Vorbeifahren an Hindernissen. Fahrregeln bei verengter ... - SVR

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01.06.2013 Aufrufe

Verkehrszivilrecht kol | A U F S ÄT Z E Versicherungsrecht Verkehrsstrafrecht Ordnungswidrigkeiten Verkehrsverwaltungsrecht Straßenverkehrsrecht Z E I T S C H R I F T F Ü R D I E P R A X I S D E S V E R K E H R S J U R I S T E N In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Anwaltsinstitut e.V. und dem ACE Auto Club Europa herausgegeben von Dr. jur. Frank Albrecht, Regierungsdirektor im Bundesverkehrsministerium, Berlin; Hans Buschbell, Rechtsanwalt, Düren/Köln; Wolfgang Ferner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Dr. Christian Grüneberg, Richter am BGH, Karlsruhe; Prof. Dr. Christian Huber, Technische Hochschule, Aachen; Ottheinz Kääb, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Verkehrsrecht, München; Prof. Dr. Jürgen-Detlef Kuckein, Richter am BGH, Karlsruhe; Ulf D. Lemor, Rechtsanwalt, Verkehrsopferhilfe, Bad Honnef; Volker Lempp, Rechtsanwalt, Stuttgart ; Dr.-Ing. Werner Möhler, Aachen; Ass. jur. Joachim Otting, Hünxe/Berlin; Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, Universität Tübingen; Priv. Doz. Dr. Stephan Seidl, Nürnberg/Erlangen. Schriftleitung: Wolfgang Ferner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Ass. jur. Rüdiger Balke, Koblenz; Prof. Dr. Helmut Janker, Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Berlin; Richter am Amtsgericht Dr. Matthias Quarch, Aachen. Vorbeifahren an Hindernissen Fahrregeln bei verengter Fahrbahn Ulrich Heinrich * , Hagen Verkehrsunfälle auf verengter Fahrbahn, herausragend (Frontal-)Zusammenstöße bei Unübersichtlichkeit, erweisen sich sowohl bei der technischen Rekonstruktion wie auch bei der rechtlichen Beurteilung der Verursacher-/Schuldfrage vielfach als schwierig aufklärbar. Fehlen objektive Befunde, namentlich (Reifen-)Spuren der beteiligten Fahrzeuge, deren Originalendstellungen sowie der genaue Kollisionspunkt, lässt sich der genaue Hergang kaum wieder sichtbar machen. Allein die zurückgebliebenen Fahrzeugbeschädigungen sind zwar ein unübersehbarer Beleg dafür, dass es zur Kollision gekommen ist. Die miteinander korrespondierenden Schadensbilder lassen auch einen Rückschluss auf den Anstoßwinkel, die Überdeckungsbreite der Stoßzonen und u. U. auf die Kollisionsgeschwindigkeit zu. Allerdings bleibt der schuldrelevante Ansatz, welcher Unfallbeteiligte den Zusammenstoß durch sein Fehlverhalten in der Vorkollisionsphase ausgelöst bzw. mitgefördert hat, oftmals im Dunkeln. Aussagen von („neutralen“) Zeugen, sofern sie die Einleitungsphase bis zum Anstoß überhaupt selbst bewusst wahrgenommen haben, erweisen sich erfahrungsgemäß als lückenhaft und ungenau, wenn sie Geschwindigkeiten, Verzögerungen, Abstände und Entfernungen betreffen. Der Anscheinsbeweis spricht zwar häufi g gegen den an dem Hindernis Vorbeifahrenden. Die Mitschuld evtl. sogar die Alleinschuld des Entgegenkommenden ist jedoch nicht ausgeschlossen. Speziell dessen zu hohe Geschwindig- keit an unübersichtlicher Stelle kann die eigentliche, jedoch unerkannte bzw. technisch nicht nachweisbare Unfallursache sein. Fußend auf dem soweit wie überhaupt möglich aufgehellten äußeren Unfallhergang sind die (unfallursächlichen) Verstöße bei allen Beteiligten festzustellen. Unfallvorgänge, einschließlich der Einlassungen von Anwälten, lassen Unsicherheiten hinsichtlich der anzuwenden Verhaltensregeln der StVO erkennen. Das gilt besonders hinsichtlich des Regelungsbereichs des § 6 StVO. Primär mit dieser „sprachlich schief formulierten“ 1 Vorschrift befasst sich die vorliegende Literaturauswertung. 1. Regelungsbereich des § 6 StVO A U F S Ä T Z E Im Anschluss an die Vorschriften über das Überholen (§ 5 StVO) bestimmt § 6 StVO den Vorrang, wenn die rechte Fahrbahn durch ein Hindernis vorübergehend verengt ist. Die Ähnlichkeit mit dem Überholen besteht insoweit, da angesichts der Gefahren, die bei beiden Vorgängen dem Gegen- und Nachfolgeverkehr drohen können, eine gewisse Verwandtschaft besteht. Gegenüber dem § 5 StVO sind die Sorgfaltsanforde- * Lehrbeauftragter für Verkehrsrecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Fachbereich Polizei. 1 Zitiert nach Cramer, Straßenverkehrsrecht Band I, 2. Aufl age, § 6 StVO Nr. 10. S VR 12/2006 | 4 41

Verkehrszivilrecht<br />

kol | A U F S ÄT Z E<br />

Versicherungsrecht<br />

Verkehrsstrafrecht<br />

Ordnungswidrigkeiten<br />

Verkehrsverwaltungsrecht<br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Z E I T S C H R I F T F Ü R D I E P R A X I S D E S V E R K E H R S J U R I S T E N<br />

In Zusammenar<strong>bei</strong>t mit dem Deutschen Anwaltsinstitut e.V. und dem ACE Auto Club Europa<br />

herausgegeben von Dr. jur. Fr<strong>an</strong>k Albrecht, Regierungsdirektor im Bundesverkehrsministerium, Berlin; H<strong>an</strong>s Buschbell, Rechts<strong>an</strong>walt, Düren/Köln;<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Ferner, Rechts<strong>an</strong>walt und Fach<strong>an</strong>walt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Dr. Christi<strong>an</strong> Grüneberg, Richter am BGH, Karlsruhe;<br />

Prof. Dr. Christi<strong>an</strong> Huber, Technische Hochschule, Aachen; Ottheinz Kääb, Rechts<strong>an</strong>walt, Fach<strong>an</strong>walt für Versicherungsrecht und Fach<strong>an</strong>walt<br />

für Verkehrsrecht, München; Prof. Dr. Jürgen-Detlef Kuckein, Richter am BGH, Karlsruhe; Ulf D. Lemor, Rechts<strong>an</strong>walt, Verkehrsopferhilfe,<br />

Bad Honnef; Volker Lempp, Rechts<strong>an</strong>walt, Stuttgart ; Dr.-Ing. Werner Möhler, Aachen; Ass. jur. Joachim Otting, Hünxe/Berlin;<br />

Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, Universität Tübingen; Priv. Doz. Dr. Steph<strong>an</strong> Seidl, Nürnberg/Erl<strong>an</strong>gen.<br />

Schriftleitung: Wolfg<strong>an</strong>g Ferner, Rechts<strong>an</strong>walt und Fach<strong>an</strong>walt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Ass. jur. Rüdiger Balke, Koblenz; Prof. Dr. Helmut<br />

J<strong>an</strong>ker, Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Berlin; Richter am Amtsgericht Dr. Matthias Quarch, Aachen.<br />

<strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> <strong>Hindernissen</strong><br />

<strong>Fahrregeln</strong> <strong>bei</strong> <strong>verengter</strong> Fahrbahn<br />

Ulrich Heinrich * , Hagen<br />

Verkehrsunfälle auf <strong>verengter</strong> Fahrbahn, herausragend (Frontal-)Zusammenstöße<br />

