Herunterladen (Pdf, 5,4 MB) - Neue Deutsche Burschenschaft
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Danziger B! Alemannia zu Aachen<br />
Rheno-Palatia Augsburg<br />
Berliner B! Obotritia<br />
Alemannia Bonn<br />
Frisia Darmstadt<br />
Rheno-Markomannia Darmstadt<br />
Rugia Darmstadt<br />
Bubenreuther Erlangen<br />
Franconia Freiburg<br />
Frankonia Gießen<br />
Brunsviga Göttingen<br />
Alt-Germania Hannover<br />
Hannoversche B! Teutonia<br />
Markomannia Kaiserslautern<br />
Karlsruher B! Arminia<br />
Tulla Karlsruhe<br />
Suevia Köln<br />
Roter Löwe Leipzig<br />
Alemannia Marburg<br />
Arminia Marburg<br />
Arminia Stuttgart<br />
Stuttgarter B! Ulmia<br />
33. AusgAbe | 16. JAhrgAng<br />
Wintersemester 2012/13<br />
academicus<br />
Magazin der neuen deutschen <strong>Burschenschaft</strong><br />
Spezial: Freiheit<br />
Was bedeutet Freiheit – und was<br />
kann die <strong>Burschenschaft</strong> für sie tun?<br />
Freiheit der<br />
Bürger:<br />
demokratische<br />
Wahrheit?<br />
Burschen-<br />
schaFtliche<br />
BeWegung:<br />
die krise als chance –<br />
Zehn empFehlungen<br />
geschichte:<br />
Was ist eine nation?
„Als<br />
Bürger der<br />
Bundesrepublik habe<br />
ich in den letzten<br />
zwanzig Jahren zur<br />
Kenntnis nehmen müssen,<br />
dass die Freiheit tatsächlich im<br />
Alltag der freien Gesellschaften einen<br />
Teil ihres Glanzes verliert. Als<br />
Ostdeutscher, als Betroffener einer<br />
osteuropäischen Verlustgeschichte<br />
weiß ich aber deutlicher als die, die immer<br />
über sie verfügt haben, dass wir, wenn<br />
wir uns nicht immer wieder von ihr<br />
beflügeln und befähigen lassen, auch<br />
an Kraft und Willen zur Veränderung<br />
einbüßen.<br />
Mag sein, dass Jahre kommen, in<br />
denen die Freiheit noch mehr an Glanz<br />
verliert. Mag sein, dass uns ungewohnte<br />
Lasten auferlegt werden. Mag sein, dass<br />
dann allgemeiner Verdruss das Land<br />
noch mehr einhüllt. Aber ich werde mich<br />
erinnern: Wir haben sie ersehnt, sie hat<br />
uns angeschaut, wir sind aufgebrochen,<br />
und sie hat uns nicht im Stich<br />
gelassen, als uns in der Freiheit neue<br />
Herausforderungen begegneten. Es kann<br />
nicht anders sein: Sie wird mir immer<br />
leuchten.”<br />
Joachim gauck, Winter im<br />
sommer – Frühling im<br />
herbst<br />
Foto: Bundesarchiv<br />
GRUSSWoRT<br />
von Johannes Lüschow<br />
ulmia stuttgart (2010)<br />
liebe verbandsbrüder,<br />
diese Ausgabe des academicus steht unter dem<br />
Motto „Freiheit“. Mir, als Mensch, der in der Medienbranche<br />
arbeitet, kommt dabei sofort der Artikel<br />
5 unseres Grundgesetzes in den Sinn, der mir<br />
das Recht einräumt, meine Meinung frei äußern<br />
und verbreiten zu können. Mit diesem Artikel soll<br />
gewährleistet werden, dass sich jeder Mensch<br />
durch unzensierte Informationsquellen seine eigene<br />
Meinung bilden kann. Durch die allgegenwärtige<br />
Präsenz der Medien besteht jedoch die Gefahr,<br />
dass durch einseitige Berichterstattung die eigene<br />
Meinung manipuliert wird.<br />
Viele von uns haben dies schon einmal miterlebt<br />
– ob als Bundesbruder, der über die Geschichte<br />
von Verbindungen erzählt, als Verbandsbruder,<br />
der über den Dachverband redet, oder als Freund,<br />
der gefragt wird, warum man überhaupt in einer<br />
Studentenverbindung sei. Mit dem aktuell vorherrschenden<br />
Bild über Verbindungen hört man<br />
immer wieder die gleichen Vorurteile wie rechtsradikal,<br />
Pflege von Seilschaften, frauenfeindlich<br />
etc. Daraus ergibt sich ein immenser Handlungsbedarf,<br />
um dieses falsche Bild in der Öffentlichkeit<br />
zu korrigieren.<br />
Die Schwierigkeit dabei ist, die breite Masse zu<br />
erreichen. Dies geht nur mithilfe der Medien. Bevor<br />
jetzt einige protestieren und sagen „Das haben<br />
wir alles schon versucht und der Schuss ging<br />
nach hinten los“, ist meine Meinung: Wir können<br />
etwas verändern.<br />
In den vergangenen Jahren hat sich schon einiges<br />
getan: Die Medien wissen jetzt, dass nicht<br />
alle Verbindungen <strong>Burschenschaft</strong>en sind, dass<br />
es zwei Dachverbände der <strong>Burschenschaft</strong>en<br />
gibt und wir <strong>Burschenschaft</strong>er sind und nicht <strong>Burschenschaft</strong>ler.<br />
Wobei letztgenannter Punkt bei<br />
einigen Vertretern der Zunft wohl immer noch<br />
nicht angekommen ist.<br />
Dies ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was wir<br />
sind bzw. nicht sind. Nur durch konsequente Öffentlichkeitsarbeit<br />
können wir hier einiges geraderücken.<br />
Natürlich birgt dies die Gefahr, dass der<br />
eine oder andere Beitrag in der Aussage verfälscht<br />
wird. Jedoch stellt sich die Frage, was besser ist,<br />
lieber anonym zu bleiben und die vorherrschende<br />
öffentliche Meinung – eingeschworener Männerhaufen,<br />
dem Trinkgelage das Wichtigste sind – unwidersprochen<br />
zu lassen? Oder der Öffentlichkeit<br />
zu beweisen, auch mithilfe der Medien, worum es<br />
uns <strong>Burschenschaft</strong>ern wirklich geht: Förderung<br />
im Studium, Weiterentwicklung der sozialen Persönlichkeit<br />
und der Punkt, der mir am wichtigsten<br />
erscheint, die Freundschaft. Meiner Meinung nach<br />
muss man dabei nicht lange überlegen, welches<br />
der richtige Weg ist.<br />
Mit verbandsbrüderlichen Grüßen<br />
Johannes Lüschow, Ulmia Stuttgart<br />
academicus 2/2012<br />
3
INHALT<br />
spezial: Freiheit<br />
Was bedeutet Freiheit – und was kann die <strong>Burschenschaft</strong> für sie tun?<br />
3 GRUSSWoRT<br />
von Johannes lüschow, Ulmia Stuttgart<br />
6 LeSeRBRIeFe<br />
8 TeRMINe<br />
aktuell<br />
9 BeRIcHT DeLeGIeRTeNTAG<br />
10 BeRIcHT VoM BURScHeNTAG 2012<br />
IN LANDAU<br />
von Florian Stopinski und Frederic Bäcker,<br />
rheno-Markomannia<br />
spezial: Freiheit<br />
Foto: claus Ableiter<br />
PReSSeFReIHeIT ....................................17<br />
Was wurde aus einer zentralen Forderung des<br />
Hambacher Festes?<br />
12 Franz Ludwig Graf Stauffenberg:<br />
Freiheit der Bürger – Demokratische Wahrheit?<br />
Vortrag am 21. april 2012 in Darmstadt<br />
17 Hambach und die Pressefreiheit heute<br />
von prof. Dr. Johannes Weberling,<br />
Frankonia Gießen<br />
25 Rangliste der Pressefreiheit 2011<br />
Zur weltweiten Lage der Presse- und Medienfreiheit<br />
coMMeNT ........................................... 26<br />
Ist commentgemäßes Verhalten mit Freiheit vereinbar?<br />
26 Der comment oder Die missverstandene Freiheit<br />
von Martin haape, rugia Darmstadt<br />
28 Fichte: Das „Ich“ und die Freiheit<br />
von aljoscha harmsen, Franconia Freiburg<br />
31 Meinungsduell: Haben die Aktiven zu viel Freiheit?<br />
andrew Kraft, Franconia Freiburg, vs.<br />
rüdiger Sturhan, alemannia Marburg<br />
34 Frag-Würdig! – Die Umfrage zur Freiheit ist da<br />
von Frederic Bäcker, rheno-Markomannia<br />
35 Moderne Sklaverei<br />
von Bernd preiß, <strong>Burschenschaft</strong><br />
der Bubenreuther erlangen<br />
Verbandsleben<br />
38 Krise der <strong>Burschenschaft</strong> als chance –<br />
Zehn empfehlungen für eine Kurskorrektur<br />
von Dr. Gerd Möller, ehem. alte Breslauer<br />
<strong>Burschenschaft</strong> der raczeks Bonn<br />
41 in memoriam<br />
Nachruf auf christian Hünemörder<br />
42 Der Betrieb eines Studentenwohnheims –<br />
nicht immer ohne Tücken<br />
von Michael röcken, Corps Neoborussia Bochum,<br />
und Michael hacker, alemannia Bonn<br />
FIcHTe ............28<br />
ein Philosoph der Freiheit<br />
Geschichte<br />
44 ernest Renan:<br />
Was ist eine Nation?<br />
Vortrag an der Sorbonne<br />
vom 11. März 1882<br />
48 Aus unseren Reihen:<br />
„Kaiser“ und Gelehrter<br />
Karl von Hase (1800–1890)<br />
von arnulf Baumann, <strong>Burschenschaft</strong><br />
der Bubenreuther<br />
Vorschau<br />
MoDeRNe SKLAVeReI .................35<br />
Über 27 Millionen Menschen gelten heute als versklavt<br />
inFormationen<br />
51 Rezension: Biographie Horst Baier<br />
von hans peter Schmidt, <strong>Burschenschaft</strong><br />
der Bubenreuther<br />
erlangen und alemannia Bonn<br />
53 BURScHeNScHAFTeR<br />
TReFFeN SIcH<br />
55 ANScHRIFTeN<br />
GeSeLLScHAFT IM VeRäNDeRUNGSSTReSS –<br />
ÜBeR KoNTINUITäT UND WANDeL IN<br />
UNSeReR ZeIT (ARBeITSTITeL)<br />
Wir planen, das Spezial der nächsten academicus-Ausgabe dem Thema<br />
„Gesellschaft im Veränderungsstress“ zu widmen. Wie viel Wandel strömt auf<br />
die Menschen in Deutschland und europa im 21. Jahrhundert ein? Wie gelingt<br />
Wandel, wie scheitert er? Wie wichtig ist Kontinuität? Welche Rolle kann die<br />
<strong>Burschenschaft</strong> spielen? Und wie viel Kontinuität und Wandel braucht sie selbst?<br />
Wir bitten Verbandsbrüder, die Interesse an einer Mitarbeit haben oder<br />
Autoren (intern oder extern) benennen können, sich mit der Schriftleitung<br />
in Verbindung zu setzen.<br />
herausgeber<br />
neue deutsche burschenschaft e.V.<br />
redaktion<br />
aljoscha harmsen<br />
maria-theresia-str. 13<br />
79102 Freiburg<br />
e-mail: academicus@neuedb.de<br />
Anzeigen<br />
siehe redaktion<br />
anzeigenpreise auf nachfrage<br />
Auflage<br />
4.500 exemplare<br />
einzelverkauf<br />
preis inkl. inlandsversandkosten:<br />
je exemplar 6 €;<br />
Jahresabonnement für kalen derjahr 12 €<br />
(Verlängerung durch Überweisung bis spätestens<br />
31. dezember des Vorjahres). bestellungen:<br />
vorzugsweise an stellv@neuedb.de,<br />
ersatzweise an neuedb, ringstr. 29, 91080<br />
marloffstein. bankverbindung: kto. 3950060,<br />
blz 50090500 (sparda-bank hessen),<br />
Verwendungszweck „academicus“.<br />
beiträge<br />
Wir bitten alle beiträge wenn möglich per<br />
e-mail an die redaktion zu senden. Folgende<br />
angaben werden benötigt: autorenname,<br />
bund, eintrittsjahr (nicht semester!) sowie<br />
auskunft, ob der artikel im internet veröffentlicht<br />
werden darf. ein anspruch auf abdruck<br />
besteht nicht. die redaktion behält sich<br />
kürzungen vor.<br />
gestaltung<br />
sturmtiefdesign münchen<br />
der academicus erscheint halbjährlich und<br />
wird an alle mitglieder der mitgliedsvereinigungen<br />
der neuen deutschen burschenschaft<br />
versandt. namentlich gezeichnete autorenbeiträge<br />
stimmen nicht unbedingt mit der<br />
meinung des herausgebers überein.<br />
redaktionsschluss der ausgabe für<br />
das sommersemester 2013 ist der<br />
4 5<br />
31. märz 2013<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
Impressum
LeSeRBRIeFe<br />
der leser hat das Wort<br />
Die burschenschaftliche Definition des Begriffes<br />
„Vaterland“ wird sicher in interessierten Kreisen<br />
als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen<br />
<strong>Neue</strong>r <strong>Deutsche</strong>r <strong>Burschenschaft</strong> (<strong>Neue</strong>DB)<br />
und <strong>Deutsche</strong>r <strong>Burschenschaft</strong> (DB) wahrgenommen.<br />
In diesem Sinne sind auch die Beiträge von<br />
Werner Drewing und Prof. Peter Kaupp zu lesen.<br />
Dabei wird vielfach vergessen, dass die Differenzen<br />
in der Satzung gar nicht so bedeutend sind,<br />
sondern dass die Verfassungswirklichkeit der DB<br />
und die von ihrem Rechtsausschuss gemachten<br />
Auslegungen die Unterschiede markieren.<br />
Der Artikel 4 der Grundwerte der <strong>Neue</strong>nDB, „Die<br />
politischen (also nicht die geografischen, kulturellen<br />
oder sonstigen – M.H.) Grenzen des deutschen<br />
Vaterlandes sind die Grenzen der Bundesrepublik<br />
Deutschland“, schließt ein „volkstumsbezogenes<br />
Bekenntnisprinzip“ eben nicht aus. Dem entgegen<br />
schließen die maßgeblichen Interpretatoren<br />
der DB-Verfassung die Aufnahme von Nichtdeutschen<br />
als Mitglieder aus.<br />
In den Mitgliedsbünden der <strong>Neue</strong>nDB kann jeder,<br />
der sich zu den Zielen der <strong>Neue</strong>nDB bekennt,<br />
Mitglied werden. Dasselbe gilt für meine eigene<br />
<strong>Burschenschaft</strong> Alemannia zu Bonn, die im grundsätzlichen<br />
Teil ihrer Satzung den volkstumsbezogenen<br />
Vaterlandsbegriff verankert hat und auch<br />
einen Deutsch-Belgier und einen waschechten<br />
Iren zu ihren Mitgliedern zählt. Unbehaglich wäre<br />
mir nur die Aufnahme eines Bundesbruders, der<br />
zwar deutscher Staatsbürger ist, aber sich doch<br />
nicht zu Deutschland bekennt. ein Staatsbürger<br />
der Bundesrepublik Österreich oder ein Deutschchilene<br />
wären auch als Mitglied problemlos und<br />
würden nicht gegen den Grundwert „Vaterland“<br />
der <strong>Neue</strong>nDB oder gegen ihre Satzung verstoßen.<br />
VoN MichaeL hacker<br />
alemannia Bonn (1986)<br />
Probleme haben wir ehemaligen DB-<strong>Burschenschaft</strong>er<br />
nur mit einzelnen <strong>Burschenschaft</strong>en/Burschenschaf<br />
tern aus Österreich, die uns unser<br />
<strong>Burschenschaft</strong>ersein absprechen, weil wir oder<br />
unsere Mitglieder nicht ihren Vorstellungen entsprechen.<br />
Und daher gilt für meine <strong>Burschenschaft</strong>,<br />
dass wir nicht wegen der Verfassung oder<br />
der Grundwerte 1995 aus der DB ausgetreten<br />
sind, sondern wegen ihrer Verfassungswirklichkeit,<br />
die von Minderheiten und einem Rechtsausschuss<br />
mit dem charakter eines „Wohlfahrtsausschusses<br />
der Jakobiner“ vorgegeben war und ist.<br />
Prof. Kaupp ist zuzustimmen, dass das Bekenntnisprinzip<br />
den Vaterlandsbegriff der <strong>Burschenschaft</strong><br />
auch weiterhin bestimmt. Dem steht auch<br />
die Formulierung in den Grundwerten der <strong>Neue</strong>nDB<br />
nicht entgegen. Seinen Vorschlag für eine<br />
Neuformulierung des Vaterlandsbegriffes halte<br />
ich für überaus akzeptabel, wenn damit eine Annäherung<br />
zwischen <strong>Neue</strong>rDB und den vielen respektablen,<br />
aus der DB ausgetretenen <strong>Burschenschaft</strong>en<br />
ermöglicht würde. Das gilt es auszuloten<br />
(oder sind es andere Gründe, die diese <strong>Burschenschaft</strong>en<br />
von einer Mitgliedschaft in der <strong>Neue</strong>nDB<br />
abhalten?). eine Sammlung des burschenschaftlichen<br />
Lagers diesseits der Hardliner und Unverbesserlichen<br />
in der DB ist sicher ein lohnenswertes<br />
Ziel und des Schweißes der edlen wert. es müssen<br />
allerdings auch die Vorbehalte der insbesondere<br />
jüngeren Verbandsbrüder und <strong>Burschenschaft</strong>er<br />
gegenüber dem Dachverband aufgenommen<br />
werden, die die Sinnhaftigkeit eines Dachverbandes<br />
in Zweifel ziehen. Die weitere Aufsplitterung<br />
der burschenschaftlichen Landschaft heute kann<br />
aber genauso wie ein zersplittertes Vaterland<br />
1815 nicht in unserem Sinne sein.<br />
Leserbriefe zu AcAdemicus sommersemester 2012<br />
„Vaterland – eIne GeGenüberstellunG“:<br />
Verbandsbruder Peter Kaupp schätze ich als seriösen<br />
Historiker. Ich erkenne sein sichtbares Bemühen<br />
an, zwischen den Begriffsdefinitionen für<br />
„Vaterland“ von DB und <strong>Neue</strong>rDB zu vermitteln.<br />
Der entscheidende Punkt scheint mir die Frage<br />
der Abstammung zu sein.<br />
Dass die Zugehörigkeit zum deutschen Volk an<br />
„Abstammung, Sprache und Kultur“ – in dieser<br />
Reihenfolge! – gebunden wird und daraus die<br />
Ablehnung eines aus china stammenden Bundesbruders<br />
gefolgert werden kann, zeigt deutlich,<br />
dass die DB eine offene Flanke gegenüber<br />
rassistischem Gedankengut hat. Kaupp vermeidet<br />
zwar in seinem Kompromissvorschlag die erwähnung<br />
der Abstammung, aber er nimmt auch<br />
nicht klar dagegen Stellung. Das ist schade, denn<br />
es lässt Raum für absurde entscheidungen wie<br />
die zitierte. Die Definition der <strong>Neue</strong>nDB lässt dagegen<br />
zwar Raum für sich zum deutschen Volk<br />
außerhalb der Staatsgrenzen der Bundesrepublik<br />
Bekennende, aber sie lässt ebenso – und das<br />
ist wichtig! – Raum für Menschen ganz anderer<br />
Herkunft, die sich nach erwerb der Staatsbürgerschaft<br />
zum deutschen Volk bekennen.<br />
Hier ist ein historischer Hinweis nötig: Das deutsche<br />
Volk ist seit jeher geprägt durch Zuwanderungen<br />
(aber auch Abwanderungen). Alte deutsche<br />
Familiennamen wie Daehne, Schwede, Pohl,<br />
Böhme, Unger, Lamparter (aus der Lombardei),<br />
Welsch oder Holländer sind unübersehbare Hinweise<br />
darauf, dass die Vorfahren der Namensträ-<br />
VoN arnuLf BauMann<br />
<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1951)<br />
ger einmal aus benachbarten Ländern zugewandert<br />
sind. Und Namen wie Lafontaine, Bouffier,<br />
de Maizière, McAllister, Montgomery, Dombrowski<br />
Kwiatkowski, usw. oder die von Fußballern wie<br />
Özil, Gomez oder Boateng sind deutliche Hinweise<br />
darauf, dass diese Vorgänge weitergehen.<br />
Soll ihnen allen die Zugehörigkeit zum deutschen<br />
Volk abgesprochen werden? Wo soll man da eine<br />
Grenze ziehen?<br />
Das deutsche Volk ist allein durch seine geografische<br />
Situation, aber auch durch seine Attraktivität<br />
immer wieder und immer noch das Ziel von<br />
Zuwanderern gewesen und geblieben. Man kann<br />
sogar sagen, dass das deutsche Volk insgesamt<br />
das ergebnis einer ungeheuren Integrationsleistung<br />
ist. es wäre absurd, dies als Gefährdung<br />
seiner Identität zu betrachten. Im Gegenteil:<br />
Das deutsche Volk hat durch das Hinzukommen<br />
von Menschen anderer Herkunft unendlich viel<br />
gewonnen, an Vielfalt, an Fähigkeiten, an Möglichkeiten.<br />
Darüber können wir uns freuen. Der<br />
„volkstumsbezogene“ Vaterlandsbegriff leidet darunter,<br />
dass er in einem abstrakten Raum ohne<br />
Bodenhaftung herumschwebt. Wenn man sich<br />
auf die konkreten Gegebenheiten einlässt, kann<br />
man die Wirklichkeit des Staates nicht außer Acht<br />
lassen. Wir sollen offen sein für das Hinzukommen<br />
anderer. Das macht uns nicht ärmer, aber<br />
es stellt uns vor die Aufgabe ihrer Integration. Ich<br />
hoffe, dass auch Verbandsbruder Kaupp dem zustimmen<br />
kann.<br />
Wir legen Wert auf ihre meinung. ihre zuschriften sollten sich auf diese ausgabe des academicus beziehen<br />
und möglichst kurz sein. unter umständen müssen wir kürzen, um eine Veröffentlichung zu ermöglichen.<br />
leserbriefe sind keine redaktionellen meinungsäußerungen. senden sie uns ihren leserbrief per<br />
e-mail an academicus@neuedb.de oder per post an den schriftleiter (angaben siehe impressum).<br />
6 7<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
TeRMINe<br />
29. november 2012, 20 uhr<br />
Arndt Macheledt: Vortrag „Minderheiten<br />
und Minderheitenpolitik in der EU“<br />
Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />
Hainweg 9, 35037 Marburg<br />
6. dezember 2012, 20 uhr<br />
Prof. Dr. eckart conze: Vortrag „Die Rolle des Auswärtigen<br />
Amtes während und nach der NSZeit“<br />
Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />
Hainweg 9, 35037 Marburg<br />
12. dezember 2012<br />
Wolfram Welbers, Generalbevollmächtigter Nationalbank<br />
AG, ehem. Vorstand Prüfungsverband deutscher<br />
Banken: Vortrag „Fünf Jahre Finanzkrise –<br />
Quo vadis Deutschland?“<br />
Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Bonn,<br />
Rosental 105, 53111 Bonn<br />
15. dezember 2012, 13 uhr<br />
Quo vadis Europa? Weihnachtssymposium der Vorsitzenden<br />
<strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg<br />
einst gefeiert als errungenschaft der Völker nach Jahrhunderten<br />
voller Kriege, hat die europäische Idee, bedingt<br />
durch Finanz- und Währungskrise, in den letzten Jahren<br />
scheinbar ihren Glanz verloren. In dem Symposium soll die<br />
politische Zukunft unseres Kontinentes und der Institution<br />
„europäische Union“ erörtert werden.<br />
ANZeIGe<br />
Referenten:<br />
• Michael Gahler (cDU), europaabgeordneter und<br />
Vizepräsident des Netzwerkes „europäische Bewegung<br />
Deutschland“<br />
• Dr. Wolf Klinz (FDP), europaabgeordneter und Wirtschaftsexperte<br />
• Dr. Dieter Bingen, Direktor des <strong>Deutsche</strong>n Polen-Instituts<br />
Darmstadt<br />
• Dr. Anna Veronika Wendland, Herder-Institut Marburg,<br />
expertin für osteuropäische Zeitgeschichte<br />
• Franziskus Posselt, Vorsitzender der Paneuropa-Jugend<br />
Deutschland<br />
Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />
Hainweg 9, 35037 Marburg<br />
16. dezember 2012<br />
Thomastag mit Thomasbummel<br />
in Nürnberg vor der Lorenzkirche<br />
16. JAnuAr 2013<br />
Exkursion: Kernkraftwerk<br />
Philippsburg<br />
Veranstalter: Karlsruher<br />
<strong>Burschenschaft</strong> Tulla,<br />
Waldhornstr. 18, 76131<br />
Karlsruhe<br />
vorstandsschuhe anziehen!<br />
Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender und Kassenwart werden auf dem<br />
Burschentag 2013 nicht mehr kandidieren. Wir bitten die Bünde daher, dem<br />
Vorstand interessierte Verbandsbrüder für eine Nachfolge zu benennen.<br />
Foto: Michael Kauffmann<br />
18. - 20. JAnuAr 2013<br />
Fuxenwochenende in Marburg<br />
Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />
Hainweg 9, 35037 Marburg<br />
15. märz 2013<br />
Einsendeschluss der Bewerbungen<br />
für den HeinrichLudenPreis<br />
(www.neuedb.de/index.php?id=2403).<br />
Kontakt: HLP@neuedb.de<br />
vorschLAg nr. 1, fester ort für den<br />
burschentAg: Der Vorschlag wurde insgesamt<br />
befürwortet. Sechs Städte wurden genannt und sollen<br />
näher auf ihre eignung hin untersucht werden (Reihenfolge<br />
alphabetisch): Berlin, eisenach, Frankfurt, Hannover,<br />
Jena, Landau.<br />
vorschLAg nr. 2, „grosse“ burschentAge<br />
mit Kommers nur ALLe drei JAhre:<br />
Der Vorschlag stieß insgesamt auf wenig Gegenliebe. Allerdings<br />
wurde die Idee geäußert, die Verhandlung dadurch<br />
zu verschlanken, dass zeitgleich Seminare, Arbeitsgruppen<br />
etc. tagen und an der Verhandlung nur die Abgeordneten<br />
der Bünde teilnehmen sollten.<br />
vorschLAg nr. 3, die vorsitzende<br />
burschenschAft wird von orgAnisAtorischen<br />
AufgAben entLAstet: Hier<br />
stellte sich im Verlauf der Diskussion heraus, dass die entlastung<br />
von organisatorischen Aufgaben nicht der entscheidende<br />
Punkt ist. es muss vielmehr darum gehen, das<br />
Vorsitzjahr insgesamt attraktiv und erstrebenswert für<br />
die Bünde zu machen. Die Möglichkeiten der Verbandsgestaltung<br />
spielen eine Rolle, ebenso das allgemeine Ansehen<br />
der Aufgabe.<br />
vorschLAg nr. 5, reform der verbAndsstruKtur:<br />
Allgemein wurde die bestehende<br />
Form (der klassische burschenschaftliche Dachverband)<br />
anderen Formen (Interessenverband, Förderverein,<br />
„Verband der Verbände“) vorgezogen. Allerdings soll eine<br />
wichtige Facette des Interessenverbandes, die Öffentlichkeitsarbeit,<br />
ausgebaut und womöglich – im Rahmen des<br />
finanziell Leistbaren – professionalisiert werden.<br />
vorschLAg nr. 7, definierung der vAterLAndsLiebe<br />
stAtt des vAterLAndsbegriffes<br />
in den grundwerten: Insgesamt<br />
war eine deutliche Mehrheit der Ansicht, dass am<br />
bestehenden Vaterlandsbegriff der <strong>Neue</strong>nDB nichts geändert,<br />
erst recht nicht auf dessen Festschreibung verzichtet<br />
werden solle. Allerdings müssten nach außen hin Missverständnisse<br />
ausgeräumt werden.<br />
vorschLAg nr. 13, reform der fuxentAgung:<br />
Der Vertreter der Vorsitzenden <strong>Burschenschaft</strong><br />
Alemannia Marburg berichtete, dass die anstehende<br />
Tagung erstmalig nicht in eisenach, sondern in Marburg<br />
stattfinden solle. Überdies würden bei der Tagung nicht<br />
mehr Seminare und Workshops im Vordergrund stehen,<br />
sondern das Beisammensein und Kennenlernen. Die Ansätze<br />
wurden insgesamt begrüßt.<br />
Weitere wichtige Themen, wie beispielsweise Aufgabe und<br />
Rolle der <strong>Neue</strong>nDB in der <strong>Burschenschaft</strong>lichen Bewegung,<br />
konnten aus Zeitgründen nur noch gestreift werden. einigkeit<br />
bestand jedoch ohnehin darüber, dass sich diese Aufgabe<br />
nicht auf die Abgrenzung gegenüber Rechtstendenzen<br />
beschränken dürfe und dass die <strong>Neue</strong>DB die Zusammenarbeit<br />
mit gleichgesinnten <strong>Burschenschaft</strong>en suchen sollte.<br />
Auf der Veranstaltung musste leider auch die geringe Beteiligung<br />
angesprochen werden. Lediglich 11 Bünde waren<br />
vertreten – unverständlich nach Ansicht der Anwesenden,<br />
vor allem wenn man bedenkt, dass die einführung der Delegiertentage<br />
seinerzeit von einer breiten Mehrheit getragen<br />
wurde und die Teilnahme lediglich je eines einzigen Vertreters<br />
pro Aktivitas und Altherrenschaft vorgesehen ist. Der<br />
guten Stimmung auf der Übergabekneipe im Anschluss tat<br />
dies allerdings keinen Abbruch.<br />
8 9<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
AKTUeLL<br />
Der 4. Delegiertentag trat bei<br />
RhenoMarkomannia Darmstadt<br />
zusammen. Tobias Becker,<br />
RhenoMarkomannia, (hinten<br />
stehend) leitete die Verhandlung.<br />
Hauptthema des Delegiertentages<br />
waren Vorschläge zur<br />
Reform der <strong>Neue</strong>nDB.<br />
Bericht vom<br />
Delegiertentag<br />
Der Delegiertentag vom 3. November auf dem Haus der RhenoMarkomannia Darmstadt behandelte vor allem das<br />
auf dem Burschentag ausgegebene Reformpapier der <strong>Neue</strong>nDB. Um es vorweg zu nehmen: Aus Zeitgründen konnten<br />
nicht annähernd alle 20 Punkte behandelt werden. Die wichtigsten Ergebnisse seien hier vorgestellt.
