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„Familien früh stärken in Südtirol“ Bindung – das „emotionale Band ...

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<strong>„Familien</strong> <strong>früh</strong> <strong>stärken</strong> <strong>in</strong> <strong>Südtirol“</strong><br />

Modul: Familien <strong>stärken</strong><br />

B<strong>in</strong>dung <strong>–</strong> <strong>das</strong> <strong>„emotionale</strong> <strong>Band</strong>“<br />

zwischen Eltern und K<strong>in</strong>dern<br />

Johannes Huber


Herausgeber Autonome Prov<strong>in</strong>z Bozen-Südtirol<br />

Abteilung 24 - Familie und Sozialwesen<br />

Familienservicestelle<br />

Kanonikus-Michael-Gamper-Str. 1<br />

39100 Bozen<br />

Tel. 0471/418207, Fax 0471/418249<br />

familienservicestelle@prov<strong>in</strong>z.bz.it<br />

www.prov<strong>in</strong>z.bz.it/sozialwesen<br />

Projektleitung <strong>„Familien</strong> <strong>früh</strong> <strong>stärken</strong> <strong>in</strong> <strong>Südtirol“</strong> <strong>–</strong> e<strong>in</strong> Projekt der Freien Universität Bozen<br />

im Auftrag der Autonomen Prov<strong>in</strong>z Bozen - Südtirol<br />

Projektleitung Prof. Dr. mult. Dr. h.c. mult. Wassilios E. Fthenakis<br />

ProjektmitarbeiterInnen: Marion Brandl, Umberta Dal Cero, Johannes Huber<br />

Mitglieder der<br />

Steuerungsgruppe Eugenio Bizzotto, Wassilios Fthenakis, Gerlach Barbara, Günther Mathà,<br />

Gudrun Schmid, Michaela Stockner, Gerwald Wallnöfer, Weis Barbara<br />

Mitglieder der<br />

Fachkommission Alexandra Adler, Beatrix Aigner, Irmgard Bayer-Kiener, Giorgio Bissolo, Eugenio<br />

Bizzotto, Renza Celli, Erw<strong>in</strong> Demichiel, Astrid Di Bella, Liliana Di Fede, Gerhard<br />

Duregger, Stefan Eikemann, Alexa Filippi, Toni Fiung, Brigitte Froppa,<br />

Wassilios Fthenakis, Tanja Hofer, Doris Jaider, Christa Ladurner, Eva Margherita<br />

Lanthaler, Irmgard Lantscher, Luigi Loddi, Giuseppe Maiolo, Fernanda<br />

Mattedi, Christa Messner, Klara Messner, V<strong>in</strong>zenz Mittelberger, Klaus<br />

Nothdurfter, Edith Ploner, Gudrun Schmid, Arnold Schuler, Josef<strong>in</strong>e<br />

Tappe<strong>in</strong>er Ludwig, Katia Tenti, Monica Turatti, Gabriella Vianello Nardelli,<br />

Rosmarie Viehweider, Deborah Vis<strong>in</strong>ta<strong>in</strong>er, Stefan Walder, Barbara Weis,<br />

Stefan Zublas<strong>in</strong>g<br />

Lektorat Eva Killmann von Unruh, München<br />

Layout Dipl. Mediendesigner<strong>in</strong> (BA) Cornelia Kocher, www.cokodesign.de<br />

Fotos Jochen Fiebig, Familie Blasius, Familie Huber<br />

Dank PD Dr. Fabienne Becker-Stoll, Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt<br />

Stand Mai 2010


2<br />

Inhalt<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

1 Was genau ist „B<strong>in</strong>dung“? Welche Funktion erfüllt sie?<br />

1.1 B<strong>in</strong>dungsentwicklung <strong>–</strong> mehr als nur die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des<br />

1.2 B<strong>in</strong>dung als „psychisches Grundbedürfnis“<br />

2 Wie entwickelt sich die B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />

2.1 Die Beziehungsaufnahme beg<strong>in</strong>nt schon vorgeburtlich<br />

2.2 Stufen der B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />

2.3 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als <strong>in</strong>teraktiver Prozess<br />

2.4 B<strong>in</strong>dungserfahrungen werden vom K<strong>in</strong>d ver<strong>in</strong>nerlicht<br />

2.5 B<strong>in</strong>dungserfahrungen wirken sich auf die Entwicklung des Gehirns aus<br />

2.6 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als lebenslanger Prozess<br />

3 Woran erkennt man e<strong>in</strong>e „gute“ B<strong>in</strong>dung?<br />

3.1 Trennungs- und Wiedervere<strong>in</strong>igungssituationen als „Gradmesser“ der B<strong>in</strong>dungsqualität im<br />

<strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>desalter<br />

3.2 Die drei (vier) Typen der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

4 Welche Faktoren bee<strong>in</strong>flussen die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen<br />

Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />

4.1 Die Qualität der Fürsorge<br />

4.2 Das Temperament des Säugl<strong>in</strong>gs<br />

4.3 Der erweiterte systemische Kontext<br />

5 Generationsübergreifende Weitergabe von B<strong>in</strong>dungs(un)sicherheit<br />

5.1 Das <strong>in</strong>nere Modell von B<strong>in</strong>dung der Eltern als vermittelnde E<strong>in</strong>flussgröße<br />

5.2 Unterschiedliche B<strong>in</strong>dungsmuster der Eltern führen zu unterschiedlichen Kommunikationsmustern<br />

mit dem Säugl<strong>in</strong>g<br />

5.3 Das Konzept der Mentalisierung (Theory of M<strong>in</strong>d)<br />

H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen Merksätze<br />

Erfahrungsort Praxis Lese- und Internet-Tipps


6 Explorationssicherheit <strong>–</strong> die zweite Dimension „psychischer Sicherheit“<br />

im Leben e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

7 Der „Kreis der Sicherheit“ und der „Kreis begrenzter Sicherheit“<br />

8 Auswirkungen der B<strong>in</strong>dungsqualität auf andere Entwicklungsbereiche<br />

9 Die Rolle der außerfamiliären Betreuung und ihr E<strong>in</strong>fluss auf die B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

9.1 E<strong>in</strong>gewöhnung und B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />

9.2 Geschlechtsspezifische Aspekte der Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung<br />

10 Methoden der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />

10.1 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im K<strong>in</strong>desalter<br />

10.1.1 Beobachtungsmethoden für K<strong>in</strong>der bzw. Eltern und K<strong>in</strong>d<br />

10.1.2 Projektive Verfahren für K<strong>in</strong>der<br />

10.1.3 Interviewverfahren für K<strong>in</strong>der<br />

10.2 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im Jugend- und Erwachsenenalter<br />

10.2.1 Interviewverfahren<br />

10.2.2 Projektive Verfahren<br />

10.3 Fragebogen<strong>in</strong>strumente <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />

11 Handlungsempfehlungen für Eltern<br />

11.1 Allgeme<strong>in</strong>e Grundsätze<br />

11.2 Für die ersten Wochen und Monate<br />

11.3 Wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langsam selbstständiger wird<br />

11.4 Zum Schutz vor persönlicher Überforderung<br />

12 B<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Interventionsansätze im Bereich der Prävention<br />

12.1 Interventionsebenen b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Maßnahmen<br />

12.2 Methoden b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Frühförderprogramme<br />

12.3 Ausgewählte Programme<br />

12.3.1 SAFE® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern<br />

12.3.2 STEEP <strong>–</strong> Steps toward effective, enjoyable parent<strong>in</strong>g<br />

12.3.3 PALME® <strong>–</strong> Präventives Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter geleitet von<br />

ErzieherInnen<br />

12.3.4 Entwicklungspsychologische Beratung für junge Eltern (Ulmer Modell)<br />

Resümee & Ausblick<br />

Literatur<br />

3


4<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

„B<strong>in</strong>dung ist <strong>das</strong> gefühlsgetragene <strong>Band</strong>, <strong>das</strong> e<strong>in</strong>e Person zu e<strong>in</strong>er anderen spezifischen Person anknüpft<br />

und <strong>das</strong> sie über Raum und Zeit mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det“ (John Bowlby).<br />

Kommt e<strong>in</strong> Baby auf die Welt und die Blicke von Säugl<strong>in</strong>g und Mutter oder Vater treffen sich zum<br />

ersten Mal, entfacht sich e<strong>in</strong> Zauber, der selbst außenstehende Beobachter anrührt und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bann<br />

zieht. Vieles von dem, was für Eltern vorher wichtig und dr<strong>in</strong>gend war, tritt nach der Geburt des K<strong>in</strong>des<br />

urplötzlich <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Mutter und Vater werden von ihrem Säugl<strong>in</strong>g emotional „angesteckt“<br />

und verlieben sich auf Anhieb <strong>in</strong> ihr K<strong>in</strong>d. Es werden Kräfte <strong>in</strong> ihnen mobilisiert, welche sie sich unter<br />

Umständen vorher gar nicht zugetraut hätten.<br />

Nun könnte man der beschriebenen Szene und den ihr <strong>in</strong>newohnenden Kräften volles Vertrauen schenken<br />

und an die quasi „Naturwüchsigkeit“ gelungener Interaktionsprozesse zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d glauben,<br />

welche die Basis e<strong>in</strong>er gesunden k<strong>in</strong>dlichen Entwicklung darstellen. Nach mehr als fünf Jahrzehnten<br />

<strong>in</strong>tensiver Theorieentwicklung, Forschung und Praxis über die Natur der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung können<br />

wir heute mit Sicherheit zweierlei D<strong>in</strong>ge sagen:<br />

1. Eltern verfügen über e<strong>in</strong>e „natürliche Kompetenz“ für den Umgang mit ihren K<strong>in</strong>dern und wissen<br />

pr<strong>in</strong>zipiell, was diese für e<strong>in</strong>e gesunde Entwicklung brauchen.<br />

2. Diese <strong>in</strong>tuitive Kompetenz kann von Eltern, obwohl sie ihre K<strong>in</strong>der meist abgöttisch lieben, nicht<br />

immer bzw. automatisch so h<strong>in</strong>reichend gut umgesetzt werden, als es den jeweiligen Entwicklungsbedürfnissen<br />

des K<strong>in</strong>des im E<strong>in</strong>zelfall entspricht.<br />

Die Ursachen für derartige, die <strong>in</strong>tuitive Erziehungskompetenz der Eltern untergrabenden Belastungen<br />

s<strong>in</strong>d zahlreich und liegen manchmal auch außerhalb des E<strong>in</strong>flussbereiches vieler Eltern. Hier geht es<br />

zum Beispiel um die zunehmende Verknappung von Zeit durch steigende berufliche Anforderungen,<br />

e<strong>in</strong>e grundsätzlichen Verunsicherung (junger) Eltern bezüglich ihrer Erziehungskompetenz angesichts<br />

vielfacher und teilweise konkurrierender „richtiger“ Erziehungsideologien, die fehlende pädagogischpsychologische<br />

wie auch alltagsweltlich-praktische Unterstützung <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en Zeit der<br />

(Erst-)Elternschaft oder die Bee<strong>in</strong>trächtigung durch eigene (evtl. unbewusste) autobiografische „seelische<br />

Verletzungen“ oder gar Traumatisierungen aus der eigenen K<strong>in</strong>dheit.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser möglichen H<strong>in</strong>dernisse für die Ausübung e<strong>in</strong>er kompetenten Elternrolle,<br />

welche auch die Ausbildung e<strong>in</strong>er stabilen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d<br />

bee<strong>in</strong>trächtigen können, bedarf es <strong>früh</strong> e<strong>in</strong>setzender Unterstützungsmaßnahmen für Eltern <strong>in</strong> der<br />

Interaktion mit ihrem K<strong>in</strong>d. Hierbei s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere solche Maßnahmen langfristig Erfolg


versprechend, welche <strong>in</strong> konstruktiver Weise an den <strong>in</strong>tuitiven Kompetenzen der Eltern und an ge-<br />

lungenen Interaktionsprozessen zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d anknüpfen und diese zu ver<strong>stärken</strong> versu-<br />

chen (Ressourcenorientierung). Gleichzeitig müssen dysfunktionale und gestörte Interaktionsprozesse<br />

zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d erkannt, an Beispielen (z. B. mittels Videographie) veranschaulicht und <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em für Eltern gedanklich und emotional nachvollziehbaren Tempo lösungsorientiert bearbeitet wer-<br />

den. Hierbei kommt es darauf an, Eltern konkretes Handlungswissen zu vermitteln, was sie wann wie<br />

tun können, um die Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d erfolgreich (d. h. zur Zufriedenheit aller Beteiligten)<br />

zu gestalten. Dabei sollten e<strong>in</strong>zelne Handlungsschritte immer unter Berücksichtigung der subjektiven<br />

Vorstellungen der Eltern selbst und der bei ihnen dadurch ausgelösten Empf<strong>in</strong>dungen „rückgekoppelt“<br />

werden: Konkretes Handlungswissen kann nur dann erfolgreich se<strong>in</strong>, wenn Eltern dieses (relativ) frei<br />

von Widerständen und Ambivalenzen <strong>in</strong> positiver Weise umsetzen können.<br />

Positive Interaktionserfahrungen mit dem K<strong>in</strong>d wirken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art „Feedbackschleife“ auf die Eltern<br />

zurück und <strong>stärken</strong> ihr Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen bzw. bauen Schuld- und<br />

„Versagensgefühle“ bezüglich der eigenen Elternrolle ab. Dies vermittelt wiederum dem K<strong>in</strong>d die<br />

lebensnotwendige gefühlte Sicherheit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sozialen Umwelt. Die Zusammenarbeit mit den Eltern<br />

wird dabei stets getragen von der wertschätzenden Grundannahme, <strong>das</strong>s jeder Elternteil <strong>das</strong> Beste für<br />

se<strong>in</strong>/ihr K<strong>in</strong>d erreichen will, es aber <strong>in</strong> manchen Situationen eventuell (noch) nicht ganz schafft, die<br />

Bedürfnisse se<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des angemessen zu befriedigen.<br />

Im Folgenden soll zunächst e<strong>in</strong> Überblick über die wichtigsten Grundannahmen und Konzepte der<br />

B<strong>in</strong>dungstheorie gegeben werden. Im Anschluss werden praktische Handlungsempfehlungen für Eltern<br />

sowie e<strong>in</strong> Überblick über gegenwärtige, b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Interventionskonzepte der<br />

Prävention und entwicklungsorientierten Beratung angeführt.<br />

5


1<br />

6<br />

Was genau ist „B<strong>in</strong>dung“?<br />

Welche Funktion erfüllt sie?<br />

Vergegenwärtigen wir uns hierzu noch e<strong>in</strong>mal die anfangs beschriebene Ausgangssituation: E<strong>in</strong>e Mutter oder<br />

e<strong>in</strong> Vater nimmt se<strong>in</strong>en gerade auf die Welt gekommenen Säugl<strong>in</strong>g auf den Arm, lässt sich von dessen<br />

Anblick emotional verzaubern und anstecken. Welche Gedanken, welche Gefühle löst der Anblick des<br />

Neugeborenen aus? Beschützungstendenzen, aktives Forschen nach den augenblicklichen Bedürfnissen<br />

des Säugl<strong>in</strong>gs, Vorsichtigkeit im Umgang mit dem Körper des K<strong>in</strong>des, Liebkosungen des K<strong>in</strong>des <strong>–</strong> diese<br />

Gefühle stellen sich meist ganz automatisch e<strong>in</strong>.<br />

Die angeborenen Verhaltensprogramme der Bezugsperson für die sogenannten Fürsorge- und Pflege-<br />

handlungen erfüllen die Funktion, dem existenziell abhängigen Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Pflegeperson an die Seite<br />

zu stellen, die für die Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des sorgt und damit se<strong>in</strong> Über-<br />

leben sichert. Der Säugl<strong>in</strong>g sendet hierzu spezifische, angeborene Kommunikationszeichen aus (z. B.<br />

We<strong>in</strong>en, Schreien) und zeigt sogenannte B<strong>in</strong>dungsverhaltensweisen („Attachment behaviour“), welche<br />

der Pflegeperson unmissverständlich signalisieren, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d im Moment existentielle Bedürfnisse<br />

hat, die es aber aufgrund se<strong>in</strong>er körperlich-psychischen Unreife noch nicht selbstständig befriedigen<br />

kann und deswegen der Unterstützung bedarf.<br />

H<strong>in</strong>ter den konkreten Verhaltensweisen der Pflegeperson bzw. des K<strong>in</strong>des stehen sogenannte „Verhal-<br />

tenssysteme“: Das Fürsorge- und <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem s<strong>in</strong>d evolutionsbiologisch verankerte,<br />

komplementäre Verhaltensprogramme, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em permanenten Abstimmungs- und Wechsel-<br />

wirkungsprozess bef<strong>in</strong>den und die primäre Funktion erfüllen, <strong>das</strong> Überleben des K<strong>in</strong>des zu garantieren.<br />

B<strong>in</strong>dung gewährt Nähe (zur Pflegeperson), Nähe gewährt Schutz, Schutz erhöht die Überlebenswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

des K<strong>in</strong>des.<br />

Interaktionale Verhaltenssysteme von B<strong>in</strong>dung und Fürsorge


1.1 B<strong>in</strong>dungsentwicklung <strong>–</strong> mehr als nur die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des<br />

Die gegenseitige Verschränkung von Fürsorge- und B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem, welche aus Sicht des K<strong>in</strong>des<br />

vor allem <strong>in</strong> der Funktion der Überlebenssicherung bzw. der Versorgung mit ausreichend Nahrung,<br />

der Wärmeregulation, der äußeren Gefahrenabwehr steht, könnte leicht dazu verleiten, sich bei der<br />

Beschreibung der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion ausschließlich auf die körperlichen Prozesse beim K<strong>in</strong>d und<br />

deren Versorgung durch die Pflegeperson zu beschränken. Die Logik könnte lauten: Wenn der Säugl<strong>in</strong>g<br />

satt, sauber und an e<strong>in</strong>em sicheren und warmen Ort „aufbewahrt“ wird, ist für se<strong>in</strong>e gedeihliche Entwicklung<br />

ausreichend gesorgt. Die E<strong>in</strong>stellung, K<strong>in</strong>der könnten sich alle<strong>in</strong> durch e<strong>in</strong>e angemessene<br />

Ernährung und Gesundheitsfürsorge normal von selbst entwickeln, galt bei vielen pädagogischen<br />

und psychologischen Fachkräften teilweise noch bis <strong>in</strong> die Mitte des vorigen Jahrhunderts h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong> gültige und anerkannte Erziehungsideologie. Systematische Untersuchungen an Heim- und<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsk<strong>in</strong>dern, die häufig wechselnder oder gar fehlender sozialer Betreuung <strong>in</strong> E<strong>in</strong>richtungen ausgesetzt<br />

s<strong>in</strong>d, deckten den folgenschweren Irrtum dieser bis dah<strong>in</strong> gängigen Lehrme<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> den 1940erund<br />

1950er-Jahren jedoch auf. Insbesondere konnte gezeigt werden, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der von Anfang an zuverlässige<br />

und fe<strong>in</strong>fühlige Bezugspersonen brauchen, um enge sozio-emotionale <strong>Band</strong>e zu ihrer Umwelt<br />

aufzubauen. Erfolgt dies nicht, haben solche K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Überlebenswahrsche<strong>in</strong>lichkeit oder<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer sozial-emotionalen Entwicklung deutlich bee<strong>in</strong>trächtigt (vgl. Spitz 1945).<br />

B<strong>in</strong>dung wird neben Nahrungsaufnahme und Sexualität als eigenständiges, primäres menschliches<br />

Bedürfnis angesehen.<br />

Diese Erkenntnisse lenkten den Blick von Forschern und Praktikern auf die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung.<br />

Obwohl die Füttersituation (z. B. über <strong>das</strong> Stillen) ohne Zweifel e<strong>in</strong>en wichtigen Handlungskontext für<br />

die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung darstellt, ist die B<strong>in</strong>dungsentwicklung per se dennoch<br />

nicht abhängig von der Befriedigung von Hunger. K<strong>in</strong>der entwickeln nämlich ebenso e<strong>in</strong>e vertrauens-<br />

volle B<strong>in</strong>dungsbeziehung zu Familienmitgliedern, die sie nur selten füttern, oder gar zu kuscheligen<br />

Objekten wie Teddybären oder Decken (nach dem englischen K<strong>in</strong>derpsychoanalytiker Donald<br />

W<strong>in</strong>nicott sog. „Übergangsobjekte“). Darüber h<strong>in</strong>aus setzt die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbe-<br />

ziehung zwischen K<strong>in</strong>d und Bezugsperson nicht zwangsläufig die biologische Verwandtschaft voraus<br />

(Bowlby 1980/2003, 1991/2003).<br />

7


8<br />

Die Entwicklung der B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d wird durch angeborene (evolutionsbiologische)<br />

Verhaltensprogramme gesteuert, die <strong>in</strong>sbesondere <strong>das</strong> physiologische Überleben des K<strong>in</strong>des sichern<br />

(Hunger stillen, Wärme herstellen etc.). Das Pflege- und Fürsorgeverhalten der Betreuungsperson wird<br />

dabei durch die B<strong>in</strong>dungsverhaltensweisen des K<strong>in</strong>des aktiviert.<br />

Die Ausbildung e<strong>in</strong>er ebenso überlebensnotwendigen vertrauensvollen B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen<br />

Eltern und K<strong>in</strong>d wird entscheidend von der regelmäßigen Verfügbarkeit und Fe<strong>in</strong>fühligkeit der Bezugsperson<br />

bestimmt, die nicht notwendigerweise für die körperliche Versorgung (<strong>in</strong>kl. Stillen) des K<strong>in</strong>des<br />

zuständig und auch nicht unbed<strong>in</strong>gt biologisch verwandt se<strong>in</strong> muss.<br />

1.2 B<strong>in</strong>dung als „psychisches Grundbedürfnis“<br />

B<strong>in</strong>dung stellt e<strong>in</strong> psychisches Grundbedürfnis dar, <strong>das</strong> unabhängig vom Nahrungstrieb existiert und<br />

nicht durch anderweitige Ersatzmittel befriedigt werden kann. Neben B<strong>in</strong>dung werden nach den beiden<br />

amerikanischen Motivationsforschern Deci und Ryan (1995) auch noch die psychischen Grundbedürfnisse<br />

von Kompetenz und Autonomie unterschieden.<br />

Das Grundbedürfnis nach B<strong>in</strong>dung steht für <strong>das</strong> Bedürfnis, enge zwischenmenschliche Beziehungen<br />

e<strong>in</strong>zugehen, sich sicher gebunden zu fühlen und sich als liebesfähig und liebenswert zu erachten. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus hat e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die angeborene Motivation zu e<strong>in</strong>er effektiven Interaktion mit der Umwelt, durch<br />

die positive Ergebnisse erzielt und negative verh<strong>in</strong>dert werden können (Kompetenz), und <strong>in</strong>nerhalb der<br />

sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d persönlich autonom und <strong>in</strong>itiativ erfahren kann (Autonomie).<br />

K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d von Geburt an soziale Wesen und darauf ausgerichtet, mit den sie umgebenden Menschen<br />

Beziehungen aufzubauen. Von Anfang an wird zwischen K<strong>in</strong>d und Eltern wechselseitig kommuniziert und<br />

<strong>in</strong>teragiert. Dies geschieht durch Lautäußerungen (zunächst We<strong>in</strong>en, später Lachen und Vokalisieren) und<br />

die Körpersprache (Anschauen, Lächeln, Strampeln, Zuwenden, Arme ausstrecken). Dabei werden nicht<br />

nur die Signale des K<strong>in</strong>des von den Eltern wahrgenommen und beantwortet, sondern <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d baut aktiv<br />

Beziehungen zu se<strong>in</strong>er sozialen Umwelt auf und kann sich, wenn se<strong>in</strong>e Signale beantwortet werden, als<br />

<strong>in</strong>itiativ und selbstwirksam erleben.<br />

(Becker-Stoll 2007)<br />

Für die weitere sozial-emotionale Entwicklung des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d diese <strong>früh</strong>en Interaktionsprozesse<br />

essentiell und nicht anderweitig kompensierbar. Ohne den Aufbau e<strong>in</strong>er vertrauensvollen und Sicher-<br />

heit spendenden B<strong>in</strong>dungsbeziehung zu m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>er primären B<strong>in</strong>dungsperson können sich Babys<br />

nicht optimal körperlich und psychisch entwickeln.


Was me<strong>in</strong>t der Begriff „B<strong>in</strong>dung“?<br />

In der B<strong>in</strong>dungstheorie hat der Begriff „B<strong>in</strong>dung“ e<strong>in</strong>e spezifische Bedeutung. Er verweist nicht auf die Dauerhaftigkeit<br />

e<strong>in</strong>er Beziehung, sondern zum e<strong>in</strong>en auf die Aktivierung speziell des B<strong>in</strong>dungssystems und <strong>das</strong><br />

damit ausgelöste B<strong>in</strong>dungsverhalten (samt begleitenden Kognitionen und Affekten), sowie zum anderen auf<br />

die spezifische (subjektive) Qualität e<strong>in</strong>es Beziehungspartners als B<strong>in</strong>dungsperson.<br />

Das „B<strong>in</strong>dungssystem“ wurde von Bowlby explizit nicht als Trieb, sondern als „zielkorrigiertes Verhaltenssystem“<br />

def<strong>in</strong>iert, <strong>das</strong> primär durch Defiziterfahrungen aktiviert wird. Dazu gehören Erfahrungen von Unsicherheit<br />

(z. B. Kummer, Not, Krankheit, Müdigkeit, Unbehagen), tatsächlich oder verme<strong>in</strong>tlich drohende<br />

Trennungen von e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson, akute Bedrohungen (<strong>in</strong>sbesondere durch unbekannte Situationen<br />

oder fremde Personen) oder auch Reizüberflutung und Überstimulation.<br />

Als „B<strong>in</strong>dungsverhalten“ gelten all jene Verhaltensweisen, die dazu geeignet s<strong>in</strong>d, sich der Nähe bzw.<br />

Erreichbarkeit der B<strong>in</strong>dungsperson zu versichern. Die Qualität „B<strong>in</strong>dungsperson“ ist nicht durch e<strong>in</strong>e äußere<br />

Beziehungskategorie (z. B. Mutter, Geschwister) def<strong>in</strong>iert, sondern durch ihre spezifische Funktion und<br />

Bedeutung, die die Person <strong>in</strong> der Beziehung für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d hat.<br />

E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung zur B<strong>in</strong>dungsperson liegt demnach vor, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d bei Bedürfnissen nach Nähe,<br />

Sicherheit, Trost und Verständnis <strong>in</strong> schwierigen oder belastenden Situationen (Aktivierung des B<strong>in</strong>dungssystems)<br />

e<strong>in</strong>e stabile Neigung zeigt, die (körperliche) Nähe und den Kontakt zu e<strong>in</strong>er oder mehreren<br />

anderen spezifischen Person(en) zu suchen und aufrechtzuerhalten, die dem K<strong>in</strong>d subjektiv e<strong>in</strong> Gefühl von<br />

physiologischer und/oder psychologischer Sicherheit vermitteln (Qualität der B<strong>in</strong>dungsperson).<br />

Die <strong>früh</strong>en B<strong>in</strong>dungserfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit haben E<strong>in</strong>fluss darauf,<br />

wie b<strong>in</strong>dungsrelevante Situationen <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit und auch im späteren Erwachsenenalter erlebt und verarbeitetet<br />

werden und wie wir Gefühle diesbezüglich wahrnehmen und regulieren. Aus den Erfahrungen<br />

mit wichtigen B<strong>in</strong>dungspersonen entwickeln sich verschiedene B<strong>in</strong>dungsmuster, wobei e<strong>in</strong>e sichere, e<strong>in</strong>e<br />

unsicher-vermeidende, e<strong>in</strong>e unsicher-ambivalente und e<strong>in</strong>e unsicher-desorganisierte B<strong>in</strong>dung unterschieden<br />

werden. Je nach Lebensalter äußern sich diese B<strong>in</strong>dungsmuster auf unterschiedliche Art und Weise.<br />

(vgl. Höger 2002; www.b<strong>in</strong>dungsdiagnostik.de)<br />

9


2<br />

10<br />

Wie entwickelt sich die B<strong>in</strong>dung<br />

zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />

2.1 Die Beziehungsaufnahme beg<strong>in</strong>nt schon vorgeburtlich<br />

Der Aufbau der B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d beg<strong>in</strong>nt schon <strong>in</strong> der vorgeburtlichen<br />

Phase. Der „direkte Draht“ der Mutter über die Nabelschnur zum K<strong>in</strong>d stellt auch aus psychologischer<br />

Sicht e<strong>in</strong> wichtiges Moment der Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung dar, <strong>das</strong> e<strong>in</strong>e unvergleichliche Beziehungsqualität<br />

zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d entstehen lassen kann. Auch wenn es hier noch zu ke<strong>in</strong>en direkten, von<br />

außen beobachtbaren Interaktionen zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d kommt <strong>–</strong> sieht man e<strong>in</strong>mal von<br />

den bedeutsamen K<strong>in</strong>dsbewegungen im Mutterleib und den elterlichen Reaktionen hierauf ab <strong>–</strong>, und<br />

damit aus b<strong>in</strong>dungstheoretischer Sicht streng genommen noch ke<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungs- und Fürsorgeverhaltensweisen<br />

auszumachen s<strong>in</strong>d, entwickeln Eltern nach Kenntnis der Schwangerschaft (evtl. auch schon<br />

vorher) doch viele Fantasien und Wunschvorstellungen <strong>in</strong> Bezug auf ihr K<strong>in</strong>d: Wird <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d gesund<br />

se<strong>in</strong>? Wird es e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Temperament haben? Wie wünsche ich mir, <strong>das</strong>s es aussieht? Welche Art<br />

von Förderung soll ihm später e<strong>in</strong>mal zugutekommen? Eltern entwickeln dabei möglicherweise e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>neres Bild vom „idealen K<strong>in</strong>d“ (imag<strong>in</strong>iertes K<strong>in</strong>d), welches später mit dem „realen K<strong>in</strong>d“ <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

gebracht werden muss. Die von Eltern wahrgenommenen K<strong>in</strong>dsbewegungen im Mutterleib<br />

können hierfür Auslöser wie auch Projektionsfläche für dem K<strong>in</strong>d zugeschriebene Eigenschaften se<strong>in</strong>:<br />

Was möchte es mir mit se<strong>in</strong>en „Tritten“ sagen? Nimmt es Kontakt mit mir auf ? Bestimmt wird es später<br />

e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> ganz aktives K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>.<br />

Aus wissenschaftlicher Sicht ist hier ergänzend anzumerken, <strong>das</strong>s bisher noch ke<strong>in</strong> Zusammenhang<br />

zwischen dem Schwangerschaftserleben der Mutter und der Qualität der postnatalen Mutter-K<strong>in</strong>d-<br />

B<strong>in</strong>dungsbeziehung nachgewiesen werden konnte (Munz 2002).<br />

Die größere biologische Nähe der Mutter zum K<strong>in</strong>d verh<strong>in</strong>dert nicht, <strong>das</strong>s auch Väter von dem vor-<br />

geburtlichen Vorstellungsprozess quasi „angesteckt“ und <strong>in</strong> diesen e<strong>in</strong>gebunden werden. Insofern kann<br />

von e<strong>in</strong>em „pränatalen Beziehungsdreieck“ gesprochen werden (von Klitz<strong>in</strong>g et al. 1999). Diese <strong>früh</strong>en<br />

„B<strong>in</strong>dungsprozesse“ auf der Vorstellungsebene s<strong>in</strong>d wichtig und helfen den emotionalen Raum vorzu-<br />

bereiten, <strong>in</strong> den <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren werden wird. Je ausgeglichener <strong>das</strong> vorgeburtliche Beziehungs-<br />

dreieck zwischen Mutter, Vater und K<strong>in</strong>d ist (jeder hat Zugang zum anderen und schließt niemanden<br />

anderen noch sich selbst aus) und je lebendiger und flexibler der elterliche Fantasieraum <strong>in</strong> Bezug auf<br />

die zukünftigen „Interaktion zu Dritt“ ausgestaltet ist, umso besser entwickelt sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langfristig<br />

(von Klitz<strong>in</strong>g & Bürg<strong>in</strong> 2005). Auf Väter kommt hierbei <strong>in</strong>sbesondere die Herausforderung zu, sich <strong>in</strong><br />

Anbetracht der symbiotischen Mutter-K<strong>in</strong>d-Dyade nicht ausgeschlossen zu fühlen, sondern sich als<br />

aktiver „Dritter im Bunde“ selbst zu begreifen und e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen (z. B. <strong>in</strong>dem der Vater am Bauch der<br />

Mutter nach den Bewegungen des K<strong>in</strong>des „lauscht“ oder die Mutter aktiv unterstützt und entlastet).


Der Beziehungsaufbau zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d (und ebenso Vater und K<strong>in</strong>d) beg<strong>in</strong>nt bereits vorgeburtlich<br />

auch auf der Vorstellungs- bzw. Fantasieebene. Je ausgeglichener und positiver die Vorstellungen der<br />

Eltern gegenüber ihrem zukünftigen K<strong>in</strong>d sowie ihrer zukünftigen „Interaktionen zu Dritt“ s<strong>in</strong>d, umso mehr<br />

werden e<strong>in</strong>e gelungene Anpassung an die zukünftige Elternschaft sowie e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung des K<strong>in</strong>des<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

Die bei beiden Elternteilen ausgelösten Gedanken und Gefühle s<strong>in</strong>d dabei nicht immer durchwegs<br />

positiv getönt (und können es auch nicht se<strong>in</strong>). In die Freude und anfängliche Euphorie mischen sich<br />

auch mögliche Sorgen und Befürchtungen bezüglich der mit dem Übergang zur Elternschaft erwarteten<br />

Veränderungen (z. B. h<strong>in</strong>sichtlich des Gesundheitszustandes des K<strong>in</strong>des, der eigenen Partnerschaft,<br />

der zukünftigen Berufsausübung). Der auch als „Ambivalenz“ bezeichnete Gefühlszustand stellt an sich<br />

e<strong>in</strong>en normalen und dem Transitionsgeschehen geschuldeten Übergangszustand dar, der bei beiden<br />

Eltern e<strong>in</strong> gesundes Maß an Ambivalenztoleranz voraussetzt. Extreme Ambivalenzen und heftige<br />

negative Affekte bezüglich der Schwangerschaft lassen auf e<strong>in</strong>en tiefer gehenden, <strong>in</strong>nerseelischen Konflikt<br />

schließen, der e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>fühlsamen therapeutischen Begleitung bedarf. Generell ist diesen bei Müttern<br />

(wie Vätern) vorgeburtlich ablaufenden Prozessen verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken, um <strong>das</strong><br />

subjektive Stresserleben (<strong>in</strong>sbesondere der Mutter) zu m<strong>in</strong>imieren bzw. weitestgehende Sicherheit und<br />

Zuversicht <strong>in</strong> Bezug auf die anstehende Geburt zu erreichen. Studien belegen, <strong>das</strong>s pränataler Stress<br />

zu Früh- und Mangelgeburtlichkeit wie auch zu e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung der emotional-behavioralen<br />

Entwicklung des Säugl<strong>in</strong>gs führen kann (Wurmser 2007).<br />

Verunsicherungen und Ängste der werdenden Mutter können auch durch <strong>früh</strong>ere Fehl- oder Todge-<br />

burten verstärkt werden, die als Traumatisierung nachwirken und durch die neue Schwangerschaft<br />

„getriggert“ werden. In solchen Fällen ist neben der mediz<strong>in</strong>ischen Begleitung stets e<strong>in</strong>e kompetente<br />

psychosoziale Begleitberatung oder gegebenenfalls Psychotherapie <strong>in</strong>diziert (Brisch 2007a). Gleiches gilt<br />

für die im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik möglicherweise ausgelösten Unsicherheiten (Angst<br />

vor Fehlbildungen des K<strong>in</strong>des etc.).<br />

11


12<br />

Die Bedeutung der Fähigkeit zur „Ambivalenztoleranz“<br />

Als e<strong>in</strong>e wichtige persönliche Kompetenz, <strong>in</strong>sbesondere im Zusammenhang mit tiefer greifenden Veränderungsprozessen<br />

im Leben, ist die sogenannte „Ambivalenztoleranz“ zu nennen. Diese bezeichnet die<br />

Fähigkeit, sowohl die „guten“ als auch die „bösen“ Aspekte der E<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>er Situation gleichzeitig<br />

zulassen zu können und diese nicht als sich gegenseitig ausschließend anzusehen. Sowohl die positiven<br />

als auch die negativen Seiten e<strong>in</strong>es Ereignisses bzw. e<strong>in</strong>er Person können akzeptiert und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sowohlals-auch-Perspektive<br />

<strong>in</strong>tegriert werden. Negative Gedanken und Gefühle gegenüber dem künftigen K<strong>in</strong>d<br />

und der Übernahme der Elternrolle stellen somit ke<strong>in</strong>e „Gefahr“ für die guten und angenehmen Seiten des<br />

Ereignisses dar und werden als normaler Bestandteil e<strong>in</strong>er realistischen Gesamte<strong>in</strong>schätzung erlebt.<br />

Ist die Fähigkeit zur „Ambivalenztoleranz“ nicht h<strong>in</strong>reichend genug entwickelt (worden), kann dies zu e<strong>in</strong>er<br />

dysfunktionalen bzw. die Anpassung erschwerenden Aufspaltung der Situationswahrnehmung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „nur<br />

positive“ oder „nur negative“ Erlebnisweise führen. Insbesondere bei tief greifenden Umwälzungssituationen,<br />

wie sie auch der Übergang zur Elternschaft darstellt, kann die vormals bestehende psychische Stabilität<br />

(vorübergehend) e<strong>in</strong>er erhöhten Belastung ausgesetzt se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e ganzheitliche Wahrnehmung der<br />

Situation verh<strong>in</strong>dern. Eltern, die e<strong>in</strong>er solchen Wahrnehmungspolarisierung verfallen, sehen nur noch die<br />

negativen Aspekte der künftigen Elternschaft bzw. wehren alle positiven und bereichernden Aspekte dieser<br />

Entwicklungsherausforderung ab. Eventuell projizieren sie auch den eigenen Ärger und Aggressionen auf<br />

den/die Partner/<strong>in</strong>, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d oder die Gesamtsituation.<br />

Die Fähigkeit zur Ambivalenztoleranz ist somit e<strong>in</strong>e sehr wichtige Grundfähigkeit zur erfolgreichen Anpassung<br />

und Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft. Dieser gilt es <strong>in</strong> der praktischen Arbeit mit durch die<br />

werdende Elternschaft belasteten Müttern und Vätern gezielt Aufmerksamkeit zu schenken.<br />

Bereits <strong>in</strong> der vorgeburtlichen Phase wird die enge Verschränkung von körperlichen und seelisch-<br />

emotionalen Prozessen deutlich.<br />

2.2 Stufen der B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />

Die nachgeburtliche B<strong>in</strong>dungsentwicklung vollzieht sich dem gegenwärtigen Forschungsstand zufolge <strong>in</strong><br />

vier Phasen (vgl. Berk 2005; Oerter & Montada 2002; Siegler et al. 2005).<br />

1. Vorphase der B<strong>in</strong>dung (Geburt bis ca. 12 Wochen)<br />

In diesem Lebensabschnitt können wir noch nicht von e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung im eigentlichen S<strong>in</strong>ne sprechen.<br />

Vielmehr verhelfen angeborene Signale wie <strong>das</strong> Greifen, Lächeln, We<strong>in</strong>en oder der Blick <strong>in</strong> die Augen<br />

des Erwachsenen dem Säugl<strong>in</strong>g dazu, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en engen Kontakt mit anderen Menschen zu treten und sich<br />

deren Nähe zu „sichern“. Eltern reagieren mit ihrem Fürsorgeverhalten von Geburt an meist <strong>in</strong>tuitiv<br />

richtig auf die Signale ihres K<strong>in</strong>des, <strong>in</strong>dem sie mit dem Säugl<strong>in</strong>g beispielsweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dgerechten


Art und Weise, <strong>in</strong> der sogenannten Ammensprache („baby-talk“) kommunizieren. Es kommt <strong>in</strong> dieser<br />

<strong>früh</strong>en Entwicklungsphase vor allem auf fe<strong>in</strong>fühlige Kooperationen, sanfte Pflegeabläufe und Fürsorge<br />

zur Unterstützung der k<strong>in</strong>dlichen Regulationsfähigkeiten an. Dabei hat der Körper- und Hautkontakt<br />

zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und K<strong>in</strong>d von Anfang an e<strong>in</strong>e herausragende Bedeutung für die Ausbildung<br />

e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen beiden und e<strong>in</strong>e gesunde psychische Entwicklung des K<strong>in</strong>des. Insbe-<br />

sondere (aber nicht nur) bei zu <strong>früh</strong> geborenen K<strong>in</strong>dern erweist sich der Hautkontakt zwischen Baby<br />

und Eltern als überlebenswichtig. Babys erkennen <strong>in</strong> diesem Alter die eigene Mutter bereits am Geruch<br />

und an der Stimme. Allerd<strong>in</strong>gs zeigen Säugl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> diesem Alter noch ke<strong>in</strong>e Präferenz für e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

B<strong>in</strong>dungsperson (z. B. die Mutter), was daran zu erkennen ist, <strong>das</strong>s es sie für gewöhnlich nicht irritiert,<br />

bei e<strong>in</strong>er ihnen unbekannten Person zu bleiben. Diese Phase wird deswegen auch als „Vorphase der<br />

B<strong>in</strong>dung“ bezeichnet.<br />

Babys s<strong>in</strong>d von Geburt an kommunikative und soziale Wesen. Sie verfügen über vielerlei Möglichkeiten,<br />

Aufmerksamkeit zu gew<strong>in</strong>nen. Achten Sie darauf, wie Babys Kontakt mit Ihnen herstellen, <strong>in</strong>dem sie den<br />

Kopf neigen, mit den Zehen wackeln, Ihnen <strong>in</strong> die Augen schauen, e<strong>in</strong>en Gegenstand hochhalten, lächeln<br />

und Laute von sich geben. „Gespräche“ mit Babys f<strong>in</strong>den durch körperliche Nähe, Blickkontakt, Berührungen<br />

und den richtigen E<strong>in</strong>satz der Stimme statt. Gehen Sie so auf Ihr Baby e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s es sich verstanden fühlt,<br />

wenn es hungrig, müde, glücklich, traurig oder e<strong>in</strong>sam ist und sprechen Sie <strong>das</strong> wahrgenommene Gefühl<br />

bewusst an.<br />

(Bertelsmann Stiftung & Staats<strong>in</strong>stitut für Frühpädagogik 2006)<br />

2. Phase des B<strong>in</strong>dungsaufbaus (ca. 12. Woche bis ca. 6. <strong>–</strong> 8. Monat)<br />

In diesem Entwicklungszeitraum durchläuft <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en „biosozialen Verhaltensschub“. Der Säugl<strong>in</strong>g<br />

beg<strong>in</strong>nt allmählich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Verhaltensreaktionen Unterschiede zwischen ihm vertrauten und unbekannten<br />

Personen zu machen. Das K<strong>in</strong>d zeigt e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tentionales „soziales Lächeln“, <strong>das</strong> sich vom vormaligen,<br />

eher reflexhaften Lächeln unterscheidet. Se<strong>in</strong> Orientierungsverhalten beschränkt sich zunehmend auf<br />

ihm bekannte Bezugspersonen. So lächelt, lacht und plappert e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Zeit ungeh<strong>in</strong>derter <strong>in</strong><br />

der Interaktion mit se<strong>in</strong>er vertrauten Bezugsperson und lässt sich von dieser auch schneller beruhigen<br />

als von fremden Personen. Indem <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d wiederholt die Erfahrung macht, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale bei<br />

den Bezugspersonen unmittelbare Reaktionen hervorrufen (z. B. bei Kummer getröstet zu werden),<br />

entwickelt es e<strong>in</strong> Gefühl von Vertrauen und Zuverlässigkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Bezugsperson. K<strong>in</strong>der zeigen <strong>in</strong><br />

diesem Alter allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>e Anzeichen von Trennungsprotest und Trennungsangst, wenn sich<br />

die primäre B<strong>in</strong>dungsperson entfernt.<br />

13


14<br />

3. Phase der ausgeprägten B<strong>in</strong>dung (ca. 6. <strong>–</strong> 8. Monat bis ca. 18. Monat)<br />

In diesem Entwicklungsstadium kann erstmals vom Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „richtigen“ B<strong>in</strong>dung zwischen<br />

Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d und Bezugsperson gesprochen werden. Beim K<strong>in</strong>d können e<strong>in</strong>e Reihe von Verhaltensmustern<br />

beobachtet werden, die Ausdruck für se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e bestimmte Person (meist die Mutter) s<strong>in</strong>d.<br />

In diesem Entwicklungsstadium ist <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d „geistig reif“, die B<strong>in</strong>dungsperson zu vermissen. So sucht es<br />

zum Beispiel nach Personen oder D<strong>in</strong>gen, die es nicht sieht. Die B<strong>in</strong>dungsperson ist <strong>das</strong> Zentrum der<br />

Orientierung und des Wohlbef<strong>in</strong>dens des K<strong>in</strong>des.<br />

Die Signale des K<strong>in</strong>des und se<strong>in</strong>e Orientierung oder Bewegungen dienen dazu, die Nähe zur Mutter<br />

herzustellen. Zu diesen Signalen gehören <strong>das</strong> „differenzierende We<strong>in</strong>en“, welches <strong>das</strong> Baby hören lässt,<br />

wenn es von jemand anderem (fremden) gehalten wird, und <strong>das</strong> sofort aufhört, wenn die Mutter <strong>das</strong><br />

K<strong>in</strong>d aufnimmt. Weiter zählen dazu <strong>das</strong> „differenzierende Lächeln und Vokalisieren“, bei dem <strong>das</strong> Baby<br />

<strong>in</strong> der Interaktion mit der Mutter deutlich mehr Signale als im Kontakt zu anderen Personen zeigt.<br />

Schließlich gehören auch <strong>das</strong> We<strong>in</strong>en und die Protestreaktionen des K<strong>in</strong>des beim Weggehen der Mutter<br />

sowie <strong>das</strong> Begrüßungsverhalten des K<strong>in</strong>des (gerichtetes Anlächeln, die Arme heben oder <strong>in</strong> die Hände<br />

klatschen und freudige Laute äußern) nach e<strong>in</strong>er Trennungsepisode dazu. Das K<strong>in</strong>d sucht somit aktiv<br />

Kontakt zu se<strong>in</strong>er ihm vertrauten Bezugsperson oder zeigt deutliches Unbehagen und Protest, wenn diese<br />

sich entfernen will. Sofern <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d körperlich dazu schon <strong>in</strong> der Lage ist, folgt es der B<strong>in</strong>dungsperson<br />

<strong>in</strong> der Trennungssituation, versucht an ihr hochzuklettern und ihre Gegenwart nicht zu verlieren. Die<br />

B<strong>in</strong>dungsperson wird zur „sicheren Basis“ des K<strong>in</strong>des (A<strong>in</strong>swort 1964/2003; Bowlby 1980/2003).<br />

Im Gegensatz zu e<strong>in</strong>em genetisch festgelegten, „<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv“ ablaufenden Verhalten, besteht die<br />

Besonderheit der Entwicklung der B<strong>in</strong>dungsbeziehung <strong>in</strong> deren Individualisierung. B<strong>in</strong>dung ist e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>tensives, lang anhaltendes emotionales <strong>Band</strong> zu e<strong>in</strong>er ganz bestimmten Person, die nicht austauschbar<br />

ist (Bowlby 1987/2003).<br />

Die Spezifität der B<strong>in</strong>dung an besondere Personen wird <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres<br />

zunehmend deutlich, wenn weitere B<strong>in</strong>dungen zu dem K<strong>in</strong>d unbekannten Personen durch <strong>das</strong> soge-<br />

nannte Fremdeln („Acht-Monats-Angst“) erschwert werden. Das K<strong>in</strong>d differenziert zwischen vertrauten<br />

