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Folge 3 - Andreas Gryphius

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<strong>Folge</strong> 3 – <strong>Andreas</strong> <strong>Gryphius</strong> (1616 – 1664)<br />

Was sind wir Menschen doch!<br />

Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,<br />

Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,<br />

Ein Schauplatz voller Angst und Widerwärtigkeit,<br />

Ein bald zerschmolzener Schnee und abgebrannte Kerzen.<br />

Wer jetzt noch Atem holt, fällt unversehns dahin,<br />

Die nach uns kommen, wird auch der Tod ins Grab hinziehn.<br />

Und so vergehen wir wie Rauch von starken Winden.<br />

Der diese Zeilen gedichtet hat, heißt <strong>Andreas</strong> <strong>Gryphius</strong>. Er ist 1616 in Glogau in Schlesien geboren und ist trotz<br />

unvorstellbaren Leids in seiner Kindheit und Jugend nicht nur ein großer deutscher Dichter, ein hochgeehrter Politiker,<br />

sondern auch einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit in Europa geworden.<br />

Sein Vater war protestantischer Pfarrer. Der Dreißigjährige Krieg begann, als er zwei Jahre alt war. Der Vater starb, als<br />

<strong>Andreas</strong> fünf war. Ein Jahr später heiratete die Mutter erneut. Kurz darauf wurde Glogau von 8000 Söldnern völlig<br />

ausgeplündert. Als <strong>Gryphius</strong> elf war, starb die geliebte Mutter an Schwindsucht. Einige Monate später wurden die<br />

Protestanten, darunter auch der Stiefvater, von den kaiserlichen Truppen aus Glogau vertrieben. Alle Knaben unter fünfzehn<br />

Jahren, also auch <strong>Andreas</strong> <strong>Gryphius</strong>, wurden in Glogau quasi als Geiseln gehalten. Doch er durfte einige Monate später zu<br />

seinem Stiefvater, der wieder geheiratet hatte. Da war <strong>Andreas</strong> dreizehn. Die neue Mutter, die er wie seine eigene liebte,<br />

starb, nachdem sie sechs Kinder tot zur Welt gebracht hatte, schon in ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr.<br />

Die Pest wütete. Sie raffte die Hälfte der städtischen Bewohner in Schlesien hin. Glogau brannte. Von zehn Menschen<br />

dieser Zeit überlebten nur drei. Mit zwanzig Jahren, 1636, der Krieg ist biblische 'drei mal sechs' Jahre alt, schreibt <strong>Andreas</strong><br />

<strong>Gryphius</strong> eines seiner ergreifendsten Gedichte.<br />

Tränen des Vaterlandes<br />

Wie sind wir doch nun ganz, ja mehr denn ganz verheeret!<br />

Der frechen Völker Schar, und ihre Kriegsposaun,<br />

Das Schwert vom Blute fett, die donnernde Kartaun<br />

Hat allen Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.<br />

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret,<br />

Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,<br />

Die Jungfraun sind geschändet, und wo wir hin nur schaun<br />

Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.<br />

Hier zwischen Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.<br />

Dreimal sechs Jahr sinds schon, dass dieses Krieges Flut,<br />

Von soviel Leichen schwer, sich langsam fortgedrungen.<br />

Doch schweig ich noch von dem, was ärger ist als Tod,<br />

Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot,<br />

Dass auch der Väter Glauben so vielen abgezwungen.<br />

In dieser grausamen Zeit wird er vom Stiefvater unterrichtet, geht da und dort auf Schulen, tut sich aber schon früh hervor –<br />

beobachtet die Welt, die ihn umgibt.<br />

Du siehst, wohin du siehst, Vergeblichkeit auf Erden.<br />

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.<br />

Wo jetzt die Städte stehn so herrlich, hoch und fein,<br />

Da wird in Kürze gehn ein Hirt mit seinen Herden.<br />

Was jetzt so prächtig blüht, wird bald zertreten werden.<br />

Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein.<br />

Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.<br />

Jetzt lacht das Glück uns an, bald quälen uns Beschwerden.<br />

Und unsrer Taten Ruhm wird wie ein Traum vergehn.<br />

Kann da das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?<br />

Ach, was ist alles dies, das wir für köstlich achten,<br />

Als bloße Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,<br />

Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfindt.<br />

Beständiges wird hier kein einzger Mensch betrachten.<br />

<strong>Gryphius</strong> wird Hauslehrer in hochgestellten Familien, findet Gönner, die ihm, dem 22-Jährigen, ein Studium auf der damals<br />

fortschrittlichsten Universität Europas im niederländischen Leiden ermöglichen. Philosophie, Jura und Medizin studiert er


dort und beschäftigt sich außerdem mit Astronomie und praktischer Anatomie. Aber er hält selber auch Vorlesungen über<br />

Geographie, Trigonometrie, Logik, Physiognomie, Poetik, Wahrsagekunst und Altertumskunde.<br />

Doch in dieser relativen Sicherheit, im damals fortschrittlichen Holland, wird er mit fünfundzwanzig Jahren so krank,<br />

dass er sich auf den Tod vorbereitet.<br />

Mir grauet vor mir selbst, mir zittern alle Glieder,<br />

Wenn ich die Lipp und Nas und beider Augen Kluft,<br />

Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft<br />

Betracht und die nun schon erstorbnen Augenlider.<br />

Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mir beim Sprechen nieder<br />

Und lallt, ich weiß nicht was. Die müde Seele ruft<br />

Dem großen Tröster zu. Das Fleisch riecht schon nach Gruft.<br />

Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder.<br />

Aus Haut und Knochen scheint mein Körper nun zu sein<br />

Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen meine Pein.<br />

Die Beine haben selbst nun Träger wohl vonnöten.<br />

Was ist jetzt aller Ruhm, was Jugend, Ehr und Kunst?<br />

Wenn diese Stunde kommt, wird alles Rauch und Dunst.<br />

Ja, alles dies will vor der Zeit mich töten.<br />

Nun, dass die Ärzte ihn 'gelassen', d.h. aufgegeben haben, war sein Glück, denn so überlebt er. Mit einunddreißig Jahren<br />

kehrt <strong>Andreas</strong> <strong>Gryphius</strong> nach Schlesien zurück, nachdem er zuvor noch zu einer großen Reise aufgebrochen war, die ihn bis<br />

nach Rom führt. Paris, Marseille, Florenz, Venedig und Straßburg sind die Hauptstationen.<br />

Mit vierunddreißig Jahren wird er Syndikus, das heißt oberster Richter in Glogau. Doch im Alter von achtundvierzig<br />

schon stirbt er, während einer Ratssitzung, an einem Schlaganfall.<br />

Was frag ich nach der Welt? Sie wird in Flammen stehn.<br />

Was acht ich reiche Pracht? Der Tod reißt alles hin.<br />

Was hilft die Wissenschaft, dies ganze falsche Zeug?<br />

Der Liebe Zauberwerk ist tolle Phantasie.<br />

Die Wollust ist fürwahr nichts als ein schneller Traum.<br />

Die Schönheit ist wie Schnee, dies Leben ist der Tod.<br />

Dies alles stinkt mich an. Drum wünsch ich mir den Tod,<br />

Weil nichts, wie schön und stark, wie reich es sei, besteht.<br />

Oft eh man leben will, ist schon das Leben hin.<br />

So spielt dies ernste Spiel, so lang die Zeit es leidet.<br />

Doch lernt, dass, wenn ihr vom Bankett des Lebens scheidet,<br />

Kron, Weisheit, Stärk und Gut sei nur geborgte Pracht.

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