Die K<strong>in</strong>der lassen sich auch gut und <strong>in</strong> relativ kurzer Zeit<br />
trösten und beruhigen, um danach eventuell wieder aktiv die Umgebung zu erkunden oder die B<strong>in</strong>-<br />
dungsperson <strong>in</strong> ihr Spiel e<strong>in</strong>zubeziehen. Als Beobachter hat man hier den E<strong>in</strong>druck, Zeuge e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en<br />
Dramas mit Happy End gewesen zu se<strong>in</strong>, wenn die Belastung des K<strong>in</strong>des nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
unmittelbar beendet ist.<br />
E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung erlaubt dem K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> größtmögliche Maß an Vielfalt im gegensätzlichen Verhaltensspektrum<br />
von B<strong>in</strong>dung und Exploration. Bei sicherer B<strong>in</strong>dung ist die Aufmerksamkeit des K<strong>in</strong>des auf die<br />
B<strong>in</strong>dungspersonen und auf die Sachumwelt flexibel und ausbalanciert ausgerichtet. Das K<strong>in</strong>d ist offen für<br />
Erfahrungen und kann se<strong>in</strong>e Gefühle ausdrücken.<br />
Sicher gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als zuverlässig fe<strong>in</strong>fühlig. Die Strategie des K<strong>in</strong>des<br />
<strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet: „Ich weiß und kann darauf vertrauen, <strong>das</strong>s ich mich <strong>in</strong> Stresssituationen<br />
an dich wenden kann, um Trost und Sicherheit zur Bewältigung me<strong>in</strong>er beunruhigenden Gefühle zu erfahren,<br />
um mich danach wieder me<strong>in</strong>en Spielaktivitäten zuzuwenden.“<br />
Unsicher-vermeidende B<strong>in</strong>dung (A-K<strong>in</strong>der)<br />
Die B<strong>in</strong>dungskategorie „unsicher-vermeidend“ ist e<strong>in</strong>e der drei sogenannten „unsicheren“ B<strong>in</strong>dungsqualitäten.<br />
K<strong>in</strong>der mit diesem B<strong>in</strong>dungstypus sche<strong>in</strong>en auf die Anwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson nicht<br />
zu reagieren bzw. machen ke<strong>in</strong>en Unterschied zwischen e<strong>in</strong>er fremden Person und der B<strong>in</strong>dungsperson:<br />
Sie nutzen die B<strong>in</strong>dungsperson nicht als sichere Basis für ihre Erkundungstouren (z. B. durch die<br />
Blickrückversicherung) oder zum <strong>„emotionale</strong>n Auftanken“ bei Rückkehr nach erfolgter Exploration.<br />
Wenn die B<strong>in</strong>dungsperson den Raum verlässt, registrieren sie ihr Verschw<strong>in</strong>den sche<strong>in</strong>bar kaum und<br />
reagieren für gewöhnlich wenig oder gar nicht mit Beunruhigung. In der Wiedervere<strong>in</strong>igungssituation<br />
reagieren diese K<strong>in</strong>der eher mit Ablehnung der B<strong>in</strong>dungsperson gegenüber oder nur sehr zögerlich<br />
mit Nähesuchverhalten. Sie wollen sche<strong>in</strong>bar nicht auf den Arm genommen und getröstet werden und<br />
vermeiden somit aktiv die körperliche Nähe zur B<strong>in</strong>dungsperson.<br />
Bei K<strong>in</strong>dern mit unsicher-vermeidender B<strong>in</strong>dung fällt auf, <strong>das</strong>s während der gesamten „Fremden-Situation“<br />
praktisch ke<strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsverhalten auftritt <strong>–</strong> ke<strong>in</strong>e Anzeichen von Belastung oder Ärger. Dieses wird durch<br />
aktives Vermeidungsverhalten (wegschauen, weglaufen, abwenden, sich vom Körper der Mutter weglehnen)<br />
sowie auch durch andauernde Aufmerksamkeitsverschiebung auf die unbelebte Umwelt ersetzt.<br />
(Ma<strong>in</strong> 2001)
Allerd<strong>in</strong>gs reagieren diese K<strong>in</strong>der bei extremer Aktivierung ihres B<strong>in</strong>dungssystems (z. B. bei e<strong>in</strong>em<br />
schweren Unfall), <strong>in</strong>dem sie ihre B<strong>in</strong>dungsvermeidung aufgeben und sich hilfe- und schutzsuchend an<br />
die Mutter wenden. Das bedeutet, <strong>das</strong>s die „Schwelle“ für B<strong>in</strong>dungsverhalten bei vermeidenden Mut-<br />
ter-K<strong>in</strong>d-Paaren höher liegt als bei sicher gebundenen K<strong>in</strong>dern (Brisch 2005).<br />
Bei außenstehenden Beobachtern erwecken unsicher-vermeidende K<strong>in</strong>der häufig den E<strong>in</strong>druck, besonders<br />
selbstständig und anpassungsfähig zu se<strong>in</strong> („kompetent, aber gefühllos“), und h<strong>in</strong>terlassen damit e<strong>in</strong>en<br />
sche<strong>in</strong>bar positiven Gesamte<strong>in</strong>druck. Dieser Sche<strong>in</strong> trügt: Mittels psychophysiologischer Untersu-<br />
chungen während und nach der Trennungssituation <strong>–</strong> z. B. durch Messung der Herzfrequenzrate oder<br />
des Stresshormons Cortisol im Speichel als physiologische Indikatoren für „Alarmreaktionen“ <strong>–</strong> konnte<br />
nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s diese K<strong>in</strong>der unter e<strong>in</strong>em sehr hohen, aber nicht sichtbaren Stress- bzw.<br />
Erregungsniveau stehen, welches sie nach außen h<strong>in</strong> „erfolgreich“ verbergen können (Spangler &<br />
Grossmann 1993; Spangler et al. 2002). Sie signalisieren der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation, <strong>in</strong> der<br />
sie eigentlich Nähe, Trost und Schutz bräuchten, durch „falsche Signale“, <strong>das</strong>s sie nicht an B<strong>in</strong>dung<br />
<strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d bzw. Distanz wünschen oder explorieren wollen. Dass es sich bei der Vortäuschung von<br />
Explorationswünschen nur um e<strong>in</strong>e oberflächliche Verhaltensstrategie bzw. um e<strong>in</strong>e Ausweichreaktion<br />
handelt, f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>e Bestätigung <strong>in</strong> entsprechenden physiologischen Indikatoren. Dieser „optischen<br />
Täuschung“ s<strong>in</strong>d selbst viele Entwicklungspsychologen zu Beg<strong>in</strong>n der B<strong>in</strong>dungsforschung erlegen.<br />
Die „organisierte Aufmerksamkeitsverschiebung“ des Nähe vermeidenden K<strong>in</strong>des auf die übermäßige<br />
Exploration kann als aktive Bewältigungsstrategie <strong>in</strong>terpretiert werden, Reaktionen auf Angst<br />
auslösende Bed<strong>in</strong>gungen zu m<strong>in</strong>imieren und somit e<strong>in</strong>e Unterdrückung des B<strong>in</strong>dungsverhaltens<br />
aufrechtzuerhalten.<br />
(Ma<strong>in</strong> 2001)<br />
Unsicher-vermeidend gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als „zuverlässig“ abweisend. Die<br />
Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet: „Ich fühle mich gestresst, meide aber de<strong>in</strong>e<br />
Nähe aus Angst vor e<strong>in</strong>er (erneuten) Zurückweisung. Nur wenn der Stress so groß wird, <strong>das</strong>s ich gar nicht<br />
mehr selber damit klarkomme, kann ich mich überw<strong>in</strong>den, zu dir zu kommen, und fühle mich durch de<strong>in</strong>e<br />
Nähe doch entlastet.“<br />
Unsicher-ambivalente B<strong>in</strong>dung (C-K<strong>in</strong>der)<br />
Der zweite unsichere B<strong>in</strong>dungstypus ist dadurch gekennzeichnet, <strong>das</strong>s diese K<strong>in</strong>der während der Anwesenheit<br />
der B<strong>in</strong>dungsperson sehr stark ihre Nähe suchen und bevorzugt bei ihrem Elternteil bleiben<br />
23
24<br />
(„klammern“), anstatt die nähere Umgebung zu explorieren. Das B<strong>in</strong>dungssystem des K<strong>in</strong>des ist somit<br />
überaktiviert und Verselbstständigungsbestrebungen s<strong>in</strong>d unterrepräsentiert. Das K<strong>in</strong>d sche<strong>in</strong>t übermäßig<br />
mit der Mutter beschäftigt zu se<strong>in</strong>, sogar bevor es zur Trennung kommt. Es ist ängstlich oder zeigt ärgerli-<br />
chen Widerstand gegenüber der fremden Person und starke Belastung <strong>in</strong> jeder Trennungsepisode.<br />
Wenn es zur Trennung von der Bezugsperson kommt, zeigen diese K<strong>in</strong>der im Vergleich zu anderen K<strong>in</strong>-<br />
dern den größten Stress: Sie s<strong>in</strong>d im Allgeme<strong>in</strong>en sehr aufgeregt, we<strong>in</strong>en oft heftig und zeigen deutlichen<br />
Kummer bis h<strong>in</strong> zu tiefer Trauer und Verzweiflung. Bei der Wiedervere<strong>in</strong>igung mit der B<strong>in</strong>dungsperson<br />
können sie e<strong>in</strong>erseits ihren Wunsch nach Nähe und Körperkontakt ausdrücken, andererseits aber auch<br />
wütend und ablehnend mit aggressivem Verhalten reagieren. So eilt beispielsweise e<strong>in</strong> ambivalent<br />
gebundenes K<strong>in</strong>d we<strong>in</strong>end und mit ausgestreckten Armen auf die Bezugsperson zu und signalisiert ihr<br />
damit, <strong>das</strong>s es hochgenommen werden will und Nähe und Trost sucht. Sobald es aber auf den Arm<br />
genommen wird, sperrt es sich gegen die körperliche Nähe zur B<strong>in</strong>dungsperson oder beg<strong>in</strong>nt, sich aus<br />
der Umarmung herauszuw<strong>in</strong>den. Beide Verhaltenstendenzen treten abwechselnd auf und zeugen von<br />
e<strong>in</strong>em offenbar starken Bedürfnis nach Nähe bei gleichzeitiger Wut über den Weggang der Person.<br />
Die Rückkehr der Mutter führt nicht zu e<strong>in</strong>er Beruhigung des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des, vielmehr we<strong>in</strong>t, quengelt<br />
und „knöttert“ es konsequenterweise weiter bis zum Ende jeder Wiedervere<strong>in</strong>igungsepisode (Ma<strong>in</strong><br />
2001). Diese K<strong>in</strong>der können somit kaum beruhigt werden und brauchen <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>e längere Zeit,<br />
bis sie überhaupt wieder e<strong>in</strong>en emotional stabilen Zustand erreicht haben.<br />
Im Gegensatz zu den unsicher-vermeidend gebundenen Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern, die ihre Aufmerksamkeit ausschließlich<br />
auf die Spielsachen und die Exploration richten, fokussiert <strong>das</strong> ambivalente K<strong>in</strong>d beharrlich se<strong>in</strong>e Mutter<br />
und ist sogar oftmals zu gestresst und überbeschäftigt mit ihr, um sich überhaupt se<strong>in</strong>er Umwelt zuzuwenden.<br />
Es sche<strong>in</strong>t damit <strong>das</strong> „Spiegelbild“ des vermeidenden Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>. Wie beim vermeidenden<br />
und anders als beim sicher-gebundenen K<strong>in</strong>d, ist se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit nicht fließend, sondern zentriert<br />
sich nur auf e<strong>in</strong>en Aspekt se<strong>in</strong>er Umgebung.<br />
Unsicher-ambivalent gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als unzuverlässig, d. h. e<strong>in</strong>mal fe<strong>in</strong>fühlig,<br />
e<strong>in</strong> andermal verunsichernd und unsensibel. Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen<br />
lautet: „Ich vertraue dir nicht, <strong>das</strong>s du me<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungssignale zuverlässig und vorhersehbar fe<strong>in</strong>fühlig<br />
beantwortest. Deshalb muss ich mich an dir festhalten (klammere ich), aber ich ärgere mich gleichzeitig<br />
darüber, <strong>das</strong>s ich dir nicht vertrauen kann.“
Unsicher-desorganisierte B<strong>in</strong>dung (D-K<strong>in</strong>der)<br />
Den bisher beschriebenen drei B<strong>in</strong>dungstypen, die als „organisierte Verhaltensmuster“ beschrieben<br />
werden können, bei der <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e funktionale <strong>–</strong> bei A- und C-K<strong>in</strong>dern dysfunktionale <strong>–</strong> Anpassungsstrategie<br />
für den Umgang mit Stresssituationen entwickelt hat, wurde später noch e<strong>in</strong> weiterer B<strong>in</strong>dungsstatus<br />
h<strong>in</strong>zugefügt, der sich auf den Organisationsaspekt e<strong>in</strong>es B<strong>in</strong>dungssystems bezieht: die sogenannte<br />
B<strong>in</strong>dungsdesorganisation (Ma<strong>in</strong> & Solomon 1986).<br />
K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>em unsicher-desorganisiert/desorientierten „B<strong>in</strong>dungsmuster“ weisen mit die größte Un-<br />
sicherheit auf und sche<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong>e konsistente Stressbewältigungsstrategie <strong>in</strong> der „Fremden Situation“ zu<br />
besitzen. So können sie sich für ke<strong>in</strong>e klare Verhaltensstrategie während der Trennung bzw. Wiedervere<strong>in</strong>i-<br />
gung entscheiden und wirken daher widersprüchlich, konfus und desorientiert. Diese K<strong>in</strong>der verhalten<br />
sich unentschlossen und bizarr, brechen e<strong>in</strong>geleitete Verhaltensmuster vorzeitig ab und zeigen darüber<br />
h<strong>in</strong>aus Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren (z. B. auf die Bezugsperson). Sie zeigen<br />
zum Beispiel ängstliches Lächeln und schauen weg, wenn sich ihre B<strong>in</strong>dungsperson nähert, oder ihre<br />
Bewegungen erstarren plötzlich mitten im Bewegungsablauf („frieren e<strong>in</strong>“), oder sie stoßen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Zustand der Beruhigung plötzlich Schreie aus. Dennoch können selbst <strong>in</strong> dieser B<strong>in</strong>dungskategorie<br />
Ansätze e<strong>in</strong>er sicheren oder unsicheren B<strong>in</strong>dungsstrategie erkennbar se<strong>in</strong>.<br />
Für die zuverlässige Diagnose der D-Kategorie bedarf es sehr viel Vorerfahrung mit den A<strong>in</strong>sworth´schen<br />
B<strong>in</strong>dungsqualitäten (A, B, C), um <strong>das</strong> ganze mögliche Verhaltensspektrum bzw. die Verhaltensvarianz<br />
„normaler“ K<strong>in</strong>der zu kennen. Die Diagnose der D-Kategorie kann nur <strong>in</strong> Anwesenheit der jeweiligen<br />
B<strong>in</strong>dungsperson erfolgen (Becker-Stoll 2008).<br />
Unsicher-desorganisierte K<strong>in</strong>der zeigen Anfälle oder Sequenzen von Verhalten, dem jegliche direkt<br />
beobachtbaren Ziele, Intentionen oder Erklärungen fehlen. Während vermeidende, ambivalente und<br />
sichere Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e Verhaltensstrategie an den Tag legen, um die Trennung und Wiedervere<strong>in</strong>igung mit<br />
der Mutter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden Umgebung zu bewältigen, brechen bei diesen K<strong>in</strong>dern Verhaltensorganisation<br />
und Aufmerksamkeitsstrategien zusammen.<br />
(Ma<strong>in</strong> 2001)<br />
Nach Brisch (2005) ist der stärkste Prädiktor für e<strong>in</strong>e desorganisierte B<strong>in</strong>dung die K<strong>in</strong>desmisshandlung,<br />
der zweitstärkste Effekt ergibt sich durch selbst erlebte Traumatisierungen der Eltern.<br />
25
26<br />
Unsicher-desorganisiert gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als überwältigend ängstigend,<br />
unsicher und chaotisch. Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet: „Obwohl ich<br />
dich dr<strong>in</strong>gend zum Schutz und zum „Sicherheitstanken“ bräuchte, macht mir de<strong>in</strong> Verhalten soviel Angst<br />
und verstört mich so sehr, <strong>das</strong>s ich ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ordnung mehr f<strong>in</strong>den kann. Deswegen werde ich ‚chaotisch‘<br />
und zeige völlig desorganisierte Verhaltensweisen, um damit selbst fertig zu werden.“<br />
Alle drei B<strong>in</strong>dungsqualitäten wie auch die vierte Kategorie der B<strong>in</strong>dungsdesorganisation s<strong>in</strong>d als aktive<br />
Bewältigungsversuche der Beziehungserfahrungen mit primären B<strong>in</strong>dungspersonen zu verstehen. Die<br />
unsicheren B<strong>in</strong>dungsqualitäten bzw. die entsprechenden B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen werden jedoch auf-<br />
grund des damit e<strong>in</strong>hergehenden Vertrauensmangels des K<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>er sozialen Umwelt zukünftig<br />
sehr wahrsche<strong>in</strong>lich die Anpassung an neue Situationen erheblich erschweren und soziale Interak-<br />
tionen ungünstig bee<strong>in</strong>flussen. Das vermeidende und ambivalente B<strong>in</strong>dungsmuster wird noch nicht<br />
als k<strong>in</strong>dliche Psychopathologie, sondern „nur“ als Risikofaktor <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er normalen k<strong>in</strong>dlichen<br />
Entwicklung e<strong>in</strong>gestuft. Die B<strong>in</strong>dungsklassifikation „unsicher-desorganisiert/desorientiert“ stellt nach<br />
Brisch (2000) den Übergangsbereich zur k<strong>in</strong>dlichen Psychopathologie bzw. zur kl<strong>in</strong>isch relevanten<br />
B<strong>in</strong>dungsstörung dar.<br />
B<strong>in</strong>dungssicherheit ist nicht gleichzusetzen mit „seelischer Gesundheit“. Vielmehr ermöglicht e<strong>in</strong>e sichere<br />
B<strong>in</strong>dungsqualität bzw. -repräsentation e<strong>in</strong>e größere Kompetenz im Umgang mit sozio-emotionalen Anforderungen<br />
und stellt damit e<strong>in</strong>e bessere Voraussetzung dar, Risikofaktoren oder Belastungen zu bewältigen.
Übersicht „B<strong>in</strong>dungstypen“<br />
B-K<strong>in</strong>der (sicher)<br />
Trennungsprotest; We<strong>in</strong>en, Rufen, aktive Suche nach der B<strong>in</strong>dungsperson, Wunsch nach Körperkontakt;<br />
Beruhigung durch Körperkontakt mit der B<strong>in</strong>dungsperson nach deren Rückkehr, Fortsetzung der Exploration<br />
nach kurzer Beruhigungszeit<br />
A-K<strong>in</strong>der (vermeidend)<br />
Kaum oder ke<strong>in</strong> Trennungsprotest; etwas e<strong>in</strong>geschränktes Spiel während der Trennung; ke<strong>in</strong> Wusch nach<br />
Distanzierung von Körperkontakt bei Rückkehr der B<strong>in</strong>dungsperson; erhöhte Stressparameter<br />
C-K<strong>in</strong>der (ambivalent)<br />
Extremer Trennungsprotest; unstillbares We<strong>in</strong>en, extreme Erregung; ke<strong>in</strong>e Beruhigung nach Rückkehr der<br />
B<strong>in</strong>dungsperson trotz Körperkontakt; Nähesuchen und Aggression gleichzeitig; ke<strong>in</strong>e Rückkehr zum entspannten<br />
Spiel<br />
D-K<strong>in</strong>der (desorganisiert)<br />
Widersprüchliche Verhaltensweisen von Nähesuchen und Vermeidung; Verhaltensstereotypien; E<strong>in</strong>frieren<br />
der Bewegung<br />
Was s<strong>in</strong>d „B<strong>in</strong>dungsstörungen“?<br />
Der Begriff der „B<strong>in</strong>dungsstörung“ wird häufig <strong>in</strong> Zusammenhang mit B<strong>in</strong>dung genannt, ist jedoch von dem<br />
bisher beschriebenen B<strong>in</strong>dungsverhalten abzugrenzen. B<strong>in</strong>dungsstörungen weisen mit den oben skizzierten<br />
Mustern der B<strong>in</strong>dungssicherheit bzw. -unsicherheit kaum mehr Ähnlichkeiten auf. In b<strong>in</strong>dungsrelevanten<br />
Situationen s<strong>in</strong>d die Störungen im B<strong>in</strong>dungsverhalten so ausgeprägt, <strong>das</strong>s diese als Psychopathologie<br />
angesehen werden müssen.<br />
„Grundlegend bei allen B<strong>in</strong>dungsstörungen ist, <strong>das</strong>s <strong>früh</strong>e Bedürfnisse nach Nähe und Schutz <strong>in</strong> Bedrohungssituationen<br />
und bei ängstlicher Aktivierung der B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em extremen Ausmaß<br />
nicht adäquat, unzureichend oder widersprüchlich beantwortet wurden. Dies kann <strong>in</strong>sbesondere bei vielfältigen<br />
abrupten Trennungserfahrungen des K<strong>in</strong>des durch Wechsel der Betreuungssysteme, wie etwa bei<br />
K<strong>in</strong>dern, die <strong>in</strong> Heimen aufwuchsen, bei psychisch kranken Eltern oder bei erheblicher chronischer sozialer<br />
Belastung und Überforderung der Eltern entstehen (etwa durch Krankheit, Armut, Verlust des Arbeitsplatzes)“<br />
(Brisch 2005).<br />
Nach Brisch (2007b) ist die Diagnose von B<strong>in</strong>dungsstörungen bereits im ersten Lebensjahr des K<strong>in</strong>des möglich.<br />
27
28<br />
Lesetipp:<br />
• Für e<strong>in</strong>e ausführlichere E<strong>in</strong>arbeitung <strong>in</strong> die Entstehung und Behandlung von B<strong>in</strong>dungsstörungen<br />
wird auf die Arbeit von Karl He<strong>in</strong>z Brisch (2000) „B<strong>in</strong>dungsstörungen. Von der B<strong>in</strong>dungstheorie zur<br />
Therapie“ verwiesen.<br />
Auch auf Italienisch: Brisch, K. H. (2007). Disturbi dell’attaccamento. Dalla teoria alla terapia. Roma:<br />
Giovanni Fioriti.
4<br />
Welche Faktoren bee<strong>in</strong>flussen die Ausbildung<br />
e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />
Die Beantwortung dieser Frage stellt den Versuch e<strong>in</strong>es Erklärungsansatzes für die Ausbildung<br />
unterschiedlicher B<strong>in</strong>dungsqualitäten dar. Alle <strong>in</strong> der Prävention, Beratung und Therapie tätigen<br />
Berufsgruppen, die sich professionell mit der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung und ihrer positiven Bee<strong>in</strong>flussung<br />
beschäftigen, können aus den Erkenntnissen der B<strong>in</strong>dungstheorie handlungspraktische Schlussfolgerungen<br />
ziehen, um <strong>das</strong> größtmögliche Maß an begünstigenden Faktoren für die Ausbildung e<strong>in</strong>er<br />
sicheren und vertrauensvollen Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung im E<strong>in</strong>zelfall zu erreichen. Dem gegenwärtigen<br />
Forschungsstand zufolge lassen sich bei näherer Betrachtung drei wichtige E<strong>in</strong>flussfaktoren auf die<br />
B<strong>in</strong>dung identifizieren:<br />
1. Die Qualität der Fürsorge<br />
• E<strong>in</strong>fühlungsvermögen der Eltern („Fe<strong>in</strong>fühligkeit“)<br />
• Synchronizität <strong>in</strong> der Interaktion<br />
2. Das Temperament des Säugl<strong>in</strong>gs<br />
3. Der erweiterte systemische Kontext.<br />
4.1 Die Qualität der Fürsorge<br />
Im Rahmen der B<strong>in</strong>dungsforschung gilt es als unumstritten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> elterliche Verhalten e<strong>in</strong>er der<br />
bedeutsamsten E<strong>in</strong>flussfaktoren für die B<strong>in</strong>dungsentwicklung des K<strong>in</strong>des darstellt (Bowlby 1991/2003).<br />
Die erste Voraussetzung für den Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung besteht für e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />
zunächst e<strong>in</strong>mal dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s es überhaupt die Gelegenheit bekommt, e<strong>in</strong>e enge Beziehung zu e<strong>in</strong>er<br />
ihm vertrauten Bezugsperson aufzubauen. Die regelmäßige Anwesenheit e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson stellt<br />
allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Garantie für die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung dar.<br />
Vielmehr spielen qualitative Dimensionen der Betreuung die entscheidende Rolle.<br />
E<strong>in</strong>fühlungsvermögen der Eltern <strong>–</strong> „Fe<strong>in</strong>fühligkeit“<br />
Der sogenannten elterlichen „Fe<strong>in</strong>fühligkeit“ kommt hierbei e<strong>in</strong>e zentrale Funktion zu. Das Konzept<br />
der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit wurde von Mary A<strong>in</strong>sworth entwickelt. Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten der Bezugsperson<br />
ist dadurch gekennzeichnet, <strong>das</strong>s der Elternteil <strong>in</strong> der Lage ist, die Signale des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen<br />
(z. B. se<strong>in</strong> We<strong>in</strong>en), sie richtig zu <strong>in</strong>terpretieren (z. B. als Suche nach Nähe und Körperkontakt)<br />
und sie auch angemessen und prompt zu beantworten (A<strong>in</strong>sworth 1977/2003). Dies geschieht <strong>in</strong> vielfältigen<br />
alltäglichen Interaktionen unzählige Male. K<strong>in</strong>der mit fe<strong>in</strong>fühligen Eltern haben überzufällig<br />
häufiger e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität im Vergleich zu K<strong>in</strong>dern mit une<strong>in</strong>fühlsamen Eltern.<br />
29
30<br />
Unter fe<strong>in</strong>fühligem Pflegeverhalten versteht man nach A<strong>in</strong>sworth (1977/2003) folgende charakteristische<br />
Verhaltensweisen:<br />
1. Die B<strong>in</strong>dungsperson muss <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, die k<strong>in</strong>dlichen Signale mit größter Aufmerksamkeit<br />
wahrzunehmen. Wahrnehmungsverzögerungen können durch äußere oder <strong>in</strong>nere Beschäftigung mit<br />
eigenen Bedürfnissen oder Problemen (z. B. Depressionen) entstehen.<br />
2. Die B<strong>in</strong>dungsperson muss die Signale aus der Perspektive des Säugl<strong>in</strong>gs richtig deuten, etwa <strong>das</strong><br />
We<strong>in</strong>en des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bedeutung richtig entschlüsseln (z. B. We<strong>in</strong>en aufgrund von Hunger,<br />
Unwohlse<strong>in</strong>, Schmerzen, Langeweile). Dabei besteht die Gefahr, <strong>das</strong>s die Signale des K<strong>in</strong>des durch<br />
die eigenen Bedürfnisse sowie Projektionen dieser Bedürfnisse auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d verzerrt oder falsch <strong>in</strong>terpretiert<br />
werden. E<strong>in</strong> Beispiel: Die vom K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>itiierte, vorübergehende Tr<strong>in</strong>kpause wird als Sättigung<br />
<strong>in</strong>terpretiert, weil die Mutter selbst <strong>in</strong> Eile ist; <strong>das</strong> Quengeln des K<strong>in</strong>des aufgrund von Hunger wird<br />
als Müdigkeit <strong>in</strong>terpretiert, weil die Mutter (oder der Vater) selbst völlig erschöpft ist.<br />
3. Die B<strong>in</strong>dungsperson muss angemessen auf die Signale reagieren, also etwa die richtige Dosierung der<br />
Nahrungsmenge herausf<strong>in</strong>den, eher beruhigen oder Spielanreize bieten, ohne aber durch Über- oder<br />
Unterstimulation die Interaktion zu erschweren.<br />
4. Die Reaktion der B<strong>in</strong>dungsperson muss prompt, also <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d tolerablen Frustrationszeit<br />
erfolgen. So ist die Zeitspanne, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g auf <strong>das</strong> Stillen warten kann, <strong>in</strong> den ersten Wochen<br />
sehr kurz, wird aber im Laufe des ersten Lebensjahres immer länger.<br />
Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten gegenüber e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d ist e<strong>in</strong> zentrales Konzept und be<strong>in</strong>haltet, die Signale des<br />
K<strong>in</strong>des wahrzunehmen, richtig zu <strong>in</strong>terpretieren und prompt sowie angemessen darauf zu reagieren.<br />
Ist Fe<strong>in</strong>fühligkeit erlernbar?<br />
Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten gegenüber e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d ist, neben den Temperamenteigenschaften des K<strong>in</strong>des,<br />
die zentrale Voraussetzung für den Aufbau e<strong>in</strong>er emotional vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung<br />
zwischen K<strong>in</strong>d und Elternteil. Fe<strong>in</strong>fühligkeit bedeutet, die Signale des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen, richtig zu<br />
<strong>in</strong>terpretieren und prompt sowie angemessen darauf zu reagieren. Das setzt voraus, <strong>das</strong>s sich die<br />
B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> die Lage des K<strong>in</strong>des h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen kann und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d als eigenständige Person mit<br />
<strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen und Absichten anerkennt. Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten kann mit relativ ger<strong>in</strong>gem Aufwand<br />
tra<strong>in</strong>iert werden, und <strong>das</strong> sogar bei Müttern von K<strong>in</strong>dern mit e<strong>in</strong>em sehr schwierigem Temperament.<br />
E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>drückliche Untersuchung dazu hat Dymphna van den Boom (1994) durchgeführt, <strong>in</strong>dem sie die<br />
Fe<strong>in</strong>fühligkeit von Müttern von sehr irritierbaren Säugl<strong>in</strong>gen tra<strong>in</strong>iert hat und hierdurch e<strong>in</strong>e Verdoppelung<br />
der Anzahl sicherer B<strong>in</strong>dungsbeziehungen erreichen konnte.
Der „Baby-talk“ der Eltern<br />
Eltern kommunizieren mit ihrem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tuitiv richtig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dgerechten Weise, <strong>in</strong> der sogenannten<br />
Ammensprache. Dieser „Baby-talk“ ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:<br />
• Aufnahme des Blickkontakts mit dem K<strong>in</strong>d im korrekten Gesichtsabstand, welcher der optimalen Sehfähigkeit<br />
des Neugeborenen entspricht (= „Dialogabstand“ aus 20 bis 30 cm Entfernung)<br />
• Hohe Stimmlage<br />
• Verlangsamung des Sprechtempos mit typisch rhythmisch-melodischen Sprachmustern<br />
• Regelmäßige Wiederholung e<strong>in</strong>facher Sätze etc.<br />
Das Zustandekommen des Blickkontakts mit dem K<strong>in</strong>d wird durch mimische Charakteristika (erhobene<br />
Augenbrauen, weit geöffnete Augen, geöffneter Mund, Ausdruck erwartungsvoller Ermunterung etc.) e<strong>in</strong>geleitet<br />
und unterstützt.<br />
E<strong>in</strong> weiteres Beispiel für „<strong>in</strong>tuitive“ Reaktionen der B<strong>in</strong>dungsperson ist die Nachahmung und sich daraus<br />
entwickelnde Nachahmungsspielchen. Von den ersten Äußerungen des Neugeborenen an neigen Eltern<br />
dazu, se<strong>in</strong>e Mimik und Laute nachzuahmen, gewissermaßen als „Spiegel“ und „Echo“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person<br />
(Papoušek 1987, S. 44). Durch dieses kommunikative Wechselspiel über Stimme, Mimik sowie Körperkontakt<br />
erfolgt bereits im vorsprachlichen Stadium e<strong>in</strong> reger und kont<strong>in</strong>genter Austausch zwischen B<strong>in</strong>dungsperson<br />
und Neugeborenem. Dieser vermittelt dem Baby die Erfahrung, mit se<strong>in</strong>en Signalen e<strong>in</strong>e<br />
Reaktion auszulösen, die bei Gefallen durch neue Signale aufrechterhalten werden kann. Mütter und Väter<br />
unterscheiden sich, so konnte <strong>in</strong> mikroanalytischen Videountersuchungen gezeigt werden, <strong>in</strong> ihren Fähigkeiten<br />
zur Wahrnehmung und Beantwortung k<strong>in</strong>dlicher Signale von Geburt an nicht (a. a. O.).<br />
Nach Brisch (2000) fällt es den Bezugs- und Pflegepersonen <strong>in</strong> der Regel relativ leicht, die B<strong>in</strong>dungs-<br />
signale des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen, wenngleich die Reaktionszeiten ganz erheblich variieren können.<br />
Größere Probleme bereitet h<strong>in</strong>gegen schon die Herausforderung, die Botschaften des K<strong>in</strong>des zu verste-<br />
hen bzw. richtig zu <strong>in</strong>terpretieren (<strong>in</strong>sbesondere beim ersten K<strong>in</strong>d). Die meisten Eltern benötigen erst<br />
e<strong>in</strong>e Phase des Ausprobierens, um alle<strong>in</strong> <strong>das</strong> Signal des We<strong>in</strong>ens mit den dah<strong>in</strong>terliegenden Wünschen<br />
und Motivationen des Säugl<strong>in</strong>gs richtig zu <strong>in</strong>terpretieren. Nach e<strong>in</strong>iger Zeit gel<strong>in</strong>gt es aber meistens,<br />
den richtigen Grund dafür zu f<strong>in</strong>den, ob <strong>das</strong> We<strong>in</strong>en des K<strong>in</strong>des mit Hunger, Langeweile, Protest,<br />
Schmerz, e<strong>in</strong>er „vollen W<strong>in</strong>del“ oder durch Überstimulation zu erklären ist.<br />
Auch die angemessene Reaktion auf die richtig <strong>in</strong>terpretierten Signale muss von den meisten Bezugs-<br />
personen erst erlernt werden, um e<strong>in</strong> Sicherheitsgefühl dafür zu bekommen, wann bei jedem e<strong>in</strong>zelnen<br />
K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> Hungergefühl, se<strong>in</strong> Bedürfnis nach Körperkontakt, Anregung oder Ruhe ausreichend<br />
befriedigt ist. Dieser Lernprozess wird bei jedem weiteren K<strong>in</strong>d wiederholt durchlaufen, da sich K<strong>in</strong>der<br />
<strong>in</strong> ihrem <strong>in</strong>dividuellen Temperament stark unterscheiden können. Die prompte, d. h. sich zeitlich<br />
unmittelbar an die k<strong>in</strong>dliche Botschaft anschließende Reaktion und Beantwortung des k<strong>in</strong>dlichen Signals<br />
bereitet fe<strong>in</strong>fühligen Eltern pr<strong>in</strong>zipiell ke<strong>in</strong>e allzu großen Schwierigkeiten (a. a. O.).<br />
31
32<br />
Die zeitliche Nähe zwischen dem k<strong>in</strong>dlichen Signal und der Reaktion der B<strong>in</strong>dungsperson ist deswegen<br />
von so großer Bedeutung, weil <strong>das</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen se<strong>in</strong>em Verhalten und der<br />
Reaktion der B<strong>in</strong>dungsperson ausmacht: Es stellt e<strong>in</strong>e sogenannte „Kont<strong>in</strong>genz“ her, die zu se<strong>in</strong>em sich<br />
entwickelnden Selbstwirksamkeitserleben beiträgt <strong>–</strong> zu der subjektiven Überzeugung, mit dem eigenen<br />
Verhalten e<strong>in</strong>e Reaktion <strong>in</strong> der Umwelt hervorrufen zu können. Die zeitliche Spanne darf <strong>in</strong> den <strong>früh</strong>en<br />
Wochen nicht zu lange se<strong>in</strong> (unter e<strong>in</strong>er Sekunde), weil die Gedächtnisentwicklung des K<strong>in</strong>des noch<br />
nicht so weit fortgeschritten ist und e<strong>in</strong>e zeitlich verzögerte Antwort der B<strong>in</strong>dungsperson vom K<strong>in</strong>d<br />
nicht mehr se<strong>in</strong>em eigenen ursprünglichen Handlungsimpuls zugeordnet werden kann (Ahnert 2007b).<br />
Das bedeutet: Kommt e<strong>in</strong>e Reaktion zu spät, ist die Antwort des Erwachsenen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e völlig<br />
neue und unerwartete Handlung. Wissenschaftliche Analysen zeigen, <strong>das</strong>s engagierte und nicht zu sehr<br />
belastete Eltern dieses Zeitfenster e<strong>in</strong>halten.<br />
Die Bedeutung elterlicher Kont<strong>in</strong>genz<br />
Nur wenn k<strong>in</strong>dliche Aktion und elterliche Reaktion zeitlich direkt aufe<strong>in</strong>anderfolgen <strong>–</strong> mit höchstens 200 bis<br />
800 Millisekunden Abstand <strong>–</strong>, kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen se<strong>in</strong>em Verhalten und den spannungsmildernden,<br />
beruhigenden Verhaltensweisen der Bezugspersonen herstellen.<br />
Wissenschaftliche Analysen zeigen, <strong>das</strong>s engagierte, nicht zu sehr belastete Eltern mit ihren Reaktionen<br />
<strong>in</strong>tuitiv tatsächlich <strong>das</strong> optimale Zeitfenster e<strong>in</strong>halten, <strong>das</strong> dem Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e „positiv verbuchte“ Wahrnehmung<br />
ermöglicht. E<strong>in</strong> Drittel aller Interaktionen zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d laufen bereits sofort optimal<br />
koord<strong>in</strong>iert ab, „passen“ also auf Anhieb. 70 Prozent aller sich ereignenden Missverständnisse <strong>in</strong> der<br />
Interaktion werden bereits <strong>in</strong>nerhalb von zwei Sekunden „repariert“ (Haug-Schnabel 2007). Für Eltern ist es<br />
beruhigend und selbstvertrauensbildend zu wissen, <strong>das</strong>s es ihnen automatisch sehr oft gel<strong>in</strong>gt, die äußerst<br />
kurze Reaktionszeit e<strong>in</strong>zuhalten, da die Biologie hier h<strong>in</strong>reichend vorgesorgt hat.<br />
Welche wichtige Rolle der elterlichen Kont<strong>in</strong>genz zukommt, davon berichtet Mechthild Papoušek <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
kle<strong>in</strong>en Experiment zur Unterbrechung der Kont<strong>in</strong>genzerfahrung: „In e<strong>in</strong>er Untersuchungsreihe haben wir<br />
Vater oder Mutter gebeten, während e<strong>in</strong>es sonst ungestörten Zwiegespräches mit ihrem zweimonatigen<br />
K<strong>in</strong>d für zwei M<strong>in</strong>uten die Augen zu schließen, sich aber weiter wie sonst mit dem K<strong>in</strong>d zu verständigen.<br />
Damit waren die Möglichkeiten der Eltern, kont<strong>in</strong>gent auf visuelle Signale zu reagieren, ausgeschlossen.<br />
Sobald die Eltern die Augen schließen, sucht sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zunächst durch angespanntes Beobachten zu<br />
orientieren. Es mobilisiert alle Kräfte und bemüht sich, die Kont<strong>in</strong>genz wieder herzustellen durch sonst<br />
erfolgreiche Verhaltensformen. Wenn nichts zum Erfolg führt, endet es schließlich mit unmissverständlichem<br />
Missbehagen und mit deutlichem Protest und Vermeidungsreaktionen. Die Studie macht deutlich, <strong>das</strong>s<br />
bereits der zweimonatige Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Vorstellung von beiden Eltern hat, die weit über <strong>das</strong> Erkennen<br />
der nährenden Brust, der Physiognomie oder der Stimme h<strong>in</strong>ausgeht, vielmehr offenbar die elterlichen<br />
Verhaltensmuster <strong>in</strong> ihrer Abgestimmtheit auf se<strong>in</strong> eigenes Verhalten zum Inhalt hat“ (Papoušek 1987, S. 45).