Personen, zu denen es e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung aufgebaut hat, und Fremden, zu denen ke<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung besteht.<br />

Durch die zunehmenden motorischen Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des wird die B<strong>in</strong>dungsperson während ihrer<br />

Gegenwart vom K<strong>in</strong>d als sichere Basis genutzt, von der aus <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d es sich zutrauen kann, die weitere<br />

Umgebung auszukundschaften, sowie sie für die Bewältigung se<strong>in</strong>er Kummererlebnisse (Trennung,


Anwesenheit fremder Personen, Krankheit etc.) zu benutzen. Die regelmäßige Rückkehr zur Mutter<br />

nach Phasen der Exploration lässt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d bei der B<strong>in</strong>dungsperson „emotional auftanken“, um wieder<br />

Sicherheit zu f<strong>in</strong>den und <strong>das</strong> vorübergehend erhöhte psychophysiologische Erregungsniveau abzu-<br />

senken („sicherer Hafen“). Sicherheit vermittelt dem K<strong>in</strong>d während se<strong>in</strong>er Explorationsphasen auch<br />

die Rückversicherung des eigenen Blickes zur B<strong>in</strong>dungsperson, welche <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d dabei aufmerksam und<br />

wohlwollend beobachten und sprachlich, mimisch und gestisch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Tun ermutigen sollte („social<br />

referenc<strong>in</strong>g“). Das K<strong>in</strong>d lernt auf diese Weise auch vielfältige Formen der Nähe-Distanz-Regulierung<br />

auszuprobieren.<br />

Das K<strong>in</strong>d kann bereits <strong>früh</strong> zwischen Bezugspersonen und Fremden unterscheiden. Fremde werden<br />

gemieden, zu B<strong>in</strong>dungspersonen wird der Kontakt aufrechterhalten. Das „Fremdeln“ ist somit Ausdruck<br />

von B<strong>in</strong>dung und e<strong>in</strong> normaler Vorgang. Die Bezugsperson wird zur sicheren Basis. Hier starten K<strong>in</strong>der ihre<br />

Exploration und dorth<strong>in</strong> kehren sie zurück, um Sicherheit „zu tanken“ und Erregung regulieren zu lernen.<br />

Entfernt sich die Bezugsperson (Trennung) und/oder hat <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d Angst, so reagiert <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit<br />

B<strong>in</strong>dungsverhalten (z. B. We<strong>in</strong>en).<br />

4. B<strong>in</strong>dungsdifferenzierung und Aufbau reziproker Beziehungen (ca. 18. <strong>–</strong> 24. Monat und darüber h<strong>in</strong>aus)<br />

In diesem Altersstadium kommt es zu e<strong>in</strong>em rapiden Anstieg der Entwicklungsfortschritte des K<strong>in</strong>des,<br />

<strong>in</strong>sbesondere im Bereich der kognitiven und sprachlichen Entwicklung. Gegen Ende des zweiten<br />

Lebensjahres ist es dem K<strong>in</strong>d möglich, e<strong>in</strong>ige der Gründe zu verstehen, die e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf <strong>das</strong><br />

Kommen und Gehen der Eltern haben und ihre Wiederkehr e<strong>in</strong>leiten. Die Gefühle, Ziele und Motive<br />

der Eltern werden vom K<strong>in</strong>d besser verstanden und es nutzt dieses Verständnis, <strong>in</strong>dem es se<strong>in</strong>e Anstrengungen<br />

darauf ausrichtet, <strong>in</strong> der Nähe der Eltern zu bleiben und bei drohenden Trennungssituationen<br />

mit diesen zu „verhandeln“ oder sie umzustimmen. Mit der geistigen Fähigkeit des K<strong>in</strong>des, sich<br />

allmählich Zukunft (und damit Zeitdimensionen) vorzustellen, kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mithilfe von Wörtern<br />

und Sprache (vorübergehende) Trennungen von der B<strong>in</strong>dungsperson tolerieren.<br />

Bowlby bezeichnete diese Art der B<strong>in</strong>dungsbeziehung als e<strong>in</strong>e „zielkorrigierte Partnerschaft“, <strong>in</strong> der<br />

beide Partner (Elternteil und K<strong>in</strong>d) <strong>in</strong> die Beziehung ihre emotional wichtigen Ziele e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, die<br />

Interessen des anderen anhören und reflektieren und die jeweiligen Ziele schließlich aushandeln und<br />

gegenseitig anpassen. Das K<strong>in</strong>d nimmt ab diesem Entwicklungszeitpunkt im Vergleich zu <strong>früh</strong>er e<strong>in</strong>e<br />

deutlich aktivere Rolle <strong>in</strong> der Beziehungsgestaltung e<strong>in</strong> und der Trennungsstress geht <strong>in</strong>sgesamt zurück.<br />

Das Fremdeln dauert etwa bis zum 30. Lebensmonat des K<strong>in</strong>des an, nach dem dritten Lebensjahr<br />

nehmen Fremdeln und Trennungsangst immer mehr ab.<br />

15


16<br />

E<strong>in</strong> Beispiel für die aktivere Rolle des K<strong>in</strong>des im B<strong>in</strong>dungs- und Trennungsgeschehen s<strong>in</strong>d die sich<br />

abspielenden Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen, wenn die Eltern ausgehen und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d beim Babysitter lassen<br />

wollen und mit ihm den Zeitpunkt der Rückkehr „nachverhandeln“ müssen.<br />

Im Verlaufe dieser vier Phasen entwickelt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e emotionale B<strong>in</strong>dung an se<strong>in</strong>e zentralen Bezugs-<br />

personen, wobei <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mehrere B<strong>in</strong>dungen zu verschiedenen Personen aufbauen kann, die sich<br />

h<strong>in</strong>sichtlich ihrer B<strong>in</strong>dungsqualität unterscheiden können und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungshierarchie organisiert<br />

s<strong>in</strong>d („multiple B<strong>in</strong>dungen“). So kann e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d aufgrund positiver Erfahrungen e<strong>in</strong>e gute B<strong>in</strong>dungsbe-<br />

ziehung zur Mutter aufbauen, während h<strong>in</strong>gegen die B<strong>in</strong>dungsqualität zum Vater weniger vertrauens-<br />

voll oder sogar unsicher se<strong>in</strong> kann (oder umgekehrt). Diejenige B<strong>in</strong>dungsperson, die am kompetentesten<br />

die Beunruhigung des K<strong>in</strong>des durch liebevolles und fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten aufzulösen vermag, wird zur<br />

Hauptb<strong>in</strong>dungsperson. Nachgeordnete B<strong>in</strong>dungspersonen werden vom K<strong>in</strong>d für kle<strong>in</strong>ere Beunruhigungen<br />

oder <strong>in</strong> Zeiten, <strong>in</strong> denen die Hauptb<strong>in</strong>dungsperson nicht verfügbar ist, „verwendet“.<br />

Die Qualität der B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen K<strong>in</strong>d und B<strong>in</strong>dungsperson ist nicht auf andere Personen<br />

„übertragbar“, sondern immer <strong>das</strong> Resultat der <strong>in</strong>dividuellen Lern- und Erfahrungsgeschichte zwischen<br />

K<strong>in</strong>d und Bezugsperson.<br />

2.3 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als <strong>in</strong>teraktiver Prozess<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Annahme der B<strong>in</strong>dungstheorie von Bowlby besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />

beim Menschen durch e<strong>in</strong>en sozialen Lernprozess ausgeformt bzw. aufgebaut werden muss. Das K<strong>in</strong>d<br />

kommt somit nicht mit e<strong>in</strong>er Anlage zur sicheren B<strong>in</strong>dung auf die Welt, sondern ist (<strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> <strong>früh</strong>en Jahren) <strong>in</strong> höchstem Maß abhängig von bestimmten „Qualitätsmerkmalen“ des zwischenmenschlichen<br />

Umgangs mit se<strong>in</strong>en Bezugspersonen. Die B<strong>in</strong>dungsentwicklung wird als e<strong>in</strong> Prozess verstanden,<br />

der m<strong>in</strong>destens zwei Personen (die B<strong>in</strong>dungsperson und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d) umfasst und die wechselseitigen<br />

Interaktionsabläufe zwischen diesen zum Gegenstand hat. Dabei haben <strong>in</strong>sbesondere <strong>das</strong> fe<strong>in</strong>fühlige<br />

Verhalten der B<strong>in</strong>dungsperson sowie deren „<strong>in</strong>neres Modell“ von B<strong>in</strong>dung wie auch Verhaltensdispositionen<br />

des K<strong>in</strong>des selbst (<strong>das</strong> sog. „Temperament“) entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf <strong>das</strong> Gel<strong>in</strong>gen<br />

e<strong>in</strong>es sensibel abgestimmten Interaktionsablaufs und damit auf die sichere B<strong>in</strong>dungsentwicklung des<br />

K<strong>in</strong>des.<br />

2.4 B<strong>in</strong>dungserfahrungen werden vom K<strong>in</strong>d ver<strong>in</strong>nerlicht<br />

Aus unzähligen tagtäglichen Interaktionserlebnissen zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und Säugl<strong>in</strong>g entwickelt<br />

<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d im Laufe des ersten Lebensjahres Vorstellungen (mentale Repräsentationen) des Verhaltens


und der damit verbundenen Affekte von sich, der B<strong>in</strong>dungsperson sowie der Beziehung zwischen diesen<br />

<strong>–</strong> die sogenannten <strong>in</strong>neren Arbeitsmodelle von B<strong>in</strong>dung („<strong>in</strong>ner work<strong>in</strong>g model“). K<strong>in</strong>der verallgeme<strong>in</strong>ern<br />

dabei die <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsbeziehungen gemachten Erfahrungen von Unterstützung und Wertschätzung<br />

oder auch Zurückweisung durch die Bezugspersonen auf die Erwartung von allgeme<strong>in</strong>er Wertschätzung<br />

bzw. Ablehnung durch andere.<br />

Die <strong>in</strong>neren Arbeitsmodelle haben die Funktion, <strong>das</strong> Verhalten der Bezugsperson(en) <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungssitua-<br />

tionen vorhersagbar zu machen. Es handelt sich dabei um e<strong>in</strong>e Reihe von ver<strong>in</strong>nerlichten Erwartungen<br />

an die Verfügbarkeit und Bereitschaft der jeweiligen B<strong>in</strong>dungsperson, dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er stressreichen<br />

Situationen Schutz, Trost und Unterstützung zu geben. Für jede e<strong>in</strong>zelne Bezugsperson (z. B. Mutter<br />

oder Vater) werden eigenständige „Arbeitsmodelle“ entwickelt.<br />

Das <strong>in</strong>nere Modell erfüllt auch die Funktion, dem K<strong>in</strong>d trotz der Abwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson<br />

die Gewissheit zu vermitteln, über e<strong>in</strong>e „sichere Basis“ zu verfügen, von der aus es die Welt erkunden<br />

kann. Das bedeutet: Trotz physischer Abwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d an sie denken<br />

und sie er<strong>in</strong>nern (Symbolisierung, Personenpermanenz) und sich dadurch sicher fühlen. Folglich trägt<br />

die Symbolisierungsfähigkeit des K<strong>in</strong>des bzw. se<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Modell sicherer B<strong>in</strong>dung dazu bei, von der<br />

unmittelbaren Anwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson bzw. ihren zuwendenden und sicherheitsspendenden<br />

Funktionen allmählich unabhängiger zu werden. Damit können unbekannte Situationen vom K<strong>in</strong>d<br />

zunehmend auch alle<strong>in</strong>e bewältigt werden, und es kann darauf vertrauen, sich „im Notfall“ wieder an<br />

die B<strong>in</strong>dungsperson wenden zu können (Bretherton 2003).<br />

In der heutigen B<strong>in</strong>dungsforschung wird davon ausgegangen, <strong>das</strong>s diese geistigen Repräsentationen <strong>in</strong><br />

Form von Ereignisschemata, den sogenannten „Skripts“, im Gedächtnis gespeichert werden (Bretherton<br />

1991). Ereignisschemata enthalten Vorstellungen bzw. Vorannahmen über bestimmte Situationen und<br />

Menschen wie auch über deren Beziehung untere<strong>in</strong>ander und erlauben e<strong>in</strong>e entsprechende Vorhersage<br />

über die Ereignisse.<br />

K<strong>in</strong>der, die von Geburt an die Erfahrung machen, <strong>das</strong>s ihre Äußerungen sofort beantwortet und verstanden<br />

werden, lernen, <strong>das</strong>s sie sich bei Unwohlse<strong>in</strong> auf ihre Hauptbezugspersonen verlassen können: „Immer<br />

wenn ich traurig b<strong>in</strong> und getröstet werden möchte, erlebe ich, <strong>das</strong>s me<strong>in</strong>e Mutter me<strong>in</strong>en Kummer wahrnimmt,<br />

diesen anspricht und mir Nähe und Trost zum Bewältigen me<strong>in</strong>er Gefühle gibt. Dadurch lerne ich<br />

darauf zu vertrauen, mich immer an sie wenden zu können.“<br />

17


18<br />

Das <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell von B<strong>in</strong>dung basiert auf den <strong>früh</strong>en Erfahrungen des K<strong>in</strong>des mit se<strong>in</strong>er<br />

jeweiligen Bezugsperson, <strong>in</strong> deren Verlauf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> Ausmaß an Zuverlässigkeit entdecken konnte,<br />

mit dem se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse befriedigt wurden und damit <strong>in</strong>sgesamt zu se<strong>in</strong>em Sicherheitsgefühl<br />

<strong>in</strong> der Welt („Urvertrauen“) beigetragen wurde. Diese <strong>in</strong>nere Repräsentation wird somit zu e<strong>in</strong>er Art<br />

„H<strong>in</strong>tergrundfolie“ für alle zukünftigen Beziehungen. Wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d von Beg<strong>in</strong>n an die Erfahrung<br />

machen darf, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Bezugsperson zugänglich und imstande ist, se<strong>in</strong>e augenblickliche Bedürfnislage<br />

zu erkennen, e<strong>in</strong>fühlsam darauf zu reagieren und diese geme<strong>in</strong>sam mit dem K<strong>in</strong>d zu bewältigen, dann<br />

wird <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Zukunft erwarten, <strong>das</strong>s zwischenmenschliche Beziehungen <strong>in</strong>sgesamt etwas Erfreu-<br />

liches s<strong>in</strong>d, anderen Menschen vertraut werden kann und es selbst der Fürsorge und Liebe wert ist.<br />

Erfährt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen durchgehend Unverständnis und mangelnde E<strong>in</strong>fühlsamkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Bedürfnislage, dann wird es ke<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> sich und andere Menschen aufbauen können, e<strong>in</strong>e<br />

negative E<strong>in</strong>schätzung von Beziehungen allgeme<strong>in</strong> entwickeln und darüber h<strong>in</strong>aus lernen, sich <strong>in</strong> Situ-<br />

ationen der Hilfsbedürftigkeit nicht an se<strong>in</strong> soziales Umfeld zu wenden bzw. stattdessen mit se<strong>in</strong>er Not<br />

„lieber“ alle<strong>in</strong>e bleiben zu wollen. Die Entwicklung der <strong>in</strong>neren Repräsentationen des Selbst, der B<strong>in</strong>-<br />

dungspersonen und der Beziehungen im Allgeme<strong>in</strong>en verläuft dabei sehr eng mite<strong>in</strong>ander „verzahnt“<br />

(Bretherton 2003).<br />

Das <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell von B<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des ist anfangs noch flexibel, wird aber im weiteren<br />

Entwicklungsverlauf zunehmend stabiler und entwickelt sich h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er psychischen Repräsentanz,<br />

der sogenannten „B<strong>in</strong>dungsrepräsentation“. B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen können teils bewusst, teils unbe-<br />

wusst se<strong>in</strong>. Im Laufe des Lebens kann sich die allgeme<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsrepräsentanz durch bedeutungsvolle<br />

Beziehungserfahrungen mit anderen Personen verändern. So kann beispielsweise e<strong>in</strong>e vertrauensvolle<br />

und positiv erlebte Partnerschaft für e<strong>in</strong>en Menschen mit eher unsicherem B<strong>in</strong>dungsmodell e<strong>in</strong>e heilsame<br />

Wirkung bezüglich se<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong> erlebten Unsicherheit <strong>in</strong> Beziehungen entfalten und somit se<strong>in</strong>e<br />

psychische Repräsentanz von B<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Richtung Sicherheit modifizieren. Gleichfalls können e<strong>in</strong>-<br />

schneidende Erlebnisse, wie etwa plötzliche Verluste oder andere unvorhergesehene, traumatische<br />

Erfahrungen, <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell zu e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>dungsrepräsentanz verändern. Im Laufe<br />

der Zeit wird dies aber immer schwieriger, da sich <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell mit zunehmendem Alter<br />

verfestigt.<br />

„Innere Arbeitsmodelle“ von B<strong>in</strong>dung s<strong>in</strong>d nicht statisch, sondern können durch positive wie negative<br />

emotionale Erfahrungen im Laufe des Lebens verändert werden. Mit zunehmendem Alter verfestigen sich<br />

jedoch die <strong>in</strong>neren Erwartungshaltungen <strong>in</strong> Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen. Entscheidend<br />

für die Kont<strong>in</strong>uität sicherer B<strong>in</strong>dungsrepräsentation sche<strong>in</strong>t vor allem die zeitliche Konstanz positiver<br />

Beziehungserfahrungen zu se<strong>in</strong>.


2.5 B<strong>in</strong>dungserfahrungen wirken sich auf die Entwicklung des Gehirns aus<br />

Erkenntnisse der Neurobiologie und Gehirnforschung belegen, <strong>das</strong>s sich <strong>früh</strong>e B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />

auf die Entwicklung des Gehirns auswirken. Das k<strong>in</strong>dliche Gehirn erfährt <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren<br />

e<strong>in</strong> enormes Wachstum und e<strong>in</strong>e starke Verdichtung neuronaler Netzwerke. Fe<strong>in</strong>fühlige Interaktionen<br />

zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und K<strong>in</strong>d stimulieren mehrere Gehirnareale gleichzeitig, was Voraussetzung<br />

für die neuronale Vernetzung und damit für <strong>das</strong> Hirnwachstum ist.<br />

Die <strong>früh</strong>k<strong>in</strong>dlichen emotionalen Erfahrungen bee<strong>in</strong>flussen die funktionelle Entwicklung des Gehirns<br />

und führen zur Entstehung von neuen (sensorischen, motorischen und limbischen) Schaltkreisen im<br />

Gehirn, die wiederum e<strong>in</strong>e optimale Leistungsfähigkeit und Anpassung an die Umwelt ermöglichen.<br />

Fehlt e<strong>in</strong>e entsprechende Stimulation (z. B. bei Deprivation, Isolation, fehlender Anregung), dann<br />

entwickeln sich diese hochkomplexen Strukturen im Gehirn nur unzureichend und erschweren somit<br />

die Anpassung an die Herausforderungen alterstypischer Entwicklungsaufgaben.<br />

(Becker-Stoll 2007)<br />

2.6 B<strong>in</strong>dungsentwicklung als lebenslanger Prozess<br />

Das erste Lebensjahr ist sehr entscheidend für die B<strong>in</strong>dungsentwicklung des K<strong>in</strong>des. In dieser Zeit<br />

werden die Strukturen aufgebaut, die später e<strong>in</strong>e Basis für die Wahrnehmung und Bewertung der <strong>in</strong><br />

zwischenmenschlichen Beziehungen gemachten Erfahrungen bilden. E<strong>in</strong>e zentrale Erkenntnis der B<strong>in</strong>dungsforschung<br />

besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sich die <strong>in</strong> <strong>früh</strong>er K<strong>in</strong>dheit erworbenen Muster auch auf weitere<br />

Beziehungen auswirken. B<strong>in</strong>dung ist somit nicht als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>mal aufgebauter und dann unveränderlicher<br />

Zustand zu betrachten, sondern als e<strong>in</strong> Prozess, der sich „von der Wiege bis zur Bahre“ weiterentwickelt.<br />

Die Neigung, starke emotionale B<strong>in</strong>dungen zu anderen Menschen aufzubauen, ist e<strong>in</strong> grundlegender<br />

Teil der menschlichen Natur, der bereits beim Neugeborenen vorhanden ist und bis <strong>in</strong>s hohe Alter<br />

bestehen bleibt (A<strong>in</strong>sworth 1985/2003).<br />

Das Bedürfnis nach Unterstützung <strong>in</strong> belastenden Situationen ist e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> menschliches, <strong>das</strong><br />

nicht nur K<strong>in</strong>der betrifft. In der B<strong>in</strong>dungstheorie wird die Fähigkeit, B<strong>in</strong>dungen zu anderen Personen<br />

aufzubauen, als Merkmal e<strong>in</strong>er „funktionierenden“ Persönlichkeit angesehen.<br />

19


3<br />

20<br />

Woran erkennt man e<strong>in</strong>e „gute“ B<strong>in</strong>dung?<br />

E<strong>in</strong>e gute B<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>er Person besteht nach Grossmann und Grossmann (2004) dann, wenn diese<br />

Person <strong>in</strong>sbesondere bei Belastung und <strong>in</strong> fremder Umgebung <strong>das</strong> Zentrum der Orientierung des K<strong>in</strong>-<br />

des ist. Das K<strong>in</strong>d muss sich <strong>in</strong> der unmittelbaren Nähe dieser Person entspannen können und se<strong>in</strong>e<br />

Angst verlieren, sie als Sicherheitsbasis für se<strong>in</strong>e Explorationen der Umgebung nutzen und sie bei dabei<br />

aufkommendem Unbehagen aufsuchen. Das B<strong>in</strong>dungskonzept ist somit durch den im Rahmen der<br />

B<strong>in</strong>dungsbeziehung vom K<strong>in</strong>d erworbenen Sicherheitsaspekt def<strong>in</strong>iert, im <strong>in</strong>neren Arbeitsmodell<br />

abgespeichert und zeigt sich auf der subjektiven Ebene <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er erfolgreichen Stressregulation<br />

bzw. M<strong>in</strong>derung des Erregungszustandes des K<strong>in</strong>des. Dieses vom K<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Stressregulation erlebte Sicherheitsgefühl lässt sich auch psychophysiologisch <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Reduktion<br />

der Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel nachweisen. Das K<strong>in</strong>d wird immer „prüfen“,<br />

ob se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson zugänglich und reaktionsbereit ist, sich se<strong>in</strong>er aktuellen Bedürfnislage anzuneh-<br />

men, und se<strong>in</strong> Verhalten danach ausrichten, <strong>in</strong>dem es zum Beispiel nach ihrer Aufmerksamkeit verlangt,<br />

mit ihr redet oder se<strong>in</strong> Spiel <strong>in</strong> ihr Blickfeld verlegt. Erlebt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Bezugsperson als zuverlässig<br />

emotional verfügbar, lernt es Stress schneller zu regulieren.<br />

Kriterien für <strong>das</strong> Bestehen e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>er Person<br />

1. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d nutzt e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson als „sicheren Hafen“, als Ort der Sicherheit und des Schutzes,<br />

besonders <strong>in</strong> fremder Umgebung. Bei Angst flieht es zur B<strong>in</strong>dungsperson. Ohne sie s<strong>in</strong>d unvertraute<br />

Situationen belastender als mit ihr.<br />

2. E<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson funktioniert als Sicherheitsbasis des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des, von der aus es exploriert. Dabei<br />

vergewissert es sich stets, wo die B<strong>in</strong>dungsperson ist und ob sie auf es achtet, selbst wenn es nicht<br />

direkt mit ihr spielen will.<br />

3. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d protestiert <strong>in</strong> unvertrauter Umgebung gegen e<strong>in</strong>e Trennung von der B<strong>in</strong>dungsperson. Es<br />

vermisst sie, wenn sie nicht da ist, und lässt sich gut von ihr beruhigen.<br />

4. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d wird eifersüchtig, wenn die B<strong>in</strong>dungsperson Zuneigung zu e<strong>in</strong>em anderen K<strong>in</strong>d zeigt.<br />

5. KEINE B<strong>in</strong>dung besteht wahrsche<strong>in</strong>lich dann, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Bevorzugung dieser Person bei<br />

Belastung erkennen lässt, sich wenig um ihren Verbleib kümmert, ke<strong>in</strong> Trennungsleid oder Vermissen<br />

zeigt und ke<strong>in</strong>e Erleichterung und ke<strong>in</strong>en Sicherheitsgew<strong>in</strong>n aus ihrer Gegenwart zieht.<br />

(nach: A<strong>in</strong>sworth et al. 1967, zit. n. Grossmann & Grossmann 2004)<br />

Wenn davon ausgegangen werden kann, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsqualität e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des sowie se<strong>in</strong> im Laufe der<br />

Zeit entwickeltes „<strong>in</strong>neres Arbeitsmodell“ von B<strong>in</strong>dung <strong>das</strong> Resultat unzähliger, tagtäglicher Interaktionen<br />

zwischen Bezugsperson und K<strong>in</strong>d ist, und der entwicklungsförderliche Effekt der B<strong>in</strong>dungsbeziehung im<br />

Aufbau des Sicherheitsgefühls beim K<strong>in</strong>d besteht, dann müsste sich folglich <strong>in</strong> Situationen, die <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

verunsichern, anhand se<strong>in</strong>er Verhaltensreaktionen ablesen lassen, wie gut es an se<strong>in</strong>e Bezugsperson<br />

gebunden ist (oder nicht).


3.1 Trennungs- und Wiedervere<strong>in</strong>igungssituationen als „Gradmesser“ der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

im <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>desalter<br />

Die amerikanische Entwicklungspsycholog<strong>in</strong> und B<strong>in</strong>dungsforscher<strong>in</strong> Mary A<strong>in</strong>sworth, e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong><br />

John Bowlby´s, dem „Vater“ der B<strong>in</strong>dungstheorie, hat diese grundlegenden Überlegungen, die sie aus<br />

zahlreichen natürlichen Beobachtungen <strong>in</strong> verschiedenen Kulturen gewann, <strong>in</strong> den 1970er-Jahren <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em standardisierten Testverfahren konzeptualisiert: dem sogenannten „Fremde-Situations-Test“.<br />

Hierbei wird e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d (im Alter zwischen 12 und 18 Monaten) zweimal h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>er zeitlich<br />

befristeten Trennung von se<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson (i. d. R. der Mutter) ausgesetzt und dann wieder mit<br />

ihr zusammengeführt. Währenddessen kommt es auch zu Interaktionen mit e<strong>in</strong>er fremden Person <strong>–</strong><br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Gegenwart der Mutter und e<strong>in</strong>mal alle<strong>in</strong>e. Die Dauer der jeweiligen Trennungse<strong>in</strong>heiten<br />

wird hierbei situationsangemessen verkürzt, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d durch die Trennungen übermäßig stark<br />

beunruhigt wird.<br />

Anhand der Verhaltensreaktionen des K<strong>in</strong>des auf die Trennung von der Mutter <strong>in</strong> der „fremden Um-<br />

gebung“ und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der sich anschließenden Wiedervere<strong>in</strong>igungssituation mit ihr konnten die<br />

Forscher zunächst drei verschiedene Kategorien von B<strong>in</strong>dungsqualitäten identifizieren, welche weltweit<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Kulturen und Gesellschaften <strong>in</strong> ähnlicher Form gefunden wurden (A<strong>in</strong>sworth & Wittig<br />

1969/2003). Nachfolgende b<strong>in</strong>dungstheoretische Studien ließen noch e<strong>in</strong>e weitere, vierte Kategorie der<br />

B<strong>in</strong>dungsorganisation entdecken, die häufig nicht als typisches „B<strong>in</strong>dungsmuster“ e<strong>in</strong>gestuft wird , weil<br />

dem beobachtbaren Verhalten des K<strong>in</strong>des häufig jegliche „Logik“ fehlt und deswegen häufig als vierter<br />

Typus der B<strong>in</strong>dungsorganisation getrennt behandelt wird.<br />

3.2 Die drei (vier) Typen der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

Sichere B<strong>in</strong>dung (B-K<strong>in</strong>der)<br />

Sicher gebundene K<strong>in</strong>der nutzen ihre Eltern als „sichere Basis“ <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> unvertrauten Räumen<br />

<strong>–</strong>, von der aus sie ihre Umgebung erkunden. Während der Exploration blicken sicher gebundene K<strong>in</strong>der<br />

gelegentlich zurück, um sich der Mutter (oder des Vaters) zu versichern („social referenc<strong>in</strong>g“). Sie<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer Körperorientierung bei räumlicher Entfernung der B<strong>in</strong>dungsperson zugewandt oder beziehen<br />

die B<strong>in</strong>dungsperson aktiv <strong>in</strong> ihr Spiel mit e<strong>in</strong>. So br<strong>in</strong>gen sie zum Beispiel e<strong>in</strong> Spielzeug und zeigen es<br />

dem jeweiligen Elternteil. Wenn die B<strong>in</strong>dungsperson den Raum verlässt, reagieren sicher gebundene<br />

K<strong>in</strong>der (manchmal) nicht sofort <strong>–</strong> offenbar, weil sie darauf vertrauen, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsperson bald wiederkommt.<br />

Wenn die Bezugsperson aber länger wegbleibt, zeigen solche K<strong>in</strong>der deutliche Anzeichen<br />

von Kummer und Vermissensgefühlen <strong>–</strong> besonders, wenn sie völlig alle<strong>in</strong>e gelassen werden. Sie we<strong>in</strong>en,<br />

rufen und suchen aktiv nach der B<strong>in</strong>dungsperson und lassen sich auch nicht von e<strong>in</strong>er fremden Person<br />

beruhigen bzw. zeigen e<strong>in</strong>e deutliche Präferenz für die B<strong>in</strong>dungsperson. Wenn die B<strong>in</strong>dungsperson dann<br />

21


22<br />

zurückkehrt, zeigen sie deutlich ihre Freude und Erleichterung, die Mutter oder den Vater wiederzu-<br />

sehen. Sie suchen dabei aktiv die körperliche Nähe, krabbeln oder laufen auf die B<strong>in</strong>dungsperson zu<br />

und wollen von ihr hochgenommen werden. Die K<strong>in</strong>der lassen sich auch gut und <strong>in</strong> relativ kurzer Zeit<br />

trösten und beruhigen, um danach eventuell wieder aktiv die Umgebung zu erkunden oder die B<strong>in</strong>-<br />

dungsperson <strong>in</strong> ihr Spiel e<strong>in</strong>zubeziehen. Als Beobachter hat man hier den E<strong>in</strong>druck, Zeuge e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en<br />

Dramas mit Happy End gewesen zu se<strong>in</strong>, wenn die Belastung des K<strong>in</strong>des nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

unmittelbar beendet ist.<br />

E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung erlaubt dem K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> größtmögliche Maß an Vielfalt im gegensätzlichen Verhaltensspektrum<br />

von B<strong>in</strong>dung und Exploration. Bei sicherer B<strong>in</strong>dung ist die Aufmerksamkeit des K<strong>in</strong>des auf die<br />

B<strong>in</strong>dungspersonen und auf die Sachumwelt flexibel und ausbalanciert ausgerichtet. Das K<strong>in</strong>d ist offen für<br />

Erfahrungen und kann se<strong>in</strong>e Gefühle ausdrücken.<br />

Sicher gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als zuverlässig fe<strong>in</strong>fühlig. Die Strategie des K<strong>in</strong>des<br />

<strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet: „Ich weiß und kann darauf vertrauen, <strong>das</strong>s ich mich <strong>in</strong> Stresssituationen<br />

an dich wenden kann, um Trost und Sicherheit zur Bewältigung me<strong>in</strong>er beunruhigenden Gefühle zu erfahren,<br />

um mich danach wieder me<strong>in</strong>en Spielaktivitäten zuzuwenden.“<br />

Unsicher-vermeidende B<strong>in</strong>dung (A-K<strong>in</strong>der)<br />

Die B<strong>in</strong>dungskategorie „unsicher-vermeidend“ ist e<strong>in</strong>e der drei sogenannten „unsicheren“ B<strong>in</strong>dungsqualitäten.<br />

K<strong>in</strong>der mit diesem B<strong>in</strong>dungstypus sche<strong>in</strong>en auf die Anwesenheit der B<strong>in</strong>dungsperson nicht<br />

zu reagieren bzw. machen ke<strong>in</strong>en Unterschied zwischen e<strong>in</strong>er fremden Person und der B<strong>in</strong>dungsperson:<br />

Sie nutzen die B<strong>in</strong>dungsperson nicht als sichere Basis für ihre Erkundungstouren (z. B. durch die<br />

Blickrückversicherung) oder zum <strong>„emotionale</strong>n Auftanken“ bei Rückkehr nach erfolgter Exploration.<br />

Wenn die B<strong>in</strong>dungsperson den Raum verlässt, registrieren sie ihr Verschw<strong>in</strong>den sche<strong>in</strong>bar kaum und<br />

reagieren für gewöhnlich wenig oder gar nicht mit Beunruhigung. In der Wiedervere<strong>in</strong>igungssituation<br />

reagieren diese K<strong>in</strong>der eher mit Ablehnung der B<strong>in</strong>dungsperson gegenüber oder nur sehr zögerlich<br />

mit Nähesuchverhalten. Sie wollen sche<strong>in</strong>bar nicht auf den Arm genommen und getröstet werden und<br />

vermeiden somit aktiv die körperliche Nähe zur B<strong>in</strong>dungsperson.<br />

Bei K<strong>in</strong>dern mit unsicher-vermeidender B<strong>in</strong>dung fällt auf, <strong>das</strong>s während der gesamten „Fremden-Situation“<br />

praktisch ke<strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsverhalten auftritt <strong>–</strong> ke<strong>in</strong>e Anzeichen von Belastung oder Ärger. Dieses wird durch<br />

aktives Vermeidungsverhalten (wegschauen, weglaufen, abwenden, sich vom Körper der Mutter weglehnen)<br />

sowie auch durch andauernde Aufmerksamkeitsverschiebung auf die unbelebte Umwelt ersetzt.<br />

(Ma<strong>in</strong> 2001)


Allerd<strong>in</strong>gs reagieren diese K<strong>in</strong>der bei extremer Aktivierung ihres B<strong>in</strong>dungssystems (z. B. bei e<strong>in</strong>em<br />

schweren Unfall), <strong>in</strong>dem sie ihre B<strong>in</strong>dungsvermeidung aufgeben und sich hilfe- und schutzsuchend an<br />

die Mutter wenden. Das bedeutet, <strong>das</strong>s die „Schwelle“ für B<strong>in</strong>dungsverhalten bei vermeidenden Mut-<br />

ter-K<strong>in</strong>d-Paaren höher liegt als bei sicher gebundenen K<strong>in</strong>dern (Brisch 2005).<br />

Bei außenstehenden Beobachtern erwecken unsicher-vermeidende K<strong>in</strong>der häufig den E<strong>in</strong>druck, besonders<br />

selbstständig und anpassungsfähig zu se<strong>in</strong> („kompetent, aber gefühllos“), und h<strong>in</strong>terlassen damit e<strong>in</strong>en<br />

sche<strong>in</strong>bar positiven Gesamte<strong>in</strong>druck. Dieser Sche<strong>in</strong> trügt: Mittels psychophysiologischer Untersu-<br />

chungen während und nach der Trennungssituation <strong>–</strong> z. B. durch Messung der Herzfrequenzrate oder<br />

des Stresshormons Cortisol im Speichel als physiologische Indikatoren für „Alarmreaktionen“ <strong>–</strong> konnte<br />

nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s diese K<strong>in</strong>der unter e<strong>in</strong>em sehr hohen, aber nicht sichtbaren Stress- bzw.<br />

Erregungsniveau stehen, welches sie nach außen h<strong>in</strong> „erfolgreich“ verbergen können (Spangler &<br />

Grossmann 1993; Spangler et al. 2002). Sie signalisieren der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation, <strong>in</strong> der<br />

sie eigentlich Nähe, Trost und Schutz bräuchten, durch „falsche Signale“, <strong>das</strong>s sie nicht an B<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d bzw. Distanz wünschen oder explorieren wollen. Dass es sich bei der Vortäuschung von<br />

Explorationswünschen nur um e<strong>in</strong>e oberflächliche Verhaltensstrategie bzw. um e<strong>in</strong>e Ausweichreaktion<br />

handelt, f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>e Bestätigung <strong>in</strong> entsprechenden physiologischen Indikatoren. Dieser „optischen<br />

Täuschung“ s<strong>in</strong>d selbst viele Entwicklungspsychologen zu Beg<strong>in</strong>n der B<strong>in</strong>dungsforschung erlegen.<br />

Die „organisierte Aufmerksamkeitsverschiebung“ des Nähe vermeidenden K<strong>in</strong>des auf die übermäßige<br />

Exploration kann als aktive Bewältigungsstrategie <strong>in</strong>terpretiert werden, Reaktionen auf Angst<br />

auslösende Bed<strong>in</strong>gungen zu m<strong>in</strong>imieren und somit e<strong>in</strong>e Unterdrückung des B<strong>in</strong>dungsverhaltens<br />

aufrechtzuerhalten.<br />

(Ma<strong>in</strong> 2001)<br />

Unsicher-vermeidend gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als „zuverlässig“ abweisend. Die<br />

Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet: „Ich fühle mich gestresst, meide aber de<strong>in</strong>e<br />

Nähe aus Angst vor e<strong>in</strong>er (erneuten) Zurückweisung. Nur wenn der Stress so groß wird, <strong>das</strong>s ich gar nicht<br />

mehr selber damit klarkomme, kann ich mich überw<strong>in</strong>den, zu dir zu kommen, und fühle mich durch de<strong>in</strong>e<br />

Nähe doch entlastet.“<br />

Unsicher-ambivalente B<strong>in</strong>dung (C-K<strong>in</strong>der)<br />

Der zweite unsichere B<strong>in</strong>dungstypus ist dadurch gekennzeichnet, <strong>das</strong>s diese K<strong>in</strong>der während der Anwesenheit<br />

der B<strong>in</strong>dungsperson sehr stark ihre Nähe suchen und bevorzugt bei ihrem Elternteil bleiben<br />

23


24<br />

(„klammern“), anstatt die nähere Umgebung zu explorieren. Das B<strong>in</strong>dungssystem des K<strong>in</strong>des ist somit<br />

überaktiviert und Verselbstständigungsbestrebungen s<strong>in</strong>d unterrepräsentiert. Das K<strong>in</strong>d sche<strong>in</strong>t übermäßig<br />

mit der Mutter beschäftigt zu se<strong>in</strong>, sogar bevor es zur Trennung kommt. Es ist ängstlich oder zeigt ärgerli-<br />

chen Widerstand gegenüber der fremden Person und starke Belastung <strong>in</strong> jeder Trennungsepisode.<br />

Wenn es zur Trennung von der Bezugsperson kommt, zeigen diese K<strong>in</strong>der im Vergleich zu anderen K<strong>in</strong>-<br />

dern den größten Stress: Sie s<strong>in</strong>d im Allgeme<strong>in</strong>en sehr aufgeregt, we<strong>in</strong>en oft heftig und zeigen deutlichen<br />

Kummer bis h<strong>in</strong> zu tiefer Trauer und Verzweiflung. Bei der Wiedervere<strong>in</strong>igung mit der B<strong>in</strong>dungsperson<br />

können sie e<strong>in</strong>erseits ihren Wunsch nach Nähe und Körperkontakt ausdrücken, andererseits aber auch<br />

wütend und ablehnend mit aggressivem Verhalten reagieren. So eilt beispielsweise e<strong>in</strong> ambivalent<br />

gebundenes K<strong>in</strong>d we<strong>in</strong>end und mit ausgestreckten Armen auf die Bezugsperson zu und signalisiert ihr<br />

damit, <strong>das</strong>s es hochgenommen werden will und Nähe und Trost sucht. Sobald es aber auf den Arm<br />

genommen wird, sperrt es sich gegen die körperliche Nähe zur B<strong>in</strong>dungsperson oder beg<strong>in</strong>nt, sich aus<br />

der Umarmung herauszuw<strong>in</strong>den. Beide Verhaltenstendenzen treten abwechselnd auf und zeugen von<br />

e<strong>in</strong>em offenbar starken Bedürfnis nach Nähe bei gleichzeitiger Wut über den Weggang der Person.<br />

Die Rückkehr der Mutter führt nicht zu e<strong>in</strong>er Beruhigung des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des, vielmehr we<strong>in</strong>t, quengelt<br />

und „knöttert“ es konsequenterweise weiter bis zum Ende jeder Wiedervere<strong>in</strong>igungsepisode (Ma<strong>in</strong><br />

2001). Diese K<strong>in</strong>der können somit kaum beruhigt werden und brauchen <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>e längere Zeit,<br />

bis sie überhaupt wieder e<strong>in</strong>en emotional stabilen Zustand erreicht haben.<br />

Im Gegensatz zu den unsicher-vermeidend gebundenen Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern, die ihre Aufmerksamkeit ausschließlich<br />

auf die Spielsachen und die Exploration richten, fokussiert <strong>das</strong> ambivalente K<strong>in</strong>d beharrlich se<strong>in</strong>e Mutter<br />

und ist sogar oftmals zu gestresst und überbeschäftigt mit ihr, um sich überhaupt se<strong>in</strong>er Umwelt zuzuwenden.<br />

Es sche<strong>in</strong>t damit <strong>das</strong> „Spiegelbild“ des vermeidenden Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>. Wie beim vermeidenden<br />

und anders als beim sicher-gebundenen K<strong>in</strong>d, ist se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit nicht fließend, sondern zentriert<br />

sich nur auf e<strong>in</strong>en Aspekt se<strong>in</strong>er Umgebung.<br />

Unsicher-ambivalent gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als unzuverlässig, d. h. e<strong>in</strong>mal fe<strong>in</strong>fühlig,<br />

e<strong>in</strong> andermal verunsichernd und unsensibel. Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen<br />

lautet: „Ich vertraue dir nicht, <strong>das</strong>s du me<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungssignale zuverlässig und vorhersehbar fe<strong>in</strong>fühlig<br />

beantwortest. Deshalb muss ich mich an dir festhalten (klammere ich), aber ich ärgere mich gleichzeitig<br />

darüber, <strong>das</strong>s ich dir nicht vertrauen kann.“


Unsicher-desorganisierte B<strong>in</strong>dung (D-K<strong>in</strong>der)<br />

Den bisher beschriebenen drei B<strong>in</strong>dungstypen, die als „organisierte Verhaltensmuster“ beschrieben<br />

werden können, bei der <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e funktionale <strong>–</strong> bei A- und C-K<strong>in</strong>dern dysfunktionale <strong>–</strong> Anpassungsstrategie<br />

für den Umgang mit Stresssituationen entwickelt hat, wurde später noch e<strong>in</strong> weiterer B<strong>in</strong>dungsstatus<br />

h<strong>in</strong>zugefügt, der sich auf den Organisationsaspekt e<strong>in</strong>es B<strong>in</strong>dungssystems bezieht: die sogenannte<br />

B<strong>in</strong>dungsdesorganisation (Ma<strong>in</strong> & Solomon 1986).<br />

K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>em unsicher-desorganisiert/desorientierten „B<strong>in</strong>dungsmuster“ weisen mit die größte Un-<br />

sicherheit auf und sche<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong>e konsistente Stressbewältigungsstrategie <strong>in</strong> der „Fremden Situation“ zu<br />

besitzen. So können sie sich für ke<strong>in</strong>e klare Verhaltensstrategie während der Trennung bzw. Wiedervere<strong>in</strong>i-<br />

gung entscheiden und wirken daher widersprüchlich, konfus und desorientiert. Diese K<strong>in</strong>der verhalten<br />

sich unentschlossen und bizarr, brechen e<strong>in</strong>geleitete Verhaltensmuster vorzeitig ab und zeigen darüber<br />

h<strong>in</strong>aus Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren (z. B. auf die Bezugsperson). Sie zeigen<br />

zum Beispiel ängstliches Lächeln und schauen weg, wenn sich ihre B<strong>in</strong>dungsperson nähert, oder ihre<br />

Bewegungen erstarren plötzlich mitten im Bewegungsablauf („frieren e<strong>in</strong>“), oder sie stoßen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Zustand der Beruhigung plötzlich Schreie aus. Dennoch können selbst <strong>in</strong> dieser B<strong>in</strong>dungskategorie<br />

Ansätze e<strong>in</strong>er sicheren oder unsicheren B<strong>in</strong>dungsstrategie erkennbar se<strong>in</strong>.<br />

Für die zuverlässige Diagnose der D-Kategorie bedarf es sehr viel Vorerfahrung mit den A<strong>in</strong>sworth´schen<br />

B<strong>in</strong>dungsqualitäten (A, B, C), um <strong>das</strong> ganze mögliche Verhaltensspektrum bzw. die Verhaltensvarianz<br />

„normaler“ K<strong>in</strong>der zu kennen. Die Diagnose der D-Kategorie kann nur <strong>in</strong> Anwesenheit der jeweiligen<br />

B<strong>in</strong>dungsperson erfolgen (Becker-Stoll 2008).<br />

Unsicher-desorganisierte K<strong>in</strong>der zeigen Anfälle oder Sequenzen von Verhalten, dem jegliche direkt<br />

beobachtbaren Ziele, Intentionen oder Erklärungen fehlen. Während vermeidende, ambivalente und<br />

sichere Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e Verhaltensstrategie an den Tag legen, um die Trennung und Wiedervere<strong>in</strong>igung mit<br />

der Mutter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden Umgebung zu bewältigen, brechen bei diesen K<strong>in</strong>dern Verhaltensorganisation<br />

und Aufmerksamkeitsstrategien zusammen.<br />

(Ma<strong>in</strong> 2001)<br />

Nach Brisch (2005) ist der stärkste Prädiktor für e<strong>in</strong>e desorganisierte B<strong>in</strong>dung die K<strong>in</strong>desmisshandlung,<br />

der zweitstärkste Effekt ergibt sich durch selbst erlebte Traumatisierungen der Eltern.<br />

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26<br />

Unsicher-desorganisiert gebundene K<strong>in</strong>der erleben ihre B<strong>in</strong>dungsperson als überwältigend ängstigend,<br />

unsicher und chaotisch. Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet: „Obwohl ich<br />

dich dr<strong>in</strong>gend zum Schutz und zum „Sicherheitstanken“ bräuchte, macht mir de<strong>in</strong> Verhalten soviel Angst<br />

und verstört mich so sehr, <strong>das</strong>s ich ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ordnung mehr f<strong>in</strong>den kann. Deswegen werde ich ‚chaotisch‘<br />

und zeige völlig desorganisierte Verhaltensweisen, um damit selbst fertig zu werden.“<br />

Alle drei B<strong>in</strong>dungsqualitäten wie auch die vierte Kategorie der B<strong>in</strong>dungsdesorganisation s<strong>in</strong>d als aktive<br />

Bewältigungsversuche der Beziehungserfahrungen mit primären B<strong>in</strong>dungspersonen zu verstehen. Die<br />

unsicheren B<strong>in</strong>dungsqualitäten bzw. die entsprechenden B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen werden jedoch auf-<br />

grund des damit e<strong>in</strong>hergehenden Vertrauensmangels des K<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>er sozialen Umwelt zukünftig<br />

sehr wahrsche<strong>in</strong>lich die Anpassung an neue Situationen erheblich erschweren und soziale Interak-<br />

tionen ungünstig bee<strong>in</strong>flussen. Das vermeidende und ambivalente B<strong>in</strong>dungsmuster wird noch nicht<br />

als k<strong>in</strong>dliche Psychopathologie, sondern „nur“ als Risikofaktor <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er normalen k<strong>in</strong>dlichen<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>gestuft. Die B<strong>in</strong>dungsklassifikation „unsicher-desorganisiert/desorientiert“ stellt nach<br />

Brisch (2000) den Übergangsbereich zur k<strong>in</strong>dlichen Psychopathologie bzw. zur kl<strong>in</strong>isch relevanten<br />

B<strong>in</strong>dungsstörung dar.<br />

B<strong>in</strong>dungssicherheit ist nicht gleichzusetzen mit „seelischer Gesundheit“. Vielmehr ermöglicht e<strong>in</strong>e sichere<br />

B<strong>in</strong>dungsqualität bzw. -repräsentation e<strong>in</strong>e größere Kompetenz im Umgang mit sozio-emotionalen Anforderungen<br />

und stellt damit e<strong>in</strong>e bessere Voraussetzung dar, Risikofaktoren oder Belastungen zu bewältigen.