<strong>bei</strong> Unübersichtlichkeit, erweisen sich<br />

sowohl <strong>bei</strong> der technischen Rekonstruktion wie auch <strong>bei</strong> der<br />

rechtlichen Beurteilung der Verursacher-/Schuldfrage vielfach<br />

als schwierig aufklärbar. Fehlen objektive Befunde, namentlich<br />

(Reifen-)Spuren der beteiligten Fahrzeuge, deren Originalendstellungen<br />

sowie der genaue Kollisionspunkt, lässt sich<br />

der genaue Herg<strong>an</strong>g kaum wieder sichtbar machen. Allein<br />

die zurückgebliebenen Fahrzeugbeschädigungen sind zwar<br />

ein unübersehbarer Beleg dafür, dass es zur Kollision gekommen<br />

ist. Die mitein<strong>an</strong>der korrespondierenden Schadensbilder<br />

lassen auch einen Rückschluss auf den Anstoßwinkel, die<br />

Überdeckungsbreite der Stoßzonen und u. U. auf die Kollisionsgeschwindigkeit<br />

zu. Allerdings bleibt der schuldrelev<strong>an</strong>te<br />

Ansatz, welcher Unfallbeteiligte den Zusammenstoß durch<br />

sein Fehlverhalten in der Vorkollisionsphase ausgelöst bzw.<br />

mitgefördert hat, oftmals im Dunkeln. Aussagen von („neutralen“)<br />

Zeugen, sofern sie die Einleitungsphase bis zum Anstoß<br />

überhaupt selbst bewusst wahrgenommen haben, erweisen<br />

sich erfahrungsgemäß als lückenhaft und ungenau, wenn sie<br />

Geschwindigkeiten, Verzögerungen, Abstände und Entfernungen<br />

betreffen. Der Anscheinsbeweis spricht zwar häufi g gegen<br />

den <strong>an</strong> dem Hindernis <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den. Die Mitschuld evtl.<br />

sogar die Alleinschuld des Entgegenkommenden ist jedoch<br />

nicht ausgeschlossen. Speziell dessen zu hohe Geschwindig-<br />

keit <strong>an</strong> unübersichtlicher Stelle k<strong>an</strong>n die eigentliche, jedoch<br />

unerk<strong>an</strong>nte bzw. technisch nicht nachweisbare Unfallursache<br />

sein. Fußend auf dem soweit wie überhaupt möglich aufgehellten<br />

äußeren Unfallherg<strong>an</strong>g sind die (unfallursächlichen)<br />

Verstöße <strong>bei</strong> allen Beteiligten festzustellen. Unfallvorgänge,<br />

einschließlich der Einlassungen von Anwälten, lassen Unsicherheiten<br />

hinsichtlich der <strong>an</strong>zuwenden Verhaltensregeln der<br />

StVO erkennen. Das gilt besonders hinsichtlich des Regelungsbereichs<br />

des § 6 StVO. Primär mit dieser „sprachlich schief formulierten“<br />

1 Vorschrift befasst sich die vorliegende Literaturauswertung.<br />

1. Regelungsbereich des § 6 StVO<br />

A U F S Ä T Z E<br />

Im Anschluss <strong>an</strong> die Vorschriften über das Überholen (§ 5<br />

StVO) bestimmt § 6 StVO den Vorr<strong>an</strong>g, wenn die rechte Fahrbahn<br />

durch ein Hindernis vorübergehend verengt ist. Die Ähnlichkeit<br />

mit dem Überholen besteht insoweit, da <strong>an</strong>gesichts der<br />

Gefahren, die <strong>bei</strong> <strong>bei</strong>den Vorgängen dem Gegen- und Nachfolgeverkehr<br />

drohen können, eine gewisse Verw<strong>an</strong>dtschaft<br />

besteht. Gegenüber dem § 5 StVO sind die Sorgfalts<strong>an</strong>forde-<br />

* Lehrbeauftragter für Verkehrsrecht <strong>an</strong> der Fachhochschule für öffentliche<br />

Verwaltung NRW, Fachbereich Polizei.<br />

1 Zitiert nach Cramer, Straßenverkehrsrecht B<strong>an</strong>d I, 2. Aufl age, § 6 StVO<br />

Nr. 10.<br />

S VR 12/2006 | 4 41


A U F S ÄT Z E | Heinrich, <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> <strong>Hindernissen</strong><br />

rungen des § 6 StVO jedoch teilweise eingeschränkt, weil für<br />

das <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> einem stationären Hindernis wesentlich<br />

kürzere Zeit und Strecke benötigt wird, als für das Überholen<br />

eines sich weiterbewegenden Fahrzeugs. So darf auch <strong>an</strong> unübersichtlichen<br />

Stellen <strong>an</strong> einem Hindernis grundsätzlich vor<strong>bei</strong>gefahren<br />

werden, während das Überholen nach § 5 Abs. 2<br />

Satz 1 StVO in der Regel verboten ist.<br />

§ 6 StVO regelt, wer Vorr<strong>an</strong>g hat, wenn die rechte Fahrbahnseite<br />

durch ein haltendes Fahrzeug, 2 einer Absperrung oder einem<br />

sonstigen vorübergehenden Hindernis einseitig verengt – also<br />

nicht befahrbar – ist und gleichzeitiger Begegnungsverkehr<br />

nicht möglich ist. 3 Lediglich das linksseitige <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> unterfällt<br />

der Vorschrift. K<strong>an</strong>n rechts vor<strong>bei</strong>gefahren werden, gilt<br />

nicht § 6 StVO. Es muss d<strong>an</strong>n gemäß § 2 Abs. 2 StVO entsprechend<br />

dem Rechtsfahrgebot rechts vor<strong>bei</strong>gefahren werden.<br />

Eine Engstelle i.S.v. § 6 StVO ist stets nur ein eng begrenztes<br />

Stück einer sonst für Begegnungsverkehr ausreichend breiten<br />

Fahrbahn. 4 Ein zugeparkter Straßenzug fällt daher nicht unter<br />

§ 6 StVO; siehe dazu unten Nr. 5.<br />

1.1 Art des Hindernisses<br />

Die Aufzählung der Hindernisse in § 6 StVO ist nur <strong>bei</strong>spielhaft.<br />

Haltende/parkende Fahrzeuge stellen in der Praxis die häufigsten<br />

Unterfälle des Hindernisses dar. So k<strong>an</strong>n das vorübergehende<br />

einseitige Hindernis verursacht worden sein durch<br />

■ ein liegengebliebenes Fahrzeug<br />

■ eine Unfallstelle<br />

■ ein größeres Glasscherbenfeld<br />

■ herabgefallene größere Ladungsteile<br />

■ offene K<strong>an</strong>aldeckel<br />

■ einseitige Schneeverwehungen<br />

■ heruntergefallene Äste<br />

■ Baumaterialien<br />

■ abgestellte Container.<br />

Auch vorübergehende (Tages-)Baustellen, die nicht durch<br />

feste Einrichtungen/Absperrungen (Bauzaun), sondern nur<br />

durch Absperrgeräte i.S.v. § 43 StVO von der übrigen Fahrbahn<br />

getrennt sind, unterfallen § 6 StVO. 5 Im Gegensatz dazu bilden<br />

dauernde (bauliche) Verengungen – also feste Hindernisse<br />

– keine Engstellen nach § 6 StVO; siehe dazu weiter unten<br />

Nr. 4. Unerheblich ist, ob das vorübergehende Hindernis auf<br />

die Fahrbahn gebracht werden durfte oder nicht (prüfe jedoch<br />

<strong>bei</strong>m Verursacher § 32 StVO bzw. § 12 StVO, siehe dazu unten<br />

Nr. 3).<br />

Zu den <strong>Hindernissen</strong> i.S.v. § 6 StVO können auch Fußgänger(-gruppen)<br />

gehören, die auf der Fahrbahn stehen. Gehen<br />

die Fußgänger auf der Fahrbahn in Fahrtrichtung oder warten<br />

verkehrsbedingt, werden sie überholt, zumindest wenn<br />

sie ein Fahrzeug mitführen, z.B. einen H<strong>an</strong>dkarren schieben. 6<br />

Entscheidend ist allein die Unbenutzbarkeit der rechten Fahrbahnseite.<br />

Somit müssen leere kleine Kartons, Laub, Pfützen<br />

oder bereits überfahrene Kleintiere kein Hindernis i.S.v. § 6<br />

StVO sein.<br />

4 42 | S VR 12/2006<br />

1.2 Vorr<strong>an</strong>g des Gegenverkehrs<br />

Vorr<strong>an</strong>g hat grundsätzlich die Verkehrsrichtung, deren Fahrstreifen<br />

frei ist – somit der Gegenverkehr. Demnach trägt das<br />

(Haupt-)Risiko für das Gelingen des Verkehrsvorg<strong>an</strong>gs derjenige,<br />

der <strong>an</strong> einem Hindernis links vor<strong>bei</strong>fährt. In der Regel ist<br />

von überwiegender oder sogar alleiniger Haftung des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den<br />

auszugehen, wenn er den Vorr<strong>an</strong>g des sichtbaren<br />

Entgegenkommenden missachtet hat. § 6 Satz 1 StVO regelt<br />

nur die Pflichten <strong>bei</strong> Beginn des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>s bzw. <strong>bei</strong>m Einfahren<br />

in die Engstelle <strong>bei</strong> bereits sichtbarem Gegenverkehr<br />

– nicht dagegen das Verhältnis zu bloß möglichem, jedoch erst<br />

später sichtbar werdenden Gegenverkehr. 7 Vorr<strong>an</strong>g hat der erkennbare<br />