AKTUeLL<br />
Der Vorsitzende Dr. Ing. Gerd Wauer (rechts)<br />
überreicht dem langjährigen Leiter der <strong>Neue</strong>nDB<br />
Akademie, Prof. Dr. Heinrich Liehr (Franconia<br />
Freiburg), für seine Leistungen die erste von der<br />
<strong>Neue</strong>nDB verliehene Ehrennadel.<br />
Bericht vom<br />
Burschentag 2012 in landau<br />
Der Burschentag in der Festhalle in Landau<br />
von fLorian stopinski<br />
rheno-markomannia (2009)<br />
und frederic Bäcker<br />
rheno-markomannia (2003)<br />
Nach einem geselligen Auftakt durch den Begrüßungsabend<br />
im kleinen Saal der Landauer Jugendstil-Festhalle, begann<br />
am darauffolgenden Samstagmorgen die 17. Mitgliederversammlung<br />
der <strong>Neue</strong>n <strong>Deutsche</strong>n <strong>Burschenschaft</strong>. Für die<br />
Daheimgebliebenen möchten wir die inhaltlichen und formalen<br />
Höhepunkte kurz zusammenfassen.<br />
Dieser Burschentag stand zweifelsohne unter dem Motto der<br />
Selbstfindung. Zu Beginn der Verhandlungen fehlten sowohl<br />
eine neue Vorsitzende, welche trotz intensiver Anstrengungen<br />
durch den Vorstand und die amtierende Vorsitzende nicht<br />
gefunden werden konnte, als auch ein Freiwilliger für das so<br />
lange unbesetzte Amt des Pressewarts. Nach wie vor wurden<br />
zudem von vielen Amtsträgern die mangelhafte Kommunikationsbereitschaft<br />
und Rückmeldemoral der Verbandsburschenschaften<br />
kritisiert. Ganz gleich um welches Anliegen es sich<br />
handelt, meist müssen zahlreiche Auf- und Anrufe getätigt<br />
werden, bis eine Reaktion erfolgt. eine konstruktive Arbeit im<br />
Verband ist so kaum möglich.<br />
20 reformvorschLäge<br />
Vielleicht auch durch besagte Umstände angeregt, legte der<br />
Vorstand dem Burschentag eine ausführliche Vorschlagssammlung<br />
mit zwanzig Punkten zur Reform des Verbandes vor.<br />
Diese befasste sich mit den unterschiedlichsten Bereichen: Von<br />
der Verlegung des Vorsitzjahres über Zweck und erhalt der Fuxentagung<br />
bis hin zu den grundlegenden Strukturen unseres<br />
Verbandes wurde alles thematisiert, was die Amtsträger der<br />
<strong>Neue</strong>nDB derzeit umtreibt. Diese zwanzig Punkte sollen in<br />
den kommenden Monaten innerhalb<br />
der einzelbünde wie auch im Verband<br />
intensiv diskutiert werden. es bleibt zu<br />
hoffen, dass dies kein frommer Wunsch<br />
alleine ist.<br />
Auch in anderen Bereichen des Verbandes<br />
zeigt sich Bewegung: So wurde die<br />
<strong>Neue</strong>DB-Akademie lobend hervorgehoben,<br />
welche während ihres zehnjährigen<br />
Bestehens bereits über 2.000 jungen<br />
Akademikern ein extra an Ausbildung<br />
ermöglichte. Das neue Design und die<br />
neuen Inhalte des academicus führten<br />
zwar zu einer Kostensteigerung, andererseits<br />
war auch der erfolg der Aktion<br />
in Form einer stark gestiegenen Leserzahl<br />
und zahlreicher positiver Rückmeldungen<br />
unübersehbar. erstmalig ist die<br />
Redaktion in der komfortablen Lage, Berichte<br />
kürzen und eine Auswahl treffen<br />
zu müssen, anstatt händeringend nach<br />
Autoren zu suchen. Der Qualität des<br />
Blattes kann das langfristig nur guttun.<br />
Auch die restlichen entwicklungen der<br />
Verhandlung lassen einen optimistischen<br />
Blick in die Zukunft unseres Verbandes<br />
durchaus zu.<br />
Nachdem der Antrag auf Verlegung<br />
des Vorsitzjahres angenommen worden<br />
war – das Geschäftsjahr beginnt und<br />
endet nun mit dem Burschentag – übernahm<br />
die <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia<br />
Marburg nach 2010 erneut den Vorsitz.<br />
Außerdem fand sich mit Johannes Lüschow<br />
(Ulmia Stuttgart) ein neuer Pressewart.<br />
Beiden wünschen wir bei ihrer<br />
neuen Aufgabe viel erfolg.<br />
vorbereitungen<br />
für 2015<br />
Wie seit dem letzten Burschentag<br />
bekannt, besteht die Absicht, sich im<br />
Jahr 2015 an gemeinsamen Feierlichkeiten<br />
zum zweihundertjährigen<br />
Bestehen der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />
Bewegung in Jena zu beteiligen. Im<br />
Zuge der Vorbereitungen stellte das<br />
zuständige Gremium um Rüdiger Fiedler<br />
(Frankonia Gießen) einen Antrag,<br />
der es ermöglichen sollte, in Absprache<br />
mit dem Vorstand Räumlichkeiten<br />
zu buchen. Auch dieser Antrag wurde<br />
angenommen und die Gespräche mit<br />
den Urburschenschaften dauern an.<br />
Unsere Mitgliedschaft im cDA nehmen<br />
wir den Beschlüssen gemäß wieder auf.<br />
Alle im Antrag des Vorstandes vorgeschlagenen<br />
Teilanträge, auf Austritt,<br />
weiteres Ruhenlassen der Mitgliedschaft<br />
oder verstärktes engagement,<br />
wurden abgelehnt. Das ergebnis dieser<br />
Abstimmung führte dazu, dass Dr.<br />
Michaël eickermann (Teutonia Hannover)<br />
von seinem Amt als cDA-Beauftragter<br />
zurücktrat. ein Nachfolger wird<br />
aktuell gesucht.<br />
Insgesamt wurde der Burschentag begleitet<br />
von teils hitzigen Debatten. Außer<br />
den genannten Punkten wird jedoch wie<br />
immer das meiste bald in Vergessenheit<br />
geraten – zumindest bis zum nächsten<br />
Burschentag. Daher zum Abschluss noch<br />
ein paar Worte zum weiteren Rahmenprogramm:<br />
Wie üblich fand am Abend ein Kommers<br />
statt, in diesem Jahr anlässlich<br />
unseres siebzehnjährigen Bestehens.<br />
Norbert Schindler, rheinland-pfälzischer<br />
Bundestagsabgeordneter der cDU, bot<br />
ein buntes Potpourri an Themen, die<br />
sicher für die ein oder andere launige<br />
Diskussion in der Korona sorgten. Alles<br />
in allem bildete die Veranstaltung einen<br />
würdigen Rahmen für die Verleihung<br />
des Heinrich-Luden-Preises, eine ehre,<br />
die in diesem Jahr Konstantin Kloos (Anwesende<br />
erinnern sich an „das kleine<br />
saure Gürkchen”) von der Darmstädter<br />
<strong>Burschenschaft</strong> Frisia zuteilwurde.<br />
Neben außerordentlichen Studienleis-<br />
Konstantin Kloos (rechts) nimmt<br />
den diesjährigen HeinrichLuden<br />
Preis aus der Hand von Dr. Wolfgang<br />
von Wiese entgegen<br />
tungen hatte sich Kloos unter anderem<br />
durch Mitgründung einer Partei für<br />
das Darmstädter Studentenparlament<br />
ausgezeichnet.<br />
Auch wenn nur knapp die Hälfte der<br />
Bünde eine chargenabordnung stellte<br />
(ein Umstand, der weder unbemerkt<br />
noch unkommentiert blieb), wurde ausgelassen<br />
bis spät in die Nacht gefeiert.<br />
Den Abschluss des diesjährigen Burschentages<br />
bildete der Frühschoppen<br />
auf dem Hambacher Schloss. Bei zunehmend<br />
besserem Wetter nutzten die<br />
angereisten Verbandsbrüder am Sonntagmorgen<br />
die Gelegenheit, ein ereignisreiches<br />
Wochenende ausklingen zu<br />
lassen. Manch einem war wohl angst<br />
und bange um unseren Verband. Andere<br />
blickten vielleicht optimistischer<br />
als zuvor in die Zukunft. Auch das beinahe<br />
schon eine Tradition unserer Burschentage.<br />
Norbert Schindler, Bundestagsabgeordneter der CDU, bei der Kommersrede.<br />
10 11<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
SPeZIAL FReIHeIT<br />
„Der<br />
isolierte<br />
Mensch<br />
vermag<br />
sich ebensowenig<br />
zu<br />
bilden als<br />
der in seiner<br />
Freiheit<br />
gewaltsam<br />
gehemmte.“<br />
Wilhelm von<br />
humboldt<br />
„Freiheitbefähigt<br />
den<br />
Menschen,<br />
für das eigene<br />
Leben, für die<br />
Gesellschaft<br />
und für die<br />
Umwelt Verantwortung<br />
zu übernehmen.”<br />
grundwerte der<br />
neuen deutschen<br />
<strong>Burschenschaft</strong> e.v.,<br />
art. 2<br />
„ Demokratie legitimiert sich aus dem<br />
Dienst für Menschen und ergo für<br />
die menschliche Freiheit.“<br />
Freihei t Der Bürger<br />
Demokratische Wahrheit?<br />
VoRTRAG AM 21. APRIL 2012 VoN FRANZ LUDWIG GRAF STAUFFeNBeRG<br />
Die <strong>Burschenschaft</strong> Rheno-Markomannia hat sich eine große, ehrgeizige Aufgabe gestellt: Hin zum<br />
burschenschaftlichen Jubiläum wollen Sie den Begriff der Freiheit erobern. Sie wollen sie nicht nur wieder<br />
entdecken, sie diskutieren, durchdringen. Sie wollen beleben, für sie werben. Auch um sie kämpfen?<br />
Freiheit ist einer der wenigen Werte, die wohl immer noch für jedermann gelten. Viele andere, die<br />
unseren Vorvätern heilig waren, hat man entzaubert, bloßgestellt und verspottet. <strong>Neue</strong> Werte für sie<br />
lieferten die enthüller nicht: Wer will die schon?<br />
Mit Ihrem Aufruf zur Freiheit verdingen Sie sich einem hohen Ziel. Aber Sie öffnen sich einem auch<br />
weiten, vielleicht ungewissen Feld. Was meinen Sie mit Freiheit? Gewiss, Sie haben da sichtbar Pflöcke<br />
gesetzt: Mit Ehre und Vaterland, mit Menschenwürde und Achtung, Toleranz schaffen Sie Bezüge, die<br />
untereinander die gemeinten Werte prägen. Sie unterscheiden und verbinden innere und äußere Freiheit.<br />
Sie sehen sie bei uns in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verankert. Die Grundwerte<br />
der <strong>Neue</strong>n <strong>Deutsche</strong>n <strong>Burschenschaft</strong> und Ihr inhaltliches Manifest zeichnen plastische Konturen.<br />
Damit aber wissen wir das eigentliche nicht: Was ist Freiheit?<br />
wAs ist freiheit?<br />
Allein die „Unabhängigkeit von<br />
äußerem Zwang und fremder<br />
Gewalt“, wie sie das Lexikon beschreibt,<br />
definiert sie sicherlich<br />
nicht. Auch Artikel 2<br />
Ihrer Grundwerte weiß<br />
nur, was Freiheit<br />
kann und<br />
auch soll, wie<br />
sie sich zeigt<br />
und was sie<br />
braucht (Fundament).<br />
All<br />
das aber erfasst<br />
nicht ihr eigentliches<br />
Wesen.<br />
Wilhelm<br />
Dilthey<br />
(1833–1911)<br />
verstand Freiheit<br />
als „Pflicht zur Ent-<br />
scheidung“, scharf abgehoben<br />
von Willkür und Zügellosigkeit.<br />
Sie verbinde „sittliche“ als innere<br />
und „handelnde“ als äußere<br />
Freiheit aus menschlichem Willen.<br />
Sie zwinge zu Klärung und<br />
einbindung ihres Wovon und<br />
Wozu. Sie sei unvereinbar mit<br />
ursachlosem wie mit wirkungsblindem<br />
Wollen.<br />
Tatsächlich hat sich das Verständnis<br />
von frei in unserer<br />
politischen, kulturellen und religiösen<br />
Geschichte deutlich gewandelt.<br />
Seit den Revolutionen<br />
der Neuzeit steht ganz vorne<br />
die Sicherung von individuellen<br />
Freiheiten innerhalb des gesellschaftlichen<br />
Gefüges. Im modernen<br />
Verfassungsstaat sind<br />
Grundrechte des Menschen,<br />
Gewaltenteilung und unabhängige<br />
Gerichtsbarkeit ihre insti-<br />
tutionellen Garantien. Aber leider<br />
hat die breite Hochachtung<br />
politischer Freiheit auch seit<br />
jeher zu Missbrauch verleitet,<br />
bis in die jüngsten Tage. Schon<br />
1816 spottete Goethe, man<br />
höre „niemals mehr von Freiheit,<br />
als wenn eine Partei die<br />
andere unterjochen will“ und<br />
wenn nurmehr „Gewalt, Einfluss<br />
und Vermögen aus einer Hand<br />
in die andere gehen soll“. Das<br />
erinnert mich zum Beispiel an<br />
die neudeutsche Treuhandanstalt<br />
nach 1990.<br />
Meine Damen und Herren!<br />
Nicht die Freiheit Deutschlands<br />
oder europas, nicht die der Kirchen<br />
oder der Presse, nicht die<br />
eines Standes oder die von Wissenschaft<br />
und Lehre sind mein<br />
Thema. Die Freiheit, die ich<br />
meine, ist die Freiheit des Men-<br />
schen: Doch es ist weder die<br />
des einen auf Kosten des Anderen,<br />
die des oberen auf dem<br />
Rücken des Gebeugten und<br />
auch nicht die der geilen Gaffer<br />
auf enthüllte und entstellte.<br />
Ich meine die Freiheit jedes<br />
Menschen und damit – unausweichlich<br />
– den Schutz jedes<br />
einzelnen vor der missbrauchten,<br />
der entwürdigenden oder<br />
der ausbeutenden Freimacht<br />
anderer, Schutz auch vor der<br />
großen Mehrheit der anderen.<br />
hinwendung zum<br />
mitmenschen<br />
Damit finden wir bestätigt,<br />
was wir wohl tagtäglich an uns<br />
selbst erleben: Zur Freiheit gehört<br />
Hinwendung nach außen,<br />
zum Mitmenschen in Achtung,<br />
in Respekt, vielleicht in Liebe.<br />
Freiheit also ist – auch – Dienst,<br />
weder unterwürfig noch aufdringlich,<br />
sondern am Nächsten<br />
„gleich wie du selbst“ (Mt. 22,<br />
39 und andere). Über diese „Bezogenheit“<br />
zum Anderen, zum<br />
wirklichen mitmenschlichen<br />
Leben, jetzt gefordert und gewährt,<br />
hat eindrücklich Joachim<br />
Gauck vor einem Jahr in Tutzing<br />
gesprochen („Freiheit – ein Plädoyer“).<br />
Diese stets lebendige<br />
Bezogenheit liegt im Wesen<br />
der Freiheit. Sie ist ihr Teil.<br />
Deshalb ist sie abstrakt nicht<br />
zu formulieren und dogmatisch<br />
nicht festzunageln. Und doch,<br />
ja vielleicht gerade deshalb,<br />
bleibt sie einer der eminenten<br />
Werte menschlicher existenz.<br />
Im inhaltlichen Manifest beklagen<br />
Sie, dass Freiheit so, wie<br />
Ihre Satzung definiert, unverständlich<br />
sei. Aber warum wurde<br />
sie – mit Ihren Worten – „für<br />
das alltägliche Leben nahezu<br />
irrelevant?“ Gilt das nur für die<br />
gewählte Definition oder gilt<br />
das für die Freiheit schlechthin?<br />
Sehen die heutigen Studenten<br />
ihre Freiheit sicher und nirgends<br />
gefährdet? oder sind sie ihrer<br />
satt und überdrüssig? Vermissen<br />
sie etwa zeitgemäß knallige<br />
SMS-taugliche Kurzsprechparolen?<br />
Oder finden wir heute keine<br />
leibhaftigen Freiheitsfeinde<br />
mehr, keine bösen Tyrannen<br />
und üblen Despoten, Sklaventreiber<br />
oder Sadisten, gegen<br />
die wir für die Unterdrückten<br />
kämpfen sollten?<br />
es ist, glaube ich, an der Zeit,<br />
unsere Perspektiven zu ändern.<br />
Dazu sollten wir bei uns selbst<br />
beginnen: Niemand will beherrscht,<br />
will fremdbestimmt<br />
werden. Aber wie viele von uns<br />
sehnen sich nach den Folgen,<br />
den Lasten aus der eigenen<br />
entscheidung? Wer drängt in<br />
die ungewissen Risiken seines<br />
Tuns, seiner Selbstbestimmung?<br />
Jedermann misstraut zwar dem<br />
Moloch Staat und aller obrigkeit,<br />
aber doch erwarten wir stetig<br />
wachsende Leistungen und<br />
nahtlose Garantien zu unserer<br />
Sicherheit, zu unserem Wohlergehen<br />
und zu unserer Vorsorge.<br />
Wir wissen immer öfter und<br />
immer lauter wogegen<br />
wir sind, aber immer<br />
seltener wozu und womit.<br />
Wir sammeln uns<br />
in Verbänden, Bürgerinitiativen,Gewerkschaften,<br />
in alten Parteien<br />
und neuen oder<br />
hinter sonstigen Funktionären.<br />
Moderne Bürger missbilligen<br />
dumpfe Resignation. Immer<br />
stärker setzen sie auf verlan-<br />
gende erwartung, trendig werbestark<br />
in kollektiv inszenierter<br />
Ungeduld. Wir ducken uns<br />
nicht, wir fordern meist von<br />
jenem anonymen Koloss der<br />
Macht wie von einem Fremden,<br />
von dem wir uns nicht als<br />
Teil, nicht Träger, sondern als<br />
opfer wähnen.<br />
die Losung LAutet<br />
teiLhAbe<br />
Die Losung, die gegen<br />
Macht und ohnmacht<br />
solidarisiert, lautet<br />
Teilhabe. Sie sei gleichberechtigte<br />
Mitwirkung aller an der<br />
ordnung der Gesellschaft, an<br />
der Verteilung von Gütern,<br />
in der Sorge um die Umwelt,<br />
bei der Formung der Zukunft.<br />
Mitgestaltende Teilhabe in und<br />
an der großen Gemeinschaft<br />
Gleicher scheint aufgeklärte Alternative,<br />
sowohl gegen Unterwerfung<br />
wie gegen Anarchie.<br />
Damit stehen wir ganz aktuell<br />
bei Ihren Grundwerten. Bei Ihrem<br />
gewichtigen Verweis auf<br />
die freiheitlich-demokratische<br />
Grundordnung unseres Staatswesens.<br />
Doch seien Sie bedacht:<br />
Allzu leicht geraten Sie<br />
da in den Strudel einer verheerenden<br />
Irreführung.<br />
erlauben Sie mir an dieser<br />
Stelle einen vorsorglichen<br />
einschub: Ich war immer<br />
Demokrat und bin es geblieben,<br />
nicht nur in meiner<br />
Gesinnung. Ich habe mich<br />
demokratisch oft zur Wahl<br />
gestellt, habe gestritten und<br />
gekämpft, mit offenem Visier<br />
und nie protegiert. Und<br />
nebenbei: Dabei habe ich –<br />
demokratisch – nie verloren.<br />
Was ich hier zur Demokratie<br />
sage, ist keinerlei Ablehnung,<br />
sondern – im Gegenteil – bittere<br />
Sorge um sie.<br />
12 13<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
„ Zur<br />
Freiheit gehört<br />
Hinwendung<br />
nach außen, zum<br />
Mitmenschen.“<br />
„Pressefreiheit<br />
ist das<br />
Recht, Lügen<br />
zu drucken,<br />
ohne dazu<br />
gezwungen<br />
zu werden.“<br />
robert lembke<br />
„Der<br />
Mensch,<br />
vor allem<br />
der Bursch<br />
ist frei, der<br />
selbst das<br />
Gesetz sich<br />
gegeben. Drum<br />
lasst euch nicht<br />
irren der Bösen<br />
Geschrei,<br />
erwachet zum<br />
freieren Leben,<br />
zum freieren<br />
Leben nach<br />
Recht und<br />
Pflicht, und<br />
folget dem<br />
Wahne der<br />
Leidenschaft<br />
nicht.“<br />
Joachim leopold<br />
haupt<br />
Foto: cineteXt
„Jeder hat<br />
das Recht<br />
auf die<br />
freie<br />
Entfaltung<br />
seiner Persönlichkeit,<br />
soweit<br />
er nicht die<br />
Rechte anderer<br />
verletzt und<br />
nicht gegen die<br />
verfassungsmäßige<br />
Ordnung oder<br />
das Sitten gesetz<br />
verstößt.“<br />
grundgesetz der<br />
Bundesrepublik<br />
deutschland,<br />
art. 2. abs. 1<br />
„Das<br />
ist die<br />
rechte<br />
geistliche,christliche<br />
Freiheit,<br />
die das Herz<br />
frei macht<br />
von allen<br />
Sünden, Gesetzen<br />
und<br />
Geboten.”<br />
martin luther<br />
Ich beginne mit Willy Brandt.<br />
1969, zum Aufbruch der SPD im<br />
legendären Godesberger Programm,<br />
schrieb er: „Wir [...] lassen<br />
uns von der Überzeugung<br />
leiten, dass Demokratie nicht<br />
auf einen noch so wichtigen<br />
Bereich – wie den staatlichen –<br />
beschränkt bleibt, dass sie nicht<br />
auf Rationen gesetzt werden<br />
kann, sondern, dass sie das gesamte<br />
gesellschaftliche Leben<br />
erfassen muss [...]. Für die SPD<br />
bedeutet Demokratie ein Prinzip,<br />
das alles gesellschaftliche<br />
Sein der Menschen beeinflussen<br />
und durchdringen muss“.<br />
demoKrAtie ALs wert?<br />
Danach wurde Demokratisierung<br />
zur Standardparole politischer<br />
Programme und politischer<br />
Propaganda mit zahllosen Verheißungen.<br />
In unserer zunehmend<br />
enthüllten und entstellenden,<br />
enttabuisierten, ent-werteten<br />
Welt wurde Demokratie als<br />
Wert, ja als Grundwert gepriesen.<br />
Sie wurde ebenbürtig<br />
gemacht, wenigstens gleichrangig,<br />
mit Freiheit und Menschlichkeit.<br />
Als Wert begegnen wir<br />
ihr nunmehr überall, bis hinein<br />
in dem – vorerst gescheiterten<br />
– Verfassungsentwurf der europäischen<br />
Union, der indes von<br />
Gott nur schweigt. So schien es<br />
schlüssig, die hohen Werte zu<br />
amalgamieren und aus ihnen<br />
den allumfassenden Superwert<br />
zu schaffen. Der heißt dann freiheitliche<br />
Demokratie.<br />
Demokratie aber in sich, meine<br />
Damen und Herren, ist kein<br />
Wert, schon gar nicht<br />
ein Wert des Menschen<br />
– wie etwa<br />
Freiheit oder Würde<br />
oder Liebe. Demokratie<br />
ist ein System.<br />
Sie ist, wie der Name<br />
„ Berechtigung<br />
verrät, Herrschaft (kratein) des<br />
Volkes (demos). Herrschaft ist<br />
ein System. Sie ist von Macht,<br />
von Macht über Menschen.<br />
Wer also in hehrer Aufwallung<br />
Demokratie verlangt in allen<br />
Winkeln und ecken gesellschaftlichen,<br />
also mitmenschlichen Lebens,<br />
der duldet nicht nur solche<br />
Macht. Der will sie, im wahren<br />
Sinne, total. Denn ohne Macht<br />
ist keine Kratie. Überdenken Sie<br />
einmal vor diesem Hintergrund<br />
den politisch aktuellen Streit<br />
über ein staatliches erziehungsgeld,<br />
selbst christdemokratisch<br />
verhöhnt als „Herdprämie“, für<br />
junge Mütter, die ihre Kleinkinder<br />
zu Hause haben wollen und nicht<br />
in staatssozialer Versorgung, die<br />
derzeit übrigens dafür weder<br />
Plätze noch Personal bereithält.<br />
Und noch eins zu den Kleinkindern:<br />
In Deutschland leben seit<br />
Jahren 25 bis 30 Prozent von ihnen<br />
unterhalb der Armutsgrenze,<br />
viel mehr als durchschnittlich die<br />
Gesamtbevölkerung. Wer aber<br />
sichert diesen Kindern, die auch<br />
unsere Mitbürger sind und unserer<br />
Solidarität bedürfen, ihre demokratische<br />
Teilhabe an der vergesellschafteten<br />
Macht über sie?<br />
Sind das vielleicht die Beamten in<br />
den Aufsichtsämtern in Bremen,<br />
Berlin oder Schwerin? oder sind<br />
es die Bundestagsabgeordneten,<br />
deren demografische Reproduktionsrate<br />
noch weit hinter der<br />
zu niedrigen des Gesamtvolkes<br />
zurückbleibt? Bislang bleibt diese<br />
Teilhabe allein noch bei den<br />
jungen eltern. Die reagieren. Sie<br />
rufen nicht nach Revolution. Sie<br />
greifen zur Pille. Und immer öfter<br />
auch zum Messer.<br />
hat<br />
ein Gemeinwesen<br />
nur, wenn seine<br />
Macht der Freiheit<br />
aller dient.“<br />
die durchdemo-<br />
KrA tisierte geseLLschAft<br />
Die durchdemokratisierte Gesellschaft<br />
minimalisiert die<br />
persönliche Freiheit des einzelnen<br />
über sich in einen winzigen<br />
Anteil gegenüber der gewaltigen<br />
Mehrheit der Anderen.<br />
Seine unzähligen Anteile an<br />
den Geschicken dieser Anderen<br />
aber kompensieren nicht<br />
den persönlichen Verlust. Die<br />
demokratische Anteilsmacht<br />
über andere scheint manch Naivem<br />
vielleicht geil, ist aber niemandem<br />
Freiheit. Solch gesellschaftliche<br />
Demokratisierung<br />
wäre eine gigantische Illusion.<br />
Sie wäre Selbst- und Fremdbetrug:<br />
Wo tausend Menschen<br />
zueinander in Beziehung treten,<br />
sich organisieren und aneinander<br />
orientieren, wo sie sich helfen<br />
und befrieden, da entstehen<br />
keine neuen oder anderen Menschen.<br />
es entsteht eine Gemeinschaft,<br />
eine Gemeinsamkeit, die<br />
sich ihrem Menschsein anfügt.<br />
Sie ist ohne den Menschen<br />
nicht denkbar und doch nicht<br />
mit ihm oder seiner Vielzahl einfach<br />
identisch, sie hat eigenen<br />
Regelbedarf, eigene Interessen<br />
und eigene Macht, nach außen<br />
und – noch mehr – nach innen.<br />
Schon vor 250 Jahren ordnete<br />
Jean Jacques Rousseau (1712–<br />
1778) der Gemeinschaft einen<br />
eigenen Willen zu, einen anderen<br />
als den einzelmenschen,<br />
sogar mit klarer Rangfolge. Die<br />
„Volonté Générale“ habe immer<br />
Vorrang, selbst vor der Summe<br />
aller Gemeinschaftsangehörigen<br />
und deren „Volonté de<br />
tous“ (1762). Diese Lehre wurde<br />
vielfach verzerrt und verfälscht<br />
und missbraucht, wohl am entsetzlichsten<br />
durch einen einstmals<br />
populären Satz Roland<br />
Freislers: „Recht ist, was dem<br />
Volke nützt.“<br />
Rousseau prägt noch heute<br />
das demokratische Verständnis<br />
des Westens. Doch schon sein<br />
Ansatz war falsch. ob das Gemeinwesen<br />
einen eigenen Willen<br />
haben kann und wie, stelle<br />
ich dahin. Sicher jedoch ist: Das<br />
Gemeinwesen als solches irrt<br />
nicht. es liebt nicht, es sündigt<br />
nicht, denn es denkt nicht. All<br />
das tun die, die namens der Gemeinschaft<br />
handeln. Und diese<br />
Mandatare gehören ethischmoralisch<br />
in keine anderen,<br />
schon gar keine höheren Kategorien<br />
als ihre Mandanten,<br />
die Bürger. Dies gilt eindeutig<br />
jedenfalls im Rechtsstaat. Was<br />
Amtsinhaber dürfen – und müssen<br />
– bestimmen zum einen ihre<br />
Berufung, mittels der die Bürger<br />
sie legitimieren, zum anderen<br />
der Auftrag (Mandat), den Verfassung<br />
und Recht sowohl beschreiben<br />
wie begrenzen.<br />
demoKrAtie ist<br />
mehr ALs wAhL<br />
Die anvertraute ermächtigung<br />
umreißt in Deutschland das<br />
Grundgesetz, vor allem Schutz<br />
und Wahrung der menschlichen<br />
Grundrechte (Art. 1 - 19). Diese<br />
darf in ihrem Wesensgehalt niemand<br />
antasten (Art. 19 Abs. 2).<br />
Die legitimierende, ermächtigende<br />
Berufung ins Amt des Gemeinweisens<br />
beruht auf Wahl,<br />
ob direkt oder mittelbar. Das<br />
Mandat ist befristet und endet –<br />
im Bund – nach vier Jahren. Mit<br />
ihm endet die Legitimation einer<br />
Amtsperson, geht vom Volke<br />
aus. Sie unterliegt – zum Schutz<br />
der Menschen – der Gewaltenteilung<br />
(Art. 20 Abs. 2 GG).<br />
Dieser exkurs in Rechtstexte<br />
mag Ihnen banal und überflüssig<br />
erscheinen. Aber er dient<br />
„ Rousseau prägt noch<br />
heute das demokratische<br />
Verständnis. Doch schon<br />
sein Ansatz war falsch.“<br />
mir zur erinnerung,<br />
dass Demokratie,<br />
unsere Demokratie, nicht reduziert<br />
werden kann auf die<br />
bloße Abhaltung von Wahlen<br />
– quasi periodische Happenings<br />
– und die Austeilung von<br />
Blankoschecks auf Staatsmacht<br />
und Besoldung: Die Vertreter,<br />
die Auftragnehmer des Volkes,<br />
schulden Rechenschaft.<br />
Das Bundesverfassungsgericht<br />
spricht von zwingender Rückkopplung,<br />
die dem demokratischen<br />
Mandat immanent sei.<br />
Die erwählten müssen berichten<br />
und begründen, was sie mit<br />
der anvertrauten Macht getan<br />
haben, und insbesondere, an<br />
wen und wofür und wie lange<br />
sie diese anvertraute Macht<br />
weitergeleitet (abgegeben) haben,<br />
spätestens vor der Wiederwahl.<br />
Sie schulden diese<br />
Rechenschaft dem ganzen Volk<br />
und nicht etwa nur ihrem potentiellen<br />
Wähler in Darmstadt.<br />
Und selbst ihr Gewissen, auf<br />
das sie sich gemäß Artikel 38<br />
GG berufen, unterliegt keinem<br />
Datenschutz. ohne solche Rechenschaftspflicht<br />
ist – demokratisch<br />
– keine Stimmensammlung<br />
eine Wahl, erwählung,<br />
eine substanzielle ermächtigung<br />
aus mündigem Vertrauen.<br />
Meine Herren <strong>Burschenschaft</strong>er!<br />
Mit Ihrem leidenschaftlichen<br />
Bekenntnis zur Freiheit<br />
und zur Würde des Menschen<br />
stehen Sie fest auf dem rechtsstaatlichen<br />
Boden Deutschlands.<br />
Mit Ihrem Appell zu aktivem<br />
engagement machen Sie<br />
zudem deutlich, dass geschriebene<br />
Rechtstexte, der Gang<br />
zu den Urnen und feierliche<br />
Bekenntnisse nicht genügen.<br />
Freiheit und Menschlichkeit verlangen<br />
mehr und viel mehr als<br />
bloße emanzipation.<br />
Aber steht auf diesem festen<br />
freiheitlichen Boden auch noch<br />
unsere demokratische Praxis?<br />
Unsere Gegenwart in Deutschland,<br />
in europa? Sind da die obigen<br />
Hinweise noch immer nur<br />
banale Zeitvergeudung? Kennen<br />
Sie etwa einen Kommissar<br />
der europäischen Union, der<br />
Ihnen oder anderen in Deutschland<br />
Rechenschaft ablegt zu<br />
seinen Maßnahmen, zu denen<br />
– in Deutschland – ihn nur die<br />
Weiterleitung von ermächtigungen<br />
berechtigt, die er, wenn<br />
auch noch so mittelbar, aus<br />
dem befristeten Mandat der<br />
Bundestagsabgeordneten herleiten<br />
kann?<br />
Oder wissen Sie von öffentlicher<br />
Rechenschaft eines Ministerialdirigenten<br />
aus Berlin, der als<br />
deutscher Vertreter im europäischen<br />
Ministerrat abgestimmt<br />
und Recht geschaffen hat, und<br />
der aus dieser Funktion nicht<br />
einmal dem Bundeskabinett berichtet,<br />
geschweige denn dem<br />
<strong>Deutsche</strong>n Bundestag?<br />
wie steht freiheit<br />
zu demoKrAtie?<br />
Wenden wir uns wieder der<br />
Ausgangsfrage zu: Wie steht<br />
Freiheit zu Demokratie? Wie<br />
verbinden sich beide? oder<br />
verdrängen sie sich? Wir stellen<br />
gemeinsam fest, dass persönliche<br />
Freiheit ein grundlegender<br />
Wert unseres Daseins<br />
ist. Demokratie ist hingegen<br />
ein solcher Wert nicht. Sie ist<br />
vielmehr ein System der Macht<br />
über Menschen. Sie ist ein Verfahren,<br />
das die einen zu Macht<br />
über Menschen und über mich<br />
bestellt, sie förmlich autorisiert.<br />
„Wer<br />
Frei <br />
heiten<br />
aufgibt,<br />
um Sicherheit<br />
zu<br />
gewinnen,<br />
verdient<br />
weder<br />
Freiheit<br />
noch<br />
Sicherheit.“<br />
Benjamin Franklin<br />
„Der<br />
Freiheit<br />
eine<br />
Gasse!“<br />
carl theodor körner<br />
„Die<br />
Frei heit<br />
und das<br />
Himmelreich<br />
gewinnen<br />
keine<br />
Halben!“<br />
ernst moritz arndt<br />
14 15<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
Geboren 1938<br />
in Bamberg, ist<br />
Rechtsanwalt und<br />
CSUPolitiker. Er war<br />
von 1972 bis 1984<br />
Mitglied des Bundestages<br />
und von 1984<br />
bis 1992 Mitglied<br />
des Europäischen<br />
Parlaments. Er ist<br />
der dritte Sohn von<br />
Claus Schenk Graf<br />
von Stauffenberg.<br />
„Die<br />
Freiheit<br />
ist immer<br />
in<br />
der Defensive<br />
und daher in<br />
Gefahr. Wo die<br />
Gefahr in einer<br />
Bevölkerung<br />
