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Manuskript der Sendung als PDF-Dokument - Alfred Adler Institut ...

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ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

1870: Geburtstag des Psychoanalytikers <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong><br />

<strong>Manuskript</strong> zur <strong>Sendung</strong>: „Zeitzeichen“ WDR5 07.02.2005<br />

Autorin: Irene Dänzer-Vanotti<br />

Redaktion: Michael Rüger<br />

1.Sprecher:<br />

Liebe Hörerinnen und Hörer, wir möchten vor Beginn dieses Zeitzeichens eine<br />

Warnung aussprechen: Es könnte sein, dass Sie beim Zuhören immer wie<strong>der</strong><br />

denken: Das, was <strong>der</strong> Psychoanalytiker <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> sagt, ist doch ganz klar, das ist<br />

doch nichts weiter <strong>als</strong> gesun<strong>der</strong> Menschenverstand. Das weiß doch je<strong>der</strong>.<br />

Es ist aber so: wenn Sie dies denken, dann haben Sie <strong>Adler</strong> gut verstanden.<br />

Autorin:<br />

Eine Anekdote über <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> erzählt <strong>der</strong> Arzt und Psychotherapeut Thomas<br />

Reinert:<br />

O-Ton Reinert<br />

7/00.35<br />

Man hat ihm vorgeworfen, seine Lehre sei ja eigentlich nichts an<strong>der</strong>es <strong>als</strong> gesun<strong>der</strong><br />

Menschenverstand. Und <strong>Adler</strong> hat darauf geantwortet: das stimmt, die an<strong>der</strong>en<br />

Schulen sind nur lei<strong>der</strong> frei davon.<br />

Autorin:<br />

Wie hilfreich <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong>s Methode immer noch ist, hat ein Mann in einer<br />

Gruppentherapie erfahren, nennen wir ihn Peter. Er ist 42 Jahre alt und bevor er vor<br />

drei Jahren zu Doktor Reinert kam, führte sein Leben immer wie<strong>der</strong> durch Abgründe.<br />

O-Ton Peter<br />

1/1.47<br />

Es war die Angst. Ein zentrales Problem war meine Lebensangst, die teilweise in<br />

Todesangst ausartete, die ich mir nicht erklären konnte.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb <strong>der</strong> engen Grenzen des<br />

Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbeson<strong>der</strong>e darf das <strong>Manuskript</strong> we<strong>der</strong> vervielfältigt, verbreitet o<strong>der</strong> öffentlich<br />

wie<strong>der</strong>gegeben (z.B. gesendet o<strong>der</strong> öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />

1


ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

Ich habe seit frühester Zeit und ganz speziell <strong>als</strong> ich in die Pubertät kam,<br />

Todesängste empfunden, die ich mir nicht erklären konnte. Ich wusste nicht, was mit<br />

mir los war.<br />

Ich bin dann drogenabhängig geworden und nach <strong>der</strong> Drogentherapie hatte ich<br />

immer noch keine Erklärung dafür – ich hab’ unheimlich viele Therapien gemacht ....<br />

O-Ton Reinert<br />

4/5.55<br />

<strong>Adler</strong> sieht den Menschen immer in einer Bewegung, die sich – um das mal ganz<br />

simpel auszudrücken – vom Minus zum Plus bewegt. Das heißt, ich befinde mich in<br />

einer misslichen Situation, fühle mich unwohl und sinne auf Abhilfe.<br />

Autorin:<br />

<strong>Adler</strong> gilt somit <strong>als</strong> <strong>der</strong> optimistischste <strong>der</strong> ersten Psychoanalytiker. Seine Bücher<br />

haben so schlichte wie freundliche Titel, etwa: „Menschenkenntnis“ o<strong>der</strong> „Der Sinn<br />

des Lebens“. Sein Stil allerdings ist komplizierter <strong>als</strong> die Titel vermuten lassen. Im<br />

„Sinn des Lebens“ schreibt er:<br />

2.Sprecher<br />

Der Mensch ist von Natur aus nicht böse. Was auch ein Mensch an Verfehlungen<br />

begangen haben mag, wenn er verführt ist durch seine irrtümliche Meinung vom<br />

Leben, es braucht ihn nicht zu bedrücken. Er kann sich än<strong>der</strong>n. Die Vergangenheit<br />

ist tot. Er ist frei, glücklich zu sein und an<strong>der</strong>e zu erfreuen.<br />