Es gibt ke<strong>in</strong>e Verwöhnung des K<strong>in</strong>des mit „zuviel“ Nähe<br />
In Elternsem<strong>in</strong>aren ist nach Brisch (2000) allerd<strong>in</strong>gs wiederholt die Erfahrung zu machen, <strong>das</strong>s Eltern<br />
ihre prompte Reaktion auf <strong>das</strong> Signal des K<strong>in</strong>des aufgrund der Angstfantasie, <strong>das</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong><br />
zu schnelles und zu häufiges Reagieren bereits <strong>früh</strong> „zu verwöhnen“, h<strong>in</strong>auszögern. Sie wollen ihr K<strong>in</strong>d<br />
mehr oder weniger bewusst <strong>früh</strong>zeitig frustrieren, damit dieses sich nicht an zu viel Nähe und Abhängigkeit<br />
gewöhnt. Solch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung überfordert <strong>in</strong> aller Regel die k<strong>in</strong>dliche Selbstregulationsfähigkeit,<br />
mit so e<strong>in</strong>er Frustration umzugehen, und trägt e<strong>in</strong>deutig nicht zur Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung<br />
zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d bei. Säugl<strong>in</strong>ge und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der benötigen <strong>in</strong> den <strong>früh</strong>en Phasen<br />
ihrer Entwicklung viel Nähe und Geborgenheit und signalisieren von selbst, wann es ihnen „zuviel“<br />
an Nähe ist und andere Bedürfnisse anstehen (z. B. Explorationsstrebungen). K<strong>in</strong>der von fe<strong>in</strong>fühligen<br />
und derart Nähe zulassenden B<strong>in</strong>dungspersonen können e<strong>in</strong>erseits selbstständiger spielen und ihre<br />
Umwelt erkunden, andererseits bei Angst und Stress die B<strong>in</strong>dungsperson zum Trost und „Sicherheitstanken“<br />
aufsuchen und lassen sich auch relativ schnell beruhigen. Sie zeigen deutlich weniger Ängstlichkeit<br />
und Ärger <strong>in</strong> den Interaktionen mit Bezugspersonen und verhalten sich auch kooperationsbereiter, auf<br />
Grenzsetzungen e<strong>in</strong>zugehen (Brisch 2000). In jeder H<strong>in</strong>sicht s<strong>in</strong>d sie nicht abhängiger oder weniger<br />
selbstständig als K<strong>in</strong>der, denen quasi antizipatorisch Nähe zur Vermeidung von Verwöhnung<br />
entzogen wurde.<br />
Synchronizität <strong>in</strong> der Interaktion<br />
Forschungsarbeiten aus jüngerer Zeit haben <strong>das</strong> Konzept der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit <strong>in</strong> der Interaktion<br />
mit dem Säugl<strong>in</strong>g um die Bedeutung der Sprache ergänzt sowie auch auf den E<strong>in</strong>fluss des Rhythmus<br />
und der Zeit <strong>in</strong> der Interaktion h<strong>in</strong>gewiesen (Brisch 2005). E<strong>in</strong>e gelungene und die B<strong>in</strong>dungssicherheit<br />
fördernde Interaktion zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d zeigt sich demnach auch <strong>in</strong> der „Synchronizität“ ihrer<br />
geme<strong>in</strong>samen Interaktion, d. h. <strong>in</strong> dem Ausmaß an Reziprozität und Gegenseitigkeit im kommunikativen<br />
Austausch. Man kann die Synchronizität auch als e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fühlsam aufe<strong>in</strong>ander abgestimmten<br />
<strong>„emotionale</strong>n Tanz“ beschreiben: Die B<strong>in</strong>dungsperson reagiert auf die Signale des Säugl<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
zeitlich und rhythmisch abgestimmten Weise, und <strong>das</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d wiederum „belohnt“ die Bezugsperson<br />
mit se<strong>in</strong>en antwortenden Signalen. Beide Interaktionspartner erwidern und „spiegeln“ den emotionalen<br />
Zustand des jeweils anderen <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere, wenn dieser positiv ist.<br />
Die zur Synchronizität beitragende Fe<strong>in</strong>fühligkeit der B<strong>in</strong>dungsperson zeigt sich <strong>in</strong> ihrem Verhalten,<br />
<strong>in</strong> der Sprache, im Rhythmus, <strong>in</strong> ihrem Blickkontakt und <strong>in</strong> den Berührungen des Säugl<strong>in</strong>gs. Die<br />
B<strong>in</strong>dungsperson muss die Signale des Säugl<strong>in</strong>gs wahrnehmen, richtig <strong>in</strong>terpretieren sowie angemessen<br />
und prompt reagieren.<br />
33
34<br />
Handlungsaspekte zur Förderung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung<br />
• Verbalisierung der „<strong>in</strong>neren Welt“ der affektiven Zustände des K<strong>in</strong>des sowie se<strong>in</strong>er Handlungszusammenhänge<br />
• Wechselseitige Abstimmung <strong>in</strong> der Eltern-Säugl<strong>in</strong>gs-Interaktion und Kommunikation sowie die „Korrektur“<br />
von dialogischen Missverständnissen<br />
• Blickkontakt mit e<strong>in</strong>er gelungenen Affektabstimmung („Intersubjektivität“) zwischen Säugl<strong>in</strong>g und<br />
Pflegeperson<br />
• Fe<strong>in</strong>fühlige Berührung und Körperkontakt zwischen Pflegeperson und Säugl<strong>in</strong>g<br />
(nach: Brisch 2006)<br />
E<strong>in</strong> entspannter und flexibler Kommunikationsstil, <strong>in</strong> dem sich beide Interaktionspartner wohl fühlen,<br />
sowie e<strong>in</strong> mittleres Maß an rhythmischer Koord<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> der zeitlichen Abfolge von Interaktionen<br />
zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und K<strong>in</strong>d fördern die emotionale Selbstregulationsfähigkeit des Säugl<strong>in</strong>gs.<br />
Zudem können vorübergehende (und unvermeidliche) Entgleisungen und Missverständnisse <strong>in</strong> der<br />
emotionalen Kommunikation besser akzeptiert und geme<strong>in</strong>sam „repariert“ werden, um wieder e<strong>in</strong>e<br />
Synchronizität und positive Gegenseitigkeit im kommunikativen Dialog herzustellen (Berk 2005). Interessanter-<br />
weise kommt es auch nicht auf e<strong>in</strong>e perfekt synchrone Abstimmung zwischen Mutter (Vater) und K<strong>in</strong>d<br />
an, die ansche<strong>in</strong>end gar nicht so entwicklungsförderlich ist, sondern im Gegenteil: Wahrgenommene<br />
und korrigierte Missverständnisse wirken sich sogar beziehungsfördernd auf die B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />
aus <strong>–</strong> vorausgesetzt, sie s<strong>in</strong>d nicht zu ausgeprägt und führen nicht zum Ause<strong>in</strong>anderdriften und Abbruch<br />
der Kommunikation. Auch wenn Säugl<strong>in</strong>ge den deklarativen Inhalt der Worte von Mutter und Vater<br />
noch nicht verstehen können, fühlen sie sich (neben fe<strong>in</strong>fühligen Pflegehandlungen) auch durch die<br />
empathische Verbalisation von Affektzuständen verstanden und b<strong>in</strong>den sich auch dadurch an ihre<br />
B<strong>in</strong>dungsperson (Brisch 2005).<br />
Eltern tragen durch <strong>das</strong> Widerspiegeln k<strong>in</strong>dlicher Verhaltensäußerungen auch zur Entwicklung der k<strong>in</strong>dlichen<br />
Selbstwahrnehmung bei: Sie ermöglichen dem K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> ihrem Gesicht sich selbst zu erblicken. Die Spiegelung<br />
des K<strong>in</strong>des durch die Mutter (oder den Vater) darf dabei nicht zu weit vom k<strong>in</strong>dlichen Selbsterleben<br />
abweichen. Sonst entstehen zwei unterschiedliche „Versionen“ der Realität, die <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d an der Echtheit<br />
se<strong>in</strong>er Gefühle zweifeln lässt.<br />
Die B<strong>in</strong>dungsperson muss bereit se<strong>in</strong>, <strong>das</strong> subjektive <strong>in</strong>nere Erleben des K<strong>in</strong>des zu teilen. Sehr bedeutsam<br />
ist es dabei auch, <strong>das</strong> Wahrgenommene sprachlich zu bestätigen. Hierzu s<strong>in</strong>d ausreichend gute Abstimmungsprozesse<br />
nötig, die e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>sam gelebte Wirklichkeit entstehen lässt.<br />
(nach: Haug-Schnabel 2007)
Was kennzeichnet sensibles elterliches Verhalten?<br />
Ermittlung der Regulierung des Wachheits- und Erregungszustandes des K<strong>in</strong>des<br />
Durch kurzes Berühren der Hand oder des K<strong>in</strong>ns des Säugl<strong>in</strong>gs fühlen die Eltern, wie angespannt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
ist. Gegebenenfalls beruhigen sie es etwas, z. B. durch Streicheln oder rhythmische Bewegungen, oder<br />
sie regen es anderenfalls e<strong>in</strong> wenig an und aktivieren se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit.<br />
Aufnahme von direktem Blickkontakt<br />
Durch Rufen des K<strong>in</strong>des („Guckguck“) und rhythmisches Lautieren erreichen die<br />
Eltern, <strong>das</strong>s sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ihnen zuwendet und sie anblickt. Intuitiv nehmen sie die optimale Distanz von<br />
circa 25 Zentimetern e<strong>in</strong> und halten den Blickkontakt aufrecht durch Augengruß (Hochziehen der Stirnfalten)<br />
und Kopfnicken.<br />
Aufbau e<strong>in</strong>er echten Kommunikationssituation<br />
Eltern beziehen sich durchgängig auf ihr K<strong>in</strong>d als vollwertigen Gesprächspartner. Dabei übertreiben sie<br />
nötigenfalls ihr mimisches und gestisches Verhalten, signalisieren ihm ggf. durch erhöhte Stimmlage und<br />
Lachen, <strong>das</strong>s sie mit ihm kommunizieren wollen. Sie reagieren sensibel auf se<strong>in</strong>e Äußerungen, welche sie<br />
ihm widerspiegeln und geme<strong>in</strong>sam mit ihm wiederholen. Durch abwechselndes Nachahmen und „Duettieren“<br />
entstehen so allmählich kle<strong>in</strong>e Dialoge.<br />
Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>er angemessenen Stimulation<br />
Solange <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d Interesse signalisiert, halten die Eltern den Blickkontakt und die Kommunikationssituation<br />
aufrecht. Sie passen sich dabei dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>em Auffassungsvermögen an. Das gilt für ihr gesamtes<br />
sprachliches Verhalten (z. B. Tonfall, Satzmelodie, Wortwahl, Länge der Äußerungen, Wiederholungen) und<br />
<strong>das</strong> nonverbale Verhalten (Mimik, Gestik, Körperhaltung), mit dem sie sich kont<strong>in</strong>uierlich auf alle vom K<strong>in</strong>d<br />
ausgehenden Signale beziehen.<br />
Förderung und Aufbau ganzheitlicher („<strong>in</strong>tegrativer“) Prozesse durch multimodale Stimulation<br />
Eltern kommunizieren mit ihrem Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d über alle Kommunikationskanäle und S<strong>in</strong>ne (akustisch, visuell,<br />
taktil), regen durch <strong>das</strong> Imitieren se<strong>in</strong>er Äußerungen Nachahmungsverhalten an, stimmen sich auf se<strong>in</strong>e<br />
Gefühlslage e<strong>in</strong>, die sie ihm <strong>in</strong> verstärkter Form widerspiegeln. Sie wiederholen <strong>in</strong> spielerischer Weise ihre<br />
eigenen Vokalisationen und Verbalisationen, variieren diese dabei immer wieder und ermuntern <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d,<br />
es auch so zu machen. So entstehen kle<strong>in</strong>e Spieldialoge, die ritualisiert und <strong>in</strong> zukünftigen Kommunikationssituationen<br />
leicht wiederhergestellt werden können.<br />
(nach: Rauh 2007)<br />
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36<br />
4.2 Das Temperament des Säugl<strong>in</strong>gs<br />
Die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität ist immer <strong>das</strong> Resultat der Beziehung von zwei mite<strong>in</strong>ander<br />
<strong>in</strong>teragierenden Personen. Bisher haben wir uns ausschließlich mit den förderlichen und h<strong>in</strong>derlichen<br />
Faktoren auf Seiten der B<strong>in</strong>dungsperson(en) bzw. der Eltern befasst. Zur weiteren Differenzierung und<br />
Ergänzung der diskutierten Zusammenhänge müssen aber auch die <strong>in</strong>dividuellen Verhaltensbereitschaften<br />
des Säugl<strong>in</strong>gs als Beitrag zu e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden oder entgleisenden Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion berücksichtigt<br />
werden. Manche K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d warmherzig, freundlich und responsiv gegenüber Erwachsenen und<br />
machen es damit der B<strong>in</strong>dungsperson leichter, e<strong>in</strong>e Beziehung zum K<strong>in</strong>d aufzubauen, während andere<br />
K<strong>in</strong>der eher gereizt, leicht irritierbar und schwerer zu trösten s<strong>in</strong>d und damit e<strong>in</strong>en Beziehungsaufbau<br />
erschweren (Brisch 2000). Diese <strong>in</strong>dividuellen Differenzen s<strong>in</strong>d bereits kurz nach der Geburt relativ<br />
zuverlässig messbar.<br />
In Längsschnittstudien konnten aus dem Verhalten der Neugeborenen Vorhersagen auf die B<strong>in</strong>dungs-<br />
qualität im Alter von e<strong>in</strong>em Jahr gemacht werden. E<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Orientierungsfähigkeit des Neugeborenen<br />
im Brazelton-Test ebenso wie e<strong>in</strong>e generell hohe Irritierbarkeit als e<strong>in</strong> Aspekt des k<strong>in</strong>dlichen Tempera-<br />
ments h<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> verschiedenen Studien mit e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>dung zusammen (Spangler 1999).<br />
E<strong>in</strong> besonders „schwieriger“ Säugl<strong>in</strong>g <strong>–</strong> etwa mit Essproblemen, unstillbarem Schreien oder ausge-<br />
prägten Schlafproblemen <strong>–</strong> wird e<strong>in</strong>e durchschnittlich fe<strong>in</strong>fühlige Mutter <strong>in</strong> ihren Fähigkeiten stark<br />
heraus- und teilweise überfordern. Ganz unabhängig von den möglichen Ursachen des „schwierigen<br />
Temperaments“ e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des, kommt es vor allem auf e<strong>in</strong>e gute Passung zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d an.<br />
E<strong>in</strong> schwieriges Temperament kann die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität erschweren, muss<br />
diese aber nicht grundsätzlich unmöglich machen. Voraussetzung hierfür ist e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>fühlige E<strong>in</strong>stim-<br />
mung der B<strong>in</strong>dungsperson auf die besonderen Bedürfnisse des „schwierigen K<strong>in</strong>des“. In solch e<strong>in</strong>em<br />
Fall bedarf die Bezugsperson auch ausreichender Unterstützung und Entlastung von außen, um nicht<br />
selbst überfordert zu werden.<br />
Auch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit „schwierigem Temperament“ kann e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität entwickeln. Hierfür<br />
bedarf es vonseiten der B<strong>in</strong>dungsperson aber e<strong>in</strong>es erhöhten Aufwands im S<strong>in</strong>ne der Fe<strong>in</strong>fühligkeit und<br />
zusätzlich externer Unterstützung und Entlastung für die B<strong>in</strong>dungsperson selbst.<br />
4.3 Der erweiterte systemische Kontext<br />
Auch wenn sich b<strong>in</strong>dungstheoretische Forschung mit ihren Analysen und Untersuchungsmethoden häufig<br />
im sche<strong>in</strong>bar abgeschlossenen, dyadischen Mutter-K<strong>in</strong>d-Kontext bewegt, be<strong>in</strong>haltet sie nach John<br />
Bowlby e<strong>in</strong> systemtheoretisches Grundverständnis, welches auch E<strong>in</strong>flussfaktoren im weiteren sozialen
Umfeld von Mutter und K<strong>in</strong>d berücksichtigt. E<strong>in</strong>e gut funktionierende elterliche Partnerschaft stellt<br />
dabei mit Sicherheit e<strong>in</strong>en der wichtigsten äußeren E<strong>in</strong>flussfaktoren auf die B<strong>in</strong>dungsentwicklung des<br />
K<strong>in</strong>des dar. Partner, die e<strong>in</strong> hohes Maß an positiver Gegenseitigkeit <strong>in</strong> der Kommunikation und an<br />
Konfliktfähigkeit aufweisen, und sich <strong>in</strong> ihren erzieherischen Handlungen abstimmen und e<strong>in</strong>ander<br />
vertrauen („Coparent<strong>in</strong>g“) tragen damit wesentlich zum Aufbau e<strong>in</strong>es positiven Familienklimas bei,<br />
welches sich gleichfalls auf die Fe<strong>in</strong>fühligkeit beider Partner <strong>in</strong> ihrer Elternrolle auswirkt. Väter können<br />
beispielsweise <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en Phase der Elternschaft (z. B. während des Wochenbetts) e<strong>in</strong>e wichtige Rolle<br />
für ihre Partner<strong>in</strong> ausüben, <strong>in</strong>dem sie die Mutter entlasten und vor dem „Vers<strong>in</strong>ken“ <strong>in</strong> die exklusive<br />
Mutter-K<strong>in</strong>d-Dyade bewahren sowie selbst e<strong>in</strong>e eigenständige B<strong>in</strong>dung zum K<strong>in</strong>d aufbauen und der<br />
Mutter damit e<strong>in</strong>e „Verschnaufpause“ zur Erholung gewähren.<br />
Unter systemischen Gesichtspunkten ist auch die Qualität des elterlichen Beziehungsverhältnisses zu<br />
den Großeltern des K<strong>in</strong>des von Bedeutung: Stehen sie der Elternschaft positiv und unterstützend<br />
gegenüber? Sehen sie ihre zukünftige Rolle als Großeltern als Bereicherung an?<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d alle Formen „struktureller Entlastung“ (gesicherte f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung bzw.<br />
Arbeitsplatzsicherheit, ausreichende soziale Kontakt- und Vernetzungsmöglichkeiten für Mütter und<br />
Väter, qualitativ hochwertige K<strong>in</strong>derbetreuungsmöglichkeiten etc.) zentrale Faktoren, um Eltern zu<br />
ermöglichen, sich <strong>in</strong> dieser entscheidenden Zeit voll auf ihr K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>zulassen. Für e<strong>in</strong>e „h<strong>in</strong>reichend<br />
gute“ Fe<strong>in</strong>fühligkeit der B<strong>in</strong>dungsperson dem K<strong>in</strong>d gegenüber bedarf es auch Beratungs- und<br />
Bildungsprogramme, welche Mütter und Väter über den Verlauf der B<strong>in</strong>dungsentwicklung <strong>in</strong>formieren,<br />
elterliche „Fe<strong>in</strong>fühligkeit“ tra<strong>in</strong>ieren sowie gegebenenfalls praktisch-organisatorische Hilfestellungen im<br />
Alltag bieten.<br />
Möglicherweise bedarf es auch e<strong>in</strong>es spezifischen Beratungsangebots für Väter, etwa wenn die Geburt<br />
sehr komplikationsreich oder gar lebensbedrohlich für die Mutter und Partner<strong>in</strong> verlaufen ist. Väter<br />
müssen dieses unter Umständen traumatische Erlebnis selbst verarbeiten können, um die Rolle des<br />
„stabilen Ankers“ für die Partner<strong>in</strong> sowie als B<strong>in</strong>dungsperson des K<strong>in</strong>des kompetent ausüben zu können.<br />
Aufgrund der heutzutage häufigen, auch von den Partner<strong>in</strong>nen gewünschten Teilnahme der Väter am<br />
Geburtsvorgang plädiert der B<strong>in</strong>dungsforscher Karl-He<strong>in</strong>z Brisch sogar für e<strong>in</strong>e eigenständige emotionale<br />
Betreuung des werdenden Vaters im Rahmen des Geburtsvorgangs (Brisch 2007a).<br />
37
38<br />
Alltägliche Handlungskontexte, <strong>in</strong> denen B<strong>in</strong>dung entstehen kann<br />
B<strong>in</strong>dung entsteht <strong>in</strong> der alltäglichen Begegnung von Eltern und Baby. E<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>fühlig aufe<strong>in</strong>ander abgestimmter<br />
Austausch <strong>–</strong> etwa beim Stillen, Füttern, Wickeln, Spielen oder Schlafengehen <strong>–</strong> erhöht <strong>das</strong> gegenseitige<br />
Vertrauen und führt dazu, <strong>das</strong>s sich <strong>das</strong> Baby und die Eltern besser kennenlernen und der Säugl<strong>in</strong>g sich<br />
bei se<strong>in</strong>en Eltern vertraut und sicher fühlen kann.<br />
So können Eltern fe<strong>in</strong>fühlig die Signale des K<strong>in</strong>des wahrnehmen, mit denen es se<strong>in</strong>e Bereitschaft zu tr<strong>in</strong>ken<br />
oder aber e<strong>in</strong>e gewünschte Pause signalisiert. Vielleicht entdeckt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d während des Stillens zufällig<br />
etwas anderes Interessantes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung und möchte sich darauf kurzzeitig konzentrieren. Eltern<br />
sollten dieses Signal aufgreifen und es positiv kommentieren. Das Stillen des K<strong>in</strong>des wie <strong>das</strong> Füttern mit<br />
der Flasche wird als soziale Interaktion verstanden, während der die Eltern für die vom K<strong>in</strong>d ausgehenden<br />
Signale stets aufmerksam bleiben. Dies bedeutet auch, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Füttern des K<strong>in</strong>des nach Bedarf („on<br />
demand“) und nicht nach starren Regeln erfolgen sollte.<br />
Auch beim Wickeln s<strong>in</strong>d fe<strong>in</strong>fühlige Pflegeabläufe erforderlich: Nimmt die B<strong>in</strong>dungsperson wahr, wenn sich<br />
<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d beim W<strong>in</strong>delnwechseln kurzzeitig „sträubt“, weil es vielleicht gerade aufgewacht ist und sich erst<br />
langsam darauf e<strong>in</strong>stimmen kann? Verbalisiert sie die Regungen des K<strong>in</strong>des während der motorischen<br />
Pflegeabläufe und nimmt sie wahr, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sie dabei <strong>in</strong>tensiv anschaut und nach e<strong>in</strong>er „Erklärung“<br />
fragt? Bleibt sie <strong>in</strong>sgesamt während des motorischen Koord<strong>in</strong>ationsablaufs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven Gefühlszustand<br />
und kommuniziert rege mit dem K<strong>in</strong>d?<br />
Während des geme<strong>in</strong>samen Spiels mit dem K<strong>in</strong>d sollten Eltern auf e<strong>in</strong>en abgestimmten „Spieldialog“ achten,<br />
<strong>in</strong>dem sie die vom K<strong>in</strong>d geäußerten Interessensbekundungen aufgreifen und geme<strong>in</strong>sam weiterführen.<br />
Dabei sollte <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d weder über- noch unterstimuliert werden. Signalisiert <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong> Des<strong>in</strong>teresse an<br />
e<strong>in</strong>er Spielsache, ist <strong>das</strong> <strong>das</strong> Signal zur Beendigung der Spiel<strong>in</strong>teraktion.<br />
Auch die alltäglichen E<strong>in</strong>schlafepisoden stellen für Eltern e<strong>in</strong>e Herausforderung an ihre Fe<strong>in</strong>fühligkeit dar.<br />
Das Schlafengehen ist als e<strong>in</strong>e Trennungsepisode zu verstehen, die <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d aufgrund des damit verbundenen<br />
Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong>s ängstigt. Babys und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der können durch fe<strong>in</strong>fühlige Übergange <strong>in</strong> die Schlafenszeit<br />
(Rituale schaffen, Verabschiedung vom K<strong>in</strong>d, regelmäßige Wiederkehr, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d we<strong>in</strong>t) lernen, alle<strong>in</strong><br />
zu se<strong>in</strong> bzw. mit e<strong>in</strong>em Sicherheitsgefühl e<strong>in</strong>zuschlafen. Voraussetzung hierfür ist die unmittelbare und<br />
verlässliche Beantwortung der k<strong>in</strong>dlichen B<strong>in</strong>dungssignale, so<strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> Sicherheitsgefühl<br />
allmählich ver<strong>in</strong>nerlicht.
5<br />
Generationsübergreifende Weitergabe von<br />
B<strong>in</strong>dungs(un)sicherheit<br />
Weiterentwicklungen der B<strong>in</strong>dungstheorie führten zu der Fragestellung, ob <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell<br />
von B<strong>in</strong>dung der Eltern selbst e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Ausbildung der B<strong>in</strong>dungsqualität beim K<strong>in</strong>d hat.<br />
Forschungsbefunde konnten zeigen, <strong>das</strong>s der statistische Zusammenhang zwischen der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />
und dem Verhalten des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> der „Fremden Situation“ nur mittelstark ausgeprägt war<br />
(Brisch 2000). Durch die mittels e<strong>in</strong>es speziellen Interviewverfahrens, dem sogenannten Adult-Attachment-<br />
Interview (George et al. 1984/1985/1996), erfasste elterliche B<strong>in</strong>dungsrepräsentation konnte die k<strong>in</strong>dliche<br />
B<strong>in</strong>dungsqualität wesentlich zuverlässiger vorhergesagt werden als durch die elterliche Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />
alle<strong>in</strong>e, welche im Gegensatz zur B<strong>in</strong>dungsrepräsentation nur auf der Verhaltensebene erfasst wird<br />
(Grossmann et al. 1988, zit. n. Brisch 2000). Dies bedeutet, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e „mentale Struktur“ der Eltern<br />
die B<strong>in</strong>dungsqualität ihrer K<strong>in</strong>der maßgeblich bee<strong>in</strong>flusst. Vere<strong>in</strong>facht dargestellt: Unsicher gebundene<br />
Eltern haben überzufällig häufig auch unsicher gebundene K<strong>in</strong>der.<br />
Das <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell von B<strong>in</strong>dung der Eltern stellt e<strong>in</strong>en Komplex ver<strong>in</strong>nerlichter Erwartungen<br />
bezüglich des Umgangs mit den eigenen B<strong>in</strong>dungswünschen durch <strong>das</strong> soziale Umfeld dar, welcher sich<br />
aus den persönlichen, <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit gemachten Erfahrungen mit den primären B<strong>in</strong>dungspersonen<br />
ableitet. Eltern br<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den Familienkontext immer e<strong>in</strong>e lange persönliche Geschichte ihrer eigenen<br />
B<strong>in</strong>dungserfahrungen mit e<strong>in</strong>, die ihre <strong>in</strong>ternalen Arbeitsmodelle konstruiert haben und sich nun auf<br />
die Beziehung zu ihren eigenen K<strong>in</strong>dern <strong>–</strong> oft unbewusst <strong>–</strong> auswirken. Somit kann es se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s über<br />
mehrere Generationen h<strong>in</strong>weg bestimmte B<strong>in</strong>dungsqualitäten „sozial vererbt“ werden und Eltern ihre<br />
unsichere B<strong>in</strong>dungsrepräsentation auf ihre eigenen K<strong>in</strong>der ungewollt übertragen. Selbst <strong>das</strong> persönliche<br />
Wissen um die eigenen (negativen) Erfahrungen kann die <strong>in</strong>tergenerationale Weitergabe nicht immer<br />
erfolgreich verh<strong>in</strong>dern, da unsichere B<strong>in</strong>dungserfahrungen emotional tief verankert s<strong>in</strong>d und nur <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em selbstreflexiven und zugleich sozial-<strong>in</strong>teraktiven Bearbeitungsprozess <strong>in</strong> ihrer „Wirkmächtigkeit“<br />
schrittweise aufgelöst werden können.<br />
Eltern mit e<strong>in</strong>er sicher organisierten Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben überzufällig häufig auch K<strong>in</strong>der mit<br />
e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität. Ihr sicheres B<strong>in</strong>dungsmodell befähigt die Eltern, e<strong>in</strong> durchgehend e<strong>in</strong>fühlsameres<br />
Verhalten bezüglich der B<strong>in</strong>dungswünsche des K<strong>in</strong>des umzusetzen und damit zur Entwicklung<br />
von B<strong>in</strong>dungssicherheit beizutragen.<br />
Erwachsene mit e<strong>in</strong>er unsicher organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben im Gegensatz<br />
dazu überzufällig häufig K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>dungsqualität. Die vom K<strong>in</strong>d signalisierten B<strong>in</strong>dungswünsche<br />
reaktivieren bei diesen Eltern schmerzhafte Gefühle und Er<strong>in</strong>nerungen aus der eigenen K<strong>in</strong>dheit,<br />
welche die Eltern projektiv abwehren müssen und sie <strong>in</strong> der Folge „bl<strong>in</strong>d“ gegenüber den Bedürfnissen<br />
des eigenen K<strong>in</strong>des machen. Dadurch wird die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität beim K<strong>in</strong>d<br />
erschwert, im schlimmsten Falle werden wiederbelebte Er<strong>in</strong>nerungen mit dem eigenen K<strong>in</strong>d wiederholt.<br />
(nach: Brisch 2005)<br />
39
40<br />
5.1 Das <strong>in</strong>nere Modell von B<strong>in</strong>dung der Eltern als vermittelnde E<strong>in</strong>flussgröße<br />
Die im Erwachsenenalter erfassten <strong>in</strong>neren Modelle von B<strong>in</strong>dung lassen sich <strong>–</strong> <strong>in</strong> Analogie zur im K<strong>in</strong>desalter<br />
<strong>in</strong> der „Fremden Situation“ diagnostizierten B<strong>in</strong>dungsqualität <strong>–</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sicher-autonome, unsicherdistanzierte,<br />
unsicher-verstrickte sowie unverarbeitete B<strong>in</strong>dungsrepräsentation unterteilen (Brisch 2000).<br />
Erwachsene mit e<strong>in</strong>er sicher-autonom organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben e<strong>in</strong>e<br />
wertschätzende E<strong>in</strong>stellung zur B<strong>in</strong>dung. Sie berichten von positiven Erlebnissen mit ihren Eltern und<br />
von B<strong>in</strong>dungssituationen, <strong>in</strong> denen sie Trost und liebevolle Fürsorge erfahren haben. Falls die K<strong>in</strong>dheitserlebnisse<br />
von Schmerz, Trennung und Verlusten geprägt waren, können solche Personen trotzdem<br />
differenziert und mit e<strong>in</strong>em hohen Ausmaß an Selbstreflexivität über ihre Erfahrungen berichten (a. a.<br />
O.). Diese selbstreflexive Kompetenz und Distanziertheit gegenüber den eigenen negativen K<strong>in</strong>dheitserlebnissen<br />
kann durch wichtige „korrektive“ emotionale Erfahrungen (z. B. e<strong>in</strong>e sehr gute Partnerschaftsbeziehung)<br />
oder auch im Rahmen e<strong>in</strong>es psychotherapeutischen Prozesses erworben worden se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem<br />
die <strong>früh</strong>eren Erfahrungen bearbeitet wurden.<br />
Erwachsene mit e<strong>in</strong>er unsicher-vermeidend organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben<br />
e<strong>in</strong>e eher abwertende („distanzierte“) E<strong>in</strong>stellung zur B<strong>in</strong>dung. Sie verfügen über wenige Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an ihre eigene K<strong>in</strong>dheit und messen dem E<strong>in</strong>fluss der B<strong>in</strong>dungserfahrungen auf ihren Lebenslauf sowie<br />
der B<strong>in</strong>dung allgeme<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en größeren Wert bei. Es f<strong>in</strong>den sich häufig auch Idealisierungen der elterlichen<br />
Beziehungen, die aber nicht mit Beispielen belegt werden können.<br />
Erwachsene mit e<strong>in</strong>er unsicher-ambivalent organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation zeigen e<strong>in</strong>e „verstrickte“/<br />
präokkupierte E<strong>in</strong>stellung zur B<strong>in</strong>dung. In ihren Beschreibungen der eigenen B<strong>in</strong>dungserfahrungen der<br />
K<strong>in</strong>dheit f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>e Fülle von Details, <strong>in</strong>haltlichen Verstrickungen und widersprüchlichen Aussagen,<br />
welche der Person selbst aber nicht bewusst s<strong>in</strong>d.<br />
Erwachsene, die <strong>in</strong> ihrem Leben häufiger Traumata wie extreme Verluste, Misshandlung oder sogar<br />
Missbrauch erlebt haben und diese noch nicht verarbeiten konnten, weisen e<strong>in</strong> hohes Ausmaß an Des-<br />
organisation und Desorientierung <strong>in</strong> ihren Aussagen zu den eigenen B<strong>in</strong>dungserfahrungen der K<strong>in</strong>dheit<br />
auf. Solche B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen werden als unsicher organisiert (mit unverarbeitetem Trauma<br />
und/oder Verlust) bezeichnet (a. a. O.).<br />
Inwieweit die B<strong>in</strong>dungsrepräsentation tatsächlich die wirklichen von Eltern bzw. Erwachsenen <strong>in</strong> ihrer<br />
K<strong>in</strong>dheit erlebten B<strong>in</strong>dungserfahrungen widerspiegelt, ist unter Fachleuten umstritten. Bei <strong>in</strong>ternalen<br />
Arbeitsmodellen von B<strong>in</strong>dung handelt es sich nämlich um rekonstruierte Er<strong>in</strong>nerungen, die von vielen<br />
Faktoren mit bee<strong>in</strong>flusst werden können. Dazu gehören auch die im späteren Leben gesammelten Beziehungs-
erfahrungen, die eigene Persönlichkeit oder die momentane Lebenszufriedenheit (Berk 2005). Autobio-<br />
grafische Er<strong>in</strong>nerungen können somit auch <strong>das</strong> Produkt e<strong>in</strong>er bereits erfolgten „Überarbeitung“ se<strong>in</strong>,<br />
auch wenn sie uns subjektiv als direkte Abbilder der Vergangenheit ersche<strong>in</strong>en mögen.<br />
Entscheidend für die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität beim K<strong>in</strong>d ist nicht zwangsläufig die Qualität<br />
der von den Eltern selbst gemachten K<strong>in</strong>dheitserfahrungen, sondern die Art und Weise, wie diese ihre<br />
Erfahrungen bewerten und welche E<strong>in</strong>stellung sie gegenüber ihrer K<strong>in</strong>dheit e<strong>in</strong>nehmen. So können auch<br />
Eltern mit e<strong>in</strong>em unsicheren B<strong>in</strong>dungsmodell ihre negativen Erfahrungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em selbstreflexiven Prozess<br />
verarbeiten, <strong>in</strong> der Folge neue bzw. dem unsicheren B<strong>in</strong>dungsmodell zuwider laufende, positive B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />
machen und <strong>in</strong>tegrieren, und ihrem K<strong>in</strong>d durch die erworbene selbstreflexive Sicherheit als<br />
sichere Basis und sicherer Hafen zur Verfügung stehen.<br />
(Ma<strong>in</strong> 2001)<br />
5.2 Unterschiedliche B<strong>in</strong>dungsmuster der Eltern führen zu unterschiedlichen Kommunikationsmustern<br />
mit dem Säugl<strong>in</strong>g<br />
Die <strong>in</strong>nere B<strong>in</strong>dungsrepräsentation jedes Elternteils hat e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die B<strong>in</strong>dungsqualität des<br />
K<strong>in</strong>des. Im Folgenden werden vier unterschiedliche Beispiele der Interaktion zwischen e<strong>in</strong>em Vater<br />
und se<strong>in</strong>er vier Monate alten Tochter beschrieben, welche die verschiedenen Fürsorgeverhaltensweisen<br />
demonstrieren sollen, die sich aus der Qualität der B<strong>in</strong>dungsorganisation des Elternteils ergeben (Siegel<br />
& Hartzel 2003).<br />
Sicher-autonome B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (F-Klassifikation)<br />
Eltern mit e<strong>in</strong>er sicher-autonomen B<strong>in</strong>dungsrepräsentation verhalten sich ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber fe<strong>in</strong>fühlig,<br />
d. h. sie können die B<strong>in</strong>dungssignale ihres K<strong>in</strong>des sofort wahrnehmen, richtig <strong>in</strong>terpretieren und<br />
reagieren angemessen und zeitnah darauf.<br />
Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Ich weiß und kann darauf<br />
vertrauen, <strong>das</strong>s ich mich <strong>in</strong> Stresssituationen an dich wenden kann, um Trost und Sicherheit zur Bewäl-<br />
tigung me<strong>in</strong>er beunruhigenden Gefühle zu erfahren, um mich danach wieder me<strong>in</strong>en Spielaktivitäten<br />
zuzuwenden.<br />
41
42<br />
„Das Baby ist hungrig und fängt an zu we<strong>in</strong>en. Der Vater hört es und legt se<strong>in</strong>e Zeitung beiseite. Er geht zum<br />
K<strong>in</strong>d, um nachzusehen, ob etwas nicht stimmt. Er nimmt se<strong>in</strong>e Tochter behutsam auf den Arm, schaut ihr <strong>in</strong><br />
die Augen und sagt: ‚Was ist los, me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Schatz? Soll Papa mit dir spielen? Ah, ich weiß. Ich wette, du<br />
hast Hunger. Ist es <strong>das</strong>, was du mir sagen willst?‘ Er nimmt sie mit <strong>in</strong> die Küche und bereitet e<strong>in</strong>e Flasche<br />
zu. Dabei spricht er mit ihr und sagt ihr, <strong>das</strong>s die Flasche bald fertig ist und sie bald zu essen bekommt. Er<br />
setzt sich, hält sie im Arm und gibt ihr die Flasche. Se<strong>in</strong>e Tochter schaut <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gesicht, zufrieden durch die<br />
warme Milch und den liebevollen Austausch mit ihrem Vater. Sie fühlt sich wohl. Die Signale ihres Kummers<br />
wurden vom Vater wahrgenommen, er konnte sie richtig <strong>in</strong>terpretieren und handelte zügig und effektiv“<br />
(Siegel & Hartzell 2003, S. 126).<br />
Aus diesem Ereignis und zahlreichen weiteren gelungenen Interaktionen mit dem Vater lernt <strong>das</strong> Baby,<br />
<strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Bedürfnisse verstanden, respektiert und richtig beantwortet werden. Es kann e<strong>in</strong> <strong>„emotionale</strong>s<br />
<strong>Band</strong>“ zu se<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson aufbauen und lernt, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale e<strong>in</strong>e angenehme Reaktion bei<br />
se<strong>in</strong>er Bezugsperson hervorrufen: E<strong>in</strong>e vertrauensvolle, sichere B<strong>in</strong>dungsbeziehung entsteht.<br />
Unsicher-distanzierte B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (D-Klassifikation: „dismiss<strong>in</strong>g“)<br />
Eltern mit e<strong>in</strong>er unsicher-distanzierten B<strong>in</strong>dungsrepräsentation verhalten sich ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber<br />
häufig nicht h<strong>in</strong>reichend fe<strong>in</strong>fühlig, stimmen sich emotional nicht auf die Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong><br />
bzw. vermeiden <strong>in</strong>nerlich die gefühlsmäßigen Reaktionen, welche <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en B<strong>in</strong>dungssignalen<br />
bei ihnen auslöst. So kann es se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsperson für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zwar körperlich anwesend, aber<br />
emotional nicht verfügbar ist bzw. sich une<strong>in</strong>fühlsam und ablehnend verhält. Oder aber der Kontakt<br />
mit dem K<strong>in</strong>d wird <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen ganz vermieden. Solche Eltern s<strong>in</strong>d meist selbst<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>„emotionale</strong>n Ödland“ aufgewachsen und haben diese für sie schlimmen Erfahrungen (noch)<br />
nicht verarbeiten können. Das K<strong>in</strong>d entwickelt <strong>in</strong> der Folge e<strong>in</strong>en unsicher-vermeidenden B<strong>in</strong>dungsstil.<br />
Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Ich fühle mich gestresst, meide<br />
aber de<strong>in</strong>e Nähe aus Angst vor e<strong>in</strong>er (erneuten) Zurückweisung. Nur wenn der Stress so groß wird, <strong>das</strong>s<br />
ich gar nicht mehr selber damit klarkomme, kann ich mich überw<strong>in</strong>den zu dir zu kommen und fühle<br />
mich durch de<strong>in</strong>e Nähe doch entlastet.