nicht mehr<br />
gespürt wird, ist<br />
die Freiheit fast<br />
schon verloren.”<br />
karl Jaspers<br />
franz Ludwig schenk<br />
graf von stauffenBerg<br />
Stünde<br />
die<br />
Demokratie<br />
über<br />
der Freiheit,<br />
dann stünden<br />
das Gemeinwesen<br />
über den einzelnen<br />
und die Macht über<br />
den Menschen. Der Wert<br />
der Freiheit würde zur leeren<br />
Floskel. Sähe man beide<br />
gleichgewichtig nebeneinander,<br />
so legitimierte man lediglich die<br />
– begrifflich immer stärkere –<br />
Macht, sich die Freiheit des einzelnen<br />
gefügig zu schrumpfen.<br />
Das Wort von der freiheitlichen<br />
Demokratie verkümmerte zum<br />
Massen-Placebo aus gefälligen<br />
Sonntagsreden.<br />
existenzielle Berechtigung hat<br />
ein Gemeinwesen, eine Gemeinschaft<br />
nur, wenn sie und ihre<br />
Macht der Freiheit aller dienen.<br />
Demokratie also legitimiert sich<br />
allein aus ihrer dienenden und<br />
also nicht beherrschenden oder<br />
bevormundenden Funktion. Sie<br />
legitimiert sich aus dem Dienst<br />
für Menschen und ergo für die<br />
menschliche Freiheit.<br />
Wer Demokratie lediglich als<br />
staatspolitisches organisationsmodell<br />
versteht oder wer ihr<br />
Regelwerk zum Dogma erhöht,<br />
wer ihre begriffliche, zielgebundene<br />
und täglich neu geforderte<br />
Dienstbestimmung leugnet,<br />
der verfälscht sie zur Perversion.<br />
Wer aber meint, mehrheit-<br />
„ Die demokratische<br />
Anteilsmacht über andere<br />
ist niemandem Freiheit.“<br />
lich demokratisch anvertraute<br />
Macht ermächtige zu Formung<br />
(Umformung) der Menschen,<br />
zu ihrer egalisierung und Disziplinierung,<br />
zu ihrer emotionalisierten<br />
Vermassung oder<br />
resignativen Unterwerfung, der<br />
träumt von einer neuerlichen<br />
„Dämogradischen Räbbublig“.<br />
die mitmenschen<br />
er muti gen,<br />
frei zu sein<br />
Meine Damen und Herren!<br />
Freiheit ist hohes Gut und<br />
Aufgabe zugleich. Wir wissen,<br />
dass wir sie verlieren können,<br />
und wissen, wie unendlich<br />
schwer es dann ist, sie wieder<br />
zu gewinnen. Politisch haben<br />
dazu unsere Landsleute im<br />
osten 56 Jahre gedarbt. Aber<br />
auch danach haben Freiheit<br />
nur die, die sie leben. Denn<br />
Freiheit für sich allein zu leben,<br />
gewissermaßen autistisch, ist<br />
nicht möglich. Wir brauchen<br />
einander und – auch deshalb –<br />
schulden wir einander. Als Demokraten<br />
wissen wir, dass wir<br />
kein höheres Recht und keinen<br />
höheren Wert haben als unsere<br />
Mitbürger. Freiheit birgt<br />
daher begrifflich in sich Miteinander<br />
und Zueinander, nicht<br />
vermanscht, sondern jedes<br />
gegenüber jedem, Person zu<br />
Person. Freiheit daher ist mehr<br />
als Anspruch oder Selbsterfüllung.<br />
Sie ist das Gebot, die<br />
Mitmenschen zu ermutigen,<br />
frei zu sein und frei zu leben.<br />
Nur so kann ich (freiheitlicher)<br />
Demokrat sein, ob gewählt<br />
oder nicht. Ich zitiere dazu<br />
nochmals Joachim Gauck. er<br />
schließt seine Tutzinger Rede:<br />
„Ich wünschte mir, dass sich<br />
unsere Gesellschaft tolerant,<br />
wertbewusst und vor allen<br />
Dingen in Liebe zur Freiheit<br />
entwickelt und nicht vergisst,<br />
dass die Freiheit der erwachsenen<br />
Verantwortung heißt.“<br />
Da haben Sie endlich das<br />
Wort, auf das Sie vermutlich<br />
schon lange warten. es ist der<br />
maßgebende Aspekt, ohne<br />
den Freiheit nicht ist: Verantwortung,<br />
ehrlich verlässlich,<br />
mitfühlend, dienend.<br />
Mit diesem Satz, meine Damen<br />
und Herren, schließe ich<br />
auch einen großen Kreis aus<br />
meinem eigenen Lebenslauf:<br />
Vor über 40 Jahren war ich<br />
noch nicht Abgeordneter, aber<br />
immerhin im Bundesvorstand<br />
der Jungen Union. Damals, angriffsfreudig<br />
gegen links und<br />
rechts, verfasste ich ein Pamphlet<br />
über Sinn und Unsinn<br />
deutscher Gesellschaftspolitik.<br />
Ich nannte es „Das Spiel mit<br />
der Freiheit“. Sein Fazit: Aus<br />
den verfügbaren Mitteln der<br />
Gegenwart sei eine leistungsfähige<br />
Gesellschaft aufzubauen,<br />
die den Menschen, dem einzelnen<br />
diene und ihn nicht beherrsche.<br />
Wörtlich schloss ich:<br />
„Wir müssen den Fortschritt<br />
den Menschen verpflichten,<br />
weil wir der Menschlichkeit<br />
verpflichtet sind. Wir wollen,<br />
dass die <strong>Deutsche</strong>n Mensch<br />
sein können in Deutschland.<br />
Wir wollen verantwortete Freiheit<br />
in einer verantwortlichen<br />
ordnung. Das ist die Freiheit,<br />
die wir fordern.“<br />
Und das, meine Damen und<br />
Herren, ist die Freiheit, die ich<br />
meine – auch heute noch.<br />
von ra prof. dr. Johannes weBerLing<br />
Frankonia gießen (1979)<br />
h a m B a c h<br />
und die presseFreiheit heute<br />
Das oLG Hamburg bestätigte mit seinem Urteil<br />
vom 6. Februar 2007 auf Antrag von ex-Bundeskanzler<br />
Gerhard Schröder eine entscheidung des<br />
LG Hamburg, mit dem dieses der Nachrichtenagentur<br />
ddp die Verbreitung eines Zitates des Generalsekretärs<br />
der nordrhein-westfälischen FDP,<br />
Lindner, untersagte. Dieser hatte die Auffassung<br />
vertreten, „Die RAG versucht offenbar, sich ihren<br />
eigenen Börsengang zu erkaufen, in dem sie mit<br />
Schröder und Merz einflussreiche Politiker auf ihre<br />
Gehaltsliste setzt.“<br />
Dass die ddp die Aussage Lindners entsprechend<br />
den Vorgaben des BVerfG 1 eindeutig als Zitat<br />
gekennzeichnet und unmittelbar vor dem Zitat<br />
klargestellt hatte, dass ex-Bundeskanzler Schröder<br />
unentgeltlich tätig war, interessierte das oLG<br />
Hamburg nicht. Trotz der zum Zeitpunkt der Verbreitung<br />
der ddp-Meldung anhaltenden Debatte<br />
über die verschiedenen engagements des ex-Bundeskanzlers<br />
sah das oLG Hamburg allein durch die<br />
Verbreitung der kritischen Stellungnahme Lindners<br />
das Persönlichkeitsrecht des ex-Kanzlers verletzt. 2<br />
Seit ende 2006 verlangt das Polizeipräsidium Unterfranken<br />
von Redakteuren, welche die Polizei<br />
bei einsätzen begleiten oder bei polizeilich begleiteten<br />
bzw. geschützten Veranstaltungen fotografieren<br />
oder filmen wollen, den Abschluss einer<br />
Vereinbarung über Bild- bzw. Filmaufnahmen. In<br />
dieser Vereinbarung muss der Redakteur der<br />
Pressestelle des Polizeipräsidiums Unterfranken<br />
das Recht einräumen, den erstellten Bericht vor<br />
einer Veröffentlichung, Ausstrahlung oder sonstigen<br />
Wiedergabe daraufhin zu sichten, ob durch<br />
eine ausreichende Anonymisierung eine Verletzung<br />
der Rechte Dritter ausgeschlossen werden<br />
kann. 3 Diese Praxis ist derzeit in mindestens neun<br />
der 16 Bundesländer üblich. 4<br />
JAgd nAch Quote?<br />
„ Die von August Wirth beschworene<br />
Macht der Presse scheint zum<br />
zahnlosen Tiger geworden zu sein.“<br />
In seiner Rede bei der offiziellen Gedenkveranstaltung<br />
zum runden 175. Jubiläum des Hambacher<br />
Festes am 26. Mai 2007 wies Altbundespräsident<br />
Richard von Weizsäcker auf die Pressefreiheit als<br />
zentrale Forderung der Veranstalter und Teilnehmer<br />
des Hambacher Festes hin. Weizsäcker stellte<br />
fest, dass bei uns heute Pressefreiheit herrsche<br />
und unsere Medien im Gegensatz zu Hambachs<br />
Zeiten nicht von Zensur oder staatlichen Fesseln<br />
geprägt seien. Probleme machten heute eher gewerbliche<br />
kapitalistische Gewinnziele. Der qualitative<br />
Wert der Pressefreiheit sei in Gefahr, wenn die<br />
Jagd nach Quoten und Auflagen oder Rendite das<br />
Niveau des Journalismus zu dominieren drohe.<br />
Die Qualität der Presse sei ein öffentliches Gut,<br />
auf das keine Demokratie verzichten könne. Die<br />
legitime investigative, also neugierige Arbeit der<br />
Journalisten werde umso eher verstanden und akzeptiert,<br />
soweit sie sich nicht ihrerseits primär von<br />
sensationellen, gewinnbringenden ergebnissen<br />
leiten ließe. Die Pressefreiheit als zentrales Thema<br />
der beiden Hauptsprecher des Hambacher Festes<br />
bleibe in unserer heutigen Zeit unserer Aufmerksamkeit<br />
überantwortet. 5<br />
Ist diese Feststellung zutreffend? Ist nicht zuletzt<br />
vor dem Hintergrund der eingangs genannten Beispiele<br />
bloße Aufmerksamkeit hinsichtlich der Pressefreiheit<br />
in Deutschland wirklich eine angemessene<br />
Folgerung aus den zentralen Themen des<br />
Hambacher Festes? oder haben die Forderungen<br />
der Redner und Teilnehmer<br />
des Hambacher Festes für<br />
die Verwirklichung der Pressefreiheit<br />
heute eine größere<br />
Bedeutung?<br />
16 17<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
SPeZIAL<br />
„Freiheit<br />
ist<br />
nur möglich,<br />
wenn<br />
man bereit<br />
ist, ein Risiko<br />
einzugehen,<br />
und ohne dieses<br />
Risiko der<br />
Freiheit gibt es<br />
keine lebendige<br />
Demo kratie.“<br />
carlo schmid<br />
„Die Germanen<br />
brach ten uns<br />
die Idee der<br />
persönlichen<br />
Freiheit,<br />
welche diesem<br />
Volke vor allem<br />
eigen war. Die<br />
Reformation<br />
kam aus dieser<br />
Quelle wie die<br />
Burschen verschwörung<br />
auf<br />
der Wart burg,<br />
Gescheites wie<br />
Dummes.“<br />
Johann Wolfgang<br />
von goethe<br />
Foto: Bundesarchiv
„Es gibt<br />
kaum<br />
ein Wort<br />
heutzutage,<br />
mit dem<br />
mehr<br />
Missbrauch<br />
getrieben wird<br />
als mit dem<br />
Worte ‘frei’.<br />
Ich traue dem<br />
Worte nicht,<br />
weil keiner die<br />
Freiheit für alle<br />
will; jeder will<br />
sie für sich …“<br />
otto von Bismarck<br />
„Nein,<br />
Sie können<br />
den Frauen<br />
nicht unter<br />
dem Vorwand<br />
der Religionsfreiheit<br />
ihre<br />
Grundrechte<br />
nehmen. Wenn<br />
Sie gegen Geburten<br />
kontrolle<br />
sind, dann<br />
lassen Sie<br />
es. Religionsfreiheit<br />
bedeutet<br />
nicht, dass Sie<br />
andere zwingen<br />
können, nach<br />
Ihren Glaubensvor<br />
stellungen<br />
zu leben.“<br />
Barack obama<br />
Pressefreiheit ALs<br />
PrüfstAnd<br />
In welchem Umfeld fand das<br />
Hambacher Fest statt? 1776<br />
fand sich die Pressefreiheit in<br />
Artikel XII des Grundrechtskatalogs<br />
für Virginia, der Bill<br />
of Rights. Die Pressefreiheit<br />
sei, heißt es dort, eines der<br />
großen Bollwerke der Freiheit. 6<br />
1791 untersagte der erste Zusatzartikel<br />
zur amerikanischen<br />
Verfassung von 1787 dem Kongress,<br />
Gesetze zu erlassen,<br />
die die Rede- und Pressefreiheit<br />
beschränken. 7 Artikel 11<br />
der französischen Deklaration<br />
der Menschen- und Bürgerrechte<br />
vom 26. August 1789<br />
garantierte die Presse- und<br />
Meinungsfreiheit erstmals in<br />
einem europäischen Land. 8<br />
Die Pressefreiheit wurde zum<br />
Prüfstand für jede Verfassung<br />
und zum Symbol für die Gewährung<br />
von Freiheitsrechten. 9<br />
Infolge der Aufklärung, der<br />
Französischen Revolution und<br />
des napoleonischen Umbruchs<br />
zerbrachen auf dem Gebiet<br />
des alten Heiligen Römischen<br />
Reiches <strong>Deutsche</strong>r Nation die<br />
traditionellen Herrschafts-, Legitimations-<br />
und Kommunikationsmuster.<br />
Dem Faktor Öffentlichkeit<br />
kam ein bis dahin neuer<br />
politischer Stellenwert zu. 10 Die<br />
Verbreitung der<br />
„ Erwägt,<br />
Ideen der Französischen<br />
Revolution<br />
wäre ohne die zu<br />
diesem Zeitpunkt<br />
bereits existierende<br />
Fülle von<br />
Zeitungen undenkbar<br />
gewesen. Umgekehrt<br />
entdeckten Preußen,<br />
Österreich und nicht zuletzt<br />
auch Bayern in Anbetracht des<br />
publizistischen Feldzugs Napoleons,<br />
der die militärischen<br />
eroberungszüge begleitete, die<br />
Pressepolitik oder modern gesprochen<br />
die Öffentlichkeitsarbeit<br />
als wirkungsvolles Mittel:<br />
Sie konnte die eigene Bevölkerung<br />
zu Widerstand, Aufstand<br />
und Mobilisierung gegen Napoleon<br />
motivieren. Die öffentliche<br />
Meinung wurde plötzlich<br />
als Faktor der Politik entdeckt<br />
und genutzt. 11<br />
1815: dAs voLK hAtte<br />
seine schuLdigKeit<br />
getAn<br />
Nach dem militärischen Sieg<br />
über Napoleon setzten Preußen<br />
und Österreich die eigene<br />
Propagandaarbeit noch erfolgreich<br />
zur Durchsetzung ihrer<br />
Forderungen und Vorstellungen<br />
ein. 12 Mit der Gründung<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Bundes gelang<br />
es Metternich als bestimmender<br />
Figur der Restauration<br />
hingegen, das monarchische<br />
Prinzip wieder als Norm zu definieren,<br />
nach der die gesamte<br />
Staatsgewalt im Staatsoberhaupt<br />
vereinigt bleiben sollte.<br />
13 Das Volk, das zur Überwindung<br />
Napoleons benötigt<br />
wurde, hatte seine Schuldigkeit<br />
getan und sollte wieder gehen.<br />
Trotzdem bekamen neben einigen<br />
Kleinstaaten, etwa 1814<br />
Nassau oder 1816 Sachsen-<br />
welche ungeheure<br />
Wirkung die Macht der<br />
Presse schon binnen weniger<br />
Monate hervorzubringen<br />
imstande war!“<br />
Weimar, insbesondere die<br />
süddeutschen Staaten Bayern<br />
und Baden, Württemberg und<br />
Hessen-Darmstadt Verfassungen.<br />
14 Artikel XIII der Deut-<br />
schen Bundesakte von 1815<br />
legte sogar ausdrücklich fest,<br />
dass es in allen Bundesstaaten<br />
eine landständische Verfassung<br />
geben werde. 15<br />
In Preußen blieb es dagegen<br />
beim bloßen Verfassungsversprechen<br />
des Königs vom 22.<br />
Mai 1815, das nicht eingelöst<br />
wurde. 16<br />
Die Unzufriedenheit der jungen<br />
Generation, insbesondere der<br />
<strong>Burschenschaft</strong>en, radikalisierte<br />
sich und gipfelte 1819 in der<br />
ermordung des Schriftstellers<br />
und russischen Agenten August<br />
von Kotzebue durch den<br />
Studenten Karl Ludwig Sand<br />
sowie dem Attentat des Apothekers<br />
Loening auf den nassauischen<br />
Regierungsdirektor<br />
Ibell 17 . Das bot den restaurativen<br />
Kräften im <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bund unter Führung von Metternich<br />
die Möglichkeit, auf der<br />
Bundesversammlung am 20.<br />
September 1819 die im August<br />
1818 beratenen Karlsbader<br />
Beschlüsse 18 in Kraft zu setzen.<br />
Darunter befanden sich<br />
unter anderem „Provisorische<br />
Bestimmungen hinsichtlich der<br />
Freiheit der Presse“, das Bundes-Preßgesetz.<br />
19<br />
Paragraf 1 des Bundes-Preßgesetzes<br />
legte fest, dass alle<br />
Schriften, die in der Form täglicher<br />
Blätter, heftweise oder<br />
in einem Umfang von maximal<br />
20 Druckbogen<br />
erschienen, in<br />
keinem Bundesstaat<br />
ohne vorherigeGenehmigung<br />
durch<br />
die Landesbehörden<br />
gedruckt werden durften.<br />
Weitere Bestimmungen sahen<br />
Berufsverbote für Redakteure<br />
der Blätter vor, deren erscheinen<br />
und Verbreitung durch den<br />
Beschluss der Bundesversammlung<br />
unterdrückt wurden. 20<br />
In Artikel 26 der Wiener<br />
Schlussakte war bereits festgelegt<br />
worden, dass im Falle der<br />
Gefährdung der inneren ordnung<br />
eines Bundesstaates der<br />
Bund notfalls auch unaufgerufen<br />
verpflichtet sei, zur Wiederherstellung<br />
der ordnung und<br />
Sicherheit einzuschreiten. Artikel<br />
57 stellte ergänzend fest,<br />
dass keine landständische Verfassung<br />
die im Bunde vereinigten,<br />
souveränen Fürsten in der<br />
erfüllung ihrer bundesmäßigen<br />
Verpflichtungen beschränken<br />
dürfe. Bundesländer, die ihren<br />
Landesverfassungen entsprechend<br />
die Zensurvorschriften<br />
des Bundes-Preßgesetzes missachteten<br />
oder nur zögerlich anwandten,<br />
müssten deshalb mit<br />
einer Intervention des Bundes<br />
zur Wiederherstellung der inneren<br />
ordnung rechnen. 21<br />
für die „wiedergeburt<br />
deutschLAnds“<br />
Der Sturz der restaurierten<br />
Bour bonen-Monarchie in Frankreich<br />
in der Juli-Revolution<br />
1830, die kurz darauf erfolgte<br />
Unabhängigkeitserklärung Belgiens<br />
sowie der am 29. November<br />
1830 beginnende polnische<br />
Aufstand brachten die gesellschaftlichen<br />
und politischen<br />
Verhältnisse auch in Deutschland<br />
wieder in Bewegung. 22<br />
Unruhen in Braunschweig im<br />
September 1830 führten erst<br />
zur Flucht des regierenden<br />
Herzogs Karl, später dann zu<br />
seinem Sturz und 1832 zu einer<br />
neuen Verfassung für das Herzogtum<br />
Braunschweig. 23 eine<br />
große Teile des Landes Kurhessen<br />
erfassende Protestbewegung<br />
führte 1831 auch dort zur<br />
Verabschiedung einer liberalen<br />
Landesverfassung mit einer<br />
Garantie der Pressefreiheit in<br />
deren Paragraf 37. 24 Am 24. Dezember<br />
1831 verabschiedeten<br />
die beiden Kammern des badischen<br />
Landtags das erste badische<br />
Pressegesetz, dessen Paragraf<br />
1 bestimmt, dass „eine<br />
Zensur der Druckschriften, die<br />
im Großherzogtum Baden herauskommen<br />
oder verbreitet<br />
werden, aufgehoben ist.“ 25 Im<br />
Februar 1832 gründeten die<br />
Pressefreiheit – rührt nicht<br />
daran! (Frankreich, 1834)<br />
Journalisten Johann Georg August<br />
Wirth aus München und<br />
Philipp Siebenpfeiffer den Preß-<br />
und Vaterlandsverein, der auf<br />
der Basis der Pressefreiheit die<br />
Macht des Geistes und der öffentlichen<br />
Meinung gegen die<br />
Macht der Fürsten zur „Wiedergeburt<br />
Deutschlands“ und<br />
seiner demokratischen organisation<br />
mobilisieren sollte.<br />
Der Verein wurde zwar bereits<br />
im März 1832 verboten. 26 Die<br />
Hauptakteure Wirth und Siebenpfeiffer<br />
luden jedoch im April<br />
zu einem „Nationalfest der<br />
<strong>Deutsche</strong>n“ auf der Ruine des<br />
Hambacher Schlosses bei Neustadt<br />
am 27. und 28. Mai 1832<br />
ein. Vorausgegangen war das<br />
Verbot der von Wirth und Siebenpfeiffer<br />
herausgegebenen<br />
Zeitschriften, dem Westboten<br />
und der <strong>Deutsche</strong>n Tribüne. 27<br />
Zentrales Thema der Reden auf<br />
dem Hambacher Fest war die<br />
Pressefreiheit als Schlüssel zur<br />
erringung der politischen Freiheit<br />
aller <strong>Deutsche</strong>n. Nach Siebenpfeiffer<br />
appellierte Wirth<br />
an die Teilnehmer des Festes:<br />
„Wenn dagegen die reinsten,<br />
„Die<br />
Ein <br />
sicht<br />
muss wieder<br />
wachsen,<br />
dass Freiheit<br />
auch Verzicht<br />
bedeutet,<br />
dass es neben<br />
Selbstentfaltung<br />
und Indivi dualismus<br />
auch<br />
Aufgaben gibt,<br />
dass jeder<br />
ein zelne Verant<br />
wortung<br />
übernehmen<br />
muss und zwar<br />
freiwillig.“<br />
„Wer<br />
die Frei <br />
heit nicht<br />
im Blut<br />
hat, wer<br />
nicht fühlt,<br />
was das ist:<br />
Freiheit – der<br />
wird sie nie<br />
erringen.“<br />
18 19<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
ulrich Wickert<br />
kurt tucholsky<br />
Foto: michael J. Zirbes
„Der<br />
Engländer<br />
liebt die<br />
Freiheit wie<br />
sein rechtmäßiges<br />
Weib,<br />
der Franzose<br />
wie seine Braut<br />
– der <strong>Deutsche</strong><br />
wie seine alte<br />
Großmutter.“<br />
heinrich heine<br />
„Freiheit<br />
oder Tod.”<br />
Wahlspruch<br />
griechenlands<br />
„Es ist nicht<br />
der Zweck<br />
des Staates,<br />
Menschen aus<br />
vernünftigen<br />
Wesen zu Tieren<br />
oder Automaten<br />
zu machen,<br />
sondern im<br />
Gegenteil, daß sie<br />
selbst sich ihrer<br />
freien Vernunft<br />
bedienen und<br />
nicht Haß, Zorn<br />
und Betrug<br />
einander<br />
zuvortun. Der<br />
Endzweck des<br />
Staates ist also<br />
im Grund die<br />
Freiheit.“<br />
Baruch de spinoza<br />
fähigsten und mutigsten Patrioten<br />
über die zweckmäßigste<br />
Reform unseres Landes sich<br />
verständigt und zugleich sich<br />
verbunden haben, um durch<br />
eigene Journale die öffentliche<br />
Meinung des Gesamtvolkes<br />
für diese Reform zu gewinnen,<br />
wenn auch nur zwanzig an<br />
Geist, Feuereifer und Charakter<br />
ausgezeichnete Männer einen<br />
solchen Bund geschlossen<br />
und nun dem guten Volke die<br />
unabweisliche Notwendigkeit<br />
feiner politischen Veredlung<br />
sowie das<br />
dringende<br />
Bedürfnis<br />
der durchgreifenden<br />
Reform des<br />
Vaterlandes<br />
täglich mit<br />
Flammenzügen<br />
in das Herz schreiben,<br />
wenn solche Männer den Nationalstolz,<br />
das Gefühl der Bürgerwürde<br />
und die Flamme der<br />
Freiheitsliebe durch die Glut<br />
begeisternder Rede in allen<br />
deutschen Gauen erwecken,<br />
wenn nur zwanzig solcher<br />
Männer, zu einem geregelten<br />
Zusammenwirken verbunden<br />
und von einem Manne ihres<br />
Vertrauens geleitet, der Nation<br />
das schöne Schauspiel eines<br />
gottbegeisterten Kampfes<br />
für das Vaterland, für unser<br />
angebetetes, dreimal herrliches<br />
Deutschland täglich vor<br />
Augen stellen, wenn sie in ihrer<br />
Sendung nie müde werden, nie<br />
erzittern, nie erbleichen, wenn<br />
sie alle Verfolgungen von seiten<br />
der Vaterlandsverräter mit<br />
Freudigkeit ertragen, wenn<br />
sie der Gewalt kein Haar breit<br />
weichen und lieber tausendmal<br />
sich zermalmen lassen<br />
als von ihrem heiligen Kampfe<br />
abzustehen, wenn endlich die<br />
guten Bürger in den lichtern<br />
Gegenden unseres Landes das<br />
Wirken solcher Männer durch<br />
Verbreitung deren Schriften<br />
öffentlich oder im Stillen unterstützen;<br />
ja führwahr, dann<br />
wird, dann muss das große<br />
Werk gelingen, die verräterische<br />
Gewalt wird vor der Weihe<br />
der Vaterlandsliebe und<br />
der Allmacht der öffentlichen<br />
Meinung in den Staub sinken,<br />
Deutschland wird die Freiheit<br />
und den Frieden sehen, es wird<br />
zur herrlichsten Macht und<br />
Größe emporblühen. Niemand<br />
„ Die Durchsetzung der<br />
Pressefreiheit gegen<br />
alle Widerstände ist der<br />
Schlüssel zur freiheitlichdemokratischen<br />
Grundordnung.“<br />
kann hieran zweifeln, der die<br />
Macht der Presse kennt und<br />
der erwägt, welche ungeheure<br />
Wirkung dieselbe schon binnen<br />
wenigen Monaten hervorzubringen<br />
im Stande war.“ 28<br />
courAgierte PubLizisten<br />
ALs schLüsseL<br />
Für die Hauptakteure des<br />
Hambacher Festes, insbesondere<br />
für Wirth, waren also couragierte,<br />
sich nicht einschüchtern<br />
lassende Publizisten der<br />
Schlüssel zu wirklich durchgreifenden<br />
Reformen in Deutschland.<br />
In Anbetracht der rigiden<br />
Unterdrückung kritischer<br />
Publizistik durch die bestimmenden<br />
Mächte im <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bund erschien es naheliegend,<br />
dass die dauernde Veröffentlichung<br />
und Verbreitung<br />
reformerischer Ideale die politischen<br />
Verhältnisse friedlich<br />
verändern würden. Zwar<br />
schlugen die den <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bund be stim menden restaurativen<br />
Regierungen Österreichs<br />
und Preußens zunächst zurück<br />
und verschärften die Zensur<br />
mit Bundesgesetz vom 5. Juli<br />
1832. Zwar musste Baden am<br />
28. Juli 1832 sein Pressegesetz<br />
außer Kraft setzen und Wirth<br />
und Siebenpfeiffer wurden vor<br />
einem Geschworenengericht<br />
angeklagt. Doch Publikationen<br />
aller Art verbreiteten trotz<br />
Zensur unverändert freiheitliches<br />
Gedankengut und der<br />
Liberalismus entwickelte sich<br />
von einer publizistischliterarischen<br />
Bewegung<br />
zur wirklichen Volksbewegung.<br />
29<br />
Aus heutiger Sicht<br />
hatten die Hauptakteure<br />
des Hambacher<br />
Festes Recht. Die<br />
Durchsetzung der Pressefreiheit<br />
gegen alle Widerstände<br />
war und ist der Schlüssel zur<br />
Durchsetzung einer freiheitlich-demokratischenGrundordnung,<br />
die diesen Namen<br />
verdient. 30<br />
Wir leben heute in einem Staat<br />
mit freiheitlich-demokratischer<br />
Grundordnung, dessen Verfassung<br />
die Presse- und Rundfunkfreiheit<br />
garantiert. Reicht<br />
es vor dem Hintergrund der<br />
eingangs genannten aktuellen<br />
Beispiele zur Wahrung des<br />
erbes des Hambacher Festes<br />
aus, den Stand der Pressefreiheit<br />
in Deutschland, europa<br />
und der Welt aufmerksam zu<br />
verfolgen, wie Richard von<br />
Weizsäcker meinte?<br />
die würde der tiere<br />
nicht verLetzen<br />
Betrachten wir die Realität um<br />
uns herum: Der nicht unwesentlich<br />
von öffentlichen Geldern<br />
abhängige Berliner Zoo<br />
meinte im Juni 2007 als Konsequenz<br />
aus dem Medienrummel<br />
um den kleinen eisbären Knut,<br />
von Bildberichterstattern den<br />
Abschluss eines Rahmenvertrages<br />
über Foto- und Filmaufnahmen<br />
verlangen zu können.<br />
Darin sollen sich die Vertragspartner<br />
unter anderem dazu<br />
verpflichten, die angefertigten<br />
Bildmaterialien nicht für Darstellungen<br />
zu verwenden oder<br />
zu überlassen, die gegenüber<br />
dem Zoologischen Garten den<br />
Tatbestand der Kreditgefährdung<br />
erfüllen oder auf sonstige<br />
Weise dessen Geschäftsehre<br />
bzw. die Persönlichkeitsrechte<br />
ihrer Mitarbeiter oder die Würde<br />
der Tiere verletzen. 31<br />
Nachdem Herbert Grönemeyer<br />
ende der 90er seine Fans an<br />
der Verarbeitung des Krebstodes<br />
seiner Frau öffentlich<br />
und intensiv hatte teilnehmen<br />
lassen, war der BGH am 19.<br />
Juni 2007 32 folgender Auffassung:<br />
Aufnahmen, die Herbert<br />
Grönemeyer mit seiner neuen<br />
Partnerin in der Öffentlichkeit<br />
zeigten, stellten keinen Beitrag<br />
für eine Diskussion von<br />
allgemeinem Interesse dar,<br />
welcher die Publikation von in<br />
der Öffentlichkeit aufgenommenen<br />
Bildern Grönemeyers<br />
und seiner neuen Lebensgefährtin<br />
rechtfertigen könnte.<br />
Grönemeyers künstlerische<br />
Verarbeitung von Teilen seines<br />
Privatlebens sei keine Rechtfertigung<br />
zur Berichterstattung<br />
über die immerhin mit Herbert<br />
Grönemeyer jedenfalls teilweise<br />
gemeinsame Privatsphäre<br />
der Klägerin. 33<br />
Trotz der erneut unmissverständlichen<br />
Feststellungen<br />
des BVerfG in seinem cicero-<br />
Urteil 34 hat es das LG Braunschweig<br />
35 bis heute nicht<br />
geschafft, über die Rechtmäßigkeit<br />
der Überwachung der<br />
Telekommunikationsdaten einer<br />
Polizeireporterin der Wolfsburger<br />
Allgemeinen Zeitung zu<br />
entscheiden. Diese war aufgrund<br />
eines frei erfundenen<br />
Verdachts der Anstiftung und<br />
Beihilfe zum Geheimnisverrat<br />
angeordnet worden.<br />
Paragraf 201 a StGB, der Anti-<br />
Stalking-Paragraf, sowie das<br />
Allgemeine Gleichstellungsgesetz<br />
wurden ohne pressespezifische<br />
Sonderbestimmungen<br />
erlassen. Presse, Rundfunk<br />
und Fernsehen wurden verbal<br />
bzw. durch erklärungen des<br />
Justizministeriums beschwichtigt,<br />
diese Bestimmungen hätten<br />
keine Auswirkungen auf<br />
ihre redaktionelle Arbeit. 36<br />
Dass Meinungsäußerungen<br />
von Po li tikern ein anerkanntes<br />
Kriterium zur Auslegung von<br />
Gesetzen sind, dürfte für uns<br />
alle neu sein.<br />
Wir erfreuen uns einer zunehmenden<br />
Diktatur der Gutmenschen<br />
und der von diesen<br />
aufgestellten Maßstäbe der<br />
Political Correctness, die uns<br />
immer aktuell wissen lassen,<br />
welche Berichterstattung,<br />
Wortwahl oder Themenstellung<br />
gerade anständig oder<br />
unanständig ist.<br />
zAhnLose tiger?<br />
Ist vor diesem Hintergrund die<br />
bloße aufmerksame Verfolgung<br />
des Stands der Pressefreiheit<br />
in Deutschland, europa<br />
und der Welt wirklich eine angemessene<br />
Achtung des Hambacher<br />
erbes? Die von Wirth<br />
beschworene Macht der Presse<br />
scheint zum zahnlosen Tiger geworden<br />
zu sein. Die einführung<br />
der neuen Strafbestimmungen<br />
ohne pressespezifische Sonderklauseln<br />
und die Diskussion<br />
um die alten und neuen<br />
Sicherheitsgesetze zur Verbesserung<br />
der Terrorismusabwehr<br />
belegen nicht zuletzt, dass<br />
die Journalistengewerkschaften<br />
und Verlegerverbände als<br />
quasi institutionelle Hüter der<br />
Pressefreiheit kein ausreichendes<br />
Gehör mehr finden. Denkt<br />
man die neue Rechtsprechung<br />
des BGH zur Unzulässigkeit<br />
der Veröffentlichung von Fotos<br />
sich privat in der Öffentlichkeit<br />
aufhaltender Prominenter in<br />
der Presse konsequent weiter,<br />
führt das zu folgender Annahme:<br />
In Zukunft entscheiden<br />
nicht mehr Redaktionen nach<br />
journalistischen Maßstäben,<br />
Tausende zogen 1832 zum Hambacher Schloss, um unter<br />
anderem für Pressefreiheit einzutreten.<br />
„Keine<br />
Regierung<br />
und<br />
keine Bataillone<br />
vermögen Recht<br />
und Freiheit<br />
zu schützen,<br />