Übersicht „B<strong>in</strong>dungstypen“<br />

B-K<strong>in</strong>der (sicher)<br />

Trennungsprotest; We<strong>in</strong>en, Rufen, aktive Suche nach der B<strong>in</strong>dungsperson, Wunsch nach Körperkontakt;<br />

Beruhigung durch Körperkontakt mit der B<strong>in</strong>dungsperson nach deren Rückkehr, Fortsetzung der Exploration<br />

nach kurzer Beruhigungszeit<br />

A-K<strong>in</strong>der (vermeidend)<br />

Kaum oder ke<strong>in</strong> Trennungsprotest; etwas e<strong>in</strong>geschränktes Spiel während der Trennung; ke<strong>in</strong> Wusch nach<br />

Distanzierung von Körperkontakt bei Rückkehr der B<strong>in</strong>dungsperson; erhöhte Stressparameter<br />

C-K<strong>in</strong>der (ambivalent)<br />

Extremer Trennungsprotest; unstillbares We<strong>in</strong>en, extreme Erregung; ke<strong>in</strong>e Beruhigung nach Rückkehr der<br />

B<strong>in</strong>dungsperson trotz Körperkontakt; Nähesuchen und Aggression gleichzeitig; ke<strong>in</strong>e Rückkehr zum entspannten<br />

Spiel<br />

D-K<strong>in</strong>der (desorganisiert)<br />

Widersprüchliche Verhaltensweisen von Nähesuchen und Vermeidung; Verhaltensstereotypien; E<strong>in</strong>frieren<br />

der Bewegung<br />

Was s<strong>in</strong>d „B<strong>in</strong>dungsstörungen“?<br />

Der Begriff der „B<strong>in</strong>dungsstörung“ wird häufig <strong>in</strong> Zusammenhang mit B<strong>in</strong>dung genannt, ist jedoch von dem<br />

bisher beschriebenen B<strong>in</strong>dungsverhalten abzugrenzen. B<strong>in</strong>dungsstörungen weisen mit den oben skizzierten<br />

Mustern der B<strong>in</strong>dungssicherheit bzw. -unsicherheit kaum mehr Ähnlichkeiten auf. In b<strong>in</strong>dungsrelevanten<br />

Situationen s<strong>in</strong>d die Störungen im B<strong>in</strong>dungsverhalten so ausgeprägt, <strong>das</strong>s diese als Psychopathologie<br />

angesehen werden müssen.<br />

„Grundlegend bei allen B<strong>in</strong>dungsstörungen ist, <strong>das</strong>s <strong>früh</strong>e Bedürfnisse nach Nähe und Schutz <strong>in</strong> Bedrohungssituationen<br />

und bei ängstlicher Aktivierung der B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em extremen Ausmaß<br />

nicht adäquat, unzureichend oder widersprüchlich beantwortet wurden. Dies kann <strong>in</strong>sbesondere bei vielfältigen<br />

abrupten Trennungserfahrungen des K<strong>in</strong>des durch Wechsel der Betreuungssysteme, wie etwa bei<br />

K<strong>in</strong>dern, die <strong>in</strong> Heimen aufwuchsen, bei psychisch kranken Eltern oder bei erheblicher chronischer sozialer<br />

Belastung und Überforderung der Eltern entstehen (etwa durch Krankheit, Armut, Verlust des Arbeitsplatzes)“<br />

(Brisch 2005).<br />

Nach Brisch (2007b) ist die Diagnose von B<strong>in</strong>dungsstörungen bereits im ersten Lebensjahr des K<strong>in</strong>des möglich.<br />

27


28<br />

Lesetipp:<br />

• Für e<strong>in</strong>e ausführlichere E<strong>in</strong>arbeitung <strong>in</strong> die Entstehung und Behandlung von B<strong>in</strong>dungsstörungen<br />

wird auf die Arbeit von Karl He<strong>in</strong>z Brisch (2000) „B<strong>in</strong>dungsstörungen. Von der B<strong>in</strong>dungstheorie zur<br />

Therapie“ verwiesen.<br />

Auch auf Italienisch: Brisch, K. H. (2007). Disturbi dell’attaccamento. Dalla teoria alla terapia. Roma:<br />

Giovanni Fioriti.


4<br />

Welche Faktoren bee<strong>in</strong>flussen die Ausbildung<br />

e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d?<br />

Die Beantwortung dieser Frage stellt den Versuch e<strong>in</strong>es Erklärungsansatzes für die Ausbildung<br />

unterschiedlicher B<strong>in</strong>dungsqualitäten dar. Alle <strong>in</strong> der Prävention, Beratung und Therapie tätigen<br />

Berufsgruppen, die sich professionell mit der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung und ihrer positiven Bee<strong>in</strong>flussung<br />

beschäftigen, können aus den Erkenntnissen der B<strong>in</strong>dungstheorie handlungspraktische Schlussfolgerungen<br />

ziehen, um <strong>das</strong> größtmögliche Maß an begünstigenden Faktoren für die Ausbildung e<strong>in</strong>er<br />

sicheren und vertrauensvollen Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung im E<strong>in</strong>zelfall zu erreichen. Dem gegenwärtigen<br />

Forschungsstand zufolge lassen sich bei näherer Betrachtung drei wichtige E<strong>in</strong>flussfaktoren auf die<br />

B<strong>in</strong>dung identifizieren:<br />

1. Die Qualität der Fürsorge<br />

• E<strong>in</strong>fühlungsvermögen der Eltern („Fe<strong>in</strong>fühligkeit“)<br />

• Synchronizität <strong>in</strong> der Interaktion<br />

2. Das Temperament des Säugl<strong>in</strong>gs<br />

3. Der erweiterte systemische Kontext.<br />

4.1 Die Qualität der Fürsorge<br />

Im Rahmen der B<strong>in</strong>dungsforschung gilt es als unumstritten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> elterliche Verhalten e<strong>in</strong>er der<br />

bedeutsamsten E<strong>in</strong>flussfaktoren für die B<strong>in</strong>dungsentwicklung des K<strong>in</strong>des darstellt (Bowlby 1991/2003).<br />

Die erste Voraussetzung für den Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung besteht für e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

zunächst e<strong>in</strong>mal dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s es überhaupt die Gelegenheit bekommt, e<strong>in</strong>e enge Beziehung zu e<strong>in</strong>er<br />

ihm vertrauten Bezugsperson aufzubauen. Die regelmäßige Anwesenheit e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson stellt<br />

allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Garantie für die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung dar.<br />

Vielmehr spielen qualitative Dimensionen der Betreuung die entscheidende Rolle.<br />

E<strong>in</strong>fühlungsvermögen der Eltern <strong>–</strong> „Fe<strong>in</strong>fühligkeit“<br />

Der sogenannten elterlichen „Fe<strong>in</strong>fühligkeit“ kommt hierbei e<strong>in</strong>e zentrale Funktion zu. Das Konzept<br />

der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit wurde von Mary A<strong>in</strong>sworth entwickelt. Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten der Bezugsperson<br />

ist dadurch gekennzeichnet, <strong>das</strong>s der Elternteil <strong>in</strong> der Lage ist, die Signale des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen<br />

(z. B. se<strong>in</strong> We<strong>in</strong>en), sie richtig zu <strong>in</strong>terpretieren (z. B. als Suche nach Nähe und Körperkontakt)<br />

und sie auch angemessen und prompt zu beantworten (A<strong>in</strong>sworth 1977/2003). Dies geschieht <strong>in</strong> vielfältigen<br />

alltäglichen Interaktionen unzählige Male. K<strong>in</strong>der mit fe<strong>in</strong>fühligen Eltern haben überzufällig<br />

häufiger e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität im Vergleich zu K<strong>in</strong>dern mit une<strong>in</strong>fühlsamen Eltern.<br />

29


30<br />

Unter fe<strong>in</strong>fühligem Pflegeverhalten versteht man nach A<strong>in</strong>sworth (1977/2003) folgende charakteristische<br />

Verhaltensweisen:<br />

1. Die B<strong>in</strong>dungsperson muss <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, die k<strong>in</strong>dlichen Signale mit größter Aufmerksamkeit<br />

wahrzunehmen. Wahrnehmungsverzögerungen können durch äußere oder <strong>in</strong>nere Beschäftigung mit<br />

eigenen Bedürfnissen oder Problemen (z. B. Depressionen) entstehen.<br />

2. Die B<strong>in</strong>dungsperson muss die Signale aus der Perspektive des Säugl<strong>in</strong>gs richtig deuten, etwa <strong>das</strong><br />

We<strong>in</strong>en des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bedeutung richtig entschlüsseln (z. B. We<strong>in</strong>en aufgrund von Hunger,<br />

Unwohlse<strong>in</strong>, Schmerzen, Langeweile). Dabei besteht die Gefahr, <strong>das</strong>s die Signale des K<strong>in</strong>des durch<br />

die eigenen Bedürfnisse sowie Projektionen dieser Bedürfnisse auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d verzerrt oder falsch <strong>in</strong>terpretiert<br />

werden. E<strong>in</strong> Beispiel: Die vom K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>itiierte, vorübergehende Tr<strong>in</strong>kpause wird als Sättigung<br />

<strong>in</strong>terpretiert, weil die Mutter selbst <strong>in</strong> Eile ist; <strong>das</strong> Quengeln des K<strong>in</strong>des aufgrund von Hunger wird<br />

als Müdigkeit <strong>in</strong>terpretiert, weil die Mutter (oder der Vater) selbst völlig erschöpft ist.<br />

3. Die B<strong>in</strong>dungsperson muss angemessen auf die Signale reagieren, also etwa die richtige Dosierung der<br />

Nahrungsmenge herausf<strong>in</strong>den, eher beruhigen oder Spielanreize bieten, ohne aber durch Über- oder<br />

Unterstimulation die Interaktion zu erschweren.<br />

4. Die Reaktion der B<strong>in</strong>dungsperson muss prompt, also <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d tolerablen Frustrationszeit<br />

erfolgen. So ist die Zeitspanne, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g auf <strong>das</strong> Stillen warten kann, <strong>in</strong> den ersten Wochen<br />

sehr kurz, wird aber im Laufe des ersten Lebensjahres immer länger.<br />

Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten gegenüber e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d ist e<strong>in</strong> zentrales Konzept und be<strong>in</strong>haltet, die Signale des<br />

K<strong>in</strong>des wahrzunehmen, richtig zu <strong>in</strong>terpretieren und prompt sowie angemessen darauf zu reagieren.<br />

Ist Fe<strong>in</strong>fühligkeit erlernbar?<br />

Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten gegenüber e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d ist, neben den Temperamenteigenschaften des K<strong>in</strong>des,<br />

die zentrale Voraussetzung für den Aufbau e<strong>in</strong>er emotional vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung<br />

zwischen K<strong>in</strong>d und Elternteil. Fe<strong>in</strong>fühligkeit bedeutet, die Signale des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen, richtig zu<br />

<strong>in</strong>terpretieren und prompt sowie angemessen darauf zu reagieren. Das setzt voraus, <strong>das</strong>s sich die<br />

B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> die Lage des K<strong>in</strong>des h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen kann und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d als eigenständige Person mit<br />

<strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen und Absichten anerkennt. Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten kann mit relativ ger<strong>in</strong>gem Aufwand<br />

tra<strong>in</strong>iert werden, und <strong>das</strong> sogar bei Müttern von K<strong>in</strong>dern mit e<strong>in</strong>em sehr schwierigem Temperament.<br />

E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>drückliche Untersuchung dazu hat Dymphna van den Boom (1994) durchgeführt, <strong>in</strong>dem sie die<br />

Fe<strong>in</strong>fühligkeit von Müttern von sehr irritierbaren Säugl<strong>in</strong>gen tra<strong>in</strong>iert hat und hierdurch e<strong>in</strong>e Verdoppelung<br />

der Anzahl sicherer B<strong>in</strong>dungsbeziehungen erreichen konnte.


Der „Baby-talk“ der Eltern<br />

Eltern kommunizieren mit ihrem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tuitiv richtig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>dgerechten Weise, <strong>in</strong> der sogenannten<br />

Ammensprache. Dieser „Baby-talk“ ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:<br />

• Aufnahme des Blickkontakts mit dem K<strong>in</strong>d im korrekten Gesichtsabstand, welcher der optimalen Sehfähigkeit<br />

des Neugeborenen entspricht (= „Dialogabstand“ aus 20 bis 30 cm Entfernung)<br />

• Hohe Stimmlage<br />

• Verlangsamung des Sprechtempos mit typisch rhythmisch-melodischen Sprachmustern<br />

• Regelmäßige Wiederholung e<strong>in</strong>facher Sätze etc.<br />

Das Zustandekommen des Blickkontakts mit dem K<strong>in</strong>d wird durch mimische Charakteristika (erhobene<br />

Augenbrauen, weit geöffnete Augen, geöffneter Mund, Ausdruck erwartungsvoller Ermunterung etc.) e<strong>in</strong>geleitet<br />

und unterstützt.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Beispiel für „<strong>in</strong>tuitive“ Reaktionen der B<strong>in</strong>dungsperson ist die Nachahmung und sich daraus<br />

entwickelnde Nachahmungsspielchen. Von den ersten Äußerungen des Neugeborenen an neigen Eltern<br />

dazu, se<strong>in</strong>e Mimik und Laute nachzuahmen, gewissermaßen als „Spiegel“ und „Echo“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person<br />

(Papoušek 1987, S. 44). Durch dieses kommunikative Wechselspiel über Stimme, Mimik sowie Körperkontakt<br />

erfolgt bereits im vorsprachlichen Stadium e<strong>in</strong> reger und kont<strong>in</strong>genter Austausch zwischen B<strong>in</strong>dungsperson<br />

und Neugeborenem. Dieser vermittelt dem Baby die Erfahrung, mit se<strong>in</strong>en Signalen e<strong>in</strong>e<br />

Reaktion auszulösen, die bei Gefallen durch neue Signale aufrechterhalten werden kann. Mütter und Väter<br />

unterscheiden sich, so konnte <strong>in</strong> mikroanalytischen Videountersuchungen gezeigt werden, <strong>in</strong> ihren Fähigkeiten<br />

zur Wahrnehmung und Beantwortung k<strong>in</strong>dlicher Signale von Geburt an nicht (a. a. O.).<br />

Nach Brisch (2000) fällt es den Bezugs- und Pflegepersonen <strong>in</strong> der Regel relativ leicht, die B<strong>in</strong>dungs-<br />

signale des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen, wenngleich die Reaktionszeiten ganz erheblich variieren können.<br />

Größere Probleme bereitet h<strong>in</strong>gegen schon die Herausforderung, die Botschaften des K<strong>in</strong>des zu verste-<br />

hen bzw. richtig zu <strong>in</strong>terpretieren (<strong>in</strong>sbesondere beim ersten K<strong>in</strong>d). Die meisten Eltern benötigen erst<br />

e<strong>in</strong>e Phase des Ausprobierens, um alle<strong>in</strong> <strong>das</strong> Signal des We<strong>in</strong>ens mit den dah<strong>in</strong>terliegenden Wünschen<br />

und Motivationen des Säugl<strong>in</strong>gs richtig zu <strong>in</strong>terpretieren. Nach e<strong>in</strong>iger Zeit gel<strong>in</strong>gt es aber meistens,<br />

den richtigen Grund dafür zu f<strong>in</strong>den, ob <strong>das</strong> We<strong>in</strong>en des K<strong>in</strong>des mit Hunger, Langeweile, Protest,<br />

Schmerz, e<strong>in</strong>er „vollen W<strong>in</strong>del“ oder durch Überstimulation zu erklären ist.<br />

Auch die angemessene Reaktion auf die richtig <strong>in</strong>terpretierten Signale muss von den meisten Bezugs-<br />

personen erst erlernt werden, um e<strong>in</strong> Sicherheitsgefühl dafür zu bekommen, wann bei jedem e<strong>in</strong>zelnen<br />

K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> Hungergefühl, se<strong>in</strong> Bedürfnis nach Körperkontakt, Anregung oder Ruhe ausreichend<br />

befriedigt ist. Dieser Lernprozess wird bei jedem weiteren K<strong>in</strong>d wiederholt durchlaufen, da sich K<strong>in</strong>der<br />

<strong>in</strong> ihrem <strong>in</strong>dividuellen Temperament stark unterscheiden können. Die prompte, d. h. sich zeitlich<br />

unmittelbar an die k<strong>in</strong>dliche Botschaft anschließende Reaktion und Beantwortung des k<strong>in</strong>dlichen Signals<br />

bereitet fe<strong>in</strong>fühligen Eltern pr<strong>in</strong>zipiell ke<strong>in</strong>e allzu großen Schwierigkeiten (a. a. O.).<br />

31


32<br />

Die zeitliche Nähe zwischen dem k<strong>in</strong>dlichen Signal und der Reaktion der B<strong>in</strong>dungsperson ist deswegen<br />

von so großer Bedeutung, weil <strong>das</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen se<strong>in</strong>em Verhalten und der<br />

Reaktion der B<strong>in</strong>dungsperson ausmacht: Es stellt e<strong>in</strong>e sogenannte „Kont<strong>in</strong>genz“ her, die zu se<strong>in</strong>em sich<br />

entwickelnden Selbstwirksamkeitserleben beiträgt <strong>–</strong> zu der subjektiven Überzeugung, mit dem eigenen<br />

Verhalten e<strong>in</strong>e Reaktion <strong>in</strong> der Umwelt hervorrufen zu können. Die zeitliche Spanne darf <strong>in</strong> den <strong>früh</strong>en<br />

Wochen nicht zu lange se<strong>in</strong> (unter e<strong>in</strong>er Sekunde), weil die Gedächtnisentwicklung des K<strong>in</strong>des noch<br />

nicht so weit fortgeschritten ist und e<strong>in</strong>e zeitlich verzögerte Antwort der B<strong>in</strong>dungsperson vom K<strong>in</strong>d<br />

nicht mehr se<strong>in</strong>em eigenen ursprünglichen Handlungsimpuls zugeordnet werden kann (Ahnert 2007b).<br />

Das bedeutet: Kommt e<strong>in</strong>e Reaktion zu spät, ist die Antwort des Erwachsenen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e völlig<br />

neue und unerwartete Handlung. Wissenschaftliche Analysen zeigen, <strong>das</strong>s engagierte und nicht zu sehr<br />

belastete Eltern dieses Zeitfenster e<strong>in</strong>halten.<br />

Die Bedeutung elterlicher Kont<strong>in</strong>genz<br />

Nur wenn k<strong>in</strong>dliche Aktion und elterliche Reaktion zeitlich direkt aufe<strong>in</strong>anderfolgen <strong>–</strong> mit höchstens 200 bis<br />

800 Millisekunden Abstand <strong>–</strong>, kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen se<strong>in</strong>em Verhalten und den spannungsmildernden,<br />

beruhigenden Verhaltensweisen der Bezugspersonen herstellen.<br />

Wissenschaftliche Analysen zeigen, <strong>das</strong>s engagierte, nicht zu sehr belastete Eltern mit ihren Reaktionen<br />

<strong>in</strong>tuitiv tatsächlich <strong>das</strong> optimale Zeitfenster e<strong>in</strong>halten, <strong>das</strong> dem Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e „positiv verbuchte“ Wahrnehmung<br />

ermöglicht. E<strong>in</strong> Drittel aller Interaktionen zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d laufen bereits sofort optimal<br />

koord<strong>in</strong>iert ab, „passen“ also auf Anhieb. 70 Prozent aller sich ereignenden Missverständnisse <strong>in</strong> der<br />

Interaktion werden bereits <strong>in</strong>nerhalb von zwei Sekunden „repariert“ (Haug-Schnabel 2007). Für Eltern ist es<br />

beruhigend und selbstvertrauensbildend zu wissen, <strong>das</strong>s es ihnen automatisch sehr oft gel<strong>in</strong>gt, die äußerst<br />

kurze Reaktionszeit e<strong>in</strong>zuhalten, da die Biologie hier h<strong>in</strong>reichend vorgesorgt hat.<br />

Welche wichtige Rolle der elterlichen Kont<strong>in</strong>genz zukommt, davon berichtet Mechthild Papoušek <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

kle<strong>in</strong>en Experiment zur Unterbrechung der Kont<strong>in</strong>genzerfahrung: „In e<strong>in</strong>er Untersuchungsreihe haben wir<br />

Vater oder Mutter gebeten, während e<strong>in</strong>es sonst ungestörten Zwiegespräches mit ihrem zweimonatigen<br />

K<strong>in</strong>d für zwei M<strong>in</strong>uten die Augen zu schließen, sich aber weiter wie sonst mit dem K<strong>in</strong>d zu verständigen.<br />

Damit waren die Möglichkeiten der Eltern, kont<strong>in</strong>gent auf visuelle Signale zu reagieren, ausgeschlossen.<br />

Sobald die Eltern die Augen schließen, sucht sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zunächst durch angespanntes Beobachten zu<br />

orientieren. Es mobilisiert alle Kräfte und bemüht sich, die Kont<strong>in</strong>genz wieder herzustellen durch sonst<br />

erfolgreiche Verhaltensformen. Wenn nichts zum Erfolg führt, endet es schließlich mit unmissverständlichem<br />

Missbehagen und mit deutlichem Protest und Vermeidungsreaktionen. Die Studie macht deutlich, <strong>das</strong>s<br />

bereits der zweimonatige Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Vorstellung von beiden Eltern hat, die weit über <strong>das</strong> Erkennen<br />

der nährenden Brust, der Physiognomie oder der Stimme h<strong>in</strong>ausgeht, vielmehr offenbar die elterlichen<br />

Verhaltensmuster <strong>in</strong> ihrer Abgestimmtheit auf se<strong>in</strong> eigenes Verhalten zum Inhalt hat“ (Papoušek 1987, S. 45).


Es gibt ke<strong>in</strong>e Verwöhnung des K<strong>in</strong>des mit „zuviel“ Nähe<br />

In Elternsem<strong>in</strong>aren ist nach Brisch (2000) allerd<strong>in</strong>gs wiederholt die Erfahrung zu machen, <strong>das</strong>s Eltern<br />

ihre prompte Reaktion auf <strong>das</strong> Signal des K<strong>in</strong>des aufgrund der Angstfantasie, <strong>das</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong><br />

zu schnelles und zu häufiges Reagieren bereits <strong>früh</strong> „zu verwöhnen“, h<strong>in</strong>auszögern. Sie wollen ihr K<strong>in</strong>d<br />

mehr oder weniger bewusst <strong>früh</strong>zeitig frustrieren, damit dieses sich nicht an zu viel Nähe und Abhängigkeit<br />

gewöhnt. Solch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung überfordert <strong>in</strong> aller Regel die k<strong>in</strong>dliche Selbstregulationsfähigkeit,<br />

mit so e<strong>in</strong>er Frustration umzugehen, und trägt e<strong>in</strong>deutig nicht zur Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung<br />

zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d bei. Säugl<strong>in</strong>ge und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der benötigen <strong>in</strong> den <strong>früh</strong>en Phasen<br />

ihrer Entwicklung viel Nähe und Geborgenheit und signalisieren von selbst, wann es ihnen „zuviel“<br />

an Nähe ist und andere Bedürfnisse anstehen (z. B. Explorationsstrebungen). K<strong>in</strong>der von fe<strong>in</strong>fühligen<br />

und derart Nähe zulassenden B<strong>in</strong>dungspersonen können e<strong>in</strong>erseits selbstständiger spielen und ihre<br />

Umwelt erkunden, andererseits bei Angst und Stress die B<strong>in</strong>dungsperson zum Trost und „Sicherheitstanken“<br />

aufsuchen und lassen sich auch relativ schnell beruhigen. Sie zeigen deutlich weniger Ängstlichkeit<br />

und Ärger <strong>in</strong> den Interaktionen mit Bezugspersonen und verhalten sich auch kooperationsbereiter, auf<br />

Grenzsetzungen e<strong>in</strong>zugehen (Brisch 2000). In jeder H<strong>in</strong>sicht s<strong>in</strong>d sie nicht abhängiger oder weniger<br />

selbstständig als K<strong>in</strong>der, denen quasi antizipatorisch Nähe zur Vermeidung von Verwöhnung<br />

entzogen wurde.<br />

Synchronizität <strong>in</strong> der Interaktion<br />

Forschungsarbeiten aus jüngerer Zeit haben <strong>das</strong> Konzept der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit <strong>in</strong> der Interaktion<br />

mit dem Säugl<strong>in</strong>g um die Bedeutung der Sprache ergänzt sowie auch auf den E<strong>in</strong>fluss des Rhythmus<br />

und der Zeit <strong>in</strong> der Interaktion h<strong>in</strong>gewiesen (Brisch 2005). E<strong>in</strong>e gelungene und die B<strong>in</strong>dungssicherheit<br />

fördernde Interaktion zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d zeigt sich demnach auch <strong>in</strong> der „Synchronizität“ ihrer<br />

geme<strong>in</strong>samen Interaktion, d. h. <strong>in</strong> dem Ausmaß an Reziprozität und Gegenseitigkeit im kommunikativen<br />

Austausch. Man kann die Synchronizität auch als e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fühlsam aufe<strong>in</strong>ander abgestimmten<br />

<strong>„emotionale</strong>n Tanz“ beschreiben: Die B<strong>in</strong>dungsperson reagiert auf die Signale des Säugl<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

zeitlich und rhythmisch abgestimmten Weise, und <strong>das</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d wiederum „belohnt“ die Bezugsperson<br />

mit se<strong>in</strong>en antwortenden Signalen. Beide Interaktionspartner erwidern und „spiegeln“ den emotionalen<br />

Zustand des jeweils anderen <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere, wenn dieser positiv ist.<br />

Die zur Synchronizität beitragende Fe<strong>in</strong>fühligkeit der B<strong>in</strong>dungsperson zeigt sich <strong>in</strong> ihrem Verhalten,<br />

<strong>in</strong> der Sprache, im Rhythmus, <strong>in</strong> ihrem Blickkontakt und <strong>in</strong> den Berührungen des Säugl<strong>in</strong>gs. Die<br />

B<strong>in</strong>dungsperson muss die Signale des Säugl<strong>in</strong>gs wahrnehmen, richtig <strong>in</strong>terpretieren sowie angemessen<br />

und prompt reagieren.<br />

33


34<br />

Handlungsaspekte zur Förderung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung<br />

• Verbalisierung der „<strong>in</strong>neren Welt“ der affektiven Zustände des K<strong>in</strong>des sowie se<strong>in</strong>er Handlungszusammenhänge<br />

• Wechselseitige Abstimmung <strong>in</strong> der Eltern-Säugl<strong>in</strong>gs-Interaktion und Kommunikation sowie die „Korrektur“<br />

von dialogischen Missverständnissen<br />

• Blickkontakt mit e<strong>in</strong>er gelungenen Affektabstimmung („Intersubjektivität“) zwischen Säugl<strong>in</strong>g und<br />

Pflegeperson<br />

• Fe<strong>in</strong>fühlige Berührung und Körperkontakt zwischen Pflegeperson und Säugl<strong>in</strong>g<br />

(nach: Brisch 2006)<br />

E<strong>in</strong> entspannter und flexibler Kommunikationsstil, <strong>in</strong> dem sich beide Interaktionspartner wohl fühlen,<br />

sowie e<strong>in</strong> mittleres Maß an rhythmischer Koord<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> der zeitlichen Abfolge von Interaktionen<br />

zwischen B<strong>in</strong>dungsperson und K<strong>in</strong>d fördern die emotionale Selbstregulationsfähigkeit des Säugl<strong>in</strong>gs.<br />

Zudem können vorübergehende (und unvermeidliche) Entgleisungen und Missverständnisse <strong>in</strong> der<br />

emotionalen Kommunikation besser akzeptiert und geme<strong>in</strong>sam „repariert“ werden, um wieder e<strong>in</strong>e<br />

Synchronizität und positive Gegenseitigkeit im kommunikativen Dialog herzustellen (Berk 2005). Interessanter-<br />

weise kommt es auch nicht auf e<strong>in</strong>e perfekt synchrone Abstimmung zwischen Mutter (Vater) und K<strong>in</strong>d<br />

an, die ansche<strong>in</strong>end gar nicht so entwicklungsförderlich ist, sondern im Gegenteil: Wahrgenommene<br />

und korrigierte Missverständnisse wirken sich sogar beziehungsfördernd auf die B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />

aus <strong>–</strong> vorausgesetzt, sie s<strong>in</strong>d nicht zu ausgeprägt und führen nicht zum Ause<strong>in</strong>anderdriften und Abbruch<br />

der Kommunikation. Auch wenn Säugl<strong>in</strong>ge den deklarativen Inhalt der Worte von Mutter und Vater<br />

noch nicht verstehen können, fühlen sie sich (neben fe<strong>in</strong>fühligen Pflegehandlungen) auch durch die<br />

empathische Verbalisation von Affektzuständen verstanden und b<strong>in</strong>den sich auch dadurch an ihre<br />

B<strong>in</strong>dungsperson (Brisch 2005).<br />

Eltern tragen durch <strong>das</strong> Widerspiegeln k<strong>in</strong>dlicher Verhaltensäußerungen auch zur Entwicklung der k<strong>in</strong>dlichen<br />

Selbstwahrnehmung bei: Sie ermöglichen dem K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> ihrem Gesicht sich selbst zu erblicken. Die Spiegelung<br />

des K<strong>in</strong>des durch die Mutter (oder den Vater) darf dabei nicht zu weit vom k<strong>in</strong>dlichen Selbsterleben<br />

abweichen. Sonst entstehen zwei unterschiedliche „Versionen“ der Realität, die <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d an der Echtheit<br />

se<strong>in</strong>er Gefühle zweifeln lässt.<br />

Die B<strong>in</strong>dungsperson muss bereit se<strong>in</strong>, <strong>das</strong> subjektive <strong>in</strong>nere Erleben des K<strong>in</strong>des zu teilen. Sehr bedeutsam<br />

ist es dabei auch, <strong>das</strong> Wahrgenommene sprachlich zu bestätigen. Hierzu s<strong>in</strong>d ausreichend gute Abstimmungsprozesse<br />

nötig, die e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>sam gelebte Wirklichkeit entstehen lässt.<br />

(nach: Haug-Schnabel 2007)


Was kennzeichnet sensibles elterliches Verhalten?<br />

Ermittlung der Regulierung des Wachheits- und Erregungszustandes des K<strong>in</strong>des<br />

Durch kurzes Berühren der Hand oder des K<strong>in</strong>ns des Säugl<strong>in</strong>gs fühlen die Eltern, wie angespannt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

ist. Gegebenenfalls beruhigen sie es etwas, z. B. durch Streicheln oder rhythmische Bewegungen, oder<br />

sie regen es anderenfalls e<strong>in</strong> wenig an und aktivieren se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit.<br />

Aufnahme von direktem Blickkontakt<br />

Durch Rufen des K<strong>in</strong>des („Guckguck“) und rhythmisches Lautieren erreichen die<br />

Eltern, <strong>das</strong>s sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ihnen zuwendet und sie anblickt. Intuitiv nehmen sie die optimale Distanz von<br />

circa 25 Zentimetern e<strong>in</strong> und halten den Blickkontakt aufrecht durch Augengruß (Hochziehen der Stirnfalten)<br />

und Kopfnicken.<br />

Aufbau e<strong>in</strong>er echten Kommunikationssituation<br />

Eltern beziehen sich durchgängig auf ihr K<strong>in</strong>d als vollwertigen Gesprächspartner. Dabei übertreiben sie<br />

nötigenfalls ihr mimisches und gestisches Verhalten, signalisieren ihm ggf. durch erhöhte Stimmlage und<br />

Lachen, <strong>das</strong>s sie mit ihm kommunizieren wollen. Sie reagieren sensibel auf se<strong>in</strong>e Äußerungen, welche sie<br />

ihm widerspiegeln und geme<strong>in</strong>sam mit ihm wiederholen. Durch abwechselndes Nachahmen und „Duettieren“<br />

entstehen so allmählich kle<strong>in</strong>e Dialoge.<br />

Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>er angemessenen Stimulation<br />

Solange <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d Interesse signalisiert, halten die Eltern den Blickkontakt und die Kommunikationssituation<br />

aufrecht. Sie passen sich dabei dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>em Auffassungsvermögen an. Das gilt für ihr gesamtes<br />

sprachliches Verhalten (z. B. Tonfall, Satzmelodie, Wortwahl, Länge der Äußerungen, Wiederholungen) und<br />

<strong>das</strong> nonverbale Verhalten (Mimik, Gestik, Körperhaltung), mit dem sie sich kont<strong>in</strong>uierlich auf alle vom K<strong>in</strong>d<br />

ausgehenden Signale beziehen.<br />

Förderung und Aufbau ganzheitlicher („<strong>in</strong>tegrativer“) Prozesse durch multimodale Stimulation<br />

Eltern kommunizieren mit ihrem Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d über alle Kommunikationskanäle und S<strong>in</strong>ne (akustisch, visuell,<br />

taktil), regen durch <strong>das</strong> Imitieren se<strong>in</strong>er Äußerungen Nachahmungsverhalten an, stimmen sich auf se<strong>in</strong>e<br />

Gefühlslage e<strong>in</strong>, die sie ihm <strong>in</strong> verstärkter Form widerspiegeln. Sie wiederholen <strong>in</strong> spielerischer Weise ihre<br />

eigenen Vokalisationen und Verbalisationen, variieren diese dabei immer wieder und ermuntern <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d,<br />

es auch so zu machen. So entstehen kle<strong>in</strong>e Spieldialoge, die ritualisiert und <strong>in</strong> zukünftigen Kommunikationssituationen<br />

leicht wiederhergestellt werden können.<br />

(nach: Rauh 2007)<br />

35


36<br />

4.2 Das Temperament des Säugl<strong>in</strong>gs<br />

Die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität ist immer <strong>das</strong> Resultat der Beziehung von zwei mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong>teragierenden Personen. Bisher haben wir uns ausschließlich mit den förderlichen und h<strong>in</strong>derlichen<br />

Faktoren auf Seiten der B<strong>in</strong>dungsperson(en) bzw. der Eltern befasst. Zur weiteren Differenzierung und<br />

Ergänzung der diskutierten Zusammenhänge müssen aber auch die <strong>in</strong>dividuellen Verhaltensbereitschaften<br />

des Säugl<strong>in</strong>gs als Beitrag zu e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden oder entgleisenden Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion berücksichtigt<br />

werden. Manche K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d warmherzig, freundlich und responsiv gegenüber Erwachsenen und<br />

machen es damit der B<strong>in</strong>dungsperson leichter, e<strong>in</strong>e Beziehung zum K<strong>in</strong>d aufzubauen, während andere<br />

K<strong>in</strong>der eher gereizt, leicht irritierbar und schwerer zu trösten s<strong>in</strong>d und damit e<strong>in</strong>en Beziehungsaufbau<br />

erschweren (Brisch 2000). Diese <strong>in</strong>dividuellen Differenzen s<strong>in</strong>d bereits kurz nach der Geburt relativ<br />

zuverlässig messbar.<br />

In Längsschnittstudien konnten aus dem Verhalten der Neugeborenen Vorhersagen auf die B<strong>in</strong>dungs-<br />

qualität im Alter von e<strong>in</strong>em Jahr gemacht werden. E<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Orientierungsfähigkeit des Neugeborenen<br />

im Brazelton-Test ebenso wie e<strong>in</strong>e generell hohe Irritierbarkeit als e<strong>in</strong> Aspekt des k<strong>in</strong>dlichen Tempera-<br />

ments h<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> verschiedenen Studien mit e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>dung zusammen (Spangler 1999).<br />

E<strong>in</strong> besonders „schwieriger“ Säugl<strong>in</strong>g <strong>–</strong> etwa mit Essproblemen, unstillbarem Schreien oder ausge-<br />

prägten Schlafproblemen <strong>–</strong> wird e<strong>in</strong>e durchschnittlich fe<strong>in</strong>fühlige Mutter <strong>in</strong> ihren Fähigkeiten stark<br />

heraus- und teilweise überfordern. Ganz unabhängig von den möglichen Ursachen des „schwierigen<br />

Temperaments“ e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des, kommt es vor allem auf e<strong>in</strong>e gute Passung zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d an.<br />

E<strong>in</strong> schwieriges Temperament kann die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität erschweren, muss<br />

diese aber nicht grundsätzlich unmöglich machen. Voraussetzung hierfür ist e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>fühlige E<strong>in</strong>stim-<br />

mung der B<strong>in</strong>dungsperson auf die besonderen Bedürfnisse des „schwierigen K<strong>in</strong>des“. In solch e<strong>in</strong>em<br />

Fall bedarf die Bezugsperson auch ausreichender Unterstützung und Entlastung von außen, um nicht<br />

selbst überfordert zu werden.<br />

Auch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit „schwierigem Temperament“ kann e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität entwickeln. Hierfür<br />

bedarf es vonseiten der B<strong>in</strong>dungsperson aber e<strong>in</strong>es erhöhten Aufwands im S<strong>in</strong>ne der Fe<strong>in</strong>fühligkeit und<br />

zusätzlich externer Unterstützung und Entlastung für die B<strong>in</strong>dungsperson selbst.<br />

4.3 Der erweiterte systemische Kontext<br />

Auch wenn sich b<strong>in</strong>dungstheoretische Forschung mit ihren Analysen und Untersuchungsmethoden häufig<br />

im sche<strong>in</strong>bar abgeschlossenen, dyadischen Mutter-K<strong>in</strong>d-Kontext bewegt, be<strong>in</strong>haltet sie nach John<br />

Bowlby e<strong>in</strong> systemtheoretisches Grundverständnis, welches auch E<strong>in</strong>flussfaktoren im weiteren sozialen


Umfeld von Mutter und K<strong>in</strong>d berücksichtigt. E<strong>in</strong>e gut funktionierende elterliche Partnerschaft stellt<br />

dabei mit Sicherheit e<strong>in</strong>en der wichtigsten äußeren E<strong>in</strong>flussfaktoren auf die B<strong>in</strong>dungsentwicklung des<br />

K<strong>in</strong>des dar. Partner, die e<strong>in</strong> hohes Maß an positiver Gegenseitigkeit <strong>in</strong> der Kommunikation und an<br />

Konfliktfähigkeit aufweisen, und sich <strong>in</strong> ihren erzieherischen Handlungen abstimmen und e<strong>in</strong>ander<br />

vertrauen („Coparent<strong>in</strong>g“) tragen damit wesentlich zum Aufbau e<strong>in</strong>es positiven Familienklimas bei,<br />

welches sich gleichfalls auf die Fe<strong>in</strong>fühligkeit beider Partner <strong>in</strong> ihrer Elternrolle auswirkt. Väter können<br />

beispielsweise <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en Phase der Elternschaft (z. B. während des Wochenbetts) e<strong>in</strong>e wichtige Rolle<br />

für ihre Partner<strong>in</strong> ausüben, <strong>in</strong>dem sie die Mutter entlasten und vor dem „Vers<strong>in</strong>ken“ <strong>in</strong> die exklusive<br />

Mutter-K<strong>in</strong>d-Dyade bewahren sowie selbst e<strong>in</strong>e eigenständige B<strong>in</strong>dung zum K<strong>in</strong>d aufbauen und der<br />

Mutter damit e<strong>in</strong>e „Verschnaufpause“ zur Erholung gewähren.<br />

Unter systemischen Gesichtspunkten ist auch die Qualität des elterlichen Beziehungsverhältnisses zu<br />

den Großeltern des K<strong>in</strong>des von Bedeutung: Stehen sie der Elternschaft positiv und unterstützend<br />

gegenüber? Sehen sie ihre zukünftige Rolle als Großeltern als Bereicherung an?<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d alle Formen „struktureller Entlastung“ (gesicherte f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung bzw.<br />

Arbeitsplatzsicherheit, ausreichende soziale Kontakt- und Vernetzungsmöglichkeiten für Mütter und<br />

Väter, qualitativ hochwertige K<strong>in</strong>derbetreuungsmöglichkeiten etc.) zentrale Faktoren, um Eltern zu<br />

ermöglichen, sich <strong>in</strong> dieser entscheidenden Zeit voll auf ihr K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>zulassen. Für e<strong>in</strong>e „h<strong>in</strong>reichend<br />

gute“ Fe<strong>in</strong>fühligkeit der B<strong>in</strong>dungsperson dem K<strong>in</strong>d gegenüber bedarf es auch Beratungs- und<br />

Bildungsprogramme, welche Mütter und Väter über den Verlauf der B<strong>in</strong>dungsentwicklung <strong>in</strong>formieren,<br />

elterliche „Fe<strong>in</strong>fühligkeit“ tra<strong>in</strong>ieren sowie gegebenenfalls praktisch-organisatorische Hilfestellungen im<br />

Alltag bieten.<br />

Möglicherweise bedarf es auch e<strong>in</strong>es spezifischen Beratungsangebots für Väter, etwa wenn die Geburt<br />

sehr komplikationsreich oder gar lebensbedrohlich für die Mutter und Partner<strong>in</strong> verlaufen ist. Väter<br />

müssen dieses unter Umständen traumatische Erlebnis selbst verarbeiten können, um die Rolle des<br />

„stabilen Ankers“ für die Partner<strong>in</strong> sowie als B<strong>in</strong>dungsperson des K<strong>in</strong>des kompetent ausüben zu können.<br />

Aufgrund der heutzutage häufigen, auch von den Partner<strong>in</strong>nen gewünschten Teilnahme der Väter am<br />

Geburtsvorgang plädiert der B<strong>in</strong>dungsforscher Karl-He<strong>in</strong>z Brisch sogar für e<strong>in</strong>e eigenständige emotionale<br />

Betreuung des werdenden Vaters im Rahmen des Geburtsvorgangs (Brisch 2007a).<br />

37


38<br />

Alltägliche Handlungskontexte, <strong>in</strong> denen B<strong>in</strong>dung entstehen kann<br />

B<strong>in</strong>dung entsteht <strong>in</strong> der alltäglichen Begegnung von Eltern und Baby. E<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>fühlig aufe<strong>in</strong>ander abgestimmter<br />

Austausch <strong>–</strong> etwa beim Stillen, Füttern, Wickeln, Spielen oder Schlafengehen <strong>–</strong> erhöht <strong>das</strong> gegenseitige<br />

Vertrauen und führt dazu, <strong>das</strong>s sich <strong>das</strong> Baby und die Eltern besser kennenlernen und der Säugl<strong>in</strong>g sich<br />

bei se<strong>in</strong>en Eltern vertraut und sicher fühlen kann.<br />

So können Eltern fe<strong>in</strong>fühlig die Signale des K<strong>in</strong>des wahrnehmen, mit denen es se<strong>in</strong>e Bereitschaft zu tr<strong>in</strong>ken<br />

oder aber e<strong>in</strong>e gewünschte Pause signalisiert. Vielleicht entdeckt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d während des Stillens zufällig<br />

etwas anderes Interessantes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung und möchte sich darauf kurzzeitig konzentrieren. Eltern<br />

sollten dieses Signal aufgreifen und es positiv kommentieren. Das Stillen des K<strong>in</strong>des wie <strong>das</strong> Füttern mit<br />

der Flasche wird als soziale Interaktion verstanden, während der die Eltern für die vom K<strong>in</strong>d ausgehenden<br />

Signale stets aufmerksam bleiben. Dies bedeutet auch, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Füttern des K<strong>in</strong>des nach Bedarf („on<br />

demand“) und nicht nach starren Regeln erfolgen sollte.<br />

Auch beim Wickeln s<strong>in</strong>d fe<strong>in</strong>fühlige Pflegeabläufe erforderlich: Nimmt die B<strong>in</strong>dungsperson wahr, wenn sich<br />

<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d beim W<strong>in</strong>delnwechseln kurzzeitig „sträubt“, weil es vielleicht gerade aufgewacht ist und sich erst<br />

langsam darauf e<strong>in</strong>stimmen kann? Verbalisiert sie die Regungen des K<strong>in</strong>des während der motorischen<br />

Pflegeabläufe und nimmt sie wahr, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sie dabei <strong>in</strong>tensiv anschaut und nach e<strong>in</strong>er „Erklärung“<br />

fragt? Bleibt sie <strong>in</strong>sgesamt während des motorischen Koord<strong>in</strong>ationsablaufs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven Gefühlszustand<br />

und kommuniziert rege mit dem K<strong>in</strong>d?<br />

Während des geme<strong>in</strong>samen Spiels mit dem K<strong>in</strong>d sollten Eltern auf e<strong>in</strong>en abgestimmten „Spieldialog“ achten,<br />

<strong>in</strong>dem sie die vom K<strong>in</strong>d geäußerten Interessensbekundungen aufgreifen und geme<strong>in</strong>sam weiterführen.<br />

Dabei sollte <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d weder über- noch unterstimuliert werden. Signalisiert <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong> Des<strong>in</strong>teresse an<br />

e<strong>in</strong>er Spielsache, ist <strong>das</strong> <strong>das</strong> Signal zur Beendigung der Spiel<strong>in</strong>teraktion.<br />

Auch die alltäglichen E<strong>in</strong>schlafepisoden stellen für Eltern e<strong>in</strong>e Herausforderung an ihre Fe<strong>in</strong>fühligkeit dar.<br />

Das Schlafengehen ist als e<strong>in</strong>e Trennungsepisode zu verstehen, die <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d aufgrund des damit verbundenen<br />

Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong>s ängstigt. Babys und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der können durch fe<strong>in</strong>fühlige Übergange <strong>in</strong> die Schlafenszeit<br />

(Rituale schaffen, Verabschiedung vom K<strong>in</strong>d, regelmäßige Wiederkehr, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d we<strong>in</strong>t) lernen, alle<strong>in</strong><br />

zu se<strong>in</strong> bzw. mit e<strong>in</strong>em Sicherheitsgefühl e<strong>in</strong>zuschlafen. Voraussetzung hierfür ist die unmittelbare und<br />

verlässliche Beantwortung der k<strong>in</strong>dlichen B<strong>in</strong>dungssignale, so<strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>das</strong> Sicherheitsgefühl<br />

allmählich ver<strong>in</strong>nerlicht.


