Funktionsweise unseres Gedächtnisses
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<strong>Funktionsweise</strong> <strong>unseres</strong> <strong>Gedächtnisses</strong><br />
Eines Tages kommt es zu einem interessanten Gespräch zwischen einer<br />
Information und dem Gehirn.<br />
Lassen Sie uns einmal zuhören, was sich die beiden zu erzählen haben.<br />
Information:<br />
Es ist schon verrückt, dass ich von Dir abgespeichert werde, wenn ich die interessanten<br />
Einzelheiten einer Liebesgeschichte enthalte, aber von Deinen grauen Zellen<br />
oft ignoriert werde, wenn ich mathematische Formeln oder englische Vokabeln<br />
enthalte. Woran liegt das denn ?<br />
Gehirn:<br />
Um das begreifen zu können, lade ich Dich zu einer kleinen Entdeckungsreise<br />
durch mich ein; vielleicht erkennst Du dann, wie genial ich gemacht bin.<br />
Information:<br />
Wie gelange ich denn als Information eigentlich in das Gedächtnis?<br />
Gehirn:<br />
Mein „Pförtner“ ist das Ultrakurzzeitgedächtnis (UKZG) oder auch<br />
sensorisches Gedächtnis genannt.<br />
Dieses wandelt alle Informationen in elektrische Impulse um<br />
und hält sie für maximal 2 Sekunden fest.<br />
Information:<br />
Was geschieht aber mit mir, wenn Du mich, so wie Du sagst,<br />
nur wenige Sekunden festhalten kannst?<br />
Gehirn:<br />
Ich habe Dir ja vorhin erklärt,<br />
dass ich Dich in elektrische Impulse umwandle<br />
und dadurch ein elektromagnetisches Feld entsteht;<br />
bist Du mir aber zu langweilig<br />
oder kann ich mit Dir rein gar nichts verbinden,<br />
lösche ich Dich.<br />
Information:<br />
Oh, das elektromagnetische Feld,<br />
in das ich umgewandelt wurde,<br />
wird demnach aufgelöst?<br />
Gehirn:<br />
Absolut korrekt! Die Auflösung erfolgt in diesem Fall<br />
nach spätestens 2 Sekunden.<br />
Information:<br />
Was geschieht aber, wenn Du mich interessant findest ?<br />
1
Gehirn:<br />
Dann gelangst Du auf die Stufe des Kurzzeitgedächtnisses (KZG).<br />
Das ist sozusagen das „Vorzimmer“ meines dauerhaften <strong>Gedächtnisses</strong>.<br />
Dort wird eine Art Eiweiß-Matrize aufgebaut,<br />
die sogenannte RNA-Matrize (=Ribonukleinsäurematrize).<br />
Schließ doch mal Deine Augen und<br />
stell Dir ganz lange Molekülketten vor,<br />
die gewunden sind wie eine Wendeltreppe.<br />
An solche Ketten wirst Du vorläufig angehängt,<br />
damit ich Dich nicht verliere.<br />
Information:<br />
Du sagst, dass Du mich vorläufig anhängst.<br />
Werde ich da etwa auch wieder nur kurzzeitig abgespeichert ?<br />
Gehirn:<br />
Ja, eine solche RNA-Matrize hält maximal 1 Minuten,<br />
dann löst Sie sich wieder auf.<br />
Sie löst sich aber auch auf,<br />
wenn neue Informationen die alte Information überlagern,<br />
also wenn Du sozusagen einen Konkurrenten bekommst.<br />
Lehrer können davon ein Lied singen.<br />
Information:<br />
Was hat das denn mit Lehrern zu tun?<br />
Gehirn:<br />
Wenn der Lehrer in der Schule etwas erklärt,<br />
versucht die Information doch ins dauerhafte Gedächtnis zu kommen.<br />
Jetzt hat sich diese Information gerade im KZG<br />
an eine RNA-Kette angedockt,<br />
da kommt doch der Nachbar des Schülers daher<br />
und erzählt von seinem aufregenden Wochenende.<br />
Diese Information überlagert die andere<br />
und die RNA-Matrize mit der schulischen Information zerfällt.<br />
Jetzt war alles umsonst. Der Schüler weiß gar nicht mehr,<br />
worum es gegangen ist.<br />
Information:<br />
Das würde mich ja sehr ärgern.<br />
Erst der ganze Aufwand und dann war alles umsonst!<br />
Gehirn:<br />
Leider ist die Kapazität meines Kurzzeitgedächtnisses<br />