wo der Bürger<br />
nicht imstande<br />
ist, selber vor<br />
die Haustüre<br />
zu treten und<br />
nachzusehen,<br />
was es gibt.”<br />
„Ich<br />
habe nie<br />
verstanden,<br />
warum die<br />
westliche Welt<br />
die Freiheit so<br />
hoch hängt.<br />
So weit ich<br />
sehe, hat die<br />
Bewegungsfreiheit<br />
gewöhlich<br />
vor allem mit<br />
Mobilität zu<br />
tun, und die<br />
Redefreiheit<br />
mit Belei digungen.”<br />
20 21<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
gottfried keller<br />
glenn gould<br />
Foto: don hunstein/glenn gould Foundation
Foto: Jürgen schuschke<br />
„Die<br />
Freiheit<br />
ist so kostbar,<br />
dass man sie<br />
rationieren<br />
muss.”<br />
Wladimir iljitsch lenin<br />
„Stelle<br />
dich<br />
deiner<br />
größten<br />
Angst; danach<br />
hat die Angst<br />
keine Macht<br />
mehr, und die<br />
Angst vor der<br />
Freiheit wird<br />
kleiner und<br />
verschwindet.<br />
Du bist frei.“<br />
Jim morrison<br />
„Aus jeder<br />
Freiheit<br />
ohne<br />
Ordnung<br />
entsteht bloß<br />
eine Anarchie;<br />
nur das Zusammenwirken<br />
von<br />
Freiheit und<br />
Ordnung, von<br />
Vielfalt und<br />
Einheit bringt<br />
eine wahre<br />
Demokratie<br />
oder ein großes<br />
Kunstwerk<br />
hervor.“<br />
leonard Bernstein<br />
was von mutmaßlichem Interesse für die Öffentlichkeit<br />
ist, sondern sehen sich die Zivilgerichte<br />
unseres Landes zur entscheidung darüber<br />
berufen, ob eine Veröffentlichung einen zulässigen<br />
Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem<br />
Interesse liefert.<br />
Hat das noch etwas mit Pressefreiheit zu tun?<br />
Hatte das BVerfG nicht bereits in seinem Spiegel-Urteil<br />
1966 37 festgestellt, dass die Presse<br />
staatsfrei ist?<br />
„gestAttung grosser freiheit“<br />
Die preußischen Reformer Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
und in deren Folge auch die Hauptakteure<br />
des Hambacher Festes waren wesentlich<br />
weiter. In seiner Denkschrift „Ueber Pressfreiheit“<br />
schrieb Wilhelm von Humboldt am 9. Januar<br />
1817 an den preußischen Staatskanzler<br />
Hardenberg:<br />
„Eine gerechte und gesetzmässige Freiheit<br />
gern begünstigende Regierung wird ihn [den<br />
Zwang] daher lieber ganz entfernen, und in<br />
unserer Zeit haben zwar die Zeitungen und die<br />
ihnen ähnlichen Blätter den öffentlichen Geist<br />
oft irre geleitet, sind aber auch ein so wichtiges<br />
Mittel, ihn zu wecken und zu bilden geworden,<br />
dass man sehr unrecht thun würde, sie, wie bei<br />
jener Massregel geschieht, mit einer Geringschätzung<br />
zu behandeln.<br />
[...] So schwierig auch auf den ersten Anblick<br />
die Bestimmung des rechtmässigen Gebrauchs<br />
der Pressfreiheit zu sein scheint, so wird man<br />
doch, wenn man auf der einen Seite sich Werke<br />
denkt, die irgend eine, auf das Staatswohl sehr<br />
nah angehende Materie bloss theoretisch behandeln<br />
und mit denen die Censur billigerweise<br />
gar nichts zu thun hat, und auf der anderen<br />
Seite eine Flugschrift, die zu einer<br />
bestimmten, und zur unerlaubten<br />
Handlung auffordert, die mehr ein gedruckter<br />
Aufruf als ein Buch genannt<br />
zu werden verdient und mit der wieder<br />
die Pressfreiheit nichts zu schaffen<br />
hat, nicht so gar schwer die Mittellinie finden,<br />
jenseits welcher ein Herausgeber vor aller Verantwortlichkeit<br />
sicher ist und diesseits der er<br />
zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die<br />
Mitteilung wahrer Thatsachen, welcher Art sie<br />
auch sein möchten, die Erwähnung selbst von<br />
Gerüchten, wenn nur die Absicht klar ist, da-<br />
„ Pressefreiheit<br />
durch der Wahrheit näher zu kommen, ruhige,<br />
mit Gründen belegte, wenn übrigens auch ganz<br />
bestimmte Kritik von vollendeten Massregeln<br />
der Regierung oder einzelner Staatsbeamten,<br />
Aeusserung von Wünschen, Rath und Warnung<br />
bei noch nicht vollendeten würde der Staat<br />
immer Unrecht haben zu erschweren; über<br />
Fälle dieser Art dürfte daher der Schriftsteller<br />
nie verantwortlich gemacht werden. In diesen<br />
Dingen kann die Verantwortlichkeit<br />
erst angehen, wenn er gegen besseres<br />
Wissen die Thatsachen entstellt<br />
oder die Mittel, sich zu unterrichten,<br />
versäumt oder sich Thatsachen zu erzählen unterfängt,<br />
deren Erforschung ihm nicht möglich<br />
ist und deren Verbreitung, wenn sie unrichtig<br />
wäre, gefährlich sein würde; wenn er<br />
das Unerwiesene, ohne es als solches<br />
zu bezeichnen, hinstellt und sich bei<br />
erfolgender Widerlegung noch rühmt,<br />
zur Ausmittelung der Wahrheit beigetragen<br />
zu haben; wenn er die Maske des Gerüchts<br />
nur gebraucht, um etwas Verunglimpfendes sagen<br />
zu dürfen; wenn Urtheil, Rath und Warnung<br />
dem Ton und Vortrag nach die Absicht verrathen,<br />
auch durch etwas anderes als ihren inneren<br />
Gehalt wirken zu sollen, und sich daher als<br />
eine Art unrechtmäßiger Macht herandrängen.<br />
Gestattung grosser Freiheit, aber unverbrüchliche<br />
Wachsamkeit über diejenige Grenze, welche<br />
zum Wohl aller und nicht am wenigsten zur<br />
Erhaltung der Würde des Schriftstelleramtes<br />
selbst gezogen werden muss, sind gewiss das<br />
zuverlässigste Mittel, die Rechte des Staats und<br />
der Bürger von dieser Seite sicher zu stellen.“ 38<br />
Wilhelm von Humboldt forderte im Übrigen bereits<br />
damals auch die entscheidung von Pressesachen<br />
in einem summarischen Gerichtsverfahren<br />
in einer Instanz. 39<br />
ist das<br />
Resultat der Zivilcourage<br />
zahlloser Menschen.“<br />
Die restaurativen Kräfte in Preußen konnten<br />
ihre Maxime vom „beschränkten Untertan“<br />
ähnlich wie in Österreich trotzdem nicht länger<br />
durchhalten. Insbesondere die in der Zeit der<br />
Befreiungskriege gegen Napoleon begonnenen<br />
Bildungsreformen steigerten die allgemeine<br />
Volksbildung und führten dazu, dass die Vor-<br />
stellungen von Wirth auf dem Hambacher Fest<br />
über die Presse als Transportmittel ihrer Ideen<br />
ihre Wirkung in der breiten Bevölkerung entfalten<br />
konnten. Die Menschen wurden in die Lage<br />
versetzt, sich auf der Basis der ihnen mitgeteilten<br />
Informationen eine eigene politische Meinung<br />
zu bilden und damit überhaupt eine aktive<br />
politische Rolle spielen zu können. 40<br />
teiLhAbe Am stAAtswesen<br />
Auch dies ist eine Facette des erbes des Hambacher<br />
Festes: Das Grundrecht der Pressefreiheit<br />
kann nur dann zur vollen Wirkung gelangen,<br />
wenn die Adressaten der Medien in der<br />
Lage sind, den Inhalt der Medien nicht nur zur<br />
Kenntnis zu nehmen, sondern auch für die eigene<br />
aktive Teilhabe am demokratischen Staatswesen<br />
einzuordnen und zu nutzen. ein Aspekt,<br />
der in Anbetracht ständiger Reformen in<br />
allen Bildungs- und Ausbildungsbereichen<br />
unseres Landes von nicht zu<br />
unterschätzender Bedeutung ist. Zumal<br />
das einheitliche ergebnis aller Bildungs-<br />
und Ausbildungsreformen im Gegensatz<br />
zu den preußischen Reformen des 19. Jahrhunderts<br />
eine deutliche Nivellierung<br />
des allgemeinen Bildungsniveaus nach<br />
unten war und ist.<br />
Die Kernbotschaft der Hauptakteure des Hambacher<br />
Festes und die weitere entwicklung nach<br />
dem Hambacher Fest zeigen aber auch, wie<br />
dem unbefriedigenden Befund des Stands der<br />
Verwirklichung der Pressefreiheit in Deutschland<br />
heute und den damit verbundenen allgemeinen<br />
Begleitumständen erfolgreich begegnet<br />
werden kann. Die für das erreichen einer durchgreifenden<br />
Reform in Deutschland<br />
entscheidenden Akteure sind für<br />
Wirth die reinsten, fähigsten und<br />
mutigsten Patrioten, die mit Geist,<br />
Feuereifer und charakter tätig sind<br />
und sich von Verfolgung und Gewalt nicht einschüchtern<br />
lassen.<br />
Wirth und Siebenpfeiffer sprachen nicht nur auf<br />
dem Hambacher Fest, sondern belegten ihre<br />
These selbst, indem sie ihre politischen Vorstellungen<br />
in ihren Verteidigungsreden in der öffentlichen<br />
Verhandlung vor dem Schwurgericht<br />
in Landau ab ende Juli 1833 entwickelten und<br />
daraufhin in der ersten Instanz sogar freigesprochen<br />
wurden. 41<br />
Weitere Beispiele sind der Protest von drei<br />
Ministern der Staatsregierung gegen die Zensurverordnung,<br />
die sie als verfassungswidrig<br />
bezeichneten, 42 oder der Protest der sieben Göttinger<br />
Professoren, die am 1. November 1837<br />
den Bruch der Verfassung durch den neuen<br />
hannoverschen König ernst August kritisierten,<br />
auch wenn sie deshalb zunächst fristlos entlassen<br />
wurden. 43<br />
Die Aufzählung kleiner und großer Beispiele von<br />
Zivilcourage ließe sich beliebig fortführen. Dass<br />
wir heute ganz selbstverständlich ein Grundrecht<br />
der Pressefreiheit in unserer Verfassung<br />
haben, ist – verkürzt gesprochen – das Resultat<br />
der Zivilcourage zahlloser Menschen.<br />
AnwäLte der Pressefreiheit<br />
Die eigentliche Bedeutung von Hambach für die<br />
Pressefreiheit heute ist eine permanente Aufforderung<br />
an uns alle, ständig wirkliche Anwälte<br />
der Pressefreiheit in unserem Land zu sein. Nehmen<br />
wir journalistische Fehlleistungen nicht als<br />
unvermeidlich hin, sondern werben und fordern<br />
wir seriösen Journalismus in unseren Häusern<br />
ein, der zwangsläufig auch Geld kostet und<br />
einer guten Ausbildung und ständigen Fortbildung<br />
bedarf.<br />
Verteidigen wir die Pressefreiheit gegen zunehmende<br />
Versuche, Medien zu instrumentalisieren<br />
oder zu manipulieren. Betrachten wir<br />
unsere anwaltliche Tätigkeit gerade in Presseverfahren<br />
als chance zur fundierten Richterfortbildung.<br />
Geben wir uns nicht damit zufrieden,<br />
dass die Pressefreiheit praktisch bei allen<br />
relevanten Gesetzesvorhaben kein Faktor mehr<br />
ist, den die politisch Verantwortlichen in unserem<br />
Staat meinen, in ihre Überlegungen und<br />
Abwägungen einbeziehen zu müssen.<br />
„Die<br />
politische<br />
Freiheit eine<br />
schickliche<br />
Fabel,<br />
welche die<br />
Regierenden<br />
ersonnen<br />
haben, um<br />
die Regierten<br />
einzuschläfern.”<br />
napoleon Bonaparte<br />
„Die<br />
Freiheit<br />
der Kunst<br />
ist nicht<br />
viel wert,<br />
wenn sie<br />
keinen<br />
anderen Sinn<br />
hat, als die<br />
Behaglichkeit<br />
des Künstlers<br />
zu sichern.”<br />
22 23<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
albert camus<br />
„Die<br />
Geister<br />
brauchen<br />
Freiheit,<br />
aber keine<br />
Gleichheit.”<br />
Jean paul
Johannes Weberling, Jahrgang 1958, <strong>Burschenschaft</strong><br />
Frankonia Gießen, studierte Jura und Geschichte an<br />
den Universitäten Gießen/Lahn, Freiburg im Breisgau<br />
und Bonn. Von 1992 bis 1996 war er Leiter Personal<br />
und Recht der Berliner Zeitung und des Berliner Kuriers.<br />
Seit 1990 arbeitet er als Rechtsanwalt in Berlin mit den<br />
Schwerpunkten Medien und Arbeitsrecht.<br />
Johannes Weberling ist Initiator des 2001 gegründeten<br />
Studien und Forschungsschwerpunkts<br />
Medienrecht an der EuropaUniversität Viadrina<br />
Frankfurt (Oder) und dort seit 2005 Honorarprofessor<br />
für Medienrecht.<br />
24<br />
1 Vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 30.<br />
September 2003 – 1 BvR 865/00, AfP<br />
2004, 49, 50 = NJW 2004, 590, 591.<br />
2 Vgl. oLG Hamburg, Urteil vom 6.<br />
Februar 2007 – 7 U 151/06. Die Nichtzulassungsbeschwerde<br />
ist beim BGH<br />
unter dem Az VI ZR 71/07 anhängig.<br />
3 Vgl. Polizeipräsidium Unterfranken<br />
– Präsidialbüro, Vereinbarung über<br />
Bild- bzw. Filmaufnahmen, Az PB-1821.<br />
4 Dagegen lautet Ziffer 9 der am 26.<br />
November 1993 von der Innenministerkonferenz<br />
beschlossenen, unverändert<br />
in Kraft befindlichen „Verhaltensgrundsätze<br />
für Presse/Rundfunk und Polizei<br />
zur Vermeidung von Behinderungen<br />
bei der Durchführung polizeilicher<br />
Aufgaben und der freien Ausübung<br />
der Berichterstattung“ wörtlich: „Das<br />
Fotografieren und Filmen polizeilicher<br />
einsätze unterliegt grundsätzlich keinen<br />
rechtlichen Schranken. Auch Filmen und<br />
Fotografieren mehrerer oder einzelner<br />
Polizeibeamter ist bei aufsehenerregenden<br />
einsätzen im Allgemeinen zulässig.<br />
Die Medien wahren die berechtigten<br />
Interessen der Abgebildeten und beachten<br />
insbesondere die Vorschriften des<br />
Kunsturhebergesetzes bei Veröffentlichungen<br />
des Film- und Fotomaterials.“<br />
(vgl. u.a. Amtsbl. Schl.-H. 1995 S. 72).<br />
5 Vgl. von Weizsäcker, Hambachs<br />
erbe: Freiheit, einheit und europa,<br />
FAZ vom 26. Mai 2007, S. 32.<br />
6 Vgl. Mann, Die Garantie der Pressefreiheit<br />
unter der Kurhessischen Verfassung<br />
von 1831, Frankfurt am Main 1993, S. 3.<br />
7 Vgl. Mann (Fn. 6), S. 3.<br />
8 Vgl. Mann (Fn. 6), S. 3.<br />
9 Vgl. Mann (Fn. 6), S. 3.<br />
Nutzen wir unsere Gremienmitgliedschaften zur<br />
Motivation der unsere Branche repräsentierenden Interessensverbände,<br />
nach Möglichkeiten und Wegen zu suchen,<br />
in Zukunft wieder wirkungsvoller und erfolgreicher für die<br />
erhaltung der Pressefreiheit in Deutschland und europa einzutreten.<br />
Und vergessen wir bei alledem nicht, dass Medien<br />
ihre in der freiheitlichen Demokratie unverzichtbare Rolle nur<br />
dann wahrnehmen können, wenn die Bürger unseres Landes<br />
bestmöglich gebildet in der Lage sind, ihre staatsbürgerlichen<br />
Rechte und Pflichten zu nutzen und an unserem Gemeinwesen aktiv<br />
teilzunehmen.<br />
Wenn wir das alles tun, erweisen wir uns als würdige Nachfolger der<br />
Hauptakteure des Hambacher Festes. Dann müssen wir uns hinsichtlich<br />
der erhaltung und der Verwirklichung der Pressefreiheit in unserem Lande<br />
und in europa keine Gedanken machen. Denn ebenso wie Johann Georg August<br />
Wirth können wir der Macht der Presse vertrauen, da wir wissen, welche ungeheure<br />
Wirkung diese schon binnen weniger Monate hervorzubringen imstande ist.<br />
queLLenangaBen<br />
Der vorliegende Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: prof. Dr. Johannes Weberling, Georg Wallraf,<br />
andrea Deters (hg): im zweifel für die pressefreiheit. Festschrift zur 100. arbeitstagung der arbeitsgemeinschaft<br />
der Verlagsjustitiare am 29. Juni 2007 auf dem hambacher Schloss, Baden-Baden 2008<br />
10 Vgl. Piereth, Bayerns Pressepolitik<br />
und die Neuordnung Deutschlands<br />
nach den Befreiungskriegen,<br />
München 1999, S. 37 ff.<br />
23 Vgl. Kermann (Fn. 22), Seite 33 f.;<br />
Nipperdey (Fn. 13), S. 366 f.<br />
11 Vgl. Piereth (Fn. 10), S. 45 ff.<br />
24 Vgl. Kermann (Fn. 22), Seite 32<br />
f.; Mann (Fn. 6), S. 12 ff.; Nipperdey<br />
(Fn. 13), S. 367.<br />
12 Vgl. Piereth (Fn. 10), S. 66 ff.<br />
25 Vgl. Württembergische Landes-<br />
13 Vgl. Nipperdey, <strong>Deutsche</strong> Geschichte bibliothek (Red. Klaus Dreher),<br />
1800–1866. Bürgerwelt und starker Von der Preßfreiheit zur Presse-<br />
Staat, 2. Auflage München 1984, S. freiheit, Stuttgart 1983, S. 72.<br />
272, 282 ff., 320; Piereth (Fn. 10, S. 296. 26 Vgl. Hüls, Johann Georg August Wirth<br />
14 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 273.<br />
1798–1848. ein politisches Leben im<br />
15 Vgl. Art. XIII der Bundesakte vom 8.<br />
Juni 1815, abgedruckt in: Walder,<br />
Die deutsche Bundesakte und der<br />
schweizerische Bundesvertrag<br />
von 1815, 2. Auflage Bern/Frankfurt<br />
am Main 1974, S. 28, 38.<br />
Vormärz, 2. Auflage Düsseldorf 2006,<br />
S. 22 4 ff.; Hüls, Zwei mutige Streiter<br />
für die Freiheit. Johann Georg August<br />
Wirth und Philipp Jakob Siebenpfeiffer,<br />
in: Kermann u.a. (Hrsg.), Freiheit,<br />
einheit und europa. Das Hambacher<br />
Fest von 1832 – Ursachen, Ziele,<br />
16 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 276 ff.<br />
Wirkungen, Ludwigshafen 2006, S. 85,<br />
17 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 279 ff.<br />
102 ff.; Nipperdey (Fn. 13), S. 369.<br />
18 Abgedruckt in Huber, Dokumente 27 Vgl. Hüls (Fn. 26 – Kermann), S. 85, 111<br />
zur <strong>Deutsche</strong>n Verfassungsgeschich- f. und 114; Nipperdey (Fn. 13), S. 369 f.<br />
te 3. Auflage 1978, S. 100 ff.<br />
28 Zitiert nach Flathe (Hrsg.), <strong>Deutsche</strong><br />
19 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 282 f.<br />
reden. Denkmäler zur vaterländi-<br />
20 Vgl. Provisorische Bestimmungen hinsichtlich<br />
der Freiheit der Presse (Bundes-<br />
Preßgesetz) vom 20. September 1819<br />
schen Geschichte des Neunzehnten<br />
Jahrhunderts, erster Band 1808–<br />
1865, Leipzig 1893, S. 151 f.<br />
(Huber, a.a.o. (Fn. 18), S. 102 ff. 29 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 171 f.<br />
21 Vgl. Dippel, Die kurhessische Verfassung<br />
von 1831 im internationalen<br />
und 377 ff.; Württembergische<br />
Landesbibliothek (Fn. 25), S. 72 f.<br />
Vergleich, HZ 2006, 619, 631 f, 30 „eine freie, nicht von der öffentli-<br />
22 Vgl. Kermann, Von den Nationalaufständen<br />
zur Solidarität der freien<br />
„Völker“ europas. Die europäischen<br />
Revolutionen von 1830/31 und das<br />
Hambacher Fest, Kermann u..a. (Hrsg.),<br />
chen Gewalt gelenkte, keiner Zensur<br />
unterworfene Presse ist Wesenselement<br />
des freiheitlichen Staates und für die<br />
moderne Demokratie unentbehrlich“<br />
(BVerfGe 20, 162, 174 - Spiegel).<br />
Freiheit, einheit und europa. Das Ham- 31 Vgl. Zoologischer Garten AG,<br />
bacher Fest von 1832 – Ursachen, Ziele, Rahmenvertrag über Foto- und<br />
Wirkungen, Ludwigshafen 2006, S. 9 ff. Filmaufnahmen im Zoo BeRLIN/<br />
und 20 ff.; Nipperdey (Fn. 13), S. 366. Zoo-AQUARIUM, Juni 2007.<br />
32 Az VI ZR 12/06.<br />
33 Vgl. Bundesgerichtshof, Mitteilung<br />
der Pressestelle Nr. 77/2007.<br />
34 BVerfG, Beschlüsse vom 27.<br />
Februar 2007 – 1 BvR 538/06, 1<br />
BvR 2054/06, AfP 2007, 110 ff.<br />
35 Aktualisierender Nachtrag: Das LG<br />
Braunschweig wies die Beschwerde der<br />
Polizeireporterin mit Beschluss vom<br />
28. August 2007, Az. 8 Qs 164/06,<br />
tatsächlich zurück. Auf die daraufhin<br />
vom Verfasser für die Polizeireporterin<br />
erhobene Verfassungsbeschwerde hob<br />
das Bundesverfassungsgericht den Beschluss<br />
des Landgerichts Braunschweig<br />
mit einstimmigem Beschluss am 4.<br />
März 2008, Az. 2 BvR 2112/07, auf.<br />
36 Vgl. „Gleichbehandlungsgesetz<br />
gefährdet Tendenzschutz der Verlage<br />
nicht“, AfP 2006, 342; Mitsch, Der<br />
neue Stalking-Tatbestand im Strafgesetzbuch,<br />
NJW 2007, 1237, 1238.<br />
37 BVerfGe 20, 162 ff.<br />
38 Zitiert nach Wilke (Hrsg.), Pressefreiheit,<br />
Darmstadt 1994, S. 136 und 137 f.<br />
39 A.a.o. (Fn. 38), S. 138.<br />
40 Vgl. Nipperdey (Fn. 13),<br />
S. 288 und 451 ff.<br />
41 Vgl. Martin, „In strenger Vollziehung<br />
der Gesetze“. Die Zeit der Reaktion<br />
nach dem Hambacher Fest, in:<br />
Kermann u..a. (Hrsg.), Freiheit,<br />
einheit und europa. Das Hambacher<br />
Fest von 1832 – Ursachen, Ziele,<br />
Wirkungen, Ludwigshafen 2006, S.<br />
331, 326 ff.; Hüls (Fn. 26), S. 332.<br />
42 Vgl. Gollwitzer, Ludwig I. von<br />
Bayern. Königtum im Vormärz, 2.<br />
Auflage München 1987, S. 454 ff.<br />
43 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 376.<br />
rangliste der<br />
pressefreiheit 2011<br />
Die jährliche Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“, einer internationalen Nichtregierungsorganisation, schätzt die<br />
weltweite Lage der Presse- und Medienfreiheit ein. Sie versucht, den Grad der Freiheit wiederzugeben, den Journalisten<br />
und Medien in einzelnen Ländern genießen, und bewertet die Bemühungen der jeweiligen Staaten, die freie Arbeit von<br />
Journalisten sicherzustellen. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.reporter-ohne-grenzen.de.<br />
1 Finnland<br />
norwegen<br />
3 estland<br />
niederlande<br />
5 Österreich<br />
6 Island<br />
luxemburg<br />
8 schweiz<br />
9 Kapverden<br />
10 Kanada<br />
dänemark<br />
12 schweden<br />
13 neuseeland<br />
14 tschechien<br />
15 Irland<br />
16 Zypern<br />
Jamaika<br />
deutschland<br />
19 Costa rica<br />
20 belgien<br />
namibia<br />
22 Japan<br />
suriname<br />
24 polen<br />
25 mali<br />
organisation<br />
ostkaribischer<br />
staaten<br />
(oeCs)<br />
slowakei<br />
28 Großbritannien<br />
29 niger<br />
30 australien<br />
litauen<br />
32 uruguay<br />
33 portugal<br />
34 tansania<br />
35 papua-neuguinea<br />
36 slowenien<br />
37 el salvador<br />
38 Frankreich<br />
39 spanien<br />
40 ungarn<br />
41 Ghana<br />
42 südafrika<br />
botswana<br />
44 südkorea<br />
45 Komoren<br />
taiwan<br />
47 usa<br />
argentinien<br />
rumänien<br />
50 lettland<br />
trinidad und<br />
tobago<br />
52 haiti<br />
Quelle: Reporter ohne Grenzen<br />
53 moldawien<br />
54 hongkong<br />
mauritius<br />
samoa<br />
57 usa (außerhalb<br />
der usa)<br />
58 malta<br />
bosnien und<br />
herzegowina<br />
Guyana<br />
61 Italien<br />
62 Zentralafrikanische<br />
republik<br />
63 lesotho<br />
sierra leone<br />
tonga<br />
66 mosambik<br />
67 mauretanien<br />
68 Kroatien<br />
burkina Faso<br />
70 bhutan<br />
Griechenland<br />
72 nicaragua<br />
73 malediven<br />
seychellen<br />
75 Guinea-bissau<br />
senegal<br />
77 armenien<br />
78 Kuwait<br />
79 togo<br />
80 serbien<br />
bulgarien<br />
Chile<br />
paraguay<br />
84 Kenia<br />
madagaskar<br />
86 Guinea<br />
Kosovo<br />
osttimor<br />
sambia<br />
90 Kongo<br />
91 benin<br />
92 Israel<br />
93 libanon<br />
94 mazedonien<br />
95 dominikanische<br />
republik<br />
96 albanien<br />
97 Kamerun<br />
Guatemala<br />
99 brasilien<br />
100 mongolei<br />
101 Gabun<br />
102 nordzypern<br />
103 tschad<br />
104 ecuador<br />
Georgien<br />
106 nepal<br />
107 montenegro<br />
108 bolivien<br />
Kirgistan<br />
110 liberia<br />
111 südsudan<br />
112 Vereinigte<br />
arabische<br />
emirate<br />
113 panama<br />
114 Katar<br />
115 peru<br />
116 ukraine<br />
117 Kambodscha<br />
Fidschi<br />
oman<br />
Venezuela<br />
simbabwe<br />
122 algerien<br />
tadschikistan<br />
malaysia<br />
125 brunei<br />
126 nigeria<br />
127 Äthiopien<br />
128 Jordanien<br />
129 bangladesch<br />
130 burundi<br />
131 Indien<br />
132 angola<br />
133 Israel (außerhalb<br />
Israels)<br />
134 tunesien<br />
135 singapur<br />
honduras<br />
137 thailand<br />
138 marokko<br />
139 uganda<br />
140 philippinen<br />
141 Gambia<br />
142 russland<br />
143 Kolumbien<br />
144 swasiland<br />
145 demokratische<br />
republik<br />
Kongo<br />
146 Indonesien<br />
malawi<br />
148 türkei<br />
149 mexiko<br />
150 afghanistan<br />
151 pakistan<br />
152 Irak<br />
153 palästinensische<br />
Gebiete<br />
154 Kasachstan<br />
libyen<br />
156 ruanda<br />
157 usbekistan<br />
PRESSEFREIHEIT WELTWEIT 2012<br />
158 saudi-arabien<br />
159 elfenbeinküste<br />
dschibuti<br />
161 Äquatorialguinea<br />
162 aserbaidschan<br />
163 sri lanka<br />
164 somalia<br />
165 laos<br />
166 Ägypten<br />
167 Kuba<br />
168 belarus<br />
169 birma<br />
170 sudan<br />
171 Jemen<br />
172 Vietnam<br />
173 bahrain<br />
174 China<br />
175 Iran<br />
176 syrien<br />
177 turkmenistan<br />
178 nordkorea<br />
179 eritrea<br />
FREEDOM OF THE PRESS WORLDWIDE IN 2012<br />
Reporter ohne Grenzen e.V.<br />
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© Reporters sans frontières<br />
„Freiheit ist die Freiheit zu sagen,<br />
dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das<br />
gewährt wird, folgt alles weitere.“<br />
george orwell<br />
Good situation Gute Lage<br />
Satisfactory situation Zufriedenstellende Lage<br />
Noticeable problems Erkennbare Probleme<br />
Difficult situation Schwierige Lage<br />
Very serious situation Sehr ernste Lage<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
FIJI<br />
25
Foto: euku<br />
Foto: marie-lan nguyen<br />
26<br />
SPEZIAL<br />
„Wir<br />
fordern<br />
Freiheit<br />
– aber was<br />
ist, wenn die<br />
Bürger ihre<br />
Freiheit als<br />
kalt empfinden<br />
und statt<br />
dessen auf die<br />
Geborgenheit<br />
staatlicher Für<br />
und Vorsorge<br />
setzen?“<br />
roman herzog<br />
„Zum<br />
Glück<br />
brauchst<br />
du Freiheit,<br />
zur Freiheit<br />
brauchst du<br />
Mut.“<br />
perikles<br />
„Ich<br />
kenne<br />
den Wert<br />
der Freiheit<br />
zu gut, als<br />
dass ich willens<br />
wäre, sie denen,<br />
dich ich liebe,<br />
zu entreißen.”<br />
könig Friedrich ii.<br />
„der große“<br />
academicus 2/2012<br />
von Martin haape<br />
rugia darmstadt<br />
Der comment<br />
oDer Die missverstanDene Freiheit<br />
Gerade in der heutigen Zeit,<br />
in der „Frei ist der Bursch“ in<br />
vieler Munde liegt, mag man<br />
sich fragen, wie dieser Ausspruch,<br />
dieser Wunsch nach<br />
Freiheit mit einem comment<br />
in einklang zu bringen ist. Wie<br />
viele begründen ihr incommentgemäßes<br />
Verhalten mit<br />
der Freiheit, die sie damit zum<br />
Ausdruck bringen möchten.<br />
Doch wie kann man comment<br />
überhaupt fassen? Sind commentgemäßes<br />
Verhalten und<br />
Freiheit vereinbar oder nicht?<br />
Müssen wir möglicherweise<br />
unsere Auffassungen ändern,<br />
„ Ist es nötig,<br />
den Comment<br />
aufzuweichen<br />
oder sogar<br />
abzuschaffen?“<br />
um dem Wunsch nach Freiheit<br />
nachzukommen? comment,<br />
vom französischen Wort<br />
‚comment‘, bedeutet zunächst<br />
einmal bloß ‚wie‘. Im weiteren<br />
Sinne wurde daraus dann<br />
„[…] das ‚Wie‘ studentischen,<br />
insbesondere korporationsstudentischen<br />
Verhaltens. Der<br />
teils mündlich tradierte, teils<br />
schriftlich fixierte Komment<br />
der einzelverbindungen, […]<br />
umfasst die Gesetze des Burschenlebens<br />
schlechthin.“ 1 Der<br />
comment befasst sich also<br />
mit geschriebenen und ungeschriebenen<br />
Richtlinien, die<br />
im Sinne eines Gesetzes für<br />
jeden Burschen bindend sind.<br />
Doch ist es vielleicht nötig, im<br />
Sinne der Freiheit eines jeden,<br />
diese Regeln aufzuweichen<br />
oder sogar<br />
abzuschaffen. Ludwig<br />
Wallis sagt zur Freiheit<br />
Folgendes:<br />
„Wir alle sind Brüder<br />
und einander<br />
gleich!‘ Dies ist der<br />
Wahlspruch der Studenten,<br />
das Motto der academischen<br />
Freyheit. Wenn man gleich in<br />
neueren Zeiten aus mehreren<br />
Der sauffende Student. Kupferstich von Johann Georg Puschner<br />
aus dem Jahr 1725<br />
Gründen die alte Freyheit einschränken<br />
zu müssen glaubte,<br />
so sind doch noch die übrigen<br />
Reste bedeutend genug, um<br />
eine Republik im kleinen zu<br />
bilden und zuzulassen. Republiken,<br />
wie sie in der Geschichte<br />
der Völker bekannt sind, konnten<br />
nie so sehr dem Ideale<br />
gleich kommen, wie dies bey<br />
der freien, unabhängigen Burschenwelt<br />
Statt[sic!] findet.“ 2<br />
Wir werden hier angehalten,<br />
im Gedenken der Republik<br />
oder republikanischer Strukturen,<br />
die studentische Freiheit<br />
hochzuhalten und sie zu pflegen.<br />
Dies mag uns als Grundsatz<br />
gelten. Doch auch Freiheit<br />
hat ihre Grenzen. Schon unser<br />
Grundgesetz nennt die Grenzen<br />
der Freiheit wie folgt: „Jeder<br />
hat das Recht auf die freie<br />
entfaltung seiner Persönlichkeit,<br />
soweit er nicht die Rechte<br />
anderer verletzt und nicht<br />
gegen die verfassungsmäßige<br />
ordnung oder das Sittengesetz<br />
verstößt.“ 3 Die Freiheit<br />
der Person endet an<br />
der Freiheit des anderen<br />
und gerade<br />
die <strong>Burschenschaft</strong>er<br />
als Kämpfer für<br />
die Freiheit sollten<br />
diesen Grundsatz<br />
besonders achten.<br />
ein <strong>Burschenschaft</strong>er<br />
hat freiheitliches<br />
Handeln stets mit<br />
der Freiheit und ehre<br />
der anderen in einklang<br />
zu bringen.<br />
dAs fehLen von grenzen<br />
steLLt eine gefAhr dAr<br />
„Wo das nötige Gleichgewicht von<br />
Freiheit und Bindung, von Rechten und<br />
Pflichten nicht besteht, ist das Zusammenleben<br />
gestört und gefährdet. Freiheit<br />
wird dann zur Beliebigkeit, Recht<br />
wird zum Rechtsanspruch ohne Rücksicht<br />
auf die Rechte anderer, egoismus<br />
und Individualismus verdrängen Solidarität<br />
und Gemeinsinn.“ 4<br />
Mehr noch stellt das Fehlen von Grenzen,<br />
eine Abstinenz von Regeln eine<br />
Gefahr dar, oder besser ausgedrückt:<br />
eine Vereinsamung desjenigen, der<br />
seiner eigenen Freiheit mehr Raum geben<br />
möchte als es rechtmäßig wäre. er<br />
läuft damit Gefahr, „zurechtgewiesen“<br />