O-Ton Peter<br />

1/10.10<br />

Gefühle <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>wertigkeit, des Nichts-Seins, das war genauso wie diese Angst,<br />

das waren Geschwister eigentlich, das hab’ ich nicht mehr.<br />

Autorin:<br />

Peter hat gerade die letzte Sitzung seiner Therapie hinter sich.<br />

O-Ton Peter<br />

1/10.30<br />

Ich hab’ meinen Wert erkannt. Ich bin im Grunde genommen <strong>der</strong>, <strong>der</strong> ich immer<br />

gewünscht habe, dass er sein könnte, den hab’ ich heute. Also: ich hab’ mich und<br />

das ist mir das Größte und das Wichtigste.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb <strong>der</strong> engen Grenzen des<br />

Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbeson<strong>der</strong>e darf das <strong>Manuskript</strong> we<strong>der</strong> vervielfältigt, verbreitet o<strong>der</strong> öffentlich<br />

wie<strong>der</strong>gegeben (z.B. gesendet o<strong>der</strong> öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />

2


ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

Und ich spür’ auch die Resonanz <strong>der</strong> Außenwelt auf die Verän<strong>der</strong>ung, die in mir<br />

stattgefunden hat und die ist eine sehr Positive und somit ist mein Selbstwertgefühl<br />

gewachsen und hat sich auch richtig stabilisiert.<br />

Musikakzent/ etwas Wienerisches<br />

Autorin:<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> ist am 7. Februar 1870 geboren, heute vor 135 Jahren – in <strong>der</strong> Stadt, in<br />

<strong>der</strong> auch die Psychoanalyse ihre Wiege finden sollte: in Wien. Sein Vater war ein<br />

wohlhaben<strong>der</strong> Getreidehändler, war Jude; <strong>Adler</strong> wuchs in freundlichen, gar<br />

idyllischen Verhältnissen auf – aber er war ein schwächliches Kind. Er litt unter<br />

Rachitis, hatte immer wie<strong>der</strong> Anfälle von Atemnot und eine Szene seiner Kindheit<br />

beschreibt er so:<br />

Sprecher:<br />

Eine meiner frühesten Erinnerungen ist die, dass ich auf einer Bank sitze und wegen<br />

meiner Rachitis in einem Verband bin. Mein gesun<strong>der</strong>, älterer Bru<strong>der</strong> sitzt mir<br />

gegenüber. Er konnte rennen, springen und sich mühelos bewegen, während für<br />

mich alle Bewegungen eine schwere Anstrengung waren.<br />

Autorin:<br />

Dank dieser Schwäche sollte <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong>, viel später, <strong>als</strong> er schon Arzt war, eine<br />

wesentliche Erkenntnis gewinnen: Das Gefühl, min<strong>der</strong>wertig zu sein, ist die<br />

entscheidende Antriebsfe<strong>der</strong> des Menschen. Allerdings fühlt sich nicht etwa nur <strong>der</strong><br />

leidende, <strong>der</strong> schwache Mensche min<strong>der</strong>wertig. Son<strong>der</strong>n:<br />

2.Sprecher:<br />

Menschsein heißt, sich min<strong>der</strong>wertig fühlen.<br />

Autorin:<br />

Genauso wie sein Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühl hat <strong>der</strong> Mensch aber auch die Gabe zum<br />

Ausgleich, zur Kompensation, wie <strong>Adler</strong> das nennt. Ja, er braucht die Schwäche, um<br />

Stärken zu entwickeln:<br />

Sprecher<br />

Das Beste, was eine gute Fee einem Kind in die Wiege legen kann, sind<br />

Schwierigkeiten, die es überwinden soll.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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3


ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

O-Ton Reinert<br />

3/10.00<br />

Ein Schlaraffenland würde überhaupt nicht lebenswert sein, auf längere Sicht. Es<br />

würde eine kurzfristige orale Befriedigung bieten, aber überhaupt kein Anreiz, sich zu<br />

entwickeln.<br />

3/10,19<br />

Wir brauchen die Reibungspunkte mit unserer Umwelt, mit unseren Problemen, um<br />

daran zu wachsen. Das ist <strong>Adler</strong>. <strong>Adler</strong> nennt es Kompensation. Leben ist<br />

Bewegung. Wir müssen einen eigenen Lebensstil entwickeln.<br />

1.Sprecher:<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> ist <strong>als</strong>o <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> des Min<strong>der</strong>wertigkeitskomplexes und <strong>der</strong><br />

Kompensation. Was heute jede Küchenpsychologin ganz selbstverständlich nennt,<br />

um schräge Verhaltensweisen von Freunden, Freundinnen, Müttern, Vätern zu<br />

erklären, das geht auf <strong>Adler</strong> zurück.<br />

Musikakzent<br />

Autorin:<br />

Aber wir haben vorgegriffen: <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> wächst in Wien heran und studiert Medizin.<br />

