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wussten die Nonnen genau was ein jedes Kind „angestellt“ hatte. Diese Kinder erhielten<br />
dann Schläge mit einem Kleiderbügel auf die Handfläche. Wer die Hand wegzog, bekam<br />
doppelte Schläge. Es waren regelrechte „Massenbestrafungen“. Wer nicht nach vorne zur<br />
Bestrafung aufgerufen wurde, saß im Bett und musste sich das Schreien der geschlagenen<br />
Kinder ansehen und -hören. Zu den Zuschauern gehörte ich auch manchmal, aber<br />
das war selten. Ich weinte mit den Kindern, die durchgeprügelt wurden und weil ich weinte,<br />
bekam ich selber Prügel. Nach diesen Massenbestrafungen wurde gemeinsam das<br />
Abendgebet gesprochen. Dazu gehörte die Gewissenserforschung: Jedes Kind musste<br />
seine Hände vor das Gesicht halten um über seine „Sünden“ nachzudenken. Nach diesem<br />
täglichen Ritual mussten wir alle zusammen der Nonne lautes und deutliches „Gute Nacht“<br />
wünschen. Darauf wurde sehr geachtet.<br />
Unsere Schlüpfer wurden täglich kontrolliert. Dazu mussten wir im sitzend unsere Schlüpfer<br />
auf die Bettdecke legen. Diese Schlüpfer mussten eine ganze Woche lang getragen<br />
werden und dabei sauber bleiben. Wehe, es wurde etwas gefunden! Nach der Kontrolle<br />
durfte niemand mehr auf die Toiletten. Trotz wöchentlicher, ärztlicher Untersuchung, „Sonderbehandlung“,<br />
blieb ich noch eine Reihe von Jahren Bettnässerin.<br />
Kommunion: Mit dem Pfeil auf dem Kleid, das bin ich.<br />
Mit zehn Jahren ging ich zur ersten Heiligen Kommunion. Hier war ich von den anderen<br />
Kindern die Älteste. Denn nicht jedes Kind das gerade neun Jahre alt war durfte zur ersten<br />
Kommunion. Nein, für ein einzelnes Kind das gerade neun Jahre alt war, wurde keine<br />
Kommunion veranstaltet. Ich musste ein Jahr warten, bis das man dann genug neun Jährige<br />
Kinder zusammen hatte.<br />
Die Nikolaikirche in Lippstadt war entsprechend festlich geschmückt. Ich freute mich sehr,<br />
denn es war mein Tag. Ich dachte, die Kirche sei extra für mich so geschmückt. Ich durfte<br />
eine große Kerze mit einem weißen Spitzentaschentuch den gesamten Weg vom Heim bis<br />
in die Kirche tragen. Ich sah plötzlich die Kinder aus der Stadt, die ebenfalls zur ersten<br />
Kommunion gingen und fühlte mich ihnen gleichgestellt. Es gab endlich mal ein Anständiges<br />
Essen auf einem Porzellanteller – nicht nur an diesem Tag. Die Porzellanteller erhielten<br />
wir jetzt täglich, die Blechnäpfe waren verschwunden. Die Nonne Serapia war an diesem<br />
Tag sehr freundlich zu mir. Ich glaubte daher, dass die täglichen Schläge jetzt aufhören<br />
würden. Natürlich war das nicht der Fall.<br />
Zu meiner Überraschung fand sich meine Familie ein, Mutter, Großmutter und Anni, meine<br />
älteste Schwester. Alle drei Frauen kannte ich nicht. Sie kamen als Fremde und gingen als<br />
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