und „verachtet“ zu werden. 5 Der comment<br />
liefert die Grenzen eines jeden im<br />
Zusammenleben des Bundes und im<br />
Zusammenleben mit anderen Bünden.<br />
Zu diesem Zwecke muss selbiger nicht<br />
einmal schriftlich fi-<br />
„ Ein<br />
xiert, sondern allein<br />
als gebührliches, eines<br />
jeden anderen<br />
gerecht werdendes<br />
Handeln aufgefasst<br />
worden sein. Schon Immanuel Kant<br />
schreibt in der ‚Grundlegung zur Metaphysik<br />
der Sitten‘: „[Handle so], daß der<br />
Wille durch seine Maxime sich selbst<br />
zugleich als allgemein gesetzgebend<br />
betrachten könne.“ 6<br />
ein comment richtet sich genau an<br />
dieser Linie aus. er betrachtet alle<br />
Handlungen der Individuen als allgemeingültige<br />
Gesetzgebung und solange<br />
sich alle an diesen comment halten,<br />
herrscht eine Stimmung auf der Veranstaltung,<br />
die als angenehm empfunden<br />
queLLenangaBen<br />
1 Böcher, otto, Art. „Komment“, in: Kleines Lexikon des studentischen<br />
Brauchtums, Mainz 1985, S.20.<br />
2 Ludwig Wallis: Der Göttinger Student oder Bemerkungen,<br />
Rathschläge und Belehrungen über Göttingen und das<br />
Studentenleben auf der Georgia Augusta [im Folgenden:<br />
Wallis: Der Göttinger Student], Göttingen ³1995, S. 65f.<br />
3 GG I Art. 2 Abs. 2; in: www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR<br />
000010949.html#BJNR000010949BJNG000100314,<br />
28.01.2012.<br />
4 Haack, Dieter: Tradition, Identität und Vaterlandsliebe im<br />
wird. Verbandsbruder Dr. Wolfgang v.<br />
Wiese fasst diese erkenntnis mit den<br />
Worten:<br />
„Wir Menschen werden nur durch die<br />
einhaltung ethischer Richtlinien und<br />
Normen zum Gemeinschaftsleben befähigt<br />
[…]. Diese [die ethische Moral]<br />
sollte so definiert und vorgelebt werden,<br />
dass man auch merkt, dass es<br />
sich um ein erprobtes, über mehrere<br />
Generationen überliefertes Gefüge von<br />
sittlichen Tugenden […] handelt, dass<br />
uns vorgibt, wie wir mit unseren Bundes-<br />
und Verbandsbrüdern, mit anderen<br />
Menschen umgehen.“ 7<br />
comment ALs AusdrucK<br />
von resPeKt und würde<br />
Somit hat das Anerkennen und Leben<br />
eines comments auch immer etwas<br />
mit dem Respekt und der Würdigung<br />
der Ideale und des Arbeitens der Urburschenschaft<br />
und unser aller Vorväter zu<br />
Comment betrachtet alle<br />
Handlungen der Individuen als<br />
allgemeingültige Gesetzgebung.“<br />
tun. 8 Mehr noch, ein gut umgesetzter<br />
comment vermag nicht nur eine ehrerbietung<br />
vergangener Generationen<br />
zu vollbringen, ein verantwortungsvoll<br />
geführter comment (er entstand immerhin<br />
nicht ohne Grund) vermag auch,<br />
„einen zügigen Ablauf gelungener Kneipen<br />
und Kommerse“ 9 zu gewährleisten.<br />
Und er verhindert, ohne dem Alkohol<br />
als solchem eine Absage zu erteilen,<br />
doch das durch selbigen ausgelöste,<br />
allzu oft peinliche, Fehlverhalten, indem<br />
er klare Verhaltensgrenzen aufzeigt.<br />
Dienst für die Zukunft; in: Seid, Norbert (Hg.)/Preis, Bernd<br />
(Hg.): Kompetenz – Mut – Gemeinsinn. Kardinaltugenden<br />
für das Akademikertum von morgen [im Folgenden: Seid/<br />
Preis: Mut – Kompetenz – Gemeinsinn], Marloffstein/<br />
Schweig b. Nürnberg 2010.<br />
5 Vgl. Wallis: Der Göttinger Student, S. 65f.<br />
6 Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten;<br />
in: Akademie-Ausgabe Kant Werke IV, S. 434, 12 - 14.<br />
7 v. Wiese, Wolfgang: ethik, Verantwortung und Gemeinschaftssinn<br />
– Quo vadis, <strong>Burschenschaft</strong>er?; in: Seid/Preis:<br />
Das Bierduell von Georg Mühlberg<br />
(1863–1925)<br />
Zumeist sind diese Grenzen auch zu<br />
den persönlichen Grenzen kongruent.<br />
Diese Gedanken ergänzend mag man<br />
sich wohl kaum eine Mensur vorstellen,<br />
die gänzlich ohne jeden comment auszukommen<br />
gedenkt. Man erhielte, um<br />
es salopp zu formulieren, wieder recht<br />
„curry-eske“ Verhaltensmuster des 18.<br />
Jahrhunderts, in denen wild aufeinander<br />
eingedroschen wird.<br />
Zum Abschluss noch eine kleine Richtigstellung<br />
der Gedanken einiger: Die im<br />
Dreiklang von ‚Freiheit – ehre – Vaterland‘<br />
angesprochene ‚Freiheit‘ meinte in<br />
der Auffassung seiner Schöpfer, unserer<br />
geistigen Vorfahren, zwar auch die persönliche<br />
Freiheit und das damit<br />
verbundene Recht auf freie<br />
entfaltung des Individuums,<br />
doch vor allem die politische<br />
Freiheit Deutschlands von Napoleon<br />
und der Herrschaft der<br />
Fürsten sowie die Rede- und Pressefreiheit.<br />
10 Der Bursche sollte als freie Person<br />
diese Freiheit nach bestem Wissen und<br />
Gewissen fördern und einfordern, weniger<br />
für sich als vielmehr für die Gesellschaft<br />
und für Deutschland. Dabei ist<br />
ein staatsbürgerliches gutes Betragen<br />
in jeder Situation eine Frage der ehre!<br />
„Stoßt an! Vaterland lebe! Hurrah hoch!<br />
Seyd der Väter heiligem Brauche treu,<br />
Doch denkt der Nachwelt auch dabei;<br />
frei ist der Bursch!“ 11<br />
Mut- Kompetenz – Gemeinsinn, S. 17.<br />
8 Böcher, otto, Art. „Komment“, in: Kleines Lexikon des studentischen<br />
Brauchtums, Mainz 1985, S.21.<br />
9 ebd.<br />
10 Grimm, Horst/Besser-Walzel, Leo: Die corporationen,<br />
Frankfurt a. Main 1986, S. 100ff.<br />
11 v. Binzer, August Daniel: „Stoßet an!“; in: Steiger, Günter:<br />
Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach<br />
Deutschland, Jena/ Berlin ²1991, S. 247.<br />
academicus 2/2012<br />
27
„Erst<br />
wenn die<br />
Begriffe der<br />
Freiheit und<br />
der Ordnung<br />
für jeden einzelnenStaatsbürger<br />
Teil seiner<br />
selbst geworden<br />
sind, ist die<br />
demokratische<br />
Staatsform gesichert.”<br />
konrad adenauer<br />
„Freiheit<br />
ist der<br />
Zwang,<br />
sich entscheiden<br />
zu<br />
müssen.”<br />
José ortega y gasset<br />
„Kraft<br />
und Maschine,<br />
Geld und<br />
Güter sind nur<br />
insofern nützlich,<br />
als sie zur<br />
Lebensfreiheit<br />
beitragen.”<br />
henry Ford<br />
Johann Gottlieb Fichte<br />
Vor 250 Jahren wurde ein Mann geboren,<br />
der als einer der wichtigen deutschen Philosophen<br />
gilt und den Übergang von Kants<br />
kritischer Philosophie zum deutschen Idealismus<br />
markiert. ein Mann, der für seine<br />
radikalen Ideen mehrmals Amt und Stellung<br />
verlor und der Aufsätze schrieb wie<br />
„Zurückforderung der Denkfreiheit von den<br />
Fürsten europas.“ er gilt als Philosoph der<br />
Freiheit und hat für die Forderung danach<br />
viel Feindschaft ertragen müssen: Johann<br />
Gottlieb Fichte. ein Humanist und Feind<br />
der Feudalstaatlichkeit, der die Möglichkeit<br />
zur menschlichen Freiheit als sein zentrales<br />
Problem ansah; hier soll er mit ein paar Zeilen<br />
skizziert werden.<br />
„Soll ein Vernunftwesen sich als solches<br />
setzen, so muß es sich eine Tätigkeit zuschreiben,<br />
deren letzter Grund schlechthin<br />
in ihm selbst liege.“ Mit diesem Satz eröffnet<br />
Fichte seine Abhandlung „Grundlage<br />
des Naturrechts“ und formuliert damit eine<br />
conditio sine qua non der menschlichen<br />
Freiheit: Der Mensch macht sich selbst zum<br />
Menschen durch seine Taten. es handelt<br />
sich um einen bewussten Willensakt: Nicht<br />
von selbst ist ein Vernunftwesen, sondern<br />
durch sein Handeln wird es erst ein solches<br />
– und zwar in Wechselwirkung. Wichtig ist<br />
auch: Niemand sonst setzt den Menschen,<br />
außer ihm selbst. Böse Zungen würden hier<br />
bereits einen Atheismusvorwurf ausspre-<br />
„ Es ist mir gewiss, daß<br />
in einigen Jahren kein<br />
Mensch mehr eine<br />
Ruhestätte finden<br />
wird, der einen freien<br />
Gedanken gemacht hat.“<br />
von aLJoscha harMsen<br />
Franconia Freiburg (2007)<br />
fichte:<br />
das „ICh“ und<br />
dIe FreIheIt<br />
chen. Liest man die zitierten Worte, sind sie auf den<br />
ersten Blick sehr verwirrend: Der Mensch ist erst durch<br />
sein Handeln das Vernunftwesen, in dem der Grund<br />
für sein Handeln liegt – er ist damit objekt seiner Betrachtung<br />
und zugleich Subjekt. Solche Paradoxien sind<br />
charakteristisch für die Philosophie um das „Ich“ und<br />
seine Konstitution. Doch bevor dieser Gedanke weiterverfolgt<br />
wird, ein paar Worte zu Fichte selbst.<br />
dArf ein revoLutionärer inteLLeKtueLLer<br />
Professor werden?<br />
Fichte wurde im Jahr 1762 in Rammenau, oberlausitz,<br />
in ärmlichen Verhältnissen als ältester Sohn eines<br />
Bandwebers, also eines „unzünftigen Handwerkers“,<br />
geboren. er hätte auch den väterlichen Betrieb übernommen,<br />
wenn er sich nicht die Gunst eines Barons erwirkt<br />
hätte: der Legende nach dadurch, dass er diesem,<br />
der die Sonntagspredigt verpasst hatte, jene vollständig<br />
aus der erinnerung aufsagen konnte. ob wahr oder<br />
nicht, Fichte wurde von ihm auf die Fürstenschule in<br />
Pforta geschickt. Im Anschluss daran studierte er Theologie<br />
in Leipzig und schlug sich mühsam als Hauslehrer<br />
durch – ein allzu häufiger Werdegang eines Intellektuellen<br />
zu seiner Zeit.<br />
Sein Blatt wendete sich, als er 1791 nach Königsberg<br />
kam und mit Kant in Kontakt geriet. Um sich ihm vorzustellen,<br />
schrieb Fichte einen „Versuch einer Kritik aller<br />
Offenbarung“, mit dem er Kant für sich gewann. Da<br />
Fichte in Geldnot steckte, vermittelte Kant ihm einen<br />
Verleger. Dieser veröffentlichte den Text anonym, woraufhin<br />
der allgemeine eindruck entstand, Kant habe<br />
endlich seine lang erwartete<br />
Religionsschrift verfasst. Kant<br />
klärte den Irrtum jedoch auf<br />
und mit einem Schlag wurde<br />
Fichte berühmt. Der Ruhm über<br />
Nacht wurde allerdings von<br />
Problemen begleitet: Fichtes<br />
Verfasserschaft der Schriften<br />
„Zurückforderung der Denkfreiheit<br />
von den Fürsten“ und<br />
„Beiträge zur Berichtigung der<br />
Urteile des Publikums über<br />
die Französische Revolution“<br />
war ein offenes Geheimnis. Er<br />
sollte zwar als Professor nach<br />
Jena berufen werden, aber dabei<br />
stand die Frage im Weg:<br />
Darf ein revolutionärer, feudalstaatsfeindlicher<br />
Intellektueller<br />
Professor werden, wenn er sich<br />
entgegen der meisten Geistesgrößen<br />
seiner Zeit für die Französische<br />
Revolution ausspricht?<br />
fichtes hAuPtwerK<br />
Löst den Atheismusstreit<br />
Aus<br />
Mit Goethes Fürsprache und<br />
dem Verzicht auf eine weitere<br />
Auflage der revolutionären<br />
Schriften durfte der Philosoph<br />
im Jahr 1794 schließlich seine<br />
Professur antreten. Nun stand<br />
Fichte als Professor in Jena<br />
im Mittelpunkt der modernen<br />
Philosophie und trug dort sein<br />
Hauptwerk vor, die „Grundlage<br />
der gesamten Wissenschaftslehre“,<br />
zu dem auch die „Grundlage<br />
des Naturrechts“ zählt,<br />
aus der eingangs zitiert wurde.<br />
Als Reaktion auf diese Lehre<br />
entfachte sich der sogenannte<br />
Atheismusstreit. Zeitgleich distanzierte<br />
sich Kant von Fichte<br />
und nannte dessen Wissenschaftslehre<br />
„unhaltbar“.<br />
Fichte hatte postuliert, dass<br />
Gott für die einrichtung einer<br />
moralischen Werteordnung<br />
nicht notwendig sei. Dass<br />
er jedoch weiter ausführte, der<br />
Glaube an Gott und eine göttliche<br />
Moral sei unumgänglich,<br />
interessierte da schon nicht<br />
mehr. ein typisches Beispiel für<br />
Aufreger, die aus dem Kontext<br />
gerissen werden – auch heute<br />
noch sehr beliebt. Frustriert<br />
über diesen Streit und die Art<br />
und Weise wie er geführt wurde,<br />
verließ Fichte Jena im Jahr<br />
1799 und ging nach Berlin. Sein<br />
Vorsatz: nie wieder publizieren.<br />
An einen Freund schrieb er:<br />
„ermattung und ekel bestimmen<br />
mich zu dem Dir schon<br />
mitgeteilten entschlusse für<br />
einige Jahre ganz zu verschwinden.<br />
[…] Vom Departement der<br />
Wissenschaften zu Dresden ist<br />
bekannt gemacht worden, dass<br />
keiner, der sich auf die neuere<br />
Philosophie lege, befördert werden<br />
oder, wenn er es schon ist,<br />
weiter rücken solle. […] In Summa:<br />
es ist mir gewisser, als das<br />
Gewisseste, daß […] in einigen<br />
Jahren kein Mensch mehr, der<br />
dafür bekannt ist, in seinem<br />
Leben einen freien Gedanken<br />
gemacht zu haben, eine Ruhestätte<br />
finden wird.“<br />
ähnlich wurde später auch<br />
gegen revolutionäre <strong>Burschenschaft</strong>er<br />
gewirkt, die an Universitäten<br />
lehrten. Nicht etwa eine<br />
argumentative Auseinandersetzung,<br />
sondern Behinderungen,<br />
Druck und Drohungen waren<br />
das Mittel der Wahl. Auch hier:<br />
eine zeitlose erscheinung.<br />
In Berlin hielt Fichte nun Privatvorlesungen,<br />
unter denen besonders<br />
die „Reden an die deutsche<br />
Nation“ viel Zustimmung<br />
fanden. Sie sind das kontrover-<br />
Fichtes Vorlesungen waren<br />
beliebt bei Studenten, weil<br />
er seine eigenen Gedanken<br />
kundtat.<br />
seste seiner Werke. er hielt sie<br />
vom 13. Dezember 1807 bis<br />
zum 20. März 1808, zur Zeit<br />
der Besatzung durch Napoleon<br />
in Preußen. Darin fordert Fichte<br />
unter anderem eine neue erziehung.<br />
Die bisherige habe „zu<br />
guter ordnung und Sittlichkeit<br />
höchstens nur ermahnt“. er<br />
erklärt eine solche erziehung<br />
für notwendig, die sich am<br />
freien Willen des Zöglings orientiert,<br />
etwa wie es Pestalozzi<br />
postuliert. eine revolutio näre<br />
Forderung in seiner Zeit. Auch<br />
ein anderer Anspruch aus diesem<br />
Text muss geradezu unverschämt<br />
angemutet haben:<br />
„Unmittelbar, im gewöhnlichen<br />
Leben, und in einer wohlgeordneten<br />
Gesellschaft, bedarf es<br />
der Religion durchaus nicht, um<br />
das Leben zu bilden, sondern es<br />
reicht für diese Zwecke die wahre<br />
Sittlichkeit vollkommen hin.“<br />
„Ich<br />
finde eine<br />
gewisse<br />
Freiheit<br />
auf den<br />
Hochschulen<br />
den Jünglingen<br />
äußerst nötig.<br />
Sie gehört zum<br />
Wesen und<br />
Gedeihen des<br />
Denkens.“<br />
„Freiheit,<br />
sterbend<br />
erkennen<br />
wir nun im<br />
Angesicht<br />
Gottes dich<br />
selbst.“<br />
dietrich Bonhoeffer<br />
„Man<br />
darf<br />
nicht<br />
warten,<br />
bis der Freiheits<br />
kampf<br />
Landesverrat<br />
ge<br />
nannt wird.“<br />
28 29<br />
academicus 2/2012 die bilder sind aus: manfred kühn: Johann Gottlieb Fichte. c.h. beck ohG, münchen 2012:<br />
Fichte portrait: s. 424 kreidezeichnung von Friedrich bury, um 1800.<br />
Fichte am katheder: s. 214 zeichnung von henschel, archiv des Verlages. academicus 2/2012<br />
„ Im<br />
gewöhnlichen Leben, bedarf es<br />
der Religion durchaus nicht, um das<br />
Leben zu bilden, es reicht die wahre<br />
Sittlichkeit vollkommen hin.“<br />
immanuel kant<br />
erich kästner<br />
Foto: hannes kilian
„Wir<br />
müssen für<br />
die Freiheit<br />
planen und<br />
nicht für die Sicherheit,<br />
wenn<br />
auch vielleicht<br />
aus keinem<br />
anderen Grund<br />
als dem, dass<br />
nur die Freiheit<br />
die Sicherheit<br />
sichern kann.”<br />
sir karl popper<br />
„Wo<br />
Freiheit<br />
wohnt,<br />
da ist mein<br />
Vaterland.”<br />
John milton<br />
„Die<br />
Welt<br />
hat nie<br />
eine gute<br />
Definition<br />
für das Wort<br />
Freiheit<br />
gefunden.”<br />
abraham lincoln<br />
Fichtes bekanntester Ausspruch: „Was für eine Philosophie<br />
man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.“<br />
der AKt, „ich“ zu<br />
sAgen, ist eine<br />
hAndLung<br />
Später wurde Fichte zum Rektor<br />
der 1810 neu gegründeten<br />
Berliner Universität gewählt,<br />
doch starb er bereits vier Jahre<br />
darauf an einer Seuche, die in<br />
Kriegslazaretten ausbrach. Seine<br />
für uns interessanteste Zeit<br />
sind die 1790er Jahre, in denen<br />
sein Hauptwerk erschien. Fichtes<br />
Texte werden zu den schwierigsten<br />
in der Philosophie gezählt,<br />
obwohl er ursprünglich Kants<br />
Worte besser vermitteln wollte.<br />
Sein Hauptwerk „Grundlage der<br />
gesamten Wissenschaftslehre“<br />
will die Philosophie zum objekt<br />
ihrer Betrachtungen erheben,<br />
sie evident und durchsichtig<br />
machen. Der Anfang der Wissenschaften<br />
muss in der Struktur<br />
des menschlichen Bewusstseins<br />
liegen: der spontane Akt, in<br />
dem sich das Bewusstsein seiner<br />
selbst gewahr wird, in dem<br />
es „Ich“ sagt. Dieses „Sagen“ ist<br />
eine Handlung. Damit nehmen<br />
wir den Gedanken zu Beginn dieses<br />
Textes wieder auf. Das „Ich“<br />
setzt sein eigenes Sein. Das kann<br />
es nur, wenn es sich von einem<br />
„Nicht-Ich“ unterscheidet. Dieses<br />
„Nicht-Ich“ ist nicht nur die<br />
Gegenstandswelt, sondern auch<br />
im „Ich“ selbst vorhanden. Fichte<br />
unterscheidet ein „absolutes<br />
Ich“ als Basis und ein „teilbares<br />
Ich“. Das „Ich“ ist die Basis,<br />
auf der sich dieser Gegensatz<br />
entfaltet. Man kann auch von<br />
These, Antithese und Synthese<br />
sprechen. Fichte findet mit dem<br />
„Setzen“ des „Ichs“ einen Ausdruck,<br />
um den Umschlag von<br />
Bewusstsein, wie ihn etwa auch<br />
ein Tier hat, in Selbstbewusstsein<br />
auszudrücken.<br />
die freie sPontAnität<br />
des „ichs“<br />
Im Unterschied zu Kant beschäftigte<br />
sich Fichte mit den<br />
Voraussetzungen der Kritik der<br />
reinen und praktischen Vernunft.<br />
Bei Kant sind Anschauungen<br />
und Verstand da, der<br />
Verstand hat Kategorien und es<br />
gibt Freiheit, weil sie denknotwendig<br />
ist. Dieses faktische Vorhandensein<br />
wird von Fichte aus<br />
der ursprünglichen Tathandlung<br />
abgeleitet. Wenn Fichte als Philosoph<br />
der Freiheit angesehen<br />
wird, dann vor allem, weil er<br />
das „Ich“ als eine Tathandlung<br />
ansieht, ein Produzieren. So entsteht<br />
das Gegenteil von Determinismus:<br />
Freiheit.<br />
Anders als heute sahen Fichte<br />
und seine Zeitgenossen die Philosophie<br />
noch als konstituierend<br />
an, während sie gegenwärtig<br />
eher eine kommentierende Funktion<br />
übernimmt. Der Idealismus<br />
u. a. nach Fichte geht von der<br />
freien Spontanität des „Ichs“<br />
aus. Ungeachtet der Kritik, die<br />
Fichte und andere deutsche<br />
Idealisten hinnehmen mussten,<br />
und jenseits des philosophischen<br />
Diskurses vor und nach<br />
Fichte, der dessen Philosophie<br />
als inkonsistent betrachtet, sei<br />
ein Gedanke doch gewonnen:<br />
Wie wäre es, wenn wir tatsächlich<br />
Herr unserer Handlungen<br />
sind, wenn wir uns selbst setzen<br />
und nicht durch Determinismen<br />
gebunden sind? Was, wenn die<br />
Ausrede, es sei genetisch, es sei<br />
anerzogen, milieu- oder umweltbedingt,<br />
nicht zählt? Das „Ich“<br />
setzt sich selbst. Durch Tat. eine<br />
solche Freiheit birgt ein großes<br />
Angstpotenzial, aber nur sie ermöglicht<br />
Mündigkeit und Mut<br />
und Größe. Ist das nicht auch<br />
ein burschenschaftlicher Selbstanspruch?<br />
Fichte: „Nur über meine<br />
Leiche sollen die Feinde in<br />
die Stadt eindringen.“<br />
meinungsdueLL<br />
einLeitung meinungsdueLL<br />
„Zu viel Freiheit der aktivitas?“<br />
Ja, es gibt sie, die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Aktivitates und Altherrenschaften.<br />
Doch wie entstehen sie? Aus unterschiedlichen erfahrungshorizonten der Generationen, der Arroganz<br />
der Jugend, der Sturheit des Alters, der unterschiedlichen Gewichtung des Wertekanons, aus<br />
Unwissenheit, durch die Freude der Jugend, zu provozieren? Durch Disziplinlosigkeiten und Interesselosigkeit<br />
an den durch den Bund verkörperten Werten? oder haben die Aktiven einfach zu viel<br />
Freiheit? Sind die Altherrenschaft und die Aktivitas wie These und Antithese? Können sie zu einer<br />
Synthese gelangen? Diesen Fragen gehen zwei Vertreter des Violett-Grünen Kartells im Meinungsduell<br />
dieser Ausgabe auf den Grund. Für die Altherrenschaft schreibt Rüdiger Sturhan von der<br />
Alemannia Marburg, für die Aktivitas schreibt Andrew Francis Kraft von der Franconia Freiburg.<br />
andrew francis kraft<br />
Franconia Freiburg (2008)<br />
Andrew frAncis KrAft:<br />
haben dIe aKtIVItates<br />
Zu VIel FreIheIt?<br />
eine positive Bindung zwischen<br />
Altherrenschaft und Aktivitas<br />
würde jegliche Probleme<br />
im Keim ersticken.<br />
(Der gesamte Text befindet<br />
sich auf Seite 32.)<br />
Sie möchten sich zu einem bestimmten Thema »duellieren«?<br />
Bitte senden Sie Ihr Thema an: meinungsduell@neuedb.de<br />
rüdiger sturhan<br />
alemannia Marburg (1965)<br />
rüdiger sturhAn:<br />
Zu VIel FreIheIt<br />
der aKtIVItas?<br />
Die Altherrenschaft muss<br />
sicherstellen, dass der Bund<br />
keinen Schaden durch die<br />
Aktivitas erleidet.<br />
(Der gesamte Text befindet<br />
sich auf Seite 33.)<br />
„Die<br />
Menschen<br />
sind und<br />
bleiben von<br />
Geburt frei<br />
und gleich<br />
an Rechten.”<br />
erklärung der<br />
men schen- und<br />
Bürgerrechte,<br />
art. 1 (Frankreich,<br />
1789)<br />
„Eine<br />
Universität<br />
sollte<br />
ein Ort des<br />
Lichts, der<br />
Freiheit und<br />
des Lernens<br />
sein.”<br />
Benjamin disraeli<br />
30 31<br />
academicus 2/2012 Friedrich als landsturmmann: s. 559: zeichnung von c. zimmermann, 1813, klaus Günzel, die deutsche romantiker, zürich 1995.<br />
academicus 2/2012
Andrew frAncis KrAft:<br />
miteinander statt kontrolle<br />
Als Lebensbund geformt,<br />
existieren Aktivitates und<br />
Altherrenschaften in einem<br />
Abhängigkeitsverhältnis mit<br />
gemeinsamer, über Generationen<br />
hinweg geprägter Ausrichtung. Alle<br />
Lebensbünde in Deutschland haben<br />
den Prinzipien, dem Wahlspruch, dem<br />
Lebensbund und einer Gemeinschaft<br />
die Treue geschworen.<br />
Während die Altherrenschaft aus den<br />
Philistern der Aktivitas besteht und<br />
durch ihre erfahrungen und Überlieferungen<br />
aus dem eigenen Aktivenleben<br />
geformt wurde, greift die Aktivitas<br />
immer wieder auf junge Studenten<br />
zurück, die größtenteils noch geformt<br />
werden müssen. Das erlernen der<br />
Prinzipien ist dabei ebenso wichtig<br />
wie das erleben eben dieser. Aber wie<br />
sollen sie dies erleben, wenn die Altherrenschaft<br />
sich nicht um den Nachwuchs<br />
kümmert? Die <strong>Burschenschaft</strong><br />
sollte ihre Mitglieder dazu bewegen,<br />
das Beste für ihr Leben, für ihr Land,<br />
für ihre Gesellschaft zu tun – schlichtweg<br />
bessere Menschen zu werden.<br />
All diese Rahmenbedingungen wurden<br />
über viele Jahre gepflegt und<br />
geschaffen, doch sie veränderten sich<br />
nicht mit der heutigen Gesellschaft<br />
mit, was Korporationen ins Abseits<br />
des Studentendaseins geschoben<br />
hat. eine problematische Aktivitas<br />
hat ihre Wurzeln in der Gesellschaft<br />
und in der Mitgliederwahl des einzelbundes.<br />
Diese Problematik zeigt sich<br />
vor allem auch auf conventen, daher<br />
werde ich meine Ausführungen auf<br />
Streit zwischen dem Aktivenconvent<br />
und der Altherrenschaft fokussieren.<br />
vieLe AKtivitAtes sind<br />
ein ProduKt ihrer<br />
ALtherrenschAft<br />
Haben Aktive zu viel Freiheit? Nein.<br />
So schlicht kann die Antwort sein. Die<br />
meisten Aktivitates sind ein Produkt<br />
ihrer Altherrenschaft. Sie wurden<br />
mit einer grenzwertigen, demokrati-<br />
tet, die in Zeiten von mindestens 30<br />
Aktiven beim convent sicherlich ein<br />
probates Mittel war. Zu eben solchen<br />
Zeiten, als die ehre eines Mannes, neben<br />
seiner Würde, sein höchstes Gut<br />
war, konnte man auf einer demokratischen<br />
Mehrheit im convent vertrauen.<br />
Doch demokratische Mehrheiten<br />
sind ein leichtes Spiel für charismatische<br />
Männer und Heuchler. Die Aufnahmebedingungen<br />
und Interessen<br />
von Studenten sind in der heutigen<br />
Zeit von einer gänzlich anderen gesellschaftlichen<br />
entwicklung geprägt,<br />
ganz zu schweigen von der erziehung<br />
des einzelnen Bürgers. Für viele Füxe<br />
war es eine Zufallsbegegnung, in einer<br />
Korporation zu landen.<br />
QuALitAtive mitgLiederProbLeme<br />
sind ein<br />
schLeichendes gift<br />
Das Keilen falscher Studenten ist also<br />
der erste, langfristig schädigende<br />
Fehler, der das Bundesleben belasten<br />
und zu Auseinandersetzungen<br />
mit der Altherrenschaft führen kann.<br />
Man fährt gut mit der Frage, ob dieser<br />
Student nach Ansicht der aktiven<br />
und inaktiven Bundesbrüder ein <strong>Burschenschaft</strong>er<br />
ist oder werden kann.<br />
Qualitative Mitgliederprobleme sind<br />
ein schleichendes Gift innerhalb der<br />
Aktivitas. Wären aber Alte Herren<br />
über die inaktiven Bundesbrüder hinaus<br />
ständige Begleiter der Aktiven,<br />
würde ein Generationenwechsel von<br />
A- zu B-Mitglied nicht stattfinden können.<br />
Die Altherrenschaft sollte also<br />
ein Mittel erhalten, das Keilen zu unterstützen<br />
und somit auch zu beeinflussen<br />
– die Empfehlung durch die<br />
Altherrenschaft. Die Aufnahme eines<br />
Fuxen sollte meiner Ansicht nach eine<br />
empfehlung durch einen Alten Herren<br />
als Voraussetzung haben. Das ist zumutbar.<br />
Die Altherrenschaft muss erkennen,<br />
dass sie dadurch ein vielseitig verursachtes<br />
Problem zu bekämpfen ver-<br />
Gesellschaft und des Studiums müssen<br />
mehr Beachtung finden, um eine<br />
vernünftige Anpassung des Aktivenlebens<br />
an geänderte Anforderungen<br />
vorzunehmen.<br />
die AKtivitAs entwicKeLt<br />
sich und die ALtherrenschAft<br />
wundert sich<br />
Während die Anzahl der Alten Herren,<br />
die regelmäßig und häufig zu Veranstaltungen<br />
und Kneipen erscheint,<br />
der allgemeinen Mitgliederentwicklung<br />
entspricht, ist doch der Informationsaustausch<br />
in den vergangenen<br />
Jahren mit der entwicklung der neuen<br />
Medien um ein Vielfaches gestiegen.<br />
So entwickelt sich scheinbar das Gefühl,<br />
auf dem Haus gewesen zu sein,<br />
ohne sich seit Jahren dort gezeigt zu<br />
haben. Die Aktiven haben so das essentielle<br />
des Lebensbundes oft nicht<br />
vermittelt bekommen, wie es früher<br />
Usus war. ohne die erfahrung der Alten<br />
Herren fehlt ein langfristiger, positiver<br />
Einfluss. Die Aktivitas entwickelt<br />
sich aus sich selbst und die Altherrenschaft<br />
wundert sich. Trifft der Convent<br />
dann entscheidungen, die weder<br />
satzungskonform noch mit dem<br />
Gewissen eines <strong>Burschenschaft</strong>ers<br />
zu vereinbaren wären, so ist beispielsweise<br />
die Anwesenheit der Altherrenschaft<br />
auf conventen ein Mittel,<br />
das schlichtweg zu spät kommt. ein<br />
Alter Herr ist kein Kontrollgremium<br />
für den Aktivenconvent; entweder es<br />
besteht ein Vertrauensverhältnis oder<br />
eben nicht. Mögliche Probleme sind<br />
schlichtweg vielseitiger, als dass eine<br />
solch schlichte, fatale Maßnahme zur<br />
Klärung führen könnte. Die Altherrenschaft<br />
sollte sich also nicht mit der<br />
Frage befassen, ob die Aktiven zu viel<br />
Freiheit haben. eine positive und enge<br />
Bindung zwischen Aktivitas und Altherrenschaft,<br />
wie sie gelebt werden<br />
sollte, würde jegliche Probleme im<br />
Keim ersticken und eine solche Frage<br />
rüdiger sturhAn:<br />
eine altherrenschaFt muss sich mit<br />
der aktivitas identiFiZieren können.<br />
Theoretisch sind wir in den Korporationen<br />
gut aufgestellt. Wir üben Basisdemokratie<br />
in den conventen. Wir gewähren<br />
den Aktivitates per Satzung die<br />
Freiheit, darüber zu bestimmen, wer<br />
Mitglied wird und wer nicht, wer bleiben<br />
darf und wer fliegt. Die Aktivitates<br />
verwalten das ihr von der Altherrenschaft<br />
zur Verfügung gestellte Geld in<br />
eigener Verantwortung. Sie planen und<br />
bestimmen das Semesterprogramm.<br />
Sie fördern oder beenden die Freundschaft<br />
mit anderen Korporationen. Sie<br />
bestimmen das erscheinungsbild des<br />
Bundes nach außen. Sie pflegen oder<br />
vernachlässigen die Arbeit im Dachverband.<br />
Die Satzungen geben den<br />
Aktivitates weitreichende Selbstständigkeiten.<br />
Auf ihren conventen haben<br />
Alte Herren meist nur eine beratende<br />
Stimme. Alles gut geregelt? Aber was<br />
passiert in einem Lebensbund, wenn<br />
auf dem Haus im Alkoholrausch gewütet<br />
und randaliert wird? Wenn junge<br />
Aktive sich einen Dreck darum scheren,<br />
wer das Haus in ordnung halten muss<br />
und die Finanzen dafür bereithält?<br />
oberstes gebot ist dAs<br />
KonsensPrinziP<br />
Was passiert, wenn man sehen muss,<br />
dass der aktive convent seine Aufgaben<br />
nicht erfüllt, keine Autorität ausübt,<br />
Fehlverhalten von Bundesbrüdern nicht<br />