5<br />

Generationsübergreifende Weitergabe von<br />

B<strong>in</strong>dungs(un)sicherheit<br />

Weiterentwicklungen der B<strong>in</strong>dungstheorie führten zu der Fragestellung, ob <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell<br />

von B<strong>in</strong>dung der Eltern selbst e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Ausbildung der B<strong>in</strong>dungsqualität beim K<strong>in</strong>d hat.<br />

Forschungsbefunde konnten zeigen, <strong>das</strong>s der statistische Zusammenhang zwischen der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />

und dem Verhalten des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> der „Fremden Situation“ nur mittelstark ausgeprägt war<br />

(Brisch 2000). Durch die mittels e<strong>in</strong>es speziellen Interviewverfahrens, dem sogenannten Adult-Attachment-<br />

Interview (George et al. 1984/1985/1996), erfasste elterliche B<strong>in</strong>dungsrepräsentation konnte die k<strong>in</strong>dliche<br />

B<strong>in</strong>dungsqualität wesentlich zuverlässiger vorhergesagt werden als durch die elterliche Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />

alle<strong>in</strong>e, welche im Gegensatz zur B<strong>in</strong>dungsrepräsentation nur auf der Verhaltensebene erfasst wird<br />

(Grossmann et al. 1988, zit. n. Brisch 2000). Dies bedeutet, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e „mentale Struktur“ der Eltern<br />

die B<strong>in</strong>dungsqualität ihrer K<strong>in</strong>der maßgeblich bee<strong>in</strong>flusst. Vere<strong>in</strong>facht dargestellt: Unsicher gebundene<br />

Eltern haben überzufällig häufig auch unsicher gebundene K<strong>in</strong>der.<br />

Das <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell von B<strong>in</strong>dung der Eltern stellt e<strong>in</strong>en Komplex ver<strong>in</strong>nerlichter Erwartungen<br />

bezüglich des Umgangs mit den eigenen B<strong>in</strong>dungswünschen durch <strong>das</strong> soziale Umfeld dar, welcher sich<br />

aus den persönlichen, <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dheit gemachten Erfahrungen mit den primären B<strong>in</strong>dungspersonen<br />

ableitet. Eltern br<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den Familienkontext immer e<strong>in</strong>e lange persönliche Geschichte ihrer eigenen<br />

B<strong>in</strong>dungserfahrungen mit e<strong>in</strong>, die ihre <strong>in</strong>ternalen Arbeitsmodelle konstruiert haben und sich nun auf<br />

die Beziehung zu ihren eigenen K<strong>in</strong>dern <strong>–</strong> oft unbewusst <strong>–</strong> auswirken. Somit kann es se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s über<br />

mehrere Generationen h<strong>in</strong>weg bestimmte B<strong>in</strong>dungsqualitäten „sozial vererbt“ werden und Eltern ihre<br />

unsichere B<strong>in</strong>dungsrepräsentation auf ihre eigenen K<strong>in</strong>der ungewollt übertragen. Selbst <strong>das</strong> persönliche<br />

Wissen um die eigenen (negativen) Erfahrungen kann die <strong>in</strong>tergenerationale Weitergabe nicht immer<br />

erfolgreich verh<strong>in</strong>dern, da unsichere B<strong>in</strong>dungserfahrungen emotional tief verankert s<strong>in</strong>d und nur <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em selbstreflexiven und zugleich sozial-<strong>in</strong>teraktiven Bearbeitungsprozess <strong>in</strong> ihrer „Wirkmächtigkeit“<br />

schrittweise aufgelöst werden können.<br />

Eltern mit e<strong>in</strong>er sicher organisierten Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben überzufällig häufig auch K<strong>in</strong>der mit<br />

e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität. Ihr sicheres B<strong>in</strong>dungsmodell befähigt die Eltern, e<strong>in</strong> durchgehend e<strong>in</strong>fühlsameres<br />

Verhalten bezüglich der B<strong>in</strong>dungswünsche des K<strong>in</strong>des umzusetzen und damit zur Entwicklung<br />

von B<strong>in</strong>dungssicherheit beizutragen.<br />

Erwachsene mit e<strong>in</strong>er unsicher organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben im Gegensatz<br />

dazu überzufällig häufig K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>dungsqualität. Die vom K<strong>in</strong>d signalisierten B<strong>in</strong>dungswünsche<br />

reaktivieren bei diesen Eltern schmerzhafte Gefühle und Er<strong>in</strong>nerungen aus der eigenen K<strong>in</strong>dheit,<br />

welche die Eltern projektiv abwehren müssen und sie <strong>in</strong> der Folge „bl<strong>in</strong>d“ gegenüber den Bedürfnissen<br />

des eigenen K<strong>in</strong>des machen. Dadurch wird die Entwicklung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität beim K<strong>in</strong>d<br />

erschwert, im schlimmsten Falle werden wiederbelebte Er<strong>in</strong>nerungen mit dem eigenen K<strong>in</strong>d wiederholt.<br />

(nach: Brisch 2005)<br />

39


40<br />

5.1 Das <strong>in</strong>nere Modell von B<strong>in</strong>dung der Eltern als vermittelnde E<strong>in</strong>flussgröße<br />

Die im Erwachsenenalter erfassten <strong>in</strong>neren Modelle von B<strong>in</strong>dung lassen sich <strong>–</strong> <strong>in</strong> Analogie zur im K<strong>in</strong>desalter<br />

<strong>in</strong> der „Fremden Situation“ diagnostizierten B<strong>in</strong>dungsqualität <strong>–</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sicher-autonome, unsicherdistanzierte,<br />

unsicher-verstrickte sowie unverarbeitete B<strong>in</strong>dungsrepräsentation unterteilen (Brisch 2000).<br />

Erwachsene mit e<strong>in</strong>er sicher-autonom organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben e<strong>in</strong>e<br />

wertschätzende E<strong>in</strong>stellung zur B<strong>in</strong>dung. Sie berichten von positiven Erlebnissen mit ihren Eltern und<br />

von B<strong>in</strong>dungssituationen, <strong>in</strong> denen sie Trost und liebevolle Fürsorge erfahren haben. Falls die K<strong>in</strong>dheitserlebnisse<br />

von Schmerz, Trennung und Verlusten geprägt waren, können solche Personen trotzdem<br />

differenziert und mit e<strong>in</strong>em hohen Ausmaß an Selbstreflexivität über ihre Erfahrungen berichten (a. a.<br />

O.). Diese selbstreflexive Kompetenz und Distanziertheit gegenüber den eigenen negativen K<strong>in</strong>dheitserlebnissen<br />

kann durch wichtige „korrektive“ emotionale Erfahrungen (z. B. e<strong>in</strong>e sehr gute Partnerschaftsbeziehung)<br />

oder auch im Rahmen e<strong>in</strong>es psychotherapeutischen Prozesses erworben worden se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem<br />

die <strong>früh</strong>eren Erfahrungen bearbeitet wurden.<br />

Erwachsene mit e<strong>in</strong>er unsicher-vermeidend organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation von B<strong>in</strong>dung haben<br />

e<strong>in</strong>e eher abwertende („distanzierte“) E<strong>in</strong>stellung zur B<strong>in</strong>dung. Sie verfügen über wenige Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an ihre eigene K<strong>in</strong>dheit und messen dem E<strong>in</strong>fluss der B<strong>in</strong>dungserfahrungen auf ihren Lebenslauf sowie<br />

der B<strong>in</strong>dung allgeme<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en größeren Wert bei. Es f<strong>in</strong>den sich häufig auch Idealisierungen der elterlichen<br />

Beziehungen, die aber nicht mit Beispielen belegt werden können.<br />

Erwachsene mit e<strong>in</strong>er unsicher-ambivalent organisierten <strong>in</strong>neren Repräsentation zeigen e<strong>in</strong>e „verstrickte“/<br />

präokkupierte E<strong>in</strong>stellung zur B<strong>in</strong>dung. In ihren Beschreibungen der eigenen B<strong>in</strong>dungserfahrungen der<br />

K<strong>in</strong>dheit f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>e Fülle von Details, <strong>in</strong>haltlichen Verstrickungen und widersprüchlichen Aussagen,<br />

welche der Person selbst aber nicht bewusst s<strong>in</strong>d.<br />

Erwachsene, die <strong>in</strong> ihrem Leben häufiger Traumata wie extreme Verluste, Misshandlung oder sogar<br />

Missbrauch erlebt haben und diese noch nicht verarbeiten konnten, weisen e<strong>in</strong> hohes Ausmaß an Des-<br />

organisation und Desorientierung <strong>in</strong> ihren Aussagen zu den eigenen B<strong>in</strong>dungserfahrungen der K<strong>in</strong>dheit<br />

auf. Solche B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen werden als unsicher organisiert (mit unverarbeitetem Trauma<br />

und/oder Verlust) bezeichnet (a. a. O.).<br />

Inwieweit die B<strong>in</strong>dungsrepräsentation tatsächlich die wirklichen von Eltern bzw. Erwachsenen <strong>in</strong> ihrer<br />

K<strong>in</strong>dheit erlebten B<strong>in</strong>dungserfahrungen widerspiegelt, ist unter Fachleuten umstritten. Bei <strong>in</strong>ternalen<br />

Arbeitsmodellen von B<strong>in</strong>dung handelt es sich nämlich um rekonstruierte Er<strong>in</strong>nerungen, die von vielen<br />

Faktoren mit bee<strong>in</strong>flusst werden können. Dazu gehören auch die im späteren Leben gesammelten Beziehungs-


erfahrungen, die eigene Persönlichkeit oder die momentane Lebenszufriedenheit (Berk 2005). Autobio-<br />

grafische Er<strong>in</strong>nerungen können somit auch <strong>das</strong> Produkt e<strong>in</strong>er bereits erfolgten „Überarbeitung“ se<strong>in</strong>,<br />

auch wenn sie uns subjektiv als direkte Abbilder der Vergangenheit ersche<strong>in</strong>en mögen.<br />

Entscheidend für die Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität beim K<strong>in</strong>d ist nicht zwangsläufig die Qualität<br />

der von den Eltern selbst gemachten K<strong>in</strong>dheitserfahrungen, sondern die Art und Weise, wie diese ihre<br />

Erfahrungen bewerten und welche E<strong>in</strong>stellung sie gegenüber ihrer K<strong>in</strong>dheit e<strong>in</strong>nehmen. So können auch<br />

Eltern mit e<strong>in</strong>em unsicheren B<strong>in</strong>dungsmodell ihre negativen Erfahrungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em selbstreflexiven Prozess<br />

verarbeiten, <strong>in</strong> der Folge neue bzw. dem unsicheren B<strong>in</strong>dungsmodell zuwider laufende, positive B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />

machen und <strong>in</strong>tegrieren, und ihrem K<strong>in</strong>d durch die erworbene selbstreflexive Sicherheit als<br />

sichere Basis und sicherer Hafen zur Verfügung stehen.<br />

(Ma<strong>in</strong> 2001)<br />

5.2 Unterschiedliche B<strong>in</strong>dungsmuster der Eltern führen zu unterschiedlichen Kommunikationsmustern<br />

mit dem Säugl<strong>in</strong>g<br />

Die <strong>in</strong>nere B<strong>in</strong>dungsrepräsentation jedes Elternteils hat e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die B<strong>in</strong>dungsqualität des<br />

K<strong>in</strong>des. Im Folgenden werden vier unterschiedliche Beispiele der Interaktion zwischen e<strong>in</strong>em Vater<br />

und se<strong>in</strong>er vier Monate alten Tochter beschrieben, welche die verschiedenen Fürsorgeverhaltensweisen<br />

demonstrieren sollen, die sich aus der Qualität der B<strong>in</strong>dungsorganisation des Elternteils ergeben (Siegel<br />

& Hartzel 2003).<br />

Sicher-autonome B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (F-Klassifikation)<br />

Eltern mit e<strong>in</strong>er sicher-autonomen B<strong>in</strong>dungsrepräsentation verhalten sich ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber fe<strong>in</strong>fühlig,<br />

d. h. sie können die B<strong>in</strong>dungssignale ihres K<strong>in</strong>des sofort wahrnehmen, richtig <strong>in</strong>terpretieren und<br />

reagieren angemessen und zeitnah darauf.<br />

Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Ich weiß und kann darauf<br />

vertrauen, <strong>das</strong>s ich mich <strong>in</strong> Stresssituationen an dich wenden kann, um Trost und Sicherheit zur Bewäl-<br />

tigung me<strong>in</strong>er beunruhigenden Gefühle zu erfahren, um mich danach wieder me<strong>in</strong>en Spielaktivitäten<br />

zuzuwenden.<br />

41


42<br />

„Das Baby ist hungrig und fängt an zu we<strong>in</strong>en. Der Vater hört es und legt se<strong>in</strong>e Zeitung beiseite. Er geht zum<br />

K<strong>in</strong>d, um nachzusehen, ob etwas nicht stimmt. Er nimmt se<strong>in</strong>e Tochter behutsam auf den Arm, schaut ihr <strong>in</strong><br />

die Augen und sagt: ‚Was ist los, me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Schatz? Soll Papa mit dir spielen? Ah, ich weiß. Ich wette, du<br />

hast Hunger. Ist es <strong>das</strong>, was du mir sagen willst?‘ Er nimmt sie mit <strong>in</strong> die Küche und bereitet e<strong>in</strong>e Flasche<br />

zu. Dabei spricht er mit ihr und sagt ihr, <strong>das</strong>s die Flasche bald fertig ist und sie bald zu essen bekommt. Er<br />

setzt sich, hält sie im Arm und gibt ihr die Flasche. Se<strong>in</strong>e Tochter schaut <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gesicht, zufrieden durch die<br />

warme Milch und den liebevollen Austausch mit ihrem Vater. Sie fühlt sich wohl. Die Signale ihres Kummers<br />

wurden vom Vater wahrgenommen, er konnte sie richtig <strong>in</strong>terpretieren und handelte zügig und effektiv“<br />

(Siegel & Hartzell 2003, S. 126).<br />

Aus diesem Ereignis und zahlreichen weiteren gelungenen Interaktionen mit dem Vater lernt <strong>das</strong> Baby,<br />

<strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Bedürfnisse verstanden, respektiert und richtig beantwortet werden. Es kann e<strong>in</strong> <strong>„emotionale</strong>s<br />

<strong>Band</strong>“ zu se<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson aufbauen und lernt, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale e<strong>in</strong>e angenehme Reaktion bei<br />

se<strong>in</strong>er Bezugsperson hervorrufen: E<strong>in</strong>e vertrauensvolle, sichere B<strong>in</strong>dungsbeziehung entsteht.<br />

Unsicher-distanzierte B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (D-Klassifikation: „dismiss<strong>in</strong>g“)<br />

Eltern mit e<strong>in</strong>er unsicher-distanzierten B<strong>in</strong>dungsrepräsentation verhalten sich ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber<br />

häufig nicht h<strong>in</strong>reichend fe<strong>in</strong>fühlig, stimmen sich emotional nicht auf die Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong><br />

bzw. vermeiden <strong>in</strong>nerlich die gefühlsmäßigen Reaktionen, welche <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en B<strong>in</strong>dungssignalen<br />

bei ihnen auslöst. So kann es se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsperson für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zwar körperlich anwesend, aber<br />

emotional nicht verfügbar ist bzw. sich une<strong>in</strong>fühlsam und ablehnend verhält. Oder aber der Kontakt<br />

mit dem K<strong>in</strong>d wird <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen ganz vermieden. Solche Eltern s<strong>in</strong>d meist selbst<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>„emotionale</strong>n Ödland“ aufgewachsen und haben diese für sie schlimmen Erfahrungen (noch)<br />

nicht verarbeiten können. Das K<strong>in</strong>d entwickelt <strong>in</strong> der Folge e<strong>in</strong>en unsicher-vermeidenden B<strong>in</strong>dungsstil.<br />

Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Ich fühle mich gestresst, meide<br />

aber de<strong>in</strong>e Nähe aus Angst vor e<strong>in</strong>er (erneuten) Zurückweisung. Nur wenn der Stress so groß wird, <strong>das</strong>s<br />

ich gar nicht mehr selber damit klarkomme, kann ich mich überw<strong>in</strong>den zu dir zu kommen und fühle<br />

mich durch de<strong>in</strong>e Nähe doch entlastet.


„Wenn <strong>das</strong> Baby schreit, hört der Vater es zunächst nicht. Wenn die kle<strong>in</strong>e Tochter nachdrücklicher schreit,<br />

schaut er von se<strong>in</strong>er Zeitung auf, aber er liest erst noch den Artikel zu Ende, bevor er nach ihr sieht. Er fühlt<br />

sich durch die Unterbrechung gestört, schaut sie an und sagt: ‚He, was soll <strong>das</strong> Theater?‘ Er denkt, <strong>das</strong>s<br />

sie vielleicht e<strong>in</strong>e frische W<strong>in</strong>del braucht, legt sie auf den Wickeltisch, wickelt sie ohne e<strong>in</strong> weiteres Wort,<br />

setzt sie wieder <strong>in</strong> den Laufstall und kehrt zu se<strong>in</strong>er Zeitung zurück. Sie we<strong>in</strong>t weiter, also denkt er, <strong>das</strong>s<br />

sie vielleicht Schlaf braucht und legt sie <strong>in</strong> ihre Wiege. Sie we<strong>in</strong>t immer noch, also deckt er sie zu und gibt<br />

ihr e<strong>in</strong>en Schnuller, <strong>in</strong> der Hoffnung, <strong>das</strong>s sie dann still ist. Er schließt die Tür und denkt, <strong>das</strong>s sie sich bald<br />

beruhigt haben wird. Sie beruhigt sich nicht, und mittlerweile ist e<strong>in</strong>e Dreiviertelstunde vergangen, seit sie<br />

versucht hat ihm mitzuteilen, <strong>das</strong>s sie hungrig ist. ‚Vielleicht ist sie hungrig‘, wird dem Vater klar, als er auf<br />

die Uhr schaut und sieht, <strong>das</strong>s es schon mehr als drei Stunden her ist, <strong>das</strong>s sie ihre letzte Flasche bekam.<br />

Er bereitet e<strong>in</strong> Fläschchen zu und endlich beruhigt sie sich, als er sich h<strong>in</strong>setzt, um sie zu füttern“ (Siegel &<br />

Hartzell 2003, S. 126f.).<br />

In diesem Szenario lernt e<strong>in</strong> Baby, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale zunächst nicht wahrgenommen, falsch gedeutet<br />

und erst nach längerer Zeit richtig beantwortet werden. Wiederholte Interaktionsmuster dieser Art leh-<br />

ren <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit der Zeit, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungsperson nicht sehr zuverlässig und wenig e<strong>in</strong>fühlsam oder<br />

sogar abweisend ist: E<strong>in</strong>e unsicher-vermeidende B<strong>in</strong>dung entsteht.<br />

Unsicher-verstrickte/präokkupierte B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (E-Klassifikation: „enmeshed“)<br />

Eltern mit e<strong>in</strong>er unsicher-verstrickten B<strong>in</strong>dungsrepräsentation verhalten sich ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber<br />

sehr wechselhaft und zeitweise aufdr<strong>in</strong>glich. Mal s<strong>in</strong>d solche Eltern ihren K<strong>in</strong>dern gegenüber sehr aufmerksam<br />

und fe<strong>in</strong>fühlig, mal s<strong>in</strong>d sie ängstlich, verunsichert und überfordert, wie sie mit dem K<strong>in</strong>d und<br />

se<strong>in</strong>en B<strong>in</strong>dungswünschen umgehen sollen. Das K<strong>in</strong>d weiß <strong>in</strong> der Folge nicht, was es erwarten soll. Es<br />

ist mit diesen widersprüchlichen Antworten auf se<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungssignale überfordert und entwickelt e<strong>in</strong>en<br />

unsicher-ambivalenten B<strong>in</strong>dungsstil.<br />

Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Ich vertraue dir nicht, <strong>das</strong>s du<br />

me<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dungssignale zuverlässig und vorhersehbar fe<strong>in</strong>fühlig beantwortest. Deshalb muss ich mich an<br />

dir festhalten („klammere ich“), aber ich ärgere mich gleichzeitig darüber, <strong>das</strong>s ich dir nicht vertrauen<br />

kann.<br />

43


44<br />

„Wenn der Vater se<strong>in</strong>e Tochter we<strong>in</strong>en hört, weiß er manchmal genau, was er tun muss. Zu anderen Zeiten ist<br />

er jedoch besorgt und traut sich nicht zu, sie trösten zu können. Er verlässt den Tisch, an dem er gelesen<br />

hat, eilt mit bangem Gesichtsausdruck zu ihr und nimmt sie hoch. Er ist besorgt, und der Stress an se<strong>in</strong>em<br />

Arbeitsplatz kommt ihm wieder <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n. Letzte Woche war es besonders schlimm, als se<strong>in</strong> Chef ihm<br />

mitteilte, <strong>das</strong>s er mit se<strong>in</strong>er Leistung nicht zufrieden sei und möchte, <strong>das</strong>s er den Kunden gegenüber mit<br />

mehr Bestimmtheit auftritt. Das er<strong>in</strong>nert ihn daran, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong> Vater ständig an se<strong>in</strong>en Fähigkeiten gezweifelt<br />

hat und stets beim Abendessen, <strong>in</strong> Anwesenheit der Mutter und der beiden älteren Brüder, demütigende<br />

Bemerkungen machte. Die Mutter schien immer nur noch mehr besorgt, wenn se<strong>in</strong> Vater mal wieder<br />

an ihm herumkritisierte, und sie trat niemals für ihn e<strong>in</strong>. Später, wenn er nach der Schelte se<strong>in</strong>es Vaters<br />

we<strong>in</strong>end <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer gelaufen war, kam sie zu ihm und sagte, <strong>das</strong>s es nicht recht sei, se<strong>in</strong>en Vater<br />

anzuschreien, und <strong>das</strong>s er lernen müsse, sich zu beherrschen. Sie sah sehr mitgenommen aus und ihre<br />

Besorgnis machte ihn nur noch nervöser und noch unsicherer. Er schwor sich, <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der niemals<br />

so behandeln würde, wie se<strong>in</strong>e Eltern ihn behandelt hatten <strong>–</strong> und <strong>das</strong>s er se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der niemals zum<br />

We<strong>in</strong>en br<strong>in</strong>gen wollte.<br />

Und hier war se<strong>in</strong>e Tochter, immer noch we<strong>in</strong>end auf se<strong>in</strong>em Arm. Er sagt sich: ‚Dies muss e<strong>in</strong>er der Momente<br />

se<strong>in</strong>, wo man sie nicht trösten kann.‘ Se<strong>in</strong> besorgter Gesichtsausruck und die angespannten Arme<br />

vermitteln der Tochter weder Trost noch Sicherheit. Sie ist nur e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d und kann nicht wissen, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e<br />

Anspannung nichts mit ihrem Hunger zu tun hat. Er f<strong>in</strong>det schnell heraus, <strong>das</strong>s sie hungrig ist und gibt ihr<br />

e<strong>in</strong> Fläschchen. Zwar freut er sich, sie nun glücklich zu sehen, aber er ist weiterh<strong>in</strong> besorgt, <strong>das</strong>s sie wieder<br />

anfangen könnte zu we<strong>in</strong>en und er nicht weiß, wie er sie trösten soll“ (Siegel & Hartzell 2003, S. 127f.).<br />

In diesem Szenario lernt <strong>das</strong> Baby, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Signale nicht zuverlässig fe<strong>in</strong>fühlig beantwortet werden.<br />

Mal ist die B<strong>in</strong>dungsperson fe<strong>in</strong>fühlig, mal reagiert sie gar nicht oder auch übergriffig und ängstigend.<br />

Das Baby kann ke<strong>in</strong> Gefühl von vertrauensvoller Vorhersagbarkeit bezüglich des Fürsorgeverhaltens der<br />

B<strong>in</strong>dungsperson entwickeln: E<strong>in</strong>e unsicher-ambivalente B<strong>in</strong>dungsbeziehung entsteht.<br />

Unverarbeitete B<strong>in</strong>dungsorganisation <strong>–</strong> mit ungelöstem Trauma und/oder Verlust<br />

(U-Klassifikation: „unresolved“)<br />

Eltern, die eigene Traumata (Vernachlässigung, emotionaler oder physischer/sexueller Missbrauch)<br />

und/oder Verlusterlebnisse noch nicht verarbeitet haben, verhalten sich <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungssituationen ihren<br />

K<strong>in</strong>dern gegenüber überwältigend, beängstigend oder chaotisch. Das K<strong>in</strong>d bef<strong>in</strong>det sich hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

paradoxen Situation: Das B<strong>in</strong>dungssystem ist biologisch so angelegt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Stresssituationen<br />

Trost und Schutz durch die (körperliche) Nähe zur B<strong>in</strong>dungsperson sucht. In diesem Falle steckt <strong>das</strong><br />

K<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unlösbaren Dilemma, denn es fühlt den Impuls, sich gerade an die „Quelle des<br />

Schreckens“ zu wenden, der es zu entkommen versucht. Es kann weder e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> der Situation erkennen


noch e<strong>in</strong>e angemessene Form zur Bewältigung entwickeln. Die e<strong>in</strong>zig mögliche Reaktion des B<strong>in</strong>dungs-<br />

systems besteht dar<strong>in</strong>, sich zu „desorganisieren“ und chaotisch zu werden. E<strong>in</strong>e unsicher-desorganisierte<br />

B<strong>in</strong>dungsorganisation f<strong>in</strong>det sich gehäuft bei K<strong>in</strong>dern, die von ihren Eltern missbraucht wurden.<br />

Die Strategie des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungsrelevanten Situationen lautet dabei: Obwohl ich dich dr<strong>in</strong>gend<br />

zum Schutz und zum „Sicherheitstanken“ bräuchte, macht mir de<strong>in</strong> Verhalten soviel Angst und verstört<br />

mich so sehr, <strong>das</strong>s ich ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ordnung mehr f<strong>in</strong>den kann. Deswegen werde ich „chaotisch“ und<br />

zeige völlig desorganisierte Verhaltensweisen, um damit selbst fertig zu werden.<br />

„Der Vater fühlt sich sehr unwohl, wenn se<strong>in</strong>e Tochter we<strong>in</strong>t. Sobald sie damit anfängt, legt er die Zeitung<br />

beiseite, spr<strong>in</strong>gt auf und geht direkt zum Laufstall, <strong>in</strong> der Hoffnung, <strong>das</strong> störende We<strong>in</strong>en beenden zu können.<br />

Er nimmt sie abrupt hoch und hält sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Anspannung e<strong>in</strong> wenig zu fest. Zunächst ist sie erleichtert,<br />

als er kommt, aber se<strong>in</strong>e angespannten Arme fühlen sich eher beengend als tröstend an. Sie we<strong>in</strong>t lauter,<br />

da sie sich nun <strong>–</strong> zusätzlich zum Hunger <strong>–</strong> auch noch unwohl fühlt. Ihr Vater spürt ihre wachsende Not<br />

und hält sie nur noch fester. Er denkt, <strong>das</strong>s sie vielleicht hungrig ist und trägt se<strong>in</strong>e we<strong>in</strong>ende Tochter <strong>in</strong> die<br />

Küche, wo er <strong>in</strong> aller Eile e<strong>in</strong> Fläschchen zubereiten will. Als er fast fertig ist, fällt die Flasche herunter und<br />

die Milch ergießt sich über den Fußboden. Erschrocken über <strong>das</strong> Klirren, schreit die Tochter noch lauter.<br />

Voller Verärgerung über se<strong>in</strong>e eigene Ungeschicklichkeit und <strong>das</strong> unablässige Schreien se<strong>in</strong>er Tochter und<br />

frustriert über se<strong>in</strong>e Unfähigkeit, die Tochter zu trösten, ist er nun völlig überfordert. Er fühlt sich hilflos. Se<strong>in</strong>e<br />

Gedanken beg<strong>in</strong>nen abzudriften. Er<strong>in</strong>nerungen daran, wie er als K<strong>in</strong>d von se<strong>in</strong>er alkoholabhängigen Mutter<br />

misshandelt wurde, brechen über ihn here<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong> Körper verkrampft sich noch mehr, se<strong>in</strong> Herz beg<strong>in</strong>nt zu<br />

rasen, er spannt die Arme an, als er sich er<strong>in</strong>nert, wie er we<strong>in</strong>end und schreiend am Boden unter dem Küchentisch<br />

kauert und sich auf den Angriff se<strong>in</strong>er Mutter vorbereitet. Er hört <strong>das</strong> Geräusch von brechendem<br />

Glas, als se<strong>in</strong>e Mutter die Wodkaflasche fallen lässt, die auf dem Boden um ihn herum <strong>in</strong> lauter Scherben<br />

zerspr<strong>in</strong>gt. Sie bückt sich, um ihn zu ergreifen, kniet <strong>in</strong> den Scherben und schneidet sich die Be<strong>in</strong>e daran<br />

auf. Wutentbrannt reißt sie an se<strong>in</strong>en Haaren und brüllt ihm <strong>in</strong>s Gesicht: ‚Tu <strong>das</strong> nie wieder!‘<br />

Se<strong>in</strong>e Tochter wimmert nun und starrt <strong>in</strong>s Leere. Als er sie we<strong>in</strong>en hört, wird ihm bewusst, <strong>das</strong>s er wie <strong>in</strong><br />

Trance war, und er ruft ihren Namen. Der Flash ist vorüber, er kehrt <strong>in</strong> die Gegenwart zurück und versucht<br />

se<strong>in</strong>e Tochter zu trösten. Langsam und mit e<strong>in</strong>em abwesenden Gesichtsausdruck wendet sie sich ihm wieder<br />

zu. E<strong>in</strong> paar Augenblicke später sche<strong>in</strong>t sie wieder gegenwärtig zu se<strong>in</strong>. Er holt e<strong>in</strong> anderes Fläschchen<br />

und setzt sich, um sie zu füttern. Während sie tr<strong>in</strong>kt, schaut sie ihren Vater an und dann zum Küchenboden.<br />

Er ist auch noch immer mitgenommen von diesem Erlebnis und kaum bei der Sache. Sie können beide<br />

nicht verstehen, was da passiert ist, und verschw<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der Desorganisation, die sich im eigenen Geist<br />

entwickelt hat“ (Siegel & Hartzell 2003, S. 128f.).<br />

45


46<br />

Wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d wiederholt erlebt, <strong>das</strong>s die B<strong>in</strong>dungsperson bei se<strong>in</strong>en B<strong>in</strong>dungssignalen selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Art „Trancezustand“ verfällt, weil die B<strong>in</strong>dungssituation beim Elternteil sogenannte „Flashbacks“ aus-<br />

löst, wird dies tief greifende Auswirkungen auf se<strong>in</strong>e Fähigkeit zur Toleranz und Regulation <strong>in</strong>tensiver<br />

Gefühle haben. Das Abgleiten der Bezugsperson <strong>in</strong> die eigene, ungelöste traumatische Erlebniswelt lässt<br />

<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d genau dann alle<strong>in</strong>e, wenn es verzweifelt Kontakt braucht. Noch mehr: Die sprachlichen und<br />

<strong>in</strong>sbesondere die nonverbalen Signale (starres Festhalten des K<strong>in</strong>des, angsterfüllter Gesichtsausdruck<br />

etc.) machen dem K<strong>in</strong>d nur noch mehr Angst und führen bei ihm zu e<strong>in</strong>em Zustand der <strong>in</strong>neren Ver-<br />

wirrung, den es nicht alle<strong>in</strong>e bewältigen und regulieren kann. Die Folge ist e<strong>in</strong>e „Desorganisation“ im<br />

B<strong>in</strong>dungsstil, die als <strong>in</strong>nere Anpassungsleistung des K<strong>in</strong>des an diese traumatische Situation verstanden<br />

werden muss.


Zusammenhang zwischen B<strong>in</strong>dungsmuster, elterlicher B<strong>in</strong>dungsrepräsentation und Fürsorgeverhalten<br />

B<strong>in</strong>dungskategorie<br />

B<strong>in</strong>dungsverhalten des<br />

K<strong>in</strong>des<br />

Sicher Direkte und offene Kommunikation<br />

und Zugang<br />

zu Gefühlen, Nähe zur<br />

B<strong>in</strong>dungsperson bei Belastung,<br />

B<strong>in</strong>dungsperson<br />

bildet sichere Basis bei<br />

Exploration<br />

Unsichervermeidend<br />

Unsicherambivalent<br />

Unsicherdesorganisiert<br />

Wenig, e<strong>in</strong>geschränkte<br />

Kommunikation und<br />

Zugang zu Gefühlen,<br />

beziehungsvermeidende<br />

Haltung bei Belastung,<br />

überaktivierte Exploration<br />

bei ger<strong>in</strong>ger Intensität<br />

Übersteigerter Gefühlsausdruck,<br />

ärgerlich, angespannt,<br />

anklammernd und<br />

hilflos bei Belastung, B<strong>in</strong>dungssystem<br />

überaktiviert,<br />

Exploration nicht möglich<br />

Unklarer, widersprüchlicher<br />

Gefühlsausdruck,<br />

z. T. geängstigt durch<br />

B<strong>in</strong>dungsperson, deutlicher<br />

Annäherungs-/<br />

Vermeidungskonflikt,<br />

später kontrollierend und<br />

Rollenumkehr, Exploration<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt<br />

(nach: Scheuerer-Englisch 2001)<br />

Fürsorgeverhalten/<br />

Elternverhalten<br />

Fe<strong>in</strong>fühlige Wahrnehmung<br />

und prompte und angemessene<br />

Reaktion auf die<br />

k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnisse und<br />

Gefühlsäußerungen, Zulassen<br />

von Körperkontakt und<br />

Akzeptieren des K<strong>in</strong>des<br />

Unfe<strong>in</strong>fühliger Umgang<br />

mit k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen,<br />

Zurückweisung bei<br />

Gefühlsäußerungen und<br />

Körperkontakt<br />

Inkonsistenter, nicht<br />

e<strong>in</strong>schätzbarer Umgang<br />

mit den k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen,<br />

fehlende Grenze<br />

zwischen elterlichen und<br />

k<strong>in</strong>dlichen Bedürfnissen,<br />

elterliche Bedürfnisse<br />

dom<strong>in</strong>ieren<br />

Ängstigender Umgang mit<br />

dem K<strong>in</strong>d, Traumatisierung<br />

durch Misshandlung,<br />

Missbrauch oder Vernachlässigung,<br />

Elternteil selbst<br />

traumatisiert und geängstigt<br />

beim Umgang mit dem<br />

K<strong>in</strong>d<br />

B<strong>in</strong>dungsrepräsentation<br />

(„Inner work<strong>in</strong>g model“)<br />

Freier und eigenständiger<br />

Zugang zu eigenen B<strong>in</strong>dungserfahrungen,Integration<br />

negativer Gefühle und<br />

Erfahrungen, Wertschätzung<br />

von B<strong>in</strong>dungen und Gefühlen,<br />

beziehungsorientiert<br />

Ke<strong>in</strong> Zugang zu Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an B<strong>in</strong>dungserfahrungen,<br />

Idealisieren der eher unglücklichen<br />

K<strong>in</strong>dheit, Rückzug aus<br />

der Beziehung bei Belastung,<br />

ger<strong>in</strong>ge Wertschätzung von<br />

Gefühlen<br />

Verstrickung <strong>in</strong> <strong>früh</strong>ere B<strong>in</strong>dungserfahrungen,<br />

die <strong>das</strong><br />

aktuelle Leben stark bee<strong>in</strong>flussen,<br />

fehlende Ablösung von<br />

den Eltern, häufig Angst, Wut,<br />

Hilflosigkeit und Verwirrung im<br />

Gespräch<br />

H<strong>in</strong>weise auf gedankliche<br />

Desorganisation im Gespräch<br />

über B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />

aufgrund unverarbeiteter traumatischer<br />

Erfahrungen und<br />

Verlust von B<strong>in</strong>dungsperson<br />

47


48<br />

5.3 Das Konzept der Mentalisierung (Theory of M<strong>in</strong>d)<br />

In der kl<strong>in</strong>ischen B<strong>in</strong>dungsforschung der jüngsten Zeit hat sich <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong>itiiert durch die Arbeitsgruppe<br />

von Peter Fonagy und Mary Target (University College London) <strong>–</strong> e<strong>in</strong> zunehmendes Interesse an<br />

dem Konstrukt der Selbstreflexivität und dessen Erfassung durch <strong>das</strong> Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs-Interview<br />

(AAI) entwickelt. Dieses sowohl <strong>in</strong> der psychoanalytischen als auch <strong>in</strong> der kognitionspsychologischen<br />

Literatur beschriebene Konzept bezieht sich auf die Fähigkeit, sowohl die eigene Person als auch die der<br />

anderen <strong>in</strong> Begriffen von Intentionalität bzw. mentalem (geistig-seelischem) Bef<strong>in</strong>den wahrzunehmen<br />

und zu verstehen und über <strong>das</strong> Verhalten entsprechend nachzudenken. Die Begriffe „Metakognition“,<br />

„Metakognitive Steuerung“, „Mentalisierung“ und „Reflexivität“ bzw. „Theory of M<strong>in</strong>d“, „Reflexives<br />

Selbst“ oder auch „Fähigkeit zur Symbolisierung“ werden <strong>in</strong> der Literatur weitgehend synonym verwendet<br />

(Daudert 2002).<br />

Ursprünglich hatte bereits Mary Ma<strong>in</strong> mit ihren Überlegungen zur „metakognitiven Steuerung“<br />

(metacognitive monitor<strong>in</strong>g) <strong>das</strong> A<strong>in</strong>sworth´sche Fe<strong>in</strong>fühligkeitskonzept erweitert und differenziert. Da-<br />

nach erhöht die Verfügbarkeit e<strong>in</strong>er reflexiven Bezugsperson, die <strong>in</strong> der Lage ist, die <strong>in</strong>nere Bef<strong>in</strong>d-<br />

lichkeit des K<strong>in</strong>des wahrzunehmen und angemessen zu reflektieren, die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung entwickelt.<br />

Der englische Psychoanalytiker Peter Fonagy und se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> Mary Target begreifen die aus der<br />

objektbeziehungstheoretischen Schule stammende „Conta<strong>in</strong>er-conta<strong>in</strong>ed-Konzeption“ Wilfried Bions<br />

als e<strong>in</strong>e kl<strong>in</strong>isch-metaphorische Analogie des b<strong>in</strong>dungstheoretischen Fe<strong>in</strong>fühligkeitskonzepts. Der Mutter<br />

bzw. der zentralen B<strong>in</strong>dungsperson kommt dabei die essenzielle Aufgabe zu, die vor allem negativen<br />

und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d überwältigenden Affekte aufzugreifen und zu modulieren, damit sie für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d erträgli-<br />

cher werden. Sie fungiert quasi als „Gefühls-Conta<strong>in</strong>er“: Anstatt sich von den heftigen Affekten des K<strong>in</strong>-<br />

des selbst überwältigen zu lassen, spiegelt sie dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fühlsamer Weise se<strong>in</strong>en eigenen <strong>in</strong>neren<br />

Zustand <strong>in</strong> „verdauter“ bzw. angemessener Weise zurück. Dadurch kann <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d die vertrauensvolle<br />

Erfahrung machen, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Gefühle verstanden, aufgenommen und verändert bzw. bewältigt werden<br />

können. Diese Form der Regulation negativer Affekte durch die Mutter wird allmählich vom K<strong>in</strong>d<br />

ver<strong>in</strong>nerlicht und zum Teil se<strong>in</strong>er Selbststruktur. Je besser die <strong>in</strong>teraktive Affektregulation gel<strong>in</strong>gt, umso<br />

höher ist die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit der sicheren B<strong>in</strong>dung und desto ausgeprägter s<strong>in</strong>d die metakognitiven<br />

Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des.<br />

Abhängig von den eigenen B<strong>in</strong>dungsrepräsentanzen bzw. reflexiven Fähigkeiten unterscheiden sich<br />

B<strong>in</strong>dungspersonen möglicherweise <strong>in</strong> diesem <strong>in</strong>tersubjektiven Regulationsprozess. Unsicher-distanzierte<br />

B<strong>in</strong>dungspersonen gehen mit (negativen) Gefühlen eventuell so um, <strong>das</strong>s sie <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ablenken, also<br />

Stabilität und Bewältigung vermitteln, ohne den Affekt exakt wiederzuspiegeln bzw. weichen ihm aus.


Im Gegensatz dazu reagieren unsicher-ambivalente B<strong>in</strong>dungspersonen vermutlich <strong>in</strong>sbesondere auf die<br />

negativen Gefühle ihrer K<strong>in</strong>der, s<strong>in</strong>d aber auch oft irritiert und bleiben <strong>in</strong> den aufgenommenen Affekt<br />

verstrickt, ohne ihn verarbeiten zu können. Sicher-autonome B<strong>in</strong>dungspersonen h<strong>in</strong>gegen können die<br />

emotionale Qualität der k<strong>in</strong>dlichen Botschaft fe<strong>in</strong>fühlig aufnehmen und <strong>in</strong> angemessener Weise zurück-<br />

geben.<br />

In empirischen Studien konnte mittlerweile nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s die Selbstreflexivität („Theory<br />

of m<strong>in</strong>d“) im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Pufferfunktion davor schützen kann, eigene traumatische K<strong>in</strong>dheitserfahrun-<br />

gen transgenerational weiterzugeben.<br />

Lesetipp:<br />

• Ausführlichere Informationen zu diesem komplexen Ansatz, der b<strong>in</strong>dungstheoretische und psychoanalytische<br />

Ansätze mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong>: Fonagy, P., György, G., Jurist, E.L. & Target, M. (2008).<br />

Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. 3. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

In italienischer Sprache: Fonagy, P. et al. (2005). Regolazione affettiva, mentalizzazione e sviluppo del Sé.<br />

Milano: Raffaello Cort<strong>in</strong>a.<br />

49


6<br />

50<br />

Explorationssicherheit <strong>–</strong> die zweite Dimension<br />

„psychischer Sicherheit“ im Leben e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

Neben dem B<strong>in</strong>dungssystem kommt e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g noch mit e<strong>in</strong>em anderen Motivationssystem auf die<br />

Welt, <strong>das</strong> den direkten Gegenpol zum B<strong>in</strong>dungssystem darstellt: dem Explorationssystem. B<strong>in</strong>dungsund<br />

Explorationssystem stehen zue<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> wechselseitiger Abhängigkeit. Das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d kann se<strong>in</strong>e<br />

Umwelt ausreichend erkunden und auch Angst während se<strong>in</strong>er Entfernung von der Mutter aushalten,<br />

wenn es die Mutter als „sichere Basis“ erlebt und von hier aus se<strong>in</strong>e Erkundungen beg<strong>in</strong>nt. E<strong>in</strong>e sichere<br />

B<strong>in</strong>dungsqualität ist somit zuerst e<strong>in</strong>mal die Voraussetzung dafür, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>e Umwelt erforscht<br />

und sich dabei als selbsteffektiv und handelnd erleben kann (A<strong>in</strong>sworth & Wittig 1969/2003).<br />

B<strong>in</strong>dungs- und Explorationssystem s<strong>in</strong>d beim K<strong>in</strong>d von Lebensbeg<strong>in</strong>n an aktiv, <strong>das</strong> Explorationssystem<br />

tritt aber verstärkt mit der zunehmenden motorischen Entwicklung des K<strong>in</strong>des ab dem Krabbelalter mit<br />

sieben bis acht Monaten <strong>in</strong> den Vordergrund und fordert auch die Eltern neu heraus.<br />

Erlebt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d bei se<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson emotionale Sicherheit, ist <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem des<br />

K<strong>in</strong>des „ruhig gestellt“ und <strong>das</strong> Explorationsverhalten des K<strong>in</strong>des wird aktiviert: Das K<strong>in</strong>d erkundet<br />

mit Neugier und Interesse se<strong>in</strong>e Umwelt und wird sich hierzu mehr oder weniger weit von der Be-<br />

zugsperson entfernen können, ohne dabei <strong>in</strong> <strong>„emotionale</strong>n Stress“ (d. h. Angst) zu geraten. Wird die<br />

räumliche Entfernung oder die Dauer der zeitlichen Trennung von der B<strong>in</strong>dungsperson für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

zu groß oder macht es gar furchtauslösende Erfahrungen, wird die Exploration e<strong>in</strong>geschränkt bzw.<br />

<strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhaltenssystem (re-)aktiviert: Das K<strong>in</strong>d sucht die räumliche oder körperliche Nähe zu<br />

se<strong>in</strong>er Bezugsperson und möchte beschützt und getröstet werden. Werden die B<strong>in</strong>dungswünsche des<br />

K<strong>in</strong>des von der Bezugsperson fe<strong>in</strong>fühlig beantwortet und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d erreicht dadurch wieder e<strong>in</strong>en für<br />

sich akzeptablen „Ist-Wert“ an Sicherheit, steigt wieder die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, <strong>das</strong>s es se<strong>in</strong>e Umwelt<br />

aktiv erforscht. Das B<strong>in</strong>dungsverhalten wird aber nicht nur durch während der Exploration ausgelöste<br />

Angst aktiviert, sondern ist auch aktiv, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d krank, müde, hungrig, e<strong>in</strong>sam, überfordert ist<br />

oder Schmerzen hat (a. a. O.).<br />

Die wechselseitige Beziehung zwischen B<strong>in</strong>dung und Exploration ist der B<strong>in</strong>dungstheorie zufolge ke<strong>in</strong><br />

Phänomen, <strong>das</strong> sich nur auf die Säugl<strong>in</strong>gs- und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dzeit beschränkt, sondern <strong>das</strong> ganzes Leben<br />

<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er dialektischen Grundspannung zwischen Sicherheit und Exploration, Verbundenheit und<br />

Autonomie, Nähe und Distanz etc. fortbesteht.<br />

Die Sicherheit der Exploration ist e<strong>in</strong> weiterer Aspekt der psychischen Sicherheit des K<strong>in</strong>des, deren Ent-<br />

wicklung durch e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>fühlige und angemessene Herausforderung unterstützt wird. Die Unterstützung<br />

des K<strong>in</strong>des vollzieht sich dabei vor allem beim geme<strong>in</strong>samen Spiel, <strong>das</strong> meist <strong>in</strong> positiver Stimmung<br />

stattf<strong>in</strong>det und während dem <strong>das</strong> Explorationssystem des K<strong>in</strong>des aktiv ist. Die Aufgabe der B<strong>in</strong>dungs-<br />

person besteht dar<strong>in</strong>, die spontanen Interessensimpulse und Verhaltensweisen des K<strong>in</strong>des als Explorati-<br />

onsbekundungen zu erkennen, richtig zu <strong>in</strong>terpretieren und prompt darauf zu reagieren. Das geschieht,


<strong>in</strong>dem <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Neugier und se<strong>in</strong>em Tätigkeitsdrang bekräftigt wird, die vom K<strong>in</strong>d gesuchte<br />

Herausforderung als beherrschbar dargestellt wird und <strong>–</strong> wenn erforderlich <strong>–</strong> H<strong>in</strong>weise zu deren Bewäl-<br />

tigung gegeben werden. Diese elterliche „Spielfe<strong>in</strong>fühligkeit“ vermeidet somit e<strong>in</strong>e Überforderung des<br />

K<strong>in</strong>des und unterlässt zudem e<strong>in</strong>greifende oder vorwegnehmende Hilfestellungen. Die B<strong>in</strong>dungsperson<br />

gewährt dem selbstständig erkundenden K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>er Entwicklung angemessenen Beistand, wenn<br />

es um Hilfe bittet, wobei die bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des berücksichtigt<br />

werden: Das K<strong>in</strong>d kann mit Unterstützung der B<strong>in</strong>dungsperson weiterspielen oder kommt e<strong>in</strong>er Lö-<br />

sung se<strong>in</strong>es Problems näher, ohne dabei die Konzentration auf den Spiel<strong>in</strong>halt unterbrechen zu müssen<br />

(Grossmann & Grossmann 2004).<br />

„E<strong>in</strong>e vorausschauende Koord<strong>in</strong>ation und unterstützende Begleitung bzw. Anleitung des K<strong>in</strong>des ist e<strong>in</strong>e<br />

weitere, ab dem zweiten Lebensjahr auftretende Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionsform, welche die regelmäßig auftretenden<br />

Konflikte zwischen Neugier, Unsicherheit und der entdeckenden Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der<br />

Umwelt während des Spiels aufzulösen vermag. […] Diese Art der Unterstützung hat hohen adaptiven Wert<br />

für die Kompetenz- und Autonomieentwicklung des K<strong>in</strong>des“ (K<strong>in</strong>dler & Grossmann 2004, S. 250).<br />

Spielfe<strong>in</strong>fühligkeit und angemessene Herausforderung <strong>–</strong> was bedeutet <strong>das</strong>?<br />

Die „Spielfe<strong>in</strong>fühligkeit und angemessene Herausforderung“ der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> Spielsituationen ist<br />

durch folgende Verhaltensweisen charakterisiert:<br />

• Bei Ängstlichkeit Zuversicht vermitteln („Du kannst <strong>das</strong> und ich helfe dir, wenn es nicht gel<strong>in</strong>gt“)<br />

• Neugier und Interesse <strong>in</strong> kompetentes Handeln verwandeln<br />

• Während der Kooperation im Spiel neue, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d machbare Ideen anbieten<br />

• Werke des K<strong>in</strong>des durch Bezeichnung ihrer Bedeutung aufwerten<br />

• Loben, aber nur, was wirklich neu gekonnt war<br />

• Lehren und vormachen, was <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d begreifen kann<br />

• Erreichbare Ziele setzen<br />

• Angemessene Verhaltensregeln erwarten und e<strong>in</strong>fordern<br />

(nach: Grossmann & Grossmann 2004)<br />

E<strong>in</strong>e gesunde Entwicklung über den Lebensverlauf braucht sowohl die Sicherheit der Exploration als auch<br />

die Sicherheit der B<strong>in</strong>dung. Fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten gegenüber e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d fördert somit die Befriedigung der<br />

drei psychischen Grundbedürfnisse nach B<strong>in</strong>dung, Kompetenz und Autonomie.<br />

51


52<br />

Gibt es geschlechtsspezifische Effekte <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsentwicklung?<br />

In der B<strong>in</strong>dungsforschung gibt es <strong>in</strong> Bezug auf die zentralen Konstrukte und Methoden so gut wie ke<strong>in</strong>e<br />

Geschlechterunterschiede. Die B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>er primären B<strong>in</strong>dungsfigur<br />

ist nicht vom Geschlecht abhängig, sondern <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von der Fe<strong>in</strong>fühligkeit der B<strong>in</strong>dungsperson und<br />

teilweise vom Temperament des K<strong>in</strong>des. Die B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>er Mutter oder<br />

zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>em Vater steht weder mit dem Geschlecht des K<strong>in</strong>des noch mit dem Geschlecht<br />

des Elternteils <strong>in</strong> Zusammenhang. Kle<strong>in</strong>e Mädchen s<strong>in</strong>d also nicht häufiger sicher an ihre Eltern<br />

gebunden als kle<strong>in</strong>e Jungen (und umgekehrt).<br />

Bei Erwachsenen gibt es ke<strong>in</strong>e durchgängigen Geschlechterunterschiede <strong>in</strong> Bezug auf die B<strong>in</strong>dungsrepräsentation:<br />

Frauen haben nicht häufiger e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsrepräsentation als Männer. Mütter und Väter<br />

unterscheiden sich bei der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit nicht im Ausmaß ihrer Fe<strong>in</strong>fühligkeit gegenüber dem<br />

K<strong>in</strong>d. Die Fe<strong>in</strong>fühligkeit des Elternteils ist unabhängig vom Geschlecht des K<strong>in</strong>des.<br />

Gewisse Unterschiede konnten <strong>in</strong> der Art der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit gefunden werden: Während Mütter<br />

eher die B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse des K<strong>in</strong>des befriedigen, unterstützen Väter eher die Explorationsbedürfnisse<br />

des K<strong>in</strong>des. Diese Differenzen können aber auch als Resultat e<strong>in</strong>er geschlechtsrollenstereotypen Sozialisation<br />

von Mann und Frau gedeutet werden.