„Wenn <strong>das</strong> Baby schreit, hört der Vater es zunächst nicht. Wenn die kle<strong>in</strong>e Tochter nachdrücklicher schreit,<br />
schaut er von se<strong>in</strong>er Zeitung auf, aber er liest erst noch den Artikel zu Ende, bevor er nach ihr sieht. Er fühlt<br />
sich durch die Unterbrechung gestört, schaut sie an und sagt: ‚He, was soll <strong>das</strong> Theater?‘ Er denkt, <strong>das</strong>s<br />
sie vielleicht e<strong>in</strong>e frische W<strong>in</strong>del braucht, legt sie auf den Wickeltisch, wickelt sie ohne e<strong>in</strong> weiteres Wort,<br />
setzt sie wieder <strong>in</strong> den Laufstall und kehrt zu se<strong>in</strong>er Zeitung zurück. Sie we<strong>in</strong>t weiter, also denkt er, <strong>das</strong>s<br />
sie vielleicht Schlaf braucht und legt sie <strong>in</strong> ihre Wiege. Sie we<strong>in</strong>t immer noch, also deckt er sie zu und gibt<br />
ihr e<strong>in</strong>en Schnuller, <strong>in</strong> der Hoffnung, <strong>das</strong>s sie dann still ist. Er schließt die Tür und denkt, <strong>das</strong>s sie sich bald<br />
beruhigt haben wird. Sie beruhigt sich nicht, und mittlerweile ist e<strong>in</strong>e Dreiviertelstunde vergangen, seit sie<br />
versucht hat ihm mitzuteilen, <strong>das</strong>s sie hungrig ist. ‚Vielleicht ist sie hungrig‘, wird dem Vater klar, als er auf<br />
die Uhr schaut und sieht, <strong>das</strong>s es schon mehr als drei Stunden her ist, <strong>das</strong>s sie ihre letzte Flasche bekam.<br />
Er bereitet e<strong>in</strong> Fläschchen zu und endlich beruhigt sie sich, als er sich h<strong>in</strong>setzt, um sie zu füttern“ (Siegel &<br />
Hartzell 2003, S. 126f.).<br />
In diesem Szenario lernt e<strong>in</strong> Baby, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale zunächst nicht wahrgenommen, falsch gedeutet<br />
und erst nach längerer Zeit richtig beantwortet werden. Wiederholte Interaktionsmuster dieser Art leh-<br />
ren <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit der Zeit, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson nicht sehr zuverlässig und wenig e<strong>in</strong>fühlsam oder<br />
sogar abweisend ist: E<strong>in</strong>e unsicher-vermeidende B<strong>in</strong>dung entsteht.<br />
Unsicher-verstrickte/präokkupierte B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (E-Klassifikation: „enmeshed“)<br />
Eltern mit e<strong>in</strong>er unsicher-verstrickten B<strong>in</strong>dungsrepräsentation verhalten sich ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber<br />
sehr wechselhaft und zeitweise aufdr<strong>in</strong>glich. Mal s<strong>in</strong>d solche Eltern ihren K<strong>in</strong>dern gegenüber sehr aufmerksam<br />
und fe<strong>in</strong>fühlig, mal s<strong>in</strong>d sie ängstlich, verunsichert und überfordert, wie sie mit dem K<strong>in</strong>d und<br />
se<strong>in</strong>en B<strong>in</strong>dungswünschen umgehen sollen. Das K<strong>in</strong>d weiß <strong>in</strong> der Folge nicht, was es erwarten soll. Es<br />
ist mit diesen widersprüchlichen Antworten auf se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungssignale überfordert und entwickelt e<strong>in</strong>en<br />
unsicher-ambivalenten B<strong>in</strong>dungsstil.<br />
Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Ich vertraue dir nicht, <strong>das</strong>s du<br />
me<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungssignale zuverlässig und vorhersehbar fe<strong>in</strong>fühlig beantwortest. Deshalb muss ich mich an<br />
dir festhalten („klammere ich“), aber ich ärgere mich gleichzeitig darüber, <strong>das</strong>s ich dir nicht vertrauen<br />
kann.<br />
43
44<br />
„Wenn der Vater se<strong>in</strong>e Tochter we<strong>in</strong>en hört, weiß er manchmal genau, was er tun muss. Zu anderen Zeiten ist<br />
er jedoch besorgt und traut sich nicht zu, sie trösten zu können. Er verlässt den Tisch, an dem er gelesen<br />
hat, eilt mit bangem Gesichtsausdruck zu ihr und nimmt sie hoch. Er ist besorgt, und der Stress an se<strong>in</strong>em<br />
Arbeitsplatz kommt ihm wieder <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n. Letzte Woche war es besonders schlimm, als se<strong>in</strong> Chef ihm<br />
mitteilte, <strong>das</strong>s er mit se<strong>in</strong>er Leistung nicht zufrieden sei und möchte, <strong>das</strong>s er den Kunden gegenüber mit<br />
mehr Bestimmtheit auftritt. Das er<strong>in</strong>nert ihn daran, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong> Vater ständig an se<strong>in</strong>en Fähigkeiten gezweifelt<br />
hat und stets beim Abendessen, <strong>in</strong> Anwesenheit der Mutter und der beiden älteren Brüder, demütigende<br />
Bemerkungen machte. Die Mutter schien immer nur noch mehr besorgt, wenn se<strong>in</strong> Vater mal wieder<br />
an ihm herumkritisierte, und sie trat niemals für ihn e<strong>in</strong>. Später, wenn er nach der Schelte se<strong>in</strong>es Vaters<br />
we<strong>in</strong>end <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer gelaufen war, kam sie zu ihm und sagte, <strong>das</strong>s es nicht recht sei, se<strong>in</strong>en Vater<br />
anzuschreien, und <strong>das</strong>s er lernen müsse, sich zu beherrschen. Sie sah sehr mitgenommen aus und ihre<br />
Besorgnis machte ihn nur noch nervöser und noch unsicherer. Er schwor sich, <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der niemals<br />
so behandeln würde, wie se<strong>in</strong>e Eltern ihn behandelt hatten <strong>–</strong> und <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der niemals zum<br />
We<strong>in</strong>en br<strong>in</strong>gen wollte.<br />
Und hier war se<strong>in</strong>e Tochter, immer noch we<strong>in</strong>end auf se<strong>in</strong>em Arm. Er sagt sich: ‚Dies muss e<strong>in</strong>er der Momente<br />
se<strong>in</strong>, wo man sie nicht trösten kann.‘ Se<strong>in</strong> besorgter Gesichtsausruck und die angespannten Arme<br />
vermitteln der Tochter weder Trost noch Sicherheit. Sie ist nur e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d und kann nicht wissen, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e<br />
Anspannung nichts mit ihrem Hunger zu tun hat. Er f<strong>in</strong>det schnell heraus, <strong>das</strong>s sie hungrig ist und gibt ihr<br />
e<strong>in</strong> Fläschchen. Zwar freut er sich, sie nun glücklich zu sehen, aber er ist weiterh<strong>in</strong> besorgt, <strong>das</strong>s sie wieder<br />
anfangen könnte zu we<strong>in</strong>en und er nicht weiß, wie er sie trösten soll“ (Siegel & Hartzell 2003, S. 127f.).<br />
In diesem Szenario lernt <strong>das</strong> Baby, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale nicht zuverlässig fe<strong>in</strong>fühlig beantwortet werden.<br />
Mal ist die B<strong>in</strong>dungsperson fe<strong>in</strong>fühlig, mal reagiert sie gar nicht oder auch übergriffig und ängstigend.<br />
Das Baby kann ke<strong>in</strong> Gefühl von vertrauensvoller Vorhersagbarkeit bezüglich des Fürsorgeverhaltens der<br />
B<strong>in</strong>dungsperson entwickeln: E<strong>in</strong>e unsicher-ambivalente B<strong>in</strong>dungsbeziehung entsteht.<br />
Unverarbeitete B<strong>in</strong>dungsorganisation <strong>–</strong> mit ungelöstem Trauma und/oder Verlust<br />
(U-Klassifikation: „unresolved“)<br />
Eltern, die eigene Traumata (Vernachlässigung, emotionaler oder physischer/sexueller Missbrauch)<br />
und/oder Verlusterlebnisse noch nicht verarbeitet haben, verhalten sich <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungssituationen ihren<br />
K<strong>in</strong>dern gegenüber überwältigend, beängstigend oder chaotisch. Das K<strong>in</strong>d bef<strong>in</strong>det sich hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
paradoxen Situation: Das B<strong>in</strong>dungssystem ist biologisch so angelegt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Stresssituationen<br />
Trost und Schutz durch die (körperliche) Nähe zur B<strong>in</strong>dungsperson sucht. In diesem Falle steckt <strong>das</strong><br />
K<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unlösbaren Dilemma, denn es fühlt den Impuls, sich gerade an die „Quelle des<br />
Schreckens“ zu wenden, der es zu entkommen versucht. Es kann weder e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> der Situation erkennen
noch e<strong>in</strong>e angemessene Form zur Bewältigung entwickeln. Die e<strong>in</strong>zig mögliche Reaktion des B<strong>in</strong>dungs-<br />
systems besteht dar<strong>in</strong>, sich zu „desorganisieren“ und chaotisch zu werden. E<strong>in</strong>e unsicher-desorganisierte<br />
B<strong>in</strong>dungsorganisation f<strong>in</strong>det sich gehäuft bei K<strong>in</strong>dern, die von ihren Eltern missbraucht wurden.<br />
Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Obwohl ich dich dr<strong>in</strong>gend<br />
zum Schutz und zum „Sicherheitstanken“ bräuchte, macht mir de<strong>in</strong> Verhalten soviel Angst und verstört<br />
mich so sehr, <strong>das</strong>s ich ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ordnung mehr f<strong>in</strong>den kann. Deswegen werde ich „chaotisch“ und<br />
zeige völlig desorganisierte Verhaltensweisen, um damit selbst fertig zu werden.<br />
„Der Vater fühlt sich sehr unwohl, wenn se<strong>in</strong>e Tochter we<strong>in</strong>t. Sobald sie damit anfängt, legt er die Zeitung<br />
beiseite, spr<strong>in</strong>gt auf und geht direkt zum Laufstall, <strong>in</strong> der Hoffnung, <strong>das</strong> störende We<strong>in</strong>en beenden zu können.<br />
Er nimmt sie abrupt hoch und hält sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Anspannung e<strong>in</strong> wenig zu fest. Zunächst ist sie erleichtert,<br />
als er kommt, aber se<strong>in</strong>e angespannten Arme fühlen sich eher beengend als tröstend an. Sie we<strong>in</strong>t lauter,<br />
da sie sich nun <strong>–</strong> zusätzlich zum Hunger <strong>–</strong> auch noch unwohl fühlt. Ihr Vater spürt ihre wachsende Not<br />
und hält sie nur noch fester. Er denkt, <strong>das</strong>s sie vielleicht hungrig ist und trägt se<strong>in</strong>e we<strong>in</strong>ende Tochter <strong>in</strong> die<br />
Küche, wo er <strong>in</strong> aller Eile e<strong>in</strong> Fläschchen zubereiten will. Als er fast fertig ist, fällt die Flasche herunter und<br />
die Milch ergießt sich über den Fußboden. Erschrocken über <strong>das</strong> Klirren, schreit die Tochter noch lauter.<br />
Voller Verärgerung über se<strong>in</strong>e eigene Ungeschicklichkeit und <strong>das</strong> unablässige Schreien se<strong>in</strong>er Tochter und<br />
frustriert über se<strong>in</strong>e Unfähigkeit, die Tochter zu trösten, ist er nun völlig überfordert. Er fühlt sich hilflos. Se<strong>in</strong>e<br />
Gedanken beg<strong>in</strong>nen abzudriften. Er<strong>in</strong>nerungen daran, wie er als K<strong>in</strong>d von se<strong>in</strong>er alkoholabhängigen Mutter<br />
misshandelt wurde, brechen über ihn here<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong> Körper verkrampft sich noch mehr, se<strong>in</strong> Herz beg<strong>in</strong>nt zu<br />
rasen, er spannt die Arme an, als er sich er<strong>in</strong>nert, wie er we<strong>in</strong>end und schreiend am Boden unter dem Küchentisch<br />
kauert und sich auf den Angriff se<strong>in</strong>er Mutter vorbereitet. Er hört <strong>das</strong> Geräusch von brechendem<br />
Glas, als se<strong>in</strong>e Mutter die Wodkaflasche fallen lässt, die auf dem Boden um ihn herum <strong>in</strong> lauter Scherben<br />
zerspr<strong>in</strong>gt. Sie bückt sich, um ihn zu ergreifen, kniet <strong>in</strong> den Scherben und schneidet sich die Be<strong>in</strong>e daran<br />
auf. Wutentbrannt reißt sie an se<strong>in</strong>en Haaren und brüllt ihm <strong>in</strong>s Gesicht: ‚Tu <strong>das</strong> nie wieder!‘<br />
Se<strong>in</strong>e Tochter wimmert nun und starrt <strong>in</strong>s Leere. Als er sie we<strong>in</strong>en hört, wird ihm bewusst, <strong>das</strong>s er wie <strong>in</strong><br />
Trance war, und er ruft ihren Namen. Der Flash ist vorüber, er kehrt <strong>in</strong> die Gegenwart zurück und versucht<br />
se<strong>in</strong>e Tochter zu trösten. Langsam und mit e<strong>in</strong>em abwesenden Gesichtsausdruck wendet sie sich ihm wieder<br />
zu. E<strong>in</strong> paar Augenblicke später sche<strong>in</strong>t sie wieder gegenwärtig zu se<strong>in</strong>. Er holt e<strong>in</strong> anderes Fläschchen<br />
und setzt sich, um sie zu füttern. Während sie tr<strong>in</strong>kt, schaut sie ihren Vater an und dann zum Küchenboden.<br />
Er ist auch noch immer mitgenommen von diesem Erlebnis und kaum bei der Sache. Sie können beide<br />
nicht verstehen, was da passiert ist, und verschw<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der Desorganisation, die sich im eigenen Geist<br />
entwickelt hat“ (Siegel & Hartzell 2003, S. 128f.).<br />
45
46<br />
Wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d wiederholt erlebt, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsperson bei se<strong>in</strong>en B<strong>in</strong>dungssignalen selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Art „Trancezustand“ verfällt, weil die B<strong>in</strong>dungssituation beim Elternteil sogenannte „Flashbacks“ aus-<br />
löst, wird dies tief greifende Auswirkungen auf se<strong>in</strong>e Fähigkeit zur Toleranz und Regulation <strong>in</strong>tensiver<br />
Gefühle haben. Das Abgleiten der Bezugsperson <strong>in</strong> die eigene, ungelöste traumatische Erlebniswelt lässt<br />
<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d genau dann alle<strong>in</strong>e, wenn es verzweifelt Kontakt braucht. Noch mehr: Die sprachlichen und<br />
<strong>in</strong>sbesondere die nonverbalen Signale (starres Festhalten des K<strong>in</strong>des, angsterfüllter Gesichtsausdruck<br />
etc.) machen dem K<strong>in</strong>d nur noch mehr Angst und führen bei ihm zu e<strong>in</strong>em Zustand der <strong>in</strong>neren Ver-<br />
wirrung, den es nicht alle<strong>in</strong>e bewältigen und regulieren kann. Die Folge ist e<strong>in</strong>e „Desorganisation“ im<br />
B<strong>in</strong>dungsstil, die als <strong>in</strong>nere Anpassungsleistung des K<strong>in</strong>des an diese traumatische Situation verstanden<br />
werden muss.
Zusammenhang zwischen B<strong>in</strong>dungsmuster, elterlicher B<strong>in</strong>dungsrepräsentation und Fürsorgeverhalten<br />
B<strong>in</strong>dungskategorie<br />
B<strong>in</strong>dungsverhalten des<br />
K<strong>in</strong>des<br />
Sicher Direkte und offene Kommunikation<br />
und Zugang<br />
zu Gefühlen, Nähe zur<br />
B<strong>in</strong>dungsperson bei Belastung,<br />
B<strong>in</strong>dungsperson<br />
bildet sichere Basis bei<br />
Exploration<br />
Unsichervermeidend<br />
Unsicherambivalent<br />
Unsicherdesorganisiert<br />
Wenig, e<strong>in</strong>geschränkte<br />
Kommunikation und<br />
Zugang zu Gefühlen,<br />
beziehungsvermeidende<br />
Haltung bei Belastung,<br />
überaktivierte Exploration<br />
bei ger<strong>in</strong>ger Intensität<br />
Übersteigerter Gefühlsausdruck,<br />
ärgerlich, angespannt,<br />
anklammernd und<br />
hilflos bei Belastung, B<strong>in</strong>dungssystem<br />
überaktiviert,<br />
Exploration nicht möglich<br />
Unklarer, widersprüchlicher<br />
Gefühlsausdruck,<br />
z. T. geängstigt durch<br />
B<strong>in</strong>dungsperson, deutlicher<br />
Annäherungs-/<br />
Vermeidungskonflikt,<br />
später kontrollierend und<br />
Rollenumkehr, Exploration<br />
bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
(nach: Scheuerer-Englisch 2001)<br />
Fürsorgeverhalten/<br />
Elternverhalten<br />
Fe<strong>in</strong>fühlige Wahrnehmung<br />
und prompte und angemessene<br />
Reaktion auf die<br />
k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnisse und<br />
Gefühlsäußerungen, Zulassen<br />
von Körperkontakt und<br />
Akzeptieren des K<strong>in</strong>des<br />
Unfe<strong>in</strong>fühliger Umgang<br />
mit k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen,<br />
Zurückweisung bei<br />
Gefühlsäußerungen und<br />
Körperkontakt<br />
Inkonsistenter, nicht<br />
e<strong>in</strong>schätzbarer Umgang<br />
mit den k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen,<br />
fehlende Grenze<br />
zwischen elterlichen und<br />
k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen,<br />
elterliche Bedürfnisse<br />
dom<strong>in</strong>ieren<br />
Ängstigender Umgang mit<br />
dem K<strong>in</strong>d, Traumatisierung<br />
durch Misshandlung,<br />
Missbrauch oder Vernachlässigung,<br />
Elternteil selbst<br />
traumatisiert und geängstigt<br />
beim Umgang mit dem<br />
K<strong>in</strong>d<br />
B<strong>in</strong>dungsrepräsentation<br />
(„Inner work<strong>in</strong>g model“)<br />
Freier und eigenständiger<br />
Zugang zu eigenen B<strong>in</strong>dungserfahrungen,Integration<br />
negativer Gefühle und<br />
Erfahrungen, Wertschätzung<br />
von B<strong>in</strong>dungen und Gefühlen,<br />
beziehungsorientiert<br />
Ke<strong>in</strong> Zugang zu Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an B<strong>in</strong>dungserfahrungen,<br />
Idealisieren der eher unglücklichen<br />
K<strong>in</strong>dheit, Rückzug aus<br />
der Beziehung bei Belastung,<br />
ger<strong>in</strong>ge Wertschätzung von<br />
Gefühlen<br />
Verstrickung <strong>in</strong> <strong>früh</strong>ere B<strong>in</strong>dungserfahrungen,<br />
die <strong>das</strong><br />
aktuelle Leben stark bee<strong>in</strong>flussen,<br />
fehlende Ablösung von<br />
den Eltern, häufig Angst, Wut,<br />
Hilflosigkeit und Verwirrung im<br />
Gespräch<br />
H<strong>in</strong>weise auf gedankliche<br />
Desorganisation im Gespräch<br />
über B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />
aufgrund unverarbeiteter traumatischer<br />
Erfahrungen und<br />
Verlust von B<strong>in</strong>dungsperson<br />
47
48<br />
5.3 Das Konzept der Mentalisierung (Theory of M<strong>in</strong>d)<br />
In der kl<strong>in</strong>ischen B<strong>in</strong>dungsforschung der jüngsten Zeit hat sich <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong>itiiert durch die Arbeitsgruppe<br />
von Peter Fonagy und Mary Target (University College London) <strong>–</strong> e<strong>in</strong> zunehmendes Interesse an<br />
dem Konstrukt der Selbstreflexivität und dessen Erfassung durch <strong>das</strong> Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs-Interview<br />
(AAI) entwickelt. Dieses sowohl <strong>in</strong> der psychoanalytischen als auch <strong>in</strong> der kognitionspsychologischen<br />
Literatur beschriebene Konzept bezieht sich auf die Fähigkeit, sowohl die eigene Person als auch die der<br />
anderen <strong>in</strong> Begriffen von Intentionalität bzw. mentalem (geistig-seelischem) Bef<strong>in</strong>den wahrzunehmen<br />
und zu verstehen und über <strong>das</strong> Verhalten entsprechend nachzudenken. Die Begriffe „Metakognition“,<br />
„Metakognitive Steuerung“, „Mentalisierung“ und „Reflexivität“ bzw. „Theory of M<strong>in</strong>d“, „Reflexives<br />
Selbst“ oder auch „Fähigkeit zur Symbolisierung“ werden <strong>in</strong> der Literatur weitgehend synonym verwendet<br />
(Daudert 2002).<br />
Ursprünglich hatte bereits Mary Ma<strong>in</strong> mit ihren Überlegungen zur „metakognitiven Steuerung“<br />
(metacognitive monitor<strong>in</strong>g) <strong>das</strong> A<strong>in</strong>sworth´sche Fe<strong>in</strong>fühligkeitskonzept erweitert und differenziert. Da-<br />
nach erhöht die Verfügbarkeit e<strong>in</strong>er reflexiven Bezugsperson, die <strong>in</strong> der Lage ist, die <strong>in</strong>nere Bef<strong>in</strong>d-<br />
lichkeit des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen und angemessen zu reflektieren, die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />
K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung entwickelt.<br />
Der englische Psychoanalytiker Peter Fonagy und se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> Mary Target begreifen die aus der<br />
objektbeziehungstheoretischen Schule stammende „Conta<strong>in</strong>er-conta<strong>in</strong>ed-Konzeption“ Wilfried Bions<br />
als e<strong>in</strong>e kl<strong>in</strong>isch-metaphorische Analogie des b<strong>in</strong>dungstheoretischen Fe<strong>in</strong>fühligkeitskonzepts. Der Mutter<br />
bzw. der zentralen B<strong>in</strong>dungsperson kommt dabei die essenzielle Aufgabe zu, die vor allem negativen<br />
und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d überwältigenden Affekte aufzugreifen und zu modulieren, damit sie für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d erträgli-<br />
cher werden. Sie fungiert quasi als „Gefühls-Conta<strong>in</strong>er“: Anstatt sich von den heftigen Affekten des K<strong>in</strong>-<br />
des selbst überwältigen zu lassen, spiegelt sie dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fühlsamer Weise se<strong>in</strong>en eigenen <strong>in</strong>neren<br />
Zustand <strong>in</strong> „verdauter“ bzw. angemessener Weise zurück. Dadurch kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d die vertrauensvolle<br />
Erfahrung machen, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Gefühle verstanden, aufgenommen und verändert bzw. bewältigt werden<br />
können. Diese Form der Regulation negativer Affekte durch die Mutter wird allmählich vom K<strong>in</strong>d<br />
ver<strong>in</strong>nerlicht und zum Teil se<strong>in</strong>er Selbststruktur. Je besser die <strong>in</strong>teraktive Affektregulation gel<strong>in</strong>gt, umso<br />
höher ist die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der sicheren B<strong>in</strong>dung und desto ausgeprägter s<strong>in</strong>d die metakognitiven<br />
Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des.<br />
Abhängig von den eigenen B<strong>in</strong>dungsrepräsentanzen bzw. reflexiven Fähigkeiten unterscheiden sich<br />
B<strong>in</strong>dungspersonen möglicherweise <strong>in</strong> diesem <strong>in</strong>tersubjektiven Regulationsprozess. Unsicher-distanzierte<br />
B<strong>in</strong>dungspersonen gehen mit (negativen) Gefühlen eventuell so um, <strong>das</strong>s sie <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ablenken, also<br />
Stabilität und Bewältigung vermitteln, ohne den Affekt exakt wiederzuspiegeln bzw. weichen ihm aus.
Im Gegensatz dazu reagieren unsicher-ambivalente B<strong>in</strong>dungspersonen vermutlich <strong>in</strong>sbesondere auf die<br />
negativen Gefühle ihrer K<strong>in</strong>der, s<strong>in</strong>d aber auch oft irritiert und bleiben <strong>in</strong> den aufgenommenen Affekt<br />
verstrickt, ohne ihn verarbeiten zu können. Sicher-autonome B<strong>in</strong>dungspersonen h<strong>in</strong>gegen können die<br />
emotionale Qualität der k<strong>in</strong>dlichen Botschaft fe<strong>in</strong>fühlig aufnehmen und <strong>in</strong> angemessener Weise zurück-<br />
geben.<br />
In empirischen Studien konnte mittlerweile nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s die Selbstreflexivität („Theory<br />
of m<strong>in</strong>d“) im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Pufferfunktion davor schützen kann, eigene traumatische K<strong>in</strong>dheitserfahrun-<br />
gen transgenerational weiterzugeben.<br />
Lesetipp:<br />
• Ausführlichere Informationen zu diesem komplexen Ansatz, der b<strong>in</strong>dungstheoretische und psychoanalytische<br />
Ansätze mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong>: Fonagy, P., György, G., Jurist, E.L. & Target, M. (2008).<br />
Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. 3. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
In italienischer Sprache: Fonagy, P. et al. (2005). Regolazione affettiva, mentalizzazione e sviluppo del Sé.<br />
Milano: Raffaello Cort<strong>in</strong>a.<br />
49
6<br />
50<br />
Explorationssicherheit <strong>–</strong> die zweite Dimension<br />
„psychischer Sicherheit“ im Leben e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
Neben dem B<strong>in</strong>dungssystem kommt e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g noch mit e<strong>in</strong>em anderen Motivationssystem auf die<br />
Welt, <strong>das</strong> den direkten Gegenpol zum B<strong>in</strong>dungssystem darstellt: dem Explorationssystem. B<strong>in</strong>dungsund<br />
Explorationssystem stehen zue<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> wechselseitiger Abhängigkeit. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d kann se<strong>in</strong>e<br />
Umwelt ausreichend erkunden und auch Angst während se<strong>in</strong>er Entfernung von der Mutter aushalten,<br />
wenn es die Mutter als „sichere Basis“ erlebt und von hier aus se<strong>in</strong>e Erkundungen beg<strong>in</strong>nt. E<strong>in</strong>e sichere<br />
B<strong>in</strong>dungsqualität ist somit zuerst e<strong>in</strong>mal die Voraussetzung dafür, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>e Umwelt erforscht<br />
und sich dabei als selbsteffektiv und handelnd erleben kann (A<strong>in</strong>sworth & Wittig 1969/2003).<br />
B<strong>in</strong>dungs- und Explorationssystem s<strong>in</strong>d beim K<strong>in</strong>d von Lebensbeg<strong>in</strong>n an aktiv, <strong>das</strong> Explorationssystem<br />
tritt aber verstärkt mit der zunehmenden motorischen Entwicklung des K<strong>in</strong>des ab dem Krabbelalter mit<br />
sieben bis acht Monaten <strong>in</strong> den Vordergrund und fordert auch die Eltern neu heraus.<br />
Erlebt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d bei se<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson emotionale Sicherheit, ist <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem des<br />
K<strong>in</strong>des „ruhig gestellt“ und <strong>das</strong> Explorationsverhalten des K<strong>in</strong>des wird aktiviert: Das K<strong>in</strong>d erkundet<br />
mit Neugier und Interesse se<strong>in</strong>e Umwelt und wird sich hierzu mehr oder weniger weit von der Be-<br />
zugsperson entfernen können, ohne dabei <strong>in</strong> <strong>„emotionale</strong>n Stress“ (d. h. Angst) zu geraten. Wird die<br />
räumliche Entfernung oder die Dauer der zeitlichen Trennung von der B<strong>in</strong>dungsperson für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
zu groß oder macht es gar furchtauslösende Erfahrungen, wird die Exploration e<strong>in</strong>geschränkt bzw.<br />
<strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem (re-)aktiviert: Das K<strong>in</strong>d sucht die räumliche oder körperliche Nähe zu<br />
se<strong>in</strong>er Bezugsperson und möchte beschützt und getröstet werden. Werden die B<strong>in</strong>dungswünsche des<br />
K<strong>in</strong>des von der Bezugsperson fe<strong>in</strong>fühlig beantwortet und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d erreicht dadurch wieder e<strong>in</strong>en für<br />
sich akzeptablen „Ist-Wert“ an Sicherheit, steigt wieder die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, <strong>das</strong>s es se<strong>in</strong>e Umwelt<br />
aktiv erforscht. Das B<strong>in</strong>dungsverhalten wird aber nicht nur durch während der Exploration ausgelöste<br />
Angst aktiviert, sondern ist auch aktiv, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d krank, müde, hungrig, e<strong>in</strong>sam, überfordert ist<br />
oder Schmerzen hat (a. a. O.).<br />
Die wechselseitige Beziehung zwischen B<strong>in</strong>dung und Exploration ist der B<strong>in</strong>dungstheorie zufolge ke<strong>in</strong><br />
Phänomen, <strong>das</strong> sich nur auf die Säugl<strong>in</strong>gs- und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dzeit beschränkt, sondern <strong>das</strong> ganzes Leben<br />
<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er dialektischen Grundspannung zwischen Sicherheit und Exploration, Verbundenheit und<br />
Autonomie, Nähe und Distanz etc. fortbesteht.<br />
Die Sicherheit der Exploration ist e<strong>in</strong> weiterer Aspekt der psychischen Sicherheit des K<strong>in</strong>des, deren Ent-<br />
wicklung durch e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>fühlige und angemessene Herausforderung unterstützt wird. Die Unterstützung<br />
des K<strong>in</strong>des vollzieht sich dabei vor allem beim geme<strong>in</strong>samen Spiel, <strong>das</strong> meist <strong>in</strong> positiver Stimmung<br />
stattf<strong>in</strong>det und während dem <strong>das</strong> Explorationssystem des K<strong>in</strong>des aktiv ist. Die Aufgabe der B<strong>in</strong>dungs-<br />
person besteht dar<strong>in</strong>, die spontanen Interessensimpulse und Verhaltensweisen des K<strong>in</strong>des als Explorati-<br />
onsbekundungen zu erkennen, richtig zu <strong>in</strong>terpretieren und prompt darauf zu reagieren. Das geschieht,
<strong>in</strong>dem <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Neugier und se<strong>in</strong>em Tätigkeitsdrang bekräftigt wird, die vom K<strong>in</strong>d gesuchte<br />
Herausforderung als beherrschbar dargestellt wird und <strong>–</strong> wenn erforderlich <strong>–</strong> H<strong>in</strong>weise zu deren Bewäl-<br />
tigung gegeben werden. Diese elterliche „Spielfe<strong>in</strong>fühligkeit“ vermeidet somit e<strong>in</strong>e Überforderung des<br />
K<strong>in</strong>des und unterlässt zudem e<strong>in</strong>greifende oder vorwegnehmende Hilfestellungen. Die B<strong>in</strong>dungsperson<br />
gewährt dem selbstständig erkundenden K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>er Entwicklung angemessenen Beistand, wenn<br />
es um Hilfe bittet, wobei die bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des berücksichtigt<br />
werden: Das K<strong>in</strong>d kann mit Unterstützung der B<strong>in</strong>dungsperson weiterspielen oder kommt e<strong>in</strong>er Lö-<br />
sung se<strong>in</strong>es Problems näher, ohne dabei die Konzentration auf den Spiel<strong>in</strong>halt unterbrechen zu müssen<br />
(Grossmann & Grossmann 2004).<br />
„E<strong>in</strong>e vorausschauende Koord<strong>in</strong>ation und unterstützende Begleitung bzw. Anleitung des K<strong>in</strong>des ist e<strong>in</strong>e<br />
weitere, ab dem zweiten Lebensjahr auftretende Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionsform, welche die regelmäßig auftretenden<br />
Konflikte zwischen Neugier, Unsicherheit und der entdeckenden Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der<br />
Umwelt während des Spiels aufzulösen vermag. […] Diese Art der Unterstützung hat hohen adaptiven Wert<br />
für die Kompetenz- und Autonomieentwicklung des K<strong>in</strong>des“ (K<strong>in</strong>dler & Grossmann 2004, S. 250).<br />
Spielfe<strong>in</strong>fühligkeit und angemessene Herausforderung <strong>–</strong> was bedeutet <strong>das</strong>?<br />
Die „Spielfe<strong>in</strong>fühligkeit und angemessene Herausforderung“ der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> Spielsituationen ist<br />
durch folgende Verhaltensweisen charakterisiert:<br />
• Bei Ängstlichkeit Zuversicht vermitteln („Du kannst <strong>das</strong> und ich helfe dir, wenn es nicht gel<strong>in</strong>gt“)<br />
• Neugier und Interesse <strong>in</strong> kompetentes Handeln verwandeln<br />
• Während der Kooperation im Spiel neue, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d machbare Ideen anbieten<br />
• Werke des K<strong>in</strong>des durch Bezeichnung ihrer Bedeutung aufwerten<br />
• Loben, aber nur, was wirklich neu gekonnt war<br />
• Lehren und vormachen, was <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d begreifen kann<br />
• Erreichbare Ziele setzen<br />
• Angemessene Verhaltensregeln erwarten und e<strong>in</strong>fordern<br />
(nach: Grossmann & Grossmann 2004)<br />
E<strong>in</strong>e gesunde Entwicklung über den Lebensverlauf braucht sowohl die Sicherheit der Exploration als auch<br />
die Sicherheit der B<strong>in</strong>dung. Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten gegenüber e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d fördert somit die Befriedigung der<br />
drei psychischen Grundbedürfnisse nach B<strong>in</strong>dung, Kompetenz und Autonomie.<br />
51
52<br />
Gibt es geschlechtsspezifische Effekte <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsentwicklung?<br />
In der B<strong>in</strong>dungsforschung gibt es <strong>in</strong> Bezug auf die zentralen Konstrukte und Methoden so gut wie ke<strong>in</strong>e<br />
Geschlechterunterschiede. Die B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>er primären B<strong>in</strong>dungsfigur<br />
ist nicht vom Geschlecht abhängig, sondern <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von der Fe<strong>in</strong>fühligkeit der B<strong>in</strong>dungsperson und<br />
teilweise vom Temperament des K<strong>in</strong>des. Die B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>er Mutter oder<br />
zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>em Vater steht weder mit dem Geschlecht des K<strong>in</strong>des noch mit dem Geschlecht<br />
des Elternteils <strong>in</strong> Zusammenhang. Kle<strong>in</strong>e Mädchen s<strong>in</strong>d also nicht häufiger sicher an ihre Eltern<br />
gebunden als kle<strong>in</strong>e Jungen (und umgekehrt).<br />
Bei Erwachsenen gibt es ke<strong>in</strong>e durchgängigen Geschlechterunterschiede <strong>in</strong> Bezug auf die B<strong>in</strong>dungsrepräsentation:<br />
Frauen haben nicht häufiger e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsrepräsentation als Männer. Mütter und Väter<br />
unterscheiden sich bei der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit nicht im Ausmaß ihrer Fe<strong>in</strong>fühligkeit gegenüber dem<br />
K<strong>in</strong>d. Die Fe<strong>in</strong>fühligkeit des Elternteils ist unabhängig vom Geschlecht des K<strong>in</strong>des.<br />
Gewisse Unterschiede konnten <strong>in</strong> der Art der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit gefunden werden: Während Mütter<br />
eher die B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse des K<strong>in</strong>des befriedigen, unterstützen Väter eher die Explorationsbedürfnisse<br />
des K<strong>in</strong>des. Diese Differenzen können aber auch als Resultat e<strong>in</strong>er geschlechtsrollenstereotypen Sozialisation<br />
von Mann und Frau gedeutet werden.