mehr ahndet und über die zur Verfügung<br />
gestellten Gelder keine oder nur<br />
mangelhafte Nachweise führen kann?<br />
Sind wir dann als Altherrenschaft nicht<br />
gefordert, sicherzustellen, dass das Ansehen<br />
des Bundes nach außen keinen<br />
Schaden erleidet? Was macht man, um<br />
einen convent wieder funktionsfähig zu<br />
bekommen, wenn die eigenen Aktiven<br />
sagen, sie könnten es aus eigener Kraft<br />
nicht mehr regeln? oder, noch schlimmer,<br />
wenn festzustellen ist, dass politisch<br />
extrem ausgerichtete Neumitglieder<br />
versuchen, den Bund zu unterwandern?<br />
Spätestens in diesem Moment werden<br />
die Satzungen oder Verfassungen des<br />
unterzogen. Nach meiner Kenntnis setzen<br />
die Satzungen oder Verfassungen<br />
der <strong>Burschenschaft</strong>en, die ich kenne,<br />
einen Mitgliedstypus voraus, der häufig<br />
nicht erfüllt wird. oberstes Gebot ist das<br />
Konsensprinzip. Wir setzen uns zusammen<br />
und besprechen alles und danach<br />
setzen wir die gewonnenen erkenntnisse<br />
auch gemeinsam um. Schließlich sind<br />
wir ein Lebensbund.<br />
verfAssung vs. verfAssungswirKLichKeit<br />
Bei nüchterner Betrachtung müssen<br />
auch wir Korporierte feststellen, dass<br />
es in unseren Bünden menschelt und<br />
wir keine eigene, besonders gutartige<br />
Spezies sind.<br />
Also entwickelt sich eine Verfassungswirklichkeit;<br />
nämlich dann, wenn Aktive<br />
oder Alte Herren meinen, nun sei man<br />
beim Grundsätzlichen, beim eingemachten<br />
angelangt.<br />
Man besinnt sich auf die grundlegenden<br />
Wahrheiten und die bestehen darin,<br />
dass es ohne eine Aktivitas keinen<br />
Lebensbund gibt. Der Bestand einer<br />
Aktivitas ist der Lebensnerv eines jeden<br />
Bundes! Deshalb liegt es im grundlegenden<br />
Interesse einer jeden Altherrenschaft,<br />
die Rahmenbedingungen so<br />
zu beschaffen und so zu handhaben,<br />
dass sich junge Aktive auf dem Haus<br />
und in der gelebten Gemeinschaft<br />
wohlfühlen können. Andererseits muss<br />
sich eine Altherrenschaft mit der jeweiligen<br />
Aktivitas identifizieren können.<br />
Wird diese Gemeinsamkeit infrage gestellt,<br />
löst sich der Bund auf.<br />
„erPressungsPotenziAL“<br />
der ALten herren<br />
Die Alten Herren verfügen über ein<br />
unschlagbares Steuerungspotenzial:<br />
es sind ihre Finanzen und die Hoheit<br />
über das Verbindungshaus. Die Aktiven<br />
sprechen in diesem Zusammenhang<br />
gerne von „erpressungspotenzial“. es<br />
ist zuzugeben, dass die finanziellen<br />
lung (Hausrecht) den Altherrenschaften<br />
im ernstfall<br />
eine dominierende Rolle verschaffen.<br />
Aber es ist sorgsam und einfühlend<br />
mit diesen Machtinstrumenten<br />
umzugehen und sie dürfen erst ins Spiel<br />
gebracht werden, wenn es wirklich ums<br />
eingemachte geht. Wann ist das der<br />
Fall? einige Szenarien sind:<br />
• Unterwanderungsversuche durch<br />
politisch Extreme<br />
• Unfähigkeit des Conventes seine<br />
satzungsgemäßen Aufgaben zu<br />
erfüllen<br />
• Unaufklärbarkeit von schwerwiegenden<br />
Sachverhalten durch Missachtung<br />
des Ehrlichkeitsprinzips<br />
• Grobe finanzielle Unregelmäßigkeiten<br />
• Abgleiten der Aktivitas in den Status<br />
eines Clubs oder einer WG (Aufgabe<br />
des Korporationsprinzips)<br />
• Strafrechtlich relevantes Verhalten<br />
einzelner Mitglieder<br />
In weniger schwerwiegenden Situationen<br />
ist es selbstverständlich, dass<br />
den Aktivitates ein möglichst großer<br />
Bereich an eigenständigkeit verbleibt.<br />
Nur das schafft die Möglichkeit, dass<br />
die Aktiven für ihr Leben und ihren<br />
Beruf wichtige Softskills erlernen, Führungsverhalten<br />
erproben und lernen,<br />
mit durch Wahl verliehener Autorität<br />
umzugehen. Wie immer im Leben entscheiden<br />
letztlich nicht die gesetzten<br />
Normen darüber, ob eine Korporation<br />
mit ihrem Lebensbundprinzip erfolgreich<br />
wirken kann. Immer kommt es auf<br />
die handelnden Personen an und ihre<br />
Bereitschaft, kooperativ zusammenzuwirken.<br />
eine solche Kooperation setzt<br />
eine gute und fortwährende Kommunikation<br />
voraus. Gerade daran mangelt<br />
es häufig. Beide Seiten, Aktivitas wie<br />
Altherrenschaft, müssen größere Sorgfalt<br />
darauf verwenden, sich gegenseitig<br />
rechtzeitig zu informieren, und<br />
bereit sein, einander zuzuhören. Regelmäßige<br />
Gesprächskreise zwischen Altherrenschaft<br />
und Aktivitas und häufige<br />
Präsenz auf dem Haus sind probate<br />
32 schen Selbstverwaltung ausgestatmag. entwicklungen innerhalb der erübrigen.<br />
jeweiligen Bundes einem Belastungstest Möglichkeiten und die eigentümerstel- Mittel dafür.<br />
33<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
34<br />
ANKÜNDIGUNG<br />
frAg-würdig!<br />
dIe umFraGe Zur Freiheit Ist da<br />
Da ist sie, die vielfach angekündigte<br />
Umfrage zum Thema Freiheit. Lange<br />
hat sie auf sich warten lassen.<br />
Nichts Geringeres gilt es nun zu<br />
klären als die Frage danach, was<br />
die <strong>Neue</strong>DB meint, wenn sie von<br />
Freiheit spricht – was wir meinen. Verstehen<br />
wir darunter eigentlich dasselbe?<br />
Haben wir denn dieselben Ziele,<br />
Fragen oder Befürchtungen? Wofür<br />
fühlen wir uns als <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />
überhaupt zuständig? Die Sehnsucht<br />
nach Bedeutung verlangt immerhin, dass wir uns für die Freiheit<br />
engagieren. Doch wofür genau?<br />
Freiheit ist kein gewöhnlicher Untersuchungsgegenstand, den<br />
man in seine einzelteile zerlegen, analysieren und sortieren<br />
kann. Die Idee der Freiheit ist ein universelles Prinzip, das sich<br />
auf alle Bereiche des Lebens erstreckt. entsprechend unscharf<br />
wäre also jede allgemeingültige Aussage oder Positionierung<br />
zu diesem Thema.<br />
Sie werden beim Ausfüllen der Umfrage schnell feststellen,<br />
dass es weder unser Ziel war, eine einheitsmeinung zu präsenten<br />
Fragen der Gegenwart zu finden, noch eine gemeingültige,<br />
moralische oder theoretische Definition<br />
der Freiheit. Nicht das ende der Debatte<br />
streben wir an, sondern deren Beginn!<br />
es müssen hunderte von Meinungen in<br />
der <strong>Neue</strong>nDB existieren und wir wollen<br />
sie alle sichtbar machen. Denn Vielfalt<br />
schafft Spannung, führt zum Diskurs.<br />
einig sollten wir allein in dem Bestreben<br />
sein, den Freiheitsbegriff mit<br />
Leben zu füllen.<br />
academicus 2/2012<br />
das lied<br />
der Freiheit<br />
„Die glücklichen Sklaven<br />
sind die erbittertsten Feinde<br />
der Freiheit.“<br />
marie von ebner-eschenbach<br />
Hoffmann von Fallersleben<br />
Die Umfrage steht ab sofort online zur Verfügung (siehe<br />
Link). Das Ausfüllen dauert keine halbe Stunde. Die Teilnahme<br />
sollte daher für jeden selbstverständlich sein, für den<br />
burschenschaftliches engagement nicht bloß eine hohle<br />
Phrase ist. Wir rechnen also mit reger Beteiligung. einzig:<br />
es muss auch bekannt sein, dass die Umfrage existiert. An<br />
dieser Stelle zählen wir auf Sie, die Leser des academicus. Machen<br />
Sie die Umfrage in Ihrem Umfeld bekannt! Werben Sie<br />
dafür in Ihrem Bund!<br />
Das ergebnis des experiments präsentieren wir auf dem<br />
Burschentag im Sommer 2013.<br />
Es lebe, was auf Erden<br />
nach Freiheit strebt und wirbt<br />
von Freiheit singt und saget,<br />
für Freiheit lebt und stirbt.<br />
Die Welt mit ihren Freuden<br />
ist ohne Freiheit nichts<br />
die Freiheit ist die Quelle<br />
der Tugend und des Lichts.<br />
<br />
Die Freiheit ist mein Leben<br />
und bleibt es immerfort,<br />
mein Sehnen, mein Gedanke,<br />
mein Traum, mein Lied und Wort.<br />
Es kann, was lebt und webet<br />
in Freiheit nur gedeihn.<br />
Das Ebenbild des Schöpfers<br />
kann nur der Freie sein.<br />
Es lebe, was auf Erden<br />
nach Freiheit strebt und wirbt,<br />
von Freiheit singt und saget,<br />
für Freiheit lebt und stirbt.<br />
Frei will ich sein und singen,<br />
so wie der Vogel lebt,<br />
der auf Palast und Kerker<br />
sein Frühlingslied erhebt.<br />
Fluch sing ich allen Zwingherrn,<br />
Fluch aller Dienstbarkeit!<br />
Die Freiheit ist mein Leben<br />
und bleibt es alle Zeit.<br />
SPeZIAL<br />
„ Heute leben<br />
mehr Sklaven,<br />
als zur Zeit des<br />
transatlantischen<br />
Sklavenmarkts<br />
aus Afrika geraubt<br />
wurden.“<br />
Indien: Kinderarbeit in der Teppichindustrie (Foto: KindernothilfePartner)<br />
vonBernd preiss<br />
<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther erlangen (1992)<br />
moDerne sklaverei<br />
Wer glaubt, Sklaverei gebe es<br />
heute kaum mehr, irrt. Heute<br />
„leben mehr Sklaven, als zur<br />
Zeit des transatlantischen Sklavenmarkts<br />
aus Afrika geraubt<br />
wurden“, schreibt Kevin Bales,<br />
US-amerikanischer Soziologe<br />
und einer der führenden Sklaverei-experten.<br />
Bales schätzt,<br />
dass über 27 Millionen Menschen<br />
gewaltsam versklavt und<br />
„ Es ist eine<br />
teuflische<br />
Entscheidung,<br />
vor der diese<br />
Menschen<br />
stehen.“<br />
gegen ihren Willen zum Zweck<br />
der Ausbeutung gefangen gehalten<br />
werden. Offiziell ist die<br />
Sklaverei in der ganzen Welt<br />
abgeschafft. Doch die vorhandenen<br />
Formen moderner Sklaverei<br />
reichen von Kinderarbeit,<br />
Zwangsprostitution und der Re-<br />
krutierung von Kindersoldaten<br />
bis hin zu Leibeigenschaft oder<br />
wirtschaftlicher Ausbeutung.<br />
ermutigend trotz dieser hohen<br />
Anzahl: Der Anteil der Sklaven<br />
an der Weltbevölkerung ist geringer<br />
denn je.<br />
Dennoch gibt es Weltgegenden,<br />
in denen das Problem besonders<br />
groß ist: „Die glaubwürdigsten<br />
Statistiken für Indien beginnen<br />
bei zehn Millionen“, berichtet<br />
Benjamin Skinner (Welt online,<br />
21.11.2008). Skinner ist Journalist<br />
und recherchierte fünf Jahre<br />
lang im weltweiten Sklavenmarkt.<br />
In Indien befänden sich<br />
Menschen in erblicher Schuldknechtschaft,<br />
so Skinner, der als<br />
Beispiel den Schuldner Gonoo<br />
benennt: „er und seine Familie<br />
zerschlagen dort 14 Stunden<br />
am Tag Steine zu Kies und Sand.<br />
Sein Großvater hat einen Kredit<br />
von 62 US-cent aufgenommen,<br />
um die Mitgift seiner Mutter zu<br />
bezahlen. Drei Generationen<br />
und drei Besitzer später lebt die<br />
Familie immer noch in Sklave-<br />
rei“. In Uttar Pradesh oder Bihar<br />
gebe es ganze Dörfer, die nur<br />
aus Sklaven bestünden.<br />
wegwerfwAre<br />
mensch<br />
ein Merkmal der modernen<br />
Sklaverei besteht darin, dass<br />
die Sklaven zur Wegwerfware<br />
werden, sobald der Sklavenhalter<br />
sie nicht mehr brauchen<br />
kann. Im 19. Jahrhundert konnte<br />
man einen gesunden Mann für<br />
rund 30.000 bis 40.000 Dollar<br />
kaufen. Bales setzt den durchschnittlichen<br />
Preis für einen Sklaven<br />
heute mit knapp 20 euro an.<br />
Diese entwicklung hat Folgen<br />
für die Betroffenen: Es rechne<br />
sich nicht mehr für den Sklavenhalter,<br />
einen Zwangsarbeiter zu<br />
behalten, wenn er krank wird.<br />
Der Aufkauf der Sklaven durch<br />
humanitäre organisationen oder<br />
Regierungen ist nach Skinner<br />
keine Lösung. er berichtet: „Im<br />
Jahr 2005 hätte ich in Haiti […]<br />
„Alle<br />
großen<br />
Dinge<br />
sind<br />
einfach, viele<br />
mit einem Wort<br />
zu nennen:<br />
Gerechtigkeit,<br />
Ehre, Freiheit,<br />
Gnade,<br />
Hoffnung.”<br />
sir Winston churchill<br />
„Das<br />
Reich der<br />
Freiheit<br />
beginnt da,<br />
wo Arbeit<br />
aufhört.”<br />
karl marx<br />
academicus 2/2012<br />
35
Fotos: Boris Jelzin – regierungonline/schambeck; Willy Brandt – Bundesarchiv; Bob dylan – heinrich klaffs<br />
36<br />
SPEZIAL<br />
„Einen<br />
Helden<br />
stelle ich<br />
mir vor als<br />
jemanden, der<br />
das Ausmaß<br />
der Veran t <br />
wortung<br />
begreift, das<br />
die Freiheit mit<br />
sich bringt.”<br />
Bob dylan<br />
„Wo<br />
die Freiheit<br />
nicht beizeiten<br />
verteidigt<br />
wird, ist sie nur<br />
um den Preis<br />
schrecklich<br />
großer Opfer<br />
zurückzugewinnen.<br />
Hierin liegt<br />
die Lehre des<br />
Jahrhunderts.“<br />
Willy Brandt<br />
„Was wir<br />
haben,<br />
schätzen wir<br />
so lange nicht,<br />
bis es wieder<br />
fort ist. Freiheit<br />
ist so. Sie ist<br />
wie Luft. Wenn<br />
man sie hat,<br />
bemerkt man<br />
sie nicht.”<br />
Boris Jelzin<br />
academicus 2/2012<br />
ein kleines Mädchen für etwa 50<br />
Dollar kaufen können.“ er unterließ<br />
es, weil Sklavenfreikäufe den<br />
Handel zusätzlich ankurbeln.<br />
„Anstatt dieses Mädchen für 50<br />
Dollar zu kaufen, beschloss ich,<br />
mir anzusehen, wo diese Kinder<br />
herkommen und wie sie in die<br />
Hände von Menschenhändlern<br />
geraten. Ich fuhr in ein sehr<br />
abgelegenes Bergdorf namens<br />
Brésilienne. Fast alle Familien<br />
hatten mindestens eines ihrer<br />
Kinder einem Fremden überlassen.“<br />
Verurteilen mag Skinner<br />
diese eltern jedoch nicht. „es ist<br />
eine teuflische Entscheidung, vor<br />
der diese Menschen stehen. Wir<br />
im Westen können leicht sagen:<br />
Gib mir Freiheit oder gib mir<br />
den Tod. ein hübsches Prinzip,<br />
aber es funktioniert nicht mehr<br />
ganz, wenn es um dein Kind<br />
geht. Um die Frage: Soll ich<br />
dabei zusehen, wie es an Hunger<br />
oder einer Krankheit stirbt?<br />
oder den Menschenhändlern<br />
glauben, die versprechen, für<br />
regelmäßige Mahlzeiten und<br />
Schulbildung zu sorgen?“<br />
Schuhputzer in Guatemala<br />
(Foto: Christoph Engel;<br />
Kindernothilfe e.V.)<br />
„ Sie<br />
Skinner begleitete eine der Mütter,<br />
die ihre Tochter zurückholte,<br />
nach Port-au-Prince. „Als<br />
das Mädchen, camsease, in<br />
Sicherheit war, versprach ich<br />
ihrer Mutter, für ihre Schulbildung<br />
aufzukommen. es kostet<br />
84 Dollar im Jahr.“ Skinner<br />
rechnet vor: „Im weltweiten<br />
Durchschnitt kostet es etwa<br />
400 Dollar, um Sklaven auf legalem<br />
Weg zu befreien und sie<br />
hinterher zwei bis vier Jahre zu<br />
begleiten. Wenn wir von 27 Millionen<br />
Sklaven ausgehen, wären<br />
das zehn bis elf Milliarden<br />
Dollar, das ist in etwa das, was<br />
Amerikaner pro Monat<br />
im Irak ausgeben.“<br />
gezieLt verstümmeLt<br />
Die Sklaverei ist kein außereuropäisches<br />
Phänomen. Skinner:<br />
„Ich muss oft an eine junge<br />
Frau in einem Bukarester<br />
Bordell denken. Jemand hatte<br />
versucht, die Zeichen des<br />
Downsyndroms in ihrem Gesicht<br />
zu überschminken, aber<br />
sie weinte so sehr, dass ihr die<br />
Wimperntusche in Bächen die<br />
Wangen hinunterlief.<br />
Am Arm hatte<br />
sie Schnittwunden,<br />
einige waren<br />
gerade erst vernarbt. Sie<br />
muss mehrmals versucht haben,<br />
sich umzubringen, um den<br />
täglichen Vergewaltigungen zu<br />
entgehen. Sechs bis zehn euro<br />
kassiert ihr Zuhälter jeweils<br />
dafür. Ich hätte sie kaufen<br />
können, im Austausch<br />
gegen einenGebrauchtwagen.“<br />
muss mehrmals<br />
versucht haben,<br />
sich umzubringen.“<br />
Verstümmelte Bettler in<br />
Indien. Die Fotografin vermutet<br />
weder Krankheit noch<br />
Unfall, sondern barbarische<br />
Manipulation; es gäbe sogar<br />
Chirurgen, die sich auf<br />
diese Art von Eingriffen spezialisiert<br />
hätten. (Foto und<br />
Copyright: Julia Schäfer)<br />
eine besonders barbarische<br />
Form der Sklaverei ist die Verkrüppelung<br />
von Kleinkindern,<br />
um diese zu umso erfolgreicheren<br />
Bettlern zu machen. Der<br />
oscar-prämierte Film „Slumdog<br />
Millionaire“ berichtet davon.<br />
Dominica Garcia vom Hilfswerk<br />
„International organization<br />
for Migration“ (IoM) bestätigt<br />
für Kambodscha, dass<br />
„Menschenhändler den<br />
Kindern zur ‚Gewinnmaximierung‘<br />
gezielt Arme und<br />
Beine verstümmeln“ (zit. Badische<br />
Zeitung online, 21.6.2012).<br />
Diese Kinder werden nach Thailand<br />
gebracht und nehmen dort<br />
bis zum Zehnfachen dessen ein,<br />
was den ärmsten der Armen<br />
in Kambodscha zur Verfügung<br />
steht. Ab einem Alter von fünf<br />
Jahren verlieren die Kinder jedoch<br />
für ihre Ausbeuter an Wert.<br />
oft beginne dann der Weg in die<br />
Prostitution, so Garcia.<br />
wAs KAnn getAn<br />
werden?<br />
Die Lösung des modernen Sklavenproblems<br />
muss aus den<br />
Gesellschaften kommen. Zwar<br />
ist die Sklaverei überall verbo-<br />
ten, „aber wir können uns nicht darauf<br />
verlassen“, so Skinner. „Zuverlässige<br />
Demokratien wie die USA oder<br />
Deutschland müssen Druck<br />
machen, dass sie auch umgesetzt werden.<br />
Unternehmen müssen dafür sorgen,<br />
dass es keine Produkte aus Sklavenarbeit<br />
in ihrer Lieferkette gibt. Und<br />
ngos Für Freiheit<br />
Amnesty<br />
internAtionAL<br />
Amnesty International (AI) ist sicherlich die bekannteste<br />
Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental organization,<br />
NGo), die sich weltweit für Menschenrechte<br />
einsetzt. AI recherchiert Menschenrechtsverletzungen,<br />
betreibt Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und organisiert<br />
unter anderem Brief- und Unterschriftenaktionen in Fällen<br />
von Folter oder drohender Todesstrafe.<br />
Die organisation wurde 1961 in London von dem Rechtsanwalt<br />
Peter Benenson gegründet. Anlass war die Verurteilung<br />
von zwei Studenten zu sieben Jahren Haft in Portugal.<br />
Die beiden hatten in einem Restaurant in Lissabon auf die<br />
Freiheit angestoßen. In dem damals totalitären Portugal<br />
war die erwähnung des Wortes „Freiheit“ verboten.<br />
www.amnesty.org<br />
Anti-sLAvery internAtionAL<br />
Die in england ansässige organisation Anti-Slavery International<br />
wurde 1839 gegründet und bezeichnet sich als<br />
die älteste internationale Menschenrechtsorganisation. Sie<br />
kämpft weltweit für die Abschaffung der Sklaverei. Sie erforscht<br />
und publiziert zu den Ursachen und Hintergründen<br />
der modernen Sklaverei, übt Druck auf Regierungen und<br />
Unternehmen aus und ermittelt Straftäter.<br />
www.antislavery.org<br />
free the sLAves<br />
Free the Slaves ist eine Schwesterorganisation<br />
von Anti-Slavery International. Free the Slaves<br />
setzt vor allem an den sozialen Wurzeln der modernen<br />
Sklaverei an: Sie bemüht sich, den Menschen<br />
in den gefährdeten Regionen ökonomische chancen,<br />
Gesundheitsvorsorge, Bildung und Rechtsstaatlichkeit zu<br />
bringen, um armen Menschen den Weg in die Sklaverei zu<br />
ersparen.<br />
www.freetheslaves.net<br />
freedom house<br />
alle sollten Vertreter der Zivilgesellschaft<br />
unterstützen, deren<br />
Hilfsprogramme für Sklaven sich<br />
bereits bewährt haben.“<br />
Freedom House tritt für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte<br />
ein und führt Forschungen zu diesen Themen<br />
durch. Die organisation unterstützte unter anderem die<br />
US-Bürgerrechtsbewegung, Dissidenten in der Sowjetunion<br />
und die polnische Solidarność-Bewegung. Sie wurde 1941 in<br />
den USA unter Mitwirkung des damaligen Präsidenten Roosevelt<br />
gegründet, um das amerikanische Volk für das USengagement<br />
im II. Weltkrieg zu gewinnen. Freedom House<br />
wird zum größten Teil von der US-Regierung finanziert.<br />
www.freedomhouse.org<br />
rePorter ohne grenzen<br />
Reporter ohne Grenzen (franz.:<br />
Reporters sans frontières) setzt<br />
sich weltweit für die Pressefreiheit<br />
und gegen Zensur ein. Unter Berufung auf Artikel 19<br />
der Allgemeinen erklärung der Menschenrechte engagiert<br />
sich die organisation unter anderem für aus politischen<br />
Gründen inhaftierte Journalisten. Gegründet wurde die organisation<br />
1985 in Frankreich.<br />
www.reporterohnegrenzen.de<br />
soLwodi<br />
Solwodi (Abkürzung von Solidarity<br />
with Women in Distress, dt.: Solidarität mit Frauen<br />
in Not) ist eine Hilfsorganisation zur Betreuung von opfern<br />
von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Sie wurde<br />
1985 von der ordensfrau Lea Ackermann in Mombasa/<br />
Kenia gegründet. Die organisation bietet vor allem in ärmeren<br />
Ländern psychosoziale Betreuung, gesundheitliche<br />
Aufklärung und juristische Beratung und unterstützt Prostituierte<br />
bei ihrem Ausstieg. In Deutschland engagiert sich<br />
Solwodi unter anderem gegen Beziehungsgewalt, Menschenhandel<br />
und Zwangsheiraten.<br />
www.solwodi.de<br />
academicus 2/2012<br />
37
Zum geleit<br />
VeRBANDSLeBeN<br />
KrIse der bursChensChaFt<br />
als ChanCe<br />
Der vorliegende Beitrag von Dr. Gerd Möller bezog sich ursprünglich nicht auf die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung,<br />
sondern auf Möllers damaligen Verband, die <strong>Deutsche</strong> <strong>Burschenschaft</strong> (DB). Wir fanden die „Zehn Empfehlungen“<br />
jedoch so allgemeingültig und lesenswert für alle <strong>Burschenschaft</strong>er, dass wir den Autor baten, uns<br />
eine überarbeitete und an die Allgemeinheit gerichtete Version für den academicus zur Verfügung zu stellen.<br />
Mittlerweile musste Möller seinen Bund, die Alte Breslauer <strong>Burschenschaft</strong> der Raczeks, verlassen. Er gehört<br />
zusammen mit dem bekannten burschenschaftlichen Publizisten Christian J. Becker zu den beiden Alten Herren,<br />
die im September dieses Jahres ausgeschlossen wurden. An unserer Bereitschaft, den Beitrag abzudrucken,<br />
konnte dies selbstverständlich nichts ändern.<br />
Wir hoffen auf intensive und bereichernde Diskussionen der „Zehn Empfehlungen“, gerne über Verbandsgrenzen<br />
hinweg.<br />
academicus-Redaktion und Vorstand der <strong>Neue</strong>n <strong>Deutsche</strong>n <strong>Burschenschaft</strong> e.V.<br />
Die zunehmend krisenhaften Geschehnisse im burschenschaftlichen<br />
Verbindungswesen während der vergangenen<br />
Jahre sollten als große Chance zur übergreifenden<br />
Erneuerung begriffen werden. Nachfolgend werden zehn<br />
Empfehlungen zur dringend notwendigen Kurskorrektur<br />
dargestellt.<br />
1.<br />
AbstAmmung und rAsse soLLten Kein<br />
AufnAhmeKriterium für mit gLieder einer<br />
burschenschAft sein<br />
Das „ius sanguinis“ und das „ius soli“ sind zuerst einmal<br />
gleichwertige Definitionen von Volkszugehörigkeit, die sich<br />
in den modernen Staaten in erster Linie durch den Anspruch<br />
auf einen bestimmten Reisepass manifestieren. Beide Definitionen<br />
haben ihre geschichtlichen und politischen Wurzeln<br />
und bei beiden Definitionen kann man unschwer Fälle<br />
konstruieren, in denen das jeweilige Prinzip zu kurz greift.<br />
Dass das „ius sanguinis“ den sprichwörtlich vaterlandslo-<br />
von dr. gerd MöLLer<br />
ehem. mitglied der alten Breslauer<br />
<strong>Burschenschaft</strong> der raczeks Bonn (1987)<br />
empFehlunGen Für eIne KursKorreKtur<br />
sen Gesellen des linksliberalen establishments ein Dorn im<br />
Auge ist, da diese mit der Anerkennung der existenz von<br />
Völkern ein Problem haben, muss <strong>Burschenschaft</strong>er nicht<br />
kümmern. Das daraus folgende Argument, dass die Übernahme<br />
eines „ius soli“ automatisch mit einer Aufgabe des<br />
deutschen Volkes gleichzusetzen ist, ist ein Zirkelschluss.<br />
Jedes Prinzip muss an den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten<br />
geprüft werden. In den Festreden wird es oft<br />
beschworen, ohne wirklich beherzigt zu werden: stets eine<br />
neue Form zu finden, ohne den Inhalt zu verfälschen. Beim<br />
„Vermächtnis der <strong>Burschenschaft</strong>“ sind Interpretationen erlaubt.<br />
eine Überprüfung von Bewerbern auf ihre Abstammung<br />
hin oder ein auch nur so empfundenes Vorgehen soll<br />
unterbleiben.<br />
Bei einer Betrachtung des volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffs<br />
muss besonders die deutsche Geschichte berücksichtigt<br />
werden. Zur Gründung der <strong>Burschenschaft</strong> und vor<br />
der bundesdeutschen Wiedervereinigung diente der volkstumsbezogene<br />
Begriff „zu vereinen bzw. wiederzuvereinen“<br />
(FÜR die einheit). Heute wirkt er eher ausgrenzend (einige<br />
gemäß Staatsbürgerschaft <strong>Deutsche</strong> sind nicht wirklich<br />
deutsch nach Abstammung) – GeGeN die „nichtdeutschen<br />
<strong>Deutsche</strong>n“. Ist diese Ausgrenzung wirklich ein Ziel, für das<br />
sich <strong>Burschenschaft</strong>er einsetzen wollen (die „Bewahrer des<br />
deutschen Volkes“)? oder sollten <strong>Burschenschaft</strong>er nicht<br />
vielmehr FÜR die Verwirklichung von aus dem Wahlspruch<br />
– ehre, Freiheit, Vaterland – abgeleiteten Idealen suchen<br />
(zum Beispiel im Sinne des Vaterlandsbegriffs, dass <strong>Deutsche</strong><br />
sich dem deutschen Volke verbunden fühlen – und<br />
dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur diejenigen erhalten,<br />
die z. B. Deutsch lernen und einen Test über Deutschland<br />
bestehen).<br />
2.<br />
die nAtion soLLte ALs demoKrAtische<br />
wiL LensgemeinschAft begriffen werden<br />
Die Frage, wer wir sind, und die nach der nationalen Identität,<br />
dem Nationsbegriff und der Zugehörigkeit zu einer <strong>Burschenschaft</strong>,<br />
sollten als demokratische Willensgemeinschaft<br />
im Sinne des französischen Historikers und orientalisten ernest<br />
Renan (Rede vom 11. März 1882 in der Sorbonne: Was<br />
ist eine Nation?) begriffen werden: Eine Nation ist also eine<br />
große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der<br />
opfer, die man gebracht hat, und der opfer, die man noch zu<br />
bringen gewillt ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus, aber<br />
ist trotzdem in der Gegenwart in einem greifbaren Faktum<br />
zusammengefasst: der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen<br />
Wunsch, das gemeinsame Leben fortzusetzen.<br />
Das Dasein einer Nation ist – erlauben Sie mir dieses Bild<br />
– ein tägliches Plebiszit, wie das Dasein des einzelnen eine<br />
andauernde Behauptung des Lebens ist.<br />
3.<br />
studenten mit einem beKenntnis zur<br />
deutschen demoKrAtischen wiLLens -<br />
gemeinschAft sind wiLLKommen<br />
opfer bringen für eine in der Vergangenheit erprobte Solidargemeinschaft,<br />
wie dies Renan in seinem Begriff der Nation<br />
beschrieb, ist in den westlichen Konsumgesellschaften<br />
nicht populär. Junge Männer, die fähig und willens sind, sich<br />
kulturell und sozial zu integrieren, und sich zu einer deutschen<br />
demokratischen Gemeinschaft bekennen, soll man an<br />
der Verantwortung beteiligen können. Sie sind herzlich willkommen.<br />
Welch glückliche <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung,<br />
die solche Probleme in Zeiten des weltweiten Wettbewerbs<br />
um Talente hat. Solche Studenten sind keine Bittsteller, wenn<br />
sie qualifiziert sind und mitmachen wollen. Die Aufnahme<br />
eines Bewerbers in einen Bund sollte auf dessen Bekenntnis<br />
zum deutschen Volk, zur deutschen Kultur und Sprache und<br />
zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung basieren.<br />
4.<br />
ALLein die innere einsteLLung mAcht<br />
den burschenschAfter Aus, nicht<br />
seine äussere erscheinung<br />
Drehen wir den Spieß auch einmal um: Was soll ein heutiger<br />
junger <strong>Burschenschaft</strong>er darstellen? Dann wünschen<br />
sich <strong>Burschenschaft</strong>en als Aktive ordentliche, selbstbewusste,<br />
eloquente, der Gemeinschaft zugewandte junge<br />
Männer, die eigenständig denken können, fleißig studieren<br />
und ehrenhaft handeln. Sie dürfen keine Angst vor dem akademischen<br />
Fechten haben und müssen die universellen burschenschaftlichen<br />
Grundsätze „ehre, Freiheit, Vaterland“<br />
leben. Das ist ein gewaltiger Leistungskatalog, der hier eingelöst<br />
werden soll. Zudem ist zu bedenken, dass ein junger<br />
Mann nicht einem übergeordneten Dachverband beitritt,<br />
sondern sich von einer bestimmten individuellen Gemeinschaft<br />
der jeweiligen Aktiven angezogen fühlt. Wenn, dann<br />
ist eine gewisse weltanschaulich-intellektuelle Kompatibilität<br />
ausschlaggebend. Allein die innere einstellung macht<br />
den <strong>Burschenschaft</strong>er aus, nicht seine äußere erscheinung.<br />
5.<br />
die soziALe herKunft und die<br />
reLigions zugehörigKeit soLLten<br />
bedeutungsLos sein<br />
Woher sollen nun diese jungen Männer kommen? Wer heute<br />
genetisch-naturwissenschaftliche Belege für eine Überlegenheit<br />
des „ius sanguinis“-Prinzips sucht, begibt sich<br />
schnell in ideologische Luftschlösserei. Das Zusammenspiel<br />
