Reihe III - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

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04.05.2013 Aufrufe

einleitung XXV schen Catelan und L’Hospital über das Bernoullische Problem entspann, sei hier nur noch angedeutet. — Das Bernoullische Problem und insbesondere die für ihn mit Schwierigkeiten verbundenen Lösungsversuche führten zum Eingeständnis des der Differentialrechnung gegenüber mehr als skeptisch eingestellten Huygens, daß möglicherweise doch eine Überlegenheit dieses Verfahrens über das von ihm als natürlicher und deshalb adäquater eingeschätzte geometrische Verfahren bestehe. Das gab Leibniz Gelegenheit, seiner Freude über das lange erhoffte Lob seines einstigen Mentors hinlänglich Ausdruck zu verleihen und seinerseits mit Lob über Huygens’ neue, bisher nur verschlüsselt angegebene Kurve (als Begrenzungskurve eines isochronen Doppelpendels in Analogie zur Zykloide als Begrenzungskurve eines einfachen isochronen Pendels) und über dessen Ausführungen zur Traktoria nicht zu sparen (N. 191). Selbstverständlich waren diese drei etwas ausgiebiger dargestellten öffentlichen Wettstreite nicht die einzigen jener Zeit, auch waren sie nicht die alleinigen Themen der Leibnizschen mathematischen Publikationen bzw. des mathematischen Briefwechsels der Jahre 1691 bis 1693. Aus dieser reichen Themenvielfalt wollen wir hier vier charakteristische Beispiele herausgreifen: die Quadraturmethoden, die inverse Tangentenmethode, die Potenzreihenmethode und die Kurvendarstellungsmethoden. Schon in Leibniz’ Pariser Zeit war eine der zentralen Fragen, die zur Entdeckung der Differentialrechnung führen sollten, die nach der Bestimmung der Fläche unter einer gegebenen Kurve bzw. nach der Berechnung von deren Bogenlänge. Hierbei interessierte die Mathematiker des 17. Jahrhunderts vor allem, wann das Ergebnis geometrisch, d. i. durch eine algebraische Funktion darstellbar war. Für die nicht-geometrischen Lösungen blieb, wie Leibniz schon früh erkannte, nur die Reduktion auf gewisse (hoffentlich wenige) Grundintegrale, zu denen offenbar die Quadratur des Kreises und die der Hyperbel gehörten. Da diese Fragestellung auch für die Geometrie von Wichtigkeit war, maßen ihr vor allem Huygens (N. 17, N. 37 u. N. 39), aber auch Tschirnhaus und L’Hospital große Bedeutung bei. In den Korrespondenzen der beiden letztgenannten mit Leibniz wurden zusätzlich noch speziellere Fragen erörtert, wie beispielsweise die Quadratur von Teilen einer (durch Kurven begrenzten) Figur (N. 143, N. 161 u. N. 173), die Teilbarkeit einer quadrierbaren Fläche in einem vorgegebenen Verhältnis durch Bestimmung einer geeigneten Trennkurve (N. 124, N. 130, N. 152 u. N. 165) sowie das Verhältnis von definiten und indefiniten Quadraturen (vgl. N. 108). In diesem Zusammenhang ist an Tschirnhaus’ falsche Behauptung (Acta erud., Okt. 1683, S. 433–437) zu erinnern, daß, falls eine Quadratur einer Figur nicht möglich sei, auch eine Quadratur von Teilen die-

XXVI einleitung ser Figur unmöglich sei, die eine rege Diskussion unter den damaligen Mathematikern ausgelöst hatte. Die von L’Hospital aufgestellte Behauptung, daß es bei einer geometrischen Kurve zu jedem Segment eine unbegrenzte Anzahl flächengleicher Segmente gibt (N. 143), verleitete Leibniz zu der Aussage, daß aus dieser Behauptung die Quadratur der Ellipse bzw. der Hyperbel herzuleiten sei (N. 148). Diese Aussage schwächte er später ab (N. 173), ohne jedoch das L’Hospitalsche Verfahren einer näheren Untersuchung zu unterwerfen. In diesen Themenkreis gehören auch Leibniz’ Veröffentlichung der Kegelschnittquadratur (Acta erud., Apr. 1691, S. 178–182) als Ersatz für die unterbliebene Publikation der Quadratura arithmetica von 1676 und die von J. Ch. Sturm herbeigeführte Diskussion über die Kommensurabilität der Leibnizschen Kreisquadratur (vgl. N. 172). Neben einer Reduktion der Quadraturen auf Grundintegrale dachte Leibniz auch an eine Zurückführung der zweidimensionalen Flächen auf eindimensionale Gebilde wie etwa die Bogenlänge einer zu bestimmenden Kurve. Diese Andeutung griff I. Newton in seinem ersten direkten Brief an Leibniz auf (der frühere Briefwechsel erfolgte über den Sekretär der Royal Society) und übermittelte ihm sein fast 30 Jahre früher gefundenes Verfahren, zu einer gegebenen Fläche eine Kurve mit einer Bogenlänge, die gleich der gegebenen Fläche ist, zu finden (N. 194). Dabei setzte er die gegebene Fläche az (a = const.) als Fläche unter einer Kurve y = f(x) an: f(x)dx = az und forderte ˙x= a. Dann gelte, sagte Newton, daß die in jedem beliebigen Punkt (x,0) unter dem Winkel gezeichnete Gerade für cos = y/a Tangente an die gesuchte Kurve sei. Leibniz hat sich zumindest insoweit mit der Behauptung Newtons auseinandergesetzt, als er gemerkt hat, daß ein Schreibfehler vorlag (vgl. A 2 von N. 194); er kam aber im Berichtszeitraum nicht mehr auf diesen interessanten Zusammenhang zwischen Quadratur und Rektifikation zurück. Die inverse Tangentenmethode, die aus den Eigenschaften der Tangenten die zugehörige Kurve bestimmt, hielt Leibniz für seine wichtigste mathematische Entdeckung der hannoverschen Jahre. Während Huygens es vorzog, weitere, bisher nicht bekannte, Quadraturen aufzusuchen, reizte es Leibniz mehr, Lösungen von Differentialgleichungen zu erkunden, selbst wenn die am Schluß des Lösungsverfahrens durchzuführende Quadratur bisher nicht gefunden war. Sein starkes Interesse an diesem speziellen Gebiet der Differentialrechnung rührte (vermutlich) daher, daß Differentialgleichungen sich bei anwendungsnahen physikalischen Aufgabenstellungen ergaben und somit seinem Wahlspruch theoria cum praxi sehr entgegenkamen. Es dürfte ihm allerdings, nicht zuletzt aufgrund der immer wieder von Bodenhausen vorgetragenen Schwierigkeiten (N. 3, N. 31 u. N. 49), nicht verborgen geblieben sein, daß die inverse Tangentenmethode die von ihm in