7<br />
Der „Kreis der Sicherheit“ und<br />
der „Kreis begrenzter Sicherheit“<br />
Das Zusammenspiel zwischen den k<strong>in</strong>dlichen Motivationssystemen B<strong>in</strong>dung und Exploration und dem<br />
elterlichen Fürsorgeverhalten lässt sich sehr anschaulich an e<strong>in</strong>em von Bob Marv<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>er Arbeitsgruppe<br />
entwickelten dynamischen Handlungsmodell mit dem Namen „Kreis der Sicherheit“ darstellen. <strong>das</strong> die<br />
grundlegenden Funktionen e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsbeziehung abbildet (Cooper et al. 2000; Hoffman et al. 2006).<br />
Die beiden Hände auf dem Schaubild signalisieren die Aufgabe der Eltern, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e sichere<br />
Basis (als Ausgangspunkt für se<strong>in</strong>e Erkundungstouren) und e<strong>in</strong>en sicheren Hafen (nach vorübergehenden<br />
Trennungsphasen) zu bilden. Im oberen Teil des Kreises geht <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d von der B<strong>in</strong>dungsperson weg<br />
„<strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>aus“, um se<strong>in</strong>em natürlichen Erkundungsdrang zu folgen und die Welt kennenzulernen.<br />
Das K<strong>in</strong>d hofft dabei darauf, <strong>das</strong>s die Eltern auf es aufpassen, es vor Gefahren schützen, ihm helfen,<br />
soweit es erforderlich ist, und geme<strong>in</strong>sam mit ihm viel Freude und Spaß an der Erkundung und der<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Welt haben.<br />
Kommt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d aus eigener Kraft nicht mehr weiter, ist es müde, krank, ängstlich, wütend oder traurig,<br />
erreicht es den Wendepunkt am rechten Rand des Kreises: Das B<strong>in</strong>dungssystem wird aktiviert bzw. die<br />
Exploration beendet und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sucht die (körperliche) Nähe zur Bezugsperson. Es kehrt, wie im un-<br />
teren Teil des Kreises dargestellt, <strong>in</strong> den „sicheren Hafen“ zur B<strong>in</strong>dungsperson zurück. Dabei hofft es,<br />
<strong>das</strong>s es <strong>in</strong> der Wiedervere<strong>in</strong>igungssituation mit der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>–</strong> ganz egal, <strong>in</strong> welcher körperlichen<br />
53
54<br />
oder psychischen Verfassung es sich gerade bef<strong>in</strong>det <strong>–</strong> immer herzlich willkommen ist. Die Bezugsperson<br />
freut sich über <strong>das</strong> Wiederzusammenkommen mit dem K<strong>in</strong>d, beschützt es bei erlebter Gefahr und<br />
tröstet es bei Kummer. Insbesondere wird dem K<strong>in</strong>d dabei geholfen, die unangenehmen Gefühle „im<br />
Gepäck“ <strong>in</strong>nerlich zu ordnen und damit als bewältigbar zu erleben (Scheuerer-Englisch 2005).<br />
Vielen Eltern ist nicht immer sofort e<strong>in</strong>gängig, <strong>das</strong>s B<strong>in</strong>dungspersonen ihr K<strong>in</strong>d nicht nur bei der<br />
Bewältigung der äußeren Welt (Gefahrenabwehr, Überw<strong>in</strong>dung von H<strong>in</strong>dernissen etc.), sondern auch<br />
bei der (Selbst-)Regulierung se<strong>in</strong>er „<strong>in</strong>neren Welt“ unterstützen müssen. Babies und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der erleben<br />
ihre vielfältigen und teilweise entgegengesetzten Gefühle und Antriebe als „ungeordnetes Chaos“ und<br />
damit als überwältigend. B<strong>in</strong>dungspersonen haben hier die zentrale Aufgabe, sich von diesem Bündel<br />
an widersprüchlichen Emotionen und Motiven des K<strong>in</strong>des gefühlsmäßig „anstecken“ zu lassen, dieses<br />
Gefühlschaos <strong>in</strong>nerlich zu halten („Conta<strong>in</strong><strong>in</strong>g“) und dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fühlsamer und beruhigender Weise<br />
se<strong>in</strong>en Gefühlszustand zu „spiegeln“. Hierdurch erlebt sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d verstanden und se<strong>in</strong>en eigenen Zu-<br />
stand zunehmend als geordnet und damit weniger bedrohlich. Dieses stellvertretende „Verdauen“ der<br />
potenziell überwältigenden Affekte trägt entscheidend zur Ich-Stärkung des K<strong>in</strong>des, zur Entwicklung<br />
von (Selbst-)Regulationsfähigkeit und zur Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung bei (vgl. Modul<br />
„Emotionale Kompetenz“).<br />
Grundsätzlich hofft <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d immer, <strong>das</strong>s die Eltern größer, stärker, klüger und im Umgang mit ihm<br />
liebenswürdig s<strong>in</strong>d und bei Bedarf auch die Führung und Leitung <strong>in</strong> der Beziehung übernehmen.<br />
Gel<strong>in</strong>gt dies, dann empf<strong>in</strong>det <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d die Beziehung zu den Eltern als unterstützend und tragfähig.<br />
Es erlebt e<strong>in</strong>e Regulation se<strong>in</strong>er Belastungen im Rahmen der B<strong>in</strong>dungsbeziehungen, tankt wieder<br />
Sicherheit und wendet sich dann erneut der Erkundung der Welt und se<strong>in</strong>en Entwicklungsthemen zu.<br />
Jedes K<strong>in</strong>d durchläuft auf diese Weise täglich vielfach diesen „Kreis der Sicherheit“ und gew<strong>in</strong>nt dabei<br />
Vertrauen <strong>in</strong> die B<strong>in</strong>dungspersonen, <strong>in</strong> sich und <strong>in</strong> die Welt allgeme<strong>in</strong> (a. a. O.).<br />
Unter gewissen Umständen <strong>–</strong> z. B. bei e<strong>in</strong>er deutlich unsicheren B<strong>in</strong>dungsrepräsentation des Elternteils<br />
<strong>–</strong> kann sich <strong>das</strong> zirkuläre Interaktions-Geschehen jedoch auch zu e<strong>in</strong>em „Kreis begrenzter Sicherheit“<br />
wandeln.<br />
E<strong>in</strong>e Form e<strong>in</strong>geschränkter Sicherheit <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsbeziehungen ist die sogenannte unsicher-vermeidende<br />
B<strong>in</strong>dung. Solch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d erlebt <strong>–</strong> ebenso wie auch sicher gebundene K<strong>in</strong>der <strong>–</strong> während der Exploration,<br />
<strong>in</strong> Trennungs- oder Furchtsituationen zwangsläufig Belastungen oder Überforderungen, die se<strong>in</strong><br />
B<strong>in</strong>dungssystem aktivieren. Allerd<strong>in</strong>gs vermeidet es während der Wiedervere<strong>in</strong>igung die B<strong>in</strong>dungsper-<br />
son als „sicheren Hafen“, es zeigt se<strong>in</strong>e Gefühle nicht offen und signalisiert stattdessen der B<strong>in</strong>dungs-<br />
person, <strong>das</strong>s es Distanz will oder weiterh<strong>in</strong> an Erkundung <strong>in</strong>teressiert ist. Die B<strong>in</strong>dungsperson ihrerseits
hält <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d deswegen für unbelastet und kann nicht erkennen, <strong>das</strong>s es die körperliche Nähe der<br />
B<strong>in</strong>dungsperson dr<strong>in</strong>gend braucht.<br />
Mögliche Belastungen können folglich <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsbeziehung nicht reguliert werden und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
muss alle<strong>in</strong>e mit se<strong>in</strong>en belastenden Gefühlen und der Situation zurechtkommen. Diese K<strong>in</strong>der bräuchten<br />
eigentlich mehr Schutz, Trost und Zuwendung. Sie zeigen ihre Gefühle aber nicht mehr <strong>in</strong> der eigentlich<br />
belasteten Situation, sondern verschieben stattdessen häufig ihren Ärger wegen der fehlenden Unter-<br />
stützung auf Geschwister oder andere K<strong>in</strong>der, oder sie gehorchen den Eltern nicht mehr, werden nörgelig<br />
und anstrengend oder stellen ständig Forderungen. Auch wenn sie es nicht artikulieren, so hoffen diese<br />
K<strong>in</strong>der dennoch, <strong>das</strong>s ihre Eltern auf e<strong>in</strong>er tieferen Ebene ihre B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse und Gefühle wahr-<br />
nehmen und verstehen können (Scheuerer-Englisch 2005).<br />
E<strong>in</strong>e andere Form der e<strong>in</strong>geschränkten Sicherheit <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsbeziehungen ist die sogenannte unsicher-<br />
ambivalente oder verstrickte B<strong>in</strong>dung. Hier ist <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem überaktiviert und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sucht<br />
unverhältnismäßig viel Nähe bzw. klammert sich <strong>in</strong> Situationen an die B<strong>in</strong>dungsperson, <strong>in</strong> denen es<br />
eigentlich explorieren und „<strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>aus“ gehen könnte. Statt zu spielen und sich se<strong>in</strong>en Heraus-<br />
forderungen <strong>in</strong> der näheren Umwelt zu stellen, signalisiert <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d der B<strong>in</strong>dungsperson, <strong>das</strong>s es sich<br />
nicht ausreichend sicher fühlt <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e Situation, die für beide Partner sehr anstrengend und enttäuschend<br />
werden kann. Es bilden sich anstrengende und belastete „Teufelskreise“ <strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion<br />
heraus: Die Eltern fühlen sich als B<strong>in</strong>dungsperson wenig effektiv und s<strong>in</strong>d vor allem mit der Selbst-<br />
ständigkeitsentwicklung des K<strong>in</strong>des unzufrieden. Umgekehrt s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong>der entweder ängstlich oder<br />
ärgerlich auf die Eltern und vermeiden Explorationsbestrebungen (a. a. O.).<br />
Im „Kreis begrenzter Sicherheit“ geht es darum, den Eltern aus der negativen Verstrickung mit dem K<strong>in</strong>d<br />
herauszuhelfen, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d auf se<strong>in</strong>e Entwicklungsthemen h<strong>in</strong> zu orientieren (B<strong>in</strong>dung oder Autonomie) und<br />
die Eltern dabei zu unterstützen, entweder e<strong>in</strong>e sichere Basis oder die Rolle des Förderers für die<br />
Explorationsbestrebungen des K<strong>in</strong>des zu bilden.<br />
55
8<br />
56<br />
Auswirkungen der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
auf andere Entwicklungsbereiche<br />
E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität im <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>desalter geht <strong>–</strong> im Vergleich zu unsicher gebundenen<br />
K<strong>in</strong>dern <strong>–</strong> mit e<strong>in</strong>er besseren kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklung e<strong>in</strong>her. Auch wenn die<br />
<strong>früh</strong>ere oder aktuelle B<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des im engeren S<strong>in</strong>ne nicht als Kausalfaktor angesehen werden<br />
kann, sondern <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsmuster immer nur im Kontext mit anderen Faktoren zu e<strong>in</strong>em Entwicklungsresultat<br />
beiträgt (Gloger-Tippelt 2003), gibt es mehrfach bestätigte wissenschaftliche Befunde über<br />
die kurz-, mittel- und langfristig förderliche Wirkung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung.<br />
Sicher gebundene K<strong>in</strong>der haben engere, harmonischere Beziehungen zu Gleichaltrigen und s<strong>in</strong>d<br />
ausgeglichener, kontaktfreudiger und sozial kompetenter im Umgang mit ihnen. Sie zeigen eigene<br />
Gefühle offener, können die Emotionen anderer besser verstehen, zeigen gegenüber Gleichaltrigen<br />
mehr Hilfeleistungen, Anteilnahme und die Bereitschaft zu teilen und s<strong>in</strong>d weniger aggressiv und anti-<br />
sozial (Siegler et al. 2005). Es gibt e<strong>in</strong>ige Belege dafür, <strong>das</strong>s sicher gebundene K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Schule bessere<br />
Noten erzielen als unsicher gebundene K<strong>in</strong>der, aufmerksamer dem Unterricht folgen und sich stärker<br />
beteiligen <strong>–</strong> auch wenn sich sicher und unsicher gebundene K<strong>in</strong>der nicht im H<strong>in</strong>blick auf ihre Intelli-<br />
genz unterscheiden. Sicher gebundene K<strong>in</strong>der haben e<strong>in</strong>e realistische E<strong>in</strong>schätzung von sich selbst als<br />
liebenswert und anderen als hilfsbereit, während unsicher gebundene K<strong>in</strong>der ihre soziale Umwelt eher<br />
als wenig unterstützend und schlimmstenfalls sogar als Bedrohung wahrnehmen.<br />
Sicher gebundene K<strong>in</strong>der zeigen <strong>in</strong> ihren Persönlichkeitsmerkmalen Unterschiede zu unsicher gebundenen<br />
K<strong>in</strong>dern: Sie zeigen häufiger e<strong>in</strong> hohes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sowie e<strong>in</strong>e höhere Ich-<br />
Flexibilität, d. h. die Fähigkeit, Gefühle und Impulse situationsangemessener zu regulieren. So können<br />
sich sicher gebundene K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er hohen Ich-Flexibilität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppensituation zurücknehmen<br />
und warten, bis sie an der Reihe s<strong>in</strong>d; sie können mit Niederlagen umgehen und bei Konflikten mit<br />
anderen K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>en Kompromiss f<strong>in</strong>den (Becker-Stoll 2007).<br />
Auf e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Aspekt langfristiger Auswirkungen sicherer B<strong>in</strong>dungsbeziehungen weisen<br />
Ahnert und Harwardt (2008) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dergartenstudie h<strong>in</strong>. Es zeigte sich hier, <strong>das</strong>s die k<strong>in</strong>dlichen<br />
Beziehungserfahrungen mit der Mutter und der Erzieher<strong>in</strong> bereits im Vorschulalter mit der k<strong>in</strong>dlichen<br />
Beharrlichkeit und dem Interesse an spielerischen Aktivitäten <strong>in</strong> Zusammenhang stehen. Während die<br />
Erzieher/<strong>in</strong>nen-K<strong>in</strong>d-Beziehung mit der allgeme<strong>in</strong>en Lernmotivation des K<strong>in</strong>des und se<strong>in</strong>em späteren<br />
Schulengagement verbunden werden konnte, konnte die Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung vor allem mit der<br />
Selbstmotivierung des K<strong>in</strong>des assoziiert werden. Hoch ausgeprägte allgeme<strong>in</strong>e Motivation und Selbst-<br />
motivation waren schließlich mit besseren Schulleistungen am Ende des ersten Schuljahres verbunden.<br />
Diese Studie trägt wesentlich zum Verständnis des Zusammenhanges zwischen B<strong>in</strong>dungssicherheit und<br />
Kompetenzentwicklung bei, <strong>in</strong>dem die motivationalen Faktoren der <strong>in</strong>tellektuellen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
des K<strong>in</strong>des mit se<strong>in</strong>er Umwelt als vermittelnde E<strong>in</strong>flussgrößen berücksichtigt werden.
E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsbeziehung hat positive Auswirkungen auf<br />
• <strong>das</strong> Selbstbild (hohes Selbstwertgefühl)<br />
• die Selbstregulationsfähigkeit (Steuerung von spontanen Impulsen und Gefühlen)<br />
• die soziale Kompetenz im Umgang mit Gleichaltrigen (Erkennen der Gefühle und Motivationslagen anderer,<br />
offenes Mitteilen eigener Gefühle)<br />
• die Selbstmotivierungsfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft <strong>in</strong> der Schule<br />
• die Zufriedenheit und erlebte Sicherheit <strong>in</strong> weiteren sozialen Beziehungen (Partnerschaft, Freundschaften).<br />
57
9<br />
58<br />
Die Rolle der außerfamiliären Betreuung und<br />
ihr E<strong>in</strong>fluss auf die B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
Vor dem H<strong>in</strong>tergrund empirischer Befunde der B<strong>in</strong>dungstheorie um die große Bedeutung <strong>früh</strong>er<br />
B<strong>in</strong>dungserfahrungen für die weitere Entwicklung des K<strong>in</strong>des wird der sogenannten außerfamiliären<br />
Betreuung oder „Fremdbetreuung“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Lange Zeit stand die<br />
außerfamiliäre Betreuung im Verdacht, den Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen Mutter (Vater)<br />
und K<strong>in</strong>d zu untergraben. Kapella (2009) kommentiert unter Bezug auf die Expertise von Ahnert<br />
(2009): „Bei der wichtigen Frage nach den möglichen Entwicklungskonsequenzen der unterschiedlichen<br />
Betreuungsformen für die K<strong>in</strong>der wird <strong>in</strong> Bewertungen immer wieder e<strong>in</strong>e Annäherung an unsere Vorfahren<br />
gefordert. Oft wird dabei die ´natürliche´ Nachwuchsbetreuung mit e<strong>in</strong>er exklusiven Betreuung<br />
durch die Mutter gleichgesetzt. Anthropologische Untersuchungen zeigen allerd<strong>in</strong>gs, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e exklusive<br />
Betreuung durch die Mutter eher die Ausnahme war. Die Sozialisation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong> breites<br />
Unterstützungssystem e<strong>in</strong>gebettet se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem die Mutter allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e herausragende Bedeutung für<br />
<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nehat“ (Kapella 2009, S. 1).<br />
Die Pflege und Versorgung, Sozialisation und Erziehung von K<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d demnach sowohl <strong>in</strong> ver-<br />
schiedensten Kulturen der Vergangenheit als auch der Gegenwart fest verankerte Familienaufgaben, die<br />
im Falle der Nicht-Bewerkstelligung durchaus an außerfamiliäre Betreuungssysteme delegiert wurden/<br />
werden. Selbst <strong>in</strong> noch heute existierenden Jäger- und Sammlergeme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d Betreuungssysteme<br />
bekannt, die dieser Aufgabe verpflichtet s<strong>in</strong>d (Ahnert 2006). So gesehen s<strong>in</strong>d außerfamiliäre unterstüt-<br />
zende Betreuungsformen <strong>in</strong> der Moderne nichts Neues. Neu ist daran lediglich, <strong>das</strong>s die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />
bezahlten Betreuungsarrangements anstatt im erweiterten Familienverband oder mit nachbarschaftlicher<br />
Hilfe beaufsichtigt werden.<br />
Auch Dornes (2006) berichtet mit Bezug auf die bekannten Arbeiten von Hrdy (1999), e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die<br />
Menschheitsgeschichte verrate, <strong>das</strong>s die außerfamiliäre Betreuung von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> allen Kulturen und<br />
Gesellschaften eher die Regel als die Ausnahme darstelle. Dies sei vor allem durch wirtschaftliche Fak-<br />
toren bed<strong>in</strong>gt, und die mütterliche Berufstätigkeit parallel zur K<strong>in</strong>derbetreuung stelle ke<strong>in</strong>e besondere<br />
Ausnahme dar. Zudem lassen historische und kulturvergleichende Studien den Schluss zu, <strong>das</strong>s nicht<br />
von der natürlichen Sozialisation des K<strong>in</strong>des gesprochen werden kann. Zu vielfältig s<strong>in</strong>d und waren die<br />
kulturell e<strong>in</strong>gefärbten familiären und außerfamiliären Organisationsformen k<strong>in</strong>dlicher Betreuung und<br />
Erziehung.<br />
Ahnert ergänzt diese Fragestellung noch um e<strong>in</strong>en zusätzlichen Aspekt, <strong>in</strong>dem sie auf Basis ihrer<br />
empirischen Studien nachweisen kann, <strong>das</strong>s die Unterstützungssysteme zur K<strong>in</strong>derbetreuung die Familie<br />
nicht veranlassen, diese zentrale Funktion nach außen zu verlagern bzw. nicht soviel <strong>in</strong> die Betreuung<br />
der eigenen K<strong>in</strong>der zu <strong>in</strong>vestieren. Das Gegenteil ist der Fall: Erweiterte Beziehungsnetze helfen der<br />
Mutter, die eigene Betreuung und Beziehung zum K<strong>in</strong>d sensitiv zu gestalten und tragen somit zu e<strong>in</strong>er
guten Mutter-K<strong>in</strong>d Beziehung bei (Kapella 2009, unter Bezug auf Ahnert 2009). Das heißt: Komplexe<br />
Betreuungssysteme wirken sich auf die Sozialisationsfunktion der Kernfamilie <strong>in</strong> der Regel eher verstär-<br />
kend als abschwächend aus.<br />
Gerade die <strong>früh</strong>e und extensive Betreuung von K<strong>in</strong>dern unter zwei Jahren stand im Fokus der Debatte<br />
über die Bee<strong>in</strong>trächtigung der B<strong>in</strong>dungsqualität durch außerfamiliäre Betreuung. Zur Klärung dieser<br />
teils auch ideologisch gefärbten und extrem polarisierenden Streitfrage wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für die USA<br />
repräsentativen Langzeit-Studie über 1.300 K<strong>in</strong>der und ihre Familien untersucht. Die als NICHD-Studie<br />
(National Institute of Child Health and Human Development) bekannt gewordene Untersuchung ist <strong>in</strong><br />
ihrer Konzeption und ihrem Umfang weltweit bisher e<strong>in</strong>zigartig. Die Studie basiert auf e<strong>in</strong>em ökologi-<br />
schen Modell, bei dem davon ausgegangen wird, <strong>das</strong>s die Auswirkungen <strong>früh</strong>k<strong>in</strong>dlich-<strong>in</strong>stitutionalisierter<br />
Betreuung nicht unabhängig von den <strong>in</strong>dividuellen Merkmalen des K<strong>in</strong>des, den Merkmalen der Familie<br />
und der Wohnumwelt sowie den Merkmalen der Betreuungse<strong>in</strong>richtung erklärt und verstanden werden<br />
können. Entsprechend wurden für alle diese E<strong>in</strong>flussgrößen Indikatoren erhoben und <strong>in</strong> die Analysen<br />
mite<strong>in</strong>bezogen.<br />
E<strong>in</strong> Hauptergebnis dieser Studie besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die Quantität der außerfamiliären Betreuung oder<br />
des E<strong>in</strong>trittsalters des K<strong>in</strong>des ke<strong>in</strong>en eigenständigen Effekt auf die B<strong>in</strong>dungsqualität des K<strong>in</strong>des mit der<br />
Mutter hat. Das heißt: Die Qualität der bereits etablierten Mutter-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung entscheidet über den<br />
E<strong>in</strong>fluss der außerfamiliären Betreuung. Ist <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sicher an die Mutter gebunden, ist es auch (relativ)<br />
robust gegen ungünstige Bed<strong>in</strong>gungen der externen Betreuung. Ist <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d dagegen zu e<strong>in</strong>er weniger<br />
fe<strong>in</strong>fühligen Mutter eher unsicher gebunden, erhöht sich die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>-<br />
dung bei schlechter Qualität der außerfamiliären Betreuung bzw. die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er sicheren<br />
B<strong>in</strong>dung bei sehr guten Bed<strong>in</strong>gungen der außerfamiliären Betreuung. Damit konnte <strong>in</strong> dieser Studie so-<br />
wohl die „dual-risk“- bzw. kumulative Risiko-Hypothese als auch die Kompensationshypothese bestätigt<br />
werden (NICHD Early Child Care Research Network 1997, 2001; zusammenfassend auch Dornes 2006).<br />
Neben der sozio-emotionalen Entwicklung (hier: die B<strong>in</strong>dungsqualität des K<strong>in</strong>des) wurden auch noch<br />
weitere Entwicklungsbereiche des K<strong>in</strong>des <strong>–</strong> z. B. kognitive Entwicklung und Sprachentwicklung,<br />
Aggressionsentwicklung <strong>–</strong> untersucht. Dabei konnte (vere<strong>in</strong>fachend zusammengefasst) ke<strong>in</strong> dauerhafter<br />
negativer E<strong>in</strong>fluss <strong>früh</strong>er und extensiver außerfamiliärer Betreuung auf die genannten Entwicklungsbereiche<br />
des K<strong>in</strong>des festgestellt werden (Dornes 2006). Im Bereich der kognitiven Entwicklung und der Sprach-<br />
entwicklung konnte sogar relativ stabil e<strong>in</strong> positiver und gegebenenfalls kompensatorischer Effekt qualitativ<br />
hochwertiger, außerfamiliärer Betreuung erhoben werden.<br />
59
60<br />
Aufgrund der vorliegenden Befunde lässt sich die Frage nach den möglichen Folgen mütterlicher<br />
Berufstätigkeit dah<strong>in</strong>gehend beantworten, <strong>das</strong>s diese nur dann zum Risiko für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d wird, wenn die<br />
Mutter-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dungsqualität schon vorher belastet war. Die NICHD-Studie zeigt zudem, <strong>das</strong>s der<br />
E<strong>in</strong>fluss von Familienvariablen wie die Qualität der Mutter-K<strong>in</strong>d-Interaktion, <strong>das</strong> mütterliche Bildungs-<br />
niveau und <strong>das</strong> Familiene<strong>in</strong>kommen bei K<strong>in</strong>dern mit mehr als 30 Stunden außerfamiliärer Betreuung<br />
nicht ger<strong>in</strong>ger ist als bei K<strong>in</strong>dern ohne jede „Fremdbetreuung“ und solche Familienmerkmale bessere<br />
Prädiktoren der Entwicklung des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d als die Merkmale der Fremdbetreuung (a. a. O.).<br />
Die Ergebnisse der NICHD-Studie lassen erkennen, <strong>das</strong>s der Umgangsstil der Eltern und die dem K<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> der Familie angebotenen Lernumwelten e<strong>in</strong>e wesentlich stärkere Auswirkung auf die Entwicklung von<br />
Vorschulk<strong>in</strong>dern haben als die Tatsache, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d extrafamilial betreut wird.<br />
Bei der Diskussion um die möglichen Auswirkungen außerfamiliärer Betreuung auf die B<strong>in</strong>dungs-<br />
entwicklung unter zwei- bis dreijähriger K<strong>in</strong>der müssen somit immer qualitative Dimensionen der<br />
<strong>in</strong>stitutionellen Betreuung berücksichtigt werden. Dazu gehören zum Beispiel <strong>das</strong> Betreuungsverhältnis<br />
von Fachkräften zu K<strong>in</strong>dern, die Gruppengröße, der Professionalisierungsgrad der Fachkräfte, die Konstanz<br />
des Betreuungsarrangements, die Gestaltung des Übergangs von der Familie <strong>in</strong> die außerfamiliäre<br />
Betreuung (Dornes 2006). In der fachlichen und gesellschaftlichen Diskussion um <strong>das</strong> Verhältnis<br />
außerfamiliärer Betreuung zur Erziehung <strong>in</strong> der Familie sollte zudem nicht von e<strong>in</strong>em „Entweder-<br />
oder“, sondern von e<strong>in</strong>em „Sowohl-als-auch“ die Rede se<strong>in</strong> (Ahnert 2007b), was auf die Bedeutsam-<br />
keit und Notwendigkeit e<strong>in</strong>er gelungenen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und<br />
Fachkräften h<strong>in</strong>weist.<br />
Relativierend muss angemerkt werden, <strong>das</strong>s es sich bei diesen im Rahmen der NICHD-Studie gewonnenen<br />
Erkenntnissen um gruppenstatistische Effekte handelt, die ke<strong>in</strong>e Vorhersage für den E<strong>in</strong>zelfall erlau-<br />
ben. Inwieweit und ab welchem Alter e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er außerfamiliären Betreuung überantwortet werden<br />
kann/darf, muss im E<strong>in</strong>zelfall immer unter Berücksichtigung des k<strong>in</strong>dlichen Temperaments und se<strong>in</strong>er<br />
persönlichen Vorerfahrungen mit Trennungen und Verlusten, mit gesundem Menschenverstand und<br />
E<strong>in</strong>fühlungsvermögen entschieden werden. Neben den Trennungs- und Verlusterfahrungen des K<strong>in</strong>des<br />
sollten möglicherweise auch verborgene, ungelöste Trennungserfahrungen der Hauptb<strong>in</strong>dungsperson<br />
(<strong>in</strong> der Regel die Mutter) verstärkte Beachtung f<strong>in</strong>den, damit der Übergang des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> die außerfamiliäre<br />
Betreuung sowohl vom K<strong>in</strong>d als auch den Eltern selbst angemessen emotional verarbeitet werden kann.