der Determinanten, das den Menschen zu dem einzigartigen<br />
Wesen macht, „das auf etwas aus ist“, ist komplex.<br />
Soviel ist sicher: Weder die Molekularbiologie noch die<br />
Verhaltensforschung liefern heute solide Hypothesen zur<br />
Artvarianz. erkenntnistheoretisch gesellt sich dann noch<br />
das Paradox hinzu, dass der Gegenstand der Untersuchung<br />
gleichzeitig der Untersucher ist. Das stellt die Interpretation<br />
der gewonnenen ergebnisse vor ein zusätzliches Problem.<br />
Die soziale Herkunft und die Religionszugehörigkeit haben<br />
in der <strong>Burschenschaft</strong>lichen Bewegung nie eine ausschließende<br />
Rolle gespielt und beide sind heute bedeutungslos<br />
geworden. Wäre es angesichts der faktischen demografischen<br />
Veränderungen in Deutschland und der hilflosen<br />
Integrationsdebatte nicht eine attraktive Aufgabe für das<br />
burschenschaftliche Verbindungswesen, die übermächtig<br />
beschworene Schicksalsgemeinschaft etwas kleiner<br />
zu schreiben und sich den jungen, leistungsbereiten Neudeutschen<br />
als Gegengewicht zu den Multikulti-Fetischisten<br />
anzubieten? Da könnte die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />
eine vornehme Aufgabe in der Heranbildung von jungen<br />
Studenten übernehmen.<br />
38 39<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
6.<br />
wiLLKommensKuLtur in<br />
burschenschAften ist in<br />
unserer PLurAListischen<br />
reALität überfäLLig<br />
Die Blütezeit von Studentenverbindungen<br />
ist schon lange vorbei. Das burschenschaftliche<br />
Verbindungswesen<br />
muss die Kraft haben, Positionen an<br />
veränderte Realitäten anzupassen.<br />
Wer um die eigene Fehlbarkeit und<br />
auch die politischer entscheidungen<br />
weiß, der ist gefordert, die eigene Position<br />
mit der Realität abzugleichen.<br />
Das Wissen der jungen Studenten,<br />
ihre Ideen und veränderten Sichtweisen<br />
setzen uns vielleicht unter Druck.<br />
Aber dafür entspricht es der pluralistischen<br />
Realität, in der wir leben, weit<br />
mehr als das sture Beharren auf sogenannten<br />
burschenschaftlichen Grundwerten.<br />
es braucht eine Zäsur und<br />
einen Ruck hin zu einer Willkommenskultur<br />
und der Integration innerhalb<br />
aller <strong>Burschenschaft</strong>en. Mag es auch<br />
viel guten Zuredens bedürfen, um die<br />
offensichtlichen Vorzüge aufzuzeigen,<br />
es lässt uns besser werden und damit<br />
können wir alle nur gewinnen.<br />
7.<br />
siLodenKen und rAdi-<br />
KALisierung Aufgeben;<br />
dAmit der seLbstzerstörung<br />
einhALt gebieten<br />
und ein zuKunftsKonzePt<br />
entwicKeLn<br />
Die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />
muss sich proaktiv öffnen, attraktiver<br />
und weltgewandter werden und ein<br />
vernünftiges Zukunftskonzept entwickeln.<br />
Teile der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />
Bewegung betreiben gegenwärtig pures<br />
Silodenken, isolieren und radikalisieren<br />
sich gesellschaftlich durch ihre<br />
Positionen und haben in den vergangenen<br />
Jahren fast alles dafür getan, die<br />
<strong>Burschenschaft</strong> insgesamt zu diskreditieren.<br />
Die als ausländerfeindlich empfundenen<br />
Stimmen in der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />
Bewegung übertönen<br />
Große gesellschaftliche Zusammenhänge<br />
dürfen nicht wie bisher eher unberücksichtigt<br />
bleiben. Isolation ist der<br />
falsche Weg und Ausgrenzung ist kein<br />
attraktives Alleinstellungsmerkmal,<br />
sondern kann ein tödliches Stigma für<br />
die gesamte <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />
werden. Die Grabenkämpfe<br />
zwischen den verschiedenen Flügeln<br />
und organisationen innerhalb des<br />
burschenschaftlichen Verbindungswesens<br />
sollten endlich konstruktiv aufgearbeitet<br />
und es sollte der gemeinsame<br />
Nenner gefunden werden, so es ihn<br />
noch gibt. Das setzt Kompromissbereitschaft<br />
von allen Seiten voraus.<br />
8.<br />
beKenntnis zur freiheit-<br />
Lichen PLurAListischen<br />
geseLLschAft und euro-<br />
Päischen einigung mit<br />
gestALtung eines zeitgemässen<br />
ProfiLs<br />
Die reale Welt ist vielfältiger und kleiner<br />
geworden. Die Angleichung der<br />
europäischen Studienabschlüsse im<br />
Zuge der Bologna-Reform hat einen<br />
echten europäischen Bildungsraum geschaffen.<br />
Bedingung für Innovation ist<br />
der internationale Austausch. Anscheinend<br />
hat sich dies nicht überall herumgesprochen.<br />
Alle Mitglieder burschenschaftlicher<br />
Bünde sollten anerkennen,<br />
dass wir in Deutschland eine freiheitliche<br />
pluralistische Gesellschaft haben.<br />
Die europäische einigung sollte proaktiv<br />
bejaht werden. Die <strong>Burschenschaft</strong>liche<br />
Bewegung muss lernen, was<br />
es heißt, in dieser Welt zu leben und<br />
sich einer solchen zu stellen: der neuen<br />
deutschen pluralistischen Realität.<br />
Nicht den Niedergang Deutschlands<br />
beklagen, Nostalgie und Panikmache<br />
sind zu wenig. Das Selbst- und Fremdbild<br />
von <strong>Burschenschaft</strong>en dürfen nicht<br />
auf einer Berg- und Abgrenzungstradition<br />
gründen. Das Problem kommt<br />
nicht von außen. Wie in der freien Wirtschaft<br />
muss die <strong>Burschenschaft</strong>liche<br />
Bewegung ein eigenes attraktives, aktuelles<br />
und nach vorne gerichtetes bur-<br />
Kernbotschaften und Alleinstellungsmerkmalen<br />
entwickeln, zumal auch die<br />
eigene „Kundschaft“ nicht mehr homogen<br />
ist. 45 Prozent eines Jahrgangs beginnen<br />
inzwischen ein Studium, mehr<br />
denn je zuvor. In wenigen Jahren wird<br />
die Studentenwelle durch doppelte<br />
Abiturjahrgänge an den Universitäten<br />
jedoch wieder abflachen. Deutschland<br />
ist europas Kinderschlusslicht. Die<br />
deutschen Hochschulen und damit die<br />
<strong>Burschenschaft</strong>en haben dann ein weiteres<br />
Problem: Dann gibt es zu wenig<br />
Studenten. Sowohl aufgrund der demografischen<br />
Entwicklung als auch des<br />
Aussetzens der Wehrpflicht ist deshalb<br />
ein tragfähiges und breit innerhalb der<br />
<strong>Burschenschaft</strong>lichen Bewegung abgestimmtes<br />
Zukunftskonzept essentiell.<br />
Sollte dies nicht bald gelingen, verpasst<br />
das burschenschaftliche Verbindungswesen<br />
eine existentielle chance. Die<br />
jetzi gen Funktionäre der verschiedenen<br />
burschenschaftlichen Dachorganisationen<br />
könnten damit unfreiwillig<br />
zu Totengräbern der gesamten <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />
Bewegung werden.<br />
9.<br />
AufgAbe des feindbiLddenKens<br />
und entwicK-<br />
Lung einer externen<br />
AdressAten-strAtegie<br />
Zur Zeit werden andersdenkende Außenstehende,<br />
seien es Parteien, Politiker<br />
oder die Presse, oft nur noch als<br />
Feinde begriffen, anstatt positive und<br />
gesellschaftlich wichtige und sinnvolle<br />
Aktivitäten der gesamten <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />
Bewegung und ihrer verschiedenen<br />
Bünde zu kommunizieren<br />
und in einen konstruktiven Dialog mit<br />
der auch teilweise feindlichen „Außenwelt“<br />
zu treten. Eine effektive, nachhaltige<br />
und breit konsentierte Strategie<br />
aller <strong>Burschenschaft</strong>en zum externen<br />
Adressaten-Management ist hier dringend<br />
gefordert. Hierbei sind eine pragmatische<br />
Anpassung an die Realität<br />
und eine Abkehr vom Feindbilddenken<br />
notwendig. es gilt dabei, die Balance<br />
zu finden zwischen modernem Auf-<br />
rung. Die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung hat die Möglichkeit,<br />
in einer nach links driftenden Gesellschaft ein neues,<br />
liberal-konservatives Profil zu zeigen, das sich nicht am Abstammungsgedanken<br />
aufhängt. Das burschenschaft liche<br />
Verbindungswesen muss interessanter werden, die Gefahr<br />
von allen geliebt zu werden ist dabei gering und Angst davor<br />
wenig zielführend.<br />
10.<br />
burschenschAfter brAuchen<br />
erfAhrungen im richtigen Leben –<br />
es gibt mehr ALs den eigenen bund<br />
und deutschLAnd in der weLt<br />
Bewährungen auf dem Paukboden oder bei Kneipveranstaltungen<br />
des eigenen Bundes sind gut, reichen jedoch bei<br />
weitem nicht. <strong>Burschenschaft</strong>er brauchen erfahrungen im<br />
richtigen Leben. es gibt noch mehr als den eigenen Bund und<br />
Deutschland in der Welt. Reine „Berufsburschenschafter“ und<br />
Gutachten von nicht in einer globalisierten, hochkompetitiven<br />
Welt lebenden Pensionisten oder ehemals Berufstätigen, bei<br />
aller Hochachtung für ihr aufrichtiges und ehrenvolles engagement,<br />
bringen die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung nicht<br />
immer weiter und machen sie nicht zur Avantgarde. Alte<br />
Herren, die sich auf der „freien Wildbahn“ in einer globalen<br />
Arbeitswelt behaupten können, müssen innerhalb des burschenschaftlichen<br />
Verbindungswesens und in ihren eigenen<br />
Bünden lauter werden. <strong>Neue</strong>, unkonventionelle Pfade<br />
müssen beschritten werden, diese beruflich meist stark eingebundenen<br />
und teilweise auch im Ausland lebenden Mitglieder<br />
besser einzubinden. Solch brachliegendes Potenzial<br />
sollte sich die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung besser zunutze<br />
machen, um aktuelle Herausforderungen zeitgemäßer<br />
zu bestehen.<br />
in memoriam<br />
christian hÜnemörder<br />
Der langjährige Vorsitzende der Gesellschaft für burschenschaftliche<br />
Geschichtsforschung e.V. (GfbG), Prof. Dr. phil. christian<br />
Hünemörder (Alemannia Bonn 1957), ist am 19. September<br />
2012 nach längerer, schwerer Krankheit in Rickling (Kreis Segeberg)<br />
gestorben.<br />
christian Hünemörder wurde am 25. Juli 1937 in Breslau geboren.<br />
er nahm an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Uni-<br />
von woLfgang eyMann<br />
alania aachen (1955), rugia greifswald (1991)<br />
schatzmeister der gfbg 1983–2011<br />
versität Bonn das Studium der Klassischen Philologie und der<br />
Biologie auf und war nach seiner Promotion über ein kulturgeschichtliches<br />
Thema auch als Historiker ein ausgewiesener<br />
Wissenschaftler. Sein beruflicher Weg führte ihn anschließend<br />
an die Universität Hamburg, wo er sich 1977 habilitierte und<br />
bis 2002 als Professor für die Geschichte der Naturwissenschaften<br />
wirkte.<br />
Schon als Student kam Hünemörder mit der GfbG in Kontakt.<br />
1986 wurde er provisorisch Vorsitzender der GfbG, ein Jahr<br />
später dann endgültig. er blieb es über fast zwei Jahrzehnte<br />
bis Pfingsten 2005. Unter seinem Vorsitz wurden das Erbe von<br />
Herman Haupt, Paul Wentzcke und anderen in ehren gehalten<br />
und beachtliche erfolge erzielt. Zu nennen sind mehrere Bände<br />
der „Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen<br />
einheitsbewegung“, einige Jahresausgaben sowie der<br />
Band I (Politiker) des Biographischen Lexikons der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Burschenschaft</strong>, das der GfbG und damit der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />
Bewegung in der wissenschaftlichen Welt große Anerkennung<br />
einbrachte. 2005 wurde Hünemörder die Herman-Haupt-<br />
Plakette, 2011 die ehrenmitgliedschaft der GfbG verliehen.<br />
Die GfbG wird die beiden Supplementteilbände 7 und 8 des Biographischen<br />
Lexikons dem Andenken ihres langjährigen Vorsitzenden<br />
widmen, um so für alle Zeit zum Ausdruck zu bringen:<br />
Prof. Dr. christian Hünemörder hat sich in hohem Maße um die<br />
burschenschaftliche Geschichtsforschung verdient gemacht.<br />
40 zunehmend liberale Werthaltungen. schenschaftliches „Marken“-Profil mit treten und massenmedialer Anbiede-<br />
41<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
VeRBANDSLeBeN<br />
ein Studentenwohnheim wird meist<br />
in der Rechtsform eines eingetragenen<br />
Vereins betrieben, welcher häufig<br />
auch als gemeinnützig anerkannt<br />
ist. Der Vorstand des Vereins ist üblicherweise<br />
ehrenamtlich tätig. Dass<br />
er auch als ehrenamtlicher Vorstand<br />
einem gewissen Haftungsrisiko ausgesetzt<br />
ist, wird leider häufig übersehen.<br />
Die Haftungsfallen liegen nicht nur im<br />
Steuerrecht, wenn gemeinnützigkeitsrechtliche<br />
Vorschriften nicht beachtet<br />
werden, sondern auch im Vereins-<br />
oder Mietrecht. Nachfolgend sollen<br />
exemplarisch typische Haftungsfallen<br />
aufgezeigt werden.<br />
Kein „ehrenAmts-bonus“<br />
Das Vereinsrecht weist dem Vorstand<br />
die Stellung des gesetzlichen Vertreters<br />
(§ 26 BGB) zu, so dass er das Handeln<br />
des Vereins zu verantworten hat.<br />
Wenn durch sein Handeln vorsätzlich<br />
oder grob fahrlässig ein Schaden<br />
verursacht wird, haftet er grundsätzlich<br />
auch mit seinem Privatvermögen<br />
(§ 31a BGB). einen „ehrenamts-Bonus“<br />
gibt es hier nicht. Wenn der Wohnheimverein<br />
beispielsweise eine Reinigungskraft<br />
auf Grundlage eines sogenannten<br />
Minijobs beschäftigt, ist der<br />
Vorstand verpflichtet, diese bei der<br />
Minijobzentrale anzumelden und die<br />
Sozialversicherungsabgaben abzufüh-<br />
ren. Er ist weiter verpflichtet, sich zu<br />
vergewissern, dass diese Person keine<br />
weiteren entsprechenden Beschäftigungsverhältnisse<br />
ausübt.<br />
Auch sollte die Satzung des Vereins den<br />
aktuellen erfordernissen genügen. Der<br />
gemeinnützige Verband für Studentenwohnheime<br />
e.V. (VfSt) informiert regelmäßig<br />
seine angeschlossenen Vereine<br />
über erforderliche Satzungsanpassungen.<br />
Auch besteht die Möglichkeit einer<br />
Satzungsüberprüfung durch den VfSt.<br />
ein weiterer Bereich, welcher zu Haftungen<br />
führen kann, ist der Finanzbereich<br />
des Vereins. Der Vorstand verwaltet das<br />
Vereinsvermögen und ist angehalten,<br />
Forderungen des Vereins zu realisieren.<br />
Wenn nun Mieten oder Mitgliedsbeiträge<br />
nicht eingetrieben werden, können<br />
sich daraus Regressansprüche des Vereins<br />
gegenüber dem Vorstand ergeben.<br />
Auch mietrechtliche Vorschriften sollten<br />
dem Vorstand geläufig sein. Trotz<br />
der Tatsache, dass im Bereich des Studentenmietrechts<br />
der Mieterschutz<br />
nicht so weit greift wie im Wohnungsmietrecht,<br />
sind gewisse Vorgaben<br />
zu beachten: Die Kündigung muss<br />
schriftlich erfolgen und darf nicht in<br />
einer Situation vollzogen werden, welche<br />
für den Studenten einen Härtefall<br />
bedeuten würde (beispielsweise in der<br />
examensphase).<br />
Sowohl bei der erstellung des Mietvertrages<br />
als auch bei aufkommenden<br />
Fragen der Abwicklung des Mietverhält-<br />
„ Die<br />
der betrIeb eInes<br />
studentenWohnheIms –<br />
nICht Immer ohne tüCKen<br />
von MichaeL röcken<br />
c! neoborussia Berlin zu Bochum (1995)<br />
Vorstände<br />
von Wohn heimvereinen<br />
sollten<br />
sich der Risiken<br />
bewusst sein.“<br />
und MichaeL hacker<br />
alemannia Bonn (1986)<br />
nisses steht der Verband für Studentenwohnheime<br />
den Vereinen als Ansprechpartner<br />
zur Verfügung und hilft, die<br />
rechtlichen Hürden zu meistern.<br />
nAchversteuerung<br />
bei verLust der<br />
gemeinnützigKeit<br />
Größere Aufmerksamkeit sollte jedoch<br />
dem Gemeinnützigkeitsrecht gewidmet<br />
werden, insbesondere dann,<br />
wenn der Wohnheimverein das Haus<br />
mit einer anderen Körperschaft teilt,<br />
welche nicht gemeinnützig ist. Das ist<br />
die typische Situation bei Studentenverbindungen,<br />
die zusammen mit dem<br />
Wohnheimverein das Haus nutzen.<br />
Hier besteht die Gefahr, dass die nicht<br />
gemeinnützige organisation (Korporation)<br />
oder ihre Mitglieder (Aktivitas)<br />
unzulässigerweise durch den gemeinnützigen<br />
Bereich begünstigt werden.<br />
Dies wäre gemeinnützigkeitsschädlich<br />
und würde zum (ggf. rückwirkenden)<br />
Verlust der Gemeinnützigkeit und damit<br />
zur Nachversteuerung der erlangten<br />
Spenden führen.<br />
eine solche Begünstigung kann unterschiedlich<br />
erfolgen: Wenn der Wohnheimverein<br />
sämtliche Kosten trägt<br />
und die Korporation an den Kosten<br />
nicht beteiligt wird, liegt eine zweckwidrige<br />
Mittelverwendung vor. In welcher<br />
Höhe sich die Korporation an den<br />
Kosten beteiligen muss, hängt von den<br />
Umständen des einzelfalls ab. eine<br />
pauschale Beteiligung an den Kosten<br />
ist nicht ausreichend. Der VfSt ermittelt<br />
für seine angeschlossenen Vereine<br />
diesen Kostenanteil rechtssicher und<br />
prozentgenau.<br />
Die Mitglieder der Korporation werden<br />
begünstigt, wenn sie bevorzugt<br />
ein Zimmer erhalten oder nur eine<br />
geringere Miete zu entrichten haben.<br />
Auch dies ist mit dem Gemeinnützigkeitsrecht<br />
nicht vereinbar. Solche Angebote<br />
finden sich jedoch häufig im<br />
Internet auf den Seiten der jeweiligen<br />
Korporationen.<br />
striKte trennung<br />
der orgAnisAtionen<br />
Um hier eine Vermengung der Interessen<br />
des Wohnheimvereins einerseits<br />
und der Korporation andererseits zu<br />
vermeiden, empfiehlt der VfSt eine<br />
strenge Trennung zwischen den organisationen.<br />
Dies fängt bei der Vorstandsbesetzung<br />
an! Die Vereine sollten<br />
unterschiedliche Personen in den<br />
Vorständen haben. Das ergibt sich<br />
schon aus den gegenläufigen Interessen<br />
der Vereine. Während der eine<br />
Verein die Vermieterposition innehat,<br />
ist der andere Verein Mieter. ein entsprechender<br />
Überlassungsvertrag<br />
zwischen den Vereinen könnte durch<br />
ein und dieselbe Person ohnehin nicht<br />
geschlossen werden (Selbstkontrahierungsverbot<br />
§ 181 BGB).<br />
Der zu überblickende rechtliche Bereich<br />
ist umfangreich. Die Vorstände<br />
von Wohnheimvereinen sollten sich der<br />
Risiken bewusst sein und sich entspre-<br />
Verband für Studentenwohnheime e.V.<br />
(www.vfstbonn.de)<br />
chend auf ihr<br />
Vorstandsamt vorbereiten.<br />
Bei der Amtsführung sollte<br />
sich der Vorstand professioneller<br />
Hilfe bedienen. Der VfSt unterstützt<br />
seit über 50 Jahren Wohnheimvereine<br />
in dieser Hinsicht und ist als verlässlicher<br />
Ansprechpartner bekannt.<br />
In letzter Zeit ist einigen Wohnheimvereinen<br />
von Korporationen aufgrund von<br />
steuerlichen Vor-ort-Prüfungen die<br />
Gemeinnützigkeit aberkannt worden.<br />
Die betroffenen Wohnheimvereine<br />
waren nicht im Betreuungsverhältnis<br />
des VfSt. Da der VfSt seinen betreuten<br />
Vereinen neben dem Spendeneinzug<br />
auch be-<br />
„ Der zu überblickende<br />
rechtliche Bereich ist<br />
umfangreich.“<br />
ratend zur<br />
Seite steht<br />
und die einhaltung<br />
der<br />
steuerlichen<br />
Bestimmungen<br />
auch vor ort regelmäßig überprüft,<br />
wird durch den Abschluss eines<br />
Betreuungsverhältnisses zwischen<br />
Wohnheimverein und VfSt das Risiko<br />
für die Vorstände der Wohnheimver-<br />
eine kostengünstig minimiert, eine<br />
aufwändige Wiedererlangung der<br />
Gemeinnützigkeit vermieden. Als<br />
„rechtlicher Puffer“ zwischen (gemeinnützigem)<br />
Wohnheimverein und dem<br />
Fiskus reduziert der Verband für Studentenwohnheime<br />
e.V., Bonn das Risiko<br />
für die ehrenamtlichen Vorstände!<br />
Bei Interesse können sich Wohnheimvorstände<br />
oder auch AHV-Vorstände<br />
an den Verband wenden. Zusätzlich<br />
steht als An-<br />
sprechpartner<br />
für alle<br />
Mitglieder<br />
der <strong>Neue</strong>nDB<br />
Vbr. Michael<br />
Hacker (Alemannia<br />
zu Bonn) zur Verfügung.<br />
Bei entsprechendem Interesse führt<br />
der Verband auch Informationsveranstaltungen<br />
(z.B. für die <strong>Neue</strong>DB)<br />
durch.<br />
KontAKt:<br />
• Rechtsanwalt Michael Röcken (Geschäftsführer VfSt)<br />
0228/650890 oder m.roecken@vfstbonn.de<br />
• Dipl.Kfm. Michael Hacker (1. stv. Vors. VfSt)<br />
0228/676570 oder familie.hackerbonn@tonline.de<br />
• www.vfstbonn.de<br />
42 43<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
GeScHIcHTe<br />
ernest renan:<br />
Was Ist eIne natIon?<br />
Gemeinsam mit Ihnen möchte ich heute eine Idee genauer<br />
beleuchten, die – obwohl sie dem Anschein nach ganz klar zu<br />
sein scheint – doch Anlass zu verhängnisvollen Missverständnissen<br />
gibt.<br />
Die menschliche Gesellschaft existiert in verschiedensten<br />
Ausprägungen: als große Menschenansammlung wie in china,<br />
ägypten oder dem alten Babylonien; als Stadt wie bei den<br />
Athenern und Spartanern; als Vereinigung unterschiedlicher<br />
Länder wie im Karolingischen Reich; als eine Nation wie beispielsweise<br />
Frankreich, england und die meisten anderen freien<br />
Staaten des moder-<br />
nen europas oder als<br />
Konföderation wie etwa<br />
die Schweiz und Amerika<br />
– all diese Formen<br />
existieren noch immer<br />
oder existierten bereits<br />
einmal. Und wenn man<br />
sich nicht in eine missliche<br />
Lage bringen möchte,<br />
sollte man diese<br />
Formen auch nicht miteinander<br />
verwechseln.<br />
Heute begeht man jedoch oftmals einen Fehler, der noch<br />
schwerer wiegt: Man verwechselt Rasse und Nation und<br />
spricht den ethnischen oder besser den sprachlichen<br />
Gruppen eine Souveränität wie die eines Volkes zu.<br />
Versuchen wir also nun gemeinsam, über solch schwierige<br />
Fragen nachzudenken, bei denen schon die geringste<br />
Unklarheit über den Sinn der Worte zu gefährlichen<br />
Irrtümern führen kann. Was wir vorhaben ist delikat. es<br />
ähnelt einer Vivisektion: Wir behandeln die Lebenden<br />
so, wie man gewöhnlich mit Toten umgeht. Und dabei<br />
werden wir völlig kalt und unparteiisch an das Thema<br />
herangehen.<br />
i.<br />
„ Gemeinsam<br />
Großes<br />
vollbracht zu haben<br />
und es noch<br />
voll brin gen zu<br />
wollen – das ist<br />
die wesentliche<br />
Voraussetzung für<br />
ein Volk.“<br />
AUSZUG AUS eINeM VoRTRAG AN DeR SoRBoNNe VoM 11. MäRZ 1882<br />
„ Heute<br />
begeht man<br />
einen noch<br />
schwerwiegenderen<br />
Fehler:<br />
Man verwechselt<br />
Rasse und<br />
Nation.“<br />
Nationen sind in der Geschichte etwas ziemlich <strong>Neue</strong>s.<br />
Das Altertum kannte sie nicht: ägypten, china oder das<br />
alte chaldäa waren in keinster Weise Nationen. es gab<br />
keine ägyptischen Staatsbürger, ebenso wenig wie chinesische.<br />
Athen, Sparta und Sidon waren Zentren von großem<br />
Patriotismus mit jedoch kleinem Territorium. Auch<br />
das Assyrische Reich, das Persische Reich oder das Reich<br />
Alexanders des Großen waren keine Vaterländer.<br />
erst die germanische Völkerwanderung schuf das Prinzip,<br />
das später zur Grundlage einer Nation wurde. Was also<br />
taten die germanischen Völker vor ihren großen Invasionen<br />
im 5. bis zu den letzten normannischen eroberungen im 10.<br />
Jahrhundert? Den Kern der Rassen veränderten sie kaum.<br />
Aber großen Teilen des alten Römischen Westreichs erlegten<br />
sie Dynastien und einen Militäradel auf. Diese Teile des Reiches<br />
trugen fortan die Namen der eindringlinge: Frankreich,<br />
Burgund oder Lombardei.<br />
Der Vertrag von Verdun (aus dem Jahr 843 – Anm. d. Red.)<br />
legte die schließlich geltenden Grenzen fest. Seither sind<br />
Frankreich, Deutschland, england, Italien und Spanien auf<br />
vielen Umwegen und Abenteuern zu ihrer vollen nationalen<br />
existenz aufgebrochen. Doch was macht diese verschiedenen<br />
Staaten nun wirklich aus? es ist die Verschmelzung der<br />
Bevölkerung. In den genannten Ländern entspricht nichts<br />
dem, was man in der Türkei vorfindet: Dort sind Türken, Slawen,<br />
Griechen, Armenier, Araber, Syrer und Kurden auch heute<br />
noch so unterschiedlich wie am Tag der eroberung.<br />
„Frankreich“ wurde zum Namen eines Landes, in das nur eine<br />
kaum wahrnehmbare Minderheit von Franken eingedrungen<br />
war. Im 10. Jahrhundert jedoch waren alle Bewohner Frankreichs<br />
Franzosen. Der Unterschied zwischen Adel und Untertanen<br />
wurde so stark wie möglich betont, doch dieser Unterschied<br />
besteht keinesfalls in der Rasse.<br />
Genauso verlief es nach fast allen normannischen eroberungen.<br />
eine oder zwei Generationen später unterschieden sich<br />
die Normannen nicht mehr von der übrigen Bevölkerung.<br />
Dennoch war ihr Einfluss groß: Sie hatten dem eroberten<br />
„ Eine Nation ist eine Seele,<br />
ein geistiges Prinzip.“<br />
Land Adel, militärische Gewohnheiten und Patriotismus gebracht,<br />
die zuvor nicht vorhanden waren.<br />
es macht das Wesen einer Nation aus, dass alle Individuen<br />
etwas miteinander gemein haben; aber auch, dass sie viele<br />
Dinge vergessen haben. Kein Franzose weiß, ob er Burgunder,<br />
Alane oder Westgote ist. es gibt in Frankreich keine zehn<br />
Familien, die ihre fränkische Herkunft beweisen können, und<br />
auch wenn sie dazu in der Lage wären, wäre dieser Beweis<br />
wegen jener vielen unbekannten Kreuzungen unvollständig,<br />
die jedes genealogische System durcheinanderbringen.<br />
Die moderne Nation ist also das historische ergebnis einer<br />
Reihe von Tatsachen, die in dieselbe Richtung weisen. Mal<br />
wurde die einheit durch eine Dynastie verwirklicht, wie im<br />
Falle Frankreichs, mal durch den Willen der Provinzen, wie<br />
im Falle Hollands, der Schweiz und Belgiens, und mal durch<br />
einen Geist, der erst spät über die Launen des Feudalwesens<br />
triumphierte, wie im Falle Italiens und Deutschlands.<br />
Doch was ist eine Nation? Warum ist Holland eine Nation, Hannover<br />
oder das Großherzogtum Parma sind es jedoch nicht? Wie<br />
kommt es, dass Frankreich noch immer eine Nation ist, obwohl<br />
das Prinzip, welches sie erst entstehen ließ, längst verschwunden<br />
ist? Wie kommt es, dass die Schweiz mit drei Sprachen, zwei<br />
Religionen und drei oder vier Rassen eine Nation ist, während<br />
beispielsweise die homogene Toskana keine ist? Warum ist Österreich<br />
ein Staat, aber keine Nation? Worin unterscheidet sich<br />
das Nationalitätenprinzip von dem Prinzip der Rasse?<br />
44 45<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
ii.<br />
Man muss sich eingestehen, dass eine Nation ohne dynastisches<br />
Prinzip bestehen kann. Das alte Prinzip, das nur das<br />
Recht der Fürsten kannte, gilt nicht mehr: Jenseits des Fürstenrechts<br />
gibt es das Völkerrecht. Doch auf welchem Kriterium<br />
fußt es, an welchem Zeichen ist es zu erkennen, von welchen<br />
Tatsachen abzuleiten?<br />
1. „Von der Rasse“, antworten viele mit Bestimmtheit. Diese<br />
begründe nämlich ein Recht, eine Legitimität. Doch dabei<br />
handelt es sich um einen schwerwiegenden Irrtum.<br />
Versetzen wir uns in das Römische Reich hinein. Zunächst<br />
von Gewalt geformt, dann von Interessen zusammengehalten,<br />
fügte diese Ansammlung von völlig verschiedenen<br />
Städten und Provinzen der Idee der Rasse einen schweren<br />
Schlag zu. Das christentum mit seinem Universalismus<br />
wirkt noch stärker in diese Richtung. entgegen allem Anschein<br />
war der einfall der Barbaren ein weiterer Schritt auf<br />
diesem Weg. Die barbarischen Reiche haben keine ethnografische<br />
Gemeinsamkeit; sie sind abhängig von Stärke<br />
oder Laune der eindringlinge. Die Rasse der von ihnen<br />
unterworfenen Bevölkerung war für sie die gleichgültigste<br />
Sache der Welt. Karl der Große schuf auf seine Weise noch<br />
ein zweites Mal, was Rom bereits geschaffen hatte: ein einziges,<br />
aus den verschiedensten Rassen bestehendes Reich.<br />
Auch im weiteren Mittelalter waren die Grenzverschiebungen<br />
genauso frei von jedem ethnografischen Einfluss.<br />
Frankreich ist keltisch, iberisch, germanisch. Deutschland<br />
ist germanisch, keltisch und slawisch. Und Italien ist das<br />
Land mit der verwirrendsten Ethnografie: Gallier, Etrusker,<br />
Pelasger, Griechen, nicht zu sprechen von einer Reihe anderer<br />
elemente, verbinden sich dort zu einem unentwirrbaren<br />
Geflecht. Britannien weist eine Mischung aus keltischem<br />
und germanischem Blut auf, dessen Anteile ungeheuer<br />
schwer zu bestimmen sind.<br />
Die Wahrheit ist, dass es keine reine Rasse gibt und dass<br />
die Politik einem Trugbild aufsitzt, wenn sie sich auf eine<br />
ethnografische Analyse beruft. Die edelsten sind Länder<br />
wie england, Frankreich oder Italien, in denen das Blut am<br />
stärksten gemischt ist. Ist Deutschland in dieser Hinsicht<br />
eine Ausnahme? Ist es ein rein germanisches Land? Welche<br />
Illusion! Der gesamte Süden war einst gallisch, der ganze<br />
osten, von der elbe an, ist slawisch. Und sind die Teile, die<br />
angeblich rein sind, das wirklich?