nicht nur hinsichtlich der Speicherdauer begrenzt,<br />
sondern auch hinsichtlich ihres Speicherumfangs.<br />
Information:<br />
Du kannst also nur eine bestimmte Menge an Informationen aufnehmen ?!<br />
Gehirn:<br />
2
Ja, leider! In meinem Kurzzeitspeicher kann ich nur<br />
7+/- 2 Elemente aufnehmen.<br />
Dabei ist es allerdings egal,<br />
ob es sich um 7 Buchstaben, 7 Sätze oder 7 größere Sachverhalte handelt.<br />
Information:<br />
Das kann Dir doch nicht egal sein.<br />
Es liegen doch Welten zwischen der Größe dieser Einheiten!<br />
Gehirn:<br />
Doch es kommt mir nur darauf an, dass dann der Sachverhalt zu einem Element<br />
zusammengefasst werden kann.<br />
Ich werde Dir das am Wort „Wind“ verdeutlichen.<br />
Das Wort kann 10 Speicherplätze belegen, wenn es mir absolut fremd ist, wie<br />
vielleicht für einen Chinesen, der des Deutschen nicht mächtig ist;<br />
dann ist jede Linie eines Buchstaben eine neue Informationseinheit.<br />
Es kann aber auch nur 4 Speichereinheiten belegen,<br />
wenn er die deutschen Buchstaben bereits kennt,<br />
denn dann ist jeder Buchstabe eine neue Informationseinheit: W, I, N, D.<br />
Kennt der Chinese dann eines Tages die Bedeutung des Wortes „Wind“,<br />
ist dieses Wort für ihn nur noch 1 Informationseinheit.<br />
Übrigens nennen die Wissenschaftler die einzelnen Speichereinheiten<br />
im Kurzzeitgedächtnis „chunks“.<br />
Information:<br />
Das ist ja sehr interessant.<br />
Dir ist egal wie dick ich bin, ich bin immer nur ein chunk !<br />
Gehirn:<br />
Wenn die Menschen besser informiert wären,<br />
könnten sie mein KZG viel besser nutzen !<br />
Information:<br />
Und wie sollten die das machen?<br />
Gehirn:<br />
Zunächst müssen die Menschen die Informationen,<br />
die Sie bekommen, im Zusammenhang verstehen.<br />
Wenn ein Zusammenhang verstanden ist,<br />
kann dieser komplett so im KZG abgespeichert werden;<br />
Lernen ohne Verstehen führt dazu,<br />
dass- wie die zehn Linien beim Wort „Wind“- einzelne kaum nutzbare Einheiten<br />
den Kurzzeitspeicher blockieren.<br />
Information:<br />
Menschen sind ja oft sehr bemüht, mich im KZG zu halten.<br />
Sie wiederholen mich dafür immer wieder,<br />
z.B. Schüler vor Prüfungen.<br />
Trotzdem falle ich manchmal aus dem Speicher.<br />
Womit hängt das zusammen?<br />
3<br />
WIND<br />
W, I, N, D<br />
chunk<br />
1 chunk = 1 chunk
Gehirn:<br />
Ich behalte die Information nur im KZG,<br />
wenn die Wiederholung durch Selbstprüfung ergänzt wird.<br />
Information:<br />
Der Mensch sollte die Information also quasi immer wieder abfragen<br />
und sie nicht nur immer wieder vor sich hersagen ?!<br />
Gehirn:<br />
Genau. Und je vielfältiger diese Abfrage ist<br />
und je mehr Sinne dabei angesprochen werden,<br />
um so besser kann ich die Information abspeichern.<br />
Information:<br />
Nun gut, aber auch im KZG erfolgt die Speicherung ja nur kurzfristig.<br />
Ich bin eine wichtige Information.<br />
Wie komme ich denn vom KZG in Deinen überdauernden Speicher?<br />
Gehirn:<br />
Wie bereits angedeutet, sind es diejenigen Informationen,<br />
die über verschiedene Eingangskanäle aufgenommen werden<br />
und Assoziationen mit Bekanntem auslösen.<br />
Nur bei zusätzlichen Wiederholungen gelangst Du<br />
von der Warteschleife ins Langzeitgedächtnis (LZG)<br />
Information:<br />
Das ist ja ganz schön umständlich! Geht das nicht einfacher?<br />
Gehirn:<br />
Selbstverständlich!<br />
Alle Informationen, die eine hohe Intensität besitzen,<br />
speichern wir mühelos, sozusagen vollautomatisch, auf direktem Weg ins Langzeitgedächtnis<br />
ein.<br />
Eine besondere Hilfe ist dabei die Verpackung,<br />