Lesetipp:<br />
• E<strong>in</strong>e ausführliche und aktuelle Zusammenfassung zur Konzeption und der wichtigsten Ergebnisse der<br />
NICHD-Studie liefern Sarah L. Friedman und Ellen Boyle <strong>in</strong> ihrem Artikel „K<strong>in</strong>d-Mutter-B<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> der<br />
NICHD-Studie ´Early Child Care and Youth Development´: Methoden, Erkenntnisse und zukünftige<br />
Ausrichtungen“. In K. H. Brisch & T. Hellbrügge (2009), Wege zu sicheren B<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> Familie und<br />
Gesellschaft. Prävention, Begleitung, Beratung und Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
9.1 E<strong>in</strong>gewöhnung und B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />
Beim Übergang des K<strong>in</strong>des von der Familie <strong>in</strong> die (erstmalige) <strong>in</strong>stitutionelle K<strong>in</strong>derbetreuung ist e<strong>in</strong><br />
elaboriertes und dem k<strong>in</strong>dlichen Entwicklungsstand anzupassendes Konzept der Übergangsbegleitung<br />
und E<strong>in</strong>gewöhnungsphase anzuwenden, damit diese „Transition“ vom K<strong>in</strong>d und auch den Eltern<br />
erfolgreich bewältigt werden kann (vgl. Bayerisches Staatsm<strong>in</strong>isterium für Arbeit und Sozialordnung,<br />
Familie und Frauen 2006). Dies trifft <strong>in</strong>sbesondere auf die unterdreijährigen K<strong>in</strong>der zu. K<strong>in</strong>der müssen<br />
hier schließlich lernen, Fremdes zu Vertrautem zu machen und Neugier über die eigene Angst siegen<br />
zu lassen (Bensel 1999).<br />
Nur durch e<strong>in</strong> behutsames, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nicht zu schnelles, geduldiges und aufmerksames <strong>–</strong> d. h. an den<br />
Reaktionen des K<strong>in</strong>des ausgerichtetes <strong>–</strong> E<strong>in</strong>gewöhnen kann es sich an die neue Umgebung, <strong>das</strong> neue<br />
Inventar und die fremden Erwachsenen und K<strong>in</strong>der gewöhnen. Die Eltern bzw. B<strong>in</strong>dungspersonen soll-<br />
ten bei dem stufenweisen Vorgehen aktiv mite<strong>in</strong>bezogen werden. Dem sensiblen Umgang der Erzieher/<br />
<strong>in</strong>nen mit den Trennungsreaktionen des K<strong>in</strong>des kommt ebenso e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu (Ahnert 1998).<br />
61
62<br />
Stufen der E<strong>in</strong>gewöhnung<br />
• Vorbereitung der E<strong>in</strong>gewöhnung<br />
• Geme<strong>in</strong>same Zeit von K<strong>in</strong>d und primärer Bezugsperson (Elternteil) <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung<br />
• Beg<strong>in</strong>n des Aufbaus von Beziehungen zwischen dem K<strong>in</strong>d, den Erzieher/<strong>in</strong>nen und K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der<br />
E<strong>in</strong>richtung<br />
• Phase von der ersten kurzen Trennung zur allmählichen Ausdehnung auf die gewünschte Zeit, die <strong>das</strong><br />
K<strong>in</strong>d selbstständig <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung verbr<strong>in</strong>gt<br />
• Abschluss der E<strong>in</strong>gewöhnung, wenn sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Stresssituationen von e<strong>in</strong>er Fachkraft beruhigen<br />
lässt und die Lernangebote der neuen Umgebung exploriert und für sich nutzt<br />
Weitere und konkrete Beispiele f<strong>in</strong>den sich im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan.<br />
(Bayerisches Staatsm<strong>in</strong>isterium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen 2006)<br />
Italienisch-sprachige Behandlung der E<strong>in</strong>gewöhnungs-Thematik:<br />
Mantovani S., Restuccia Saitta L. & Bove, C. (2008). Attaccamento e <strong>in</strong>serimento. Stili e storie delle relazioni<br />
al nido. Milano: Franco Angeli.<br />
Trennungen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d vorbereiten<br />
Trennungen gehören zum Leben dazu und müssen als Entwicklungsaufgabe gelernt werden. E<strong>in</strong>e sichere<br />
B<strong>in</strong>dung erleichtert die Trennung des K<strong>in</strong>des von der B<strong>in</strong>dungsperson, gleichzeitig stärkt e<strong>in</strong>e gute Vorbereitung<br />
des K<strong>in</strong>des auf die Trennung se<strong>in</strong>e Bewältigungsfähigkeit dieser und zukünftiger Ablösesituationen.<br />
K<strong>in</strong>dern sollte genügend Zeit für den Übergang/die Trennung gegeben werden. Das rechtzeitige Ankündigen<br />
der Trennung und bestimmte Abschiedsrituale erleichtern dem K<strong>in</strong>d den Umgang damit. K<strong>in</strong>dern<br />
sollte die Gewissheit gegeben werden, als B<strong>in</strong>dungsperson „im Notfall“ immer erreichbar zu se<strong>in</strong>. Eltern<br />
müssen K<strong>in</strong>dern ihren Trennungsschmerz und ihre Abschiedstrauer ebenso zugestehen wie die beim K<strong>in</strong>d<br />
aufkommende Wut aushalten und verstehen lernen.<br />
Wichtig ist, <strong>das</strong>s die erwachsene B<strong>in</strong>dungsperson auf ihre Selbstwahrnehmung achtet: Fühle ich den<br />
Trennungsscherz des K<strong>in</strong>des oder übertrage ich womöglich me<strong>in</strong>e eigenen Verlassenheitsgefühle zusätzlich<br />
auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d? Unter gewissen Umständen kann die eigene Trennungsangst dem K<strong>in</strong>d Unsicherheit<br />
vermitteln und se<strong>in</strong>e Ablösung zusätzlich erschweren, so<strong>das</strong>s nicht mehr zwischen der Trennungsangst<br />
des K<strong>in</strong>des und der der B<strong>in</strong>dungsperson unterschieden werden kann.<br />
Die B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d erweist sich auch hierbei als Moderator für die emotio-<br />
nale Verarbeitung. Dabei ist es nicht so, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung vor E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Fremdbetreuung die<br />
E<strong>in</strong>gewöhnung erleichtert: Sicher gebundene K<strong>in</strong>der protestieren mehr gegen die Trennung, unsicher<br />
gebundene weisen mehr physiologischen Stress (z. B. e<strong>in</strong>e höhere Herzfrequenz) auf. Der Unterschied
zwischen beiden Gruppen ist jedoch ger<strong>in</strong>g und verr<strong>in</strong>gert sich im Laufe der Zeit weiter. Bereits nach<br />
vier Wochen tritt <strong>–</strong> unter guten E<strong>in</strong>gewöhnungsbed<strong>in</strong>gungen <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e weitgehende Normalisierung des<br />
Verhaltens e<strong>in</strong> (Ahnert & Rickert 2000). Sicher gebundene K<strong>in</strong>der zeigen zudem ihre Gefühle offener<br />
als K<strong>in</strong>der mit unsicherer B<strong>in</strong>dung, <strong>in</strong>sbesondere als K<strong>in</strong>der mit unsicher-vermeidender B<strong>in</strong>dungsqua-<br />
lität. Längerfristig fühlen sich sicher gebundene K<strong>in</strong>der generell <strong>in</strong> der Gruppe der anderen K<strong>in</strong>der<br />
wohler und entwickelten größere soziale Kompetenzen als die unsicher gebundenen K<strong>in</strong>der (a. a. O.).<br />
K<strong>in</strong>der können auch zu ihren Erzieher<strong>in</strong>nen stabile Beziehungen aufbauen, die ohne Zweifel als<br />
B<strong>in</strong>dungsbeziehungen bezeichnet werden können. Diese Beziehungen schließen neben zuwendenden,<br />
sicherheitsspendenden und stressreduzierenden Aspekten auch Unterstützung und Hilfen beim k<strong>in</strong>dlichen<br />
Erkunden und dem Erwerb von Wissen e<strong>in</strong> (Assistenz und Explorationsunterstützung).<br />
E<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied zur familiären Betreuung besteht unter anderem dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d die<br />
Aufmerksamkeit der Erzieher<strong>in</strong> im Rahmen des Gruppenkontextes mit anderen K<strong>in</strong>dern teilen muss.<br />
Die Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-Beziehung ersche<strong>in</strong>t im Rahmen der Gruppenbetreuung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zuwendenden<br />
und sicherheitsgebenden Funktion zu bestehen, <strong>in</strong>sgesamt aber eher „bildungsorientierter“ zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>-<br />
dem sie die k<strong>in</strong>dlichen Aktivitäten assistiert und bereichert. „K<strong>in</strong>der sehen unter diesen Umständen<br />
ihre Erzieher<strong>in</strong>nen dann auch zunehmend als Spielpartner<strong>in</strong>nen und Unterstützer<strong>in</strong>nen des eigenen<br />
Wissenserwerbs an, denn als Trostspender<strong>in</strong>nen“ (Ahnert 2006, S. 5). Der Erzieher<strong>in</strong> kommt also die<br />
herausfordernde Aufgabe zu, e<strong>in</strong>e positive Gruppenatmosphäre herzustellen, die gleichzeitig Raum und<br />
Zeit für <strong>in</strong>dividuelle Bedürfnisse und Interessen e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des zulässt. Entscheidend ist auch, <strong>das</strong>s die<br />
Beziehungsqualität zwischen Erzieher<strong>in</strong> und K<strong>in</strong>d der Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung <strong>in</strong> ihrer Wirkung auf<br />
<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>deutig „unterlegen“ ist und ke<strong>in</strong>en Ersatz für e<strong>in</strong>e sichere Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dungsbeziehung<br />
darstellen kann (Ahnert et al. 2006).<br />
Lesetipp:<br />
• Becker-Stoll, F. & Textor, M.R. (Hrsg.) (2007). Die Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-Beziehung. Zentrum von Bildung<br />
und Erziehung. Berl<strong>in</strong>: Cornelsen Verlag Scriptor.<br />
63
64<br />
Startvoraussetzungen für unter Dreijährige im K<strong>in</strong>dergarten<br />
Damit sich E<strong>in</strong>- und Zweijährige im K<strong>in</strong>dergarten wohl fühlen, sich <strong>in</strong>tegrieren, von den Angeboten profitieren,<br />
sich Kompetenzen aneignen und sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden können, müssen folgende<br />
Voraussetzungen erfüllt se<strong>in</strong>:<br />
• Jedes K<strong>in</strong>d muss elternbegleitet und bezugspersonenorientiert e<strong>in</strong>gewöhnt werden.<br />
• Das K<strong>in</strong>d braucht emotionale Zuwendung, geteilte Aufmerksamkeit und hohe Antwortbereitschaft.<br />
• Das K<strong>in</strong>d benötigt sprachliche Stimulation und Unterstützung se<strong>in</strong>er Kommunikationsversuche.<br />
• Das K<strong>in</strong>d braucht altersgemäße Entwicklungsanregung basierend auf adäquatem Entwicklungswissen.<br />
• Es braucht Freiraum, um selbst agieren zu können.<br />
• Es braucht Experimentierfläche für Kopf, Hand und Fuß.<br />
• Die k<strong>in</strong>dlichen Zeitvorstellungen müssen respektiert werden.<br />
• Das K<strong>in</strong>d braucht Herausforderungen zum begleiteten Überschreiten bisheriger Grenzen.<br />
• Es braucht anregende Lernumgebungen und aktive Entwicklungsbegleitung.<br />
• Das K<strong>in</strong>d braucht Spielpartner und Freunde sowie K<strong>in</strong>der verschiedenen Alters, die als Nachahmungsmodelle<br />
<strong>das</strong> selbst <strong>in</strong>itiierte Lernen vielfältig ver<strong>stärken</strong>.<br />
(nach: Haug-Schnabel & Bensel 2006)<br />
9.2 Geschlechtsspezifische Aspekte der Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung<br />
Während <strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluss des k<strong>in</strong>dlichen Geschlechts auf die B<strong>in</strong>dungsqualität<br />
nachgewiesen werden kann, zeigt sich, <strong>das</strong>s sich Erzieher<strong>in</strong>-Mädchen-Beziehungen leichter entwickeln<br />
und ausgeprägter s<strong>in</strong>d als Erzieher<strong>in</strong>-Jungen-Beziehungen. Außerdem bauen Mädchen häufiger sichere<br />
B<strong>in</strong>dungen zu Erzieher<strong>in</strong>nen auf als Jungen (Ahnert et al. 2006).<br />
Nach Ahnert (2007) lässt sich dies folgendermaßen erklären: In den gleichgeschlechtlichen Mädchengruppen<br />
zeigt sich im Vergleich zu den Jungengruppen, <strong>das</strong>s Mädchen eher egalitäre Strukturen ausbilden,<br />
ihr Aktivitätsniveau besser regulieren können und mehr prosoziales Verhalten zeigen. Diese Eigenschaften<br />
der Mädchen führen bei der Beziehungsgestaltung für die Erzieher<strong>in</strong>nen zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren Aufwand.<br />
Obwohl die Erzieher<strong>in</strong>nen durchaus auch Jungen zu ihren „Liebl<strong>in</strong>gsk<strong>in</strong>dern“ zählen, war die beobachtete<br />
Qualität der Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-Beziehung bei Mädchen signifikant höher als bei Jungen.<br />
Neueste Ergebnisse aus der Bildungsforschung (Ahnert 2008) zeigen, <strong>das</strong>s Mädchen eher von beziehungs-<br />
orientierten Lernangeboten profitieren und Jungen eher von sachorientierten Lernangeboten. Erziehe-<br />
r<strong>in</strong>nen neigen jedoch dazu, vorwiegend beziehungsorientierte Lernangebote zu machen, die dann auch<br />
eher von Mädchen angenommen werden (Ahnert 2007, 2008, zit. n. VBW 2009).
10<br />
Methoden der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />
E<strong>in</strong>e <strong>früh</strong>zeitige Diagnostik von möglicher B<strong>in</strong>dungsunsicherheit, B<strong>in</strong>dungsdesorganisation oder gar<br />
e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsstörung ist aus präventiver Sicht <strong>in</strong>diziert, um mögliche kurz-, mittel- und langfristige<br />
negative Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des zu vermeiden oder zum<strong>in</strong>dest abzumil-<br />
dern. Dazu bedarf es des E<strong>in</strong>satzes bewährter Instrumente der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik, die im Folgenden<br />
vorgestellt werden sollen. Die meisten diagnostischen Verfahren wurden für Forschungszwecke entwickelt,<br />
können jedoch auch E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten für die Praxis besitzen (s. auch Unterkap. 12.2).<br />
„B<strong>in</strong>dung“ als <strong>das</strong> biologisch begründete, überdauernde emotionale <strong>Band</strong> zwischen K<strong>in</strong>d und Bezugs-<br />
person ist nicht direkt beobachtbar, sondern kann je nach Entwicklungsstand auf unterschiedlichen<br />
Ebenen zugänglich gemacht werden. Im vorsprachlichen Alter wird die Qualität der B<strong>in</strong>dung aus dem<br />
B<strong>in</strong>dungsverhalten des K<strong>in</strong>des nach Trennungen von Bezugspersonen erschlossen. Dazu zählen Verhal-<br />
tensweisen, die auf Nähe und Kontakt ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Ab dem Alter von ungefähr drei Jahren, wenn<br />
K<strong>in</strong>der über fortgeschrittene kognitive und sprachliche Fähigkeiten verfügen, kann die Qualität ihrer<br />
B<strong>in</strong>dung methodisch über ihre symbolische Spielhandlungen, verbale Narrative oder Bildbeschreibungen<br />
erschlossen werden (Gloger-Tippelt 2004). Auch für Jugendliche und Erwachsene existieren Erhebungs-<br />
methoden, welche über die sprachlich vermittelten b<strong>in</strong>dungsrelevanten Aussagen Rückschlüsse auf <strong>das</strong><br />
<strong>in</strong>nere B<strong>in</strong>dungsmodell erlauben.<br />
In der B<strong>in</strong>dungsforschung werden <strong>–</strong> mit Ausnahme von B<strong>in</strong>dungsfragebögen <strong>–</strong> ke<strong>in</strong>e Verfahren mit<br />
vorgegebenen Antwortalternativen e<strong>in</strong>gesetzt. Vielmehr basiert <strong>das</strong> Beobachtungsergebnis auf der<br />
Beurteilung e<strong>in</strong>es komplexen Verhaltens bzw. auf der E<strong>in</strong>schätzung von sprachlichen Äußerungen.<br />
Für alle Methoden der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik ist e<strong>in</strong> ausführliches Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g/Schulung zur Durchführung und<br />
Auswertung des Verfahrens notwendig. Die professionelle Anwendung dieser Verfahren erfordert e<strong>in</strong>e<br />
kont<strong>in</strong>uierliche unabhängige Supervision zur Qualitätssicherung der diagnostischen Kompetenz und zur<br />
Abstimmung mit <strong>in</strong>ternationalen Standards.<br />
Lesetipp:<br />
• E<strong>in</strong>e italienisch-sprachige E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Methodik der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik bietet folgender Aufsatz:<br />
Fonagy, P. (2002). La misurazione dell’attaccamento nell’<strong>in</strong>fanzia. In P. Fonagy (2002). Psicoanalisi e teoria<br />
dell’attaccamento. Milano: Raffaello Cort<strong>in</strong>a.<br />
65
66<br />
10.1 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im K<strong>in</strong>desalter<br />
10.1.1 Beobachtungsmethoden für K<strong>in</strong>der bzw. Eltern und K<strong>in</strong>d<br />
Diagnostik der Fe<strong>in</strong>fühligkeit <strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion<br />
Nach Brisch (2007b) können Störungen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion am besten durch Videoaufnahmen<br />
und deren Mikroanalyse diagnostiziert werden. Dabei bieten sich die Aufnahmen von Situationen beim<br />
Wickeln, Spielen und Füttern an, die anschließend e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Interaktionsanalyse unterzogen werden.<br />
Die qualitative E<strong>in</strong>schätzung der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit nach der Skala von A<strong>in</strong>sworth (1977/2003)<br />
kann bei Bedarf durch mikroanalytische Methoden ergänzt werden: Mit diesen Methoden können e<strong>in</strong>zelne<br />
Interaktionskanäle wie Mimik, Gestik, Berührung oder Blickkontakt sowohl aufseiten des K<strong>in</strong>des<br />
als auch aufseiten der Mutter bzw. des Vaters untersucht und im H<strong>in</strong>blick auf ihre <strong>in</strong>teraktive Abstimmung<br />
beurteilt werden (Brisch 2007b).<br />
Diagnostik der B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen Geburt und 30. Monat<br />
Der CARE-Index ist e<strong>in</strong> beziehungsorientiertes Verfahren, <strong>das</strong> die Fe<strong>in</strong>fühligkeit e<strong>in</strong>es Erwachsenen<br />
bzw. die Qualität der Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dyadischen Kontext beschreibt. Das Verfahren<br />
kann von der Geburt des K<strong>in</strong>des bis zum Alter von 30 Monaten e<strong>in</strong>gesetzt werden. Es gibt e<strong>in</strong>e Version<br />
für K<strong>in</strong>der bis zum Alter von 15 Monaten und e<strong>in</strong>e für Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der bis zweie<strong>in</strong>halb Jahren. Grundlage<br />
der Beurteilung ist e<strong>in</strong>e dreim<strong>in</strong>ütige videographierte Spiel<strong>in</strong>teraktion unter stressfreien Bed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>–</strong> d. h. <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem des K<strong>in</strong>des wird hier nicht aktiviert. Die Methode ist robust gegenüber<br />
Kontextbed<strong>in</strong>gungen, die Videoaufzeichnungen können <strong>in</strong> der häuslichen Umgebung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>ik,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Forschungslabor etc. gemacht werden. Die vom CARE-Index gemessene Fe<strong>in</strong>fühligkeit der<br />
Bezugsperson wird dabei nicht als <strong>in</strong>dividuelle Eigenschaft des Erwachsenen verstanden, sondern sie<br />
charakterisiert e<strong>in</strong>e spezifische Beziehung, die „Passung“ zwischen Bezugsperson und K<strong>in</strong>d. Das<br />
bedeutet auch, <strong>das</strong>s dieselbe erwachsene Person unterschiedliche Ausprägungen fe<strong>in</strong>fühligen Verhaltens<br />
mit unterschiedlichen K<strong>in</strong>dern zeigen kann. Methodisch <strong>in</strong>teressiert weniger die Auftretenshäufigkeit<br />
bestimmter Verhaltensweisen, sondern ihre zwischenmenschliche Qualität, <strong>in</strong>sbesondere die affektive<br />
Abstimmung („affect attunement“). Der CARE-Index kann als sehr zeitökonomisches Instrument an<br />
verschiedenen Orten für <strong>das</strong> Screen<strong>in</strong>g (auch von Assistenzberufen), für die Intervention, aber auch für<br />
die Forschung e<strong>in</strong>gesetzt werden. Der größte Vorteil des CARE-Index besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s er Risiken<br />
identifiziert, die die meisten Fachleute auch bei direkter Beobachtung übersehen (Crittenden 2005).<br />
Diagnostik der B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen dem 12. und 20. Monat<br />
Die Qualität der B<strong>in</strong>dungsentwicklung des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>en Bezugspersonen lässt sich mit dem<br />
von Mary A<strong>in</strong>sworth <strong>in</strong> den USA entwickelten Fremde-Situations-Test ab dem 12. bis zum 18., maximal
20. Lebensmonat des K<strong>in</strong>des erfassen. Die „Fremde Situation“ ist e<strong>in</strong>e standardisierte, <strong>in</strong>ternational<br />
e<strong>in</strong>gesetzte Beobachtungssituation, bei der <strong>das</strong> Verhalten der K<strong>in</strong>der im Rahmen von zwei Trennungs-<br />
und Wiedervere<strong>in</strong>igungssituationen mit e<strong>in</strong>er bestimmten B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> fremder Umgebung<br />
beobachtet und ausgewertet wird. Ziel ist die Beobachtung des Gleichgewichtes zwischen B<strong>in</strong>dungs-<br />
und Explorationsverhalten des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des unter den standardisierten Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es unbekannten<br />
Beobachtungsraumes.<br />
Die Fremde Situation ist <strong>in</strong> acht maximal dreim<strong>in</strong>ütige Episoden wie e<strong>in</strong> „M<strong>in</strong>idrama“ aufgebaut, <strong>das</strong><br />
e<strong>in</strong>e gesteigerte Belastung des K<strong>in</strong>des durch zwei Trennungen und zwei Wiedervere<strong>in</strong>igungen, <strong>in</strong>klusive<br />
des Auftauchens e<strong>in</strong>er für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d fremden Person, umfasst. Der Belastungsgrad liegt im Rahmen der<br />
im Alltag erlebten Trennungssituationen, bei großer Beunruhigung des K<strong>in</strong>des wird die Trennungszeit<br />
verkürzt. So kann verlässlich festgestellt werden, ob und wie sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nach den belastenden<br />
Trennungen an die Bezugsperson wendet, beruhigt werden kann und wieder zum Spielen zurückkehrt.<br />
Die Auswertung erfolgt heute anhand des videographierten Verhaltens des K<strong>in</strong>des (Gloger-Tippelt<br />
2004; s. auch Kißgen 2009). Nach Brisch (2007b) ist es <strong>in</strong> diesem Alter bereits möglich, B<strong>in</strong>dungs-<br />
störungen zu erkennen.<br />
Diagnostik der B<strong>in</strong>dungsqualität im Vorschulalter<br />
Die B<strong>in</strong>dungstheorie geht von der Stabilität der B<strong>in</strong>dungsqualität bis ungefähr zum Schule<strong>in</strong>tritt aus,<br />
soweit die Lebenssituation des K<strong>in</strong>des stabil bleibt. Deswegen haben verschiedene Forschergruppen die<br />
traditionelle Beobachtungsmethode der Fremden-Situation für ältere K<strong>in</strong>der adaptiert. Zum Teil wurden<br />
entwicklungsangemessene längere Trennungen, andere Instruktionen oder Verb<strong>in</strong>dungen mit weiteren<br />
Erhebungen vorgenommen (Gloger-Tippelt 2004). Die Auswertungen für ältere K<strong>in</strong>der berücksichtigen<br />
zusätzlich die Sprache, die Interaktion über die Distanz sowie die Verhandlungen zwischen Eltern und<br />
K<strong>in</strong>dern über die Trennung. Folgende zusammenfassende Auflistung gibt im Wesentlichen die Übersichtsarbeit<br />
der B<strong>in</strong>dungsforscher<strong>in</strong> Gabriele Gloger-Tippelt (2004) wieder.<br />
• Cassidy und Marv<strong>in</strong> entwickelten e<strong>in</strong> an die Fremde-Situation für Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der angelehntes Beobachtungsverfahren<br />
für zweie<strong>in</strong>halb bis viere<strong>in</strong>halbjährige K<strong>in</strong>der („Attachment Organization <strong>in</strong> Preschool<br />
Children“) (Cassidy & Marv<strong>in</strong> 1992; Marv<strong>in</strong> 2001).<br />
• Crittenden entwickelte e<strong>in</strong> Fremde-Situation-Beobachtungsverfahren für zweie<strong>in</strong>halb bis fünfjährige<br />
K<strong>in</strong>der („The Preschool Assessment of Attachment“, kurz: PAA) (Crittenden 1994).<br />
• Ma<strong>in</strong> und Cassidy haben e<strong>in</strong> Klassifikationssystem für Sechsjährige entwickelt, <strong>das</strong> auf der Beobachtung<br />
der ersten drei bis fünf M<strong>in</strong>uten nach e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stündigen Trennung beruht (Ma<strong>in</strong> & Cassidy 1988).<br />
E<strong>in</strong>en anderen Zugang zur Erfassung von B<strong>in</strong>dungssicherheit bietet der „Attachment Q-Sort“ (AQS)<br />
(Waters & Deane 1985). Hier wird <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhalten von K<strong>in</strong>dern zwischen e<strong>in</strong>em und fünf Jah-<br />
67
68<br />
ren <strong>in</strong> der häuslichen Umgebung oder an anderen Orten von Experten mittels der Q-Sort-Methode<br />
e<strong>in</strong>geschätzt. Der Q-Sort erfasst <strong>das</strong> Ausmaß an „secure base behaviour“, d. h. emotionalem Orientie-<br />
rungsverhalten zu e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson als Sicherheitsbasis.<br />
10.1.2 Projektive Verfahren für K<strong>in</strong>der<br />
Für die <strong>früh</strong>e und mittlere K<strong>in</strong>dheit (3 bis ca. 8 Jahre) stehen <strong>in</strong>zwischen halbprojektive Verfahren zur<br />
Verfügung, <strong>in</strong> denen die B<strong>in</strong>dungsqualität des K<strong>in</strong>des über symbolische Medien, wie sie Geschichtenergänzungsvefahren<br />
oder Zeichnungen mit Trennungsgeschichten bieten, erhoben werden kann. Diese<br />
Methoden beruhen auf der Annahme, <strong>das</strong>s sich <strong>in</strong> den gespielten und erzählten Geschichten der K<strong>in</strong>der<br />
ihre B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen und damit die Verarbeitung ihrer tatsächlichen Erfahrungen mit<br />
den Bezugspersonen manifestieren (Gloger-Tippelt 2004). So legen Spieltherapie und im natürlichen<br />
Umfeld gemachte Beobachtungen nahe, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der ihre Verarbeitung von wiederkehrenden Alltagserfahrungen<br />
mit den B<strong>in</strong>dungspersonen sowie ihr allgeme<strong>in</strong>es Wissen <strong>in</strong>s Spiel e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />
Geschichtenergänzungsverfahren im Puppenspiel<br />
Bretherton und Ridgeway (1990) entwickelten Kerngeschichten („Story Stems“) <strong>in</strong> dem „Attachment<br />
Story Completion Task“ (ASCT). Dabei werden den K<strong>in</strong>dern die Anfänge von fünf b<strong>in</strong>dungsrelevanten<br />
Geschichten (zuzüglich e<strong>in</strong>er Aufwärm- und e<strong>in</strong>er Abschlussgeschichte) mit kle<strong>in</strong>en Puppen erzählt<br />
und vorgespielt, welche die K<strong>in</strong>der dann spielerisch weitererzählen sollen. Das B<strong>in</strong>dungsthema wird<br />
<strong>in</strong> den Geschichten durch e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gfügiges Vergehen des K<strong>in</strong>des (verschütteter Saft), Schmerz durch<br />
e<strong>in</strong>en Sturz (verletztes Knie), Furcht vor e<strong>in</strong>em Monster im K<strong>in</strong>derzimmer sowie e<strong>in</strong>e kurze Trennung<br />
von den Eltern und Wiederkehr der Eltern (Abschied und Wiedersehen) aktiviert („getriggert“). E<strong>in</strong>e<br />
gleichgeschlechtliche K<strong>in</strong>derpuppe als Hauptfigur der Geschichte dient dem K<strong>in</strong>d als Identifikationsfigur.<br />
Die Auswertung beruht auf Transkripten von Spielhandlungen und Erzählstruktur (Narrative)<br />
und der Videoaufzeichnung. E<strong>in</strong> verwandtes Verfahren ist <strong>das</strong> „Manchester Child Attachment Story<br />
Task“ (MCAST), für <strong>das</strong> Barone und Kollegen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Methodenstudie aus dem italienischen<br />
Sprachraum präsentieren (Barone et al. 2009). E<strong>in</strong>e zusammenfassende Beschreibung der ASCT-Methode<br />
für die B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im K<strong>in</strong>dergarten und Vorschulalter bieten Bertherton und Kißgen (2009).<br />
Das deutschsprachige Geschichtenergänzungsverfahren zur B<strong>in</strong>dung (GEV-B) für fünf- bis achtjährige<br />
K<strong>in</strong>der basiert auf den Geschichten von Bretherton und Kollegen und wurde von Gloger-Tippelt und<br />
König <strong>in</strong>s Deutsche adaptiert (Gloger-Tippelt & König 2002, 2006).<br />
E<strong>in</strong> weiteres Geschichtenergänzungsverfahren stammt von Carol George und Judith Solomon („Six<br />
Year Attachment Doll Play Classification System“) mit nur drei Geschichten, wobei die Trennungs- und<br />
die Wiedersehensgeschichte zusammengefasst werden (George & Solomon 1990, 1996, 2000).
Erhebungsverfahren mit Trennungsbildern<br />
Der Separation Anxiety Test (SAT) ist e<strong>in</strong> häufig im Grundschulalter e<strong>in</strong>gesetztes Verfahren zur Diagnostik<br />
der B<strong>in</strong>dungsqualität. Die ursprüngliche Version von Hansburg (1972, 1980) für die kl<strong>in</strong>ische Arbeit mit<br />
Jugendlichen wurde <strong>in</strong>zwischen mehrfach weiterentwickelt.<br />
Das ursprüngliche Material bestand aus zwölf Schwarz-Weiß-Bildern, <strong>in</strong> denen die Trennung von K<strong>in</strong>dern<br />
und Eltern unterschiedlich bedrohlichen Charakter hatte. Die Szenen reichten von „K<strong>in</strong>d geht <strong>in</strong> die<br />
Schule“, „K<strong>in</strong>d geht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ferienlager“ über „Familie zieht um“ bis zu stark belastenden Bildern wie<br />
„Mutter wird <strong>in</strong>s Krankenhaus gebracht“, „Vater und K<strong>in</strong>d stehen am Sarg der Mutter“ und „K<strong>in</strong>d<br />
läuft von zu Hause weg“. Dabei wurde geprüft, wie die K<strong>in</strong>der auf die dargestellten Situationen der<br />
Trennung oder des Verlusts reagieren. E<strong>in</strong>e zusammenfassende Beschreibung des SAT bietet Julius (2009).<br />
E<strong>in</strong>e modifizierte Version des SAT wurde von Klagsbrun und Bowlby für vier- bis siebenjährige K<strong>in</strong>der<br />
konstruiert, die sechs Bilder enthielt (Klagsbrun & Bowlby 1976).<br />
Ziegenha<strong>in</strong> und Jacobson haben <strong>in</strong> Deutschland den SAT mit acht Bildkarten von Hansburg e<strong>in</strong>gesetzt,<br />
wobei die Szenen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Hiearchie h<strong>in</strong>sichtlich ihrer B<strong>in</strong>dungsrelevanz enthielten (Ziegenha<strong>in</strong> &<br />
Jacobsen 1999). Auf den Bildkarten ist jeweils e<strong>in</strong> Junge oder Mädchen (je nach Geschlecht des befragten<br />
K<strong>in</strong>des) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation zu sehen, <strong>in</strong> der es von der B<strong>in</strong>dungsperson (den Eltern) getrennt ist oder<br />
wird. Drei der Bilder zeigen e<strong>in</strong>e längere, bedrohliche Trennung: e<strong>in</strong>en Notarzt-Wagen, e<strong>in</strong>en Abschied<br />
von den Eltern für vier Wochen und e<strong>in</strong>e Situation, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Vater die Mutter und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>em<br />
Streit verlässt. Drei andere Bilder zeigen kürzere, alltägliche Trennungen: e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> zur Schule geht,<br />
e<strong>in</strong>es, <strong>das</strong> auf Klassenfahrt fährt, und e<strong>in</strong>es, <strong>das</strong> <strong>in</strong>s Bett gebracht wird. Auf e<strong>in</strong>em Bild ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu<br />
sehen, <strong>das</strong> von zu Hause wegläuft, und auf e<strong>in</strong>em weiteren Bild kommt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Schul-<br />
klasse. Anhand von offenen Fragen sollen die befragten K<strong>in</strong>der erzählen, wie sich <strong>das</strong> abgebildete K<strong>in</strong>d<br />
fühlt, was es denkt, was es tun wird und wie die Geschichte ausgeht.<br />
E<strong>in</strong>e häufig e<strong>in</strong>gesetzte Auswertung des SAT für K<strong>in</strong>der von fünf bis sieben Jahren hat Kaplan (1987)<br />
entwickelt, auf die auch Ziegenha<strong>in</strong> und Jacobson zurückgreifen. E<strong>in</strong>e zusätzliche Weiterentwicklung<br />
des SAT liegt von Slough und Greenberg vor (1990).<br />
69
70<br />
Nach Gloger-Tippelt (2004) erweisen sich die Geschichtenergänzungsverfahren (GEV) für die Altersgruppe<br />
der Drei- sowie Fünf- bis Siebenjährigen als e<strong>in</strong>e reliable und valide Methode, wobei weitere Validitätsprüfungen<br />
erforderlich s<strong>in</strong>d. Auch der Trennungsbildtest SAT hat sich als e<strong>in</strong> angemessenes Erhebungsverfahren für<br />
B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen bewährt. Die Beschreibung von Bildern erfordert jedoch mehr verbale Fähigkeiten<br />
als die Puppenspielmethoden, weswegen der SAT vermutlich für etwas ältere K<strong>in</strong>der geeigneter ist. Die<br />
Auswertungen zum SAT s<strong>in</strong>d schwer zugänglich und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs weniger verfügbar als bei den Geschichtenergänzungsverfahren.<br />
Trudew<strong>in</strong>d und Steckel (2009) berichten vom Bochumer B<strong>in</strong>dungstest (BoBiTe) als e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Durchführung<br />
und Auswertung e<strong>in</strong>faches und ökonomisches semiprojektives Verfahren zur Erfassung der Struktur des<br />
B<strong>in</strong>dungsmotivs und der B<strong>in</strong>dungsqualität bei 8- bis 14-jährigen Jungen und Mädchen. Dieses Verfahren<br />
schließt e<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> der altersgemäßen Erfassung des B<strong>in</strong>dungssystems, mit dem zahlreiche Facetten<br />
der sozialen Entwicklung und Fehlentwicklung <strong>in</strong> der mittleren K<strong>in</strong>dheit erforscht werden können.<br />
10.1.3 Interviewverfahren für K<strong>in</strong>der<br />
Für 8- bis 13-jährige K<strong>in</strong>der eignet sich <strong>das</strong> von Zimmermann und Scheuerer-Englisch entwickelte<br />
B<strong>in</strong>dungs-Interview für die späte K<strong>in</strong>dheit (BISK), dessen Ziel es ist, die Regulation negativer Gefühle<br />
<strong>in</strong> den Beziehungen zu erwachsenen Bezugspersonen zu erfragen. Dazu werden zum e<strong>in</strong>en Fragen zur<br />
Bewertung des Verhaltens der B<strong>in</strong>dungsperson verwendet, zum anderen Fragen nach belastenden<br />
Situationen <strong>–</strong> sowohl solchen, die für alle K<strong>in</strong>der dieses Alters belastend s<strong>in</strong>d, als auch nach Situationen,<br />
<strong>in</strong> denen sich <strong>das</strong> befragte K<strong>in</strong>d subjektiv belastet fühlt (Scheuerer-Englisch 2003).<br />
Die Leitfragen des Interviews beziehen sich auf verschiedene Erlebnisbereiche von K<strong>in</strong>dern die-<br />
ser Altersstufe: Spielen und Verlieren, Schule, Freunde, Familiensituation, Erziehung und Bestrafung,<br />
Konflikte, Krankheit etc. Wenn belastende b<strong>in</strong>dungsrelevante Ereignisse zur Sprache kommen, werden<br />
jeweils die Emotionen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> dieser Situation („Wie fühlst du dich dann?“), se<strong>in</strong>e Verhaltens-<br />
strategien („Was machst du dann?“), die Reaktion der Eltern und deren Wahrnehmung der k<strong>in</strong>dlichen<br />
Bef<strong>in</strong>dlichkeit und die Effektivität der Unterstützung durch Eltern („Wie geht es dir, wenn Mama/Papa<br />
so reagiert?“) abgefragt. Das gesamte Interview dauert zwischen 50 und 90 M<strong>in</strong>uten. Die Validität und<br />
Reliabilität des BISK konnte <strong>in</strong> mehreren Untersuchungen belegt werden.<br />
Etwa ab dem zehnten Lebensjahr bietet sich die Möglichkeit an, <strong>das</strong> Child Attachment Interview (CAI)<br />
durchzuführen. Das CAI baut auf dem Adult Attachment Interview (AAI) auf und hat dessen Fragen<br />
für den K<strong>in</strong>derbereich adaptiert und modifiziert (Target et al. 2002).
10.2 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im Jugend- und Erwachsenenalter<br />
Erwachsene werden mit dem Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs<strong>in</strong>terview (Adult Attachment Interview; AAI) oder<br />
mit dem Adult Attachment Projective (AAP) e<strong>in</strong>geschätzt. Beide Verfahren erlauben e<strong>in</strong>e Kategorisierung<br />
der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> die sicher-autonome, unsicher-distanzierte, unsicher-verstrickte oder unverarbeitete<br />
B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (Brisch 2007b).<br />
10.2.1 Interviewverfahren<br />
Das Adult Attachment Interview (AAI) wurde von George, Kaplan und Ma<strong>in</strong> 1984, <strong>das</strong> dazugehörige<br />
Auswertungssystem von Ma<strong>in</strong> und ihrer Arbeitsgruppe entwickelt und laufend verbessert (Ma<strong>in</strong> &<br />
Goldwyn 1984, 1998; Ma<strong>in</strong> et al. 2003). Die deutsche Übersetzung stammt von Gloger-Tippelt (2001).<br />
Es gilt als <strong>das</strong> Interview („Goldstandard“) für die B<strong>in</strong>dungsforschung im Erwachsenenalter. Beim AAI<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong> halbstrukturiertes, kl<strong>in</strong>isches Interview, <strong>in</strong> dem die Er<strong>in</strong>nerung an b<strong>in</strong>dungsrelevante<br />
Erfahrungen hervorgerufen werden soll. Dazu werden 18 offene Fragen über die eigene K<strong>in</strong>dheit<br />
und B<strong>in</strong>dungsgeschichte sowie über die aktuellen Beziehungen zu Eltern und anderen B<strong>in</strong>dungspartnern<br />
gestellt. Die Fragen sollen „<strong>das</strong> Unbewusste überraschen“ und durch die mit diesen Er<strong>in</strong>nerungen verbundenen<br />
Emotionen <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem aktivieren. Das Interview erfordert e<strong>in</strong>en flexiblen Umgang<br />
mit Er<strong>in</strong>nerungen und e<strong>in</strong>en offenen Zugang zu Gefühlen über <strong>früh</strong>e Erfahrungen und deren heutige<br />
persönliche Bewertung aus e<strong>in</strong>er eigenständigen Position heraus (Gloger-Tippelt 2004).<br />
Entscheidend für die im Rahmen des AAI erhobenen b<strong>in</strong>dungsrelevanten Aussagen ist nicht der<br />
Inhalt der Erzählungen zu den tatsächlichen Erfahrungen aus der K<strong>in</strong>dheit (wie <strong>in</strong> vielen biografischen<br />
Interviews) vorrangig, sondern die Art und Weise, <strong>in</strong> der der Erwachsene darüber berichtet (d. h. die<br />
sprachliche Darstellung und kognitiv-emotionale Verarbeitung). Die Schlüssigkeit oder Kohärenz des<br />
Berichtes wird für die Auswertung somit zum entscheidenden Kriterium. Hierüber lässt sich die Organi-<br />
sation der B<strong>in</strong>dungsrepräsentation bestimmen. Die Validität und Reliabilität der Klassifikation mit dem<br />
AAI wurde <strong>in</strong> verschiedenen Forschungsarbeiten belegt (Buchheim & Strauß 2002).<br />
Ab dem Alter von 16 bis 18 Jahren kann die B<strong>in</strong>dungsuntersuchung bei Jugendlichen wie bei<br />
Erwachsenen mit dem AAI erfolgen (Zimmermann & Becker-Stoll 2001).<br />
10.2.2 Projektive Verfahren<br />
Das Adult Attachment Projective (AAP) wurde 1997 von George, Pettem und West entwickelt, um<br />
die B<strong>in</strong>dungsrepräsentation im Erwachsenenalter zu erheben (George & West 2004). Es verb<strong>in</strong>det die<br />
projektiven Techniken der Konstruktion und Assoziation mit der des halbstrukturierten Interviews.<br />
Vergleichbar mit dem SAT werden Bilder benutzt, die <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem aktivieren sollen. Im Unterschied<br />
zu den Methoden für K<strong>in</strong>der werden ke<strong>in</strong>e Geschichtenanfänge vorgegeben, sondern die<br />
71
72<br />
Probanden werden durch Fragen aufgefordert, e<strong>in</strong>e Geschichte über die Ereignisse auf dem Bild zu<br />
konstruieren.<br />
Das AAP besteht aus <strong>in</strong>sgesamt acht Umrisszeichnungen, wobei die Zeichnungen nur so viele Details<br />
enthalten, <strong>das</strong>s damit die dargestellte b<strong>in</strong>dungsrelevante Szene identifiziert werden kann. Das Projektivset<br />
beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>em Aufwärmbild (neutraler Stimulus), darauf folgen sieben B<strong>in</strong>dungsszenen, welche<br />
Themen wie Krankheit, Trennung, Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong> und Bedrohung oder Verlust be<strong>in</strong>halten. Wie bei anderen<br />
Verfahren der B<strong>in</strong>dungsforschung soll auch hier <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem der Probanden im Verlauf des<br />
Interviews <strong>–</strong> von Bild zu Bild <strong>–</strong> immer stärker aktiviert werden.<br />
E<strong>in</strong> großer Vorteil gegenüber dem AAI besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die Durchführung, Transkription und Aus-<br />
wertung des AAP sehr viel weniger zeitaufwendig und damit weniger kosten<strong>in</strong>tensiv ist. Im Unterschied<br />
zum AAI s<strong>in</strong>d jedoch ke<strong>in</strong>e Unterdifferenzierungen <strong>in</strong>nerhalb der B<strong>in</strong>dungs-Hauptklassifikationen zu<br />
erfassen. Da ke<strong>in</strong>e autobiografischen Fakten abgefragt werden, kann im AAP ke<strong>in</strong> Verständnis für die<br />
Entwicklung bestimmter B<strong>in</strong>dungsmodelle gewonnen werden. Bisherige Validitätsanalysen belegen e<strong>in</strong>e<br />
hohe Übere<strong>in</strong>stimmung des AAP mit dem AAI (Buchheim & Strauß 2002). E<strong>in</strong>e aktuelle zusammenfassende<br />
Beschreibung des AAP bieten George, West und Kißgen (2009).<br />
10.3 Fragebogen<strong>in</strong>strumente <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />
Fragebogen<strong>in</strong>strumente nehmen <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e „Sonderstellung“ e<strong>in</strong>, als die<br />
b<strong>in</strong>dungsdiagnostische Expertise <strong>in</strong> der Regel auf der Beurteilung e<strong>in</strong>es komplexen Verhaltens bzw.<br />
auf der E<strong>in</strong>schätzung von sprachlichen Äußerungen basiert. Vorgegebene Antwortalternativen <strong>–</strong> wie<br />
<strong>in</strong> Fragebogenverfahren üblich <strong>–</strong> müssten demnach methodisch unzulässig se<strong>in</strong>. Unter anderem deswegen,<br />
weil der abzubildende Sachverhalt (<strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsmuster) den Abbildungsprozess (den Vorgang der<br />
Itembeantwortung) und damit <strong>das</strong> Abbildungs- bzw. Messergebnis bee<strong>in</strong>flusst (Höger 2002).<br />
Dennoch gibt es nach Brisch (2007b) für die Untersuchung von B<strong>in</strong>dungsqualitäten vielfältige Fragebogen-<br />
<strong>in</strong>strumente, wobei auch Interview und Fragebogen zur B<strong>in</strong>dungse<strong>in</strong>schätzung komb<strong>in</strong>iert werden können.<br />
Fragebögen ermitteln <strong>das</strong> Selbstkonzept von B<strong>in</strong>dung, während Interviews Repräsentanzen und un-<br />
bewusste Anteile von Arbeitsmodellen zu erfassen versuchen. So wurde für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>desalter von Brisch<br />
e<strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsstörungsfragebogen entwickelt, der im Rahmen e<strong>in</strong>er Pilotstudie e<strong>in</strong>gesetzt wurde (2002).<br />
Zweyer hat e<strong>in</strong>en Screen<strong>in</strong>g-Fragebogen zur B<strong>in</strong>dungse<strong>in</strong>schätzung durch Erzieher/<strong>in</strong>nen beim E<strong>in</strong>tritt<br />
<strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergarten entwickelt und evaluiert, allerd<strong>in</strong>gs hat sich dieser als nicht diskrim<strong>in</strong>ativ erwiesen (2006).
