ZWISCHEN ZWEI WELTEN - background-verlag.de
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INTERVIEW<br />
82<br />
Waris Dirie wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />
Wüste Afrikas geboren -<br />
und ist eine Nomadin<br />
geblieben. Ihr Erfolg als<br />
Mo<strong>de</strong>l und ihr Engagement<br />
für die Menschenrechte<br />
machten sie weltberühmt,<br />
aber sie ist eine Getriebene,<br />
die zwischen <strong>de</strong>n<br />
ulturen steht<br />
<strong>ZWISCHEN</strong><br />
<strong>ZWEI</strong> <strong>WELTEN</strong><br />
Eben noch hat Waris Dirie ihr<br />
neues Buch „Schwarze Frau,<br />
weißes Land“ in Berlin vorgestellt,<br />
jetzt wartet sie in Adis<br />
Abeba auf die notwendigen Visa, um<br />
ihre sechs Nichten, die zwischen drei<br />
und elf Jahre alt sind, nach Europa<br />
mitzunehmen.<br />
BACKGROUND: Frau Dirie, Sie sind<br />
zurzeit in Addis Abeba und kämpfen<br />
um ihre Nichten, die von Genitalver-<br />
stümmelung (Female Genital Mutilation<br />
- FGM) bedroht sind. Wie ist die<br />
aktuelle Situation?<br />
DIRIE: Es ist so schwer, FGM auszurotten,<br />
dass sogar meine Schwägerin, die<br />
in <strong>de</strong>r Somali-Wüste lebt, plant, ihre<br />
Töchter zu verstümmeln. Ich konnte<br />
sie überzeugen, dass ich die Mädchen<br />
zur Schule schicken wer<strong>de</strong>, damit sie<br />
besser zum Einkommen <strong>de</strong>r Familie<br />
beitragen können. Die bei<strong>de</strong>n haben<br />
wegen <strong>de</strong>s Bürgerkrieges keinen Zu-<br />
tritt zur Schule in Somalia. Deshalb<br />
wer<strong>de</strong> ich sie zuerst nach Europa bringen<br />
und später an einen sicheren Platz<br />
in Afrika, wo ich dann leben möchte.<br />
BACKGROUND: In ihrem Buch<br />
„Schmerzenkin<strong>de</strong>r“ berichten Sie davon,<br />
dass auch in Deutschland und<br />
Europa immer mehr Mädchen und<br />
Frauen beschnitten wer<strong>de</strong>n. Wie sind<br />
Sie auf dieses Problem aufmerksam<br />
gewor<strong>de</strong>n?<br />
BACKGROUND 03/2010
DIRIE: Ich lebte in New York, London<br />
und Cardiff und hörte, dass FGM in<br />
vielen Gemeinschaften Afrikas ausgeübt<br />
wird. Während meiner Zeit in Cardiff<br />
erzählte mir ein somalischer<br />
Freund von <strong>de</strong>r Beschneidung eines<br />
kleinen Mädchens, das in <strong>de</strong>r Notaufnahme<br />
eines Krankenhauses en<strong>de</strong>te;<br />
allerdings mel<strong>de</strong>te niemand <strong>de</strong>n Fall<br />
<strong>de</strong>r Polizei. Dann begann ich, FGM in<br />
Europa zu untersuchen - zuerst ganz<br />
alleine und später mit einem Team<br />
meiner Waris Dirie Foundation. Nach<br />
eineinhalb Jahren Erkundigungen in<br />
ganz Europa hatten wir 4.000 Seiten<br />
Forschungsmaterial, außer<strong>de</strong>m Vi<strong>de</strong>os<br />
und Tonbandaufnahmen. Wir arbeiteten<br />
mit versteckten Kameras und Mikrofonen.<br />
Anschließend wusste ich,<br />
dass FGM in Europa weit verbreitet ist.<br />
BACKGROUND: Wie gehen die Politiker<br />
mit <strong>de</strong>m Thema FGM um? Und überhaupt:<br />
Was muss in Deutschland gegen<br />
FGM getan wer<strong>de</strong>n?<br />
DIRIE: Behandle die betroffenen Frau-<br />
ZUR PERSON<br />
BACKGROUND 03/2010<br />
en mit Respekt und lehre sie, diese kriminelle<br />
Tat nicht an ihren Töchtern<br />
auszuüben. Deutschlands Politiker<br />
zeigen kein ernsthaftes Engagement,<br />
tausen<strong>de</strong> kleine Mädchen zu schützen,<br />
die von FGM bedroht sind. Ich habe<br />
viele Politiker getroffen und hörte<br />
eine Menge bla bla bla - aber wo sind<br />
die Taten? Ich sehe sie nicht.<br />
BACKGROUND: In Ihrem neuen Buch<br />
„Black woman, white country“ schreiben<br />
Sie, dass Sie hier in einer Gesellschaft<br />
leben, die Sie nicht verstehen.<br />
Warum ist es so schwer, sich in einer<br />
frem<strong>de</strong>n Gesellschaft zurechtzufin<strong>de</strong>n?<br />
DIRIE: Ich habe zahlreiche Freun<strong>de</strong><br />
und Unterstützer in Europa und <strong>de</strong>n<br />
USA, aber sehr viele Dinge dort liefen<br />
in eine gefährliche Richtung. Das ist<br />
es, was ich in meinem Buch kritisiere,<br />