Gegenverkehr bereits d<strong>an</strong>n, wenn er <strong>bei</strong> vorschriftsmäßiger<br />

Geschwindigkeit nennenswert behindert würde.<br />

Leichte Behinderung (Gaswegnahme, weiche Bremsung, leichtes<br />

Ausweichen) muss der Entgegenkommende hinnehmen. 8<br />

Befindet sich der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de bereits in der Engstelle, so<br />

soll er diese <strong>bei</strong> her<strong>an</strong>nahenden Gegenverkehr „rasch räumen“<br />

(aber wie?). Er soll jedoch nicht zurücksetzen müssen. 9 Wird<br />

der Gegenverkehr nicht gefährdet, darf die ununterbrochene<br />

Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295) überfahren werden,<br />

wenn sonst <strong>an</strong> dem Hindernis nicht vor<strong>bei</strong>zukommen ist. 10<br />

Der Wartepflichtige muss sich vor dem Hindernis klar als solcher<br />

verhalten – wie <strong>bei</strong> der Vorfahrt nach § 8 Abs. 2 StVO. Der<br />

Wartepflichtige muss demnach klar und frühzeitig zu erkennen<br />

geben, dass er <strong>an</strong>halten, also seiner Wartepflicht nachkommen<br />

wird. Es kommt nicht darauf <strong>an</strong> – <strong>an</strong>ders <strong>bei</strong> einer<br />

dauernden Verengung, siehe dazu weiter unten Nr. 4 – wer<br />

die Engstelle zuerst erreicht, denn § 6 StVO will jede Beschleunigung<br />

vor vorübergehenden <strong>Hindernissen</strong> ausschließen. 11<br />

Diese Wartepflicht gilt auch gegenüber dem Gegenverkehr,<br />

der zum Teil den eigenen Fahrstreifen verlässt und den des <strong>an</strong><br />

der Durchfahrt Gehinderten teilweise in Anspruch nimmt.<br />

Erkennt <strong>an</strong>dererseits der Bevorrechtigte, dass sein Vorr<strong>an</strong>g<br />

missachtet wird, muss er zurückstehen (Verpflichtung aus § 1<br />

Abs. 2 StVO), sonst Mithaftung. 12 K<strong>an</strong>n der Entgegenkommende<br />

frühzeitig erkennen, dass sein Fahrstreifen mitbenutzt<br />

wird, muss er seine Geschwindigkeit verringern und/oder weiter<br />

rechts fahren, <strong>an</strong>sonsten er zur Hälfte haftet. 13<br />

1.3 <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> unübersichtlichen Stellen<br />

Gegenüber dem Überholen nach § 5 StVO verl<strong>an</strong>gt § 6 StVO<br />

weniger hohe Sorgfalt. Erlaubt ist daher im Gegensatz zu § 5<br />

Abs. 2 Satz 1 StVO auch das <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> vorübergehenden<br />

<strong>Hindernissen</strong> <strong>bei</strong> Unübersichtlichkeit auf den Gegenverkehr. 14<br />

2 Hält das Fahrzeug verkehrsbedingt, wird es überholt i.S.v. § 5 StVO.<br />

3 OLG Düsseldorf StVE § 6 StVO Nr. 6, so auch die amtliche Begründung <strong>bei</strong><br />

Hentschel 37. Auflage, § 6 StVO.<br />

4 OLG München StVE § 6 StVO Nr. 11.<br />

5 OLG Hamm StVE § 6 StVO Nr. 9.<br />

6 Heß <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n, Straßenverkehrsrecht 19. Auflage, § 5<br />

StVO Nr. 5 mit Verweis auf BGH VRS 25, 438; BayObLG VM 73, 103.<br />

7 Hentschel § 6 StVO Nr. 4.<br />

8 OLG Hamm StVE § 6 StVO Nr. 9.<br />

9 OLG Koblenz NZV 93, 19.<br />

10 Hentschel § 6 StVO Nr. 4.<br />

11 Amtliche Begründung <strong>bei</strong> Hentschel § 6 StVO Nr. 1.<br />

12 OLG Koblenz NZV 93, 195; siehe auch § 11 Abs. 3 StVO, allerdings kein OWi-<br />

Tatbest<strong>an</strong>d nach § 49 StVO.<br />

13 Grüneberg, Haftungsquoten <strong>bei</strong> Verkehrsunfällen 5. Auflage, Seite 183 Vorbemerkung<br />

zu Nr. 197.<br />

14 BayObLG StVE § 6 StVO Nr. 10.


Allerdings muss der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de vor einer unübersichtlichen<br />

Engstelle besonders vorsichtig prüfen, ob Gegenverkehr<br />

behindert würde.<br />

Das <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>bei</strong> Unübersichtlichkeit ist unter folgenden<br />

Voraussetzungen erlaubt:<br />

■ Ist Gegenverkehr nicht erkennbar, darf mit höchstmöglicher<br />

Sorgfalt <strong>an</strong> dem Hindernis unter Benutzung des Gegenfahrstreifens<br />

vor<strong>bei</strong>gefahren werden. 15<br />

■ Ist die Strecke nur eingeschränkt einsehbar, darf entsprechend<br />

l<strong>an</strong>gsam mit Schrittgeschwindigkeit vor<strong>bei</strong>gefahren<br />

werden, um <strong>bei</strong> Auftauchen des entgegenkommenden<br />

Fahrzeugs sofort <strong>an</strong>halten und diesem den notwendigen<br />

Anhaltweg einräumen zu können. 16<br />

■ Entscheidend ist wiederum der Beginn des Einfahrens in<br />

die Engstelle. Ist in diesem Moment Gegenverkehr objektiv<br />

(noch) nicht sichtbar, darf vor<strong>bei</strong>gefahren werden unter Benutzung<br />

des Gegenfahrstreifens.<br />

■ So darf ein Kraftfahrer auf einer L<strong>an</strong>dstraße vor einer Kurve<br />

<strong>bei</strong> 100 Meter Sicht zügig <strong>an</strong> einem am Fahrbahnr<strong>an</strong>d haltenden<br />

PKW vor<strong>bei</strong>fahren. 17<br />

■ Erforderlichenfalls sind akustische und optische Warnzeichen<br />

zu geben (§ 16 StVO), im Extremfall ist u. U. ein Einweiser<br />

erforderlich.<br />

■ Kommt es im weiteren Verlauf des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>s zu einem<br />

Unfall mit dem erst später auftauchenden Entgegenkommenden,<br />

findet § 6 StVO keine Anwendung.<br />

■ Ist der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de nachweislich berechtigt in die Engstelle<br />

eingefahren, weil der Gegenverkehr objektiv nicht<br />

sichtbar war, k<strong>an</strong>n ihm <strong>bei</strong> einer Gefährdung oder Kollision<br />

zumindest kein Verstoß gegen § 6 StVO <strong>an</strong>gelastet werden.<br />

Die weiteren Sorgfaltspflichten zur Unfallverhütung richten<br />

sich für den <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den d<strong>an</strong>n nach § 1 Abs. 2 StVO.<br />

■ Denn das Recht, die Engstelle passieren, also <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>,<br />

zu dürfen, k<strong>an</strong>n ihm nachträglich allein durch die Kollision<br />

nicht wieder genommen werden. Allerdings ist zu prüfen,<br />

ob er mit Schrittgeschwindigkeit gefahren ist und sofort<br />

nach Auftauchen des Gegenverkehrs stehengeblieben ist.<br />

■ Bleibt <strong>bei</strong> einer Sichtweite von 25 m unklar, w<strong>an</strong>n der mit<br />

25 km/h <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de den Entgegenkommenden zuerst<br />

gesehen hat, k<strong>an</strong>n er <strong>bei</strong> der Begegnungskollision mit 100%<br />

haften. 18<br />

■ Beim Entgegenkommenden ist neben § 1 Abs. 2 StVO insbesondere<br />

die <strong>an</strong>gemessene Geschwindigkeit nach § 3 Abs. 1<br />

StVO zu prüfen, namentlich das Sichtfahrgebot nach § 3<br />

Abs. 1 Satz 4 StVO; siehe dazu weiter unten Nr. 2.<br />

■ Wurde in einer engen bzw. unübersichtlichen Kurve das<br />

Hindernis durch ein falsch haltendes oder parkendes Fahrzeug<br />

gebildet, ist dessen Unfallbeteiligung <strong>an</strong>zunehmen;<br />

siehe dazu weiter unten Nr. 3.<br />

1.4 Seitenabst<strong>an</strong>d <strong>bei</strong>m <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong><br />

Wenn auch § 6 StVO selbst – <strong>an</strong>ders als § 5 Abs. 4 S. 2 StVO<br />