Es sind die Jahre vor <strong>der</strong> Wende zum 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. <strong>Adler</strong> ist an politischen<br />

Bewegungen interessiert, die Strahlkraft und Hoffnungen <strong>der</strong> sozialistischen Utopie<br />

bewegen ihn. So tritt er in den sozialistischen Studentenverein ein und lernt dort eine<br />

junge Russin kennen, Raissa. Sie heiraten, da ist <strong>Adler</strong> 27 Jahre alt, und haben<br />

später vier Kin<strong>der</strong>.<br />

Musik kurz hochziehen und ausblenden<br />

In Wien hat unterdessen Sigmund Freud seine Forschungen an <strong>der</strong> Seele des<br />

Menschen begonnen, er hat das Unbewusste wie<strong>der</strong>entdeckt, das im europäischen<br />

Denken untergegangen war. Jahrhun<strong>der</strong>tlang hatten männlich geprägte<br />

Vorstellungen von <strong>der</strong> Allmacht <strong>der</strong> Vernunft das Unbewusste zugeschüttet. <strong>Adler</strong> –<br />

so geht die Sage, Genaues ist nicht bekannt – <strong>Adler</strong> verteidigt Freuds Ideen in<br />

Wiener Ärztekreisen und erarbeitet sich so eine Einladung zu dem erlesenen<br />

Gesprächskreis, <strong>der</strong> sich immer Mittwochs, nach dem Abendessen, in Freuds<br />

Wohnung trifft.<br />

Allein: die Sympathie bei<strong>der</strong> füreinan<strong>der</strong> währt nur knapp zehn Jahre. <strong>Adler</strong> kann<br />

Freuds Vorstellung nicht nachvollziehen, dass unterdrückte Sexualität in <strong>der</strong> Kindheit<br />

die Quelle aller seelischen Leiden sein soll. Nicht einmal dem Ödipuskomplex misst<br />

er die gleiche Bedeutung bei. Da wirft Freud ihn aus seiner Runde hinaus – und<br />

verfolgt <strong>Adler</strong> sein Leben lang mit Hass.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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4


2.Sprecher:<br />

ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

Eine kuriose Geschichte ereignet sich auf dem Psychoanalytiker-Kongress 1910:<br />

Freud, selbst Jude, plädiert vehement dafür, das Zentrum <strong>der</strong> Psychoanalyse von<br />

Wien nach Zürich zu verlegen. Die Analytiker müssten aus <strong>der</strong> wienerisch-jüdischen<br />

Abgeschlossenheit heraustreten. Nachdem Freud dafür eine flammende Rede<br />

gehalten hat, fällt er in Ohnmacht.<br />

Autorin:<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> entwickelt seine Lehre und nennt sie „Individualpsychologie“.<br />

Während Freud und die an<strong>der</strong>en Anhänger <strong>der</strong> Psychoanalyse annehmen, <strong>der</strong><br />

Mensch sei nur von seiner Vergangenheit geprägt, hält <strong>Adler</strong> die Zukunft für ebenso<br />

bedeutend. Je<strong>der</strong> Mensch hat ein Lebensziel, zu dem er sich bewegt. Dabei sei das<br />

menschliche Wesen – letzten Endes – von unerschütterlicher Mitmenschlichkeit<br />

gekennzeichnet. Im „Gemeinschaftsgefühl“ findet <strong>der</strong> Mensch Ausgleich für seine<br />

Min<strong>der</strong>wertigkeit.<br />

Seelische Krankheiten entstehen da, wo ein Mensch gehin<strong>der</strong>t wird – o<strong>der</strong> sich<br />

gehin<strong>der</strong>t fühlt - sein Ziel zu verfolgen. Dafür können Erfahrungen in <strong>der</strong> Kindheit<br />

verantwortlich sein. So baut sich Schutt auf den Lebensweg.<br />

O-Ton Reinert<br />

5/4.20 – 5.23 (Kürzungen)<br />

Es geht darum, die Stellen wie<strong>der</strong> aufzufinden, an denen sich bestimmte<br />

Verhaltensweisen o<strong>der</strong> bestimmte Denk- und Fühlweisen entwickelt haben.<br />

Das heißt ein emotionales Zurückkehren an den Ort, an dem Dinge passiert sind, die<br />

mein Leben negativ geprägt haben.<br />

Autorin:<br />

Doktor Thomas Reinert arbeitet mit schwer gestörten o<strong>der</strong> süchtigen Patienten <strong>als</strong><br />

Direktor <strong>der</strong> Fachklinik Langenberg und ist Vorsitzen<strong>der</strong> des <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> <strong>Institut</strong>s in<br />