aber ich kritisiere auch Afrika.<br />
BACKGROUND: Sie haben sich entschlossen,<br />
nach Afrika zurückzukeh-<br />
ren und eine Farm aufzubauen. Wohin<br />
genau wer<strong>de</strong>n Sie ziehen und wie<br />
sieht Ihre Hilfe dort aus?<br />
DIRIE: Eine Farm in Afrika zu haben<br />
war immer mein Traum. Mein Ziel ist<br />
es, dort zu leben, Frauen fair bezahlte<br />
Jobs zu geben und sie auszubil<strong>de</strong>n,<br />
damit sie ihre eigenen Geschäfte starten.<br />
BACKGROUND: Sie haben eine Karriere<br />
gemacht, von <strong>de</strong>r viele junge<br />
Mädchen träumen. Wie wichtig sind<br />
Ihnen Erfolg und Reichtum?<br />
DIRIE: Erfolg ist heute für mich, wenn<br />
ich FGM stoppen kann und zum Frie<strong>de</strong>n<br />
auf Er<strong>de</strong>n beitrage.<br />
BACKGROUND: Ihren Büchern konnte<br />
ich entnehmen, dass Sie sich als<br />
Kind nach ein paar Schuhen sehnten.<br />
Was ist heute Ihr größter Wunsch?<br />
DIRIE: Mein größter Wunsch ist Gesundheit<br />
und Glück für meine Kin<strong>de</strong>r,<br />
meine Familie und meine Freun<strong>de</strong>,<br />
Frie<strong>de</strong> für die Welt.<br />
Waris - Wüstenblume - Dirie, Jahrgang 1965, wächst in Somalia als Noma<strong>de</strong>ntochter auf. Mit fünf Jahren führt<br />
ihre Mutter sie zu einer Zigeunerin, die ihr mit einer Rasierklinge die Klitoris, die großen und kleinen Schamlippen<br />
abschnei<strong>de</strong>t. Als sie dreizehn Jahren alt ist, soll sie an einen alten Mann verkauft wer<strong>de</strong>n. Sie flüchtet zu<br />
Verwandten in Mogadischu, die ihr Arbeit in <strong>de</strong>r somalischen Botschaft in London verschaffen. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />
Jahren lernt sie lesen und schreiben, kämpft um ihren Verbleib in Europa und wird 1987 von Terence Donovan ent<strong>de</strong>ckt,<br />
<strong>de</strong>r sie für <strong>de</strong>n Pirelli-Kalen<strong>de</strong>r fotografiert. Eine spektakuläre Karriere in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>- und Werbebranche<br />
beginnt und bringt sie schließlich auf die Titelseite <strong>de</strong>r Vogue - als erstes schwarzes Mo<strong>de</strong>l.<br />
1997 outet sich Waris in Sachen FGM (Female Genital Mutilation) und ruft eine internationale<br />
Aufklärungskampagne ins Leben, im Zuge <strong>de</strong>rer sie zur UN-Son<strong>de</strong>rbotschafterin ernannt wird. Unermüdlich - auch<br />
mit Hilfe ihrer Bücher „Wüstenblume“ und „Noma<strong>de</strong>ntochter“, die zweistellige Millionenauflagen erreichen - informiert<br />
sie seit<strong>de</strong>m über das, was so gut wie alle Somalierinnen und Millionen an<strong>de</strong>rer Frauen durchlei<strong>de</strong>n müssen:<br />
die pharaonische Beschneidung, bei <strong>de</strong>r die inneren Schamlippen und die Klitoris entfernt wer<strong>de</strong>n und die Schei<strong>de</strong>,<br />
bis auf eine kleine Öffnung, zugenäht wird. Geschätzte 6.000 Mädchen weltweit sind täglich diesem Ritual ausgesetzt.<br />
2002 grün<strong>de</strong>t Waris die Waris Dirie Foundation mit Hauptsitz in Österreich und sammelt Geld für Projekte in Afrika<br />
und Europa Für ihr Engagement wird sie mehrfach ausgezeichnet - unter an<strong>de</strong>rem mit <strong>de</strong>m „Afrika-Preis“ <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Bun<strong>de</strong>sregierung (1999) und <strong>de</strong>m „World Women’s Award“ von Michail Gorbatschow (2204). 2007 ernennt<br />
sie <strong>de</strong>r französische Präsi<strong>de</strong>nt Nicolas Sarkozy zum „Chevalier <strong>de</strong> La Legion d’honneur“.<br />
.<br />
Mit „Schwarze Frau, weißes Land“ (Droemer Verlag, ISBN 978-3-426-27535-1, 19,95 Euro) hat Waris nun ihr viertes<br />
Buch veröffentlicht. Wie<strong>de</strong>r geht es um <strong>de</strong>n Kampf gegen FGM; diesmal aber wird die Beschneidung als Folge<br />
und vor <strong>de</strong>m Hintergrund von politischen und wirtschaftlichen Problemen in <strong>de</strong>n betroffenen Län<strong>de</strong>rn behan<strong>de</strong>lt.<br />
Waris Dirie ist österreichische Staatsbürgerin und Mutter zweier Söhne.<br />
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