– keinen ausreichenden Seitenabst<strong>an</strong>d <strong>bei</strong>m <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong><br />

Heinrich, <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> <strong>Hindernissen</strong> | A U F S ÄT Z E<br />

vorschreibt, ist ein solcher aufgrund der allgemeinen Sorgfaltspflicht<br />

aus § 1 Abs. 2 StVO stets einzuhalten. Das gilt insbesondere<br />

<strong>bei</strong>m <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> haltenden oder parkenden<br />

Fahrzeugen, wenn mit Türöffnen zu rechnen ist, das Fahrzeug<br />

also besetzt ist. Mit unvorsichtigem Türöffnen ist zu rechnen.<br />

D<strong>an</strong>n sind weniger als 50 cm Seitenabst<strong>an</strong>d zu knapp. 19<br />

Ansonsten wird der Seitenabst<strong>an</strong>d nicht immer und überall<br />

mindestens 1,0 m betragen müssen. Es kommt auf die Umstände<br />

im Einzelfall <strong>an</strong>. So muss z. B. mit Hervortreten von Fußgängern<br />

<strong>an</strong> haltenden Omnibussen gerechnet und daher ein<br />

Abst<strong>an</strong>d von 1,80 – 2,00 m eingehalten werden. So auch größerer<br />

Abst<strong>an</strong>d <strong>bei</strong> haltenden Müllfahrzeugen. 20 Ein Verstoß<br />

des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den gegen den Seitenabst<strong>an</strong>d <strong>bei</strong> Gefährdung<br />

oder Schädigung beurteilt sich nicht nach § 6 StVO, sondern<br />

nach § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO.<br />

1.5 Beachtung des nachfolgenden Verkehrs<br />

§ 6 Satz 2 StVO verpflichtet den <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den, sich <strong>bei</strong>m<br />

Ausscheren auf den Gegenfahrstreifen <strong>bei</strong>m Weiterfahren praktisch<br />

wie ein Überholer i.S.v. § 5 Abs. 4 und Abs. 4a StVO zu verhalten.<br />

Allerdings enthält § 6 Satz 2 StVO kein ausdrückliches<br />

Gefährdungsverbot, insoweit abgeschwächte Sorgfaltspflicht.<br />

Wer vor einem Hindernis ausschert oder gewartet hat, darf nur<br />

nach sorgfältiger Rückschau und rechtzeitigem Zeichengeben<br />

(linker Fahrtrichtungs<strong>an</strong>zeiger) d<strong>an</strong>n weiterfahren, wenn der<br />

nachfolgende Verkehr noch ausreichend weit entfernt ist. 21<br />

Nur Zeichengeben genügt in keinem Fall. Der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de,<br />

der nur verkehrsbedingt wartet, scheidet nicht aus dem Fließverkehr<br />

aus. Folglich unterfällt er nicht der gesteigerten Sorgfaltspflicht<br />

des in § 10 StVO normierten Gefährdungsverbots,<br />

wenn er wieder <strong>an</strong>fährt. 22 Kommt es zu einem Verkehrsunfall,<br />

hat es der Wieder<strong>an</strong>fahrende <strong>an</strong> der sorgfältigen Rückschau<br />

fehlen lassen, weil er <strong>an</strong>dernfalls das Näherkommen des Nachfolgenden<br />

auf übersichtlicher Strecke hätte bemerken und zurückbleiben<br />

müssen 23 – Mitverschulden des Nachfolgenden<br />

nicht ausgeschlossen.<br />

Der Nachfolgeverkehr hat zu beachten, dass nach dem Wiederfreiwerden<br />

des Gegenfahrstreifens derjenige zuerst weiterfahren<br />

darf, der dem Hindernis am nächsten <strong>an</strong>gehalten hat;<br />

insoweit besteht kein Vorr<strong>an</strong>g des schnelleren Nachfolgeverkehrs.<br />

24 Es besteht für den <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den jedoch kein Vertrauen<br />

darauf, dass ihn der Hinterm<strong>an</strong>n nach Passieren des<br />

Gegenverkehrs zuerst weiterfahren lässt, auch wenn dies seine<br />

Pflicht ist. Möglicherweise besteht für den Nachfolgenden<br />

aufgrund der Situation objektiv eine „unklare Verkehrslage“,<br />

die ein Überholen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verbietet. 25 Das<br />

gilt jedenfalls d<strong>an</strong>n, wenn der Nachfolgende erkennt oder <strong>bei</strong><br />

15 BayObLG StVE § 6 StVO Nr. 10.<br />

16 Heß <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 6 StVO Nr. 3 mit weiteren Nachweisen.<br />

17 Cramer § 6 StVO Nr. 13 mit Verweis auf BGH VRS 45, 393.<br />

18 Grüneberg Seite 181 mit Verweis auf OLG Nürnberg VRS 2, 299.<br />

19 Hentschel § 14 StVO Nr. 8.<br />

20 Heß <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 6 StVO Nr. 7.<br />

21 Hentschel § 6 StVO Nr. 6 mit Verweis auf OLG Köln VM 71, 94.<br />

22 Burm<strong>an</strong>n <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 10 StVO Nr. 13 mit Verweis auf<br />

ua. OLG Zweibrücken VRS 53, 213.<br />

23 LG Wiesbaden StVE § 6 StVO Nr. 8 mit Verweis auf OLG Köln VM 71, 94-95.<br />

24 Bouska VD 74, 113; s. Hentschel a.a.O.<br />

25 Zur „unklaren Verkehrslage“ siehe ausführlich Hentschel § 5 StVO Nr. 34 und<br />

35.<br />

S VR 12/2006 | 4 43


A U F S ÄT Z E | Heinrich, <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> <strong>Hindernissen</strong><br />

gebotener Aufmerksamkeit und nach Typizität der Verkehrslage<br />

erkennen konnte, dass das Fahrzeug hinter dem Hindernis<br />

nach Ende des Gegenverkehrs unmittelbar die Fahrt fortsetzen<br />

wird. Hat der Wieder<strong>an</strong>fahrende den linken Blinker eingeschaltet,<br />

muss aufgrund dieses eindeutigen Anzeichens mit dem<br />

Ausscheren gerechnet und zurückgeblieben werden. Überholt<br />

der Nachfolgende dennoch, h<strong>an</strong>delt er leichtfertig verkehrswidrig.<br />

26 Zumindest von einem fahrlässigen Überholen trotz<br />

unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO) ist auszugehen.<br />

1.6 Ordnungswidrigkeiten und Straftaten<br />

Ordnungswidrig nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 StVO und § 24 StVG<br />

h<strong>an</strong>delt derjenige, der entgegen<br />

■ § 6 Satz 1 StVO erkennbaren und d<strong>an</strong>n bevorrechtigten<br />

Gegenverkehr nicht durchfahren lässt, also wesentlich behindert.<br />

Diese Behinderung ist (ungeschriebenes) Tatbest<strong>an</strong>dsmerkmal,<br />

folglich findet § 1 Abs. 2 StVO nur <strong>bei</strong> einer<br />

Gefährdung bzw. Schädigung tateinheitlich Anwendung;<br />

■ § 6 Satz 2 StVO den nachfolgenden Verkehr nicht beachtet<br />

und/oder das Ausscheren und/oder das Wiedereinscheren<br />

nicht <strong>an</strong>kündigt.<br />

Der Regelsatz der Geldbuße beträgt laut Nr. 30 – 30.2 Bußgeldkatalogverordnung<br />

(BKatV, St<strong>an</strong>d 12/2001) <strong>bei</strong> einem (fahrlässigen)<br />

Verstoß gegen § 6 Satz 1 StVO 20 €; mit Gefährdung<br />

30 €, mit Sachbeschädigung (Verkehrsunfall) 35 €, jeweils in<br />

Tateinheit mit § 1 Abs. 2 StVO.<br />

Für das Nicht<strong>an</strong>zeigen des Ausscherens vor der Weiterfahrt<br />

und das Nicht<strong>an</strong>kündigen des Wiedereinordnens nach Vor<strong>bei</strong>fahrt<br />

<strong>an</strong> dem Hindernis – Fahrtrichtungs<strong>an</strong>zeiger nicht wie<br />

in § 6 Satz 2 StVO vorgeschrieben benutzt – ist in Nr. 29 BKatV<br />

ein Regelsatz von 10 € vorgesehen. Das Ausscheren zum Weiterfahren,<br />

wodurch der Nachfolgende wesentlich behindert,<br />

gefährdet oder geschädigt wird, ist in der BKatV nicht als Bußgeldtatbest<strong>an</strong>d<br />

des § 6 Satz 2 StVO erfasst. Da in § 6 Satz 2 StVO<br />

ausdrücklich gesagt wird, dass sich der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de <strong>bei</strong>m<br />