Düsseldorf.<br />

O-Ton Reinert<br />

Und in <strong>der</strong> Neuerfahrung – <strong>als</strong>o in <strong>der</strong> Übertragung auf den Therapeuten, auf die<br />

Therapeutin, erfahre ich Dinge an<strong>der</strong>s, kann sie modifizieren, kann mich lösen aus<br />

alten Empfindungsklischees und kann mich befreien.<br />

Es ist ein Schutt-weg-räumen.<br />

Autorin:<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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5


ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

<strong>Adler</strong> hat genau definiert, in welcher Haltung Ärzte o<strong>der</strong> Psychotherapeutinnen,<br />

Therapeuten ihren Patientinnen und Patienten begegnen müssen: Auf Augenhöhe.<br />

O-Ton Reinert<br />

3/2.30<br />

Er legt sehr großen Wert auf Gleichberechtigung. Es soll nie ein „Von-oben-herab“<br />

sein in <strong>der</strong> Beziehung, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Patient soll sich angenommen fühlen und soll<br />

sich fühlen in einer Position <strong>der</strong> grundsätzlichen Gleichheit, wobei sich <strong>der</strong> Therapeut<br />

durch sein Fachwissen unterscheidet, durch seine Erfahrung unterscheidet.<br />

Autorin:<br />

Und das heißt natürlich auch, dass Therapeuten Blickkontakt haben mit ihren<br />

Patienten – und nicht, wie in Freuds Schule, hinter ihnen sitzen, während sie auf <strong>der</strong><br />

Couch liegen.<br />

<strong>Adler</strong> setzte Humor und Überraschung in seinen Therapien ein. Eine schwer<br />

depressive Patientin kommt in seine Praxis. Seine Empfehlung ist schlicht, lebt aber<br />

von einer gewissen Dramatik in <strong>der</strong> Darstellung:<br />

2.Sprecher<br />

Es handelt sich aber um eine furchtbar schwere Kur, man muss schon sagen: um<br />

eine Rosskur. Daher hat es vielleicht gar keinen Sinn, dass ich sie Ihnen vorschlage.<br />

Sie können sich selbst von Ihrem Leiden heilen, wenn Sie von morgen früh an jeden<br />

Tag alle Gedanken darauf konzentrieren, herauszufinden, wie und womit Sie<br />

jemanden eine große Freude bereiten können. Wenn Sie das zwei Wochen lang<br />

durchhalten, dann brauchen Sie keine Behandlung mehr.<br />

Autorin:<br />

<strong>Adler</strong> appelliert an die gesunden Anteile seiner Patienten und vertraut darauf, dass<br />

diese den Menschen zu seinem Lebensziel, in seinen angemessenen Lebensstil<br />

führen.<br />

Auch Peter, <strong>der</strong> 42jährige Patient hat sein Ziel gefunden. Es mag einfach klingen, ist<br />

für ihn aber doch groß.<br />

O-Ton Peter<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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6


ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

8.00<br />

Der Wunsch, <strong>der</strong> sich daraus ergeben hat, ist im Grunde genommen, mehr<br />

Normalität, einer unter vielen sein zu können und darin eine Zufriedenheit zu haben.<br />

Autorin:<br />

Er hat auch erlebt, wie sein Therapeut <strong>Adler</strong>s For<strong>der</strong>ung gestaltet, eine liebevolle,<br />

menschenfreundliche Atmosphäre zu schaffen, in <strong>der</strong> ein Patient sich neu entwickeln<br />

kann:<br />

O-Ton Peter<br />

1/5.10<br />

Er hat mich ausgehalten. Er hat die Heftigkeit meiner Reaktion ausgehalten. Ich<br />

weiß, dass ich zum Teil sehr, sehr heftig sein konnte und verletzend sein konnte, weil<br />

ich mich selber so verletzt gefühlt hatte. Und bin trotzdem ausgehalten worden und<br />

bin nicht mit dem Brandmakel belastet worden, Du bist nicht ertragbar.<br />

1/5.55<br />

Ich konnte das Gefühl entwickeln, ich bin doch nicht so freakig, o<strong>der</strong> so schräg, o<strong>der</strong><br />

so ein Außerirdischer. Da sitzen noch einige, die genauso sind wie ich und die<br />

arbeiten genauso schwer wie ich daran, damit leben zu können und bestenfalls sogar<br />

noch das zu akzeptieren, dass es so ist.<br />

O-Ton Reinert<br />

5/8.30<br />

Wenn ich mit einer Blinddarmentzündung zum Chirurgen gehe, vertraue ich mich ihm<br />

an und wenn ich aufwache, ist das Entscheidende passiert.<br />

Das ist in <strong>der</strong> Psychotherapie und insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Psychoanalyse an<strong>der</strong>s: wir<br />

können nur wie Katalysatoren Dinge induzieren, die dann im Patienten passieren.<br />