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ser Figur unmöglich sei, die eine rege Diskussion unter den damaligen Mathematikern<br />

ausgelöst hatte. Die von L’Hospital aufgestellte Behauptung, daß es bei einer geometrischen<br />

Kurve zu jedem Segment eine unbegrenzte Anzahl flächengleicher Segmente gibt<br />

(N. 143), verleitete <strong>Leibniz</strong> zu der Aussage, daß aus dieser Behauptung die Quadratur<br />

der Ellipse bzw. der Hyperbel herzuleiten sei (N. 148). Diese Aussage schwächte er später<br />

ab (N. 173), ohne jedoch das L’Hospitalsche Verfahren einer näheren Untersuchung zu<br />

unterwerfen. In diesen Themenkreis gehören auch <strong>Leibniz</strong>’ Veröffentlichung der Kegelschnittquadratur<br />

(Acta erud., Apr. 1691, S. 178–182) als Ersatz für die unterbliebene Publikation<br />

der Quadratura arithmetica von 1676 und die von J. Ch. Sturm herbeigeführte<br />

Diskussion über die Kommensurabilität der <strong>Leibniz</strong>schen Kreisquadratur (vgl. N. 172).<br />

Neben einer Reduktion der Quadraturen auf Grundintegrale dachte <strong>Leibniz</strong> auch an eine<br />

Zurückführung der zweidimensionalen Flächen auf eindimensionale Gebilde wie etwa die<br />

Bogenlänge einer zu bestimmenden Kurve. Diese Andeutung griff I. Newton in seinem<br />

ersten direkten Brief an <strong>Leibniz</strong> auf (der frühere Briefwechsel erfolgte über den Sekretär<br />

der Royal Society) und übermittelte ihm sein fast 30 Jahre früher gefundenes Verfahren,<br />

zu einer gegebenen Fläche eine Kurve mit einer Bogenlänge, die gleich der gegebenen<br />

Fläche ist, zu finden (N. 194). Dabei setzte er die gegebene Fläche az (a = const.) als<br />

Fläche unter einer Kurve y = f(x) an: f(x)dx = az und forderte ˙x= a. Dann gelte,<br />

sagte Newton, daß die in jedem beliebigen Punkt (x,0) unter dem Winkel gezeichnete<br />

Gerade für cos = y/a Tangente an die gesuchte Kurve sei. <strong>Leibniz</strong> hat sich zumindest<br />

insoweit mit der Behauptung Newtons auseinandergesetzt, als er gemerkt hat, daß ein<br />

Schreibfehler vorlag (vgl. A 2 von N. 194); er kam aber im Berichtszeitraum nicht mehr<br />

auf diesen interessanten Zusammenhang zwischen Quadratur und Rektifikation zurück.<br />

Die inverse Tangentenmethode, die aus den Eigenschaften der Tangenten die zugehörige<br />

Kurve bestimmt, hielt <strong>Leibniz</strong> für seine wichtigste mathematische Entdeckung<br />

der hannoverschen Jahre. Während Huygens es vorzog, weitere, bisher nicht bekannte,<br />

Quadraturen aufzusuchen, reizte es <strong>Leibniz</strong> mehr, Lösungen von Differentialgleichungen<br />

zu erkunden, selbst wenn die am Schluß des Lösungsverfahrens durchzuführende Quadratur<br />

bisher nicht gefunden war. Sein starkes Interesse an diesem speziellen Gebiet<br />

der Differentialrechnung rührte (vermutlich) daher, daß Differentialgleichungen sich bei<br />

anwendungsnahen physikalischen Aufgabenstellungen ergaben und somit seinem Wahlspruch<br />

theoria cum praxi sehr entgegenkamen. Es dürfte ihm allerdings, nicht zuletzt aufgrund<br />

der immer wieder von Bodenhausen vorgetragenen Schwierigkeiten (N. 3, N. 31 u.<br />

N. 49), nicht verborgen geblieben sein, daß die inverse Tangentenmethode die von ihm in

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