Reihe III - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

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04.05.2013 Aufrufe

einleitung XLI zugnahme auf die Bewegung des gemeinsamen Schwerpunkts beim Stoß zweier Körper (N. 75). 3. Hydromechanik und andere Physica Nach seiner Rückkehr aus Italien berichtete Leibniz über Begegnungen mit zwei italienischen Medizinern (III, 4 N. 267): J’ay trouvé deux Medecins, bien versés dans les Ma- ” thematiques dont je me promets quelque chose[,] M. Guillelmini à Bologne et M. Spoleti à Padoue‘‘. Während Spoleti im vorliegenden Band keine weitere Erwähnung findet, tritt Guglielmini als bedeutender Korrespondent in den Vordergrund. Der studierte Mediziner Guglielmini interessierte sich besonders für Probleme der Hydraulik und der Hydromechanik. In seinem Buch Aquarum fluentium mensura nova methodo inquisita, 1690–1691, behandelte er die grundlegenden Fragen der Strömungslehre in offenen Kanälen und Gerinnen. Nach Guglielmini sind die Gesetze der Strömungslehre allein durch das Gefälle des Kanals bzw. die Neigung der Wasseroberfläche sowie durch den Druck des Wassers (die oberen Schichten üben Druck auf die unteren Schichten aus) zu erklären. Gravitation oder Widerstandskräfte werden nicht in Betracht gezogen. Mathematisch beschränkt sich Guglielminis Theorie auf Proportionen von homogenen Größen. In Italien galt die Hydromechanik in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts als fest etabliertes akademisches Fach. Sie wurde an den Universitäten der Poebene und insbesondere in Bologna regelmäßig gelehrt. In der Hydromechanik und Hydraulik waren die praktisch-empirische Tradition der Renaissance-Technik und die wissenschaftlichmathematische Tradition eines Galilei, B. Castelli und E. Torricelli miteinander vereint. Guglielmini, ein Schüler M. Malpighis und G. Montanaris, wurde 1686 Generaloberaufseher der Gewässer im bolognesischen Gebiet und 1690 Professor der Mathematik in Bologna. Aus Gesprächen mit Guglielmini in Bologna, die zwischen dem 22. und dem 30. Dezember 1689 stattgefunden hatten, wußte Leibniz von dessen Plänen, einen Traktat über die Wasserströmung in offenen Kanälen zu schreiben, um die Gesetze der Strömungslehre auf ein neues Fundament zu stellen. Anfang November 1690 wartete Leibniz dann gespannt auf die Übermittlung des soeben erschienenen Werks von Guglielmini. Am 5. November schrieb er an Bodenhausen (III, 4 N. 285, S. 632): Bitte bey müßiger zeit ” mir ohnbeschwehrt einige nachricht von den furnehmsten propositionibus in H. Gvillelmini tractat, und deren fundament zu geben.‘‘ Mit dem Brief Menckes vom 7. November 1690 (I, 6 N. 135) erhielt er dann ein Rezensionsexemplar des ersten Teils (d. h. der ersten

XLII einleitung drei von insgesamt sechs Büchern bzw. Kapiteln) der Aquarum fluentium mensura. Seine Rezension erschien anonym im Februarheft der Acta eruditorum 1691. Im Mittelpunkt des Leibnizschen Interesses stand der von Guglielmini (auf der Grundlage des von Torricelli gefundenen Ausflußgesetzes) behauptete parabolische Geschwindigkeitszuwachs von der Wasseroberfläche zum Kanalboden. Die Anwendbarkeit des Torricellischen Theorems auf fließendes Wasser in offenen Kanälen stellte Leibniz nicht in Frage. Er konstatierte lediglich, daß die von Guglielmini postulierte Geschwindigkeitsverteilung bei wirklichen Flüssen und Kanälen nicht vorliegen könne. Nach der Lektüre dieser Rezension und ohne das Buch gesehen zu haben, verfaßte Papin seine Kritik an Guglielminis Schrift, die unter dem Titel Observationes quaedam circa materias ad hydraulicam spectantes im Mai 1691 in den Acta eruditorum erschien, und damit drei Monate vor der Veröffentlichung des zweiten Teils der Aquarum fluentium mensura. In der genannten Leibnizschen Besprechung (Acta erud., Feb. 1691, S. 74) hatte Papin den grundlegenden Satz Guglielminis über die Geschwindigkeit in einem geneigten Wasserlauf (Prop. 2 des 2. Buches) gefunden, in dem es heißt, daß die Geschwindigkeit des fließenden Wassers durch einen (beliebigen) Querschnitt die gleiche sei wie die Ausflußgeschwindigkeit aus einer Öffnung mit gleichem Querschnitt eines Behälters bei einer Druckhöhe, die gleich dem Höhenunterschied zwischen dem Anfangspunkt und dem genannten Querschnitt des Kanals ist. Hierin sah Papin einen Widerspruch zu seiner eigenen Auffassung, die er in einer Untersuchung über den sogenannten Württembergischen Wasserheber Examen siphonis Wurtemburgici (Acta erud., Mai 1690, S. 223–228) vertreten hatte. Dort hatte er nämlich die Behauptung aufgestellt, daß die Menge des aus einer Wasserröhre (vgl. erste Zeichnungen u. Erl. in N. 50) ausfließenden Wassers nur die Hälfte derjenigen Menge sei, die aus einer gleich großen Öffnung im Boden eines Behälters bei einer Druckhöhe, die gleich dem Höhenunterschied zwischen den beiden Ausgängen der Röhre ist, ausfließt. Leibniz informierte Magliabechi am 23. August 1691 (I, 7 N. 168) über Papins Observationes und regte eine Antwort Guglielminis an. Für die Erwiderung auf die Papinsche Kritik wählte Guglielmini die Form eines offenen Briefes an Leibniz mit dem Datum 24. Dezember 1691 (N. 50). Kurze Zeit danach verfaßte Guglielmini einen zweiten offenen Brief mit dem Datum 16. Februar 1692, den er an Magliabechi richtete. Hierin behandelte er die Bewegung von Flüssigkeiten in Saughebern mit Bezug auf Papins Examen siphonis Wurtemburgici. Beide Briefe erschienen im März 1692 als Epistolae duae hydrostaticae im Druck. Im gleichen Jahr wurden beide Werke Guglielminis — Aquarum fluentium men-