7<br />

Der „Kreis der Sicherheit“ und<br />

der „Kreis begrenzter Sicherheit“<br />

Das Zusammenspiel zwischen den k<strong>in</strong>dlichen Motivationssystemen B<strong>in</strong>dung und Exploration und dem<br />

elterlichen Fürsorgeverhalten lässt sich sehr anschaulich an e<strong>in</strong>em von Bob Marv<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>er Arbeitsgruppe<br />

entwickelten dynamischen Handlungsmodell mit dem Namen „Kreis der Sicherheit“ darstellen. <strong>das</strong> die<br />

grundlegenden Funktionen e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsbeziehung abbildet (Cooper et al. 2000; Hoffman et al. 2006).<br />

Die beiden Hände auf dem Schaubild signalisieren die Aufgabe der Eltern, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e sichere<br />

Basis (als Ausgangspunkt für se<strong>in</strong>e Erkundungstouren) und e<strong>in</strong>en sicheren Hafen (nach vorübergehenden<br />

Trennungsphasen) zu bilden. Im oberen Teil des Kreises geht <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d von der B<strong>in</strong>dungsperson weg<br />

„<strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>aus“, um se<strong>in</strong>em natürlichen Erkundungsdrang zu folgen und die Welt kennenzulernen.<br />

Das K<strong>in</strong>d hofft dabei darauf, <strong>das</strong>s die Eltern auf es aufpassen, es vor Gefahren schützen, ihm helfen,<br />

soweit es erforderlich ist, und geme<strong>in</strong>sam mit ihm viel Freude und Spaß an der Erkundung und der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Welt haben.<br />

Kommt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d aus eigener Kraft nicht mehr weiter, ist es müde, krank, ängstlich, wütend oder traurig,<br />

erreicht es den Wendepunkt am rechten Rand des Kreises: Das B<strong>in</strong>dungssystem wird aktiviert bzw. die<br />

Exploration beendet und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sucht die (körperliche) Nähe zur Bezugsperson. Es kehrt, wie im un-<br />

teren Teil des Kreises dargestellt, <strong>in</strong> den „sicheren Hafen“ zur B<strong>in</strong>dungsperson zurück. Dabei hofft es,<br />

<strong>das</strong>s es <strong>in</strong> der Wiedervere<strong>in</strong>igungssituation mit der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>–</strong> ganz egal, <strong>in</strong> welcher körperlichen<br />

53


54<br />

oder psychischen Verfassung es sich gerade bef<strong>in</strong>det <strong>–</strong> immer herzlich willkommen ist. Die Bezugsperson<br />

freut sich über <strong>das</strong> Wiederzusammenkommen mit dem K<strong>in</strong>d, beschützt es bei erlebter Gefahr und<br />

tröstet es bei Kummer. Insbesondere wird dem K<strong>in</strong>d dabei geholfen, die unangenehmen Gefühle „im<br />

Gepäck“ <strong>in</strong>nerlich zu ordnen und damit als bewältigbar zu erleben (Scheuerer-Englisch 2005).<br />

Vielen Eltern ist nicht immer sofort e<strong>in</strong>gängig, <strong>das</strong>s B<strong>in</strong>dungspersonen ihr K<strong>in</strong>d nicht nur bei der<br />

Bewältigung der äußeren Welt (Gefahrenabwehr, Überw<strong>in</strong>dung von H<strong>in</strong>dernissen etc.), sondern auch<br />

bei der (Selbst-)Regulierung se<strong>in</strong>er „<strong>in</strong>neren Welt“ unterstützen müssen. Babies und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der erleben<br />

ihre vielfältigen und teilweise entgegengesetzten Gefühle und Antriebe als „ungeordnetes Chaos“ und<br />

damit als überwältigend. B<strong>in</strong>dungspersonen haben hier die zentrale Aufgabe, sich von diesem Bündel<br />

an widersprüchlichen Emotionen und Motiven des K<strong>in</strong>des gefühlsmäßig „anstecken“ zu lassen, dieses<br />

Gefühlschaos <strong>in</strong>nerlich zu halten („Conta<strong>in</strong><strong>in</strong>g“) und dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fühlsamer und beruhigender Weise<br />

se<strong>in</strong>en Gefühlszustand zu „spiegeln“. Hierdurch erlebt sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d verstanden und se<strong>in</strong>en eigenen Zu-<br />

stand zunehmend als geordnet und damit weniger bedrohlich. Dieses stellvertretende „Verdauen“ der<br />

potenziell überwältigenden Affekte trägt entscheidend zur Ich-Stärkung des K<strong>in</strong>des, zur Entwicklung<br />

von (Selbst-)Regulationsfähigkeit und zur Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung bei (vgl. Modul<br />

„Emotionale Kompetenz“).<br />

Grundsätzlich hofft <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d immer, <strong>das</strong>s die Eltern größer, stärker, klüger und im Umgang mit ihm<br />

liebenswürdig s<strong>in</strong>d und bei Bedarf auch die Führung und Leitung <strong>in</strong> der Beziehung übernehmen.<br />

Gel<strong>in</strong>gt dies, dann empf<strong>in</strong>det <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d die Beziehung zu den Eltern als unterstützend und tragfähig.<br />

Es erlebt e<strong>in</strong>e Regulation se<strong>in</strong>er Belastungen im Rahmen der B<strong>in</strong>dungsbeziehungen, tankt wieder<br />

Sicherheit und wendet sich dann erneut der Erkundung der Welt und se<strong>in</strong>en Entwicklungsthemen zu.<br />

Jedes K<strong>in</strong>d durchläuft auf diese Weise täglich vielfach diesen „Kreis der Sicherheit“ und gew<strong>in</strong>nt dabei<br />

Vertrauen <strong>in</strong> die B<strong>in</strong>dungspersonen, <strong>in</strong> sich und <strong>in</strong> die Welt allgeme<strong>in</strong> (a. a. O.).<br />

Unter gewissen Umständen <strong>–</strong> z. B. bei e<strong>in</strong>er deutlich unsicheren B<strong>in</strong>dungsrepräsentation des Elternteils<br />

<strong>–</strong> kann sich <strong>das</strong> zirkuläre Interaktions-Geschehen jedoch auch zu e<strong>in</strong>em „Kreis begrenzter Sicherheit“<br />

wandeln.<br />

E<strong>in</strong>e Form e<strong>in</strong>geschränkter Sicherheit <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsbeziehungen ist die sogenannte unsicher-vermeidende<br />

B<strong>in</strong>dung. Solch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d erlebt <strong>–</strong> ebenso wie auch sicher gebundene K<strong>in</strong>der <strong>–</strong> während der Exploration,<br />

<strong>in</strong> Trennungs- oder Furchtsituationen zwangsläufig Belastungen oder Überforderungen, die se<strong>in</strong><br />

B<strong>in</strong>dungssystem aktivieren. Allerd<strong>in</strong>gs vermeidet es während der Wiedervere<strong>in</strong>igung die B<strong>in</strong>dungsper-<br />

son als „sicheren Hafen“, es zeigt se<strong>in</strong>e Gefühle nicht offen und signalisiert stattdessen der B<strong>in</strong>dungs-<br />

person, <strong>das</strong>s es Distanz will oder weiterh<strong>in</strong> an Erkundung <strong>in</strong>teressiert ist. Die B<strong>in</strong>dungsperson ihrerseits


hält <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d deswegen für unbelastet und kann nicht erkennen, <strong>das</strong>s es die körperliche Nähe der<br />

B<strong>in</strong>dungsperson dr<strong>in</strong>gend braucht.<br />

Mögliche Belastungen können folglich <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsbeziehung nicht reguliert werden und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

muss alle<strong>in</strong>e mit se<strong>in</strong>en belastenden Gefühlen und der Situation zurechtkommen. Diese K<strong>in</strong>der bräuchten<br />

eigentlich mehr Schutz, Trost und Zuwendung. Sie zeigen ihre Gefühle aber nicht mehr <strong>in</strong> der eigentlich<br />

belasteten Situation, sondern verschieben stattdessen häufig ihren Ärger wegen der fehlenden Unter-<br />

stützung auf Geschwister oder andere K<strong>in</strong>der, oder sie gehorchen den Eltern nicht mehr, werden nörgelig<br />

und anstrengend oder stellen ständig Forderungen. Auch wenn sie es nicht artikulieren, so hoffen diese<br />

K<strong>in</strong>der dennoch, <strong>das</strong>s ihre Eltern auf e<strong>in</strong>er tieferen Ebene ihre B<strong>in</strong>dungsbedürfnisse und Gefühle wahr-<br />

nehmen und verstehen können (Scheuerer-Englisch 2005).<br />

E<strong>in</strong>e andere Form der e<strong>in</strong>geschränkten Sicherheit <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsbeziehungen ist die sogenannte unsicher-<br />

ambivalente oder verstrickte B<strong>in</strong>dung. Hier ist <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem überaktiviert und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sucht<br />

unverhältnismäßig viel Nähe bzw. klammert sich <strong>in</strong> Situationen an die B<strong>in</strong>dungsperson, <strong>in</strong> denen es<br />

eigentlich explorieren und „<strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>aus“ gehen könnte. Statt zu spielen und sich se<strong>in</strong>en Heraus-<br />

forderungen <strong>in</strong> der näheren Umwelt zu stellen, signalisiert <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d der B<strong>in</strong>dungsperson, <strong>das</strong>s es sich<br />

nicht ausreichend sicher fühlt <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e Situation, die für beide Partner sehr anstrengend und enttäuschend<br />

werden kann. Es bilden sich anstrengende und belastete „Teufelskreise“ <strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion<br />

heraus: Die Eltern fühlen sich als B<strong>in</strong>dungsperson wenig effektiv und s<strong>in</strong>d vor allem mit der Selbst-<br />

ständigkeitsentwicklung des K<strong>in</strong>des unzufrieden. Umgekehrt s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong>der entweder ängstlich oder<br />

ärgerlich auf die Eltern und vermeiden Explorationsbestrebungen (a. a. O.).<br />

Im „Kreis begrenzter Sicherheit“ geht es darum, den Eltern aus der negativen Verstrickung mit dem K<strong>in</strong>d<br />

herauszuhelfen, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d auf se<strong>in</strong>e Entwicklungsthemen h<strong>in</strong> zu orientieren (B<strong>in</strong>dung oder Autonomie) und<br />

die Eltern dabei zu unterstützen, entweder e<strong>in</strong>e sichere Basis oder die Rolle des Förderers für die<br />

Explorationsbestrebungen des K<strong>in</strong>des zu bilden.<br />

55


8<br />

56<br />

Auswirkungen der B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

auf andere Entwicklungsbereiche<br />

E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität im <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>desalter geht <strong>–</strong> im Vergleich zu unsicher gebundenen<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>–</strong> mit e<strong>in</strong>er besseren kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklung e<strong>in</strong>her. Auch wenn die<br />

<strong>früh</strong>ere oder aktuelle B<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des im engeren S<strong>in</strong>ne nicht als Kausalfaktor angesehen werden<br />

kann, sondern <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsmuster immer nur im Kontext mit anderen Faktoren zu e<strong>in</strong>em Entwicklungsresultat<br />

beiträgt (Gloger-Tippelt 2003), gibt es mehrfach bestätigte wissenschaftliche Befunde über<br />

die kurz-, mittel- und langfristig förderliche Wirkung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung.<br />

Sicher gebundene K<strong>in</strong>der haben engere, harmonischere Beziehungen zu Gleichaltrigen und s<strong>in</strong>d<br />

ausgeglichener, kontaktfreudiger und sozial kompetenter im Umgang mit ihnen. Sie zeigen eigene<br />

Gefühle offener, können die Emotionen anderer besser verstehen, zeigen gegenüber Gleichaltrigen<br />

mehr Hilfeleistungen, Anteilnahme und die Bereitschaft zu teilen und s<strong>in</strong>d weniger aggressiv und anti-<br />

sozial (Siegler et al. 2005). Es gibt e<strong>in</strong>ige Belege dafür, <strong>das</strong>s sicher gebundene K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Schule bessere<br />

Noten erzielen als unsicher gebundene K<strong>in</strong>der, aufmerksamer dem Unterricht folgen und sich stärker<br />

beteiligen <strong>–</strong> auch wenn sich sicher und unsicher gebundene K<strong>in</strong>der nicht im H<strong>in</strong>blick auf ihre Intelli-<br />

genz unterscheiden. Sicher gebundene K<strong>in</strong>der haben e<strong>in</strong>e realistische E<strong>in</strong>schätzung von sich selbst als<br />

liebenswert und anderen als hilfsbereit, während unsicher gebundene K<strong>in</strong>der ihre soziale Umwelt eher<br />

als wenig unterstützend und schlimmstenfalls sogar als Bedrohung wahrnehmen.<br />

Sicher gebundene K<strong>in</strong>der zeigen <strong>in</strong> ihren Persönlichkeitsmerkmalen Unterschiede zu unsicher gebundenen<br />

K<strong>in</strong>dern: Sie zeigen häufiger e<strong>in</strong> hohes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sowie e<strong>in</strong>e höhere Ich-<br />

Flexibilität, d. h. die Fähigkeit, Gefühle und Impulse situationsangemessener zu regulieren. So können<br />

sich sicher gebundene K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er hohen Ich-Flexibilität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppensituation zurücknehmen<br />

und warten, bis sie an der Reihe s<strong>in</strong>d; sie können mit Niederlagen umgehen und bei Konflikten mit<br />

anderen K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>en Kompromiss f<strong>in</strong>den (Becker-Stoll 2007).<br />

Auf e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Aspekt langfristiger Auswirkungen sicherer B<strong>in</strong>dungsbeziehungen weisen<br />

Ahnert und Harwardt (2008) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dergartenstudie h<strong>in</strong>. Es zeigte sich hier, <strong>das</strong>s die k<strong>in</strong>dlichen<br />

Beziehungserfahrungen mit der Mutter und der Erzieher<strong>in</strong> bereits im Vorschulalter mit der k<strong>in</strong>dlichen<br />

Beharrlichkeit und dem Interesse an spielerischen Aktivitäten <strong>in</strong> Zusammenhang stehen. Während die<br />

Erzieher/<strong>in</strong>nen-K<strong>in</strong>d-Beziehung mit der allgeme<strong>in</strong>en Lernmotivation des K<strong>in</strong>des und se<strong>in</strong>em späteren<br />

Schulengagement verbunden werden konnte, konnte die Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung vor allem mit der<br />

Selbstmotivierung des K<strong>in</strong>des assoziiert werden. Hoch ausgeprägte allgeme<strong>in</strong>e Motivation und Selbst-<br />

motivation waren schließlich mit besseren Schulleistungen am Ende des ersten Schuljahres verbunden.<br />

Diese Studie trägt wesentlich zum Verständnis des Zusammenhanges zwischen B<strong>in</strong>dungssicherheit und<br />

Kompetenzentwicklung bei, <strong>in</strong>dem die motivationalen Faktoren der <strong>in</strong>tellektuellen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

des K<strong>in</strong>des mit se<strong>in</strong>er Umwelt als vermittelnde E<strong>in</strong>flussgrößen berücksichtigt werden.


E<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsbeziehung hat positive Auswirkungen auf<br />

• <strong>das</strong> Selbstbild (hohes Selbstwertgefühl)<br />

• die Selbstregulationsfähigkeit (Steuerung von spontanen Impulsen und Gefühlen)<br />

• die soziale Kompetenz im Umgang mit Gleichaltrigen (Erkennen der Gefühle und Motivationslagen anderer,<br />

offenes Mitteilen eigener Gefühle)<br />

• die Selbstmotivierungsfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft <strong>in</strong> der Schule<br />

• die Zufriedenheit und erlebte Sicherheit <strong>in</strong> weiteren sozialen Beziehungen (Partnerschaft, Freundschaften).<br />

57


9<br />

58<br />

Die Rolle der außerfamiliären Betreuung und<br />

ihr E<strong>in</strong>fluss auf die B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund empirischer Befunde der B<strong>in</strong>dungstheorie um die große Bedeutung <strong>früh</strong>er<br />

B<strong>in</strong>dungserfahrungen für die weitere Entwicklung des K<strong>in</strong>des wird der sogenannten außerfamiliären<br />

Betreuung oder „Fremdbetreuung“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Lange Zeit stand die<br />

außerfamiliäre Betreuung im Verdacht, den Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen Mutter (Vater)<br />

und K<strong>in</strong>d zu untergraben. Kapella (2009) kommentiert unter Bezug auf die Expertise von Ahnert<br />

(2009): „Bei der wichtigen Frage nach den möglichen Entwicklungskonsequenzen der unterschiedlichen<br />

Betreuungsformen für die K<strong>in</strong>der wird <strong>in</strong> Bewertungen immer wieder e<strong>in</strong>e Annäherung an unsere Vorfahren<br />

gefordert. Oft wird dabei die ´natürliche´ Nachwuchsbetreuung mit e<strong>in</strong>er exklusiven Betreuung<br />

durch die Mutter gleichgesetzt. Anthropologische Untersuchungen zeigen allerd<strong>in</strong>gs, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e exklusive<br />

Betreuung durch die Mutter eher die Ausnahme war. Die Sozialisation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong> breites<br />

Unterstützungssystem e<strong>in</strong>gebettet se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem die Mutter allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e herausragende Bedeutung für<br />

<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nehat“ (Kapella 2009, S. 1).<br />

Die Pflege und Versorgung, Sozialisation und Erziehung von K<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d demnach sowohl <strong>in</strong> ver-<br />

schiedensten Kulturen der Vergangenheit als auch der Gegenwart fest verankerte Familienaufgaben, die<br />

im Falle der Nicht-Bewerkstelligung durchaus an außerfamiliäre Betreuungssysteme delegiert wurden/<br />

werden. Selbst <strong>in</strong> noch heute existierenden Jäger- und Sammlergeme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d Betreuungssysteme<br />

bekannt, die dieser Aufgabe verpflichtet s<strong>in</strong>d (Ahnert 2006). So gesehen s<strong>in</strong>d außerfamiliäre unterstüt-<br />

zende Betreuungsformen <strong>in</strong> der Moderne nichts Neues. Neu ist daran lediglich, <strong>das</strong>s die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />

bezahlten Betreuungsarrangements anstatt im erweiterten Familienverband oder mit nachbarschaftlicher<br />

Hilfe beaufsichtigt werden.<br />

Auch Dornes (2006) berichtet mit Bezug auf die bekannten Arbeiten von Hrdy (1999), e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die<br />

Menschheitsgeschichte verrate, <strong>das</strong>s die außerfamiliäre Betreuung von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> allen Kulturen und<br />

Gesellschaften eher die Regel als die Ausnahme darstelle. Dies sei vor allem durch wirtschaftliche Fak-<br />

toren bed<strong>in</strong>gt, und die mütterliche Berufstätigkeit parallel zur K<strong>in</strong>derbetreuung stelle ke<strong>in</strong>e besondere<br />

Ausnahme dar. Zudem lassen historische und kulturvergleichende Studien den Schluss zu, <strong>das</strong>s nicht<br />

von der natürlichen Sozialisation des K<strong>in</strong>des gesprochen werden kann. Zu vielfältig s<strong>in</strong>d und waren die<br />

kulturell e<strong>in</strong>gefärbten familiären und außerfamiliären Organisationsformen k<strong>in</strong>dlicher Betreuung und<br />

Erziehung.<br />

Ahnert ergänzt diese Fragestellung noch um e<strong>in</strong>en zusätzlichen Aspekt, <strong>in</strong>dem sie auf Basis ihrer<br />

empirischen Studien nachweisen kann, <strong>das</strong>s die Unterstützungssysteme zur K<strong>in</strong>derbetreuung die Familie<br />

nicht veranlassen, diese zentrale Funktion nach außen zu verlagern bzw. nicht soviel <strong>in</strong> die Betreuung<br />

der eigenen K<strong>in</strong>der zu <strong>in</strong>vestieren. Das Gegenteil ist der Fall: Erweiterte Beziehungsnetze helfen der<br />

Mutter, die eigene Betreuung und Beziehung zum K<strong>in</strong>d sensitiv zu gestalten und tragen somit zu e<strong>in</strong>er


guten Mutter-K<strong>in</strong>d Beziehung bei (Kapella 2009, unter Bezug auf Ahnert 2009). Das heißt: Komplexe<br />

Betreuungssysteme wirken sich auf die Sozialisationsfunktion der Kernfamilie <strong>in</strong> der Regel eher verstär-<br />

kend als abschwächend aus.<br />

Gerade die <strong>früh</strong>e und extensive Betreuung von K<strong>in</strong>dern unter zwei Jahren stand im Fokus der Debatte<br />

über die Bee<strong>in</strong>trächtigung der B<strong>in</strong>dungsqualität durch außerfamiliäre Betreuung. Zur Klärung dieser<br />

teils auch ideologisch gefärbten und extrem polarisierenden Streitfrage wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für die USA<br />

repräsentativen Langzeit-Studie über 1.300 K<strong>in</strong>der und ihre Familien untersucht. Die als NICHD-Studie<br />

(National Institute of Child Health and Human Development) bekannt gewordene Untersuchung ist <strong>in</strong><br />

ihrer Konzeption und ihrem Umfang weltweit bisher e<strong>in</strong>zigartig. Die Studie basiert auf e<strong>in</strong>em ökologi-<br />

schen Modell, bei dem davon ausgegangen wird, <strong>das</strong>s die Auswirkungen <strong>früh</strong>k<strong>in</strong>dlich-<strong>in</strong>stitutionalisierter<br />

Betreuung nicht unabhängig von den <strong>in</strong>dividuellen Merkmalen des K<strong>in</strong>des, den Merkmalen der Familie<br />

und der Wohnumwelt sowie den Merkmalen der Betreuungse<strong>in</strong>richtung erklärt und verstanden werden<br />

können. Entsprechend wurden für alle diese E<strong>in</strong>flussgrößen Indikatoren erhoben und <strong>in</strong> die Analysen<br />

mite<strong>in</strong>bezogen.<br />

E<strong>in</strong> Hauptergebnis dieser Studie besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die Quantität der außerfamiliären Betreuung oder<br />

des E<strong>in</strong>trittsalters des K<strong>in</strong>des ke<strong>in</strong>en eigenständigen Effekt auf die B<strong>in</strong>dungsqualität des K<strong>in</strong>des mit der<br />

Mutter hat. Das heißt: Die Qualität der bereits etablierten Mutter-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung entscheidet über den<br />

E<strong>in</strong>fluss der außerfamiliären Betreuung. Ist <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d sicher an die Mutter gebunden, ist es auch (relativ)<br />

robust gegen ungünstige Bed<strong>in</strong>gungen der externen Betreuung. Ist <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d dagegen zu e<strong>in</strong>er weniger<br />

fe<strong>in</strong>fühligen Mutter eher unsicher gebunden, erhöht sich die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er unsicheren B<strong>in</strong>-<br />

dung bei schlechter Qualität der außerfamiliären Betreuung bzw. die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er sicheren<br />

B<strong>in</strong>dung bei sehr guten Bed<strong>in</strong>gungen der außerfamiliären Betreuung. Damit konnte <strong>in</strong> dieser Studie so-<br />

wohl die „dual-risk“- bzw. kumulative Risiko-Hypothese als auch die Kompensationshypothese bestätigt<br />

werden (NICHD Early Child Care Research Network 1997, 2001; zusammenfassend auch Dornes 2006).<br />

Neben der sozio-emotionalen Entwicklung (hier: die B<strong>in</strong>dungsqualität des K<strong>in</strong>des) wurden auch noch<br />

weitere Entwicklungsbereiche des K<strong>in</strong>des <strong>–</strong> z. B. kognitive Entwicklung und Sprachentwicklung,<br />

Aggressionsentwicklung <strong>–</strong> untersucht. Dabei konnte (vere<strong>in</strong>fachend zusammengefasst) ke<strong>in</strong> dauerhafter<br />

negativer E<strong>in</strong>fluss <strong>früh</strong>er und extensiver außerfamiliärer Betreuung auf die genannten Entwicklungsbereiche<br />

des K<strong>in</strong>des festgestellt werden (Dornes 2006). Im Bereich der kognitiven Entwicklung und der Sprach-<br />

entwicklung konnte sogar relativ stabil e<strong>in</strong> positiver und gegebenenfalls kompensatorischer Effekt qualitativ<br />

hochwertiger, außerfamiliärer Betreuung erhoben werden.<br />

59


60<br />

Aufgrund der vorliegenden Befunde lässt sich die Frage nach den möglichen Folgen mütterlicher<br />

Berufstätigkeit dah<strong>in</strong>gehend beantworten, <strong>das</strong>s diese nur dann zum Risiko für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d wird, wenn die<br />

Mutter-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dungsqualität schon vorher belastet war. Die NICHD-Studie zeigt zudem, <strong>das</strong>s der<br />

E<strong>in</strong>fluss von Familienvariablen wie die Qualität der Mutter-K<strong>in</strong>d-Interaktion, <strong>das</strong> mütterliche Bildungs-<br />

niveau und <strong>das</strong> Familiene<strong>in</strong>kommen bei K<strong>in</strong>dern mit mehr als 30 Stunden außerfamiliärer Betreuung<br />

nicht ger<strong>in</strong>ger ist als bei K<strong>in</strong>dern ohne jede „Fremdbetreuung“ und solche Familienmerkmale bessere<br />

Prädiktoren der Entwicklung des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d als die Merkmale der Fremdbetreuung (a. a. O.).<br />

Die Ergebnisse der NICHD-Studie lassen erkennen, <strong>das</strong>s der Umgangsstil der Eltern und die dem K<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> der Familie angebotenen Lernumwelten e<strong>in</strong>e wesentlich stärkere Auswirkung auf die Entwicklung von<br />

Vorschulk<strong>in</strong>dern haben als die Tatsache, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d extrafamilial betreut wird.<br />

Bei der Diskussion um die möglichen Auswirkungen außerfamiliärer Betreuung auf die B<strong>in</strong>dungs-<br />

entwicklung unter zwei- bis dreijähriger K<strong>in</strong>der müssen somit immer qualitative Dimensionen der<br />

<strong>in</strong>stitutionellen Betreuung berücksichtigt werden. Dazu gehören zum Beispiel <strong>das</strong> Betreuungsverhältnis<br />

von Fachkräften zu K<strong>in</strong>dern, die Gruppengröße, der Professionalisierungsgrad der Fachkräfte, die Konstanz<br />

des Betreuungsarrangements, die Gestaltung des Übergangs von der Familie <strong>in</strong> die außerfamiliäre<br />

Betreuung (Dornes 2006). In der fachlichen und gesellschaftlichen Diskussion um <strong>das</strong> Verhältnis<br />

außerfamiliärer Betreuung zur Erziehung <strong>in</strong> der Familie sollte zudem nicht von e<strong>in</strong>em „Entweder-<br />

oder“, sondern von e<strong>in</strong>em „Sowohl-als-auch“ die Rede se<strong>in</strong> (Ahnert 2007b), was auf die Bedeutsam-<br />

keit und Notwendigkeit e<strong>in</strong>er gelungenen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und<br />

Fachkräften h<strong>in</strong>weist.<br />

Relativierend muss angemerkt werden, <strong>das</strong>s es sich bei diesen im Rahmen der NICHD-Studie gewonnenen<br />

Erkenntnissen um gruppenstatistische Effekte handelt, die ke<strong>in</strong>e Vorhersage für den E<strong>in</strong>zelfall erlau-<br />

ben. Inwieweit und ab welchem Alter e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er außerfamiliären Betreuung überantwortet werden<br />

kann/darf, muss im E<strong>in</strong>zelfall immer unter Berücksichtigung des k<strong>in</strong>dlichen Temperaments und se<strong>in</strong>er<br />

persönlichen Vorerfahrungen mit Trennungen und Verlusten, mit gesundem Menschenverstand und<br />

E<strong>in</strong>fühlungsvermögen entschieden werden. Neben den Trennungs- und Verlusterfahrungen des K<strong>in</strong>des<br />

sollten möglicherweise auch verborgene, ungelöste Trennungserfahrungen der Hauptb<strong>in</strong>dungsperson<br />

(<strong>in</strong> der Regel die Mutter) verstärkte Beachtung f<strong>in</strong>den, damit der Übergang des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> die außerfamiliäre<br />

Betreuung sowohl vom K<strong>in</strong>d als auch den Eltern selbst angemessen emotional verarbeitet werden kann.


Lesetipp:<br />

• E<strong>in</strong>e ausführliche und aktuelle Zusammenfassung zur Konzeption und der wichtigsten Ergebnisse der<br />

NICHD-Studie liefern Sarah L. Friedman und Ellen Boyle <strong>in</strong> ihrem Artikel „K<strong>in</strong>d-Mutter-B<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> der<br />

NICHD-Studie ´Early Child Care and Youth Development´: Methoden, Erkenntnisse und zukünftige<br />

Ausrichtungen“. In K. H. Brisch & T. Hellbrügge (2009), Wege zu sicheren B<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> Familie und<br />

Gesellschaft. Prävention, Begleitung, Beratung und Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

9.1 E<strong>in</strong>gewöhnung und B<strong>in</strong>dungsentwicklung<br />

Beim Übergang des K<strong>in</strong>des von der Familie <strong>in</strong> die (erstmalige) <strong>in</strong>stitutionelle K<strong>in</strong>derbetreuung ist e<strong>in</strong><br />

elaboriertes und dem k<strong>in</strong>dlichen Entwicklungsstand anzupassendes Konzept der Übergangsbegleitung<br />

und E<strong>in</strong>gewöhnungsphase anzuwenden, damit diese „Transition“ vom K<strong>in</strong>d und auch den Eltern<br />

erfolgreich bewältigt werden kann (vgl. Bayerisches Staatsm<strong>in</strong>isterium für Arbeit und Sozialordnung,<br />

Familie und Frauen 2006). Dies trifft <strong>in</strong>sbesondere auf die unterdreijährigen K<strong>in</strong>der zu. K<strong>in</strong>der müssen<br />

hier schließlich lernen, Fremdes zu Vertrautem zu machen und Neugier über die eigene Angst siegen<br />

zu lassen (Bensel 1999).<br />

Nur durch e<strong>in</strong> behutsames, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nicht zu schnelles, geduldiges und aufmerksames <strong>–</strong> d. h. an den<br />

Reaktionen des K<strong>in</strong>des ausgerichtetes <strong>–</strong> E<strong>in</strong>gewöhnen kann es sich an die neue Umgebung, <strong>das</strong> neue<br />

Inventar und die fremden Erwachsenen und K<strong>in</strong>der gewöhnen. Die Eltern bzw. B<strong>in</strong>dungspersonen soll-<br />

ten bei dem stufenweisen Vorgehen aktiv mite<strong>in</strong>bezogen werden. Dem sensiblen Umgang der Erzieher/<br />

<strong>in</strong>nen mit den Trennungsreaktionen des K<strong>in</strong>des kommt ebenso e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu (Ahnert 1998).<br />

61


62<br />

Stufen der E<strong>in</strong>gewöhnung<br />

• Vorbereitung der E<strong>in</strong>gewöhnung<br />

• Geme<strong>in</strong>same Zeit von K<strong>in</strong>d und primärer Bezugsperson (Elternteil) <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung<br />

• Beg<strong>in</strong>n des Aufbaus von Beziehungen zwischen dem K<strong>in</strong>d, den Erzieher/<strong>in</strong>nen und K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der<br />

E<strong>in</strong>richtung<br />

• Phase von der ersten kurzen Trennung zur allmählichen Ausdehnung auf die gewünschte Zeit, die <strong>das</strong><br />

K<strong>in</strong>d selbstständig <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung verbr<strong>in</strong>gt<br />

• Abschluss der E<strong>in</strong>gewöhnung, wenn sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Stresssituationen von e<strong>in</strong>er Fachkraft beruhigen<br />

lässt und die Lernangebote der neuen Umgebung exploriert und für sich nutzt<br />

Weitere und konkrete Beispiele f<strong>in</strong>den sich im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan.<br />

(Bayerisches Staatsm<strong>in</strong>isterium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen 2006)<br />

Italienisch-sprachige Behandlung der E<strong>in</strong>gewöhnungs-Thematik:<br />

Mantovani S., Restuccia Saitta L. & Bove, C. (2008). Attaccamento e <strong>in</strong>serimento. Stili e storie delle relazioni<br />

al nido. Milano: Franco Angeli.<br />

Trennungen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d vorbereiten<br />

Trennungen gehören zum Leben dazu und müssen als Entwicklungsaufgabe gelernt werden. E<strong>in</strong>e sichere<br />

B<strong>in</strong>dung erleichtert die Trennung des K<strong>in</strong>des von der B<strong>in</strong>dungsperson, gleichzeitig stärkt e<strong>in</strong>e gute Vorbereitung<br />

des K<strong>in</strong>des auf die Trennung se<strong>in</strong>e Bewältigungsfähigkeit dieser und zukünftiger Ablösesituationen.<br />

K<strong>in</strong>dern sollte genügend Zeit für den Übergang/die Trennung gegeben werden. Das rechtzeitige Ankündigen<br />

der Trennung und bestimmte Abschiedsrituale erleichtern dem K<strong>in</strong>d den Umgang damit. K<strong>in</strong>dern<br />

sollte die Gewissheit gegeben werden, als B<strong>in</strong>dungsperson „im Notfall“ immer erreichbar zu se<strong>in</strong>. Eltern<br />

müssen K<strong>in</strong>dern ihren Trennungsschmerz und ihre Abschiedstrauer ebenso zugestehen wie die beim K<strong>in</strong>d<br />

aufkommende Wut aushalten und verstehen lernen.<br />

Wichtig ist, <strong>das</strong>s die erwachsene B<strong>in</strong>dungsperson auf ihre Selbstwahrnehmung achtet: Fühle ich den<br />

Trennungsscherz des K<strong>in</strong>des oder übertrage ich womöglich me<strong>in</strong>e eigenen Verlassenheitsgefühle zusätzlich<br />

auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d? Unter gewissen Umständen kann die eigene Trennungsangst dem K<strong>in</strong>d Unsicherheit<br />

vermitteln und se<strong>in</strong>e Ablösung zusätzlich erschweren, so<strong>das</strong>s nicht mehr zwischen der Trennungsangst<br />

des K<strong>in</strong>des und der der B<strong>in</strong>dungsperson unterschieden werden kann.<br />

Die B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d erweist sich auch hierbei als Moderator für die emotio-<br />

nale Verarbeitung. Dabei ist es nicht so, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung vor E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Fremdbetreuung die<br />

E<strong>in</strong>gewöhnung erleichtert: Sicher gebundene K<strong>in</strong>der protestieren mehr gegen die Trennung, unsicher<br />

gebundene weisen mehr physiologischen Stress (z. B. e<strong>in</strong>e höhere Herzfrequenz) auf. Der Unterschied


zwischen beiden Gruppen ist jedoch ger<strong>in</strong>g und verr<strong>in</strong>gert sich im Laufe der Zeit weiter. Bereits nach<br />

vier Wochen tritt <strong>–</strong> unter guten E<strong>in</strong>gewöhnungsbed<strong>in</strong>gungen <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e weitgehende Normalisierung des<br />

Verhaltens e<strong>in</strong> (Ahnert & Rickert 2000). Sicher gebundene K<strong>in</strong>der zeigen zudem ihre Gefühle offener<br />

als K<strong>in</strong>der mit unsicherer B<strong>in</strong>dung, <strong>in</strong>sbesondere als K<strong>in</strong>der mit unsicher-vermeidender B<strong>in</strong>dungsqua-<br />

lität. Längerfristig fühlen sich sicher gebundene K<strong>in</strong>der generell <strong>in</strong> der Gruppe der anderen K<strong>in</strong>der<br />

wohler und entwickelten größere soziale Kompetenzen als die unsicher gebundenen K<strong>in</strong>der (a. a. O.).<br />

K<strong>in</strong>der können auch zu ihren Erzieher<strong>in</strong>nen stabile Beziehungen aufbauen, die ohne Zweifel als<br />

B<strong>in</strong>dungsbeziehungen bezeichnet werden können. Diese Beziehungen schließen neben zuwendenden,<br />

sicherheitsspendenden und stressreduzierenden Aspekten auch Unterstützung und Hilfen beim k<strong>in</strong>dlichen<br />

Erkunden und dem Erwerb von Wissen e<strong>in</strong> (Assistenz und Explorationsunterstützung).<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied zur familiären Betreuung besteht unter anderem dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d die<br />

Aufmerksamkeit der Erzieher<strong>in</strong> im Rahmen des Gruppenkontextes mit anderen K<strong>in</strong>dern teilen muss.<br />

Die Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-Beziehung ersche<strong>in</strong>t im Rahmen der Gruppenbetreuung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zuwendenden<br />

und sicherheitsgebenden Funktion zu bestehen, <strong>in</strong>sgesamt aber eher „bildungsorientierter“ zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>-<br />

dem sie die k<strong>in</strong>dlichen Aktivitäten assistiert und bereichert. „K<strong>in</strong>der sehen unter diesen Umständen<br />

ihre Erzieher<strong>in</strong>nen dann auch zunehmend als Spielpartner<strong>in</strong>nen und Unterstützer<strong>in</strong>nen des eigenen<br />

Wissenserwerbs an, denn als Trostspender<strong>in</strong>nen“ (Ahnert 2006, S. 5). Der Erzieher<strong>in</strong> kommt also die<br />

herausfordernde Aufgabe zu, e<strong>in</strong>e positive Gruppenatmosphäre herzustellen, die gleichzeitig Raum und<br />

Zeit für <strong>in</strong>dividuelle Bedürfnisse und Interessen e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des zulässt. Entscheidend ist auch, <strong>das</strong>s die<br />

Beziehungsqualität zwischen Erzieher<strong>in</strong> und K<strong>in</strong>d der Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung <strong>in</strong> ihrer Wirkung auf<br />

<strong>das</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>deutig „unterlegen“ ist und ke<strong>in</strong>en Ersatz für e<strong>in</strong>e sichere Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dungsbeziehung<br />

darstellen kann (Ahnert et al. 2006).<br />

Lesetipp:<br />

• Becker-Stoll, F. & Textor, M.R. (Hrsg.) (2007). Die Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-Beziehung. Zentrum von Bildung<br />

und Erziehung. Berl<strong>in</strong>: Cornelsen Verlag Scriptor.<br />

63


64<br />

Startvoraussetzungen für unter Dreijährige im K<strong>in</strong>dergarten<br />

Damit sich E<strong>in</strong>- und Zweijährige im K<strong>in</strong>dergarten wohl fühlen, sich <strong>in</strong>tegrieren, von den Angeboten profitieren,<br />

sich Kompetenzen aneignen und sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden können, müssen folgende<br />

Voraussetzungen erfüllt se<strong>in</strong>:<br />

• Jedes K<strong>in</strong>d muss elternbegleitet und bezugspersonenorientiert e<strong>in</strong>gewöhnt werden.<br />

• Das K<strong>in</strong>d braucht emotionale Zuwendung, geteilte Aufmerksamkeit und hohe Antwortbereitschaft.<br />

• Das K<strong>in</strong>d benötigt sprachliche Stimulation und Unterstützung se<strong>in</strong>er Kommunikationsversuche.<br />

• Das K<strong>in</strong>d braucht altersgemäße Entwicklungsanregung basierend auf adäquatem Entwicklungswissen.<br />

• Es braucht Freiraum, um selbst agieren zu können.<br />

• Es braucht Experimentierfläche für Kopf, Hand und Fuß.<br />

• Die k<strong>in</strong>dlichen Zeitvorstellungen müssen respektiert werden.<br />

• Das K<strong>in</strong>d braucht Herausforderungen zum begleiteten Überschreiten bisheriger Grenzen.<br />

• Es braucht anregende Lernumgebungen und aktive Entwicklungsbegleitung.<br />

• Das K<strong>in</strong>d braucht Spielpartner und Freunde sowie K<strong>in</strong>der verschiedenen Alters, die als Nachahmungsmodelle<br />

<strong>das</strong> selbst <strong>in</strong>itiierte Lernen vielfältig ver<strong>stärken</strong>.<br />

(nach: Haug-Schnabel & Bensel 2006)<br />

9.2 Geschlechtsspezifische Aspekte der Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung<br />

Während <strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluss des k<strong>in</strong>dlichen Geschlechts auf die B<strong>in</strong>dungsqualität<br />

nachgewiesen werden kann, zeigt sich, <strong>das</strong>s sich Erzieher<strong>in</strong>-Mädchen-Beziehungen leichter entwickeln<br />

und ausgeprägter s<strong>in</strong>d als Erzieher<strong>in</strong>-Jungen-Beziehungen. Außerdem bauen Mädchen häufiger sichere<br />

B<strong>in</strong>dungen zu Erzieher<strong>in</strong>nen auf als Jungen (Ahnert et al. 2006).<br />

Nach Ahnert (2007) lässt sich dies folgendermaßen erklären: In den gleichgeschlechtlichen Mädchengruppen<br />

zeigt sich im Vergleich zu den Jungengruppen, <strong>das</strong>s Mädchen eher egalitäre Strukturen ausbilden,<br />

ihr Aktivitätsniveau besser regulieren können und mehr prosoziales Verhalten zeigen. Diese Eigenschaften<br />

der Mädchen führen bei der Beziehungsgestaltung für die Erzieher<strong>in</strong>nen zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren Aufwand.<br />

Obwohl die Erzieher<strong>in</strong>nen durchaus auch Jungen zu ihren „Liebl<strong>in</strong>gsk<strong>in</strong>dern“ zählen, war die beobachtete<br />

Qualität der Erzieher<strong>in</strong>-K<strong>in</strong>d-Beziehung bei Mädchen signifikant höher als bei Jungen.<br />

Neueste Ergebnisse aus der Bildungsforschung (Ahnert 2008) zeigen, <strong>das</strong>s Mädchen eher von beziehungs-<br />

orientierten Lernangeboten profitieren und Jungen eher von sachorientierten Lernangeboten. Erziehe-<br />

r<strong>in</strong>nen neigen jedoch dazu, vorwiegend beziehungsorientierte Lernangebote zu machen, die dann auch<br />

eher von Mädchen angenommen werden (Ahnert 2007, 2008, zit. n. VBW 2009).


