Folge 4 - Hoffmann von Hoffmannswaldau
Folge 4 - Hoffmann von Hoffmannswaldau
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<strong>Folge</strong> 4 - Christian <strong>Hoffmann</strong> <strong>von</strong> <strong>Hoffmann</strong>swaldau (1616 – 1679)<br />
Auf den Mund<br />
Mund! der die Seelen kann durch Lust zusammen hetzen,<br />
Mund! der süßer ist als jeder starke Wein,<br />
Mund! den ich vorziehn muss vor Indiens reichen Schätzen,<br />
Mund! der vergnügter blüht als aller Rosen Schein,<br />
Mund! dem kein Rubin kann gleich und ähnlich sein,<br />
Mund! ach Korallenmund, mein einziges Ergötzen!<br />
Mund! lass mich einen Kuss auf deinen Purpur setzen.<br />
Christian <strong>Hoffmann</strong> <strong>von</strong> <strong>Hoffmann</strong>swaldau ist 1616, im selben Jahr wie Andreas Gryphius, in Breslau geboren und<br />
dreiundsechzig Jahre später dort gestorben. Beide haben das Ende des Dreißigjährigen Krieges als 32-Jährige erlebt, beide in<br />
Schlesien. Sie waren Freunde und doch ist das, was sie uns mitteilen und was wir heute noch nachfühlen können, und<br />
weshalb wir mit ihren Gedichten etwas anfangen können, so grundverschieden.<br />
Sagt Gryphius »Wir vergehen wie Rauch <strong>von</strong> starken Winden«, weint er Tränen um das geschundene Vaterland, so weint<br />
<strong>Hoffmann</strong>swaldau Tränen um die Geliebte und sagt: »Wer Epikur« – also das Leben ohne moralische Gewissensbisse, das<br />
Leben der Freude, der Ästhetik, der Lust, also »wer Epikur nicht für seinen Lehrer hält, der hat den Weltgeschmack und allen<br />
Witz verloren.«<br />
Das nächste Gedicht <strong>von</strong> Christian <strong>Hoffmann</strong> <strong>von</strong> <strong>Hoffmann</strong>swaldau ist ein Manifest der Lust, der körperlichen Liebe,<br />
der Sexualität, geschrieben während der Pest, der verbrannten Städte, des Hungers und des Dreißigjährigen Krieges. Es trägt<br />
den Titel Die Wollust und meint im damaligen Sprachgebrauch, ohne negativen Beigeschmack, die körperliche Liebe.<br />
Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit,<br />
Was kann uns mehr denn sie den Lebenslauf versüßen?<br />
Sie lässet trinkbar Gold in unsre Kehle fließen<br />
Und öffnet uns den Schatz beperlter Lieblichkeit.<br />
In lauter Rosen kann sie Schnee und Eis verkehren<br />
Und durch das ganze Jahr die Frühlingszeit gewähren.<br />
Es schaut uns die Natur als ihre Kinder an,<br />
Sie schenkt uns ungefragt den Reichtum ihrer Brüste,<br />
Sie öffnet einen Saal voll zimmetreicher Lüste,<br />
Wo aus des Menschen Wunsch Erfüllung quellen kann.<br />
Sie legt als Mutter uns der Wollust in die Arme<br />
Und lässt durch Lieb und Wein den kalten Geist erwarmen.<br />
Nur das Gesetze will allzu tyrannisch sein.<br />
Es zeiget jederzeit ein widriges Gesichte,<br />
Es macht des Menschen Lust und Freiheit ganz zunichte<br />
Und flößt statt süßen Most uns Wermuttropfen ein.<br />
Es untersteht sich, uns die Augen zu verbinden<br />
Und alle Lieblichkeit aus unsrer Hand zu winden.<br />
Jedoch was nützt dir Jugend, Kraft und Mut,<br />
Wenn du den Kern der Welt nicht reichlich willst genießen<br />
Und dessen Zuckerstrom lässt unbeschifft verschießen.<br />
Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Gut,<br />
Wer hier zu Segel geht, dem wehet das Gelücke<br />
Und ist verschwenderisch mit seinem Liebesblicke.<br />
'Wir vergehen wie Rauch <strong>von</strong> starken Winden' – Gryphius und 'Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit' –<br />
<strong>Hoffmann</strong>swaldau. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich unser menschliches Leben ab und es ist ein Zufall, zwei Dichter<br />
zu haben, die zur selben Zeit lebten, beide nur wenige Kilometer <strong>von</strong>einander entfernt, beide mit einem äußerlich ähnlichen<br />
Lebensweg: Dreißigjähriger Krieg, Schlesien, Studium in Leiden, beide Juristen, beide ausgedehnte Reisen in dieselben<br />
Länder, beide Politiker, beide hoch geachtet und dennoch innerlich so verschieden.<br />
Nun, <strong>Hoffmann</strong>swaldau war auch ein großer Satiriker. Hier einige Kostproben. Es handelt sich um vier Grabinschriften.<br />
Grabschrift eines Lasterhaften<br />
Die Leber ist zu Wien, das Glied zu Rom geblieben,<br />
Das Herz in einer Schlacht und das Gehirn im Lieben.<br />
Doch dass der Leib nicht ganz verloren möchte sein,<br />
So liegt der kümmerliche Rest hier unter diesem Stein.<br />
Grabschrift eines Schlafsüchtigen<br />
Hier liegt ein fauler Leib, der aus dem Tage Nacht<br />
Und aus dem Leben Tod durch Schlafen hat gemacht.
Aus allzu großer Furcht, dass man ihn noch erwecket,<br />
So hat er sich hierher in dieser Gruft verstecket.<br />
Grabschrift einer lustigen Jungfrau<br />
Die euch für Schmuck und Gold entblößte Leib und Brust,<br />
Machte der grimme Tod nun zu der Würmer Kost.<br />
Ihr Buhler, lasst hier eure Tränenströme fließen,<br />
So kann noch mancher Wurm zur Speis auch Trank genießen.<br />
Und die vierte Grabschrift ist die<br />
Grabschrift eines Mohren<br />
Kein Europäer soll die schlechte Grabschrift lesen<br />
Und lachen, dass ich schwarz und nackend bin gewesen.<br />
Ich trug das Mutterkleid, du trägst die Haut der Kuh,<br />
Du bist mehr Vieh als ich, ich war mehr Mensch als du.<br />
Nun, zum Schluss noch einige Zeilen des älteren <strong>Hoffmann</strong>swaldau, zu der Zeit, als sein Freund Gryphius schon nicht mehr<br />
lebte.<br />
Gedanken bei Antretung des fünfzigsten Jahres<br />
Mein Auge hat den alten Glanz verloren.<br />
Ich bin nicht mehr, was ich vor diesem war.<br />
Es klingt mir jetzt fast stündlich in den Ohren:<br />
Vergiss die Welt und denk auf deine Bahr!<br />
Und ich empfinde nun aus meines Lebens Jahren,<br />
Dass fünfzig schwächer sind als fünfundzwanzig waren.<br />
Wo sind die Stunden<br />
Der süßen Zeit,<br />
Da ich zuerst empfunden,<br />
Wie deine Lieblichkeit<br />
Mich dir verbunden?<br />
Sie sind verrauscht.<br />
Es bleibt leider dabei,<br />
Dass auch die Lust vergänglich sei.