einleitung XLI<br />

zugnahme auf die Bewegung des gemeinsamen Schwerpunkts beim Stoß zweier Körper<br />

(N. 75).<br />

3. Hydromechanik und andere Physica<br />

Nach seiner Rückkehr aus Italien berichtete <strong>Leibniz</strong> über Begegnungen mit zwei italienischen<br />

Medizinern (<strong>III</strong>, 4 N. 267): J’ay trouvé deux Medecins, bien versés dans les Ma-<br />

”<br />

thematiques dont je me promets quelque chose[,] M. Guillelmini à Bologne et M. Spoleti<br />

à Padoue‘‘. Während Spoleti im vorliegenden Band keine weitere Erwähnung findet, tritt<br />

Guglielmini als bedeutender Korrespondent in den Vordergrund.<br />

Der studierte Mediziner Guglielmini interessierte sich besonders für Probleme der<br />

Hydraulik und der Hydromechanik. In seinem Buch Aquarum fluentium mensura nova<br />

methodo inquisita, 1690–1691, behandelte er die grundlegenden Fragen der Strömungslehre<br />

in offenen Kanälen und Gerinnen. Nach Guglielmini sind die Gesetze der Strömungslehre<br />

allein durch das Gefälle des Kanals bzw. die Neigung der Wasseroberfläche sowie<br />

durch den Druck des Wassers (die oberen Schichten üben Druck auf die unteren Schichten<br />

aus) zu erklären. Gravitation oder Widerstandskräfte werden nicht in Betracht gezogen.<br />

Mathematisch beschränkt sich Guglielminis Theorie auf Proportionen von homogenen<br />

Größen.<br />

In Italien galt die Hydromechanik in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts<br />

als fest etabliertes akademisches Fach. Sie wurde an den Universitäten der Poebene und<br />

insbesondere in Bologna regelmäßig gelehrt. In der Hydromechanik und Hydraulik waren<br />

die praktisch-empirische Tradition der Renaissance-Technik und die wissenschaftlichmathematische<br />

Tradition eines Galilei, B. Castelli und E. Torricelli miteinander vereint.<br />

Guglielmini, ein Schüler M. Malpighis und G. Montanaris, wurde 1686 Generaloberaufseher<br />

der Gewässer im bolognesischen Gebiet und 1690 Professor der Mathematik in<br />

Bologna. Aus Gesprächen mit Guglielmini in Bologna, die zwischen dem 22. und dem 30.<br />

Dezember 1689 stattgefunden hatten, wußte <strong>Leibniz</strong> von dessen Plänen, einen Traktat<br />

über die Wasserströmung in offenen Kanälen zu schreiben, um die Gesetze der Strömungslehre<br />

auf ein neues Fundament zu stellen. Anfang November 1690 wartete <strong>Leibniz</strong> dann<br />

gespannt auf die Übermittlung des soeben erschienenen Werks von Guglielmini. Am<br />

5. November schrieb er an Bodenhausen (<strong>III</strong>, 4 N. 285, S. 632): Bitte bey müßiger zeit<br />

”<br />

mir ohnbeschwehrt einige nachricht von den furnehmsten propositionibus in H. Gvillelmini<br />

tractat, und deren fundament zu geben.‘‘ Mit dem Brief Menckes vom 7. November<br />

1690 (I, 6 N. 135) erhielt er dann ein Rezensionsexemplar des ersten Teils (d. h. der ersten

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