Ausscheren im übrigen wie der Überholwillige zu verhalten<br />

hat, 27 spricht nichts dagegen, <strong>an</strong>alog den Regelsatz von 40 €<br />

<strong>bei</strong> Gefährdung des Nachfolgenden nach Nr. 22 BKatV <strong>an</strong>zuwenden.<br />

H<strong>an</strong>delt der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den grob verkehrswidrig und rücksichtslos<br />

wodurch der Entgegenkommende konkret gefährdet<br />

wird, 28 ist der objektive Straftatbest<strong>an</strong>d der Straßenverkehrsgefährdung<br />

zu prüfen, da nach überwiegender Rechtsmeinung<br />

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB einen erweiterten Vorfahrtbegriff<br />

umfasst, wozu nach herrschender Meinung u. a.<br />

auch Vorr<strong>an</strong>gfälle nach § 6 StVO zählen. 29<br />

2. Die (un-)<strong>an</strong>gemessene Geschwindigkeit des<br />

Entgegenkommenden<br />

Die Unfallpraxis zeigt, dass es auf gerader Strecke, also <strong>bei</strong><br />

übersichtlichen Engstellen, relativ selten zu einem Konflikt<br />

zwischen dem am Hindernis <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den und dem Entgegenkommenden<br />

kommt. Die sich begegnenden Fahrzeugführer<br />

können sich frühzeitig sehen und sich dementsprechend<br />

4 4 4 | S VR 12/2006<br />

richtig verhalten. Kommt es dennoch zu einem Verkehrsunfall,<br />

spricht die Sachlage gegen denjenigen, der unter Benutzung<br />

des Gegenfahrstreifens <strong>an</strong> einem Hindernis vor<strong>bei</strong>fuhr,<br />

ohne den Vorr<strong>an</strong>g des Entgegenkommenden zu beachten. Ein<br />

unfallursächlicher Verstoß gegen § 6 Satz 1 StVO ist offenkundig.<br />

Schwieriger aufzuklären sind die überwiegenden Kollisionen<br />

<strong>an</strong> unübersichtlichen Straßenstellen (siehe dazu nachfolgend<br />

Nr. 3), speziell in nicht einsehbaren Kurven, wenn die Fahrbahn<br />

durch haltende oder parkende (Groß-)Fahrzeuge soweit<br />

eingeengt ist, so dass gefahrloses Begegnen nicht mehr möglich<br />

ist. Wie bereits vor unter Nr. 1.3 klargestellt, darf entsprechend<br />

l<strong>an</strong>gsam, u. U. nur mit Schrittgeschwindigkeit <strong>an</strong> dem<br />

Hindernis vor<strong>bei</strong>gefahren werden, um <strong>bei</strong> Auftauchen des entgegenkommenden<br />

Fahrzeugs sofort <strong>an</strong>halten und diesem den<br />

notwendigen Anhaltweg einräumen zu können.<br />

Dieses durch besondere Sorgfaltspflicht eingeschränkte Recht<br />

des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den korrespondiert mit einer dem § 3 Abs. 1<br />

StVO entsprechenden Annäherungsgeschwindigkeit des Entgegenkommenden.<br />

Fährt dieser un<strong>an</strong>gemessen zu schnell, ist<br />

die Kollision trotz verkehrsgerechtem Verhalten des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den<br />

quasi vorprogrammiert. Bei Unübersichtlichkeit muss<br />

der Entgegenkommende daher zwingend seine Geschwindigkeit<br />

dem Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO <strong>an</strong>passen.<br />

Fahren auf Sichtweite bedeutet für den Entgegenkommenden,<br />

dass er in der Lage sein muss, vor einem Hindernis, hier vor<br />

dem bereits stehengebliebenen <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den, innerhalb<br />

der überschaubaren Strecke ohne eine potenziell gefährliche<br />

Vollbremsung <strong>an</strong>halten zu können. 30 Beim Befahren einer<br />

Bergkuppe reicht die Sicht nur so weit, wie die Fahrbahnoberfläche<br />

selbst überblickt werden k<strong>an</strong>n. Eine Kurve gilt d<strong>an</strong>n als<br />

unübersichtlich, wenn <strong>bei</strong> der Kurveneinfahrt der Kurvenausg<strong>an</strong>g<br />

nicht einsehbar ist. In einer Linkskurve reicht die Sicht<br />

bis zum äußersten Punkt des rechten Fahrstreifens, in einer<br />

Rechtskurve bis zu deren äußersten noch sichtbaren linken<br />

Punkt der Straßenkrümmung. Da<strong>bei</strong> kommt es auf die tatsächliche<br />

Fahrspur innerhalb des Fahrstreifens <strong>an</strong>, was <strong>bei</strong> der<br />

Sichtweiten<strong>an</strong>alyse zu beachten ist; siehe dazu weiter unten<br />

Nr. 8.<br />

Der Entgegenkommende darf gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO im<br />

Übrigen nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig<br />

beherrscht. Daraus ergibt sich, dass der Entgegenkommende<br />

seine Geschwindigkeit so wählen muss, dass er nicht nur<br />

innerhalb der Sichtweite <strong>an</strong>halten k<strong>an</strong>n, sondern bedingt zusätzlich,<br />

dass das Ausbrechen oder Weiterrutschen des Fahrzeugs<br />

in Kurven verhindert wird. Leitet der Entgegenkommende<br />

<strong>bei</strong> Erkennen des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den eine Vollbremsung ein,<br />

infolgedessen er in einer Rechtskurve über die Fahrbahnmitte<br />

26 LG Wiesbaden StVE § 6 StVO Nr. 8.<br />

27 Worauf die amtliche Begründung besonders hinweist.<br />

28 Zu diesen Tatbest<strong>an</strong>dsmerkmalen ausführlich J<strong>an</strong>iszewski <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n<br />

§ 315c StGB Nr. 284ff.<br />

29 Burm<strong>an</strong>n <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 315c StGB Nr. 21 mit weiteren<br />

Nachweisen; Cramer § 315c StGB Nr. 18; J<strong>an</strong>iszewski, Verkehrsstrafrecht 5.<br />

Auflage, § 315c StGB Nr. 270; <strong>an</strong>dere Meinung Hentschel § 315c StGB Nr. 29,<br />

wonach diese Strafnorm nur „echte“ Vorfahrtfälle nach § 8 Abs. 2 StVO umfasst<br />

und keine Vorr<strong>an</strong>gfälle wie nach § 6 Satz 1 StVO.<br />

30 Ausführlicher zum „Fahren auf Sicht“ der Verfasser in „Polizei + Verkehrssicherheit“<br />

Heft 1/2002 Seite 21 – 33 mit weiteren Nachweisen; siehe auch Burm<strong>an</strong>n<br />

<strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 3 StVO Nr. 4ff; Hentschel § 3 StVO<br />

Nr. 14ff.


hinaus weiterrutscht und gegen das nach rechts einscherende<br />

Fahrzeug <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den stößt, indiziert dies Nichtbeherrschbarkeit<br />

des Fahrzeugs i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO.<br />

Allgemein dürfen Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass<br />

jeder Fahrzeugführer mit einer der Sichtweite <strong>an</strong>gepassten<br />

Geschwindigkeit fährt. 31 Darauf gründet auch die Regelung,<br />

dass derjenige, der vor einer unübersichtlichen Kurve <strong>an</strong> dem<br />

Hindernis links vor<strong>bei</strong>fahren muss, darauf vertrauen darf, dass<br />

ein aus der Kurve entgegenkommender Kraftfahrer seine Geschwindigkeit<br />

der Sichtweite gemäß § 3 Abs. 1 S. 4 StVO <strong>an</strong>passt.<br />

32 Eine gewisse, nicht übermäßige Überschreitung der<br />

zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach § 3 Abs. 3 StVO muss<br />

der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de allerdings einkalkulieren, 33 ohne mit<br />

überschneller Annäherung rechnen müssen. 34 Der Entgegenkommende<br />

haftet mit, wenn er wegen parkender Fahrzeuge<br />

auf der <strong>an</strong>deren Straßenseite oder wegen <strong>an</strong>derer Hindernisse<br />

mit Gegenverkehr auf seinem Fahrstreifen rechnen muss und<br />

nicht auf Sicht fährt. 35<br />

3. Mitunfallursächliches verbotenes Halten oder Parken<br />

§ 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO verbietet das Halten <strong>an</strong> engen und unübersichtlichen<br />

Straßenstellen. Eine unübersichtliche Straßenstelle<br />

liegt vor, wenn der Überblick und die umgebende Örtlichkeit<br />

behindert ist und der Fahrer (hier der am Hindernis<br />

<strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de) infolgedessen den Straßenverkehr nicht vollständig<br />