in der die neue Information ankommt.<br />
Die beim Lernen gespeicherte Information<br />
besteht eben nicht nur aus dem Lernstoff selbst,<br />
sondern auch aus allen dabei mitgespeicherten Wahrnehmungen.<br />
Information:<br />
Eine schöne Verpackung nimmst Du dann wahrscheinlich leichter auf<br />
als eine weniger schöne ?!<br />
Gehirn:<br />
Das ist klar!<br />
Unangenehme Begleitumstände wie Abneigung, Stress, Angst<br />
hemmen mich in meiner Arbeit.<br />
Damit will ich nichts zu tun haben.<br />
Information:<br />
Und was sind dann günstige Begleitumstände<br />
für die Informationsaufnahme ?<br />
4<br />
GünstigerWiederholungsrhythmus:<br />
• 10 Minuten<br />
• 1 Stunde<br />
• 1 Tag<br />
• 1 Woche<br />
• 1 Monat<br />
• ½ Jahr
Gehirn:<br />
Oh, da gibt es einige.<br />
Sehr gut ist es, wenn die Information mit einem Bild verbunden wird,<br />
je auffälliger das Bild ist, desto leichter wird die Information eingespeichert.<br />
Lustige Sprüche, kleine Liedchen sowie „Eselsbrücken“ zur Information gefallen<br />
mir auch recht gut.<br />
Oder .... Spielen! Das ist eine tolle Sache,<br />
da macht mir die Informationsaufnahme richtig Spaß.<br />
Information:<br />
Das leuchtet mir ein.<br />
Das nächste Mal suche ich mir eine ganz schöne Verpackung<br />
und dann besuche ich Dich !<br />
Aber sag mal, wie werde ich eigentlich<br />
im Langzeitgedächtnis abgespeichert ?<br />
Gehirn:<br />
Tjaaa, ....., im LZG erfolgt die Speicherung biochemisch.<br />
Die Information wird dabei im Gedächtnis fixiert<br />
- ähnlich wie bei dem letzten Arbeitsgang bei der Fotoentwicklung.<br />
Sie ist dann fest in meinem LZG verankert -<br />
und zwar auf unbegrenzte Zeit.<br />
Information:<br />
Aber was passiert denn dann, wenn wir etwas vergessen ?<br />
Gehirn:<br />
Eine Möglichkeit ist, dass die Information<br />
gar nicht richtig im LZG deponiert wurde,<br />
weil z.B. die Wiederholung und Selbstprüfung nicht ausreichte.<br />
Meistens aber werden Informationen im LZG nicht wiedergefunden,<br />
weil sie nicht an einer sinnvollen Stelle abgelegt wurde.<br />
Das ist wie in einer riesigen Bibliothek.<br />
Wenn da ein Buch falsch abgelegt wird, findet man das nicht wieder.<br />
Information:<br />
Hmmm,...Und wie muss ich dann abgelegt werden, damit ich gefunden werde,<br />
wenn man mich braucht ? Ich bin doch wichtig!<br />
Gehirn:<br />
Der Mensch sollte die einzelne Information<br />
immer im Zusammenhang sehen.<br />
Beim Lernen sollte er sich also eine Übersicht verschaffen,<br />
z.B. indem er den Stoff selbst gliedert und dadurch richtig einordnet.<br />
Da gibt es viele verschiedene Möglichkeiten:<br />
hierarchische Abrufpläne oder verschiedene Mind-Mapping-Techniken<br />
sowie lineare Gliederungssysteme.<br />
Information:<br />
Wenn ich also einem Oberbegriff zugeordnet werden kann,<br />
5
dann kannst Du mich unter diesem Begriff ablegen.<br />
Und je mehr verschiedene Informationen zu mir bestehen,<br />
um so genauer kann ich in Deinem LZG<br />
abgespeichert und wiedergefunden werden.<br />
Gehirn :<br />
So ist es!<br />
Aber ich muss mich jetzt von Dir verabschieden.<br />
Da kommt neue Kundschaft.<br />
Viele neue Informationen wollen geprüft werden!<br />
Information:<br />
Lass Dich von mir bloß nicht aufhalten.<br />
Ich muss auch noch weiter - ins LZG!<br />
Tschüs, bis bald!<br />
Das Gehirn ist wirklich ein geniales „Lernorgan“;<br />
man muss nur richtig damit umgehen,<br />
dann kann man sich auf es verlassen !<br />
Heidi Hübner 1999<br />
unter Verwendung von Anregungen<br />
von B. van der Meden und<br />
B. Sensenschmidt<br />
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