<strong>Adler</strong> hat immer wie<strong>der</strong> darauf hingewiesen, dass <strong>der</strong> Patient sich eigentlich selbst<br />

therapiert und wir die Hilfsmittel dazu sind.<br />

Musikakzent<br />

Autorin:<br />

Weil <strong>der</strong> Mensch in <strong>der</strong> Lage ist, sich mit Hilfe <strong>der</strong> Individualpsychologie selbst zu<br />

erziehen, hält <strong>Adler</strong> seine Methode für eine große Retterin <strong>der</strong> Menschheit. In den<br />

zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>ts macht er sie deshalb<br />

unermüdlich bekannt. In vielen Städten bilden sich individualpsychologische<br />

Ortsgruppen, die in <strong>der</strong> Therapie, vor allem aber auch in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung tätig<br />

sind. <strong>Adler</strong> hält Vorträge an Universitäten und Volkshochschulen in Europa und<br />

Amerika. In einem <strong>der</strong> wenigen Tondokumente von ihm spricht er auf englisch über<br />

Leiden von Kin<strong>der</strong>n:<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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7


O-Ton <strong>Adler</strong><br />

2300415103 V DAT<br />

10 sek!<br />

Autorin:<br />

ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

Und wenn er nach Hause kam war er ganz <strong>der</strong> gesellige Wiener:<br />

Sprecher<br />

Im Café Siller, dessen Inhaber, ein dankbarer Patient, <strong>Adler</strong>s Freund geworden war,<br />

gab es einen beson<strong>der</strong>en Raum für <strong>Adler</strong>s Kreis, dessen Zusammenkünfte ohne viel<br />

Formalitäten doch würdig und eindrucksvoll waren. <strong>Adler</strong> wurde für einen <strong>der</strong> besten<br />

Witzeerzähler gehalten – doch enthielt ein Witz von ihm oft mehr Weisheit <strong>als</strong> eine<br />

ganze Universitätsvorlesung.<br />

Autorin:<br />

<strong>Adler</strong> war immer ein politischer Mensch und hat schon früh die Gefahr des<br />

heraufziehenden Faschismus in Österreich erkannt. 1934 zieht er mit seiner Frau<br />

und drei seiner vier Kin<strong>der</strong> nach New York. Eine Tochter hatte einen russischen<br />

Sozialisten geheiratet, war nach Russland gezogen, dort jahrelang verschollen und<br />

wurde bei den so genannten Säuberungen Stalins getötet.<br />

<strong>Adler</strong> reist von New York aus weiterhin rastlos für seine Lehre durch die Vereinigten<br />

Staaten und Europa. So hält er auch Vorträge in Aberdeen in Schottland. Sie<br />

kommen gut an, er diskutiert mit Studenten, geht abends ins Kino und schreibt noch<br />

ein paar Briefe. Am Morgen des 27. Mai 1937 geht <strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> in Aberdeen<br />

spazieren, er gleitet aus, fällt und stirbt an Herzversagen. Er ist 67 Jahre alt.<br />

O-Ton Reinert<br />

7/1.20<br />

Als <strong>Adler</strong> kurz vor seinem Lebensende in einer eher depressiven Verfassung war<br />

und einen Spaziergang mit einem Freund unternahm, sagte er resignativ: Ach weißt<br />

Du, wenn ich einmal nicht mehr bin, was wird von mir bleiben. Und <strong>der</strong> sehr kluge<br />

Freund antwortet: Alles. Nur nicht unter Deinem Namen.<br />

Autorin:<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbeson<strong>der</strong>e darf das <strong>Manuskript</strong> we<strong>der</strong> vervielfältigt, verbreitet o<strong>der</strong> öffentlich<br />

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8


ZeitZeichen<br />

Sendedatum: 07.02.2005<br />

Titel: <strong>Adler</strong><br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Adler</strong> glaubte unbeirrbar daran, dass Menschen im Gemeinschaftsgefühl ihren<br />

Sinn finden. Und er war überzeugt, dass Zeiten, in denen die Menschheit davon<br />

abkommt, vorübergehen werden.<br />

1.Sprecher:<br />

Ob das nun gesun<strong>der</strong> Menschenverstand ist – o<strong>der</strong> Blauäugigkeit – das müssen nun<br />

Sie entscheiden.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2004<br />

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