Inwieweit Fragebögen als Screen<strong>in</strong>g-Instrument entweder bei Erwachsenen oder auch bei K<strong>in</strong>dern und<br />
Jugendlichen e<strong>in</strong>gesetzt werden können, ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.<br />
So plädiert Höger dafür, die <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsfragebögen erhobenen Selbstbeschreibungen nicht als direkte<br />
Beschreibungen der Erfahrungen <strong>in</strong> Zusammenhang mit dem B<strong>in</strong>dungssystem aufzufassen, sondern als<br />
„Spuren“ der für <strong>das</strong> jeweilige <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell der befragten Person charakteristischen Mechanis-<br />
men der Informationsverarbeitung (Höger 2002, mit weitergehenden Informationen zum E<strong>in</strong>satz von<br />
Fragebögen zur Erfassung von B<strong>in</strong>dungsstilen).<br />
73
11<br />
74<br />
Handlungsempfehlungen für Eltern<br />
K<strong>in</strong>der lösen mit ihrem B<strong>in</strong>dungsverhalten bei allen Eltern bestimmte Gefühle und Reaktionsbereit-<br />
schaften aus. Wir reagieren auf unsere K<strong>in</strong>der meist „<strong>in</strong>tuitiv“, <strong>in</strong>dem wir ihre Signale und Botschaften<br />
verbal oder nonverbal (mimisch oder gestisch) automatisch beantworten. In der <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>dheit besteht<br />
die Herausforderung dar<strong>in</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorsprachlichen Weise mit dem K<strong>in</strong>d zu kommunizieren. Die Natur<br />
hat Frauen wie Männer dafür mit e<strong>in</strong>em (vermutlich angeborenen) Verhaltensrepertoire ausgestattet,<br />
welches uns dazu befähigt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dem Entwicklungsstand des K<strong>in</strong>des angemessenen Art und Weise<br />
zu handeln. Diese „<strong>in</strong>tuitiven Erziehungskompetenzen“ der Eltern formen sich aber nicht e<strong>in</strong>fach von<br />
selbst aus, sondern müssen geübt werden. Aktuelle Belastungen oder <strong>früh</strong>ere Traumatisierungen <strong>in</strong> der<br />
eigenen K<strong>in</strong>dheit können uns unter Umständen für die Bedürfnisse unseres K<strong>in</strong>des „bl<strong>in</strong>d“ werden<br />
lassen. Um die größtmögliche Chance zur Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität zu den primären<br />
B<strong>in</strong>dungspersonen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zu gewähren, s<strong>in</strong>d im Folgenden e<strong>in</strong>ige Handlungsempfehlungen<br />
beschrieben, mit welchen Eltern ihr K<strong>in</strong>d angemessen unterstützen können (Bündnis für K<strong>in</strong>der 2007;<br />
Kasten 2005; www.circleofsecurity.org; www.eltern-bildung.at).<br />
11.1 Allgeme<strong>in</strong>e Grundsätze<br />
Haben Sie Spaß und Freude an/mit Ihrem K<strong>in</strong>d!<br />
Wann immer Sie mit Ihrem K<strong>in</strong>d zusammen s<strong>in</strong>d, sollten die Freude und der Spaß am Mite<strong>in</strong>ander<br />
überwiegen. Ihr K<strong>in</strong>d „saugt“ die emotionale Atmosphäre se<strong>in</strong>er Umwelt gleichsam e<strong>in</strong>em Schwamm<br />
<strong>in</strong> sich auf. Je besser Ihre eigene seelische Verfassung ist, umso besser fühlt sich auch Ihr K<strong>in</strong>d. Ihr K<strong>in</strong>d<br />
braucht e<strong>in</strong>en starken Partner an se<strong>in</strong>er Seite, der vermittelt, <strong>das</strong>s Schwierigkeiten gemeistert werden<br />
können und e<strong>in</strong>en guten Ausgang f<strong>in</strong>den.<br />
Lassen Sie sich, wann immer möglich, mit voller Aufmerksamkeit auf Ihr K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>e Erlebniswelt e<strong>in</strong>!<br />
Wann immer möglich, sollten Sie sich mit all Ihrer Aufmerksamkeit Ihrem Baby widmen, damit Sie<br />
se<strong>in</strong>e Bedürfnisäußerungen wahrnehmen können. Lassen Sie sich von den B<strong>in</strong>dungssignalen Ihres K<strong>in</strong>des<br />
„emotional anstecken“ und vertrauen Sie dabei Ihrer <strong>in</strong>tuitiven Wahrnehmung. Die Natur hat uns<br />
Menschen mit e<strong>in</strong>er angeborenen Fähigkeit zum Lesen der k<strong>in</strong>dlichen Signale ausgestattet. Üben Sie<br />
sich aber auch <strong>in</strong> Ihrer Beobachtungsfähigkeit: In welchem Zustand bef<strong>in</strong>det sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d im Augenblick?<br />
Was möchte es mir mit se<strong>in</strong>en Zeichen mitteilen? Achten Sie dabei auch darauf, eigene eventuell<br />
sehr drängende Bedürfnisse nicht auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zu projizieren. Praktisch heißt <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s Sie sich <strong>in</strong> allen<br />
Situationen, <strong>in</strong> denen Sie dem Baby nah s<strong>in</strong>d (wie z. B. beim Stillen), auch gedanklich, emotional und im<br />
Verhalten auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d konzentrieren sollten, um auch schwächere Signale des Säugl<strong>in</strong>gs empfangen<br />
zu können. Dies geht am besten, wenn Sie mit dem Baby Blickkontakt halten.
Versuchen Sie, die Äußerungen des Babys richtig zu deuten!<br />
Am Anfang fällt es vielen Eltern zunächst schwer, die Signale ihres K<strong>in</strong>des richtig zu deuten. Das ist<br />
völlig normal, Sie müssen erst die „Sprache“ Ihres K<strong>in</strong>des kennenlernen. Mit der Zeit werden Sie es<br />
aber lernen zu unterscheiden, ob <strong>das</strong> Baby wegen Hunger, vor Schmerzen oder aus Langeweile we<strong>in</strong>t.<br />
Dabei s<strong>in</strong>d Sie zunächst auf die Phase des Ausprobierens angewiesen. Hilfreich dabei ist, sich <strong>in</strong> die<br />
Situation des K<strong>in</strong>des h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zufühlen. Überlegungen wie „Jetzt habe ich mit dem Baby schon lange gespielt.<br />
We<strong>in</strong>t es, weil es nun Hunger hat, oder ist es jetzt müde?“ helfen Ihnen dabei.<br />
Reagieren Sie passend auf k<strong>in</strong>dliche Bedürfnisäußerungen!<br />
Wenn Sie e<strong>in</strong> k<strong>in</strong>dliches Bedürfnis wahrnehmen, sollten Sie adäquat darauf reagieren. Sie sollten mit<br />
dem Baby spielen, wenn es sich langweilt und es füttern, wenn es Hunger hat. E<strong>in</strong> Baby nach e<strong>in</strong>em<br />
Zeitplan zu füttern, entspricht nicht se<strong>in</strong>en Bedürfnissen. Ebenso wenig macht es S<strong>in</strong>n, mit dem Baby<br />
zu spielen, wenn es großen Hunger hat.<br />
Möglichst sofort auf die Bedürfnisäußerung Ihres K<strong>in</strong>des reagieren!<br />
Babys können <strong>in</strong> den ersten Lebensmonaten nicht warten. Den gegenwärtigen Zustand der „Nichterfüllung<br />
e<strong>in</strong>es Bedürfnisses“ nimmt e<strong>in</strong> Baby als unveränderlich und ewig wahr. Da sich jedoch alle se<strong>in</strong>e<br />
Bedürfnisse lebensnotwendig anfühlen, verzweifelt es, wenn ke<strong>in</strong>e prompte Reaktion von der Bezugsperson<br />
kommt. Das Baby muss erst noch lernen, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> Bezug zwischen se<strong>in</strong>em Verhalten und Ihrer<br />
Antwort besteht. Nur durch schnelles Reagieren können Sie dem Baby <strong>das</strong> Gefühl vermitteln, <strong>das</strong>s es<br />
durch se<strong>in</strong> Verhalten <strong>in</strong> der Umgebung etwas bewirken kann.<br />
Stehen Sie mit Ihrem K<strong>in</strong>d auch emotional schwierige Situationen durch!<br />
K<strong>in</strong>der erleben häufig e<strong>in</strong>e Vielfalt unterschiedlicher Gefühle und Motivationslagen (Freude, Ärger,<br />
Schmerz, Traurigkeit, Furcht etc.). Sie können diese Emotionen zu Beg<strong>in</strong>n noch nicht selber verarbeiten<br />
und regulieren, sondern benötigen hierzu Sie als B<strong>in</strong>dungsperson. Bleiben Sie <strong>in</strong> solchen Situationen<br />
beim K<strong>in</strong>d und halten Sie mit ihm die belastende Situation geme<strong>in</strong>sam aus, bis die Situation „verdaut“<br />
ist und sich die Spannung gelegt hat. Das K<strong>in</strong>d lernt, <strong>das</strong>s es <strong>in</strong> jeder seelischen Verfassung angenommen<br />
wird und darauf vertrauen darf, <strong>das</strong>s die Situation e<strong>in</strong>en guten Ausgang nehmen wird.<br />
Versuchen Sie nach Möglichkeit Ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber größer, stärker, klüger sowie liebenswürdig aufzutreten!<br />
Ihr K<strong>in</strong>d hat e<strong>in</strong> großes Bedürfnis, se<strong>in</strong>e Bezugspersonen(en) als beschützend, vertrauensspendend,<br />
unterstützend und weise zu erleben. Versuchen Sie nach Möglichkeit, diese Rolle für Ihr K<strong>in</strong>d zu übernehmen<br />
und ihm dies zu vermitteln. Zum Gel<strong>in</strong>gen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion tragen sowohl Sie als<br />
auch <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en Eigenheiten bei. Im Zweifelsfall haben Sie als Eltern aber immer mehr Möglichkeiten<br />
und Freiheitsgrade e<strong>in</strong>er Veränderung als <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d. Und denken Sie daran: Ihr K<strong>in</strong>d wird Sie<br />
immer lieben. Sie werden immer e<strong>in</strong>e der wichtigsten Bezugspersonen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben se<strong>in</strong>.<br />
75
76<br />
Achten Sie immer auf Ihre Selbstwahrnehmung!<br />
Das B<strong>in</strong>dungsverhalten des K<strong>in</strong>des löst bei allen Eltern <strong>in</strong>tensive Gefühle aus. Diese können unter<br />
Umständen auch schmerzhaft se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Warnsignal vor e<strong>in</strong>er „<strong>in</strong>neren Gefahr“ darstellen. Der<br />
Übergang zur Elternschaft und die direkte Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d (re-)aktivieren bei Eltern automatisch<br />
ihre eigenen K<strong>in</strong>dheitserfahrungen und die dazugehörigen Emotionen. Dies ist e<strong>in</strong> ganz normaler Vorgang.<br />
Je nach persönlicher Biografie können dabei sowohl sehr schöne und positive, aber eventuell auch<br />
negative schmerzhafte Er<strong>in</strong>nerungen und Gefühle ausgelöst werden. Wenn Sie negative emotionale<br />
Zustände abwehren müssen, weil sie sonst für Sie selbst zu schmerzhaft werden, entstehen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
„Kreise begrenzter Sicherheit“, etwa <strong>in</strong>dem der Wunsch des K<strong>in</strong>des nach Nähe oder Trost zurückgewiesen<br />
wird. K<strong>in</strong>der, die solche Erfahrungen machen, lernen, <strong>das</strong>s sie mit ihren Gefühlen alle<strong>in</strong>e bleiben<br />
müssen und signalisieren dies zukünftig auch nach außen („Ich brauche dich nicht“).<br />
Bleiben Sie deswegen aufmerksam gegenüber Ihren <strong>in</strong>neren Reaktionen auf die B<strong>in</strong>dungs- wie auch<br />
Explorationssignale Ihres K<strong>in</strong>des. Reagieren Sie nach Möglichkeit immer fe<strong>in</strong>fühlig auf k<strong>in</strong>dliche<br />
Bedürfnisse und achten Sie auf mögliche Fehl<strong>in</strong>terpretationen der k<strong>in</strong>dlichen Botschaften (z. B. <strong>in</strong>dem<br />
Sie nicht eigene Gefühlszustände <strong>in</strong> <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d „h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>legen“). Wenn Sie bei sich wahrnehmen, <strong>das</strong>s die<br />
Botschaften des K<strong>in</strong>des bei Ihnen nicht mehr zu bewältigende, schmerzhafte Gefühle auslösen und Sie<br />
<strong>in</strong>nerlich „zumachen“, lassen Sie sich professionell beraten, wie dieser für Sie und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ungünstige<br />
Kreislauf unterbrochen werden kann. Das ist weder e<strong>in</strong>e „Schande“ noch e<strong>in</strong> per se völlig ungewöhnli-<br />
cher Vorgang: Wir alle br<strong>in</strong>gen unsere eigene B<strong>in</strong>dungsbiografie <strong>in</strong> zwischenmenschliche Beziehungen<br />
mit e<strong>in</strong>, für die wir nichts können. Wichtig ist aber zu erkennen bzw. sich ehrlich e<strong>in</strong>zugestehen, <strong>das</strong>s<br />
man eventuell nicht verarbeitete Beziehungserfahrungen hat, welche den Kontakt zum eigenen K<strong>in</strong>d<br />
bee<strong>in</strong>trächtigen und bei ihm Unsicherheit auslösen können.<br />
B<strong>in</strong>dungs- wie auch Explorationssignale gehen immer vom K<strong>in</strong>d aus!<br />
Ihr K<strong>in</strong>d kommt mit dem Tag se<strong>in</strong>er Geburt als „kompetenter Interaktionspartner“ auf die Welt. Auch<br />
wenn Ihr K<strong>in</strong>d noch nicht sprechen kann, so hat es doch e<strong>in</strong>en Eigens<strong>in</strong>n und signalisiert unmissverständlich<br />
se<strong>in</strong>e Bedürfnisse: Nehmen Sie diese aufmerksam wahr und reagieren Sie e<strong>in</strong>fühlsam und<br />
zeitlich prompt darauf. Lassen Sie sich, wann immer möglich, von den Signalen Ihres K<strong>in</strong>des leiten, und<br />
übernehmen Sie, wann immer nötig, selbst die Führung.<br />
Vertrauen Sie Ihren „<strong>in</strong>tuitiven Fähigkeiten“!<br />
Vertrauen Sie Ihren eigenen <strong>in</strong>tuitiven Fähigkeiten. Sie haben als Eltern <strong>das</strong> beste Gespür dafür, was Ihr<br />
K<strong>in</strong>d wirklich braucht. Die Natur hat Mütter und Väter mit e<strong>in</strong>er (vermutlich angeborenen) Kompetenz<br />
zum Verständnis und zum angemessenen Umgang mit k<strong>in</strong>dlichen Botschaften ausgestattet. Mit der Zeit<br />
werden Sie immer besser herausf<strong>in</strong>den, wann Ihr K<strong>in</strong>d Nähe und wann es Freiraum braucht.
Es gibt ke<strong>in</strong>e Kompetenzunterschiede zwischen Müttern und Vätern!<br />
Mütter und Väter haben jeweils ihren ganz eigenen Stil im Umgang mit K<strong>in</strong>dern, der für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
förderlich ist, weil es dadurch verschiedene Lern- und Beziehungsangebote erfährt und somit ganz allgeme<strong>in</strong><br />
Differenz- und Kontrasterfahrungen macht. Dennoch gibt es zwischen Frauen und Männern<br />
erwiesenermaßen ke<strong>in</strong>e biologisch bed<strong>in</strong>gten Unterschiede <strong>in</strong> der Kompetenz für den fe<strong>in</strong>fühligen Umgang<br />
mit Babys und (Kle<strong>in</strong>-)K<strong>in</strong>dern. Da sich die B<strong>in</strong>dungsbeziehung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den ersten 12 bis 18 Monaten<br />
etabliert, sollten Mütter wie Väter <strong>in</strong> dieser <strong>früh</strong>en Entwicklungsphase viel Zeit mit ihrem Baby<br />
verbr<strong>in</strong>gen. Es ist e<strong>in</strong>e Investition <strong>in</strong> die Zukunft.<br />
Halten Sie viel Blickkontakt mir Ihrem K<strong>in</strong>d!<br />
Schauen Sie Ihrem K<strong>in</strong>d ab dem ersten Tag im kommunikativen Zusammenspiel <strong>in</strong> die Augen und<br />
bleiben Sie aufmerksam, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d Ihren Blick sucht. Bereits mit sechs Wochen „liest“ <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />
den Gesichtsausdruck der B<strong>in</strong>dungsperson und holt hierüber Informationen über se<strong>in</strong>e Umwelt e<strong>in</strong>.<br />
Häufiger Blickkontakt mit dem Säugl<strong>in</strong>g fördert, so konnten die Neurowissenschaften belegen, <strong>das</strong><br />
Nervenzellenwachstum im Gehirn des K<strong>in</strong>des. Später dient der regelmäßige Blickkontakt während<br />
der Explorationsphasen des K<strong>in</strong>des der persönlichen „Rückversicherung“: Ist diese Situation für mich<br />
gefährlich oder nicht? Traust du mir <strong>das</strong> zu? Habe ich de<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit, wenn ich etwas tue und<br />
erfreust du dich daran? K<strong>in</strong>der machen dies ganz automatisch und rechnen mit e<strong>in</strong>er „visuellen Antwort“<br />
des Elternteils. Achten Sie darauf, <strong>das</strong>s Sie dem K<strong>in</strong>d mit Ihrer Mimik, Gestik und Stimmlage e<strong>in</strong>deutige<br />
Botschaften rückmelden <strong>–</strong> auch dann, wenn es Sie noch nicht verstehen kann. Ihr K<strong>in</strong>d merkt sofort,<br />
wenn Sie <strong>in</strong>nerlich etwas beunruhigt oder aber erfreut, selbst wenn Sie nichts sagen oder <strong>das</strong> Gefühlte<br />
mit dem Gesagten überspielen wollen. Achten Sie dabei auch auf Ihre Selbstwahrnehmung: Was<br />
lösen die Aktionen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> mir für Gefühle und Verhaltensreaktionen aus? Machen mir die Ablösungsbestrebungen<br />
und Erkundungstouren des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er näheren Umwelt Angst und lösen<br />
sie Unbehagen und Impulse zum „Gegensteuern“ aus? Oder kann ich mich an den Explorationen des<br />
K<strong>in</strong>des lustvoll erfreuen und se<strong>in</strong>e Abenteuerlust gewähren lassen, ohne dabei selbst von übermäßig viel<br />
Befürchtungen vor möglichen Gefahren <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Wahrnehmung geleitet zu werden?<br />
11.2 Für die ersten Wochen und Monate<br />
Sprechen Sie laut über Gefühle!<br />
Sprechen Sie von den ersten Tagen an über Gefühle <strong>–</strong> sowohl über die eigenen als auch die des K<strong>in</strong>des.<br />
Das K<strong>in</strong>d lernt dadurch emotionale Zustände zu benennen und erlebt, <strong>das</strong>s diese mit anderen geteilt<br />
werden können. Mit fortschreitender Entwicklung des K<strong>in</strong>des und se<strong>in</strong>er Fähigkeit, Emotionen <strong>in</strong> Worte<br />
zu fassen („zu reflektieren“), verr<strong>in</strong>gert sich so se<strong>in</strong> Bedürfnis, se<strong>in</strong>e emotionalen Zustände auszuagieren.<br />
77
78<br />
Sie können Ihr K<strong>in</strong>d mit zuviel Liebe nicht verwöhnen!<br />
Spenden Sie Ihrem K<strong>in</strong>d <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere im ersten Lebensjahr <strong>–</strong> soviel körperliche Nähe, Zärtlichkeit<br />
und Aufmerksamkeit wie nur möglich. Sie können Ihr K<strong>in</strong>d mit „zuviel“ Nähe nicht verwöhnen oder<br />
gar „abhängig“ machen. Je mehr Nähe, Schutz und Geborgenheit es bei Ihnen erfährt, umso sicherer<br />
wird es sich auf dieser Welt fühlen. E<strong>in</strong> zeitliches Herauszögern der Reaktion (z. B. aufgrund der<br />
Befürchtung, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zu „verwöhnen“) frustriert Ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en Zeit unnötig,<br />
weil se<strong>in</strong>e Gedächtnisentwicklung noch ke<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen se<strong>in</strong>er Botschaft und Ihrer<br />
zeitlich verspäteten Reaktion herstellen kann. Zudem überfordert es se<strong>in</strong>e Fähigkeiten zur Selbstregulation.<br />
Achten Sie dabei auch auf Ihre Selbstwahrnehmung: Braucht <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d gerade me<strong>in</strong>e Nähe? Signalisiert<br />
es mir <strong>das</strong>, oder fühle ich mich selbst womöglich gerade e<strong>in</strong>sam und „verschiebe“ dieses Bedürfnis auf<br />
me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d?<br />
Haben Sie von Anfang an viel Körperkontakt mit ihrem Baby!<br />
Der Hauts<strong>in</strong>n des Babys reagiert bereits unmittelbar nach der Geburt sensibel auf Umwelte<strong>in</strong>flüsse wie<br />
Wärme und Kälte, <strong>in</strong>sbesondere aber auf Berührungen aller Art. Der Säugl<strong>in</strong>g liebt es, gestreichelt<br />
zu werden, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Phasen, <strong>in</strong> denen er entspannt und aufmerksam ist. Durch Haut- und<br />
Körperkontakt zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d, durch passives Fühlen und aktives Berühren bilden sich enge<br />
emotionale Beziehungen aus. Auch tägliche Pflegehandlungen (z. B. Wickeln, Baden) werden durch<br />
fe<strong>in</strong>fühlige Abstimmungen mit dem K<strong>in</strong>d und e<strong>in</strong>en liebevollen Körperkontakt getragen.<br />
Sorgen Sie für e<strong>in</strong>en regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus!<br />
Als zentrale Bezugsperson spielen Sie als Mutter oder Vater <strong>in</strong> den ersten Lebenstagen und -wochen<br />
e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle bei der E<strong>in</strong>übung von Wach- und Ruhezyklen. Neugeborene haben noch ke<strong>in</strong>en<br />
eigenen Tag-Nacht-Rhythmus und s<strong>in</strong>d beim Aufbau zyklischer Phasen von Schlafen und Wachse<strong>in</strong> auf<br />
Ihre Hilfe angewiesen.<br />
Säugl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d auch „Tragl<strong>in</strong>ge“!<br />
Säugl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d von ihrer genetischen Ausstattung her auch Tragl<strong>in</strong>ge. Sie von kle<strong>in</strong> auf regelmäßig und<br />
auch für längere Zeit am Körper zu tragen, regt sie ganzheitlich und auf vielfältige Weise an und fördert<br />
die Integration ihrer S<strong>in</strong>ne, d. h. die Strukturierung, Ordnung und Verb<strong>in</strong>dung der von ihnen über die<br />
verschiedenen S<strong>in</strong>neskanäle wahrgenommenen Reize. Gerade die ganzheitliche Form der Anregung<br />
trägt dazu bei, <strong>das</strong>s sich die S<strong>in</strong>nesorgane und die entsprechenden Gehirnareale optimal entwickeln.<br />
Lassen Sie Ihr K<strong>in</strong>d im ersten Lebensjahr nicht alle<strong>in</strong>e!<br />
Achten Sie im ersten Lebensjahr darauf, <strong>das</strong>s Ihr Baby immer e<strong>in</strong>e Bezugsperson erreichen kann. Lassen<br />
Sie Ihr K<strong>in</strong>d nicht alle<strong>in</strong>. Es würde nicht verstehen, was <strong>das</strong> bedeutet.
11.3 Wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langsam selbstständiger wird<br />
Unterstützen Sie die Verselbständigungsbestrebungen des K<strong>in</strong>des!<br />
Fängt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langsam an, se<strong>in</strong>e Umgebung zu erkundschaften, beobachten Sie aufmerksam und<br />
wohlwollend se<strong>in</strong>e Neugier und bestätigen Sie se<strong>in</strong>e Interessensbekundungen mit Freude. Bleiben Sie<br />
<strong>in</strong> der Nähe des K<strong>in</strong>des und halten Sie Blickkontakt mit ihm. Wo nötig helfen Sie dem K<strong>in</strong>d soweit,<br />
<strong>das</strong>s es se<strong>in</strong>e Explorationen selbstständig fortsetzen kann. Kehrt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nach se<strong>in</strong>er Erkundungstour<br />
zu Ihnen zurück, freuen Sie sich über se<strong>in</strong>e Rückkehr und nehmen Sie Ihr K<strong>in</strong>d, ganz egal <strong>in</strong> welchem<br />
emotionalen Zustand es sich gerade bef<strong>in</strong>det, herzlich auf. Ihr K<strong>in</strong>d braucht Sie, weil es vieles von dem,<br />
was es erlebt hat und gerade fühlt (Aufregung, Freude, Müdigkeit, Ärger etc.) noch nicht selbst verarbeiten<br />
kann, sondern dies geme<strong>in</strong>sam mit Ihnen tun will. Achten Sie auch auf Ihre Selbstwahrnehmung: Wenn<br />
sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d von Ihnen zu lösen und fortzubewegen beg<strong>in</strong>nt, was löst <strong>das</strong> <strong>in</strong> Ihnen für Gefühle aus?<br />
Freue ich mich über die Verselbstständigung des K<strong>in</strong>des oder löst <strong>das</strong> <strong>in</strong> mir eigene Verlassenheitsängste<br />
aus? Wie reagiere ich <strong>in</strong>nerlich und <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Verhalten darauf ? Kann ich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Verselbstständigung<br />
bestätigen oder b<strong>in</strong> ich ihm nach se<strong>in</strong>er Erkundungstour gar „böse“?<br />
Nehmen Sie <strong>das</strong> „Fremdeln“ Ihres K<strong>in</strong>des ernst!<br />
Wenn Ihr K<strong>in</strong>d zu fremdeln beg<strong>in</strong>nt, nehmen Sie se<strong>in</strong>e Gefühle ernst. Hier lernt Ihr K<strong>in</strong>d zum ersten<br />
Mal sich selber zu schützen und e<strong>in</strong>en ihm angenehmen Abstand zu fremden Personen zu bewahren.<br />
Das ist e<strong>in</strong> guter Schutz für die Zukunft.<br />
Führen Sie Ihr K<strong>in</strong>d an die „fremde Umwelt“ heran!<br />
Zeigen Sie Ihrem K<strong>in</strong>d, wie es sich mit fremden, ihm unbekannten Personen langsam vertraut machen<br />
kann. Geben Sie ihm Schutz, solange es sich fürchtet, erklären Sie ihm, wer die unbekannte Person ist.<br />
Wenn Ihr Baby sich sicher genug fühlt, wird es auf se<strong>in</strong>e Art beg<strong>in</strong>nen, mit dem oder der „schönen<br />
Unbekannten“ zu flirten.<br />
11.4 Zum Schutz vor persönlicher Überforderung<br />
Fehler passieren <strong>–</strong> Sie müssen als B<strong>in</strong>dungsperson nur „h<strong>in</strong>reichend gut“ se<strong>in</strong>!<br />
Schützen Sie sich vor eigenen überhöhten Ansprüchen: Sie können Ihre Rolle als B<strong>in</strong>dungsperson<br />
niemals perfekt ausüben. Jeder Elternteil darf Fehler machen, weil es normal ist und zum Lernprozess<br />
dazugehört. Der englische K<strong>in</strong>derpsychoanalytiker Donald W<strong>in</strong>nicott prägte deswegen hierfür den<br />
Begriff der „h<strong>in</strong>reichend guten Mutter“, der auch für den Vater gilt. Kle<strong>in</strong>ere „Entgleisungen“ bzw.<br />
kommunikative Missverständnisse <strong>in</strong> alltäglichen Interaktionsabläufen s<strong>in</strong>d normal und können wieder<br />
„repariert“ werden, wenn Sie weiterh<strong>in</strong> auf die Signale Ihres K<strong>in</strong>des fe<strong>in</strong>fühlig achten.<br />
79
80<br />
Sogar Im Gegenteil: Es kommt nicht auf e<strong>in</strong>e dauerhaft perfekte Abstimmung zwischen Ihnen und Ihrem<br />
K<strong>in</strong>d an. E<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>fühlig „reparierter Dialog“ kann für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d manchmal sogar förderlicher se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> Fehler bei se<strong>in</strong>en Eltern erlebt und mitbekommt, wie diese anschließend wieder aus der Welt<br />
geschaffen werden, wird sich sicherer gebunden fühlen als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> lernt, <strong>das</strong>s man perfekt zu funk-<br />
tionieren hat und Fehler nicht passieren dürfen.<br />
Achten Sie auch auf Ihre eigenen Grenzen!<br />
Achten Sie auch auf die Grenzen Ihrer eigenen Möglichkeiten (ganz im S<strong>in</strong>ne von „Selbst-Achtsamkeit“).<br />
Wenn Sie so erschöpft s<strong>in</strong>d, <strong>das</strong>s Sie auf die Bedürfnisse Ihres K<strong>in</strong>des nicht mehr ausreichend e<strong>in</strong>gehen<br />
und reagieren können, ist niemandem geholfen. Suchen Sie sich soziale Unterstützungsmöglichkeiten<br />
(z. B. Partner/<strong>in</strong>, Großeltern, Freunde) für die Pflege regelmäßiger Auszeiten <strong>–</strong> sowohl für die Zeit alle<strong>in</strong>e<br />
als auch für die Zeit als Paar ohne K<strong>in</strong>d. Die beste Investition für e<strong>in</strong>e gute Elternschaft und sichere<br />
Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung ist e<strong>in</strong>e funktionierende Partnerschaft.
12B<strong>in</strong>dungstheoretisch<br />
fundierte<br />
Interventionsansätze im Bereich der Prävention<br />
Angesichts der positiven Folgen e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung für die kurz-, mittel- und langfristige<br />
Persönlichkeitsentwicklung des K<strong>in</strong>des und des Wissens um die „Anfälligkeit“ bzw. Störbarkeit der die<br />
B<strong>in</strong>dungssicherheit fördernden <strong>früh</strong>en Interaktionsprozesse zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d, sollten Eltern<br />
<strong>früh</strong> und präventiv für die E<strong>in</strong>flussprozesse für die k<strong>in</strong>dliche B<strong>in</strong>dungsentwicklung sensibilisiert werden.<br />
Gegenwärtige Interventionsansätze zur (präventiven) Beratung und Therapie von Eltern mit Säugl<strong>in</strong>gen<br />
und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d heute größtenteils b<strong>in</strong>dungstheoretisch begründet und beziehungsorientiert ausgerichtet<br />
(Ziegenha<strong>in</strong> 2004). Die Trennschärfe zwischen Prävention und Intervention für (werdende)<br />
Eltern ist im Bereich der <strong>früh</strong>en Hilfen nicht immer so e<strong>in</strong>deutig, wie es die begriffliche Unterscheidung<br />
mitunter glauben machen will, denn Säugl<strong>in</strong>gsberatung und Eltern-Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d-Psychotherapie s<strong>in</strong>d immer<br />
auch präventiv angelegt. Prävention und Intervention s<strong>in</strong>d im Bereich der <strong>früh</strong>en Hilfen mite<strong>in</strong>ander<br />
verschränkt (Suess et al. 2008).<br />
Die Wurzeln präventiver Ansätze liegen <strong>in</strong> den US-amerikanischen „Head Start Programmen“. Diese<br />
Programme verfolg(t)en <strong>das</strong> Ziel, armutsbed<strong>in</strong>gte mangelnde (Entwicklungs-)Chancen für K<strong>in</strong>der und<br />
ihre Familien auszugleichen. Auf Grundlage b<strong>in</strong>dungstheoretischer Konzepte und Erkenntnissen der<br />
Resilienzforschung fokussierte man hier <strong>in</strong>sbesondere auf die <strong>früh</strong>en Beziehungserfahrungen des K<strong>in</strong>des<br />
bzw. die Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionsprozesse, um die Persönlichkeitsentwicklung der K<strong>in</strong>der zu <strong>stärken</strong>. In<br />
bee<strong>in</strong>druckender Weise konnte dabei im Rahmen der sogenannten „M<strong>in</strong>nesota-Studie“ (M<strong>in</strong>nesota<br />
Parent-Child Project) nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s strukturelle Defizite (z. B. Armut) über prozessuale<br />
Dimensionen (z. B. fe<strong>in</strong>fühlige Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen, e<strong>in</strong>e stabile Partnerschaft der Eltern, e<strong>in</strong> gut<br />
funktionierendes soziales Netzwerk) im besten Falle kompensiert werden können. Die Ergebnisse lassen<br />
sogar den Schluss zu, <strong>das</strong>s die Beziehungs- und Interaktionsprozesse im familiären Umfeld mehr Rele-<br />
vanz für die Entwicklung des K<strong>in</strong>des haben als strukturelle Faktoren.<br />
Das im Jahr 1975 begonnene und bis heute fortgeführte M<strong>in</strong>nesota Parent-Child Project stellt die wohl<br />
aufwendigste prospektive Längsschnittstudie mit b<strong>in</strong>dungstheoretischem Schwerpunkt dar. E<strong>in</strong>e kon-<br />
sequente Umsetzung der Erkenntnisse dieses Projektes erfolgte 1987 <strong>in</strong> dem von Martha Erickson und<br />
Byron Egeland <strong>in</strong>itiierten Interventionsprogramm STEEP (Kißgen & Suess 2005a, b).<br />
Lesetipp:<br />
• Für Praktiker/<strong>in</strong>nen wie Wissenschaftler/<strong>in</strong>nen gleichermaßen lesenswerte Ausführungen zu theoretischem<br />
Rahmen, empirischen Daten und behandlungstechnischen Implikationen aus den Längsschnitt-Befunden<br />
des M<strong>in</strong>nesota Parent-Child Projects f<strong>in</strong>den sich bei: Sroufe, A.L., Egeland, B., Carlson, E.A. & Coll<strong>in</strong>s,<br />
A.W. (2005). The Development of the Person. New York/London: The Guilford Press.<br />
81
82<br />
Die ersten Lebensjahre e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des erweisen sich als besonders sensitiv gegenüber Umwelte<strong>in</strong>flüs-<br />
sen, und <strong>in</strong>folge der alltäglichen Eltern-K<strong>in</strong>d-Transaktionen kommt es beim K<strong>in</strong>d zur allmählichen<br />
Ausbildung <strong>in</strong>nerer Strukturen, welche mit zunehmendem Alter des K<strong>in</strong>des aber änderungsresistenter<br />
werden. Das bedeutet, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit fortschreitender Entwicklung immer mehr die aktive Rolle <strong>in</strong><br />
der Gestaltung se<strong>in</strong>er Entwicklung übernimmt und <strong>–</strong> auf Basis se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren B<strong>in</strong>dungsmodelle <strong>–</strong> se<strong>in</strong>e<br />
gegenwärtige (soziale) Umwelt mitkonstruiert und e<strong>in</strong>e hoch<strong>in</strong>dividuelle Anpassungsleistung vornimmt.<br />
Die Anpassungsleistung muss deswegen nicht immer zwangsläufig mit der Güte des aktuellen Bezie-<br />
hungsangebotes korrespondieren. Anpassung ist e<strong>in</strong> Produkt von Geschichte und gegenwärtigen Um-<br />
ständen. „Innere Arbeitsmodelle tragen zur Vorhersage künftiger Anpassung bei, <strong>in</strong>dem sie die aktive<br />
Rolle e<strong>in</strong>er Person im Prozess der Konstruktion von Entwicklung darstellen“ (Suess & Sroufe 2008).<br />
Individuelle Erfahrung, Repräsentation und fortlaufende Anpassung bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em permanenten<br />
Wechselspiel <strong>–</strong> e<strong>in</strong> Prozess, <strong>in</strong> dem sich Person und Umwelt gegenseitig transformieren: So können <strong>früh</strong>ere<br />
Anpassungsmuster durch grundlegende Änderungen der Umwelt transformiert werden, und gleichzeitig<br />
haben Umgebungseigenschaften e<strong>in</strong>e unterschiedliche Bedeutung für unterschiedliche Personen.<br />
(Sroufe et al. 2005, zit. n. Suess & Sroufe 2008)<br />
„Früh<strong>in</strong>terventionen“ müssen nicht automatisch leichter, schneller und billiger se<strong>in</strong>. Zwar erleichtert<br />
die Umweltsensitivität des Säugl<strong>in</strong>gs auf der e<strong>in</strong>en Seite den möglichen Interventionserfolg, dennoch<br />
wirken neben den bereits angesprochenen „homeorhetischen“ Kräften des K<strong>in</strong>des mit zunehmendem<br />
Alter systemerhaltende Kräfte aufseiten der Eltern bzw. B<strong>in</strong>dungspersonen selbst häufig gegen e<strong>in</strong>e<br />
Veränderung des Status quo. Aus diesem Grund ersche<strong>in</strong>t es s<strong>in</strong>nvoll, neben der ummittelbaren Eltern-<br />
K<strong>in</strong>d-Interaktion ebenso die elterlichen B<strong>in</strong>dungsmodelle sowie die gesamte Familiendynamik (<strong>in</strong>kl. der<br />
Partnerschaftsqualität als sehr bedeutsamem E<strong>in</strong>flussfaktor) im E<strong>in</strong>zelfall immer mit zu berücksichtigen<br />
(Suess & Hantel-Quitmann 2004).<br />
Die Resultate der M<strong>in</strong>nesota-Studie unterstreichen die Bedeutung komplexer Interventionen, welche<br />
zum e<strong>in</strong>en gleichzeitig und prozessorientiert vergangene und gegenwärtige <strong>in</strong>dividuelle Erfahrungen<br />
und Beziehungsthemen <strong>in</strong>klusive der entsprechenden kognitiv-emotionalen Zuschreibungen, Bewer-<br />
tungen, Erwartungen etc. aufgreifen, zum anderen die Partnerschaftsqualität sowie <strong>das</strong> weitere Feld der<br />
sozialen Unterstützung mit e<strong>in</strong>beziehen.