überblicken, Gefahren nicht rechtzeitig bemerken und<br />

deshalb nicht beurteilen k<strong>an</strong>n, ob seine Fahrbahn auf der jetzt<br />

zu befahrenden Strecke frei ist. 36 Nicht nur die übliche Sichteinschränkung<br />

in Kurvenbereichen macht die Straßenstelle<br />

unübersichtlich. Eine unübersichtliche Stelle liegt auch (auf<br />

gerader Strecke) vor, wenn wegen Nebels die Sichtweite erheblich<br />

verringert ist. 37 Selbst ein nicht nur kurzfristig parkendes<br />

(Groß-)Fahrzeug k<strong>an</strong>n eventuell die Sicht verdecken und damit<br />

die Fahrbahn unübersichtlich machen. 38<br />

Die (vorsätzlich beg<strong>an</strong>gene!) Ordnungswidrigkeit nach § 12<br />

Abs. 1 Satz 1 StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO liegt bereits<br />

<strong>bei</strong> bloßem Halten oder Parken <strong>an</strong> einer verbotenen (unübersichtlichen)<br />

Stelle vor, ohne dass dadurch der übrige Verkehr<br />

beeinträchtigt wird. Kommt es zu einer konkreten wesentlichen<br />

Behinderung oder Gefährdung, besteht Tateinheit mit<br />

§ 1 Abs. 2 StVO. Darüber hinaus wird das verbotene Halten<br />

oder Parken <strong>bei</strong> der hier erörterten Sachlage in der Regel für<br />

einen Verkehrsunfall mitursächlich sein. 39 Die Kausalität lässt<br />

sich damit begründen, dass ohne das verbotene Halten/Parken<br />

kein Hindernis <strong>an</strong> unübersichtlicher Stelle zur Vor<strong>bei</strong>fahrt auf<br />

den Gegenfahrstreifen, auf dem es zur Kollision kam, gezwungen<br />

hätte. Vereinfacht gesagt: Ohne das „Falschparken“ auch<br />

kein Verkehrsunfall.<br />

Daraus folgt, dass <strong>bei</strong> einem Verkehrsunfall, derjenige, der<br />

durch verbotenes Halten oder Parken den Verkehrsablauf<br />

nicht nur unwesentlich erschwert hat, als „Unfallbeteiligter“<br />

zu erfassen und sein Fehlverhalten entsprechend der nach Art<br />

und Ausmaß des Verstoßes differenzierten Bußgeldsätze der<br />

BKatV zu ahnden ist. Als indirekter Unfallbeteiligter i.S.v. von<br />

§ 142 Abs. 5 StGB kommt der „Falschparkende“ allerdings nur<br />

in Betracht, wenn er selbst zum Unfallzeitpunkt am Unfallort<br />

ist, und Kenntnis vom Verkehrsunfall hat. Befindet sich der<br />

Heinrich, <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> <strong>Hindernissen</strong> | A U F S ÄT Z E<br />

Unfallbeteiligte zur Unfallzeit nicht am Unfallort, hat er selbst<br />

d<strong>an</strong>n keine Pflichten nach § 142 StGB zu erfüllen, wenn er zum<br />

Unfallort zurückkommt, währenddessen sich die übrigen Unfallbeteiligten<br />

noch am Unfallort befinden bzw. die polizeiliche<br />

Unfallaufnahme noch nicht abgeschlossen ist. 40<br />

4. Einseitige Fahrbahnverengung erlaubt Begegnungsverkehr<br />

Ist die Fahrbahn vorübergehend einseitig verengt, jedoch Begegnungsverkehr<br />

ohne wesentliche Behinderung des Entgegenkommenden<br />

möglich, findet § 6 StVO keine Anwendung,<br />

da keine Ver<strong>an</strong>lassung zum Abwarten vor dem Hindernis besteht.<br />

41 Da<strong>bei</strong> ist es gleichgültig, ob das Fahrzeug, auf dessen<br />

Seite sich das Hindernis befindet, die Gegenfahrbahn mitbenutzen<br />

muss. 42 Der Entgegenkommende ist verpflichtet, auszuweichen<br />

und sich („scharf“) rechts zu halten. Kommt er dem<br />

nicht nach und kommt es dadurch zu einem Zusammenstoß,<br />

ist dem <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den kein Verstoß gegen § 6 StVO, sondern<br />

allenfalls gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, wenn dieser <strong>bei</strong>m<br />

Einfahren in die Engstelle nicht die gebotene Sorgfalt beachtet<br />

hat. 43 In einem solchen Ausnahmefall, wenn mit alsbaldiger<br />

Beseitigung des Hindernisses nicht zu rechnen und eine Gefährdung<br />

des Entgegenkommenden ausgeschlossen ist, darf<br />

die durchgehende Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295 nach<br />

§ 41 Abs. 3 Nr. 3 StVO) überfahren bzw. links von ihr gefahren<br />

werden. 44 Der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de ist jedoch verpflichtet, keinesfalls<br />

mehr <strong>an</strong> die Mittelinie (Fahrstreifenbegrenzung nach Zeichen<br />

340 oder Zeichen 295) her<strong>an</strong>zufahren oder diese sogar zu<br />

überfahren, wenn sich aus Gegenrichtung schon ein Fahrzeug<br />

<strong>an</strong> oder teilweise jenseits der Mittellinie nähert. Der <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de<br />

darf also nicht darauf vertrauen, der Entgegenkommende<br />

werde schon weit genug rechts fahren oder nach rechts<br />

ausweichen. 45<br />

5. Beidseitige vorübergehende Fahrbahnverengung<br />

Auf diesen Fall ist § 6 StVO ebenfalls nicht <strong>an</strong>wendbar. Hier<br />

greift zumindest § 1 StVO, neben § 2 StVO (Rechtsfahrgebot)<br />

und § 3 Abs. 1 StVO (<strong>an</strong>gemessene Geschwindigkeit). 46 Zu unterscheiden<br />

sind da<strong>bei</strong> folgende Konstellationen.<br />

31 Burm<strong>an</strong>n <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 3 StVO Nr. 19.<br />

32 Cramer § 6 StVO Nr. 19 mit Verweis auf OLG Düsseldorf VRS 35, 53.<br />

33 Hentschel § 3 StVO Nr. 51/52 mit Verweis auf OLG Karlsruhe VRS 44, 46.<br />

34 Hentschel § 3 StVO Nr. 51/52 zum Vertrauen des nach § 8 (2) StVO Wartepflichtigen<br />

gegenüber eines noch nicht sichtbaren Vorfahrtberechtigten.<br />

35 Hentschel § 6 StVO Nr. 4 mit Verweis auf OLG Hamm NZV 95, 27.<br />

36 Berr/Hauser/Schäpe, Das Recht des ruhenden Verkehrs 2. Auflage, Nr. 30 mit<br />

weiterenNachweisen.<br />

37 Berr/Hauser/Schäpe Nr. 31 mit weiteren Nachweisen.<br />

38 OLG Br<strong>an</strong>denburg DAR 04, 283; VD 04, 76.<br />

39 U.a OLG Köln NZV 91, 471; AG Lörrach vom 16. 01. 91 <strong>bei</strong> Berr/Hauser/Schäpe<br />

Fußn. 93 zu Nr. 57.<br />

40 Himmelreich/Bücken, Verkehrsunfallflucht 3. Auflage, Nr. 205, 206 mit weiteren<br />

Nachweisen.<br />

41 Cramer § 6 StVO Nr. 11 mit Verweis auf BGH VersR 61, 545; BayObLG DAR 65,<br />

81.<br />

42 Cramer § 6 StVO Nr. 11 mit Verweis auf BayObLG DAR 69, 109.<br />

43 OLG Düsseldorf StVE § 6 StVO Nr. 6.<br />

44 Hentschel § 41 StVO Erl. zu Zeichen 295 mit Verweis u. a. auf OLG Hamm<br />

VRS 21, 67.<br />

45 OLG Celle StVE § 6 StVO Nr. 7.<br />

46 OLG Zweibrücken StVE § 6 StVO Nr. 5.<br />

S VR 12/2006 | 4 45


A U F S ÄT Z E | Heinrich, <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong> <strong>an</strong> <strong>Hindernissen</strong><br />

5.1 Beidseitig verengte Fahrbahn erlaubt Begegnungsverkehr<br />

Bleibt <strong>bei</strong> <strong>bei</strong>dseitiger Verengung genügend Raum, um diesen<br />

gleichzeitig mit dem Gegenverkehr passieren zu können, d<strong>an</strong>n<br />

müssen sich die Entgegenkommenden die zur Verfügung stehende<br />

(Rest-)Fahrbahnbreite, u.U. durch Ausweichen, gleichmäßig<br />

teilen. 47 Erforderlichenfalls ist die Geschwindigkeit bis<br />

auf Schritttempo zu senken, um <strong>bei</strong> vermindertem Seitenabst<strong>an</strong>d<br />