10<br />

Methoden der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />

E<strong>in</strong>e <strong>früh</strong>zeitige Diagnostik von möglicher B<strong>in</strong>dungsunsicherheit, B<strong>in</strong>dungsdesorganisation oder gar<br />

e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsstörung ist aus präventiver Sicht <strong>in</strong>diziert, um mögliche kurz-, mittel- und langfristige<br />

negative Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des zu vermeiden oder zum<strong>in</strong>dest abzumil-<br />

dern. Dazu bedarf es des E<strong>in</strong>satzes bewährter Instrumente der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik, die im Folgenden<br />

vorgestellt werden sollen. Die meisten diagnostischen Verfahren wurden für Forschungszwecke entwickelt,<br />

können jedoch auch E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten für die Praxis besitzen (s. auch Unterkap. 12.2).<br />

„B<strong>in</strong>dung“ als <strong>das</strong> biologisch begründete, überdauernde emotionale <strong>Band</strong> zwischen K<strong>in</strong>d und Bezugs-<br />

person ist nicht direkt beobachtbar, sondern kann je nach Entwicklungsstand auf unterschiedlichen<br />

Ebenen zugänglich gemacht werden. Im vorsprachlichen Alter wird die Qualität der B<strong>in</strong>dung aus dem<br />

B<strong>in</strong>dungsverhalten des K<strong>in</strong>des nach Trennungen von Bezugspersonen erschlossen. Dazu zählen Verhal-<br />

tensweisen, die auf Nähe und Kontakt ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Ab dem Alter von ungefähr drei Jahren, wenn<br />

K<strong>in</strong>der über fortgeschrittene kognitive und sprachliche Fähigkeiten verfügen, kann die Qualität ihrer<br />

B<strong>in</strong>dung methodisch über ihre symbolische Spielhandlungen, verbale Narrative oder Bildbeschreibungen<br />

erschlossen werden (Gloger-Tippelt 2004). Auch für Jugendliche und Erwachsene existieren Erhebungs-<br />

methoden, welche über die sprachlich vermittelten b<strong>in</strong>dungsrelevanten Aussagen Rückschlüsse auf <strong>das</strong><br />

<strong>in</strong>nere B<strong>in</strong>dungsmodell erlauben.<br />

In der B<strong>in</strong>dungsforschung werden <strong>–</strong> mit Ausnahme von B<strong>in</strong>dungsfragebögen <strong>–</strong> ke<strong>in</strong>e Verfahren mit<br />

vorgegebenen Antwortalternativen e<strong>in</strong>gesetzt. Vielmehr basiert <strong>das</strong> Beobachtungsergebnis auf der<br />

Beurteilung e<strong>in</strong>es komplexen Verhaltens bzw. auf der E<strong>in</strong>schätzung von sprachlichen Äußerungen.<br />

Für alle Methoden der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik ist e<strong>in</strong> ausführliches Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g/Schulung zur Durchführung und<br />

Auswertung des Verfahrens notwendig. Die professionelle Anwendung dieser Verfahren erfordert e<strong>in</strong>e<br />

kont<strong>in</strong>uierliche unabhängige Supervision zur Qualitätssicherung der diagnostischen Kompetenz und zur<br />

Abstimmung mit <strong>in</strong>ternationalen Standards.<br />

Lesetipp:<br />

• E<strong>in</strong>e italienisch-sprachige E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Methodik der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik bietet folgender Aufsatz:<br />

Fonagy, P. (2002). La misurazione dell’attaccamento nell’<strong>in</strong>fanzia. In P. Fonagy (2002). Psicoanalisi e teoria<br />

dell’attaccamento. Milano: Raffaello Cort<strong>in</strong>a.<br />

65


66<br />

10.1 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im K<strong>in</strong>desalter<br />

10.1.1 Beobachtungsmethoden für K<strong>in</strong>der bzw. Eltern und K<strong>in</strong>d<br />

Diagnostik der Fe<strong>in</strong>fühligkeit <strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion<br />

Nach Brisch (2007b) können Störungen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion am besten durch Videoaufnahmen<br />

und deren Mikroanalyse diagnostiziert werden. Dabei bieten sich die Aufnahmen von Situationen beim<br />

Wickeln, Spielen und Füttern an, die anschließend e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Interaktionsanalyse unterzogen werden.<br />

Die qualitative E<strong>in</strong>schätzung der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit nach der Skala von A<strong>in</strong>sworth (1977/2003)<br />

kann bei Bedarf durch mikroanalytische Methoden ergänzt werden: Mit diesen Methoden können e<strong>in</strong>zelne<br />

Interaktionskanäle wie Mimik, Gestik, Berührung oder Blickkontakt sowohl aufseiten des K<strong>in</strong>des<br />

als auch aufseiten der Mutter bzw. des Vaters untersucht und im H<strong>in</strong>blick auf ihre <strong>in</strong>teraktive Abstimmung<br />

beurteilt werden (Brisch 2007b).<br />

Diagnostik der B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen Geburt und 30. Monat<br />

Der CARE-Index ist e<strong>in</strong> beziehungsorientiertes Verfahren, <strong>das</strong> die Fe<strong>in</strong>fühligkeit e<strong>in</strong>es Erwachsenen<br />

bzw. die Qualität der Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dyadischen Kontext beschreibt. Das Verfahren<br />

kann von der Geburt des K<strong>in</strong>des bis zum Alter von 30 Monaten e<strong>in</strong>gesetzt werden. Es gibt e<strong>in</strong>e Version<br />

für K<strong>in</strong>der bis zum Alter von 15 Monaten und e<strong>in</strong>e für Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der bis zweie<strong>in</strong>halb Jahren. Grundlage<br />

der Beurteilung ist e<strong>in</strong>e dreim<strong>in</strong>ütige videographierte Spiel<strong>in</strong>teraktion unter stressfreien Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>–</strong> d. h. <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem des K<strong>in</strong>des wird hier nicht aktiviert. Die Methode ist robust gegenüber<br />

Kontextbed<strong>in</strong>gungen, die Videoaufzeichnungen können <strong>in</strong> der häuslichen Umgebung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>ik,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Forschungslabor etc. gemacht werden. Die vom CARE-Index gemessene Fe<strong>in</strong>fühligkeit der<br />

Bezugsperson wird dabei nicht als <strong>in</strong>dividuelle Eigenschaft des Erwachsenen verstanden, sondern sie<br />

charakterisiert e<strong>in</strong>e spezifische Beziehung, die „Passung“ zwischen Bezugsperson und K<strong>in</strong>d. Das<br />

bedeutet auch, <strong>das</strong>s dieselbe erwachsene Person unterschiedliche Ausprägungen fe<strong>in</strong>fühligen Verhaltens<br />

mit unterschiedlichen K<strong>in</strong>dern zeigen kann. Methodisch <strong>in</strong>teressiert weniger die Auftretenshäufigkeit<br />

bestimmter Verhaltensweisen, sondern ihre zwischenmenschliche Qualität, <strong>in</strong>sbesondere die affektive<br />

Abstimmung („affect attunement“). Der CARE-Index kann als sehr zeitökonomisches Instrument an<br />

verschiedenen Orten für <strong>das</strong> Screen<strong>in</strong>g (auch von Assistenzberufen), für die Intervention, aber auch für<br />

die Forschung e<strong>in</strong>gesetzt werden. Der größte Vorteil des CARE-Index besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s er Risiken<br />

identifiziert, die die meisten Fachleute auch bei direkter Beobachtung übersehen (Crittenden 2005).<br />

Diagnostik der B<strong>in</strong>dungsqualität zwischen dem 12. und 20. Monat<br />

Die Qualität der B<strong>in</strong>dungsentwicklung des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des zu se<strong>in</strong>en Bezugspersonen lässt sich mit dem<br />

von Mary A<strong>in</strong>sworth <strong>in</strong> den USA entwickelten Fremde-Situations-Test ab dem 12. bis zum 18., maximal


20. Lebensmonat des K<strong>in</strong>des erfassen. Die „Fremde Situation“ ist e<strong>in</strong>e standardisierte, <strong>in</strong>ternational<br />

e<strong>in</strong>gesetzte Beobachtungssituation, bei der <strong>das</strong> Verhalten der K<strong>in</strong>der im Rahmen von zwei Trennungs-<br />

und Wiedervere<strong>in</strong>igungssituationen mit e<strong>in</strong>er bestimmten B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> fremder Umgebung<br />

beobachtet und ausgewertet wird. Ziel ist die Beobachtung des Gleichgewichtes zwischen B<strong>in</strong>dungs-<br />

und Explorationsverhalten des Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>des unter den standardisierten Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es unbekannten<br />

Beobachtungsraumes.<br />

Die Fremde Situation ist <strong>in</strong> acht maximal dreim<strong>in</strong>ütige Episoden wie e<strong>in</strong> „M<strong>in</strong>idrama“ aufgebaut, <strong>das</strong><br />

e<strong>in</strong>e gesteigerte Belastung des K<strong>in</strong>des durch zwei Trennungen und zwei Wiedervere<strong>in</strong>igungen, <strong>in</strong>klusive<br />

des Auftauchens e<strong>in</strong>er für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d fremden Person, umfasst. Der Belastungsgrad liegt im Rahmen der<br />

im Alltag erlebten Trennungssituationen, bei großer Beunruhigung des K<strong>in</strong>des wird die Trennungszeit<br />

verkürzt. So kann verlässlich festgestellt werden, ob und wie sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nach den belastenden<br />

Trennungen an die Bezugsperson wendet, beruhigt werden kann und wieder zum Spielen zurückkehrt.<br />

Die Auswertung erfolgt heute anhand des videographierten Verhaltens des K<strong>in</strong>des (Gloger-Tippelt<br />

2004; s. auch Kißgen 2009). Nach Brisch (2007b) ist es <strong>in</strong> diesem Alter bereits möglich, B<strong>in</strong>dungs-<br />

störungen zu erkennen.<br />

Diagnostik der B<strong>in</strong>dungsqualität im Vorschulalter<br />

Die B<strong>in</strong>dungstheorie geht von der Stabilität der B<strong>in</strong>dungsqualität bis ungefähr zum Schule<strong>in</strong>tritt aus,<br />

soweit die Lebenssituation des K<strong>in</strong>des stabil bleibt. Deswegen haben verschiedene Forschergruppen die<br />

traditionelle Beobachtungsmethode der Fremden-Situation für ältere K<strong>in</strong>der adaptiert. Zum Teil wurden<br />

entwicklungsangemessene längere Trennungen, andere Instruktionen oder Verb<strong>in</strong>dungen mit weiteren<br />

Erhebungen vorgenommen (Gloger-Tippelt 2004). Die Auswertungen für ältere K<strong>in</strong>der berücksichtigen<br />

zusätzlich die Sprache, die Interaktion über die Distanz sowie die Verhandlungen zwischen Eltern und<br />

K<strong>in</strong>dern über die Trennung. Folgende zusammenfassende Auflistung gibt im Wesentlichen die Übersichtsarbeit<br />

der B<strong>in</strong>dungsforscher<strong>in</strong> Gabriele Gloger-Tippelt (2004) wieder.<br />

• Cassidy und Marv<strong>in</strong> entwickelten e<strong>in</strong> an die Fremde-Situation für Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der angelehntes Beobachtungsverfahren<br />

für zweie<strong>in</strong>halb bis viere<strong>in</strong>halbjährige K<strong>in</strong>der („Attachment Organization <strong>in</strong> Preschool<br />

Children“) (Cassidy & Marv<strong>in</strong> 1992; Marv<strong>in</strong> 2001).<br />

• Crittenden entwickelte e<strong>in</strong> Fremde-Situation-Beobachtungsverfahren für zweie<strong>in</strong>halb bis fünfjährige<br />

K<strong>in</strong>der („The Preschool Assessment of Attachment“, kurz: PAA) (Crittenden 1994).<br />

• Ma<strong>in</strong> und Cassidy haben e<strong>in</strong> Klassifikationssystem für Sechsjährige entwickelt, <strong>das</strong> auf der Beobachtung<br />

der ersten drei bis fünf M<strong>in</strong>uten nach e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stündigen Trennung beruht (Ma<strong>in</strong> & Cassidy 1988).<br />

E<strong>in</strong>en anderen Zugang zur Erfassung von B<strong>in</strong>dungssicherheit bietet der „Attachment Q-Sort“ (AQS)<br />

(Waters & Deane 1985). Hier wird <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhalten von K<strong>in</strong>dern zwischen e<strong>in</strong>em und fünf Jah-<br />

67


68<br />

ren <strong>in</strong> der häuslichen Umgebung oder an anderen Orten von Experten mittels der Q-Sort-Methode<br />

e<strong>in</strong>geschätzt. Der Q-Sort erfasst <strong>das</strong> Ausmaß an „secure base behaviour“, d. h. emotionalem Orientie-<br />

rungsverhalten zu e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dungsperson als Sicherheitsbasis.<br />

10.1.2 Projektive Verfahren für K<strong>in</strong>der<br />

Für die <strong>früh</strong>e und mittlere K<strong>in</strong>dheit (3 bis ca. 8 Jahre) stehen <strong>in</strong>zwischen halbprojektive Verfahren zur<br />

Verfügung, <strong>in</strong> denen die B<strong>in</strong>dungsqualität des K<strong>in</strong>des über symbolische Medien, wie sie Geschichtenergänzungsvefahren<br />

oder Zeichnungen mit Trennungsgeschichten bieten, erhoben werden kann. Diese<br />

Methoden beruhen auf der Annahme, <strong>das</strong>s sich <strong>in</strong> den gespielten und erzählten Geschichten der K<strong>in</strong>der<br />

ihre B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen und damit die Verarbeitung ihrer tatsächlichen Erfahrungen mit<br />

den Bezugspersonen manifestieren (Gloger-Tippelt 2004). So legen Spieltherapie und im natürlichen<br />

Umfeld gemachte Beobachtungen nahe, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der ihre Verarbeitung von wiederkehrenden Alltagserfahrungen<br />

mit den B<strong>in</strong>dungspersonen sowie ihr allgeme<strong>in</strong>es Wissen <strong>in</strong>s Spiel e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />

Geschichtenergänzungsverfahren im Puppenspiel<br />

Bretherton und Ridgeway (1990) entwickelten Kerngeschichten („Story Stems“) <strong>in</strong> dem „Attachment<br />

Story Completion Task“ (ASCT). Dabei werden den K<strong>in</strong>dern die Anfänge von fünf b<strong>in</strong>dungsrelevanten<br />

Geschichten (zuzüglich e<strong>in</strong>er Aufwärm- und e<strong>in</strong>er Abschlussgeschichte) mit kle<strong>in</strong>en Puppen erzählt<br />

und vorgespielt, welche die K<strong>in</strong>der dann spielerisch weitererzählen sollen. Das B<strong>in</strong>dungsthema wird<br />

<strong>in</strong> den Geschichten durch e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gfügiges Vergehen des K<strong>in</strong>des (verschütteter Saft), Schmerz durch<br />

e<strong>in</strong>en Sturz (verletztes Knie), Furcht vor e<strong>in</strong>em Monster im K<strong>in</strong>derzimmer sowie e<strong>in</strong>e kurze Trennung<br />

von den Eltern und Wiederkehr der Eltern (Abschied und Wiedersehen) aktiviert („getriggert“). E<strong>in</strong>e<br />

gleichgeschlechtliche K<strong>in</strong>derpuppe als Hauptfigur der Geschichte dient dem K<strong>in</strong>d als Identifikationsfigur.<br />

Die Auswertung beruht auf Transkripten von Spielhandlungen und Erzählstruktur (Narrative)<br />

und der Videoaufzeichnung. E<strong>in</strong> verwandtes Verfahren ist <strong>das</strong> „Manchester Child Attachment Story<br />

Task“ (MCAST), für <strong>das</strong> Barone und Kollegen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Methodenstudie aus dem italienischen<br />

Sprachraum präsentieren (Barone et al. 2009). E<strong>in</strong>e zusammenfassende Beschreibung der ASCT-Methode<br />

für die B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im K<strong>in</strong>dergarten und Vorschulalter bieten Bertherton und Kißgen (2009).<br />

Das deutschsprachige Geschichtenergänzungsverfahren zur B<strong>in</strong>dung (GEV-B) für fünf- bis achtjährige<br />

K<strong>in</strong>der basiert auf den Geschichten von Bretherton und Kollegen und wurde von Gloger-Tippelt und<br />

König <strong>in</strong>s Deutsche adaptiert (Gloger-Tippelt & König 2002, 2006).<br />

E<strong>in</strong> weiteres Geschichtenergänzungsverfahren stammt von Carol George und Judith Solomon („Six<br />

Year Attachment Doll Play Classification System“) mit nur drei Geschichten, wobei die Trennungs- und<br />

die Wiedersehensgeschichte zusammengefasst werden (George & Solomon 1990, 1996, 2000).


Erhebungsverfahren mit Trennungsbildern<br />

Der Separation Anxiety Test (SAT) ist e<strong>in</strong> häufig im Grundschulalter e<strong>in</strong>gesetztes Verfahren zur Diagnostik<br />

der B<strong>in</strong>dungsqualität. Die ursprüngliche Version von Hansburg (1972, 1980) für die kl<strong>in</strong>ische Arbeit mit<br />

Jugendlichen wurde <strong>in</strong>zwischen mehrfach weiterentwickelt.<br />

Das ursprüngliche Material bestand aus zwölf Schwarz-Weiß-Bildern, <strong>in</strong> denen die Trennung von K<strong>in</strong>dern<br />

und Eltern unterschiedlich bedrohlichen Charakter hatte. Die Szenen reichten von „K<strong>in</strong>d geht <strong>in</strong> die<br />

Schule“, „K<strong>in</strong>d geht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ferienlager“ über „Familie zieht um“ bis zu stark belastenden Bildern wie<br />

„Mutter wird <strong>in</strong>s Krankenhaus gebracht“, „Vater und K<strong>in</strong>d stehen am Sarg der Mutter“ und „K<strong>in</strong>d<br />

läuft von zu Hause weg“. Dabei wurde geprüft, wie die K<strong>in</strong>der auf die dargestellten Situationen der<br />

Trennung oder des Verlusts reagieren. E<strong>in</strong>e zusammenfassende Beschreibung des SAT bietet Julius (2009).<br />

E<strong>in</strong>e modifizierte Version des SAT wurde von Klagsbrun und Bowlby für vier- bis siebenjährige K<strong>in</strong>der<br />

konstruiert, die sechs Bilder enthielt (Klagsbrun & Bowlby 1976).<br />

Ziegenha<strong>in</strong> und Jacobson haben <strong>in</strong> Deutschland den SAT mit acht Bildkarten von Hansburg e<strong>in</strong>gesetzt,<br />

wobei die Szenen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Hiearchie h<strong>in</strong>sichtlich ihrer B<strong>in</strong>dungsrelevanz enthielten (Ziegenha<strong>in</strong> &<br />

Jacobsen 1999). Auf den Bildkarten ist jeweils e<strong>in</strong> Junge oder Mädchen (je nach Geschlecht des befragten<br />

K<strong>in</strong>des) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation zu sehen, <strong>in</strong> der es von der B<strong>in</strong>dungsperson (den Eltern) getrennt ist oder<br />

wird. Drei der Bilder zeigen e<strong>in</strong>e längere, bedrohliche Trennung: e<strong>in</strong>en Notarzt-Wagen, e<strong>in</strong>en Abschied<br />

von den Eltern für vier Wochen und e<strong>in</strong>e Situation, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Vater die Mutter und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>em<br />

Streit verlässt. Drei andere Bilder zeigen kürzere, alltägliche Trennungen: e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> zur Schule geht,<br />

e<strong>in</strong>es, <strong>das</strong> auf Klassenfahrt fährt, und e<strong>in</strong>es, <strong>das</strong> <strong>in</strong>s Bett gebracht wird. Auf e<strong>in</strong>em Bild ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu<br />

sehen, <strong>das</strong> von zu Hause wegläuft, und auf e<strong>in</strong>em weiteren Bild kommt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Schul-<br />

klasse. Anhand von offenen Fragen sollen die befragten K<strong>in</strong>der erzählen, wie sich <strong>das</strong> abgebildete K<strong>in</strong>d<br />

fühlt, was es denkt, was es tun wird und wie die Geschichte ausgeht.<br />

E<strong>in</strong>e häufig e<strong>in</strong>gesetzte Auswertung des SAT für K<strong>in</strong>der von fünf bis sieben Jahren hat Kaplan (1987)<br />

entwickelt, auf die auch Ziegenha<strong>in</strong> und Jacobson zurückgreifen. E<strong>in</strong>e zusätzliche Weiterentwicklung<br />

des SAT liegt von Slough und Greenberg vor (1990).<br />

69


70<br />

Nach Gloger-Tippelt (2004) erweisen sich die Geschichtenergänzungsverfahren (GEV) für die Altersgruppe<br />

der Drei- sowie Fünf- bis Siebenjährigen als e<strong>in</strong>e reliable und valide Methode, wobei weitere Validitätsprüfungen<br />

erforderlich s<strong>in</strong>d. Auch der Trennungsbildtest SAT hat sich als e<strong>in</strong> angemessenes Erhebungsverfahren für<br />

B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen bewährt. Die Beschreibung von Bildern erfordert jedoch mehr verbale Fähigkeiten<br />

als die Puppenspielmethoden, weswegen der SAT vermutlich für etwas ältere K<strong>in</strong>der geeigneter ist. Die<br />

Auswertungen zum SAT s<strong>in</strong>d schwer zugänglich und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs weniger verfügbar als bei den Geschichtenergänzungsverfahren.<br />

Trudew<strong>in</strong>d und Steckel (2009) berichten vom Bochumer B<strong>in</strong>dungstest (BoBiTe) als e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Durchführung<br />

und Auswertung e<strong>in</strong>faches und ökonomisches semiprojektives Verfahren zur Erfassung der Struktur des<br />

B<strong>in</strong>dungsmotivs und der B<strong>in</strong>dungsqualität bei 8- bis 14-jährigen Jungen und Mädchen. Dieses Verfahren<br />

schließt e<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> der altersgemäßen Erfassung des B<strong>in</strong>dungssystems, mit dem zahlreiche Facetten<br />

der sozialen Entwicklung und Fehlentwicklung <strong>in</strong> der mittleren K<strong>in</strong>dheit erforscht werden können.<br />

10.1.3 Interviewverfahren für K<strong>in</strong>der<br />

Für 8- bis 13-jährige K<strong>in</strong>der eignet sich <strong>das</strong> von Zimmermann und Scheuerer-Englisch entwickelte<br />

B<strong>in</strong>dungs-Interview für die späte K<strong>in</strong>dheit (BISK), dessen Ziel es ist, die Regulation negativer Gefühle<br />

<strong>in</strong> den Beziehungen zu erwachsenen Bezugspersonen zu erfragen. Dazu werden zum e<strong>in</strong>en Fragen zur<br />

Bewertung des Verhaltens der B<strong>in</strong>dungsperson verwendet, zum anderen Fragen nach belastenden<br />

Situationen <strong>–</strong> sowohl solchen, die für alle K<strong>in</strong>der dieses Alters belastend s<strong>in</strong>d, als auch nach Situationen,<br />

<strong>in</strong> denen sich <strong>das</strong> befragte K<strong>in</strong>d subjektiv belastet fühlt (Scheuerer-Englisch 2003).<br />

Die Leitfragen des Interviews beziehen sich auf verschiedene Erlebnisbereiche von K<strong>in</strong>dern die-<br />

ser Altersstufe: Spielen und Verlieren, Schule, Freunde, Familiensituation, Erziehung und Bestrafung,<br />

Konflikte, Krankheit etc. Wenn belastende b<strong>in</strong>dungsrelevante Ereignisse zur Sprache kommen, werden<br />

jeweils die Emotionen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> dieser Situation („Wie fühlst du dich dann?“), se<strong>in</strong>e Verhaltens-<br />

strategien („Was machst du dann?“), die Reaktion der Eltern und deren Wahrnehmung der k<strong>in</strong>dlichen<br />

Bef<strong>in</strong>dlichkeit und die Effektivität der Unterstützung durch Eltern („Wie geht es dir, wenn Mama/Papa<br />

so reagiert?“) abgefragt. Das gesamte Interview dauert zwischen 50 und 90 M<strong>in</strong>uten. Die Validität und<br />

Reliabilität des BISK konnte <strong>in</strong> mehreren Untersuchungen belegt werden.<br />

Etwa ab dem zehnten Lebensjahr bietet sich die Möglichkeit an, <strong>das</strong> Child Attachment Interview (CAI)<br />

durchzuführen. Das CAI baut auf dem Adult Attachment Interview (AAI) auf und hat dessen Fragen<br />

für den K<strong>in</strong>derbereich adaptiert und modifiziert (Target et al. 2002).


10.2 B<strong>in</strong>dungsdiagnostik im Jugend- und Erwachsenenalter<br />

Erwachsene werden mit dem Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs<strong>in</strong>terview (Adult Attachment Interview; AAI) oder<br />

mit dem Adult Attachment Projective (AAP) e<strong>in</strong>geschätzt. Beide Verfahren erlauben e<strong>in</strong>e Kategorisierung<br />

der B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong> die sicher-autonome, unsicher-distanzierte, unsicher-verstrickte oder unverarbeitete<br />

B<strong>in</strong>dungsrepräsentation (Brisch 2007b).<br />

10.2.1 Interviewverfahren<br />

Das Adult Attachment Interview (AAI) wurde von George, Kaplan und Ma<strong>in</strong> 1984, <strong>das</strong> dazugehörige<br />

Auswertungssystem von Ma<strong>in</strong> und ihrer Arbeitsgruppe entwickelt und laufend verbessert (Ma<strong>in</strong> &<br />

Goldwyn 1984, 1998; Ma<strong>in</strong> et al. 2003). Die deutsche Übersetzung stammt von Gloger-Tippelt (2001).<br />

Es gilt als <strong>das</strong> Interview („Goldstandard“) für die B<strong>in</strong>dungsforschung im Erwachsenenalter. Beim AAI<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong> halbstrukturiertes, kl<strong>in</strong>isches Interview, <strong>in</strong> dem die Er<strong>in</strong>nerung an b<strong>in</strong>dungsrelevante<br />

Erfahrungen hervorgerufen werden soll. Dazu werden 18 offene Fragen über die eigene K<strong>in</strong>dheit<br />

und B<strong>in</strong>dungsgeschichte sowie über die aktuellen Beziehungen zu Eltern und anderen B<strong>in</strong>dungspartnern<br />

gestellt. Die Fragen sollen „<strong>das</strong> Unbewusste überraschen“ und durch die mit diesen Er<strong>in</strong>nerungen verbundenen<br />

Emotionen <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem aktivieren. Das Interview erfordert e<strong>in</strong>en flexiblen Umgang<br />

mit Er<strong>in</strong>nerungen und e<strong>in</strong>en offenen Zugang zu Gefühlen über <strong>früh</strong>e Erfahrungen und deren heutige<br />

persönliche Bewertung aus e<strong>in</strong>er eigenständigen Position heraus (Gloger-Tippelt 2004).<br />

Entscheidend für die im Rahmen des AAI erhobenen b<strong>in</strong>dungsrelevanten Aussagen ist nicht der<br />

Inhalt der Erzählungen zu den tatsächlichen Erfahrungen aus der K<strong>in</strong>dheit (wie <strong>in</strong> vielen biografischen<br />

Interviews) vorrangig, sondern die Art und Weise, <strong>in</strong> der der Erwachsene darüber berichtet (d. h. die<br />

sprachliche Darstellung und kognitiv-emotionale Verarbeitung). Die Schlüssigkeit oder Kohärenz des<br />

Berichtes wird für die Auswertung somit zum entscheidenden Kriterium. Hierüber lässt sich die Organi-<br />

sation der B<strong>in</strong>dungsrepräsentation bestimmen. Die Validität und Reliabilität der Klassifikation mit dem<br />

AAI wurde <strong>in</strong> verschiedenen Forschungsarbeiten belegt (Buchheim & Strauß 2002).<br />

Ab dem Alter von 16 bis 18 Jahren kann die B<strong>in</strong>dungsuntersuchung bei Jugendlichen wie bei<br />

Erwachsenen mit dem AAI erfolgen (Zimmermann & Becker-Stoll 2001).<br />

10.2.2 Projektive Verfahren<br />

Das Adult Attachment Projective (AAP) wurde 1997 von George, Pettem und West entwickelt, um<br />

die B<strong>in</strong>dungsrepräsentation im Erwachsenenalter zu erheben (George & West 2004). Es verb<strong>in</strong>det die<br />

projektiven Techniken der Konstruktion und Assoziation mit der des halbstrukturierten Interviews.<br />

Vergleichbar mit dem SAT werden Bilder benutzt, die <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem aktivieren sollen. Im Unterschied<br />

zu den Methoden für K<strong>in</strong>der werden ke<strong>in</strong>e Geschichtenanfänge vorgegeben, sondern die<br />

71


72<br />

Probanden werden durch Fragen aufgefordert, e<strong>in</strong>e Geschichte über die Ereignisse auf dem Bild zu<br />

konstruieren.<br />

Das AAP besteht aus <strong>in</strong>sgesamt acht Umrisszeichnungen, wobei die Zeichnungen nur so viele Details<br />

enthalten, <strong>das</strong>s damit die dargestellte b<strong>in</strong>dungsrelevante Szene identifiziert werden kann. Das Projektivset<br />

beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>em Aufwärmbild (neutraler Stimulus), darauf folgen sieben B<strong>in</strong>dungsszenen, welche<br />

Themen wie Krankheit, Trennung, Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong> und Bedrohung oder Verlust be<strong>in</strong>halten. Wie bei anderen<br />

Verfahren der B<strong>in</strong>dungsforschung soll auch hier <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungssystem der Probanden im Verlauf des<br />

Interviews <strong>–</strong> von Bild zu Bild <strong>–</strong> immer stärker aktiviert werden.<br />

E<strong>in</strong> großer Vorteil gegenüber dem AAI besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die Durchführung, Transkription und Aus-<br />

wertung des AAP sehr viel weniger zeitaufwendig und damit weniger kosten<strong>in</strong>tensiv ist. Im Unterschied<br />

zum AAI s<strong>in</strong>d jedoch ke<strong>in</strong>e Unterdifferenzierungen <strong>in</strong>nerhalb der B<strong>in</strong>dungs-Hauptklassifikationen zu<br />

erfassen. Da ke<strong>in</strong>e autobiografischen Fakten abgefragt werden, kann im AAP ke<strong>in</strong> Verständnis für die<br />

Entwicklung bestimmter B<strong>in</strong>dungsmodelle gewonnen werden. Bisherige Validitätsanalysen belegen e<strong>in</strong>e<br />

hohe Übere<strong>in</strong>stimmung des AAP mit dem AAI (Buchheim & Strauß 2002). E<strong>in</strong>e aktuelle zusammenfassende<br />

Beschreibung des AAP bieten George, West und Kißgen (2009).<br />

10.3 Fragebogen<strong>in</strong>strumente <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik<br />

Fragebogen<strong>in</strong>strumente nehmen <strong>in</strong> der B<strong>in</strong>dungsdiagnostik <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e „Sonderstellung“ e<strong>in</strong>, als die<br />

b<strong>in</strong>dungsdiagnostische Expertise <strong>in</strong> der Regel auf der Beurteilung e<strong>in</strong>es komplexen Verhaltens bzw.<br />

auf der E<strong>in</strong>schätzung von sprachlichen Äußerungen basiert. Vorgegebene Antwortalternativen <strong>–</strong> wie<br />

<strong>in</strong> Fragebogenverfahren üblich <strong>–</strong> müssten demnach methodisch unzulässig se<strong>in</strong>. Unter anderem deswegen,<br />

weil der abzubildende Sachverhalt (<strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsmuster) den Abbildungsprozess (den Vorgang der<br />

Itembeantwortung) und damit <strong>das</strong> Abbildungs- bzw. Messergebnis bee<strong>in</strong>flusst (Höger 2002).<br />

Dennoch gibt es nach Brisch (2007b) für die Untersuchung von B<strong>in</strong>dungsqualitäten vielfältige Fragebogen-<br />

<strong>in</strong>strumente, wobei auch Interview und Fragebogen zur B<strong>in</strong>dungse<strong>in</strong>schätzung komb<strong>in</strong>iert werden können.<br />

Fragebögen ermitteln <strong>das</strong> Selbstkonzept von B<strong>in</strong>dung, während Interviews Repräsentanzen und un-<br />

bewusste Anteile von Arbeitsmodellen zu erfassen versuchen. So wurde für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>desalter von Brisch<br />

e<strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsstörungsfragebogen entwickelt, der im Rahmen e<strong>in</strong>er Pilotstudie e<strong>in</strong>gesetzt wurde (2002).<br />

Zweyer hat e<strong>in</strong>en Screen<strong>in</strong>g-Fragebogen zur B<strong>in</strong>dungse<strong>in</strong>schätzung durch Erzieher/<strong>in</strong>nen beim E<strong>in</strong>tritt<br />

<strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergarten entwickelt und evaluiert, allerd<strong>in</strong>gs hat sich dieser als nicht diskrim<strong>in</strong>ativ erwiesen (2006).


Inwieweit Fragebögen als Screen<strong>in</strong>g-Instrument entweder bei Erwachsenen oder auch bei K<strong>in</strong>dern und<br />

Jugendlichen e<strong>in</strong>gesetzt werden können, ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.<br />

So plädiert Höger dafür, die <strong>in</strong> B<strong>in</strong>dungsfragebögen erhobenen Selbstbeschreibungen nicht als direkte<br />

Beschreibungen der Erfahrungen <strong>in</strong> Zusammenhang mit dem B<strong>in</strong>dungssystem aufzufassen, sondern als<br />

„Spuren“ der für <strong>das</strong> jeweilige <strong>in</strong>nere Arbeitsmodell der befragten Person charakteristischen Mechanis-<br />

men der Informationsverarbeitung (Höger 2002, mit weitergehenden Informationen zum E<strong>in</strong>satz von<br />

Fragebögen zur Erfassung von B<strong>in</strong>dungsstilen).<br />

73


11<br />

74<br />

Handlungsempfehlungen für Eltern<br />

K<strong>in</strong>der lösen mit ihrem B<strong>in</strong>dungsverhalten bei allen Eltern bestimmte Gefühle und Reaktionsbereit-<br />

schaften aus. Wir reagieren auf unsere K<strong>in</strong>der meist „<strong>in</strong>tuitiv“, <strong>in</strong>dem wir ihre Signale und Botschaften<br />

verbal oder nonverbal (mimisch oder gestisch) automatisch beantworten. In der <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>dheit besteht<br />

die Herausforderung dar<strong>in</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorsprachlichen Weise mit dem K<strong>in</strong>d zu kommunizieren. Die Natur<br />

hat Frauen wie Männer dafür mit e<strong>in</strong>em (vermutlich angeborenen) Verhaltensrepertoire ausgestattet,<br />

welches uns dazu befähigt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dem Entwicklungsstand des K<strong>in</strong>des angemessenen Art und Weise<br />

zu handeln. Diese „<strong>in</strong>tuitiven Erziehungskompetenzen“ der Eltern formen sich aber nicht e<strong>in</strong>fach von<br />

selbst aus, sondern müssen geübt werden. Aktuelle Belastungen oder <strong>früh</strong>ere Traumatisierungen <strong>in</strong> der<br />

eigenen K<strong>in</strong>dheit können uns unter Umständen für die Bedürfnisse unseres K<strong>in</strong>des „bl<strong>in</strong>d“ werden<br />

lassen. Um die größtmögliche Chance zur Ausbildung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsqualität zu den primären<br />

B<strong>in</strong>dungspersonen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zu gewähren, s<strong>in</strong>d im Folgenden e<strong>in</strong>ige Handlungsempfehlungen<br />

beschrieben, mit welchen Eltern ihr K<strong>in</strong>d angemessen unterstützen können (Bündnis für K<strong>in</strong>der 2007;<br />

Kasten 2005; www.circleofsecurity.org; www.eltern-bildung.at).<br />

11.1 Allgeme<strong>in</strong>e Grundsätze<br />

Haben Sie Spaß und Freude an/mit Ihrem K<strong>in</strong>d!<br />

Wann immer Sie mit Ihrem K<strong>in</strong>d zusammen s<strong>in</strong>d, sollten die Freude und der Spaß am Mite<strong>in</strong>ander<br />

überwiegen. Ihr K<strong>in</strong>d „saugt“ die emotionale Atmosphäre se<strong>in</strong>er Umwelt gleichsam e<strong>in</strong>em Schwamm<br />

<strong>in</strong> sich auf. Je besser Ihre eigene seelische Verfassung ist, umso besser fühlt sich auch Ihr K<strong>in</strong>d. Ihr K<strong>in</strong>d<br />

braucht e<strong>in</strong>en starken Partner an se<strong>in</strong>er Seite, der vermittelt, <strong>das</strong>s Schwierigkeiten gemeistert werden<br />

können und e<strong>in</strong>en guten Ausgang f<strong>in</strong>den.<br />

Lassen Sie sich, wann immer möglich, mit voller Aufmerksamkeit auf Ihr K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>e Erlebniswelt e<strong>in</strong>!<br />

Wann immer möglich, sollten Sie sich mit all Ihrer Aufmerksamkeit Ihrem Baby widmen, damit Sie<br />

se<strong>in</strong>e Bedürfnisäußerungen wahrnehmen können. Lassen Sie sich von den B<strong>in</strong>dungssignalen Ihres K<strong>in</strong>des<br />

„emotional anstecken“ und vertrauen Sie dabei Ihrer <strong>in</strong>tuitiven Wahrnehmung. Die Natur hat uns<br />

Menschen mit e<strong>in</strong>er angeborenen Fähigkeit zum Lesen der k<strong>in</strong>dlichen Signale ausgestattet. Üben Sie<br />

sich aber auch <strong>in</strong> Ihrer Beobachtungsfähigkeit: In welchem Zustand bef<strong>in</strong>det sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d im Augenblick?<br />

Was möchte es mir mit se<strong>in</strong>en Zeichen mitteilen? Achten Sie dabei auch darauf, eigene eventuell<br />

sehr drängende Bedürfnisse nicht auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zu projizieren. Praktisch heißt <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s Sie sich <strong>in</strong> allen<br />

Situationen, <strong>in</strong> denen Sie dem Baby nah s<strong>in</strong>d (wie z. B. beim Stillen), auch gedanklich, emotional und im<br />

Verhalten auf <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d konzentrieren sollten, um auch schwächere Signale des Säugl<strong>in</strong>gs empfangen<br />

zu können. Dies geht am besten, wenn Sie mit dem Baby Blickkontakt halten.


Versuchen Sie, die Äußerungen des Babys richtig zu deuten!<br />

Am Anfang fällt es vielen Eltern zunächst schwer, die Signale ihres K<strong>in</strong>des richtig zu deuten. Das ist<br />

völlig normal, Sie müssen erst die „Sprache“ Ihres K<strong>in</strong>des kennenlernen. Mit der Zeit werden Sie es<br />

aber lernen zu unterscheiden, ob <strong>das</strong> Baby wegen Hunger, vor Schmerzen oder aus Langeweile we<strong>in</strong>t.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d Sie zunächst auf die Phase des Ausprobierens angewiesen. Hilfreich dabei ist, sich <strong>in</strong> die<br />

Situation des K<strong>in</strong>des h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zufühlen. Überlegungen wie „Jetzt habe ich mit dem Baby schon lange gespielt.<br />

We<strong>in</strong>t es, weil es nun Hunger hat, oder ist es jetzt müde?“ helfen Ihnen dabei.<br />

Reagieren Sie passend auf k<strong>in</strong>dliche Bedürfnisäußerungen!<br />

Wenn Sie e<strong>in</strong> k<strong>in</strong>dliches Bedürfnis wahrnehmen, sollten Sie adäquat darauf reagieren. Sie sollten mit<br />

dem Baby spielen, wenn es sich langweilt und es füttern, wenn es Hunger hat. E<strong>in</strong> Baby nach e<strong>in</strong>em<br />

Zeitplan zu füttern, entspricht nicht se<strong>in</strong>en Bedürfnissen. Ebenso wenig macht es S<strong>in</strong>n, mit dem Baby<br />

zu spielen, wenn es großen Hunger hat.<br />

Möglichst sofort auf die Bedürfnisäußerung Ihres K<strong>in</strong>des reagieren!<br />

Babys können <strong>in</strong> den ersten Lebensmonaten nicht warten. Den gegenwärtigen Zustand der „Nichterfüllung<br />

e<strong>in</strong>es Bedürfnisses“ nimmt e<strong>in</strong> Baby als unveränderlich und ewig wahr. Da sich jedoch alle se<strong>in</strong>e<br />

Bedürfnisse lebensnotwendig anfühlen, verzweifelt es, wenn ke<strong>in</strong>e prompte Reaktion von der Bezugsperson<br />

kommt. Das Baby muss erst noch lernen, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> Bezug zwischen se<strong>in</strong>em Verhalten und Ihrer<br />

Antwort besteht. Nur durch schnelles Reagieren können Sie dem Baby <strong>das</strong> Gefühl vermitteln, <strong>das</strong>s es<br />

durch se<strong>in</strong> Verhalten <strong>in</strong> der Umgebung etwas bewirken kann.<br />

Stehen Sie mit Ihrem K<strong>in</strong>d auch emotional schwierige Situationen durch!<br />

K<strong>in</strong>der erleben häufig e<strong>in</strong>e Vielfalt unterschiedlicher Gefühle und Motivationslagen (Freude, Ärger,<br />

Schmerz, Traurigkeit, Furcht etc.). Sie können diese Emotionen zu Beg<strong>in</strong>n noch nicht selber verarbeiten<br />

und regulieren, sondern benötigen hierzu Sie als B<strong>in</strong>dungsperson. Bleiben Sie <strong>in</strong> solchen Situationen<br />

beim K<strong>in</strong>d und halten Sie mit ihm die belastende Situation geme<strong>in</strong>sam aus, bis die Situation „verdaut“<br />

ist und sich die Spannung gelegt hat. Das K<strong>in</strong>d lernt, <strong>das</strong>s es <strong>in</strong> jeder seelischen Verfassung angenommen<br />

wird und darauf vertrauen darf, <strong>das</strong>s die Situation e<strong>in</strong>en guten Ausgang nehmen wird.<br />

Versuchen Sie nach Möglichkeit Ihrem K<strong>in</strong>d gegenüber größer, stärker, klüger sowie liebenswürdig aufzutreten!<br />

Ihr K<strong>in</strong>d hat e<strong>in</strong> großes Bedürfnis, se<strong>in</strong>e Bezugspersonen(en) als beschützend, vertrauensspendend,<br />

unterstützend und weise zu erleben. Versuchen Sie nach Möglichkeit, diese Rolle für Ihr K<strong>in</strong>d zu übernehmen<br />

und ihm dies zu vermitteln. Zum Gel<strong>in</strong>gen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion tragen sowohl Sie als<br />

auch <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en Eigenheiten bei. Im Zweifelsfall haben Sie als Eltern aber immer mehr Möglichkeiten<br />

und Freiheitsgrade e<strong>in</strong>er Veränderung als <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d. Und denken Sie daran: Ihr K<strong>in</strong>d wird Sie<br />

immer lieben. Sie werden immer e<strong>in</strong>e der wichtigsten Bezugspersonen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben se<strong>in</strong>.<br />

75


76<br />

Achten Sie immer auf Ihre Selbstwahrnehmung!<br />

Das B<strong>in</strong>dungsverhalten des K<strong>in</strong>des löst bei allen Eltern <strong>in</strong>tensive Gefühle aus. Diese können unter<br />

Umständen auch schmerzhaft se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Warnsignal vor e<strong>in</strong>er „<strong>in</strong>neren Gefahr“ darstellen. Der<br />

Übergang zur Elternschaft und die direkte Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d (re-)aktivieren bei Eltern automatisch<br />

ihre eigenen K<strong>in</strong>dheitserfahrungen und die dazugehörigen Emotionen. Dies ist e<strong>in</strong> ganz normaler Vorgang.<br />

Je nach persönlicher Biografie können dabei sowohl sehr schöne und positive, aber eventuell auch<br />

negative schmerzhafte Er<strong>in</strong>nerungen und Gefühle ausgelöst werden. Wenn Sie negative emotionale<br />

Zustände abwehren müssen, weil sie sonst für Sie selbst zu schmerzhaft werden, entstehen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

„Kreise begrenzter Sicherheit“, etwa <strong>in</strong>dem der Wunsch des K<strong>in</strong>des nach Nähe oder Trost zurückgewiesen<br />

wird. K<strong>in</strong>der, die solche Erfahrungen machen, lernen, <strong>das</strong>s sie mit ihren Gefühlen alle<strong>in</strong>e bleiben<br />

müssen und signalisieren dies zukünftig auch nach außen („Ich brauche dich nicht“).<br />

Bleiben Sie deswegen aufmerksam gegenüber Ihren <strong>in</strong>neren Reaktionen auf die B<strong>in</strong>dungs- wie auch<br />

Explorationssignale Ihres K<strong>in</strong>des. Reagieren Sie nach Möglichkeit immer fe<strong>in</strong>fühlig auf k<strong>in</strong>dliche<br />

Bedürfnisse und achten Sie auf mögliche Fehl<strong>in</strong>terpretationen der k<strong>in</strong>dlichen Botschaften (z. B. <strong>in</strong>dem<br />

Sie nicht eigene Gefühlszustände <strong>in</strong> <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d „h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>legen“). Wenn Sie bei sich wahrnehmen, <strong>das</strong>s die<br />

Botschaften des K<strong>in</strong>des bei Ihnen nicht mehr zu bewältigende, schmerzhafte Gefühle auslösen und Sie<br />

<strong>in</strong>nerlich „zumachen“, lassen Sie sich professionell beraten, wie dieser für Sie und <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d ungünstige<br />

Kreislauf unterbrochen werden kann. Das ist weder e<strong>in</strong>e „Schande“ noch e<strong>in</strong> per se völlig ungewöhnli-<br />

cher Vorgang: Wir alle br<strong>in</strong>gen unsere eigene B<strong>in</strong>dungsbiografie <strong>in</strong> zwischenmenschliche Beziehungen<br />

mit e<strong>in</strong>, für die wir nichts können. Wichtig ist aber zu erkennen bzw. sich ehrlich e<strong>in</strong>zugestehen, <strong>das</strong>s<br />

man eventuell nicht verarbeitete Beziehungserfahrungen hat, welche den Kontakt zum eigenen K<strong>in</strong>d<br />

bee<strong>in</strong>trächtigen und bei ihm Unsicherheit auslösen können.<br />

B<strong>in</strong>dungs- wie auch Explorationssignale gehen immer vom K<strong>in</strong>d aus!<br />

Ihr K<strong>in</strong>d kommt mit dem Tag se<strong>in</strong>er Geburt als „kompetenter Interaktionspartner“ auf die Welt. Auch<br />

wenn Ihr K<strong>in</strong>d noch nicht sprechen kann, so hat es doch e<strong>in</strong>en Eigens<strong>in</strong>n und signalisiert unmissverständlich<br />

se<strong>in</strong>e Bedürfnisse: Nehmen Sie diese aufmerksam wahr und reagieren Sie e<strong>in</strong>fühlsam und<br />

zeitlich prompt darauf. Lassen Sie sich, wann immer möglich, von den Signalen Ihres K<strong>in</strong>des leiten, und<br />

übernehmen Sie, wann immer nötig, selbst die Führung.<br />

Vertrauen Sie Ihren „<strong>in</strong>tuitiven Fähigkeiten“!<br />

Vertrauen Sie Ihren eigenen <strong>in</strong>tuitiven Fähigkeiten. Sie haben als Eltern <strong>das</strong> beste Gespür dafür, was Ihr<br />

K<strong>in</strong>d wirklich braucht. Die Natur hat Mütter und Väter mit e<strong>in</strong>er (vermutlich angeborenen) Kompetenz<br />

zum Verständnis und zum angemessenen Umgang mit k<strong>in</strong>dlichen Botschaften ausgestattet. Mit der Zeit<br />

werden Sie immer besser herausf<strong>in</strong>den, wann Ihr K<strong>in</strong>d Nähe und wann es Freiraum braucht.