Handlungsempfehlungen für e<strong>in</strong>e b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Früh<strong>in</strong>tervention<br />
• Beg<strong>in</strong>nen Sie mit der Intervention <strong>früh</strong> und unterstützen Sie die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung von Anfang an.<br />
• Dies erfordert e<strong>in</strong> komplexes Vorgehen, welches vergangene und gegenwärtige Erfahrungen/Beziehungsthemen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transaktionalen Weise adressiert.<br />
• Berücksichtigen Sie dabei immer auch den weiteren familiär-sozialen Kontext (Partnerschaftsqualität,<br />
B<strong>in</strong>dungsgeschichte der Eltern, soziale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung) und strukturelle Faktoren (Beratungs- und Betreuungse<strong>in</strong>richtungen<br />
etc.).<br />
• Richten Sie die Intervention auf e<strong>in</strong>e Veränderung der Konstruktion von Entwicklung des K<strong>in</strong>des selbst aus.<br />
(nach: Suess & Sroufe 2008)<br />
Insbesondere im Bereich der (<strong>früh</strong>en) Beratung und Therapie von Eltern mit Säugl<strong>in</strong>gen/Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern<br />
s<strong>in</strong>d sehr erfolgreiche Beispiele für die Umsetzung b<strong>in</strong>dungstheoretischer Annahmen und Befunde <strong>in</strong><br />
die kl<strong>in</strong>ische Praxis vorzuf<strong>in</strong>den. B<strong>in</strong>dungstheoretisches Gedankengut hat darüber h<strong>in</strong>aus auch <strong>in</strong><br />
Behandlungskonzepte der Familientherapie sowie der Familien- und Erziehungsberatung E<strong>in</strong>gang<br />
gefunden (Marv<strong>in</strong> 2001; Scheuerer-Englisch 2001), wenngleich noch nicht <strong>in</strong> dem pr<strong>in</strong>zipiell möglichen<br />
und erwünschten Ausmaß. Dies hat zum Teil historische Gründe: So konzentrierte sich die kl<strong>in</strong>ische<br />
B<strong>in</strong>dungsforschung <strong>in</strong> ihren Anfängen lange Zeit nur auf mehr oder weniger abgeschlossene „dyadische<br />
Systeme“ (wie die Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung) und vernachlässigte (ungewollt) triadische Beziehungs-<br />
konstellationen sowie weitergehende, systemische E<strong>in</strong>flussfaktoren. Dies stand allerd<strong>in</strong>gs dem ursprüng-<br />
lichen, genu<strong>in</strong> systemtheoretischen Ansatz von John Bowlby´s B<strong>in</strong>dungstheorie diametral entgegen.<br />
Seit Ende der 1980er-Jahre und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den letzten Jahren s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>ternational verstärkte Bemü-<br />
hungen zu erkennen, b<strong>in</strong>dungstheoretische Konzepte <strong>in</strong> praxisrelevante und evaluierbare Präventions-,<br />
Beratungs- und Therapieprogramme zu <strong>in</strong>tegrieren (Berl<strong>in</strong> et al. 2008). Der B<strong>in</strong>dungsforscher und Therapeut<br />
Karl-He<strong>in</strong>z Brisch plädiert sogar dafür, b<strong>in</strong>dungstheoretisches Grundlagenwissen für Eltern sowie alle<br />
Professionen, die mit Eltern und K<strong>in</strong>dern zusammenarbeiten, <strong>in</strong> breiter Front zugänglich zu machen.<br />
Nicht verbunden mit der Absicht, e<strong>in</strong>e völlig neue „B<strong>in</strong>dungstherapie“ <strong>in</strong>s Leben zu rufen, sondern als<br />
Ergänzung vorhandenen Fach- und Behandlungswissens und zur Sensibilisierung von Fachkräften für die<br />
B<strong>in</strong>dungsmotivation des K<strong>in</strong>des (Brisch 2000). Die B<strong>in</strong>dungstheorie ist dabei als e<strong>in</strong>e offene Theorie zu<br />
verstehen, die die kl<strong>in</strong>ische Praxis <strong>in</strong>formiert und <strong>in</strong>tegrativ wirken kann (Suess & Hantel-Quitmann 2004)<br />
So können pr<strong>in</strong>zipiell bestimmte kl<strong>in</strong>ische Störungsbilder von K<strong>in</strong>dern eben auch auf misslungene<br />
B<strong>in</strong>dungsentwicklungen zurückgeführt werden. Die B<strong>in</strong>dungsentwicklung beschränkt sich dabei nicht<br />
nur auf <strong>das</strong> erste Lebensjahr des K<strong>in</strong>des, sondern B<strong>in</strong>dung und Exploration und die damit verbundene<br />
Trennung und Loslösung als Spannungspole e<strong>in</strong>er Entwicklungsdynamik ziehen sich wie e<strong>in</strong> roter Faden<br />
durch <strong>das</strong> gesamte Leben (Brisch 2000).<br />
83
84<br />
12.1 Interventionsebenen b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Maßnahmen<br />
B<strong>in</strong>dungstheoretisch begründete Interventionsmaßnahmen setzen auf der Verhaltensebene und/oder<br />
auf der Ebene mentaler B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen bzw. an den Netzwerken sozialer Unterstützung an.<br />
Interventionsziele s<strong>in</strong>d also zum e<strong>in</strong>en <strong>das</strong> fe<strong>in</strong>fühlige elterliche Verhalten, die konkrete Verhaltensebene,<br />
zum anderen die Ebene der Reflexion und E<strong>in</strong>sicht der Eltern, um ihr mentales B<strong>in</strong>dungsmodell durch<br />
b<strong>in</strong>dungsorientierte Gespräche zu bee<strong>in</strong>flussen, sowie darüber h<strong>in</strong>aus <strong>das</strong> (soziale) Unterstützungssystem<br />
im H<strong>in</strong>tergrund. Wenngleich es sehr wohl Unterschiede bezüglich der Interventionsebenen gibt <strong>–</strong> so setzen<br />
psychoanalytisch fundierte Maßnahmen traditionell den Schwerpunkt auf die Repräsentationsebene,<br />
während verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Programme vorwiegend auf der Verhaltensebene und/<br />
oder im Sozialraum der Eltern ansetzen <strong>–</strong>, plädieren Egeland und Mitarbeiter sowie Stern dafür, auf<br />
allen drei Ebenen gleichzeitig zu <strong>in</strong>tervenieren, um beharrenden Kräften besser entgegenwirken zu<br />
können. Dabei können Veränderungen auf e<strong>in</strong>er Ebene Veränderungen auf e<strong>in</strong>er anderen bewirken<br />
(Egeland et al. 2000; Stern 1998, zit. n. Suess & Hantel-Quitmann 2004).<br />
Interventionsebenen b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Frühpräventionsprogramme<br />
• Verhaltensebene (Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion)<br />
• Ebene der mentalen B<strong>in</strong>dungsrepräsentation („Inner work<strong>in</strong>g model“)<br />
• Netzwerk sozialer Unterstützung (Freundeskreis, K<strong>in</strong>derbetreuung etc.)<br />
Als Leitl<strong>in</strong>ien für die Umsetzung präventiver Intervention werden von Ziegenha<strong>in</strong> (2004) e<strong>in</strong> ressourcen-<br />
orientiertes und theoriegeleitetes Vorgehen sowie e<strong>in</strong>e durchzuführende Evaluation angeführt. In<br />
zusammenfassenden Analysen vorliegender Frühförderprogramme (vorwiegend aus den USA) h<strong>in</strong>g<br />
<strong>–</strong> neben spezifischen Interventionszielen <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e klare theoretische Konzeption am ehesten mit positiven<br />
und länger nachweisbaren Erfolgen zusammen (Ziegenha<strong>in</strong> 2004).<br />
Van den Boom konnte bereits <strong>in</strong> den 1990er-Jahren nachweisen, <strong>das</strong>s fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten von Müttern<br />
mit hoch irritierbaren Säugl<strong>in</strong>gen sogar im Rahmen e<strong>in</strong>er Kurzzeit<strong>in</strong>tervention <strong>in</strong> deren häuslichen<br />
Umgebung erfolgreich auf der Verhaltensebene bee<strong>in</strong>flusst werden kann und langfristig stabil ist (van<br />
den Boom 1994, 1995).
Meta-Analysen zu b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierten Interventionsprogrammen<br />
Aus e<strong>in</strong>er jüngeren Metaanalyse, <strong>in</strong> der 70 b<strong>in</strong>dungsorientierte Interventionsprogramme für die <strong>früh</strong>e K<strong>in</strong>dheit<br />
ausgewertet wurden, ließ sich ableiten, welche spezifischen Typen von Interventionen elterliche Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />
(und damit <strong>in</strong>direkt die B<strong>in</strong>dungssicherheit beim K<strong>in</strong>d) am besten fördern. Danach waren die weniger<br />
breit und spezifisch auf die Verbesserung mütterlichen Verhaltens ausgerichteten Interventionsprogramme<br />
am wirksamsten. Interessanterweise zeigten sich die verhaltensorientierten Programme den repräsentationsorientierten<br />
Programmen überlegen. Komplexe Interventionsprogramme, wie sie beispielsweise von<br />
Stern und Egeland gefordert werden, zeigten <strong>in</strong> dieser Meta-Analyse ke<strong>in</strong>en Vorteil gegenüber ausschließlich<br />
auf der Verhaltensebene operierenden Programmen <strong>–</strong> unabhängig vom Schweregrad der Risiken und<br />
Probleme. Dieser Studie zufolge s<strong>in</strong>d auch die zeitlich begrenzten Interventionen effektiver als die Langzeit<strong>in</strong>terventionen<br />
(Bakermans-Kranenburg et al. 2003).<br />
Diese Evaluationsbefunde dürfen jedoch nicht dah<strong>in</strong>gehend <strong>in</strong>terpretiert werden, <strong>das</strong>s längerfristige und<br />
umfassendere Therapieaßnahmen <strong>in</strong> jedem Fall durch zeitlich begrenzte und/oder ausschließlich verhaltensorientierte<br />
Maßnahmen zu ersetzen s<strong>in</strong>d: Gerade bei hochgradig belasteten Müttern und Familien können<br />
strukturelle Maßnahmen (z. B. K<strong>in</strong>derbetreuung oder f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung) bzw. gezielte Angebote (z. B.<br />
Konfliktberatung) überhaupt erst Voraussetzung dafür se<strong>in</strong>, sich e<strong>in</strong>em beziehungs- und verhaltensorientierten<br />
Therapieangebot zu öffnen, welches auch längere Zeit <strong>in</strong> Anspruch nehmen kann und die psychotherapeutische<br />
Arbeit an den persönlichen B<strong>in</strong>dungserfahrungen von Mutter (und Vater) mit umfasst<br />
(Ziegenha<strong>in</strong> 2004).<br />
Die kl<strong>in</strong>ische Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s gerade <strong>in</strong> der Arbeit mit „Multi-Problem-Familien“ zwar nicht immer e<strong>in</strong>e<br />
Zunahme an B<strong>in</strong>dungssicherheit erreicht werden kann, wohl aber e<strong>in</strong>e Veränderung von B<strong>in</strong>dungsdesorganisation<br />
h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er organisierten B<strong>in</strong>dungsqualität bzw. B<strong>in</strong>dungsrepräsentation, die auch unsicher<br />
se<strong>in</strong> kann (Marv<strong>in</strong> et al. 2003, zit. n. Suess & Hantel-Quitmann 2004).<br />
Ob kürzere Interventionsprogramme mit ausschließlichem Fokus auf die Verhaltensebene <strong>das</strong> angestrebte<br />
Interventionsziel (Verbesserung der B<strong>in</strong>dungssicherheit) genauso gut oder sogar besser erreichen können,<br />
müssen zukünftige Meta-Analysen zeigen, die auch die B<strong>in</strong>dungsdesorganisation mit e<strong>in</strong>beziehen (Suess<br />
& Hantel-Quitmann 2004).<br />
12.2 Methoden b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Frühförderprogramme<br />
Die videogestützte Verhaltensanalyse erfolgreicher und dysfunktionaler Interaktionen zwischen B<strong>in</strong>dungsperson<br />
und K<strong>in</strong>d hat sich als e<strong>in</strong>e wirkungsvolle Methode erwiesen, die elterliche Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />
im konkreten Umgang mit dem K<strong>in</strong>d auf der Verhaltensebene zu fördern. Die Inhalte solcher Videoaufnahmen<br />
s<strong>in</strong>d alltägliche Ausschnitte oder Themen geme<strong>in</strong>samer Interaktionen, wie sie etwa beim<br />
85
86<br />
Wickeln oder Spiel, beim Füttern, bei Konflikten und beim Grenzen-Setzen oder bei kurzen<br />
Trennungen stattf<strong>in</strong>den. Unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für solche Videoanalysen ist e<strong>in</strong>e bereits<br />
etablierte vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient/<strong>in</strong> und Berater/<strong>in</strong> sowie die vorherige E<strong>in</strong>holung<br />
des E<strong>in</strong>verständnisses.<br />
Der Videoe<strong>in</strong>satz hilft zunächst, den Fokus der Intervention auf der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion zu halten<br />
(„See<strong>in</strong>g is believ<strong>in</strong>g“), dabei wesentliche Momente im Interaktionsablauf für sich zu entdecken (z. B.<br />
e<strong>in</strong>deutige B<strong>in</strong>dungssignale oder Kompetenzen des K<strong>in</strong>des) und so <strong>in</strong>direkt zu e<strong>in</strong>em Perspektiven-<br />
wechsel anzuregen. Diese Videosequenzen anzusehen eröffnet Eltern die Chance zu beobachten, ohne<br />
handeln zu müssen. Dieses Vorgehen ermöglicht Analyse, Reflexion und die Entwicklung von Ideen,<br />
wie man reagieren kann (Crittenden 2005). Der Berater stellt offene Fragen, die zur Selbstentdeckung<br />
anregen und zu e<strong>in</strong>em tieferen Verständnis der Beziehung zum K<strong>in</strong>d führen. Er konzentriert sich auf<br />
die Signale des Babys und regt die Eltern dadurch an, nicht nur genauer h<strong>in</strong>zusehen und aufmerksamer<br />
gegenüber den k<strong>in</strong>dlichen Signalen zu werden, sondern auch ihren Umgang mit dem K<strong>in</strong>d kritisch zu<br />
reflektieren (Suess et al. 2008).<br />
Ingesamt sollte <strong>das</strong> Vorgehen stets ressourcenorientiert se<strong>in</strong>, d. h. der Therapeut betont zunächst Stärken<br />
und Positives, was die Eltern erst dazu befähigt und öffnet, auch auf „Negatives“ bzw. dysfunktionale<br />
Interaktionsabläufe zu achten und diese anzusprechen. Die Beobachtung anderer Mütter/Väter mit<br />
ihrem Säugl<strong>in</strong>g kann die Handlungsmöglichkeiten der Eltern erweitern und gibt ihnen die Möglichkeit,<br />
Beobachtungskompetenzen an Beispielen zu entwickeln, die sie nicht selbst betreffen.<br />
Das Video<strong>in</strong>teraktionstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g erweist sich auch deswegen als hoch effektive Interventionsstrategie, weil<br />
<strong>das</strong> Betrachten von Videosequenzen von sich selbst und dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> direkter Weise eigene <strong>früh</strong>e Inter-<br />
aktionserfahrungen und damit verbundene Gefühle körpernah anspricht und damit verändern kann.<br />
Die Anwendung dieser Technik erfordert allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> profundes Beobachtertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, um mögliche<br />
Fehlerquellen <strong>–</strong> z. B. fehlende Bebachtungs- und Interpretationsfähigkeiten, die mangelnde Strukturierung<br />
des Video-Geschehens durch offene Fragen und <strong>das</strong> Aussuchen geeigneter Sequenzen, <strong>das</strong> vorschnelle<br />
Verlassen der Beobachtungsebene h<strong>in</strong> zur Interpretation des Gesehenen <strong>–</strong> zu .vermeiden (a. a. O.).<br />
E<strong>in</strong> weiterer Fokus b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Interventionen liegt <strong>in</strong>sbesondere darauf, Müttern<br />
und Vätern zu verdeutlichen, <strong>das</strong>s k<strong>in</strong>dliches B<strong>in</strong>dungsverhalten bei allen Eltern Gefühle auslöst. Diese<br />
können positiv, aber auch schmerzhaft se<strong>in</strong>. Damit s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>neren B<strong>in</strong>dungsmodelle der Eltern ange-<br />
sprochen: Müssen Eltern negative emotionale Zustände abwehren, entstehen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d „Kreise be-<br />
grenzter Sicherheit“. Eltern können <strong>in</strong> Präventionsprogrammen lernen, anders als mit ihrem gewohnten<br />
Muster (z. B. Abwehr) auf die vom K<strong>in</strong>d signalisierten Bedürfnisse zu reagieren und dabei zunehmend
fe<strong>in</strong>fühliger werden, <strong>in</strong>dem sie Fehl<strong>in</strong>terpretationen k<strong>in</strong>dlicher Signale aufgeben. Auf der Ebene der<br />
mentalen B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen wird somit versucht, den Eltern durch Bewusstmachung der eigenen<br />
B<strong>in</strong>dungsmuster e<strong>in</strong>e vollständige, ungefilterte und unverzerrte Wahrnehmung der Perspektive des K<strong>in</strong>-<br />
des zu ermöglichen und damit <strong>in</strong>direkt die Beziehungsqualität zu verbessern („look<strong>in</strong>g back, mov<strong>in</strong>g<br />
forward“). Der Fokus der Intervention liegt immer auf der erwachsenen Bezugsperson <strong>–</strong> nicht, weil diese<br />
die Hauptverantwortung für <strong>das</strong> Gel<strong>in</strong>gen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion alle<strong>in</strong>e trägt, sondern weil sie im<br />
Zweifelsfall immer mehr Möglichkeiten und Freiheitsgrade e<strong>in</strong>er Veränderung hat als <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d selbst.<br />
Weiters kann auch der E<strong>in</strong>satz des Adult-Attachment-Interviews neben anamnestischen Zwecken e<strong>in</strong>e<br />
wirksame Methode im Beratungs- und Therapieverlauf darstellen. Durch <strong>das</strong> Ansprechen der mit den<br />
AAI-Fragen assoziierten K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen bietet sich e<strong>in</strong>e gute Gelegenheit, dem E<strong>in</strong>fluss von<br />
vergangenen auf gegenwärtige Beziehungen nachzuspüren und allgeme<strong>in</strong> die Reflexionsfähigkeit der<br />
Eltern über mögliche E<strong>in</strong>flüsse auf ihren Umgang mit den eigenen K<strong>in</strong>dern zu entwickeln (Suess &<br />
Hantel-Quitmann 2004).<br />
Die vorrangigste Aufgabe bei der Anwendung der B<strong>in</strong>dungstheorie <strong>in</strong> Therapie und Beratung besteht<br />
dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e „sichere Basis“ herzustellen, von der aus Eltern ihre <strong>in</strong>neren Arbeitsmodelle von sich selbst<br />
und der Beziehung zu anderen bedeutsamen B<strong>in</strong>dungspartnern erkunden können. Der Therapeut<br />
übernimmt dabei die Rolle der „sicheren Basis“, <strong>in</strong>dem er Vertrauen, Unterstützung und Sympathie für<br />
den Klient signalisiert, damit dieser sich sicher fühlen kann, se<strong>in</strong>e persönlichen, eventuell auch schmerz-<br />
haften oder beschämenden B<strong>in</strong>dungserfahrungen zu analysieren und zu bearbeiten. Der Therapeut<br />
ermöglicht im Rahmen se<strong>in</strong>er Funktion als „sichere Basis“ dem Klient aber auch korrigierende, dem<br />
bisherigen B<strong>in</strong>dungsmodell zuwider laufende positive B<strong>in</strong>dungserfahrungen. Crittenden (2005) betont<br />
die Wichtigkeit, <strong>das</strong>s Fachkräfte mit Eltern so <strong>in</strong>teragieren, wie Mütter und Väter mit ihren eigenen<br />
K<strong>in</strong>dern umgehen sollten.<br />
Aufseiten des Therapeuten setzt dies e<strong>in</strong>e genaue Kenntnis der eigenen (B<strong>in</strong>dungs-)Biografie sowie der<br />
Möglichkeiten und Grenzen im Beratungsprozess voraus (Suess & Hantel-Quitmann 2004). Dabei ist<br />
es beispielsweise im Rahmen des STEEP-Programmes auch nicht kontra<strong>in</strong>diziert, den Eltern mit<br />
eigenen Schwächen zu begegnen und gleichzeitig soziales Modell für den konstruktiven Umgang mit<br />
Problemen darzustellen.<br />
87
88<br />
Methoden b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Präventionsprogramme<br />
• E<strong>in</strong>satz von Videoaufnahmen ausgewählter Interaktionen zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d<br />
• „See<strong>in</strong>g is believ<strong>in</strong>g“ <strong>–</strong> unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung ist Vertrauen zwischen Berater und Klient sowie die<br />
vorherige Zustimmung seitens des Klienten<br />
• E<strong>in</strong>satz des Adult-Attachment-Interviews (AAI): zur Anamnese und als Methode<br />
• Der Therapeut als „sichere Basis“ im Beratungsprozess<br />
Nicht bewährt haben sich nach Crittenden (2005) Methoden wie e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e positive Verstärkung<br />
oder <strong>das</strong> Verteilen von schriftlichen Materialien und Leitfäden. E<strong>in</strong>ige Methoden haben sich sogar als<br />
kontraproduktiv erwiesen: z. B. <strong>das</strong> Nachahmen von Verhalten („modell<strong>in</strong>g“) oder die Demonstration<br />
von Verhalten. Ke<strong>in</strong> Programm, ke<strong>in</strong> schriftlicher Plan oder Handbuch kann Mütter und Väter lehren,<br />
fe<strong>in</strong>fühlig auf die von Augenblick zu Augenblick e<strong>in</strong>tretenden Veränderungen bei ihrem Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>-<br />
zugehen. „Zwischen Materialien oder Leitl<strong>in</strong>ien und der aktuell stattf<strong>in</strong>denden <strong>in</strong>terpersonalen Anpassung<br />
besteht sozusagen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>härenter Konflikt“ (Crittenden 2005, S. 103). Stattdessen brauchen Mütter wie<br />
Väter e<strong>in</strong> Repertoire an zwischenmenschlichen Fähigkeiten, Beobachtungskompetenzen, die Bereit-<br />
schaft über Probleme nachzudenken und Vertrauen, neue Ideen auszuprobieren <strong>–</strong> wieder verbunden<br />
mit der Beobachtungsfähigkeit, um zu sehen, wie <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d darauf reagiert.<br />
Entscheidend ist hierbei vor allem, <strong>das</strong>s Eltern an den Interaktionen mit ihren K<strong>in</strong>dern Spaß haben.<br />
Die Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s Eltern immer dann etwas aufrechterhalten, wenn sie es selbst für sich und ihre<br />
K<strong>in</strong>der herausgefunden haben und den Umgang mit ihren K<strong>in</strong>dern genießen können. Letzteres spricht<br />
deswegen auch gegen gut geme<strong>in</strong>te „Ratschläge“. „Während Fe<strong>in</strong>fühligkeit im Umgang mit dem K<strong>in</strong>d<br />
dem Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung dient, sorgt die Freude am K<strong>in</strong>d für die Aufrechterhaltung<br />
e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>fühlsamen Umganges gerade <strong>in</strong> Zeiten voller Stress“ (Suess et al. 2008).<br />
12.3 Ausgewählte Programme<br />
Im Folgenden werden die im deutschsprachigen Raum etablierten, b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierten<br />
Präventionsprogramme im E<strong>in</strong>zelnen vorgestellt, wobei die jeweilige(n) Zielgruppe(n), Inhalte und Ablauf<br />
sowie die verwendeten Methoden und <strong>–</strong> wenn vorhanden <strong>–</strong> Evaluationsergebnisse angeführt werden.<br />
12.3.1 SAFE® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern<br />
Das Projekt „SAFE® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern“ <strong>in</strong> München ist e<strong>in</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm zur<br />
Förderung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d. B<strong>in</strong>dungsstörungen und <strong>in</strong>sbesondere die<br />
Weitergabe von traumatischen Erfahrungen über Generationen sollen durch <strong>das</strong> primäre Präventionsprogramm<br />
verh<strong>in</strong>dert werden.