<strong>an</strong>ein<strong>an</strong>der vor<strong>bei</strong>zukommen. Es ist unerheblich, ob<br />

ein Fahrer eine vorh<strong>an</strong>dene Mittellinie überfahren muss oder<br />

nicht. Diese hat praktisch keine Bedeutung. Die sich begegnenden<br />

Fahrzeugführer müssen sich <strong>an</strong> einer „neuen“ gedachten<br />

Mittellinie halten, die sich wiederum <strong>an</strong> der Breite der Engstelle<br />

orientiert. 48 Da<strong>bei</strong> muss derjenige, der ausweichen k<strong>an</strong>n, den<br />

darauf <strong>an</strong>gewiesen Entgegenkommenden eine Überschreitung<br />

der ursprünglich gezogenen Mittellinie ermöglichen (Rechtsfahr-<br />

bzw. Ausweichgebot nach § 2 Abs. 2 StVO). Allerdings bedeutet<br />

dies nicht, dass der <strong>an</strong> einem Hindernis links <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>der<br />

blindlings und ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr<br />

dessen Fahrbahnseite in Anspruch nehmen k<strong>an</strong>n. Er muss<br />

vielmehr sicher sein, dass der Entgegenkommende nicht wesentlich<br />

behindert und schon gar nicht gefährdet wird. Diese<br />

Verpflichtung ergibt sich aus § 1 Abs. 2 StVO.<br />

5.2 Beidseitig verengte Fahrbahn erlaubt keinen Begegnungsverkehr<br />

Bei dieser Situation sind wiederum zwei Vari<strong>an</strong>ten zu unterscheiden.<br />

Reicht die Restbreite für ein gefahrloses Begegnen<br />

nicht aus, so hat das Vorrecht zur Durchfahrt derjenige, der<br />

den Gegenfahrstreifen nicht in Anspruch nehmen muss, während<br />

der Entgegenkommende wartepflichtig ist. 49 Müssen dagegen<br />

<strong>bei</strong>de den Gegenfahrstreifen benutzen, so hat derjenige<br />

Vorr<strong>an</strong>g, der zuerst die Engstelle erreicht hat. 50 Anderenfalls<br />

ist Verständigung erforderlich. 51 Wird eine bereits <strong>bei</strong>dseitig<br />

verengte, jedoch für <strong>bei</strong>de Fahrrichtungen dennoch passierbare<br />

Engstelle (z. B. aufgehäufte Schneewälle), durch ein parkendes<br />

Fahrzeug ein zusätzliches Hindernis gebildet, wo<strong>bei</strong> die<br />

verbleibende Restfahrbahnbreite kein gefahrloses Begegnen<br />

erlaubt, hat sich der am Parkfahrzeug <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>de nach § 6<br />

S. 1 StVO zu verhalten. 52<br />

6. Dauernde (bauliche) Verengung<br />

Eine Spezialregelung für das Verhalten <strong>bei</strong> dauernder (baulicher)<br />

Verengung kennt die StVO nicht. Bei Baustellen mit Bauzaun<br />

53 oder schmalen Brücken oder baulicher Einengung (z. B.<br />

Pfl<strong>an</strong>zbeet oder Straßenrückbau), wo ein Teil der Fahrbahn auf<br />

längere Zeit oder dauernd abgesperrt wird, regelt sich die Benutzung<br />

der Restfahrbahn nicht nach § 6 StVO. Sind keine Verkehrszeichen<br />

54 aufgestellt, hat Vorr<strong>an</strong>g, wer die Engstelle mit<br />

deutlichem Vorsprung als erster erreicht. Er muss aber auf Gegenverkehr<br />

entsprechend Rücksicht nehmen. Wird erk<strong>an</strong>nt,<br />

dass der Vorr<strong>an</strong>g missachtet wird, muss zurückgeblieben werden.<br />

55 Erreichen <strong>bei</strong>de die Engstelle gleichzeitig, müssen sich<br />

die Fahrzeugführer verständigen, d. h. keiner hat Vorr<strong>an</strong>g. 56<br />

Vorr<strong>an</strong>g <strong>bei</strong> einer Fahrbahnverengung <strong>bei</strong> Wegfall eines gleichgerichteten<br />

Fahrstreifens wird nicht durch § 6 StVO geregelt,<br />

4 46 | S VR 12/2006<br />

sondern durch den „Reißverschluss“ nach § 7 Abs. 4 StVO. Zu<br />

beachten ist das Gefährdungsverbot nach § 7 Abs. 5 StVO.<br />

7. Begegnen <strong>bei</strong> (einseitig) verengtem Straßenzug<br />

Ist eine Fahrbahn über längere Strecke (einseitig) zugeparkt,<br />

greift § 6 StVO nicht ein, da das die Fahrbahn verengende<br />

Hindernis nicht lokal eng begrenzt ist. Der fließende Verkehr<br />

muss sich die vorh<strong>an</strong>dene Fahrbahnbreite teilen. Es ist möglichst<br />

weit rechts und mit <strong>an</strong>gemessener Geschwindigkeit zu<br />

fahren, erforderlichenfalls fahren „auf halbe Sicht“ nach § 3<br />

Abs. 1 Satz 5 StVO. Diese Regelung gilt z.B. auch <strong>bei</strong> längerer<br />

Fahrbahnverengung durch <strong>an</strong>gehäuften Schneewall. Bei längeren<br />

Parkreihen, wo mal auf der einen Seite, mal auf der <strong>an</strong>deren<br />

Seite eine Lücke frei ist, muss jeweils der ausweichen, auf<br />

dessen Seite Ausweichen möglich ist. 57 Das Rechtsausweichen<br />

ist <strong>an</strong> sich schon eine Verpflichtung aus dem Rechtsfahrgebot<br />

nach § 2 Abs. 2 StVO. Es kommt <strong>bei</strong> dieser Sachlage vor allem<br />

d<strong>an</strong>n in Betracht, wenn <strong>an</strong>sonsten gefahrloses Begegnen nicht<br />

möglich wäre. Wird auf einer Fahrbahnseite Parken erlaubt,<br />

wird auf der gegenüberliegenden Seite regelmäßig das Parken<br />

durch Verkehrszeichen verboten sein, um eine ausreichende<br />

Restfahrbahnbreite für gefahrloses, wenn auch l<strong>an</strong>gsames Begegnen<br />

zu gewährleisten. Ist die Engstelle unübersichtlich und<br />

konnten sich <strong>bei</strong>de vorher nicht sehen und ist <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong><br />

selbst mit Schrittgeschwindigkeit und <strong>bei</strong> geringsten Seitenabständen<br />

nicht möglich, so muss der Beweglichere oder der den<br />

kürzeren Rückweg oder niem<strong>an</strong>d hinter sich hat, zurücksetzen.<br />

Bei einer Engstelle auf einer Bergstrecke muss der Fahrer<br />

ausweichen, dessen R<strong>an</strong>dstreifen nicht am abfallenden H<strong>an</strong>g,<br />

sondern <strong>an</strong> der <strong>an</strong>steigenden Böschung verläuft. Im übrigen<br />

ist gegenseitige Verständigung geboten. 58<br />

8. Beweissicherung – Technische Unfallaufklärung<br />

Die Schwierigkeit, einen (Begegnungs-)Unfall im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

mit den in diesem Beitrag illustrierten Sachlagen technisch<br />

rekonstruieren, also das tatsächliche Geschehen authentisch<br />

wieder sichtbar und zur Grundlage der rechtlichen<br />

Bewertung zu machen, wurde bereits in der Vorbemerkung<br />

<strong>an</strong>gerissen. Grundvoraussetzung dafür ist, neben der umfassenden<br />

Sicherung aller Spuren auf der Fahrbahn und <strong>an</strong> den<br />

beteiligten Unfallfahrzeugen, die exakte maßgenaue und foto-<br />

47 Hentschel § 6 StVO Nr. 5, Burm<strong>an</strong>n <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 2 StVO<br />