Es gibt ke<strong>in</strong>e Kompetenzunterschiede zwischen Müttern und Vätern!<br />

Mütter und Väter haben jeweils ihren ganz eigenen Stil im Umgang mit K<strong>in</strong>dern, der für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

förderlich ist, weil es dadurch verschiedene Lern- und Beziehungsangebote erfährt und somit ganz allgeme<strong>in</strong><br />

Differenz- und Kontrasterfahrungen macht. Dennoch gibt es zwischen Frauen und Männern<br />

erwiesenermaßen ke<strong>in</strong>e biologisch bed<strong>in</strong>gten Unterschiede <strong>in</strong> der Kompetenz für den fe<strong>in</strong>fühligen Umgang<br />

mit Babys und (Kle<strong>in</strong>-)K<strong>in</strong>dern. Da sich die B<strong>in</strong>dungsbeziehung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den ersten 12 bis 18 Monaten<br />

etabliert, sollten Mütter wie Väter <strong>in</strong> dieser <strong>früh</strong>en Entwicklungsphase viel Zeit mit ihrem Baby<br />

verbr<strong>in</strong>gen. Es ist e<strong>in</strong>e Investition <strong>in</strong> die Zukunft.<br />

Halten Sie viel Blickkontakt mir Ihrem K<strong>in</strong>d!<br />

Schauen Sie Ihrem K<strong>in</strong>d ab dem ersten Tag im kommunikativen Zusammenspiel <strong>in</strong> die Augen und<br />

bleiben Sie aufmerksam, wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d Ihren Blick sucht. Bereits mit sechs Wochen „liest“ <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d<br />

den Gesichtsausdruck der B<strong>in</strong>dungsperson und holt hierüber Informationen über se<strong>in</strong>e Umwelt e<strong>in</strong>.<br />

Häufiger Blickkontakt mit dem Säugl<strong>in</strong>g fördert, so konnten die Neurowissenschaften belegen, <strong>das</strong><br />

Nervenzellenwachstum im Gehirn des K<strong>in</strong>des. Später dient der regelmäßige Blickkontakt während<br />

der Explorationsphasen des K<strong>in</strong>des der persönlichen „Rückversicherung“: Ist diese Situation für mich<br />

gefährlich oder nicht? Traust du mir <strong>das</strong> zu? Habe ich de<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit, wenn ich etwas tue und<br />

erfreust du dich daran? K<strong>in</strong>der machen dies ganz automatisch und rechnen mit e<strong>in</strong>er „visuellen Antwort“<br />

des Elternteils. Achten Sie darauf, <strong>das</strong>s Sie dem K<strong>in</strong>d mit Ihrer Mimik, Gestik und Stimmlage e<strong>in</strong>deutige<br />

Botschaften rückmelden <strong>–</strong> auch dann, wenn es Sie noch nicht verstehen kann. Ihr K<strong>in</strong>d merkt sofort,<br />

wenn Sie <strong>in</strong>nerlich etwas beunruhigt oder aber erfreut, selbst wenn Sie nichts sagen oder <strong>das</strong> Gefühlte<br />

mit dem Gesagten überspielen wollen. Achten Sie dabei auch auf Ihre Selbstwahrnehmung: Was<br />

lösen die Aktionen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> mir für Gefühle und Verhaltensreaktionen aus? Machen mir die Ablösungsbestrebungen<br />

und Erkundungstouren des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er näheren Umwelt Angst und lösen<br />

sie Unbehagen und Impulse zum „Gegensteuern“ aus? Oder kann ich mich an den Explorationen des<br />

K<strong>in</strong>des lustvoll erfreuen und se<strong>in</strong>e Abenteuerlust gewähren lassen, ohne dabei selbst von übermäßig viel<br />

Befürchtungen vor möglichen Gefahren <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Wahrnehmung geleitet zu werden?<br />

11.2 Für die ersten Wochen und Monate<br />

Sprechen Sie laut über Gefühle!<br />

Sprechen Sie von den ersten Tagen an über Gefühle <strong>–</strong> sowohl über die eigenen als auch die des K<strong>in</strong>des.<br />

Das K<strong>in</strong>d lernt dadurch emotionale Zustände zu benennen und erlebt, <strong>das</strong>s diese mit anderen geteilt<br />

werden können. Mit fortschreitender Entwicklung des K<strong>in</strong>des und se<strong>in</strong>er Fähigkeit, Emotionen <strong>in</strong> Worte<br />

zu fassen („zu reflektieren“), verr<strong>in</strong>gert sich so se<strong>in</strong> Bedürfnis, se<strong>in</strong>e emotionalen Zustände auszuagieren.<br />

77


78<br />

Sie können Ihr K<strong>in</strong>d mit zuviel Liebe nicht verwöhnen!<br />

Spenden Sie Ihrem K<strong>in</strong>d <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbesondere im ersten Lebensjahr <strong>–</strong> soviel körperliche Nähe, Zärtlichkeit<br />

und Aufmerksamkeit wie nur möglich. Sie können Ihr K<strong>in</strong>d mit „zuviel“ Nähe nicht verwöhnen oder<br />

gar „abhängig“ machen. Je mehr Nähe, Schutz und Geborgenheit es bei Ihnen erfährt, umso sicherer<br />

wird es sich auf dieser Welt fühlen. E<strong>in</strong> zeitliches Herauszögern der Reaktion (z. B. aufgrund der<br />

Befürchtung, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d zu „verwöhnen“) frustriert Ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en Zeit unnötig,<br />

weil se<strong>in</strong>e Gedächtnisentwicklung noch ke<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen se<strong>in</strong>er Botschaft und Ihrer<br />

zeitlich verspäteten Reaktion herstellen kann. Zudem überfordert es se<strong>in</strong>e Fähigkeiten zur Selbstregulation.<br />

Achten Sie dabei auch auf Ihre Selbstwahrnehmung: Braucht <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d gerade me<strong>in</strong>e Nähe? Signalisiert<br />

es mir <strong>das</strong>, oder fühle ich mich selbst womöglich gerade e<strong>in</strong>sam und „verschiebe“ dieses Bedürfnis auf<br />

me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d?<br />

Haben Sie von Anfang an viel Körperkontakt mit ihrem Baby!<br />

Der Hauts<strong>in</strong>n des Babys reagiert bereits unmittelbar nach der Geburt sensibel auf Umwelte<strong>in</strong>flüsse wie<br />

Wärme und Kälte, <strong>in</strong>sbesondere aber auf Berührungen aller Art. Der Säugl<strong>in</strong>g liebt es, gestreichelt<br />

zu werden, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Phasen, <strong>in</strong> denen er entspannt und aufmerksam ist. Durch Haut- und<br />

Körperkontakt zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d, durch passives Fühlen und aktives Berühren bilden sich enge<br />

emotionale Beziehungen aus. Auch tägliche Pflegehandlungen (z. B. Wickeln, Baden) werden durch<br />

fe<strong>in</strong>fühlige Abstimmungen mit dem K<strong>in</strong>d und e<strong>in</strong>en liebevollen Körperkontakt getragen.<br />

Sorgen Sie für e<strong>in</strong>en regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus!<br />

Als zentrale Bezugsperson spielen Sie als Mutter oder Vater <strong>in</strong> den ersten Lebenstagen und -wochen<br />

e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle bei der E<strong>in</strong>übung von Wach- und Ruhezyklen. Neugeborene haben noch ke<strong>in</strong>en<br />

eigenen Tag-Nacht-Rhythmus und s<strong>in</strong>d beim Aufbau zyklischer Phasen von Schlafen und Wachse<strong>in</strong> auf<br />

Ihre Hilfe angewiesen.<br />

Säugl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d auch „Tragl<strong>in</strong>ge“!<br />

Säugl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d von ihrer genetischen Ausstattung her auch Tragl<strong>in</strong>ge. Sie von kle<strong>in</strong> auf regelmäßig und<br />

auch für längere Zeit am Körper zu tragen, regt sie ganzheitlich und auf vielfältige Weise an und fördert<br />

die Integration ihrer S<strong>in</strong>ne, d. h. die Strukturierung, Ordnung und Verb<strong>in</strong>dung der von ihnen über die<br />

verschiedenen S<strong>in</strong>neskanäle wahrgenommenen Reize. Gerade die ganzheitliche Form der Anregung<br />

trägt dazu bei, <strong>das</strong>s sich die S<strong>in</strong>nesorgane und die entsprechenden Gehirnareale optimal entwickeln.<br />

Lassen Sie Ihr K<strong>in</strong>d im ersten Lebensjahr nicht alle<strong>in</strong>e!<br />

Achten Sie im ersten Lebensjahr darauf, <strong>das</strong>s Ihr Baby immer e<strong>in</strong>e Bezugsperson erreichen kann. Lassen<br />

Sie Ihr K<strong>in</strong>d nicht alle<strong>in</strong>. Es würde nicht verstehen, was <strong>das</strong> bedeutet.


11.3 Wenn <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langsam selbstständiger wird<br />

Unterstützen Sie die Verselbständigungsbestrebungen des K<strong>in</strong>des!<br />

Fängt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d langsam an, se<strong>in</strong>e Umgebung zu erkundschaften, beobachten Sie aufmerksam und<br />

wohlwollend se<strong>in</strong>e Neugier und bestätigen Sie se<strong>in</strong>e Interessensbekundungen mit Freude. Bleiben Sie<br />

<strong>in</strong> der Nähe des K<strong>in</strong>des und halten Sie Blickkontakt mit ihm. Wo nötig helfen Sie dem K<strong>in</strong>d soweit,<br />

<strong>das</strong>s es se<strong>in</strong>e Explorationen selbstständig fortsetzen kann. Kehrt <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d nach se<strong>in</strong>er Erkundungstour<br />

zu Ihnen zurück, freuen Sie sich über se<strong>in</strong>e Rückkehr und nehmen Sie Ihr K<strong>in</strong>d, ganz egal <strong>in</strong> welchem<br />

emotionalen Zustand es sich gerade bef<strong>in</strong>det, herzlich auf. Ihr K<strong>in</strong>d braucht Sie, weil es vieles von dem,<br />

was es erlebt hat und gerade fühlt (Aufregung, Freude, Müdigkeit, Ärger etc.) noch nicht selbst verarbeiten<br />

kann, sondern dies geme<strong>in</strong>sam mit Ihnen tun will. Achten Sie auch auf Ihre Selbstwahrnehmung: Wenn<br />

sich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d von Ihnen zu lösen und fortzubewegen beg<strong>in</strong>nt, was löst <strong>das</strong> <strong>in</strong> Ihnen für Gefühle aus?<br />

Freue ich mich über die Verselbstständigung des K<strong>in</strong>des oder löst <strong>das</strong> <strong>in</strong> mir eigene Verlassenheitsängste<br />

aus? Wie reagiere ich <strong>in</strong>nerlich und <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Verhalten darauf ? Kann ich <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Verselbstständigung<br />

bestätigen oder b<strong>in</strong> ich ihm nach se<strong>in</strong>er Erkundungstour gar „böse“?<br />

Nehmen Sie <strong>das</strong> „Fremdeln“ Ihres K<strong>in</strong>des ernst!<br />

Wenn Ihr K<strong>in</strong>d zu fremdeln beg<strong>in</strong>nt, nehmen Sie se<strong>in</strong>e Gefühle ernst. Hier lernt Ihr K<strong>in</strong>d zum ersten<br />

Mal sich selber zu schützen und e<strong>in</strong>en ihm angenehmen Abstand zu fremden Personen zu bewahren.<br />

Das ist e<strong>in</strong> guter Schutz für die Zukunft.<br />

Führen Sie Ihr K<strong>in</strong>d an die „fremde Umwelt“ heran!<br />

Zeigen Sie Ihrem K<strong>in</strong>d, wie es sich mit fremden, ihm unbekannten Personen langsam vertraut machen<br />

kann. Geben Sie ihm Schutz, solange es sich fürchtet, erklären Sie ihm, wer die unbekannte Person ist.<br />

Wenn Ihr Baby sich sicher genug fühlt, wird es auf se<strong>in</strong>e Art beg<strong>in</strong>nen, mit dem oder der „schönen<br />

Unbekannten“ zu flirten.<br />

11.4 Zum Schutz vor persönlicher Überforderung<br />

Fehler passieren <strong>–</strong> Sie müssen als B<strong>in</strong>dungsperson nur „h<strong>in</strong>reichend gut“ se<strong>in</strong>!<br />

Schützen Sie sich vor eigenen überhöhten Ansprüchen: Sie können Ihre Rolle als B<strong>in</strong>dungsperson<br />

niemals perfekt ausüben. Jeder Elternteil darf Fehler machen, weil es normal ist und zum Lernprozess<br />

dazugehört. Der englische K<strong>in</strong>derpsychoanalytiker Donald W<strong>in</strong>nicott prägte deswegen hierfür den<br />

Begriff der „h<strong>in</strong>reichend guten Mutter“, der auch für den Vater gilt. Kle<strong>in</strong>ere „Entgleisungen“ bzw.<br />

kommunikative Missverständnisse <strong>in</strong> alltäglichen Interaktionsabläufen s<strong>in</strong>d normal und können wieder<br />

„repariert“ werden, wenn Sie weiterh<strong>in</strong> auf die Signale Ihres K<strong>in</strong>des fe<strong>in</strong>fühlig achten.<br />

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80<br />

Sogar Im Gegenteil: Es kommt nicht auf e<strong>in</strong>e dauerhaft perfekte Abstimmung zwischen Ihnen und Ihrem<br />

K<strong>in</strong>d an. E<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>fühlig „reparierter Dialog“ kann für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d manchmal sogar förderlicher se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> Fehler bei se<strong>in</strong>en Eltern erlebt und mitbekommt, wie diese anschließend wieder aus der Welt<br />

geschaffen werden, wird sich sicherer gebunden fühlen als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> lernt, <strong>das</strong>s man perfekt zu funk-<br />

tionieren hat und Fehler nicht passieren dürfen.<br />

Achten Sie auch auf Ihre eigenen Grenzen!<br />

Achten Sie auch auf die Grenzen Ihrer eigenen Möglichkeiten (ganz im S<strong>in</strong>ne von „Selbst-Achtsamkeit“).<br />

Wenn Sie so erschöpft s<strong>in</strong>d, <strong>das</strong>s Sie auf die Bedürfnisse Ihres K<strong>in</strong>des nicht mehr ausreichend e<strong>in</strong>gehen<br />

und reagieren können, ist niemandem geholfen. Suchen Sie sich soziale Unterstützungsmöglichkeiten<br />

(z. B. Partner/<strong>in</strong>, Großeltern, Freunde) für die Pflege regelmäßiger Auszeiten <strong>–</strong> sowohl für die Zeit alle<strong>in</strong>e<br />

als auch für die Zeit als Paar ohne K<strong>in</strong>d. Die beste Investition für e<strong>in</strong>e gute Elternschaft und sichere<br />

Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung ist e<strong>in</strong>e funktionierende Partnerschaft.


12B<strong>in</strong>dungstheoretisch<br />

fundierte<br />

Interventionsansätze im Bereich der Prävention<br />

Angesichts der positiven Folgen e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung für die kurz-, mittel- und langfristige<br />

Persönlichkeitsentwicklung des K<strong>in</strong>des und des Wissens um die „Anfälligkeit“ bzw. Störbarkeit der die<br />

B<strong>in</strong>dungssicherheit fördernden <strong>früh</strong>en Interaktionsprozesse zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d, sollten Eltern<br />

<strong>früh</strong> und präventiv für die E<strong>in</strong>flussprozesse für die k<strong>in</strong>dliche B<strong>in</strong>dungsentwicklung sensibilisiert werden.<br />

Gegenwärtige Interventionsansätze zur (präventiven) Beratung und Therapie von Eltern mit Säugl<strong>in</strong>gen<br />

und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d heute größtenteils b<strong>in</strong>dungstheoretisch begründet und beziehungsorientiert ausgerichtet<br />

(Ziegenha<strong>in</strong> 2004). Die Trennschärfe zwischen Prävention und Intervention für (werdende)<br />

Eltern ist im Bereich der <strong>früh</strong>en Hilfen nicht immer so e<strong>in</strong>deutig, wie es die begriffliche Unterscheidung<br />

mitunter glauben machen will, denn Säugl<strong>in</strong>gsberatung und Eltern-Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d-Psychotherapie s<strong>in</strong>d immer<br />

auch präventiv angelegt. Prävention und Intervention s<strong>in</strong>d im Bereich der <strong>früh</strong>en Hilfen mite<strong>in</strong>ander<br />

verschränkt (Suess et al. 2008).<br />

Die Wurzeln präventiver Ansätze liegen <strong>in</strong> den US-amerikanischen „Head Start Programmen“. Diese<br />

Programme verfolg(t)en <strong>das</strong> Ziel, armutsbed<strong>in</strong>gte mangelnde (Entwicklungs-)Chancen für K<strong>in</strong>der und<br />

ihre Familien auszugleichen. Auf Grundlage b<strong>in</strong>dungstheoretischer Konzepte und Erkenntnissen der<br />

Resilienzforschung fokussierte man hier <strong>in</strong>sbesondere auf die <strong>früh</strong>en Beziehungserfahrungen des K<strong>in</strong>des<br />

bzw. die Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionsprozesse, um die Persönlichkeitsentwicklung der K<strong>in</strong>der zu <strong>stärken</strong>. In<br />

bee<strong>in</strong>druckender Weise konnte dabei im Rahmen der sogenannten „M<strong>in</strong>nesota-Studie“ (M<strong>in</strong>nesota<br />

Parent-Child Project) nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s strukturelle Defizite (z. B. Armut) über prozessuale<br />

Dimensionen (z. B. fe<strong>in</strong>fühlige Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen, e<strong>in</strong>e stabile Partnerschaft der Eltern, e<strong>in</strong> gut<br />

funktionierendes soziales Netzwerk) im besten Falle kompensiert werden können. Die Ergebnisse lassen<br />

sogar den Schluss zu, <strong>das</strong>s die Beziehungs- und Interaktionsprozesse im familiären Umfeld mehr Rele-<br />

vanz für die Entwicklung des K<strong>in</strong>des haben als strukturelle Faktoren.<br />

Das im Jahr 1975 begonnene und bis heute fortgeführte M<strong>in</strong>nesota Parent-Child Project stellt die wohl<br />

aufwendigste prospektive Längsschnittstudie mit b<strong>in</strong>dungstheoretischem Schwerpunkt dar. E<strong>in</strong>e kon-<br />

sequente Umsetzung der Erkenntnisse dieses Projektes erfolgte 1987 <strong>in</strong> dem von Martha Erickson und<br />

Byron Egeland <strong>in</strong>itiierten Interventionsprogramm STEEP (Kißgen & Suess 2005a, b).<br />

Lesetipp:<br />

• Für Praktiker/<strong>in</strong>nen wie Wissenschaftler/<strong>in</strong>nen gleichermaßen lesenswerte Ausführungen zu theoretischem<br />

Rahmen, empirischen Daten und behandlungstechnischen Implikationen aus den Längsschnitt-Befunden<br />

des M<strong>in</strong>nesota Parent-Child Projects f<strong>in</strong>den sich bei: Sroufe, A.L., Egeland, B., Carlson, E.A. & Coll<strong>in</strong>s,<br />

A.W. (2005). The Development of the Person. New York/London: The Guilford Press.<br />

81


82<br />

Die ersten Lebensjahre e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des erweisen sich als besonders sensitiv gegenüber Umwelte<strong>in</strong>flüs-<br />

sen, und <strong>in</strong>folge der alltäglichen Eltern-K<strong>in</strong>d-Transaktionen kommt es beim K<strong>in</strong>d zur allmählichen<br />

Ausbildung <strong>in</strong>nerer Strukturen, welche mit zunehmendem Alter des K<strong>in</strong>des aber änderungsresistenter<br />

werden. Das bedeutet, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d mit fortschreitender Entwicklung immer mehr die aktive Rolle <strong>in</strong><br />

der Gestaltung se<strong>in</strong>er Entwicklung übernimmt und <strong>–</strong> auf Basis se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren B<strong>in</strong>dungsmodelle <strong>–</strong> se<strong>in</strong>e<br />

gegenwärtige (soziale) Umwelt mitkonstruiert und e<strong>in</strong>e hoch<strong>in</strong>dividuelle Anpassungsleistung vornimmt.<br />

Die Anpassungsleistung muss deswegen nicht immer zwangsläufig mit der Güte des aktuellen Bezie-<br />

hungsangebotes korrespondieren. Anpassung ist e<strong>in</strong> Produkt von Geschichte und gegenwärtigen Um-<br />

ständen. „Innere Arbeitsmodelle tragen zur Vorhersage künftiger Anpassung bei, <strong>in</strong>dem sie die aktive<br />

Rolle e<strong>in</strong>er Person im Prozess der Konstruktion von Entwicklung darstellen“ (Suess & Sroufe 2008).<br />

Individuelle Erfahrung, Repräsentation und fortlaufende Anpassung bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em permanenten<br />

Wechselspiel <strong>–</strong> e<strong>in</strong> Prozess, <strong>in</strong> dem sich Person und Umwelt gegenseitig transformieren: So können <strong>früh</strong>ere<br />

Anpassungsmuster durch grundlegende Änderungen der Umwelt transformiert werden, und gleichzeitig<br />

haben Umgebungseigenschaften e<strong>in</strong>e unterschiedliche Bedeutung für unterschiedliche Personen.<br />

(Sroufe et al. 2005, zit. n. Suess & Sroufe 2008)<br />

„Früh<strong>in</strong>terventionen“ müssen nicht automatisch leichter, schneller und billiger se<strong>in</strong>. Zwar erleichtert<br />

die Umweltsensitivität des Säugl<strong>in</strong>gs auf der e<strong>in</strong>en Seite den möglichen Interventionserfolg, dennoch<br />

wirken neben den bereits angesprochenen „homeorhetischen“ Kräften des K<strong>in</strong>des mit zunehmendem<br />

Alter systemerhaltende Kräfte aufseiten der Eltern bzw. B<strong>in</strong>dungspersonen selbst häufig gegen e<strong>in</strong>e<br />

Veränderung des Status quo. Aus diesem Grund ersche<strong>in</strong>t es s<strong>in</strong>nvoll, neben der ummittelbaren Eltern-<br />

K<strong>in</strong>d-Interaktion ebenso die elterlichen B<strong>in</strong>dungsmodelle sowie die gesamte Familiendynamik (<strong>in</strong>kl. der<br />

Partnerschaftsqualität als sehr bedeutsamem E<strong>in</strong>flussfaktor) im E<strong>in</strong>zelfall immer mit zu berücksichtigen<br />

(Suess & Hantel-Quitmann 2004).<br />

Die Resultate der M<strong>in</strong>nesota-Studie unterstreichen die Bedeutung komplexer Interventionen, welche<br />

zum e<strong>in</strong>en gleichzeitig und prozessorientiert vergangene und gegenwärtige <strong>in</strong>dividuelle Erfahrungen<br />

und Beziehungsthemen <strong>in</strong>klusive der entsprechenden kognitiv-emotionalen Zuschreibungen, Bewer-<br />

tungen, Erwartungen etc. aufgreifen, zum anderen die Partnerschaftsqualität sowie <strong>das</strong> weitere Feld der<br />

sozialen Unterstützung mit e<strong>in</strong>beziehen.


Handlungsempfehlungen für e<strong>in</strong>e b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Früh<strong>in</strong>tervention<br />

• Beg<strong>in</strong>nen Sie mit der Intervention <strong>früh</strong> und unterstützen Sie die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung von Anfang an.<br />

• Dies erfordert e<strong>in</strong> komplexes Vorgehen, welches vergangene und gegenwärtige Erfahrungen/Beziehungsthemen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transaktionalen Weise adressiert.<br />

• Berücksichtigen Sie dabei immer auch den weiteren familiär-sozialen Kontext (Partnerschaftsqualität,<br />

B<strong>in</strong>dungsgeschichte der Eltern, soziale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung) und strukturelle Faktoren (Beratungs- und Betreuungse<strong>in</strong>richtungen<br />

etc.).<br />

• Richten Sie die Intervention auf e<strong>in</strong>e Veränderung der Konstruktion von Entwicklung des K<strong>in</strong>des selbst aus.<br />

(nach: Suess & Sroufe 2008)<br />

Insbesondere im Bereich der (<strong>früh</strong>en) Beratung und Therapie von Eltern mit Säugl<strong>in</strong>gen/Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern<br />

s<strong>in</strong>d sehr erfolgreiche Beispiele für die Umsetzung b<strong>in</strong>dungstheoretischer Annahmen und Befunde <strong>in</strong><br />

die kl<strong>in</strong>ische Praxis vorzuf<strong>in</strong>den. B<strong>in</strong>dungstheoretisches Gedankengut hat darüber h<strong>in</strong>aus auch <strong>in</strong><br />

Behandlungskonzepte der Familientherapie sowie der Familien- und Erziehungsberatung E<strong>in</strong>gang<br />

gefunden (Marv<strong>in</strong> 2001; Scheuerer-Englisch 2001), wenngleich noch nicht <strong>in</strong> dem pr<strong>in</strong>zipiell möglichen<br />

und erwünschten Ausmaß. Dies hat zum Teil historische Gründe: So konzentrierte sich die kl<strong>in</strong>ische<br />

B<strong>in</strong>dungsforschung <strong>in</strong> ihren Anfängen lange Zeit nur auf mehr oder weniger abgeschlossene „dyadische<br />

Systeme“ (wie die Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung) und vernachlässigte (ungewollt) triadische Beziehungs-<br />

konstellationen sowie weitergehende, systemische E<strong>in</strong>flussfaktoren. Dies stand allerd<strong>in</strong>gs dem ursprüng-<br />

lichen, genu<strong>in</strong> systemtheoretischen Ansatz von John Bowlby´s B<strong>in</strong>dungstheorie diametral entgegen.<br />

Seit Ende der 1980er-Jahre und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den letzten Jahren s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>ternational verstärkte Bemü-<br />

hungen zu erkennen, b<strong>in</strong>dungstheoretische Konzepte <strong>in</strong> praxisrelevante und evaluierbare Präventions-,<br />

Beratungs- und Therapieprogramme zu <strong>in</strong>tegrieren (Berl<strong>in</strong> et al. 2008). Der B<strong>in</strong>dungsforscher und Therapeut<br />

Karl-He<strong>in</strong>z Brisch plädiert sogar dafür, b<strong>in</strong>dungstheoretisches Grundlagenwissen für Eltern sowie alle<br />

Professionen, die mit Eltern und K<strong>in</strong>dern zusammenarbeiten, <strong>in</strong> breiter Front zugänglich zu machen.<br />

Nicht verbunden mit der Absicht, e<strong>in</strong>e völlig neue „B<strong>in</strong>dungstherapie“ <strong>in</strong>s Leben zu rufen, sondern als<br />

Ergänzung vorhandenen Fach- und Behandlungswissens und zur Sensibilisierung von Fachkräften für die<br />

B<strong>in</strong>dungsmotivation des K<strong>in</strong>des (Brisch 2000). Die B<strong>in</strong>dungstheorie ist dabei als e<strong>in</strong>e offene Theorie zu<br />

verstehen, die die kl<strong>in</strong>ische Praxis <strong>in</strong>formiert und <strong>in</strong>tegrativ wirken kann (Suess & Hantel-Quitmann 2004)<br />

So können pr<strong>in</strong>zipiell bestimmte kl<strong>in</strong>ische Störungsbilder von K<strong>in</strong>dern eben auch auf misslungene<br />

B<strong>in</strong>dungsentwicklungen zurückgeführt werden. Die B<strong>in</strong>dungsentwicklung beschränkt sich dabei nicht<br />

nur auf <strong>das</strong> erste Lebensjahr des K<strong>in</strong>des, sondern B<strong>in</strong>dung und Exploration und die damit verbundene<br />

Trennung und Loslösung als Spannungspole e<strong>in</strong>er Entwicklungsdynamik ziehen sich wie e<strong>in</strong> roter Faden<br />

durch <strong>das</strong> gesamte Leben (Brisch 2000).<br />

83


84<br />

12.1 Interventionsebenen b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Maßnahmen<br />

B<strong>in</strong>dungstheoretisch begründete Interventionsmaßnahmen setzen auf der Verhaltensebene und/oder<br />

auf der Ebene mentaler B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen bzw. an den Netzwerken sozialer Unterstützung an.<br />

Interventionsziele s<strong>in</strong>d also zum e<strong>in</strong>en <strong>das</strong> fe<strong>in</strong>fühlige elterliche Verhalten, die konkrete Verhaltensebene,<br />

zum anderen die Ebene der Reflexion und E<strong>in</strong>sicht der Eltern, um ihr mentales B<strong>in</strong>dungsmodell durch<br />

b<strong>in</strong>dungsorientierte Gespräche zu bee<strong>in</strong>flussen, sowie darüber h<strong>in</strong>aus <strong>das</strong> (soziale) Unterstützungssystem<br />

im H<strong>in</strong>tergrund. Wenngleich es sehr wohl Unterschiede bezüglich der Interventionsebenen gibt <strong>–</strong> so setzen<br />

psychoanalytisch fundierte Maßnahmen traditionell den Schwerpunkt auf die Repräsentationsebene,<br />

während verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Programme vorwiegend auf der Verhaltensebene und/<br />

oder im Sozialraum der Eltern ansetzen <strong>–</strong>, plädieren Egeland und Mitarbeiter sowie Stern dafür, auf<br />

allen drei Ebenen gleichzeitig zu <strong>in</strong>tervenieren, um beharrenden Kräften besser entgegenwirken zu<br />

können. Dabei können Veränderungen auf e<strong>in</strong>er Ebene Veränderungen auf e<strong>in</strong>er anderen bewirken<br />

(Egeland et al. 2000; Stern 1998, zit. n. Suess & Hantel-Quitmann 2004).<br />

Interventionsebenen b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Frühpräventionsprogramme<br />

• Verhaltensebene (Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion)<br />

• Ebene der mentalen B<strong>in</strong>dungsrepräsentation („Inner work<strong>in</strong>g model“)<br />

• Netzwerk sozialer Unterstützung (Freundeskreis, K<strong>in</strong>derbetreuung etc.)<br />

Als Leitl<strong>in</strong>ien für die Umsetzung präventiver Intervention werden von Ziegenha<strong>in</strong> (2004) e<strong>in</strong> ressourcen-<br />

orientiertes und theoriegeleitetes Vorgehen sowie e<strong>in</strong>e durchzuführende Evaluation angeführt. In<br />

zusammenfassenden Analysen vorliegender Frühförderprogramme (vorwiegend aus den USA) h<strong>in</strong>g<br />

<strong>–</strong> neben spezifischen Interventionszielen <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e klare theoretische Konzeption am ehesten mit positiven<br />

und länger nachweisbaren Erfolgen zusammen (Ziegenha<strong>in</strong> 2004).<br />

Van den Boom konnte bereits <strong>in</strong> den 1990er-Jahren nachweisen, <strong>das</strong>s fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten von Müttern<br />

mit hoch irritierbaren Säugl<strong>in</strong>gen sogar im Rahmen e<strong>in</strong>er Kurzzeit<strong>in</strong>tervention <strong>in</strong> deren häuslichen<br />

Umgebung erfolgreich auf der Verhaltensebene bee<strong>in</strong>flusst werden kann und langfristig stabil ist (van<br />

den Boom 1994, 1995).


Meta-Analysen zu b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierten Interventionsprogrammen<br />

Aus e<strong>in</strong>er jüngeren Metaanalyse, <strong>in</strong> der 70 b<strong>in</strong>dungsorientierte Interventionsprogramme für die <strong>früh</strong>e K<strong>in</strong>dheit<br />

ausgewertet wurden, ließ sich ableiten, welche spezifischen Typen von Interventionen elterliche Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />

(und damit <strong>in</strong>direkt die B<strong>in</strong>dungssicherheit beim K<strong>in</strong>d) am besten fördern. Danach waren die weniger<br />

breit und spezifisch auf die Verbesserung mütterlichen Verhaltens ausgerichteten Interventionsprogramme<br />

am wirksamsten. Interessanterweise zeigten sich die verhaltensorientierten Programme den repräsentationsorientierten<br />

Programmen überlegen. Komplexe Interventionsprogramme, wie sie beispielsweise von<br />

Stern und Egeland gefordert werden, zeigten <strong>in</strong> dieser Meta-Analyse ke<strong>in</strong>en Vorteil gegenüber ausschließlich<br />

auf der Verhaltensebene operierenden Programmen <strong>–</strong> unabhängig vom Schweregrad der Risiken und<br />

Probleme. Dieser Studie zufolge s<strong>in</strong>d auch die zeitlich begrenzten Interventionen effektiver als die Langzeit<strong>in</strong>terventionen<br />

(Bakermans-Kranenburg et al. 2003).<br />

Diese Evaluationsbefunde dürfen jedoch nicht dah<strong>in</strong>gehend <strong>in</strong>terpretiert werden, <strong>das</strong>s längerfristige und<br />

umfassendere Therapieaßnahmen <strong>in</strong> jedem Fall durch zeitlich begrenzte und/oder ausschließlich verhaltensorientierte<br />

Maßnahmen zu ersetzen s<strong>in</strong>d: Gerade bei hochgradig belasteten Müttern und Familien können<br />

strukturelle Maßnahmen (z. B. K<strong>in</strong>derbetreuung oder f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung) bzw. gezielte Angebote (z. B.<br />

Konfliktberatung) überhaupt erst Voraussetzung dafür se<strong>in</strong>, sich e<strong>in</strong>em beziehungs- und verhaltensorientierten<br />

Therapieangebot zu öffnen, welches auch längere Zeit <strong>in</strong> Anspruch nehmen kann und die psychotherapeutische<br />

Arbeit an den persönlichen B<strong>in</strong>dungserfahrungen von Mutter (und Vater) mit umfasst<br />

(Ziegenha<strong>in</strong> 2004).<br />

Die kl<strong>in</strong>ische Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s gerade <strong>in</strong> der Arbeit mit „Multi-Problem-Familien“ zwar nicht immer e<strong>in</strong>e<br />

Zunahme an B<strong>in</strong>dungssicherheit erreicht werden kann, wohl aber e<strong>in</strong>e Veränderung von B<strong>in</strong>dungsdesorganisation<br />

h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er organisierten B<strong>in</strong>dungsqualität bzw. B<strong>in</strong>dungsrepräsentation, die auch unsicher<br />

se<strong>in</strong> kann (Marv<strong>in</strong> et al. 2003, zit. n. Suess & Hantel-Quitmann 2004).<br />

Ob kürzere Interventionsprogramme mit ausschließlichem Fokus auf die Verhaltensebene <strong>das</strong> angestrebte<br />

Interventionsziel (Verbesserung der B<strong>in</strong>dungssicherheit) genauso gut oder sogar besser erreichen können,<br />

müssen zukünftige Meta-Analysen zeigen, die auch die B<strong>in</strong>dungsdesorganisation mit e<strong>in</strong>beziehen (Suess<br />

& Hantel-Quitmann 2004).<br />

12.2 Methoden b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Frühförderprogramme<br />

Die videogestützte Verhaltensanalyse erfolgreicher und dysfunktionaler Interaktionen zwischen B<strong>in</strong>dungsperson<br />

und K<strong>in</strong>d hat sich als e<strong>in</strong>e wirkungsvolle Methode erwiesen, die elterliche Fe<strong>in</strong>fühligkeit<br />

im konkreten Umgang mit dem K<strong>in</strong>d auf der Verhaltensebene zu fördern. Die Inhalte solcher Videoaufnahmen<br />

s<strong>in</strong>d alltägliche Ausschnitte oder Themen geme<strong>in</strong>samer Interaktionen, wie sie etwa beim<br />

85


86<br />

Wickeln oder Spiel, beim Füttern, bei Konflikten und beim Grenzen-Setzen oder bei kurzen<br />

Trennungen stattf<strong>in</strong>den. Unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für solche Videoanalysen ist e<strong>in</strong>e bereits<br />

etablierte vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient/<strong>in</strong> und Berater/<strong>in</strong> sowie die vorherige E<strong>in</strong>holung<br />

des E<strong>in</strong>verständnisses.<br />

Der Videoe<strong>in</strong>satz hilft zunächst, den Fokus der Intervention auf der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion zu halten<br />

(„See<strong>in</strong>g is believ<strong>in</strong>g“), dabei wesentliche Momente im Interaktionsablauf für sich zu entdecken (z. B.<br />

e<strong>in</strong>deutige B<strong>in</strong>dungssignale oder Kompetenzen des K<strong>in</strong>des) und so <strong>in</strong>direkt zu e<strong>in</strong>em Perspektiven-<br />

wechsel anzuregen. Diese Videosequenzen anzusehen eröffnet Eltern die Chance zu beobachten, ohne<br />

handeln zu müssen. Dieses Vorgehen ermöglicht Analyse, Reflexion und die Entwicklung von Ideen,<br />

wie man reagieren kann (Crittenden 2005). Der Berater stellt offene Fragen, die zur Selbstentdeckung<br />

anregen und zu e<strong>in</strong>em tieferen Verständnis der Beziehung zum K<strong>in</strong>d führen. Er konzentriert sich auf<br />

die Signale des Babys und regt die Eltern dadurch an, nicht nur genauer h<strong>in</strong>zusehen und aufmerksamer<br />

gegenüber den k<strong>in</strong>dlichen Signalen zu werden, sondern auch ihren Umgang mit dem K<strong>in</strong>d kritisch zu<br />

reflektieren (Suess et al. 2008).<br />

Ingesamt sollte <strong>das</strong> Vorgehen stets ressourcenorientiert se<strong>in</strong>, d. h. der Therapeut betont zunächst Stärken<br />

und Positives, was die Eltern erst dazu befähigt und öffnet, auch auf „Negatives“ bzw. dysfunktionale<br />

Interaktionsabläufe zu achten und diese anzusprechen. Die Beobachtung anderer Mütter/Väter mit<br />

ihrem Säugl<strong>in</strong>g kann die Handlungsmöglichkeiten der Eltern erweitern und gibt ihnen die Möglichkeit,<br />

Beobachtungskompetenzen an Beispielen zu entwickeln, die sie nicht selbst betreffen.<br />

Das Video<strong>in</strong>teraktionstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g erweist sich auch deswegen als hoch effektive Interventionsstrategie, weil<br />

<strong>das</strong> Betrachten von Videosequenzen von sich selbst und dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> direkter Weise eigene <strong>früh</strong>e Inter-<br />

aktionserfahrungen und damit verbundene Gefühle körpernah anspricht und damit verändern kann.<br />

Die Anwendung dieser Technik erfordert allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> profundes Beobachtertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, um mögliche<br />

Fehlerquellen <strong>–</strong> z. B. fehlende Bebachtungs- und Interpretationsfähigkeiten, die mangelnde Strukturierung<br />

des Video-Geschehens durch offene Fragen und <strong>das</strong> Aussuchen geeigneter Sequenzen, <strong>das</strong> vorschnelle<br />

Verlassen der Beobachtungsebene h<strong>in</strong> zur Interpretation des Gesehenen <strong>–</strong> zu .vermeiden (a. a. O.).<br />

E<strong>in</strong> weiterer Fokus b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Interventionen liegt <strong>in</strong>sbesondere darauf, Müttern<br />

und Vätern zu verdeutlichen, <strong>das</strong>s k<strong>in</strong>dliches B<strong>in</strong>dungsverhalten bei allen Eltern Gefühle auslöst. Diese<br />

können positiv, aber auch schmerzhaft se<strong>in</strong>. Damit s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>neren B<strong>in</strong>dungsmodelle der Eltern ange-<br />

sprochen: Müssen Eltern negative emotionale Zustände abwehren, entstehen für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d „Kreise be-<br />

grenzter Sicherheit“. Eltern können <strong>in</strong> Präventionsprogrammen lernen, anders als mit ihrem gewohnten<br />

Muster (z. B. Abwehr) auf die vom K<strong>in</strong>d signalisierten Bedürfnisse zu reagieren und dabei zunehmend


fe<strong>in</strong>fühliger werden, <strong>in</strong>dem sie Fehl<strong>in</strong>terpretationen k<strong>in</strong>dlicher Signale aufgeben. Auf der Ebene der<br />

mentalen B<strong>in</strong>dungsrepräsentationen wird somit versucht, den Eltern durch Bewusstmachung der eigenen<br />

B<strong>in</strong>dungsmuster e<strong>in</strong>e vollständige, ungefilterte und unverzerrte Wahrnehmung der Perspektive des K<strong>in</strong>-<br />

des zu ermöglichen und damit <strong>in</strong>direkt die Beziehungsqualität zu verbessern („look<strong>in</strong>g back, mov<strong>in</strong>g<br />

forward“). Der Fokus der Intervention liegt immer auf der erwachsenen Bezugsperson <strong>–</strong> nicht, weil diese<br />

die Hauptverantwortung für <strong>das</strong> Gel<strong>in</strong>gen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion alle<strong>in</strong>e trägt, sondern weil sie im<br />

Zweifelsfall immer mehr Möglichkeiten und Freiheitsgrade e<strong>in</strong>er Veränderung hat als <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d selbst.<br />

Weiters kann auch der E<strong>in</strong>satz des Adult-Attachment-Interviews neben anamnestischen Zwecken e<strong>in</strong>e<br />

wirksame Methode im Beratungs- und Therapieverlauf darstellen. Durch <strong>das</strong> Ansprechen der mit den<br />

AAI-Fragen assoziierten K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen bietet sich e<strong>in</strong>e gute Gelegenheit, dem E<strong>in</strong>fluss von<br />

vergangenen auf gegenwärtige Beziehungen nachzuspüren und allgeme<strong>in</strong> die Reflexionsfähigkeit der<br />

Eltern über mögliche E<strong>in</strong>flüsse auf ihren Umgang mit den eigenen K<strong>in</strong>dern zu entwickeln (Suess &<br />

Hantel-Quitmann 2004).<br />

Die vorrangigste Aufgabe bei der Anwendung der B<strong>in</strong>dungstheorie <strong>in</strong> Therapie und Beratung besteht<br />

dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e „sichere Basis“ herzustellen, von der aus Eltern ihre <strong>in</strong>neren Arbeitsmodelle von sich selbst<br />

und der Beziehung zu anderen bedeutsamen B<strong>in</strong>dungspartnern erkunden können. Der Therapeut<br />

übernimmt dabei die Rolle der „sicheren Basis“, <strong>in</strong>dem er Vertrauen, Unterstützung und Sympathie für<br />

den Klient signalisiert, damit dieser sich sicher fühlen kann, se<strong>in</strong>e persönlichen, eventuell auch schmerz-<br />

haften oder beschämenden B<strong>in</strong>dungserfahrungen zu analysieren und zu bearbeiten. Der Therapeut<br />

ermöglicht im Rahmen se<strong>in</strong>er Funktion als „sichere Basis“ dem Klient aber auch korrigierende, dem<br />

bisherigen B<strong>in</strong>dungsmodell zuwider laufende positive B<strong>in</strong>dungserfahrungen. Crittenden (2005) betont<br />

die Wichtigkeit, <strong>das</strong>s Fachkräfte mit Eltern so <strong>in</strong>teragieren, wie Mütter und Väter mit ihren eigenen<br />

K<strong>in</strong>dern umgehen sollten.<br />

Aufseiten des Therapeuten setzt dies e<strong>in</strong>e genaue Kenntnis der eigenen (B<strong>in</strong>dungs-)Biografie sowie der<br />

Möglichkeiten und Grenzen im Beratungsprozess voraus (Suess & Hantel-Quitmann 2004). Dabei ist<br />

es beispielsweise im Rahmen des STEEP-Programmes auch nicht kontra<strong>in</strong>diziert, den Eltern mit<br />

eigenen Schwächen zu begegnen und gleichzeitig soziales Modell für den konstruktiven Umgang mit<br />

Problemen darzustellen.<br />

87


88<br />

Methoden b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierter Präventionsprogramme<br />

• E<strong>in</strong>satz von Videoaufnahmen ausgewählter Interaktionen zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d<br />

• „See<strong>in</strong>g is believ<strong>in</strong>g“ <strong>–</strong> unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung ist Vertrauen zwischen Berater und Klient sowie die<br />

vorherige Zustimmung seitens des Klienten<br />

• E<strong>in</strong>satz des Adult-Attachment-Interviews (AAI): zur Anamnese und als Methode<br />

• Der Therapeut als „sichere Basis“ im Beratungsprozess<br />

Nicht bewährt haben sich nach Crittenden (2005) Methoden wie e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e positive Verstärkung<br />

oder <strong>das</strong> Verteilen von schriftlichen Materialien und Leitfäden. E<strong>in</strong>ige Methoden haben sich sogar als<br />

kontraproduktiv erwiesen: z. B. <strong>das</strong> Nachahmen von Verhalten („modell<strong>in</strong>g“) oder die Demonstration<br />

von Verhalten. Ke<strong>in</strong> Programm, ke<strong>in</strong> schriftlicher Plan oder Handbuch kann Mütter und Väter lehren,<br />

fe<strong>in</strong>fühlig auf die von Augenblick zu Augenblick e<strong>in</strong>tretenden Veränderungen bei ihrem Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>-<br />

zugehen. „Zwischen Materialien oder Leitl<strong>in</strong>ien und der aktuell stattf<strong>in</strong>denden <strong>in</strong>terpersonalen Anpassung<br />

besteht sozusagen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>härenter Konflikt“ (Crittenden 2005, S. 103). Stattdessen brauchen Mütter wie<br />

Väter e<strong>in</strong> Repertoire an zwischenmenschlichen Fähigkeiten, Beobachtungskompetenzen, die Bereit-<br />

schaft über Probleme nachzudenken und Vertrauen, neue Ideen auszuprobieren <strong>–</strong> wieder verbunden<br />

mit der Beobachtungsfähigkeit, um zu sehen, wie <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d darauf reagiert.<br />

Entscheidend ist hierbei vor allem, <strong>das</strong>s Eltern an den Interaktionen mit ihren K<strong>in</strong>dern Spaß haben.<br />

Die Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s Eltern immer dann etwas aufrechterhalten, wenn sie es selbst für sich und ihre<br />

K<strong>in</strong>der herausgefunden haben und den Umgang mit ihren K<strong>in</strong>dern genießen können. Letzteres spricht<br />

deswegen auch gegen gut geme<strong>in</strong>te „Ratschläge“. „Während Fe<strong>in</strong>fühligkeit im Umgang mit dem K<strong>in</strong>d<br />

dem Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung dient, sorgt die Freude am K<strong>in</strong>d für die Aufrechterhaltung<br />

e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>fühlsamen Umganges gerade <strong>in</strong> Zeiten voller Stress“ (Suess et al. 2008).<br />

12.3 Ausgewählte Programme<br />

Im Folgenden werden die im deutschsprachigen Raum etablierten, b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierten<br />

Präventionsprogramme im E<strong>in</strong>zelnen vorgestellt, wobei die jeweilige(n) Zielgruppe(n), Inhalte und Ablauf<br />

sowie die verwendeten Methoden und <strong>–</strong> wenn vorhanden <strong>–</strong> Evaluationsergebnisse angeführt werden.<br />

12.3.1 SAFE® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern<br />

Das Projekt „SAFE® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern“ <strong>in</strong> München ist e<strong>in</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm zur<br />

Förderung e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d. B<strong>in</strong>dungsstörungen und <strong>in</strong>sbesondere die<br />

Weitergabe von traumatischen Erfahrungen über Generationen sollen durch <strong>das</strong> primäre Präventionsprogramm<br />

verh<strong>in</strong>dert werden.