SAFE ® richtet sich an alle werdenden Eltern ab circa der 20. Schwangerschaftswoche und wird bis zum<br />
Ende des ersten Lebensjahres <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geschlossenen Gruppe durchgeführt. Eltern mit besonderen<br />
Belastungen können darüber h<strong>in</strong>aus auch weitere Hilfen im zweiten und dritten Lebensjahr ihres K<strong>in</strong>des<br />
erhalten. Das SAFE ® -Programm steht allen Eltern offen. Es wird gezielt nicht nur für sogenannte<br />
„Risikoeltern“ mit bekannten psychosozialen Risiken angeboten, da aus der kl<strong>in</strong>ischen Erfahrung<br />
bekannt ist, <strong>das</strong>s traumatisierte Eltern <strong>in</strong> allen sozialen Schichten vorkommen. Gerade Eltern aus der<br />
Mittel- und Oberschicht fällt es besonders schwer, über traumatische Erfahrungen zu sprechen und sich<br />
jemandem anzuvertrauen.<br />
Die Eltern werden über die Auslage von Flyern <strong>in</strong> Apotheken, Arztpraxen, Familienbildungsstätten,<br />
Schwangerschaftsberatungsstellen sowie durch Presseberichte über <strong>das</strong> Präventionsprogramm <strong>in</strong>for-<br />
miert. Es gibt unterschiedliche F<strong>in</strong>anzierungsmodelle, die jeweils davon abhängen, wo die SAFE®-<br />
Gruppen stattf<strong>in</strong>den und wer der Organisator ist. In der Regel werden die Gruppen von e<strong>in</strong>em Leiter<br />
mit Co-Leitung über den gesamten Zeitraum von der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebens-<br />
jahres des K<strong>in</strong>des geme<strong>in</strong>sam geführt.<br />
Das SAFE ® -Programm be<strong>in</strong>haltet vier Module: e<strong>in</strong> pränatales und e<strong>in</strong> postnatales Sem<strong>in</strong>ar-Modul, e<strong>in</strong>e<br />
Hotl<strong>in</strong>e sowie e<strong>in</strong>e (optionale) <strong>in</strong>dividuelle Traumatherapie. Im pränatalen sowie postnatalen Modul<br />
(10 Sem<strong>in</strong>artage) treffen sich die Eltern <strong>in</strong> Elterngruppen. Die Gruppe mit den Eltern, die gleichzeitig<br />
<strong>in</strong> ähnlichen Schwangerschaftsphasen s<strong>in</strong>d, stellt dabei e<strong>in</strong>en wesentlichen Rahmen für <strong>das</strong> gesamte<br />
Programm dar. Über die Kursdauer von der 20. Schwangerschaftswoche bis zum Ende des ersten Le-<br />
bensjahres des K<strong>in</strong>des entsteht e<strong>in</strong>e große Gruppenkohäsion. Die <strong>in</strong>dividuelle Traumapsychotherapie<br />
sowie die Benutzung e<strong>in</strong>er Hotl<strong>in</strong>e werden von den Eltern <strong>in</strong>dividuell <strong>in</strong> Anspruch genommen. Somit<br />
komb<strong>in</strong>iert SAFE ® gruppentherapeutische Effekte wie auch <strong>in</strong>dividualtherapeutische Möglichkeiten <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Präventionsprogramm.<br />
Im pränatalen Modul treffen sich die Elterngruppen an vier Sonntagen während der Schwangerschaft,<br />
beg<strong>in</strong>nend ab circa der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) und dann folgend <strong>in</strong> der 24., 28. und der<br />
32. SSW. Die Inhalte des pränatalen Moduls umfassen <strong>in</strong>tensive Informationen und Austausch <strong>in</strong> der<br />
Gruppe, zum Beispiel über Kompetenzen des Säugl<strong>in</strong>gs und der Eltern, Erwartungen der Eltern, Fan-<br />
tasien und Ängste der Eltern, die pränatale B<strong>in</strong>dungsentwicklung und Eltern-Säugl<strong>in</strong>gs-Interaktionen.<br />
Diese werden mit Videobeispielen zum Füttern, Stillen, Wickeln sowie zum Spiel und Zwiegespräch<br />
zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d veranschaulicht. Die Eltern werden daran gezielt geschult, die Signale e<strong>in</strong>es<br />
Babys genau wahrzunehmen und richtig zu <strong>in</strong>terpretieren. Weiterh<strong>in</strong> erlernen die Eltern bereits von<br />
Kursbeg<strong>in</strong>n Stabilisierungs- und Entspannungsverfahren, um mit stressvollen Situationen während der<br />
Schwangerschaft und nach der Geburt besser umgehen zu können.<br />
89
90<br />
Nach der Geburt werden die Elterngruppen an sechs ganztägigen Sonntagssem<strong>in</strong>aren fortgeführt. Der<br />
sich bereits vorgeburtlich entwickelte Zusammenhalt der „Eltern-Peer-Gruppe“ erweist sich auch <strong>in</strong><br />
dieser Übergangsphase nach der Geburt als sehr hilfreich und unterstützend. Als Inhalte stehen nach<br />
der Geburt die elterlichen Kompetenzen, die Triangulierung zwischen Mutter, Vater und K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>ter-<br />
aktionelle Schwierigkeiten mit Füttern, Stillen, Schlafen sowie der Aufbau der emotionalen Beziehung<br />
im Mittelpunkt. Die Eltern br<strong>in</strong>gen die Babys zu den Term<strong>in</strong>en mit, so<strong>das</strong>s <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhalten der<br />
Eltern und des K<strong>in</strong>des sowie <strong>das</strong> Explorationsverhalten des Babys direkt beobachtet und daraus gelernt<br />
werden kann.<br />
Fe<strong>in</strong>fühligkeitstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und Video-Feedback<br />
Während dieser Zeit nach der Geburt werden von den Eltern und ihrem Baby <strong>in</strong>dividuelle Videoaufnahmen<br />
angefertigt <strong>–</strong> mit Interaktionen beim Wickeln, Füttern, Stillen und Spielen. Diese Videoszenen<br />
werden sowohl mit der Mutter als auch mit dem Vater <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuellen Feedbacktra<strong>in</strong><strong>in</strong>g besprochen.<br />
Sie können aber auch, mit E<strong>in</strong>verständnis der Eltern, <strong>in</strong> der Gruppe als Feedbacktra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle Teilnehmer<br />
verwendet werden. Ziel ist es, <strong>das</strong>s die Eltern nun mit den realen aktuellen Erfahrungen mit<br />
ihrem Baby lernen, dessen <strong>in</strong>dividuelle Signale besser zu erkennen, richtig zu <strong>in</strong>terpretieren und angemessen<br />
und prompt hierauf zu reagieren. Irritationen und emotionale Schwierigkeiten der Eltern sowie<br />
Fehl<strong>in</strong>terpretationen und Projektionen aus der eigenen K<strong>in</strong>dheitsgeschichte können bereits <strong>in</strong> diesem<br />
Stadium <strong>früh</strong>zeitig erkannt und besprochen sowie korrigiert werden.<br />
Hotl<strong>in</strong>e<br />
Das Vertrauensverhältnis, <strong>das</strong> die Eltern im Sem<strong>in</strong>ar zu den SAFE ® -MentorInnen aufgebaut haben,<br />
wird dazu genutzt, den Eltern e<strong>in</strong> zusätzliches Beratungsangebot <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Hotl<strong>in</strong>e anzubieten. Die<br />
Hotl<strong>in</strong>e bietet den Eltern die Möglichkeit, die SAFE ® -Gruppenleiter/<strong>in</strong>nen anzurufen und sich unmittelbar<br />
Rat und Unterstützung zu holen. Aufgrund der <strong>in</strong>dividuellen Videoaufnahmen, die mit den<br />
Eltern selbst und ihrem Baby etwa beim Wickeln und Füttern erstellt wurden, s<strong>in</strong>d den Beratern die<br />
elterlichen Kompetenzen und Ressourcen sehr gut bekannt, so<strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e rasche gezielte Interventions- und<br />
Beratungsmöglichkeit bei e<strong>in</strong>em Anruf über die Hotl<strong>in</strong>e ermöglicht werden kann.<br />
Individuelle Traumapsychotherapie (optional bei Bedarf)<br />
Mit allen Eltern wird pränatal e<strong>in</strong> Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs-Interview (Adult Attachment Interview)<br />
durchgeführt. Der spezifische Zweck dieses Interviews ist es, jeweils bei der werdenden Mutter und dem<br />
werdenden Vater festzustellen, welche B<strong>in</strong>dungsressourcen und welche traumatischen Erfahrungen mit<br />
<strong>in</strong> die Beziehung zu ihren K<strong>in</strong>dern h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebracht werden. Besonders ungelöste traumatische Erfahrungen<br />
s<strong>in</strong>d von großer Bedeutung, weil die kl<strong>in</strong>ische Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der ganz ungewollt durch<br />
ihre Verhaltensweisen traumatische Erfahrungen und die dazugehörigen Affekte bei ihren Eltern wieder
wachrufen können. Falls bei den Eltern H<strong>in</strong>weise auf ungelöste traumatische Erfahrungen festgestellt<br />
werden, wird ihnen als viertes Modul von SAFE® e<strong>in</strong>e fokale Traumatherapie angeboten, die e<strong>in</strong>e prä-<br />
natale Stabilisierungsphase und e<strong>in</strong>e postnatale Bearbeitungsphase be<strong>in</strong>haltet. SAFE® möchte damit<br />
präventiv e<strong>in</strong>e Wiederholung e<strong>in</strong>es erlebten Traumas der Eltern mit den eigenen K<strong>in</strong>dern verh<strong>in</strong>dern.<br />
Evaluation des SAFE-Projekts<br />
In der Pilotphase konnten <strong>das</strong> SAFE ® -Programm und se<strong>in</strong>e Inhalte sehr gut realisiert werden. Die<br />
Akzeptanz bei den Eltern war sehr gut und es zeigte sich, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der von traumatisierten Eltern am<br />
Ende des ersten Lebensjahres e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität aufwiesen.<br />
Inzwischen wird e<strong>in</strong>e prospektive randomisierte Längsschnittstudie durchgeführt, die die SAFE ® -<br />
Gruppen<strong>in</strong>tervention im Vergleich zu e<strong>in</strong>er herkömmlichen Schwangerschafts- und Geburtsvorberei-<br />
tung und Stillbegleitung evaluiert. Die Kontrollgruppe „Guter Start für werdende Eltern“ (GUSTA)<br />
trifft sich für die gleiche Sem<strong>in</strong>ardauer und -häufigkeit wie die SAFE ® -Gruppe, so<strong>das</strong>s die Effekte der<br />
unterschiedlichen Interventionen untersucht werden können. Zur Kontrollgruppe gehören ebenfalls<br />
Eltern, die sich im gleichen Zeitfenster <strong>–</strong> bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres Säugl<strong>in</strong>gs <strong>–</strong> an<br />
Sonntagen zu ganztägigen Sem<strong>in</strong>artagen treffen. In der SAFE ® - und <strong>in</strong> der GUSTA-Gruppe werden<br />
jeweils zu den gleichen Zeitpunkten mit verschiedenen Videoaufnahmen die Mutter-K<strong>in</strong>d- und Vater-<br />
K<strong>in</strong>d-Interaktion beim Wickeln, Füttern sowie beim Spielen evaluiert. Außerdem wird am Ende des<br />
ersten Lebensjahres die Entwicklung der B<strong>in</strong>dungsqualitäten der Säugl<strong>in</strong>ge untersucht und ausgewertet.<br />
Zusätzlich werden mithilfe von Fragebogen prä- und postnatale Daten erhoben, und bei allen Eltern<br />
werden Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs<strong>in</strong>terviews durchgeführt. Sowohl bei den Müttern als auch bei den Vätern<br />
werden vor und nach solchen Interviews <strong>–</strong> sowie auch bei den K<strong>in</strong>dern vor und nach der Untersu-<br />
chung der B<strong>in</strong>dungsqualität <strong>–</strong> physiologisch Stressparameter anhand von Untersuchungen der Werte<br />
des Stresshormons Cortisol im Speichel erhoben.<br />
SAFE ® -Mentorenausbildung<br />
Zur Verbreitung des Programms besteht die Möglichkeit, sich als SAFE ® -Mentor am Dr. von Haunerschen<br />
K<strong>in</strong>derspital <strong>in</strong> München ausbilden zu lassen (www.safe-programm.de). Regionale Ausbildungsgruppen<br />
f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Hannover und Wien statt. Hierzu können sich grundsätzlich alle psychosozialen Berufs-<br />
gruppen, die mit Schwangeren, Eltern und ihren Säugl<strong>in</strong>gen arbeiten, als potentielle SAFE ® -Mentoren<br />
melden. Dazu gehören zum Beispiel Schwangerschaftsberater<strong>in</strong>nen, Hebammen und Stillberater<strong>in</strong>nen,<br />
Krankenschwestern, Geburtshelfer, Psychologen, K<strong>in</strong>derärzte, K<strong>in</strong>der- und Jugendlichenpsychothera-<br />
peuten, Sprachheilpädagogen und Sprachtherapeuten. Entscheidend für die Arbeit <strong>in</strong> SAFE ® -Gruppen<br />
ist die Fähigkeit, sich auf Schwangere und Eltern mit Säugl<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>zulassen und aus der alltäglichen<br />
beruflichen Praxis bereits „Hands on“-Erfahrungen mitzubr<strong>in</strong>gen. Die Ausbildung zum SAFE ® -Mentor<br />
91
92<br />
umfasst drei ganztägige Sem<strong>in</strong>artage und zusätzliche Praxistage, die je nach praktischer Vorerfahrung<br />
unterschiedlich lang und <strong>in</strong>tensiv se<strong>in</strong> können. Die Mentoren organisieren dann jeweils vor Ort unter<br />
ihren spezifischen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen SAFE ® -Gruppen. Vorzugsweise arbeitet man als Mentorenpaar<br />
im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Gruppenleitung und Co-Leitung. Dieses Leitungsmodell eröffnet die Möglichkeit, <strong>das</strong>s<br />
e<strong>in</strong> Mentor jeweils Inhalte vermitteln kann, während der andere die gruppendynamischen Prozesse im<br />
Auge behält und die Gruppe leitet.<br />
Die SAFE ® -Mentoren/<strong>in</strong>nen-Ausbildung wird derzeit durch <strong>das</strong> Bayerische Staats<strong>in</strong>stitut für Frühpädagogik<br />
(IFP) <strong>in</strong> München evaluiert. E<strong>in</strong>e Übersetzung des SAFE ® -Programms <strong>in</strong>s Italienische wird derzeit vor-<br />
genommen.<br />
Kontakt und Information:<br />
PD Dr. med. Karl He<strong>in</strong>z Brisch<br />
Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie, K<strong>in</strong>derkl<strong>in</strong>ik und K<strong>in</strong>derpolikl<strong>in</strong>ik im Dr. von Haunerschen<br />
K<strong>in</strong>derspital, Ludwig-Maximilians-Universität München, Pettenkoferstr. 10, 80336 München.<br />
Email: Karl-He<strong>in</strong>z.Brisch@med.uni-muenchen.de<br />
Info: www.safe-programm.de<br />
Lesetipp:<br />
• Brisch, K. H. (2010). SAFE ® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
Medientipp:<br />
• Dokumentarfilm von Lydia Oehl<strong>in</strong>g: „Nähe zulassen“; www.naehe-zulassen.de<br />
12.3.2 „STEEP“ <strong>–</strong> Steps toward effective, enjoyable parent<strong>in</strong>g<br />
„STEEP“ ist e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundiertes Früh<strong>in</strong>terventionsprogramm, <strong>das</strong> die Förderung der<br />
elterlichen Kompetenz <strong>in</strong> der Beziehungsgestaltung mit dem K<strong>in</strong>d zum Ziel hat. Junge Mütter werden<br />
im Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung zum K<strong>in</strong>d unterstützt und damit wird e<strong>in</strong> wesentlicher<br />
Schutzfaktor für die weitere Entwicklung des K<strong>in</strong>des gefördert.<br />
Das Programm richtet sich an Familien, deren K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> e<strong>in</strong> psychosozial belastetes Umfeld h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren<br />
werden (z. B. Arbeitslosigkeit, mangelnde berufliche Perspektiven, psychische Belastungen der<br />
Eltern). Zielgruppe des Projektes s<strong>in</strong>d 16 bis 26 Jahre alte schwangere Frauen und junge Mütter mit<br />
ihren K<strong>in</strong>dern, auf die m<strong>in</strong>destens zwei der folgenden Kriterien zutreffen: niedriges E<strong>in</strong>kommen, ke<strong>in</strong><br />
oder niedriger Schulabschluss, psychische Labilität oder Erkrankung, Probleme mit sozialen Kontakten.<br />
Diese Kriterien werden anhand e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gangsdiagnostik und e<strong>in</strong>er Risikodiagnostik festgestellt. E<strong>in</strong>
Teil der Mütter wird vom Allgeme<strong>in</strong>en Sozialdienst (ASD), von Jugendhilfee<strong>in</strong>richtungen, aus der<br />
Gesundheitshilfe oder aus dem sozialen Umfeld an STEEP überwiesen. E<strong>in</strong>ige Mütter nehmen auch<br />
aus eigener Initiative an dem Projekt teil.<br />
Im Mittelpunkt stehen die Förderung der sozialen Unterstützung, die Integration der meist isoliert<br />
lebenden Mütter sowie <strong>das</strong> Verstehen der k<strong>in</strong>dlichen Verhaltensweisen und der eigenen Beziehungs-<br />
erfahrungen und Beziehungsmuster. Ziel ist es, die Signale des K<strong>in</strong>des aufzunehmen und adäquat zu<br />
beantworten, um e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d als wichtige Grundlage<br />
für die spätere Entwicklung des K<strong>in</strong>des aufzubauen und die transgenerationelle Weitergabe von dys-<br />
funktionalen familiären Beziehungsmustern zu verh<strong>in</strong>dern.<br />
Die STEEP-Programm stellt e<strong>in</strong>e kompetente pädagogisch-psychologische Begleitung von der<br />
Schwangerschaft bis ans Ende des zweiten Lebensjahres des K<strong>in</strong>des dar und unterstützt die (werdenden)<br />
Mütter praktisch und kont<strong>in</strong>uierlich <strong>in</strong> der Vorbereitung auf die Elternrolle und dem F<strong>in</strong>den ihrer elter-<br />
lichen Identität. E<strong>in</strong> besonderer Fokus liegt auf den <strong>in</strong>dividuellen Ressourcen. Das Programm komb<strong>in</strong>iert<br />
e<strong>in</strong> Gruppenangebot mit aufsuchender Arbeit durch e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Bezugsperson. Wechselweise<br />
f<strong>in</strong>det wöchentlich e<strong>in</strong> Gruppentreffen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er festen Mutter-K<strong>in</strong>d-Gruppe oder e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelterm<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
der Wohnung der Mutter statt. In den zwei Jahren s<strong>in</strong>d dies rund 100 Term<strong>in</strong>e. Bei den Gruppentreffen<br />
mit zehn Mutter-K<strong>in</strong>d-Paaren können die Mütter im gegenseitigen Austausch mit- und vone<strong>in</strong>ander<br />
lernen und ihr Verhalten reflektieren.<br />
Die Inhalte s<strong>in</strong>d zum Teil themengeleitet und sollen helfen, die k<strong>in</strong>dlichen Entwicklungsschritte und<br />
deren Bedeutung für die geme<strong>in</strong>same Beziehung und den familiären Alltag besser zu verstehen, Sicher-<br />
heit im Umgang mit dem K<strong>in</strong>d zu gew<strong>in</strong>nen und auch <strong>in</strong> schwierigen oder belastenden Situationen<br />
angemessen reagieren zu können. Die Hausbesuche bieten zusätzlichen Raum für die Reflexion eigener<br />
Erfahrungen und Bedürfnisse und dienen der Anleitung zur Selbstbeobachtung <strong>in</strong> der direkten Mutter-<br />
K<strong>in</strong>d-Interaktion <strong>in</strong> Alltagssituationen.<br />
Das Vorgehen von „STEEP“ basiert unter anderem auf folgenden Methoden: Interaktionszentrierte<br />
Kommunikationsanleitung, videounterstützte Eltern-K<strong>in</strong>d-Arbeit („See<strong>in</strong>g is believ<strong>in</strong>g“), erlebnisnahe<br />
Vermittlung entwicklungspsychologischen Wissens und Rollenspiele, Gruppenangebote neben E<strong>in</strong>zel-<br />
fallarbeit und Stärkung des sozialen Netzwerkes der Beteiligten.<br />
Das STEEP-Konzept wurde von Byron Egeland und Martha F. Erickson von der Universität M<strong>in</strong>nesota<br />
aufgrund der Ergebnisse der M<strong>in</strong>nesota Studie zur Persönlichkeitsentwicklung unter Hoch-Risiko-<br />
Bed<strong>in</strong>gungen entwickelt und evaluiert. Es wird <strong>in</strong> den USA langjährig <strong>in</strong> der Arbeit mit „Risikofamilien“<br />
93
94<br />
erfolgreich umgesetzt. Im Rahmen e<strong>in</strong>es durch <strong>das</strong> Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />
geförderten Präventionsforschungsprojektes wurde <strong>das</strong> STEEP-Programm erstmals an zwei Standor-<br />
ten <strong>in</strong> Deutschland (FH Potsdam und HAW Hamburg) angewandt und wissenschaftlich begleitet.<br />
Zur Ausbildung zur STEEP-Berater<strong>in</strong> werden Sem<strong>in</strong>are angeboten. Das Handbuch zur Durchführung<br />
des STEEP-Programms wurde 2006 <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt.<br />
Kontakt und Information:<br />
Prof. Dr. Gerhard J. Suess<br />
Hamburg University of Applied Sciences<br />
Department of Social Work<br />
Saarlandstr. 30<br />
22303 Hamburg<br />
Email: Gerhard.Suess@haw-hamburg.de ; <strong>in</strong>fo@gerhard-suess.de<br />
http://www.gerhard-suess.de<br />
Prof. Dr. Christiane Ludwig-Körner<br />
Fachhochschule Potsdam<br />
Fachbereich Sozialwesen<br />
Friedrich-Ebert-Straße 4<br />
14467 Potsdam<br />
Email: ludwig@fh-potsdam.de<br />
Lesetipp:<br />
• Martha Farrell Erickson & Byron Egeland (2006). Die Stärkung der Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung. Frühe Hilfen für<br />
die Arbeit mit Eltern von der Schwangerschaft bis zum 2. Lebensjahr des K<strong>in</strong>des durch <strong>das</strong> STEEP-<br />
Programm. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
12.3.3 PALME® <strong>–</strong> Präventives Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter geleitet von<br />
ErzieherInnen<br />
PALME® ist e<strong>in</strong> speziell auf die Lebenssituation und die Bedürfnisse alle<strong>in</strong>erziehender Mütter abgestimmtes<br />
Präventionsprogramm, <strong>das</strong> die Förderung der zuverlässigen und fe<strong>in</strong>fühligen Beziehungsaufnahme<br />
zum Ziel hat. Die emotionale Zuwendungsfähigkeit alle<strong>in</strong>erziehender Mütter kann durch die<br />
vielfachen an sie gestellten Anforderungen und seelische Belastungen bee<strong>in</strong>trächtigt se<strong>in</strong> und damit<br />
langfristig e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>fluss auf die seelische Entwicklung sowie die sozialen und schulischen<br />
Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des haben. Genau hier setzt PALME® als Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter<br />
und ihre K<strong>in</strong>der an.
Es handelt sich um e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundiertes und emotionszentriertes strukturiertes Eltern-<br />
tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g über 20 Sitzungen à 90 M<strong>in</strong>uten für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter mit K<strong>in</strong>dern im Vorschul- und<br />
Grundschulalter. Geleitet wird es von e<strong>in</strong>em geschulten Leiterpaar (Erzieher<strong>in</strong> und Erzieher). Die jeweilige<br />
Gruppengröße beläuft sich auf circa zehn bis zwölf Mütter. Die Gruppen werden nach Möglichkeit<br />
wohnortnah und mit K<strong>in</strong>derbetreuung während der Kursterm<strong>in</strong>e angeboten. Die Durchführung des<br />
Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bereits <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten ermöglicht e<strong>in</strong>en „niederschwelligen“ Zugang zu alle<strong>in</strong>er-<br />
ziehenden Müttern.<br />
PALME® verfolgt als Hauptziele die Stabilisierung der Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung, die Stärkung der<br />
<strong>in</strong>tuitiven Elternfunktionen, die Verbesserung der E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> <strong>das</strong> Erleben des K<strong>in</strong>des, die Bearbeitung<br />
unbewusster Wahrnehmungs- und Erziehungstendenzen der Mütter sowie die E<strong>in</strong>übung sozialer und<br />
elterlicher Kompetenzen.<br />
Alle Gruppensitzungen s<strong>in</strong>d klar gegliedert und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gut verständlichen Manual sehr genau beschrieben.<br />
In jeder Gruppensitzung erhalten die teilnehmenden Mütter Informationen zu verschiedenen Themen.<br />
Diese reichen von rechtlichen bis h<strong>in</strong> zu entwicklungspsychologischen Fragen und der Bewältigung von<br />
Alltagsproblemen. Diese Informationen helfen den Müttern, ihre Situation und die Bedürfnisse ihres<br />
K<strong>in</strong>des besser wahrzunehmen und zu verbessern. Während der Gruppensitzungen werden typische<br />
Konflikte Alle<strong>in</strong>erziehender, z. B. <strong>in</strong> Rollenspielen und Gruppenübungen, bearbeitet. Hier geht es vor<br />
allem um die Trennung der Elternverantwortung von der Ebene des Paarkonfliktes. Schließlich werden<br />
mittels k<strong>in</strong>dgerechter Mutter-K<strong>in</strong>d-Übungen für zuhause die fe<strong>in</strong>fühlige Wahrnehmung der Bedürfnisse<br />
des K<strong>in</strong>des und die Lösung bestehender Konflikte gefördert.<br />
Die 20 Gruppensitzungen s<strong>in</strong>d zur Erreichung dieser Ziele <strong>in</strong> vier Module gegliedert, die sich s<strong>in</strong>n-<br />
voll ergänzen und aufe<strong>in</strong>ander aufbauen. Im ersten Modul wird die Selbstwahrnehmung der Mütter<br />
auch mit ihren biografischen Bezügen gefördert. Rollenanforderungen, Belastungen, Fähigkeiten und<br />
die dazugehörigen Emotionen werden erarbeitet. Im zweiten Modul geht es dann um die emotionale<br />
Wahrnehmung des K<strong>in</strong>des und die E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> dessen Entwicklungsbedürfnisse nach B<strong>in</strong>dung und<br />
Exploration. Im dritten Modul werden die Situation <strong>in</strong> der Gesamtfamilie und auch die Rolle des<br />
Ex-Partners/Vaters thematisiert sowie damit zusammenhängende Konflikte auch im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
Lebensgeschichte der Mütter bearbeitet. Erst nach diesen Grundlagen werden im vierten Modul auf<br />
der Verhaltensebene nach neuen Wegen und Lösungen zur Bewältigung von Konflikten im Alltag der<br />
Familien gesucht und e<strong>in</strong>geübt.<br />
Das Gruppenprogramm wird im Rahmen von dreitägigen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gssem<strong>in</strong>aren <strong>–</strong> zusammen mit anderen<br />
Inhalten wie Grundlagen der Gruppendynamik, Gesprächstechnik, Entwicklungspsychologie und<br />
95
96<br />
B<strong>in</strong>dungstheorie <strong>–</strong> an qualifizierte Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher vermittelt. Basis hierfür ist <strong>das</strong> ausführliche<br />
Manual zusammen mit dem sorgfältig aufbereiteten didaktischen Material.<br />
Das b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Konzept und die didaktische Aufbereitung von PALME® wurden<br />
<strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Ärzten, Psychologen und Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> zehnjähriger Vorarbeit entwickelt,<br />
erprobt und wissenschaftlich evaluiert. Es konnte nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s PALME® e<strong>in</strong>en positiven<br />
Effekt auf <strong>das</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den und die Stimmung der teilnehmenden Mütter ausübt, die Beziehung der<br />
Mütter zu ihren K<strong>in</strong>dern stärkt und k<strong>in</strong>dliche Verhaltensauffälligkeiten reduziert.<br />
Kontakt und Information:<br />
PALME®<br />
Prof. Dr. med. Matthias Franz<br />
Institut für Seelische Gesundheit und Prävention e.V. (ISGP)<br />
c/o Kl<strong>in</strong>isches Institut für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und Psychotherapie<br />
Moorenstraße 5<br />
40225 Düsseldorf<br />
E-Mail: <strong>in</strong>fo@palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de<br />
Rückfragen zu Schulung und Anmeldung:<br />
PALME®<br />
Jessica Brüggert<br />
Institut für Seelische Gesundheit und Prävention e.V. (ISGP)<br />
c/o Kl<strong>in</strong>isches Institut für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und Psychotherapie<br />
Moorenstraße 5<br />
40225 Düsseldorf<br />
E-Mail: <strong>in</strong>fo@palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de<br />
http://www.palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de<br />
Lesetipp:<br />
• PALME® <strong>–</strong> Präventives Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter geleitet von ErzieherInnen (2008). 449<br />
Seiten mit 25 Abbildungen, 3 Tabellen und e<strong>in</strong>er CD. Gött<strong>in</strong>gen: Vandenhoeck & Ruprecht.<br />
http://www.palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de/manual.html<br />
12.3.4 Entwicklungspsychologische Beratung für junge Eltern (Ulmer Modell)<br />
Das Curriculum basiert auf dem Beratungsansatz „Entwicklungspsychologische Beratung“, der<br />
ursprünglich für die Intervention bei der Hochrisikogruppe jugendlicher und alle<strong>in</strong>erziehender Mütter
und ihrer Säugl<strong>in</strong>ge entwickelt und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pilotstudie evaluiert wurde. Der Ansatz wurde mittlerweile<br />
auf die Beratung psychosozial belasteter Familien mit Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern bzw. für die Frühförderung von<br />
K<strong>in</strong>dern mit Beh<strong>in</strong>derung oder biologischer Vorbelastung erweitert, ist allerd<strong>in</strong>gs ebenfalls für die Beratung<br />
von „nur“ verunsicherten Eltern geeignet.<br />
In der entwicklungspsychologischen Beratung geht es allgeme<strong>in</strong> formuliert um e<strong>in</strong>e <strong>früh</strong>e und präventive<br />
Förderung der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung, um <strong>das</strong> Entstehen von Entwicklungsstörungen und Verhal-<br />
tensauffälligkeiten zu vermeiden. Das Beratungsmodell verknüpft b<strong>in</strong>dungstheoretische Annahmen<br />
und Befunde zur elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit mit entwicklungspsychologischem Wissen über Bedürfnisse,<br />
Kompetenzen und Ausdrucksverhaltensweisen von Neugeborenen, Säugl<strong>in</strong>gen und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern.<br />
Die Beratung ist als Bauste<strong>in</strong> konzipiert, der sich flexibel <strong>in</strong> unterschiedliche Praxisfelder und <strong>in</strong>stitutionelle<br />
Hilfestrukturen <strong>in</strong>tegrieren lässt. Sie ist niedrigschwellig, kurzfristig durchführbar und zeitlich begrenzt.<br />
Konzeptueller H<strong>in</strong>tergrund s<strong>in</strong>d b<strong>in</strong>dungstheoretische Befunde zur elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit sowie<br />
Befunde zum Belastungs- und Bewältigungsverhalten von Säugl<strong>in</strong>gen und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern, <strong>in</strong>sbesondere<br />
<strong>in</strong> Anlehnung und Weiterentwicklung des Entwicklungsmodells von Brazelton und Als (Brazelton 1984;<br />
Als 1982). Das Vorgehen ist verhaltensorientiert, videogestützt und ressourcenorientiert. Das Beratungs-<br />
konzept legt besonderen Wert darauf, die Sicherheit und <strong>das</strong> Selbstwertgefühl der Eltern zu <strong>stärken</strong>. E<strong>in</strong><br />
positives Selbstwerterleben gilt als entscheidende Voraussetzung, die Perspektive des eigenen K<strong>in</strong>des zu<br />
berücksichtigen und fe<strong>in</strong>fühlig mit ihm umzugehen.<br />
In der Regel besteht e<strong>in</strong>e Beratungssequenz aus etwa fünf bis sieben Term<strong>in</strong>en. Bei psychosozial belasteten<br />
Familien <strong>in</strong> angespannten Lebenssituationen s<strong>in</strong>d darauf aufbauende, weitere Kontakte auch über die<br />
Zeit h<strong>in</strong>weg vorausschauend und präventiv e<strong>in</strong>zuplanen. Die Durchführung der Beratung kann zuhause<br />
oder <strong>in</strong> Räumlichkeiten der Beratungsstelle erfolgen, wobei der Säugl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Regel mit anwesend ist.<br />
Grundlage der Beratung s<strong>in</strong>d beschreibende Beobachtungen, die auf kurzen, alltagsbezogenen Video-<br />
szenen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen aufbauen. Dazu gehören beispielsweise Videoszenen zu Wickel-<br />
oder Füttersituationen sowie e<strong>in</strong>er Spielsituation. Die Analyse des Videomaterials ist ressourcenorientiert<br />
und nicht wertend. In manchen Fällen muss nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Standbild (z. B. <strong>das</strong> Anlächeln des K<strong>in</strong>des)<br />
genügen, um positives elterliches Verhalten <strong>in</strong> der folgenden Beratung zu thematisieren und mit den<br />
k<strong>in</strong>dlichen Ansätzen von Selbstregulation und Ansprechbarkeit zu verknüpfen. Die Regulationskompe-<br />
tenzen und die Ansprechbarkeit des Säugl<strong>in</strong>gs werden als Folge adäquaten und fe<strong>in</strong>fühligen mütterlichen<br />
Verhaltens <strong>in</strong>terpretiert.<br />
Die Arbeit mit Videobildern ermöglicht den Eltern unmittelbare und nichtsprachlich vermittelte E<strong>in</strong>drücke<br />
von ihrem K<strong>in</strong>d und sich selbst. Man geht davon aus, <strong>das</strong>s diese bildhaften E<strong>in</strong>drücke nachdrücklicher<br />
97
98<br />
wirken und die Eltern <strong>in</strong>tensiv im Alltag begleiten. Nach dem Videofeedback wird e<strong>in</strong> Auftrag an die<br />
Eltern erarbeitet mit dem Versuch, Alltagsstrukturierungen zu verändern <strong>–</strong> z. B. Erholungszeiten für die<br />
Mutter durch E<strong>in</strong>beziehung anderer, Haushaltsaufgaben reduzieren, Essensregeln sowie Abendrituale<br />
e<strong>in</strong>führen.<br />
Die Wirksamkeit des Programms konnte im Rahmen von Evaluationsmaßnahmen bereits nach-<br />
gewiesen werden.<br />
Nach Ziegenha<strong>in</strong> müssen beziehungsorientierte Interventionsmaßnahmen <strong>in</strong>sgesamt verstärkt unter<br />
dem Aspekt der Vernetzung mit anderen Hilfeangeboten erprobt und evaluiert werden. Dabei dürften<br />
nach den bisherigen Erfahrungen <strong>früh</strong>e und präventive Maßnahmen besonders Erfolg versprechend<br />
se<strong>in</strong>. Das Modell der entwicklungspsychologischen Beratung könnte dabei <strong>in</strong> <strong>das</strong> System bestehender<br />
Rechtsvorschriften implementiert werden. Zum e<strong>in</strong>en wäre e<strong>in</strong>e Implementierung <strong>in</strong> die Erziehungsbera-<br />
tungsstellen als Konzept <strong>früh</strong>er Intervention denkbar, eventuell auch als e<strong>in</strong> Angebot <strong>in</strong> Familienbildungs-<br />
stätten oder Mutter-K<strong>in</strong>d-E<strong>in</strong>richtungen. Zum anderen könnten sozialpädagogische Familienhelfer/<br />
<strong>in</strong>nen diesen Ansatz <strong>in</strong> ihre Arbeit implementieren wie auch Frühförderstellen und Sozialpädiatrische<br />
Zentren. Wünschenswert wäre e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit von Ämtern, Beratungsstellen,<br />
Gynäkologen, K<strong>in</strong>derärzten, Hebammen und Sozialarbeitern, um <strong>früh</strong> präventiv zu arbeiten.<br />
Kontakt und Information:<br />
PD Dr. Ute Ziegenha<strong>in</strong><br />
Kl<strong>in</strong>ik für K<strong>in</strong>der- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätskl<strong>in</strong>ikum Ulm<br />
Ste<strong>in</strong>hövelstrasse 5<br />
89075 Ulm<br />
Email: FrueheHilfen.kjp@unikl<strong>in</strong>ik-ulm.de<br />
Lesetipp:<br />
• Ziegenha<strong>in</strong>, U., Fries, M., Bütow, B. & Derksen, B. (2004). Entwicklungspsychologische Beratung für<br />
junge Eltern. Grundlagen und Handlungskonzepte für die Jugendhilfe. We<strong>in</strong>heim: Juventa.
Resümee & Ausblick<br />
Die Präventionsprogramme fokussieren als Zielgruppe auf Eltern bzw. Familien. Im S<strong>in</strong>ne der geforderten<br />
Verbreitung b<strong>in</strong>dungstheoretischen Grundlagenwissens für Eltern sowie alle Professionen, die mit El-<br />
tern und K<strong>in</strong>dern zusammenarbeiten, wäre es e<strong>in</strong>e folgerichtige wie fachlich notwendige Konsequenz,<br />
b<strong>in</strong>dungstheoretische Inhalte <strong>in</strong> den Ausbildungsplänen wie auch im praktischen Arbeitsalltag von Fach-<br />
kräften außerfamiliärer Institutionen <strong>–</strong> z. B. K<strong>in</strong>dergarten, Schule, Heim<strong>in</strong>stitutionen <strong>–</strong> zu verankern.<br />
Neben den Eltern können auch andere, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d wichtige Bezugspersonen Qualitäten e<strong>in</strong>er<br />
B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong>nehaben <strong>–</strong> und dies nicht nur <strong>in</strong> den <strong>früh</strong>en Jahren der k<strong>in</strong>dlichen Entwicklung.<br />
Spätestens ab dem K<strong>in</strong>dergartenalter gestalten K<strong>in</strong>der ihre eigenen Erfahrungsgrundlagen <strong>in</strong> zuneh-<br />
mender Weise mit und verr<strong>in</strong>gern damit die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, mit (möglicherweise benötigten) korri-<br />
gierenden Beziehungserfahrungen konfrontiert zu werden. So werden Institutionen des Bildungssystems<br />
wie zum Beispiel der K<strong>in</strong>dergarten oder die Schule für gewöhnlich nicht als e<strong>in</strong> Feld für psychosoziale<br />
oder gar psychotherapeutische Interventionen angesehen. Erzieher/<strong>in</strong>nen wie auch Lehrer/<strong>in</strong>nen können<br />
aber e<strong>in</strong>e bedeutende Quelle der Veränderung für die Persönlichkeitsentwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des oder<br />
Jugendlichen se<strong>in</strong>, wie die M<strong>in</strong>nesota-Studie gezeigt hat (Suess & Sroufe 2008). So ist e<strong>in</strong> Ergebnis<br />
dieser Studie, <strong>das</strong>s der Schulabbruch e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong> Prozess ist, der bereits mit dreie<strong>in</strong>halb Jahren<br />
beg<strong>in</strong>nt, also schon bevor die Schule anfängt. Neben der (fehlenden) Qualität <strong>früh</strong>er Erziehung und<br />
elterlichen Engagements, welche sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „dysfunktionalen“ Beziehungsgestaltung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong><br />
der Schule fortsetzen, zeigten die Ergebnisse, <strong>das</strong>s <strong>in</strong>sbesondere jene K<strong>in</strong>der die Schule abbrechen, die<br />
ke<strong>in</strong>en Lehrer hatten, dem sie sich nahe fühlten oder den sie auf ihrer Seite wähnten. Insofern s<strong>in</strong>d be-<br />
ziehungsbasierte Strategien zur Förderung der Lehrer-Schüler-Beziehung nötig wie auch Voraussetzung<br />
für erfolgreiche Bildungsprozesse.<br />
Fachkräfte aller mit K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen befassten Institutionen sollten deswegen auf jeden Fall<br />
über die die B<strong>in</strong>dungsentwicklung konsolidierenden und korrigierenden Prozesse <strong>in</strong>formiert werden. Sie<br />
müssen ermutigt werden, ihre eigenen Gefühle gegenüber unterschiedlichen K<strong>in</strong>dern zu reflektieren.<br />
K<strong>in</strong>der mit unterschiedlichen B<strong>in</strong>dungsqualitäten lösen unterschiedliche Reaktionen und Gefühle bei<br />
Fachkräften aus <strong>–</strong> und unsicher gebundene K<strong>in</strong>der machen <strong>das</strong> Leben der pädagogischen Fachkräfte<br />
schwerer als e<strong>in</strong> sicher gebundenes K<strong>in</strong>d. Ebenso sollten die möglichen E<strong>in</strong>flüsse der eigenen Entwick-<br />
lungs- bzw. B<strong>in</strong>dungsgeschichte auf <strong>das</strong> Lehrer/Erzieher-K<strong>in</strong>d-Verhältnis reflektiert werden. Dies kann<br />
im Rahmen von Teambesprechungen oder extern angeleiteter Supervision erfolgen. Die Fortbildung<br />
von pädagogischen Fachkräften <strong>in</strong> diesen grundlegenden b<strong>in</strong>dungsmotivierten, zwischenmenschlichen<br />
Dynamiken würde mittel- bis langfristig zu e<strong>in</strong>em besseren Beziehungsverhältnis beitragen und bessere<br />
Interventionsmöglichkeiten aufzeigen als die stigmatisierende (und entlastende) Kategorisierung e<strong>in</strong>es<br />
K<strong>in</strong>des mit e<strong>in</strong>er bestimmten Diagnosegruppe (z. B. ADHS).<br />
99
100<br />
Internet-Tipp:<br />
• Interessante anwendungsbezogene Artikel für die Arbeit mit Pflegefamilien wie für die Arbeit von<br />
pädagogischen Fachkräften <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten, <strong>in</strong> der schulischen Erziehungshilfe wie auch <strong>in</strong><br />
Heim<strong>in</strong>stitutionen f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Teil III des Buches: Julius, H., Gasteiger-Klicpera, B., & Kißgen, R. (Hrsg.)<br />
(2009). B<strong>in</strong>dung im K<strong>in</strong>desalter. Diagnostik und Interventionen. Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.
Adressen-Info & Kontakte<br />
Gesellschaften mit Bezug zur B<strong>in</strong>dungsforschung:<br />
• Bundeskonferenz für Erziehungsberatung: http://www.bke.de<br />
• Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Fachgruppe Entwicklungspsychologie:<br />
http://www.dgps.de/dgps/fachgruppen/entwicklung<br />
• Deutsche Liga für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d: Interdiszipl<strong>in</strong>äres Zusammenschluss zahlreicher Vere<strong>in</strong>e und Organisationen<br />
aus dem Bereich der <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>dheit: http://www.liga-k<strong>in</strong>d.de<br />
• Fachhochschule Potsdam, FB Sozialwesen: Frühe Hilfen für K<strong>in</strong>der und ihre Familie: http://sozialwesen.fh-potsdam.de<br />
• Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM), P.D. Dr. Gabriele Haug-Schnabel, Dr.<br />
Joachim Bensel, Obere Dorfstr. 7, 79400 Kandern: http://www.verhaltensbiologie.com<br />
• GAIMH <strong>–</strong> Gesellschaft zur Förderung der seelischen Gesundheit <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>dheit: Deutschsprachige<br />
Tochtergesellschaft der World Association for Infant Mental Health: http://www.gaimh.de<br />
• International Society for the Study of Behavioral Development: http://www.issbd.org<br />
• The International Attachment Network promotes the study of attachment theory and related topics<br />
among psychotherapists, psychoanalysts, cl<strong>in</strong>ical psychologists, psychiatrists and other professionals<br />
(<strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g social workers, teachers, and many others): http://www.attachmentnetwork.org<br />
• WAIMH (World Association of Infant Mental Health): Interdiscipl<strong>in</strong>ary and <strong>in</strong>ternational association<br />
that promotes education, research, and study of the effects of mental, emotional, and social development<br />
dur<strong>in</strong>g <strong>in</strong>fancy on later normal and psychopathological development: http://www.waimh.org<br />
• ZERO TO THREE promotes the healthy development of our nation‘s <strong>in</strong>fants and toddlers by support<strong>in</strong>g<br />
and strengthen<strong>in</strong>g families, communities, and those who work on their behalf: http://www.<br />
zerotothree.org<br />
(Quelle: http://www.psychologie.uni-regensburg.de/Grossmann)<br />
Fortbildungsmöglichkeiten zur B<strong>in</strong>dungsdiagnostik:<br />
Nach eigenen Recherchen sowie persönlicher Mitteilung von Professor Gloger-Tippelt (Universität<br />
Düsseldorf) gibt es derzeit folgende Ansprechpartner/<strong>in</strong>nen für diagnostische Verfahren im deutschsprachigen<br />
Raum (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):<br />
Fremde-Situations-Test:<br />
• Prof. Dr. Klaus Grossmann und Dr. Kar<strong>in</strong> Grossmann<br />
http://www.psychologie.uni-regensburg.de/Grossmann<br />
em@il: Klaus.Grossmann@psychologie.uni-regensburg.de<br />
em@il: Kar<strong>in</strong>.Grossmann@psychologie.uni-regensburg.de<br />
101
102<br />
Geschichtenergänzungsverfahren (GEV)<br />
He<strong>in</strong>rich-He<strong>in</strong>e Universität Düsseldorf<br />
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie<br />
Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt<br />
Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf<br />
0211 / 81-13083<br />
0211 / 81-13222<br />
em@il: gloger-tippelt@phil-fak.uni-duesseldorf.de<br />
Dr. Lilith König<br />
Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf<br />
0211 / 81-12132<br />
0211 / 81-13222<br />
em@il: lilith.koenig@phil-fak.uni-duesseldorf.de<br />
www.b<strong>in</strong>dungsdiagnostik.de<br />
CARE-Index<br />
Nicola Sahhar<br />
Praxis zur Förderung psychischer Entwicklung<br />
Kle<strong>in</strong>str. 24<br />
40597 Düsseldorf<br />
em@il: nsahhar@netcologne.de; nsahhar@mac.com<br />
AAI/AAP<br />
Univ.-Prof. Dr. Anna Buchheim<br />
Professur für Kl<strong>in</strong>ische Psychologie<br />
em@il: anna.buchheim@uibk.ac.at<br />
+43 (0)512 507-5567<br />
Ausländische Fortbildungs<strong>in</strong>stitute:<br />
England: Anna Freud Centre<br />
http://www.annafreudcentre.org/shortcourses.php?id=122<br />
USA: Family Relations Institute (Pat Crittenden)<br />
http://www.patcrittenden.com/
Literatur<br />
Ausgewählte Lese- & Medientipps<br />
Praxisorientierte (Literatur-)Quellen:<br />
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Manual für Fachkräfte der Sozialen Dienste zur Stärkung der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit (<strong>in</strong>kl. DVD mit zahlreichen<br />
Videobeispielen).<br />
http://www.unikl<strong>in</strong>ik-ulm.de/struktur/kl<strong>in</strong>iken/k<strong>in</strong>der-und-jugendpsychiatriepsychotherapie/<br />
home/forschung/die-chance-der-ersten-monate.html<br />
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Mit Checkliste: Wie f<strong>in</strong>de ich e<strong>in</strong>e gute Krippe?<br />
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• DVD „E<strong>in</strong> Leben beg<strong>in</strong>nt… Babys Entwicklung verstehen und fördern“. E<strong>in</strong> Film von Heike Mundzeck & Holger<br />
Braack. (Auftraggeber: Ehlerd<strong>in</strong>g Stiftung und Deutsche Liga für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> Kooperation mit der<br />
Kroschke Stiftung für K<strong>in</strong>der) www.e<strong>in</strong>-leben-beg<strong>in</strong>nt.de<br />
• Projekt „K<strong>in</strong>der <strong>früh</strong>er fördern“ (Bertelsmann Stiftung & Staats<strong>in</strong>stitut für Frühpädagogik): www.k<strong>in</strong>derfrueher-foerdern.de<br />
Mit: Checkliste für Eltern: K<strong>in</strong>der unter drei <strong>in</strong> Kitas sowie Checkliste: Kita-Platz. So f<strong>in</strong>den Sie e<strong>in</strong>en guten K<strong>in</strong>dergarten<br />
für Ihr K<strong>in</strong>d<br />
Literatur zur Vertiefung:<br />
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Internet-L<strong>in</strong>ks<br />
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