Nr. 76 mit Verweis auf KG Berlin VRS 91, 465.<br />

48 OLG Schleswig StVE § 6 StVO Nr. 11 <strong>bei</strong> Schneeverwehungen.<br />

49 OLG Zweibrücken StVE § 6 StVO Nr. 5 mit weiteren Nachweisen.<br />

50 OLG Hamm StVE § 6 StVO Nr. 2<br />

51 Burm<strong>an</strong>n <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 2 StVO Nr. 76.<br />

52 OLG Schleswig StVE § 6 StVO Nr. 11.<br />

53 OLG Hamm StVE § 6 StVO Nr. 9.<br />

54 So Zeichen 208 = Dem Gegenverkehr Vorr<strong>an</strong>g gewähren und aus der Gegenrichtung<br />

Zeichen 308 = Vorr<strong>an</strong>g vor dem Gegenverkehr.<br />

55 OLG Hamm NZV 97, 479.<br />

56 Amtliche Begründung abgedruckt <strong>bei</strong> Hentschel § 6 StVO.<br />

57 Burm<strong>an</strong>n <strong>bei</strong> J<strong>an</strong>iszewski/Jagow/Burm<strong>an</strong>n § 2 StVO Nr. 70.<br />

58 OLG Saarbrücken VerkMitt 75 Nr. 46.


Geiger, Bedeutung von Nachschulungskursen für Er werb oder Erhalt von Fahrerlaubnissen | A U F S ÄT Z E<br />

grafische Dokumentation der geometrischen Unfallörtlichkeit<br />

einschließlich der Einlaufwege der unfallbeteiligten Fahrzeuge<br />

bis zum (bek<strong>an</strong>nten oder mutmaßlichen) Kollisionspunkt. Fehlen<br />

solche objektive Daten, wird die Unfallaufklärung schon<br />

im Ansatz scheitern. Im einzelnen sind, je nach Unfalltyp, folgende<br />

Erhebungen zu treffen:<br />

■ Gesamtfahrbahnbreite ohne Hindernis<br />

■ befahrbarer Seitenstreifen in Richtung des Entgegenkommenden<br />

■ Restdurchfahrbreite in der Engstelle<br />

■ Art, Größe, Höhe und St<strong>an</strong>dort/Lage des Hindernisses, z. B.<br />

haltendes/parkendes Fahrzeug (PKW, LKW, Omnibus) einmessen<br />

und fotografieren<br />

■ Breite über alles der unfallbeteiligten Fahrzeuge<br />

■ Ist aufgrund dieser Daten Begegnungsverkehr objektiv möglich,<br />

wenn auch <strong>bei</strong> mäßiger Geschwindigkeit und reduzierten<br />

Seitenabständen, greift § 6 StVO nicht ein!<br />

■ Sichtweite vom Sichtpunkt des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den <strong>bei</strong> Beginn<br />

dessen <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>s messen und fotografieren, Aufnahmen<br />

aus Unfall- oder Vergleichsfahrzeug<br />

■ Übersichtsfoto aus der Gegenrichtung, Kurvensichtweite<br />

des Entgegenkommenden (Sichtfahrgebot nach § 3 Abs.1<br />

Satz 4 StVO)<br />

■ Bestimmung des ersten Sichtkontaktes: Wie weit waren die<br />

(späteren) Unfallbeteiligten vonein<strong>an</strong>der entfernt, als sie<br />

sich erstmals sehen konnten?<br />

■ Kollisionspunkt bezogen auf Fahrbahnlängs- und querachse<br />

feststellen; aus Fahrtrichtung des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den: Schon<br />

<strong>bei</strong> Einfahrt in die Engstelle, während der Durchfahrt oder<br />

erst <strong>bei</strong>m Verlassen der Engstelle bzw. <strong>bei</strong>m Wiedereinscheren<br />

nach rechts<br />

■ Überdeckungsbreite der (frontalen) Anstoßzonen<br />

■ Art und Ausmaß der Beschädigungen, Deformationstiefe als<br />

Funktion der Anstoßgeschwindigkeit<br />

■ Beschädigungsrichtung/Kollisionswinkel (gerade/schräg)<br />

■ Alle sonstigen Spuren und fallbezogenen Anknüpfungstatsachen<br />

wie Glassplitter, abgerissene Fahrzeugteile, (Original-)Endstände<br />

der Unfallfahrzeuge, unfallrelev<strong>an</strong>te Verkehrszeichen<br />

(Geschwindigkeitsbeschränkung) oder die<br />

Sicherstellung des Fahrtschreiber-Schaublattes aus LKW<br />

(Geschwindigkeits-/Verzögerungsaufschrieb)<br />

■ Anfahrbeschleunigung, besonders <strong>bei</strong> (beladenen) Schwerfahrzeugen<br />

■ St<strong>an</strong>dort von und Aufmerksamkeitsauslösung <strong>bei</strong> Zeugen.<br />

Besonders zu untersuchen ist die Vorunfallphase, also das Fahr-<br />

und Reaktionsverhalten der (späteren) Unfallbeteiligten bis zur<br />

Kollision. Die Vermeidbarkeit einer Begegnungskollision <strong>bei</strong><br />

Unübersichtlichkeit <strong>bei</strong> Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit<br />

durch den Entgegenkommenden ist stark abhängig<br />

von der konkreten Gestaltung des Ein-/Durchfahrvorg<strong>an</strong>gs des<br />

<strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den sowie von dessen Wegstrecke bis zur Kollision.<br />

Eine frühzeitige Kollision zu Beginn des Einfahrvorg<strong>an</strong>gs<br />

spricht eher gegen den <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den, dass der Entgegenkommende<br />

sichtbar gewesen ist. Anders jedoch, wenn sich die<br />

Kollision erst unmittelbar vor oder <strong>bei</strong>m Wiedereinscheren<br />

des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>den ereignet. Für diesen könnte d<strong>an</strong>n der<br />

Entgegenkommende <strong>bei</strong> Beginn des <strong>Vor<strong>bei</strong>fahren</strong>s noch nicht<br />

sichtbar gewesen sein. Gestützt auf die festgestellte Sichtweite<br />

ist mittels einer Weg-Zeit-Berechnung zu versuchen, das Annäherungsverhalten<br />

der Unfallgegner zu koordinieren, ob für<br />

einen der <strong>bei</strong>den eine Vermeidbarkeitsch<strong>an</strong>ce best<strong>an</strong>d. Stehen<br />

aus der Vorkollisionsphase jedoch keinerlei Spurenbefunde<br />

zur Verfügung, k<strong>an</strong>n weder die Annäherungsgeschwindigkeit<br />

noch ein geschwindigkeitsreduzierendes Bremsm<strong>an</strong>över<br />

(technisch) nachgewiesen werden (außer <strong>bei</strong> LKW mit Schaublattaufzeichnung).<br />

Daraus folgt, dass als Nachweisgrenze für<br />

die Annäherungsgeschwindigkeiten die zu ermittelnden Kollisionsgeschwindigkeiten<br />

zugrundegelegt werden müssten.<br />

Deren Analyse erfordert allerdings aufwendige Rechen- und<br />

Rekonstruktionsverfahren, die <strong>bei</strong> einem bloßen Sachschadenunfall<br />

normalerweise aus ermittlungsökonomischen Gründen<br />

kaum zu vertreten sind. Bleiben Ursachen und Herg<strong>an</strong>g<br />

des Unfalls unklar, wird eine Einstellung des Verfahrens in Erwägung<br />

zu ziehen sein.<br />

Die Bedeutung von Nachschulungskursen für Erwerb<br />

oder Erhalt von Fahrerlaubnissen<br />

von Harald Geiger, Präsident des VG München<br />

I. Problemstellung<br />

Die Straßenverkehrsordnung 1 und die Fahrerlaubnis-Verordnung<br />

2 sehen <strong>an</strong> verschiedenen Stellen vor, dass der Fahrerlaubnisinhaber<br />

oder Fahrerlaubnisbewerber sich Schulungsmaßnahmen<br />

unterziehen k<strong>an</strong>n oder muss. Da<strong>bei</strong> sind – jeweils<br />

bezogen auf unterschiedliche rechtliche Situationen – verschiedene<br />

Arten von Schulungsmaßnahmen vorgesehen. Die<br />

Rechtsfolgen sind da<strong>bei</strong> durchaus differenziert ausgestaltet.<br />

D<strong>an</strong>eben gibt es auch noch weitere Schulungs<strong>an</strong>gebote, deren<br />

tatsächliche Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Im Folgenden<br />

soll auf die einzelnen Arten von Schulungskursen eingeg<strong>an</strong>gen<br />

werden.<br />

1 In der Fassung der Bek<strong>an</strong>ntmachung vom 5. 3. 2003, BGBl I S. 310, zuletzt<br />

geändert durch Gesetz vom 10. 7. 2006, BGBl I S. 1458 (StVG).<br />

2 Vom 18. 8. 1998, BGBl I S. 2314, zuletzt geändert durch Verordnung v. 14. 6.<br />

2006, BGBl I S. 1329 (FeV).<br />

S VR 12/2006 | 4 47

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