SAFE ® richtet sich an alle werdenden Eltern ab circa der 20. Schwangerschaftswoche und wird bis zum<br />

Ende des ersten Lebensjahres <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geschlossenen Gruppe durchgeführt. Eltern mit besonderen<br />

Belastungen können darüber h<strong>in</strong>aus auch weitere Hilfen im zweiten und dritten Lebensjahr ihres K<strong>in</strong>des<br />

erhalten. Das SAFE ® -Programm steht allen Eltern offen. Es wird gezielt nicht nur für sogenannte<br />

„Risikoeltern“ mit bekannten psychosozialen Risiken angeboten, da aus der kl<strong>in</strong>ischen Erfahrung<br />

bekannt ist, <strong>das</strong>s traumatisierte Eltern <strong>in</strong> allen sozialen Schichten vorkommen. Gerade Eltern aus der<br />

Mittel- und Oberschicht fällt es besonders schwer, über traumatische Erfahrungen zu sprechen und sich<br />

jemandem anzuvertrauen.<br />

Die Eltern werden über die Auslage von Flyern <strong>in</strong> Apotheken, Arztpraxen, Familienbildungsstätten,<br />

Schwangerschaftsberatungsstellen sowie durch Presseberichte über <strong>das</strong> Präventionsprogramm <strong>in</strong>for-<br />

miert. Es gibt unterschiedliche F<strong>in</strong>anzierungsmodelle, die jeweils davon abhängen, wo die SAFE®-<br />

Gruppen stattf<strong>in</strong>den und wer der Organisator ist. In der Regel werden die Gruppen von e<strong>in</strong>em Leiter<br />

mit Co-Leitung über den gesamten Zeitraum von der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebens-<br />

jahres des K<strong>in</strong>des geme<strong>in</strong>sam geführt.<br />

Das SAFE ® -Programm be<strong>in</strong>haltet vier Module: e<strong>in</strong> pränatales und e<strong>in</strong> postnatales Sem<strong>in</strong>ar-Modul, e<strong>in</strong>e<br />

Hotl<strong>in</strong>e sowie e<strong>in</strong>e (optionale) <strong>in</strong>dividuelle Traumatherapie. Im pränatalen sowie postnatalen Modul<br />

(10 Sem<strong>in</strong>artage) treffen sich die Eltern <strong>in</strong> Elterngruppen. Die Gruppe mit den Eltern, die gleichzeitig<br />

<strong>in</strong> ähnlichen Schwangerschaftsphasen s<strong>in</strong>d, stellt dabei e<strong>in</strong>en wesentlichen Rahmen für <strong>das</strong> gesamte<br />

Programm dar. Über die Kursdauer von der 20. Schwangerschaftswoche bis zum Ende des ersten Le-<br />

bensjahres des K<strong>in</strong>des entsteht e<strong>in</strong>e große Gruppenkohäsion. Die <strong>in</strong>dividuelle Traumapsychotherapie<br />

sowie die Benutzung e<strong>in</strong>er Hotl<strong>in</strong>e werden von den Eltern <strong>in</strong>dividuell <strong>in</strong> Anspruch genommen. Somit<br />

komb<strong>in</strong>iert SAFE ® gruppentherapeutische Effekte wie auch <strong>in</strong>dividualtherapeutische Möglichkeiten <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Präventionsprogramm.<br />

Im pränatalen Modul treffen sich die Elterngruppen an vier Sonntagen während der Schwangerschaft,<br />

beg<strong>in</strong>nend ab circa der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) und dann folgend <strong>in</strong> der 24., 28. und der<br />

32. SSW. Die Inhalte des pränatalen Moduls umfassen <strong>in</strong>tensive Informationen und Austausch <strong>in</strong> der<br />

Gruppe, zum Beispiel über Kompetenzen des Säugl<strong>in</strong>gs und der Eltern, Erwartungen der Eltern, Fan-<br />

tasien und Ängste der Eltern, die pränatale B<strong>in</strong>dungsentwicklung und Eltern-Säugl<strong>in</strong>gs-Interaktionen.<br />

Diese werden mit Videobeispielen zum Füttern, Stillen, Wickeln sowie zum Spiel und Zwiegespräch<br />

zwischen Eltern und K<strong>in</strong>d veranschaulicht. Die Eltern werden daran gezielt geschult, die Signale e<strong>in</strong>es<br />

Babys genau wahrzunehmen und richtig zu <strong>in</strong>terpretieren. Weiterh<strong>in</strong> erlernen die Eltern bereits von<br />

Kursbeg<strong>in</strong>n Stabilisierungs- und Entspannungsverfahren, um mit stressvollen Situationen während der<br />

Schwangerschaft und nach der Geburt besser umgehen zu können.<br />

89


90<br />

Nach der Geburt werden die Elterngruppen an sechs ganztägigen Sonntagssem<strong>in</strong>aren fortgeführt. Der<br />

sich bereits vorgeburtlich entwickelte Zusammenhalt der „Eltern-Peer-Gruppe“ erweist sich auch <strong>in</strong><br />

dieser Übergangsphase nach der Geburt als sehr hilfreich und unterstützend. Als Inhalte stehen nach<br />

der Geburt die elterlichen Kompetenzen, die Triangulierung zwischen Mutter, Vater und K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>ter-<br />

aktionelle Schwierigkeiten mit Füttern, Stillen, Schlafen sowie der Aufbau der emotionalen Beziehung<br />

im Mittelpunkt. Die Eltern br<strong>in</strong>gen die Babys zu den Term<strong>in</strong>en mit, so<strong>das</strong>s <strong>das</strong> B<strong>in</strong>dungsverhalten der<br />

Eltern und des K<strong>in</strong>des sowie <strong>das</strong> Explorationsverhalten des Babys direkt beobachtet und daraus gelernt<br />

werden kann.<br />

Fe<strong>in</strong>fühligkeitstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und Video-Feedback<br />

Während dieser Zeit nach der Geburt werden von den Eltern und ihrem Baby <strong>in</strong>dividuelle Videoaufnahmen<br />

angefertigt <strong>–</strong> mit Interaktionen beim Wickeln, Füttern, Stillen und Spielen. Diese Videoszenen<br />

werden sowohl mit der Mutter als auch mit dem Vater <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuellen Feedbacktra<strong>in</strong><strong>in</strong>g besprochen.<br />

Sie können aber auch, mit E<strong>in</strong>verständnis der Eltern, <strong>in</strong> der Gruppe als Feedbacktra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle Teilnehmer<br />

verwendet werden. Ziel ist es, <strong>das</strong>s die Eltern nun mit den realen aktuellen Erfahrungen mit<br />

ihrem Baby lernen, dessen <strong>in</strong>dividuelle Signale besser zu erkennen, richtig zu <strong>in</strong>terpretieren und angemessen<br />

und prompt hierauf zu reagieren. Irritationen und emotionale Schwierigkeiten der Eltern sowie<br />

Fehl<strong>in</strong>terpretationen und Projektionen aus der eigenen K<strong>in</strong>dheitsgeschichte können bereits <strong>in</strong> diesem<br />

Stadium <strong>früh</strong>zeitig erkannt und besprochen sowie korrigiert werden.<br />

Hotl<strong>in</strong>e<br />

Das Vertrauensverhältnis, <strong>das</strong> die Eltern im Sem<strong>in</strong>ar zu den SAFE ® -MentorInnen aufgebaut haben,<br />

wird dazu genutzt, den Eltern e<strong>in</strong> zusätzliches Beratungsangebot <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Hotl<strong>in</strong>e anzubieten. Die<br />

Hotl<strong>in</strong>e bietet den Eltern die Möglichkeit, die SAFE ® -Gruppenleiter/<strong>in</strong>nen anzurufen und sich unmittelbar<br />

Rat und Unterstützung zu holen. Aufgrund der <strong>in</strong>dividuellen Videoaufnahmen, die mit den<br />

Eltern selbst und ihrem Baby etwa beim Wickeln und Füttern erstellt wurden, s<strong>in</strong>d den Beratern die<br />

elterlichen Kompetenzen und Ressourcen sehr gut bekannt, so<strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e rasche gezielte Interventions- und<br />

Beratungsmöglichkeit bei e<strong>in</strong>em Anruf über die Hotl<strong>in</strong>e ermöglicht werden kann.<br />

Individuelle Traumapsychotherapie (optional bei Bedarf)<br />

Mit allen Eltern wird pränatal e<strong>in</strong> Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs-Interview (Adult Attachment Interview)<br />

durchgeführt. Der spezifische Zweck dieses Interviews ist es, jeweils bei der werdenden Mutter und dem<br />

werdenden Vater festzustellen, welche B<strong>in</strong>dungsressourcen und welche traumatischen Erfahrungen mit<br />

<strong>in</strong> die Beziehung zu ihren K<strong>in</strong>dern h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebracht werden. Besonders ungelöste traumatische Erfahrungen<br />

s<strong>in</strong>d von großer Bedeutung, weil die kl<strong>in</strong>ische Erfahrung zeigt, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der ganz ungewollt durch<br />

ihre Verhaltensweisen traumatische Erfahrungen und die dazugehörigen Affekte bei ihren Eltern wieder


wachrufen können. Falls bei den Eltern H<strong>in</strong>weise auf ungelöste traumatische Erfahrungen festgestellt<br />

werden, wird ihnen als viertes Modul von SAFE® e<strong>in</strong>e fokale Traumatherapie angeboten, die e<strong>in</strong>e prä-<br />

natale Stabilisierungsphase und e<strong>in</strong>e postnatale Bearbeitungsphase be<strong>in</strong>haltet. SAFE® möchte damit<br />

präventiv e<strong>in</strong>e Wiederholung e<strong>in</strong>es erlebten Traumas der Eltern mit den eigenen K<strong>in</strong>dern verh<strong>in</strong>dern.<br />

Evaluation des SAFE-Projekts<br />

In der Pilotphase konnten <strong>das</strong> SAFE ® -Programm und se<strong>in</strong>e Inhalte sehr gut realisiert werden. Die<br />

Akzeptanz bei den Eltern war sehr gut und es zeigte sich, <strong>das</strong>s K<strong>in</strong>der von traumatisierten Eltern am<br />

Ende des ersten Lebensjahres e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsqualität aufwiesen.<br />

Inzwischen wird e<strong>in</strong>e prospektive randomisierte Längsschnittstudie durchgeführt, die die SAFE ® -<br />

Gruppen<strong>in</strong>tervention im Vergleich zu e<strong>in</strong>er herkömmlichen Schwangerschafts- und Geburtsvorberei-<br />

tung und Stillbegleitung evaluiert. Die Kontrollgruppe „Guter Start für werdende Eltern“ (GUSTA)<br />

trifft sich für die gleiche Sem<strong>in</strong>ardauer und -häufigkeit wie die SAFE ® -Gruppe, so<strong>das</strong>s die Effekte der<br />

unterschiedlichen Interventionen untersucht werden können. Zur Kontrollgruppe gehören ebenfalls<br />

Eltern, die sich im gleichen Zeitfenster <strong>–</strong> bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres Säugl<strong>in</strong>gs <strong>–</strong> an<br />

Sonntagen zu ganztägigen Sem<strong>in</strong>artagen treffen. In der SAFE ® - und <strong>in</strong> der GUSTA-Gruppe werden<br />

jeweils zu den gleichen Zeitpunkten mit verschiedenen Videoaufnahmen die Mutter-K<strong>in</strong>d- und Vater-<br />

K<strong>in</strong>d-Interaktion beim Wickeln, Füttern sowie beim Spielen evaluiert. Außerdem wird am Ende des<br />

ersten Lebensjahres die Entwicklung der B<strong>in</strong>dungsqualitäten der Säugl<strong>in</strong>ge untersucht und ausgewertet.<br />

Zusätzlich werden mithilfe von Fragebogen prä- und postnatale Daten erhoben, und bei allen Eltern<br />

werden Erwachsenen-B<strong>in</strong>dungs<strong>in</strong>terviews durchgeführt. Sowohl bei den Müttern als auch bei den Vätern<br />

werden vor und nach solchen Interviews <strong>–</strong> sowie auch bei den K<strong>in</strong>dern vor und nach der Untersu-<br />

chung der B<strong>in</strong>dungsqualität <strong>–</strong> physiologisch Stressparameter anhand von Untersuchungen der Werte<br />

des Stresshormons Cortisol im Speichel erhoben.<br />

SAFE ® -Mentorenausbildung<br />

Zur Verbreitung des Programms besteht die Möglichkeit, sich als SAFE ® -Mentor am Dr. von Haunerschen<br />

K<strong>in</strong>derspital <strong>in</strong> München ausbilden zu lassen (www.safe-programm.de). Regionale Ausbildungsgruppen<br />

f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Hannover und Wien statt. Hierzu können sich grundsätzlich alle psychosozialen Berufs-<br />

gruppen, die mit Schwangeren, Eltern und ihren Säugl<strong>in</strong>gen arbeiten, als potentielle SAFE ® -Mentoren<br />

melden. Dazu gehören zum Beispiel Schwangerschaftsberater<strong>in</strong>nen, Hebammen und Stillberater<strong>in</strong>nen,<br />

Krankenschwestern, Geburtshelfer, Psychologen, K<strong>in</strong>derärzte, K<strong>in</strong>der- und Jugendlichenpsychothera-<br />

peuten, Sprachheilpädagogen und Sprachtherapeuten. Entscheidend für die Arbeit <strong>in</strong> SAFE ® -Gruppen<br />

ist die Fähigkeit, sich auf Schwangere und Eltern mit Säugl<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>zulassen und aus der alltäglichen<br />

beruflichen Praxis bereits „Hands on“-Erfahrungen mitzubr<strong>in</strong>gen. Die Ausbildung zum SAFE ® -Mentor<br />

91


92<br />

umfasst drei ganztägige Sem<strong>in</strong>artage und zusätzliche Praxistage, die je nach praktischer Vorerfahrung<br />

unterschiedlich lang und <strong>in</strong>tensiv se<strong>in</strong> können. Die Mentoren organisieren dann jeweils vor Ort unter<br />

ihren spezifischen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen SAFE ® -Gruppen. Vorzugsweise arbeitet man als Mentorenpaar<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Gruppenleitung und Co-Leitung. Dieses Leitungsmodell eröffnet die Möglichkeit, <strong>das</strong>s<br />

e<strong>in</strong> Mentor jeweils Inhalte vermitteln kann, während der andere die gruppendynamischen Prozesse im<br />

Auge behält und die Gruppe leitet.<br />

Die SAFE ® -Mentoren/<strong>in</strong>nen-Ausbildung wird derzeit durch <strong>das</strong> Bayerische Staats<strong>in</strong>stitut für Frühpädagogik<br />

(IFP) <strong>in</strong> München evaluiert. E<strong>in</strong>e Übersetzung des SAFE ® -Programms <strong>in</strong>s Italienische wird derzeit vor-<br />

genommen.<br />

Kontakt und Information:<br />

PD Dr. med. Karl He<strong>in</strong>z Brisch<br />

Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie, K<strong>in</strong>derkl<strong>in</strong>ik und K<strong>in</strong>derpolikl<strong>in</strong>ik im Dr. von Haunerschen<br />

K<strong>in</strong>derspital, Ludwig-Maximilians-Universität München, Pettenkoferstr. 10, 80336 München.<br />

Email: Karl-He<strong>in</strong>z.Brisch@med.uni-muenchen.de<br />

Info: www.safe-programm.de<br />

Lesetipp:<br />

• Brisch, K. H. (2010). SAFE ® <strong>–</strong> Sichere Ausbildung für Eltern. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

Medientipp:<br />

• Dokumentarfilm von Lydia Oehl<strong>in</strong>g: „Nähe zulassen“; www.naehe-zulassen.de<br />

12.3.2 „STEEP“ <strong>–</strong> Steps toward effective, enjoyable parent<strong>in</strong>g<br />

„STEEP“ ist e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundiertes Früh<strong>in</strong>terventionsprogramm, <strong>das</strong> die Förderung der<br />

elterlichen Kompetenz <strong>in</strong> der Beziehungsgestaltung mit dem K<strong>in</strong>d zum Ziel hat. Junge Mütter werden<br />

im Aufbau e<strong>in</strong>er sicheren B<strong>in</strong>dungsbeziehung zum K<strong>in</strong>d unterstützt und damit wird e<strong>in</strong> wesentlicher<br />

Schutzfaktor für die weitere Entwicklung des K<strong>in</strong>des gefördert.<br />

Das Programm richtet sich an Familien, deren K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> e<strong>in</strong> psychosozial belastetes Umfeld h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren<br />

werden (z. B. Arbeitslosigkeit, mangelnde berufliche Perspektiven, psychische Belastungen der<br />

Eltern). Zielgruppe des Projektes s<strong>in</strong>d 16 bis 26 Jahre alte schwangere Frauen und junge Mütter mit<br />

ihren K<strong>in</strong>dern, auf die m<strong>in</strong>destens zwei der folgenden Kriterien zutreffen: niedriges E<strong>in</strong>kommen, ke<strong>in</strong><br />

oder niedriger Schulabschluss, psychische Labilität oder Erkrankung, Probleme mit sozialen Kontakten.<br />

Diese Kriterien werden anhand e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gangsdiagnostik und e<strong>in</strong>er Risikodiagnostik festgestellt. E<strong>in</strong>


Teil der Mütter wird vom Allgeme<strong>in</strong>en Sozialdienst (ASD), von Jugendhilfee<strong>in</strong>richtungen, aus der<br />

Gesundheitshilfe oder aus dem sozialen Umfeld an STEEP überwiesen. E<strong>in</strong>ige Mütter nehmen auch<br />

aus eigener Initiative an dem Projekt teil.<br />

Im Mittelpunkt stehen die Förderung der sozialen Unterstützung, die Integration der meist isoliert<br />

lebenden Mütter sowie <strong>das</strong> Verstehen der k<strong>in</strong>dlichen Verhaltensweisen und der eigenen Beziehungs-<br />

erfahrungen und Beziehungsmuster. Ziel ist es, die Signale des K<strong>in</strong>des aufzunehmen und adäquat zu<br />

beantworten, um e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dungsbeziehung zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d als wichtige Grundlage<br />

für die spätere Entwicklung des K<strong>in</strong>des aufzubauen und die transgenerationelle Weitergabe von dys-<br />

funktionalen familiären Beziehungsmustern zu verh<strong>in</strong>dern.<br />

Die STEEP-Programm stellt e<strong>in</strong>e kompetente pädagogisch-psychologische Begleitung von der<br />

Schwangerschaft bis ans Ende des zweiten Lebensjahres des K<strong>in</strong>des dar und unterstützt die (werdenden)<br />

Mütter praktisch und kont<strong>in</strong>uierlich <strong>in</strong> der Vorbereitung auf die Elternrolle und dem F<strong>in</strong>den ihrer elter-<br />

lichen Identität. E<strong>in</strong> besonderer Fokus liegt auf den <strong>in</strong>dividuellen Ressourcen. Das Programm komb<strong>in</strong>iert<br />

e<strong>in</strong> Gruppenangebot mit aufsuchender Arbeit durch e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Bezugsperson. Wechselweise<br />

f<strong>in</strong>det wöchentlich e<strong>in</strong> Gruppentreffen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er festen Mutter-K<strong>in</strong>d-Gruppe oder e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelterm<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

der Wohnung der Mutter statt. In den zwei Jahren s<strong>in</strong>d dies rund 100 Term<strong>in</strong>e. Bei den Gruppentreffen<br />

mit zehn Mutter-K<strong>in</strong>d-Paaren können die Mütter im gegenseitigen Austausch mit- und vone<strong>in</strong>ander<br />

lernen und ihr Verhalten reflektieren.<br />

Die Inhalte s<strong>in</strong>d zum Teil themengeleitet und sollen helfen, die k<strong>in</strong>dlichen Entwicklungsschritte und<br />

deren Bedeutung für die geme<strong>in</strong>same Beziehung und den familiären Alltag besser zu verstehen, Sicher-<br />

heit im Umgang mit dem K<strong>in</strong>d zu gew<strong>in</strong>nen und auch <strong>in</strong> schwierigen oder belastenden Situationen<br />

angemessen reagieren zu können. Die Hausbesuche bieten zusätzlichen Raum für die Reflexion eigener<br />

Erfahrungen und Bedürfnisse und dienen der Anleitung zur Selbstbeobachtung <strong>in</strong> der direkten Mutter-<br />

K<strong>in</strong>d-Interaktion <strong>in</strong> Alltagssituationen.<br />

Das Vorgehen von „STEEP“ basiert unter anderem auf folgenden Methoden: Interaktionszentrierte<br />

Kommunikationsanleitung, videounterstützte Eltern-K<strong>in</strong>d-Arbeit („See<strong>in</strong>g is believ<strong>in</strong>g“), erlebnisnahe<br />

Vermittlung entwicklungspsychologischen Wissens und Rollenspiele, Gruppenangebote neben E<strong>in</strong>zel-<br />

fallarbeit und Stärkung des sozialen Netzwerkes der Beteiligten.<br />

Das STEEP-Konzept wurde von Byron Egeland und Martha F. Erickson von der Universität M<strong>in</strong>nesota<br />

aufgrund der Ergebnisse der M<strong>in</strong>nesota Studie zur Persönlichkeitsentwicklung unter Hoch-Risiko-<br />

Bed<strong>in</strong>gungen entwickelt und evaluiert. Es wird <strong>in</strong> den USA langjährig <strong>in</strong> der Arbeit mit „Risikofamilien“<br />

93


94<br />

erfolgreich umgesetzt. Im Rahmen e<strong>in</strong>es durch <strong>das</strong> Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />

geförderten Präventionsforschungsprojektes wurde <strong>das</strong> STEEP-Programm erstmals an zwei Standor-<br />

ten <strong>in</strong> Deutschland (FH Potsdam und HAW Hamburg) angewandt und wissenschaftlich begleitet.<br />

Zur Ausbildung zur STEEP-Berater<strong>in</strong> werden Sem<strong>in</strong>are angeboten. Das Handbuch zur Durchführung<br />

des STEEP-Programms wurde 2006 <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt.<br />

Kontakt und Information:<br />

Prof. Dr. Gerhard J. Suess<br />

Hamburg University of Applied Sciences<br />

Department of Social Work<br />

Saarlandstr. 30<br />

22303 Hamburg<br />

Email: Gerhard.Suess@haw-hamburg.de ; <strong>in</strong>fo@gerhard-suess.de<br />

http://www.gerhard-suess.de<br />

Prof. Dr. Christiane Ludwig-Körner<br />

Fachhochschule Potsdam<br />

Fachbereich Sozialwesen<br />

Friedrich-Ebert-Straße 4<br />

14467 Potsdam<br />

Email: ludwig@fh-potsdam.de<br />

Lesetipp:<br />

• Martha Farrell Erickson & Byron Egeland (2006). Die Stärkung der Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung. Frühe Hilfen für<br />

die Arbeit mit Eltern von der Schwangerschaft bis zum 2. Lebensjahr des K<strong>in</strong>des durch <strong>das</strong> STEEP-<br />

Programm. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

12.3.3 PALME® <strong>–</strong> Präventives Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter geleitet von<br />

ErzieherInnen<br />

PALME® ist e<strong>in</strong> speziell auf die Lebenssituation und die Bedürfnisse alle<strong>in</strong>erziehender Mütter abgestimmtes<br />

Präventionsprogramm, <strong>das</strong> die Förderung der zuverlässigen und fe<strong>in</strong>fühligen Beziehungsaufnahme<br />

zum Ziel hat. Die emotionale Zuwendungsfähigkeit alle<strong>in</strong>erziehender Mütter kann durch die<br />

vielfachen an sie gestellten Anforderungen und seelische Belastungen bee<strong>in</strong>trächtigt se<strong>in</strong> und damit<br />

langfristig e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>fluss auf die seelische Entwicklung sowie die sozialen und schulischen<br />

Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des haben. Genau hier setzt PALME® als Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter<br />

und ihre K<strong>in</strong>der an.


Es handelt sich um e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundiertes und emotionszentriertes strukturiertes Eltern-<br />

tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g über 20 Sitzungen à 90 M<strong>in</strong>uten für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter mit K<strong>in</strong>dern im Vorschul- und<br />

Grundschulalter. Geleitet wird es von e<strong>in</strong>em geschulten Leiterpaar (Erzieher<strong>in</strong> und Erzieher). Die jeweilige<br />

Gruppengröße beläuft sich auf circa zehn bis zwölf Mütter. Die Gruppen werden nach Möglichkeit<br />

wohnortnah und mit K<strong>in</strong>derbetreuung während der Kursterm<strong>in</strong>e angeboten. Die Durchführung des<br />

Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bereits <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten ermöglicht e<strong>in</strong>en „niederschwelligen“ Zugang zu alle<strong>in</strong>er-<br />

ziehenden Müttern.<br />

PALME® verfolgt als Hauptziele die Stabilisierung der Mutter-K<strong>in</strong>d-Beziehung, die Stärkung der<br />

<strong>in</strong>tuitiven Elternfunktionen, die Verbesserung der E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> <strong>das</strong> Erleben des K<strong>in</strong>des, die Bearbeitung<br />

unbewusster Wahrnehmungs- und Erziehungstendenzen der Mütter sowie die E<strong>in</strong>übung sozialer und<br />

elterlicher Kompetenzen.<br />

Alle Gruppensitzungen s<strong>in</strong>d klar gegliedert und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gut verständlichen Manual sehr genau beschrieben.<br />

In jeder Gruppensitzung erhalten die teilnehmenden Mütter Informationen zu verschiedenen Themen.<br />

Diese reichen von rechtlichen bis h<strong>in</strong> zu entwicklungspsychologischen Fragen und der Bewältigung von<br />

Alltagsproblemen. Diese Informationen helfen den Müttern, ihre Situation und die Bedürfnisse ihres<br />

K<strong>in</strong>des besser wahrzunehmen und zu verbessern. Während der Gruppensitzungen werden typische<br />

Konflikte Alle<strong>in</strong>erziehender, z. B. <strong>in</strong> Rollenspielen und Gruppenübungen, bearbeitet. Hier geht es vor<br />

allem um die Trennung der Elternverantwortung von der Ebene des Paarkonfliktes. Schließlich werden<br />

mittels k<strong>in</strong>dgerechter Mutter-K<strong>in</strong>d-Übungen für zuhause die fe<strong>in</strong>fühlige Wahrnehmung der Bedürfnisse<br />

des K<strong>in</strong>des und die Lösung bestehender Konflikte gefördert.<br />

Die 20 Gruppensitzungen s<strong>in</strong>d zur Erreichung dieser Ziele <strong>in</strong> vier Module gegliedert, die sich s<strong>in</strong>n-<br />

voll ergänzen und aufe<strong>in</strong>ander aufbauen. Im ersten Modul wird die Selbstwahrnehmung der Mütter<br />

auch mit ihren biografischen Bezügen gefördert. Rollenanforderungen, Belastungen, Fähigkeiten und<br />

die dazugehörigen Emotionen werden erarbeitet. Im zweiten Modul geht es dann um die emotionale<br />

Wahrnehmung des K<strong>in</strong>des und die E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> dessen Entwicklungsbedürfnisse nach B<strong>in</strong>dung und<br />

Exploration. Im dritten Modul werden die Situation <strong>in</strong> der Gesamtfamilie und auch die Rolle des<br />

Ex-Partners/Vaters thematisiert sowie damit zusammenhängende Konflikte auch im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Lebensgeschichte der Mütter bearbeitet. Erst nach diesen Grundlagen werden im vierten Modul auf<br />

der Verhaltensebene nach neuen Wegen und Lösungen zur Bewältigung von Konflikten im Alltag der<br />

Familien gesucht und e<strong>in</strong>geübt.<br />

Das Gruppenprogramm wird im Rahmen von dreitägigen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gssem<strong>in</strong>aren <strong>–</strong> zusammen mit anderen<br />

Inhalten wie Grundlagen der Gruppendynamik, Gesprächstechnik, Entwicklungspsychologie und<br />

95


96<br />

B<strong>in</strong>dungstheorie <strong>–</strong> an qualifizierte Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher vermittelt. Basis hierfür ist <strong>das</strong> ausführliche<br />

Manual zusammen mit dem sorgfältig aufbereiteten didaktischen Material.<br />

Das b<strong>in</strong>dungstheoretisch fundierte Konzept und die didaktische Aufbereitung von PALME® wurden<br />

<strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Ärzten, Psychologen und Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> zehnjähriger Vorarbeit entwickelt,<br />

erprobt und wissenschaftlich evaluiert. Es konnte nachgewiesen werden, <strong>das</strong>s PALME® e<strong>in</strong>en positiven<br />

Effekt auf <strong>das</strong> Wohlbef<strong>in</strong>den und die Stimmung der teilnehmenden Mütter ausübt, die Beziehung der<br />

Mütter zu ihren K<strong>in</strong>dern stärkt und k<strong>in</strong>dliche Verhaltensauffälligkeiten reduziert.<br />

Kontakt und Information:<br />

PALME®<br />

Prof. Dr. med. Matthias Franz<br />

Institut für Seelische Gesundheit und Prävention e.V. (ISGP)<br />

c/o Kl<strong>in</strong>isches Institut für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und Psychotherapie<br />

Moorenstraße 5<br />

40225 Düsseldorf<br />

E-Mail: <strong>in</strong>fo@palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de<br />

Rückfragen zu Schulung und Anmeldung:<br />

PALME®<br />

Jessica Brüggert<br />

Institut für Seelische Gesundheit und Prävention e.V. (ISGP)<br />

c/o Kl<strong>in</strong>isches Institut für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und Psychotherapie<br />

Moorenstraße 5<br />

40225 Düsseldorf<br />

E-Mail: <strong>in</strong>fo@palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de<br />

http://www.palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de<br />

Lesetipp:<br />

• PALME® <strong>–</strong> Präventives Elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für alle<strong>in</strong>erziehende Mütter geleitet von ErzieherInnen (2008). 449<br />

Seiten mit 25 Abbildungen, 3 Tabellen und e<strong>in</strong>er CD. Gött<strong>in</strong>gen: Vandenhoeck & Ruprecht.<br />

http://www.palme-elterntra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.de/manual.html<br />

12.3.4 Entwicklungspsychologische Beratung für junge Eltern (Ulmer Modell)<br />

Das Curriculum basiert auf dem Beratungsansatz „Entwicklungspsychologische Beratung“, der<br />

ursprünglich für die Intervention bei der Hochrisikogruppe jugendlicher und alle<strong>in</strong>erziehender Mütter


und ihrer Säugl<strong>in</strong>ge entwickelt und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pilotstudie evaluiert wurde. Der Ansatz wurde mittlerweile<br />

auf die Beratung psychosozial belasteter Familien mit Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern bzw. für die Frühförderung von<br />

K<strong>in</strong>dern mit Beh<strong>in</strong>derung oder biologischer Vorbelastung erweitert, ist allerd<strong>in</strong>gs ebenfalls für die Beratung<br />

von „nur“ verunsicherten Eltern geeignet.<br />

In der entwicklungspsychologischen Beratung geht es allgeme<strong>in</strong> formuliert um e<strong>in</strong>e <strong>früh</strong>e und präventive<br />

Förderung der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung, um <strong>das</strong> Entstehen von Entwicklungsstörungen und Verhal-<br />

tensauffälligkeiten zu vermeiden. Das Beratungsmodell verknüpft b<strong>in</strong>dungstheoretische Annahmen<br />

und Befunde zur elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit mit entwicklungspsychologischem Wissen über Bedürfnisse,<br />

Kompetenzen und Ausdrucksverhaltensweisen von Neugeborenen, Säugl<strong>in</strong>gen und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern.<br />

Die Beratung ist als Bauste<strong>in</strong> konzipiert, der sich flexibel <strong>in</strong> unterschiedliche Praxisfelder und <strong>in</strong>stitutionelle<br />

Hilfestrukturen <strong>in</strong>tegrieren lässt. Sie ist niedrigschwellig, kurzfristig durchführbar und zeitlich begrenzt.<br />

Konzeptueller H<strong>in</strong>tergrund s<strong>in</strong>d b<strong>in</strong>dungstheoretische Befunde zur elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit sowie<br />

Befunde zum Belastungs- und Bewältigungsverhalten von Säugl<strong>in</strong>gen und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern, <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> Anlehnung und Weiterentwicklung des Entwicklungsmodells von Brazelton und Als (Brazelton 1984;<br />

Als 1982). Das Vorgehen ist verhaltensorientiert, videogestützt und ressourcenorientiert. Das Beratungs-<br />

konzept legt besonderen Wert darauf, die Sicherheit und <strong>das</strong> Selbstwertgefühl der Eltern zu <strong>stärken</strong>. E<strong>in</strong><br />

positives Selbstwerterleben gilt als entscheidende Voraussetzung, die Perspektive des eigenen K<strong>in</strong>des zu<br />

berücksichtigen und fe<strong>in</strong>fühlig mit ihm umzugehen.<br />

In der Regel besteht e<strong>in</strong>e Beratungssequenz aus etwa fünf bis sieben Term<strong>in</strong>en. Bei psychosozial belasteten<br />

Familien <strong>in</strong> angespannten Lebenssituationen s<strong>in</strong>d darauf aufbauende, weitere Kontakte auch über die<br />

Zeit h<strong>in</strong>weg vorausschauend und präventiv e<strong>in</strong>zuplanen. Die Durchführung der Beratung kann zuhause<br />

oder <strong>in</strong> Räumlichkeiten der Beratungsstelle erfolgen, wobei der Säugl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Regel mit anwesend ist.<br />

Grundlage der Beratung s<strong>in</strong>d beschreibende Beobachtungen, die auf kurzen, alltagsbezogenen Video-<br />

szenen der Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktionen aufbauen. Dazu gehören beispielsweise Videoszenen zu Wickel-<br />

oder Füttersituationen sowie e<strong>in</strong>er Spielsituation. Die Analyse des Videomaterials ist ressourcenorientiert<br />

und nicht wertend. In manchen Fällen muss nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Standbild (z. B. <strong>das</strong> Anlächeln des K<strong>in</strong>des)<br />

genügen, um positives elterliches Verhalten <strong>in</strong> der folgenden Beratung zu thematisieren und mit den<br />

k<strong>in</strong>dlichen Ansätzen von Selbstregulation und Ansprechbarkeit zu verknüpfen. Die Regulationskompe-<br />

tenzen und die Ansprechbarkeit des Säugl<strong>in</strong>gs werden als Folge adäquaten und fe<strong>in</strong>fühligen mütterlichen<br />

Verhaltens <strong>in</strong>terpretiert.<br />

Die Arbeit mit Videobildern ermöglicht den Eltern unmittelbare und nichtsprachlich vermittelte E<strong>in</strong>drücke<br />

von ihrem K<strong>in</strong>d und sich selbst. Man geht davon aus, <strong>das</strong>s diese bildhaften E<strong>in</strong>drücke nachdrücklicher<br />

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98<br />

wirken und die Eltern <strong>in</strong>tensiv im Alltag begleiten. Nach dem Videofeedback wird e<strong>in</strong> Auftrag an die<br />

Eltern erarbeitet mit dem Versuch, Alltagsstrukturierungen zu verändern <strong>–</strong> z. B. Erholungszeiten für die<br />

Mutter durch E<strong>in</strong>beziehung anderer, Haushaltsaufgaben reduzieren, Essensregeln sowie Abendrituale<br />

e<strong>in</strong>führen.<br />

Die Wirksamkeit des Programms konnte im Rahmen von Evaluationsmaßnahmen bereits nach-<br />

gewiesen werden.<br />

Nach Ziegenha<strong>in</strong> müssen beziehungsorientierte Interventionsmaßnahmen <strong>in</strong>sgesamt verstärkt unter<br />

dem Aspekt der Vernetzung mit anderen Hilfeangeboten erprobt und evaluiert werden. Dabei dürften<br />

nach den bisherigen Erfahrungen <strong>früh</strong>e und präventive Maßnahmen besonders Erfolg versprechend<br />

se<strong>in</strong>. Das Modell der entwicklungspsychologischen Beratung könnte dabei <strong>in</strong> <strong>das</strong> System bestehender<br />

Rechtsvorschriften implementiert werden. Zum e<strong>in</strong>en wäre e<strong>in</strong>e Implementierung <strong>in</strong> die Erziehungsbera-<br />

tungsstellen als Konzept <strong>früh</strong>er Intervention denkbar, eventuell auch als e<strong>in</strong> Angebot <strong>in</strong> Familienbildungs-<br />

stätten oder Mutter-K<strong>in</strong>d-E<strong>in</strong>richtungen. Zum anderen könnten sozialpädagogische Familienhelfer/<br />

<strong>in</strong>nen diesen Ansatz <strong>in</strong> ihre Arbeit implementieren wie auch Frühförderstellen und Sozialpädiatrische<br />

Zentren. Wünschenswert wäre e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit von Ämtern, Beratungsstellen,<br />

Gynäkologen, K<strong>in</strong>derärzten, Hebammen und Sozialarbeitern, um <strong>früh</strong> präventiv zu arbeiten.<br />

Kontakt und Information:<br />

PD Dr. Ute Ziegenha<strong>in</strong><br />

Kl<strong>in</strong>ik für K<strong>in</strong>der- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätskl<strong>in</strong>ikum Ulm<br />

Ste<strong>in</strong>hövelstrasse 5<br />

89075 Ulm<br />

Email: FrueheHilfen.kjp@unikl<strong>in</strong>ik-ulm.de<br />

Lesetipp:<br />

• Ziegenha<strong>in</strong>, U., Fries, M., Bütow, B. & Derksen, B. (2004). Entwicklungspsychologische Beratung für<br />

junge Eltern. Grundlagen und Handlungskonzepte für die Jugendhilfe. We<strong>in</strong>heim: Juventa.


Resümee & Ausblick<br />

Die Präventionsprogramme fokussieren als Zielgruppe auf Eltern bzw. Familien. Im S<strong>in</strong>ne der geforderten<br />

Verbreitung b<strong>in</strong>dungstheoretischen Grundlagenwissens für Eltern sowie alle Professionen, die mit El-<br />

tern und K<strong>in</strong>dern zusammenarbeiten, wäre es e<strong>in</strong>e folgerichtige wie fachlich notwendige Konsequenz,<br />

b<strong>in</strong>dungstheoretische Inhalte <strong>in</strong> den Ausbildungsplänen wie auch im praktischen Arbeitsalltag von Fach-<br />

kräften außerfamiliärer Institutionen <strong>–</strong> z. B. K<strong>in</strong>dergarten, Schule, Heim<strong>in</strong>stitutionen <strong>–</strong> zu verankern.<br />

Neben den Eltern können auch andere, für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d wichtige Bezugspersonen Qualitäten e<strong>in</strong>er<br />

B<strong>in</strong>dungsperson <strong>in</strong>nehaben <strong>–</strong> und dies nicht nur <strong>in</strong> den <strong>früh</strong>en Jahren der k<strong>in</strong>dlichen Entwicklung.<br />

Spätestens ab dem K<strong>in</strong>dergartenalter gestalten K<strong>in</strong>der ihre eigenen Erfahrungsgrundlagen <strong>in</strong> zuneh-<br />

mender Weise mit und verr<strong>in</strong>gern damit die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, mit (möglicherweise benötigten) korri-<br />

gierenden Beziehungserfahrungen konfrontiert zu werden. So werden Institutionen des Bildungssystems<br />

wie zum Beispiel der K<strong>in</strong>dergarten oder die Schule für gewöhnlich nicht als e<strong>in</strong> Feld für psychosoziale<br />

oder gar psychotherapeutische Interventionen angesehen. Erzieher/<strong>in</strong>nen wie auch Lehrer/<strong>in</strong>nen können<br />

aber e<strong>in</strong>e bedeutende Quelle der Veränderung für die Persönlichkeitsentwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des oder<br />

Jugendlichen se<strong>in</strong>, wie die M<strong>in</strong>nesota-Studie gezeigt hat (Suess & Sroufe 2008). So ist e<strong>in</strong> Ergebnis<br />

dieser Studie, <strong>das</strong>s der Schulabbruch e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong> Prozess ist, der bereits mit dreie<strong>in</strong>halb Jahren<br />

beg<strong>in</strong>nt, also schon bevor die Schule anfängt. Neben der (fehlenden) Qualität <strong>früh</strong>er Erziehung und<br />

elterlichen Engagements, welche sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „dysfunktionalen“ Beziehungsgestaltung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong><br />

der Schule fortsetzen, zeigten die Ergebnisse, <strong>das</strong>s <strong>in</strong>sbesondere jene K<strong>in</strong>der die Schule abbrechen, die<br />

ke<strong>in</strong>en Lehrer hatten, dem sie sich nahe fühlten oder den sie auf ihrer Seite wähnten. Insofern s<strong>in</strong>d be-<br />

ziehungsbasierte Strategien zur Förderung der Lehrer-Schüler-Beziehung nötig wie auch Voraussetzung<br />

für erfolgreiche Bildungsprozesse.<br />

Fachkräfte aller mit K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen befassten Institutionen sollten deswegen auf jeden Fall<br />

über die die B<strong>in</strong>dungsentwicklung konsolidierenden und korrigierenden Prozesse <strong>in</strong>formiert werden. Sie<br />

müssen ermutigt werden, ihre eigenen Gefühle gegenüber unterschiedlichen K<strong>in</strong>dern zu reflektieren.<br />

K<strong>in</strong>der mit unterschiedlichen B<strong>in</strong>dungsqualitäten lösen unterschiedliche Reaktionen und Gefühle bei<br />

Fachkräften aus <strong>–</strong> und unsicher gebundene K<strong>in</strong>der machen <strong>das</strong> Leben der pädagogischen Fachkräfte<br />

schwerer als e<strong>in</strong> sicher gebundenes K<strong>in</strong>d. Ebenso sollten die möglichen E<strong>in</strong>flüsse der eigenen Entwick-<br />

lungs- bzw. B<strong>in</strong>dungsgeschichte auf <strong>das</strong> Lehrer/Erzieher-K<strong>in</strong>d-Verhältnis reflektiert werden. Dies kann<br />

im Rahmen von Teambesprechungen oder extern angeleiteter Supervision erfolgen. Die Fortbildung<br />

von pädagogischen Fachkräften <strong>in</strong> diesen grundlegenden b<strong>in</strong>dungsmotivierten, zwischenmenschlichen<br />

Dynamiken würde mittel- bis langfristig zu e<strong>in</strong>em besseren Beziehungsverhältnis beitragen und bessere<br />

Interventionsmöglichkeiten aufzeigen als die stigmatisierende (und entlastende) Kategorisierung e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des mit e<strong>in</strong>er bestimmten Diagnosegruppe (z. B. ADHS).<br />

99


100<br />

Internet-Tipp:<br />

• Interessante anwendungsbezogene Artikel für die Arbeit mit Pflegefamilien wie für die Arbeit von<br />

pädagogischen Fachkräften <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten, <strong>in</strong> der schulischen Erziehungshilfe wie auch <strong>in</strong><br />

Heim<strong>in</strong>stitutionen f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Teil III des Buches: Julius, H., Gasteiger-Klicpera, B., & Kißgen, R. (Hrsg.)<br />

(2009). B<strong>in</strong>dung im K<strong>in</strong>desalter. Diagnostik und Interventionen. Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.


Adressen-Info & Kontakte<br />

Gesellschaften mit Bezug zur B<strong>in</strong>dungsforschung:<br />

• Bundeskonferenz für Erziehungsberatung: http://www.bke.de<br />

• Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Fachgruppe Entwicklungspsychologie:<br />

http://www.dgps.de/dgps/fachgruppen/entwicklung<br />

• Deutsche Liga für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d: Interdiszipl<strong>in</strong>äres Zusammenschluss zahlreicher Vere<strong>in</strong>e und Organisationen<br />

aus dem Bereich der <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>dheit: http://www.liga-k<strong>in</strong>d.de<br />

• Fachhochschule Potsdam, FB Sozialwesen: Frühe Hilfen für K<strong>in</strong>der und ihre Familie: http://sozialwesen.fh-potsdam.de<br />

• Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM), P.D. Dr. Gabriele Haug-Schnabel, Dr.<br />

Joachim Bensel, Obere Dorfstr. 7, 79400 Kandern: http://www.verhaltensbiologie.com<br />

• GAIMH <strong>–</strong> Gesellschaft zur Förderung der seelischen Gesundheit <strong>in</strong> der <strong>früh</strong>en K<strong>in</strong>dheit: Deutschsprachige<br />

Tochtergesellschaft der World Association for Infant Mental Health: http://www.gaimh.de<br />

• International Society for the Study of Behavioral Development: http://www.issbd.org<br />

• The International Attachment Network promotes the study of attachment theory and related topics<br />

among psychotherapists, psychoanalysts, cl<strong>in</strong>ical psychologists, psychiatrists and other professionals<br />

(<strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g social workers, teachers, and many others): http://www.attachmentnetwork.org<br />

• WAIMH (World Association of Infant Mental Health): Interdiscipl<strong>in</strong>ary and <strong>in</strong>ternational association<br />

that promotes education, research, and study of the effects of mental, emotional, and social development<br />

dur<strong>in</strong>g <strong>in</strong>fancy on later normal and psychopathological development: http://www.waimh.org<br />

• ZERO TO THREE promotes the healthy development of our nation‘s <strong>in</strong>fants and toddlers by support<strong>in</strong>g<br />

and strengthen<strong>in</strong>g families, communities, and those who work on their behalf: http://www.<br />

zerotothree.org<br />

(Quelle: http://www.psychologie.uni-regensburg.de/Grossmann)<br />

Fortbildungsmöglichkeiten zur B<strong>in</strong>dungsdiagnostik:<br />

Nach eigenen Recherchen sowie persönlicher Mitteilung von Professor Gloger-Tippelt (Universität<br />

Düsseldorf) gibt es derzeit folgende Ansprechpartner/<strong>in</strong>nen für diagnostische Verfahren im deutschsprachigen<br />

Raum (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):<br />

Fremde-Situations-Test:<br />

• Prof. Dr. Klaus Grossmann und Dr. Kar<strong>in</strong> Grossmann<br />

http://www.psychologie.uni-regensburg.de/Grossmann<br />

em@il: Klaus.Grossmann@psychologie.uni-regensburg.de<br />

em@il: Kar<strong>in</strong>.Grossmann@psychologie.uni-regensburg.de<br />

101


102<br />

Geschichtenergänzungsverfahren (GEV)<br />

He<strong>in</strong>rich-He<strong>in</strong>e Universität Düsseldorf<br />

Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie<br />

Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt<br />

Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf<br />

0211 / 81-13083<br />

0211 / 81-13222<br />

em@il: gloger-tippelt@phil-fak.uni-duesseldorf.de<br />

Dr. Lilith König<br />

Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf<br />

0211 / 81-12132<br />

0211 / 81-13222<br />

em@il: lilith.koenig@phil-fak.uni-duesseldorf.de<br />

www.b<strong>in</strong>dungsdiagnostik.de<br />

CARE-Index<br />

Nicola Sahhar<br />

Praxis zur Förderung psychischer Entwicklung<br />

Kle<strong>in</strong>str. 24<br />

40597 Düsseldorf<br />

em@il: nsahhar@netcologne.de; nsahhar@mac.com<br />

AAI/AAP<br />

Univ.-Prof. Dr. Anna Buchheim<br />

Professur für Kl<strong>in</strong>ische Psychologie<br />

em@il: anna.buchheim@uibk.ac.at<br />

+43 (0)512 507-5567<br />

Ausländische Fortbildungs<strong>in</strong>stitute:<br />

England: Anna Freud Centre<br />

http://www.annafreudcentre.org/shortcourses.php?id=122<br />

USA: Family Relations Institute (Pat Crittenden)<br />

http://www.patcrittenden.com/


Literatur<br />

Ausgewählte Lese- & Medientipps<br />

Praxisorientierte (Literatur-)Quellen:<br />

• Kl<strong>in</strong>ik für K<strong>in</strong>der- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätskl<strong>in</strong>ikum Ulm (Hrsg.) (2008).<br />

Die Chance der ersten Monate. Fe<strong>in</strong>fühlige Eltern <strong>–</strong> gesunde K<strong>in</strong>der.<br />

Manual für Fachkräfte der Sozialen Dienste zur Stärkung der elterlichen Fe<strong>in</strong>fühligkeit (<strong>in</strong>kl. DVD mit zahlreichen<br />

Videobeispielen).<br />

http://www.unikl<strong>in</strong>ik-ulm.de/struktur/kl<strong>in</strong>iken/k<strong>in</strong>der-und-jugendpsychiatriepsychotherapie/<br />

home/forschung/die-chance-der-ersten-monate.html<br />

• Maywald, J. & Schön, B. (Hrsg.) (2008). Krippen. Wie <strong>früh</strong>e Betreuung gel<strong>in</strong>gt. Fundierter Rat zu e<strong>in</strong>em umstrittenen<br />

Thema. We<strong>in</strong>heim: Beltz.<br />

Mit Checkliste: Wie f<strong>in</strong>de ich e<strong>in</strong>e gute Krippe?<br />

• Kißgen, R. (2008). DVD „B<strong>in</strong>dungstheorie und B<strong>in</strong>dungsforschung“. Teil 1: Grundlagen. E<strong>in</strong> Film von Rüdiger<br />

Kißgen. Netzwerk Medien: Universität zu Köln. http://www.hf.uni-koeln.de/trailer<br />

• DVD „E<strong>in</strong> Leben beg<strong>in</strong>nt… Babys Entwicklung verstehen und fördern“. E<strong>in</strong> Film von Heike Mundzeck & Holger<br />

Braack. (Auftraggeber: Ehlerd<strong>in</strong>g Stiftung und Deutsche Liga für <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> Kooperation mit der<br />

Kroschke Stiftung für K<strong>in</strong>der) www.e<strong>in</strong>-leben-beg<strong>in</strong>nt.de<br />

• Projekt „K<strong>in</strong>der <strong>früh</strong>er fördern“ (Bertelsmann Stiftung & Staats<strong>in</strong>stitut für Frühpädagogik): www.k<strong>in</strong>derfrueher-foerdern.de<br />

Mit: Checkliste für Eltern: K<strong>in</strong>der unter drei <strong>in</strong> Kitas sowie Checkliste: Kita-Platz. So f<strong>in</strong>den Sie e<strong>in</strong>en guten K<strong>in</strong>dergarten<br />

für Ihr K<strong>in</strong>d<br />

Literatur zur Vertiefung:<br />

• Cassidy, J. & Shaver, P. (2008). Handbook of Attachment. Theory, Research and Cl<strong>in</strong>ical Applications. 2nd Edition.<br />

New York/London: The Guilford Press.<br />

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• Bowlby,J. (1978): Verlust <strong>–</strong> Trauer und Depression. Frankfurt/M.: Fischer.<br />

103


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Zur Verknüpfung b<strong>in</strong>dungstheoretischen Denkens mit k<strong>in</strong>derpsychoanalytischer Praxis:<br />

• Hopk<strong>in</strong>s, J. (2008). B<strong>in</strong>dung und <strong>das</strong> Unbewusste. E<strong>in</strong> undogmatischer Blick <strong>in</strong> die k<strong>in</strong>derpsychoanalytische Praxis.<br />

Frankfurt/M.: Brandes & Apsel.<br />

Internet-L<strong>in</strong>ks<br />

• www.b<strong>in</strong>dungsdiagnostik.de<br />

• www.b<strong>in</strong>dungstheorie.de<br />

• www.circleofsecurity.org<br />

• http://www.attachmentprojective.com<br />

• www.familienhandbuch.de<br />

• http://www.dunstanbaby.com/<br />

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Milano: Raffaello Cort<strong>in</strong>a.


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