Man hat nicht das Recht, in der Welt umherzugehen und<br />
die Schädel der Leute auszumessen, um sie dann beim<br />
Kragen zu packen und ihnen zu sagen: „Du bist unser Blut.<br />
Du gehörst zu uns!“ Jenseits der anthropologischen Merkmale<br />
gibt es die Vernunft, die Gerechtigkeit, das Wahre<br />
und das Schöne, die für alle dieselben sind. Bedenken<br />
Sie, dass eine ethnografische Politik nicht verlässlich sein<br />
kann. Heute setzt Ihr sie gegen andere ein, morgen werdet<br />
Ihr erleben, dass sie sich gegen euch selbst wendet.<br />
Ist es sicher, dass die <strong>Deutsche</strong>n, die die Flagge der ethnografie<br />
so hoch gehisst haben, nicht eines Tages miterleben<br />
werden, wie die Slawen die Spuren der Wilzen und<br />
der obodriten erkunden und Rechenschaft fordern für die<br />
Gemetzel und massenhaften Verkäufe, die ihren Ahnen<br />
von den ottonen angetan wurden? es ist für alle gut, vergessen<br />
zu können.<br />
2. Was wir über die Rasse gesagt haben, trifft auch auf die<br />
Sprache zu. Sie lädt dazu ein, sich zu vereinen, aber zwingt<br />
niemanden dazu. Die Vereinigten Staaten und england<br />
oder das spanische Amerika und Spanien sprechen jeweils<br />
dieselben Sprachen. Sie bil-<br />
„ Ist Deutschland ein rein<br />
germanisches Land?<br />
Welche Illusion!“<br />
den dennoch keine Nation.<br />
Im Gegenteil: Die Schweiz,<br />
die so wohlgelungen ist, weil<br />
sie einst durch Übereinkunft<br />
ihrer verschiedenen Teile entstand, zählt drei oder vier<br />
Sprachen. Beim Menschen gibt es etwas, was der Sprache<br />
übergeordnet ist: der Wille. Der Wille der Schweiz, trotz<br />
der Vielfalt der Sprachen eine einheit zu bilden, ist eine viel<br />
bedeutsamere Tatsache als eine oft nur mühsam erlangte<br />
ähnlichkeit.<br />
Die politische Bedeutung, die man den Sprachen beimisst,<br />
ergibt sich daraus, dass man sie als Zeichen der Rasse ansieht.<br />
Doch das ist eindeutig falsch! In Preußen, wo heute<br />
nur noch Deutsch gesprochen wird, herrschte noch vor<br />
ein paar Jahrhunderten das Slawische vor; das Land der<br />
Gallier spricht englisch; Gallien und Spanien sprechen die<br />
ursprüngliche Sprache der Alba Longa; ägypten spricht<br />
Arabisch – die Beispiele sind nicht zu zählen.<br />
Wiederholen wir es noch einmal: Die Grenzen der indoeuropäischen,<br />
der semitischen und der anderen Sprachen,<br />
die die vergleichende Sprachwissenschaft mit so bewundernswertem<br />
Scharfsinn ausmachte, decken sich nicht<br />
mit den einteilungen der Anthropologie. Sprachen sind<br />
historische Gebilde, die wenig über das Blut derer aussagen,<br />
die sie sprechen. Jedenfalls sollten sie die menschliche<br />
Freiheit nicht fesseln, wenn es darum geht, jene<br />
Gemeinschaft zu bestimmen, mit der man sich auf Leben<br />
oder Tod verbindet.<br />
3. Auch die Religion bietet keine hinreichende Basis für eine<br />
moderne Nation. es gibt keine Staatsreligion mehr, man<br />
kann Franzose, engländer oder <strong>Deutsche</strong>r sein und dabei<br />
Katholik, Protestant oder Israelit oder sich aber gar keiner<br />
Religion zugehörig fühlen. Die Religion ist zur Angelegenheit<br />
des einzelnen geworden, sie geht nur das eigene Gewissen<br />
an. Mit den Gründen, nach denen die Grenzen der<br />
Völker gezogen werden, hat sie fast nichts mehr zu tun.<br />
4. Die Gemeinschaft der Interessen ist sicherlich ein starkes<br />
Band zwischen den Menschen. Doch reichen Interessen<br />
aus, um eine Nation zu bilden? Ich glaube nicht. Die Gemeinschaft<br />
der Interessen schließt Handelsverträge. Die<br />
Nationalität jedoch hat eine Gefühlsseite, sie ist Seele und<br />
Körper zugleich. ein Zollverein ist kein Vaterland.<br />
5. Die Geografie, also das, was man die „natürlichen Grenzen“<br />
nennt, hat ohne Zweifel einen großen Anteil an der<br />
einteilung der Nationen. Sie ist einer der wesentlichen Faktoren<br />
der Geschichte dafür. Aber kann man glauben, dass<br />
die Grenzen einer Nation auf der Karte eingetragen sind?<br />
Und dass eine Nation das Recht hat, gewisse Konturen zu<br />
begradigen, etwa an dieses Gebirge heranzurücken oder<br />
an jenen Fluss, dem man eine begren-<br />
zende Kraft zuspricht? Ich kenne keine<br />
willkürlichere, keine verhängnisvollere<br />
Theorie. Mit ihr lässt sich jede Gewalt<br />
rechtfertigen.<br />
es ist auch nicht der Boden, der eine Nation ausmacht.<br />
eine Nation ist ein geistiges Prinzip, das aus tiefen Verwicklungen<br />
der Geschichte hervorgeht, eine geistige Familie.<br />
Nicht jedoch eine Gruppe, die von der Gestalt des<br />
Bodens bestimmt wird.<br />
Wir haben gesehen, dass folgende Faktoren nicht genügen,<br />
ein solches geistiges Prinzip zu schaffen: die Rasse, die Sprache,<br />
die Interessen, die religiöse Verwandtschaft, die Geografie<br />
und die militärischen Notwendigkeiten. Was also braucht<br />
es mehr? Nach dem bisher Gesagten brauche ich Ihre Aufmerksamkeit<br />
nun nicht mehr lange in Anspruch zu nehmen.<br />
iii.<br />
eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip. Zwei Dinge,<br />
die in Wahrheit eine einheit bilden, machen diese Seele, dieses<br />
geistige Prinzip aus. eines davon gehört der Vergangenheit<br />
an, das andere der Gegenwart. Beim einen handelt es sich<br />
um den gemeinsamen Besitz eines reichen erbes an erinnerungen.<br />
Beim anderen um das gegenwärtige einvernehmen,<br />
den Wunsch zusammenzuleben, den Willen, das erbe hochzuhalten,<br />
welches man ungeteilt empfangen hat.<br />
Wie der einzelne, so ist auch die Nation der endpunkt einer<br />
langen Vergangenheit von Anstrengungen, von opfern und<br />
von Hingabe. Die Verehrung der Ahnen ist von allen Kulten am<br />
legitimsten. Die Ahnen haben uns zu dem gemacht, was wir<br />
sind. eine heroische Vergangenheit, große<br />
Männer, Ruhm (ich meine den wahren<br />
Ruhm) – das ist das Kapital, worauf<br />
eine nationale Idee gründet. Gemeinsamer<br />
Ruhm in der Vergangenheit, ein<br />
gemeinsames Wollen in der Gegenwart,<br />
gemeinsam Großes vollbracht zu haben<br />
und es noch vollbringen zu wollen – das<br />
sind die wesentlichen Voraussetzungen<br />
für ein Volk. Man liebt – bis zu einem<br />
gewissen Maße – die opfer, die man<br />
gebracht hat, die Übel, die man erlitten<br />
hat. Man liebt das Haus, das man<br />
gebaut hat und das man vererbt. Das<br />
spartanische Lied: „Wir sind, was ihr<br />
gewesen seid; wir werden sein, was ihr<br />
seid“, ist in seiner einfachheit die kurzgefasste<br />
Hymne jedes Vaterlandes.<br />
In der Vergangenheit ein gemeinsames<br />
erbe von Ruhm und von Reue erlangt zu<br />
haben, gemeinsam gelitten, sich gefreut,<br />
gehofft zu haben und in der Zukunft ein<br />
gemeinsames Ziel zu verwirklichen –<br />
das ist mehr wert als gemeinsame Zölle<br />
und Grenzen. Das sind Dinge, die man<br />
ungeachtet der Unterschiede von Rasse<br />
und Sprache versteht. Ich habe soeben<br />
gesagt: „Gemeinsam gelitten zu haben“.<br />
Ja, das gemeinsame Leiden eint mehr<br />
als die Freude. Die nationalen erinnerungen<br />
und die Trauer wiegen mehr als<br />
die Triumphe, denn aus ihnen erwachsen<br />
Pflichten, sie erfordern gemeinsame<br />
Anstrengungen.<br />
eine Nation ist also eine<br />
große Solidargemeinschaft,<br />
getragen von<br />
dem Gefühl der opfer,<br />
die man gebracht<br />
hat, und der opfer, die<br />
man noch zu bringen gewillt ist. Sie<br />
setzt eine Vergangenheit voraus, aber<br />
trotzdem ist sie in der Gegenwart in<br />
etwas Greifbarem zusammengefasst:<br />
der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen<br />
Wunsch, das gemeinsame<br />
Leben fortzusetzen. Das Dasein einer<br />
Nation ist – erlauben Sie mir dieses<br />
Bild – ein tägliches Plebiszit, wie das<br />
Dasein des einzelnen eine andauernde<br />
Behauptung des Lebens ist.<br />
Die Nationen sind nichts ewiges. Sie<br />
haben einen Anfang, sie werden unwillkürlich<br />
auch einmal enden. Die europäische<br />
Konföderation wird sie wahrscheinlich<br />
ablösen. Aber das ist nicht<br />
das Gebot des Jahrhunderts, in dem<br />
wir leben. Gegenwärtig ist die existenz<br />
der Nationen gut, sogar notwendig.<br />
Ihre existenz ist nämlich die Garantie<br />
der Freiheit, die verloren wäre, wenn<br />
die Welt nur ein einziges<br />
Gesetz und einen einzigen<br />
Herrn hätte.<br />
Mit ihren verschiedenen<br />
Fähigkeiten, die einander<br />
oft sogar entgegengesetzt<br />
sind, dienen die<br />
Nationen dem gemeinsamen Werk der<br />
Zivilisation. Alle tragen zu dem großen<br />
Konzert der Menschheit eine Note bei,<br />
das als Ganzes die höchste ideale Realität<br />
ist, an die wir heranreichen.<br />
Ich fasse zusammen: Der Mensch ist<br />
weder der Sklave seiner Rasse, sei-<br />
Ernest Renan (1823–1892) war ein französischer Schriftsteller, Historiker<br />
und Religionswissenschaftler. Er schuf 1882 mit seinem Vortrag „Was ist<br />
eine Nation?“ („Qu‘estce qu‘une nation?“) an der Pariser Sorbonne einen<br />
Klassiker des politischen Denkens. In seiner Jugend begeisterte sich Renan<br />
für den deutschen Idealismus. Doch während Autoren wie Fichte die Nation<br />
durch Rasse, Kultur oder Sprache definieren, steht für Renan das Bewusstsein<br />
eines Volkes im Vordergrund, „gemeinsam Großes vollbracht zu haben<br />
und es noch vollbringen zu wollen“.<br />
ner Sprache, seiner Religion noch des<br />
Laufs der Flüsse oder der Richtung der<br />
Gebirgsketten. eine große Ansammlung<br />
von Menschen gesunden Geistes<br />
und warmen Herzens ruft ein Moralbewusstsein<br />
hervor, das sich Nation<br />
nennt. In dem Maße, wie dieses Moralbewusstsein<br />
seine Kraft beweist, durch<br />
die opfer, die der Verzicht des einzelnen<br />
zugunsten der Gemeinschaft fordert,<br />
ist die Nation legitim, hat sie ein<br />
Recht zu bestehen. Wenn sich Zweifel<br />
am Verlauf ihrer Grenzen regen, dann<br />
soll die Bevölkerung selbst befragt<br />
werden. Sie hat durchaus das Recht,<br />
darüber zu urteilen. Das mögen jene<br />
vielleicht belächeln, die über der Politik<br />
stehen, jene Unfehlbaren, die von<br />
der Höhe ihrer erhabenen Prinzipien<br />
mitleidig auf unsere Bodenständigkeit<br />
herabsehen. „Das Volk befragen, welche<br />
Dummheit! Das sind jene schwächlichen,<br />
französischen Ideen, die die<br />
Diplomatie und den Krieg durch eine<br />
kindliche Vereinfachung ersetzen<br />
wollen.“ Warten wir es ab, lassen wir<br />
die Herrschaft dieser Metapolitiker<br />
vorübergehen, ertragen wir die Geringschätzung<br />
der Starken. Vielleicht<br />
wird man nach fruchtlosen Versuchen<br />
auf unsere maßvollen empirischen Lösungen<br />
zurückkommen. Wenn man in<br />
der Zukunft Recht behalten will, dann<br />
muss man sich manchmal damit abfinden,<br />
dass man aus der Mode ist.<br />
46 47<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
„ Die<br />
Nationen sind nichts<br />
Ewiges. Die europäische<br />
Konföderation wird sie<br />
wahrscheinlich ablösen.“<br />
„ Wenn man in der Zukunft<br />
Recht behalten will, dann<br />
muss man sich manchmal<br />
damit abfinden, dass man<br />
aus der Mode ist.“<br />
Ernest Renan (1823–1892)
GeScHIcHTe<br />
von arnuLf BauMann<br />
<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1951)<br />
Aus unseren reihen:<br />
„KaIser“ und Gelehrter<br />
Karl Von hase (1800–1890)<br />
„ Dann holte ihn die Demagogenverfolgung<br />
ein – seine ‚Kaiserzeit’<br />
war vorüber.“<br />
Karl August (seit 1883: von) Hase gehörte zu den führenden<br />
Köpfen der frühen <strong>Burschenschaft</strong> und hat<br />
auch in seinem späteren Berufsleben Bedeutendes<br />
geleistet; er wurde eine Leuchte der Universität Jena.<br />
Hase stammte aus einer alten Pastoren und Gelehrtenfamilie<br />
des sächsischthüringischen Raums. Geboren wurde<br />
er am 25. August 1800 im Pfarrhaus von (Nieder)Steinach<br />
bei Penig im Erzgebirge, schon im dritten Lebensjahr<br />
verlor er seinen Vater. Danach wurden Hase und seine<br />
Geschwister auf verschiedene Familien aufgeteilt. Unter<br />
bescheidenen äußeren Umständen – er musste mehrfach<br />
den Wohnort wechseln – durchlief er die Schulzeit. Er entwickelte<br />
dadurch seine Fähigkeiten zur Anpassung an veränderte<br />
Umstände und im Umgang mit Menschen. Früh<br />
zeigte sich auch Hases rednerische und schriftstellerische<br />
Begabung, er verließ das Gymnasium in Altenburg als Primus.<br />
In seinen Berufsplänen schwankte er zunächst zwischen<br />
Jura, Theologie und Schriftstellerei.<br />
in der LeiPziger burschenschAft<br />
Im Herbst 1818 kam Hase zum Studium nach Leipzig, wo er sich<br />
nach kurzem Zögern in Theologie einschrieb. Dem Vorbild älterer<br />
Schulfreunde folgend, trat er in die <strong>Burschenschaft</strong> ein, die damals<br />
mehrere hundert Studenten umfasste. Wegen Mittellosigkeit<br />
musste er zwar wieder austreten, hielt jedoch weiter Kontakt.<br />
Nach einem Jahr wieder eingetreten, wurde er in den Vorstand<br />
gewählt. Dort griff er den Gedanken eines allgemeinen Burschentages<br />
auf und machte sich selbst auf die Wanderschaft, um die<br />
<strong>Burschenschaft</strong>en in erlangen, Tübingen, Heidelberg, Bonn,<br />
Würzburg, Jena und Berlin einzuladen und weitere einladungen<br />
weiterzugeben. Der Dresdner Burschentag kam 1820, als<br />
gesellige Zusammenkunft getarnt, mitten in der Stadt zusammen<br />
und dauerte sechs Tage. Es war das erste Treffen der<br />
<strong>Burschenschaft</strong>er nach dem Wartburgfest. Dabei wurde die<br />
enthaltung von aktiver politischer Betätigung als gemeinsame<br />
Linie festgelegt.<br />
1820 Sprecher geworden, hatte er Verhandlungen mit den<br />
wieder erstandenen Landsmannschaften (corps) zu führen,<br />
die mit einem Abkommen zur eindämmung der Duelle endeten.<br />
Die Verbindungen lebten damals in Leipzig ziemlich<br />
offen, doch erreichten die Karlsbader Beschlüsse von 1819<br />
gegen die <strong>Burschenschaft</strong>en schließlich auch diese Universität.<br />
Hase wurde wegen Beteiligung am Dresdner Burschentag<br />
verhaftet und nach einiger Zeit im Karzer 1821<br />
zum Verlassen der Universität genötigt.<br />
studium in erLAngen<br />
Hase wandte sich nach erlangen, seiner Gewohnheit nach<br />
wieder zu Fuß, und trat der dortigen <strong>Burschenschaft</strong> bei,<br />
übernahm allerdings zunächst kein Amt, um sein Studium zu<br />
intensivieren. Er war nämlich der Auffassung, dass Studentenleben<br />
und ernsthaftes Studium sich nicht ausschließen<br />
dürfen. Ganz konnte er sich aber auch hier nicht entziehen.<br />
Als es zu Verhandlungen mit den corps kam, war er beteiligt;<br />
diese führten zwar zu keinem Abkommen, aber zu einem<br />
besseren Umgang miteinander. Beim zweiten Allgemeinen<br />
Burschentag in Streitberg in der Fränkischen Schweiz<br />
nahm er als Abgesandter der erlanger <strong>Burschenschaft</strong> teil.<br />
Außerdem wurde er in einen Geheimbund, den sogenannten<br />
„Jünglingsbund“, aufgenommen, der für eine änderung<br />
der politischen Verhältnisse in Deutschland eintreten sollte.<br />
Hase sprach sich allerdings gegen jede Gewaltanwendung<br />
aus, wurde aber von nun an als Mitglied betrachtet, was<br />
sich später als verhängnisvoll erweisen sollte.<br />
KAiserfAhrt nAch bubenreuth<br />
Welch geachtete Stellung Hase mittlerweile in der erlanger<br />
<strong>Burschenschaft</strong> gewonnen hatte, wurde bei einem Ausflug<br />
in die alte Reichsstadt Nürnberg deutlich, wo er angesichts<br />
der mittelalterlichen Pracht dieser Stadt von den sieben<br />
Mitfahrern, den „Kurfürsten“, zum „Kaiser“ gewählt wurde.<br />
In seinen 1872 erschienenen Jugenderinnerungen „Ideale<br />
und Irrtümer“ bezeichnete er dies – nicht ohne Stolz – als<br />
einen „langathmigen Scherz“, der sich mit „Krönungsfesten,<br />
Reichstagen und Revolutionen“ über längere Zeit hinzog.<br />
Zum Höhepunkt wurde im Februar 1822 eine große Schlittenfahrt<br />
nach Bubenreuth, dem alten Versammlungsort<br />
Hase stammte aus einer alten Pastoren und<br />
Gelehrtenfamilie.<br />
der erlanger <strong>Burschenschaft</strong>er. Mithilfe von Kostümen aus<br />
dem Theaterfundus und anderen Quellen wurde ein Fastnachtsspiel<br />
mit großem Hofstaat inszeniert, das den Glanz<br />
des Heiligen Römischen Reiches <strong>Deutsche</strong>r Nation mit viel<br />
Witz und doch auch tiefem ernst zur Anschauung brachte,<br />
präsidiert von Hase als „Kaiser Karl der Rothbart“. Hier wurden<br />
die burschenschaftlichen Träume einer Wiederherstellung<br />
des Reichs in romantischer Weise in Szene gesetzt, was<br />
nicht nur bei den Teilnehmern selbst, sondern auch unter<br />
der erlanger Bevölkerung noch lange als außerordentliches<br />
ereignis in erinnerung blieb.<br />
Als bald danach Schlägereien zwischen Studenten und<br />
Handwerksburschen ausbrachen und die Studenten daraufhin<br />
fast vollständig in die alte Nürnberger Universitätsstadt<br />
Altdorf auszogen, war es wieder Hase, der zusammen mit<br />
anderen die Verhandlungen mit dem Universitätssenat über<br />
eine ehrenvolle Rückkehr der Studenten nach erlangen erfolgreich<br />
zum Abschluss brachte und den Zug der Rückkehrer<br />
mit anführte. Hase war eine weithin bekannte Persönlichkeit<br />
geworden.<br />
Dann holte ihn erneut die Demagogenverfolgung ein. Wegen<br />
Beteiligung am Dresdner Burschentag und dem Verdacht,<br />
an der Spitze der <strong>Burschenschaft</strong> gestanden zu haben, wurde<br />
er im August 1822 auch in erlangen der Universität verwiesen.<br />
er konnte noch seinen kaiserlichen Hofstaat feierlich<br />
entlassen und wurde mit einem festlichen Geleit der Studenten<br />
verabschiedet – die „Kaiserzeit“ war vorüber.<br />
48 49<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
PrivAtdozent in tübingen<br />
– ALs „hochverräter“ Auf<br />
dem hohenAsPerg<br />
Die akademische Verfolgung schien<br />
seine Laufbahn zunächst nicht zu stören.<br />
Hase machte sein theologisches<br />
examen in Dresden und wandte sich<br />
danach – auf einer Fußreise – nach<br />
Tübingen, weil ihm die damals übliche<br />
Hauslehrertätigkeit bis zum Antritt der<br />
ersten Pfarrstelle nicht zusagte. In Tübingen<br />
wurde er ohne Schwierigkeiten<br />
promoviert und begann eine akademische<br />
Tätigkeit als Privatdozent. Seinen<br />
Lebensunterhalt verdiente Hase sich mit<br />
der Schriftstellerei. erste Vorlesungen<br />
hielt er über den Hebräerbrief und das<br />
Leben Jesu.<br />
Daraus hätte eine Professorenlaufbahn<br />
entstehen können. Doch setzte wieder<br />
eine Untersuchung wegen seiner Mitwirkung<br />
am Streitberger Burschentag ein,<br />
die 1824 vor allem auf seine Zugehörigkeit<br />
zum „Jünglingsbund“ konzentriert<br />
wurde, der von der Mainzer Untersuchungskommission<br />
für besonders staats-<br />
„ Hase hatte stets seine<br />
gewaltfreie Position<br />
betont, aber sich<br />
standhaft geweigert,<br />
Mitverschwörer zu<br />
nennen.“<br />
gefährlich gehalten wurde, obgleich er<br />
zu keiner Zeit irgendwelche Aktivität<br />
entfaltet hatte. Hase wurde im württembergischen<br />
Staatsgefängnis Hohenasperg<br />
bei Ludwigsburg eingekerkert und<br />
schließlich zu zwei Jahren Festungshaft<br />
verurteilt. er hatte stets seine gewaltfreie<br />
Position betont, aber sich standhaft<br />
geweigert, Mitverschwörer zu nennen.<br />
er akzeptierte das Urteil, reichte<br />
aber gleichzeitig ein Gnadengesuch ein,<br />
in dem er seine friedlichen Absichten<br />
betonte. erst im August 1825 wurde er<br />
nach über einem Jahr nicht allzu schwerer<br />
Haft begnadigt, zugleich aber aus<br />
Württemberg ausgewiesen.<br />
über LeiPzig<br />
nAch JenA<br />
Anschließend kehrte<br />
Hase wieder nach Leipzig<br />
zurück und begann,<br />
sich in das dortige Universitätslebeneinzufügen.<br />
Nach einer feierlichen<br />
Disputation 1827<br />
konnte er hier wieder als<br />
Privatdozent tätig sein –<br />
bis er am 25. Juni 1829<br />
als außerordentlicher<br />
Professor der Theologie<br />
nach Jena berufen wurde,<br />
wo er von da an seine<br />
Wirkungsstätte hatte, ab<br />
1836 dann als ordentlicher<br />
Professor.<br />
Hase besaß die Gabe,<br />
komplizierte Sachverhalte übersichtlich<br />
und eingängig darzustellen, und<br />
er wusste zu repräsentieren. Bereits<br />
1838 war er zum ersten Mal Prorektor<br />
der Universität Jena und wurde es danach<br />
noch vier Mal. er betätigte sich<br />
auf vielen Gebieten der Theologie,<br />
vor allem aber in der Kirchengeschichte<br />
und in der Darstellung des<br />
Lebens Jesu. Die Gesamtausgabe<br />
seiner wissenschaftlichen Werke<br />
umfasst zwölf Bände. Hinzu kamen<br />
Gelegenheitsschriften unterschiedlicher<br />
Art, von Reiseberichten aus<br />
Italien über Schriften über politische<br />
und kirchenpolitische Tagesfragen<br />
(vor allem im Gefolge des Jahres<br />
1848, im „großdeutschen“ Sinne) bis<br />
hin zu einem „Liederbuch des deutschen<br />
Volkes“.<br />
Hase war einer der bekanntesten<br />
Theologen seiner Zeit, gehörte jedoch<br />
keiner bestimmten Richtung an und<br />
begründete auch selbst keine Schule.<br />
er blieb zeitlebens der freiheitlichen<br />
Grundstimmung seiner Jugendjahre<br />
verpflichtet und vertrat diese innerhalb<br />
von Kirche und Wissenschaft.<br />
Jedoch machte er wie weite Kreise des<br />
damaligen Bürgertums seinen Frieden<br />
mit der Reichsgründung von 1871.<br />
Hase wurde 1883 zum Wirklichen Geheimen<br />
Rat ernannt und in den Adelsstand erhoben.<br />
Die stärkste Wirkung erzielte Hase<br />
durch seine „Kirchengeschichte“, die zu<br />
seinen Lebzeiten elf Auflagen erreichte,<br />
und seine „Geschichte Jesu“, die<br />
ähnlich erfolgreich war. Hinzu kommt<br />
sein „Handbuch der protestantischen<br />
Polemik gegenüber der römisch-katholischen<br />
Kirche“, das trotz seines kämpferischen<br />
Titels ein „Buch des Friedens“<br />
war. Heute sind seine Werke allerdings<br />
weithin vergessen.<br />
Hase wurden als einem der bedeutendsten<br />
Repräsentanten seiner Universität<br />
zahlreiche ehrungen zuteil; er erhielt ehrendoktoren<br />
theologischer, philosophischer<br />
und juristischer Fakultäten, wurde<br />
Jenaer ehrenbürger, wurde geadelt und<br />
zu seinem 100. Geburtstag wurde ihm<br />
ein Denkmal errichtet.<br />
Zu den <strong>Burschenschaft</strong>en und anderen<br />
Verbindungen seiner Universität<br />
pflegte Hase ein gleichmäßig korrektes<br />
Verhältnis. Jedoch nahm er 1886 das<br />
ehrenphilisterium der <strong>Burschenschaft</strong><br />
der Bubenreuther an.<br />
Die freiheitliche Tradition blieb in seiner<br />
Familie lebendig. Sein enkel Paul von<br />
Hase nahm als Stadtkommandant von<br />
Berlin Anteil am Attentat des 20. Juli<br />
1944 und wurde am 8. August 1944 in<br />
Berlin-Plötzensee hingerichtet.<br />
rezension zur<br />
Biografie von Horst Baier<br />
Als engagierter <strong>Burschenschaft</strong>er<br />
lässt sich der emeritierte<br />
ordinarius für Soziologie an<br />
der Universität Konstanz, Horst Baier,<br />
in seinen erinnerungen erkennen.<br />
Sie erschienen jüngst unter dem Titel<br />
„Lebensstationen unter den Forderungen<br />
des Tages“. Dabei kann Baier als<br />
Zeitzeuge der Geschichte der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Burschenschaft</strong> von 1953 bis<br />
heute viele Details schildern. Nach<br />
dem Abitur in Nürnberg trat er im<br />
Sommersemester 1953 in die erlanger<br />
<strong>Burschenschaft</strong> Germania ein. Schon<br />
als Schüler, so bekennt der Autor,<br />
habe er im Geschichtsunterricht von<br />
der Gründung der Urburschenschaft<br />
und vom Wartburgfest 1817 gehört<br />
und sei stolz auf das Hambacher Fest<br />
gewesen, bei dem am 27. Mai 1832<br />
erstmals die schwarz-rot-goldene Fahne<br />
als Symbol einer demokratischen<br />
Republik gehisst wurde.<br />
bitterer streit<br />
mit dem vAter<br />
ein Klassenkamerad, bei den Bubenreuthern<br />
aktiv, nahm Baier mit zur<br />
Samstag-Kneipe in Bubenreuth, aber<br />
angetan hatte es Baier das germanistische<br />
contra das arministische Prinzip.<br />
Seinem eintritt in die Germania gingen<br />
bittere Streitigkeiten mit dem Vater<br />
voraus, „der entschieden gegen die<br />
national-liberale <strong>Burschenschaft</strong> eingestellt<br />
war“ (S. 88). „Der junge Germane<br />
war ein eifriger Fux, dem man<br />
den Namen ‚Super’ verpasste […]. Die<br />
Zeit des Fuxen und des Jungburschen<br />
war die schönste seines Lebens, nur<br />
vergleichbar der zukunftsfrohen Brautzeit<br />
[…]“(S. 89). Als Sprecher zweier<br />
VoN hans peter schMidt<br />
<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1952)<br />
und alemannia Bonn<br />
aufeinanderfolgender Semester konnte<br />
er 24 Füxe aufnehmen und daran<br />
mitwirken, dass das von Amerikanern<br />
besetzte und anschließend vom Dekanat<br />
der Juristischen Fakultät erlangens<br />
benutzte Germanenhaus wieder an die<br />
eigentlichen Besitzer zurückging.<br />
An den Zitaten kann man erkennen,<br />
dass Baier seine erinnerungen in der<br />
dritten Person niederschreibt. Meistens<br />
wählt er dafür das Personalpronomen<br />
„er“. Lediglich im Kapitel mit<br />
dem Titel „Professoren“, das seine bedeutende<br />
wissenschaftliche Laufbahn<br />
und seine speziellen Arbeitsgebiete<br />
schildert sowie den Dank an seine akademischen<br />
Lehrer und Wegbegleiter<br />
beinhaltet, spricht er von sich selbst<br />
als „Horst Baier“ und meidet so auch<br />
dort das „Ich“.<br />
bittere trennung von<br />
der germAniA nAch<br />
südtiroLAffäre<br />
In die am ende höchst erfolgreiche<br />
akademische Laufbahn startete Horst<br />
Baier mit dem Studium der Juristerei,<br />
wechselte aber schon nach einem Semester<br />
zu Medizin und Philosophie.<br />
Nach dem Physikum in erlangen wechselte<br />
er die Universität und ging nach<br />
München. Dort „überraschte ihn die<br />
Nachricht, dass sein Bund, die erlanger<br />
Germania, ‘Sprengstoffanschläge<br />
zur Befreiung Südtirols vom italienischen<br />
Joch vorbereitete‘“ (S. 93).<br />
Die damit verbundenen ereignisse bei<br />
den Germanen und in der <strong>Burschenschaft</strong><br />
insgesamt schildert der Autor<br />
ausführlich. Heute erinnern sich wohl<br />
nur noch Zeitzeugen wie Baier an<br />
die Tirolaffäre. Er schreibt: „Bei der<br />
50 51<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />
ReZeNSIoN<br />
„ Die Zeit des<br />
Fuxen und des<br />
Jungburschen<br />
war die schönste<br />
seines Lebens.“
Germania brach ein Aufstand los“.<br />
eine Abspaltung war die Folge. Fünf<br />
oder sechs Germanen gründeten die<br />
„Sieglitzhofer Germania“ (Sieglitzhof,<br />
ursprünglich eine selbstständige Gemeinde,<br />
ist ein Stadtteil erlangens mit<br />
der historischen exkneipe der Germanen).<br />
Unter ihnen war Horst Baier.<br />
Wie tief ihn die Trennung von der Germania<br />
traf, beschreibt der Konstanzer<br />
Hochschullehrer Baier so: „Unter seinen<br />
Studenten verwand er allmählich<br />
die erlittene enttäuschung und den<br />
Schmerz des nötigen Abschieds von<br />
der erlanger Germania, die so würdelos<br />
die Folgen der Südtirolaffaire aus<br />
ihrer Verantwortung weggeschoben<br />
hatte“ (S. 99).<br />
„Die Südtirolaffaire verfolgte den jungen<br />
Mann bis in seine wissenschaftliche<br />
Laufbahn“ (S. 96). Weiter im Zitat<br />
an gleicher Stelle: „Als der eben Habilitierte<br />
einen Ruf auf den Adorno-<br />
Lehrstuhl in Frankfurt bekam, las er zu<br />
seinem entsetzen bösartige Darstellungen<br />
in Zeitungen über dessen Rolle<br />
im Kampf um Südtirol“. Damit sind wir<br />
bei den wissenschaftlichen Lebensstationen<br />
Horst Baiers. Nach dem medizinischen<br />
examen und der Promotion in<br />
München zog es ihn immer stärker zur<br />
Philosophie, die ihn schon als Schüler<br />
beschäftigt hatte. orientierung suchte<br />
er auch bei Martin Heidegger. Die<br />
Entscheidung fiel für die Soziologie.<br />
Danach folgte die Habilitation in diesem<br />
Fach in Münster. Die nächste Station<br />
war Dortmund, wo Baier an der<br />
Sozialforschungsstelle als Assistent<br />
von Helmut Schelsky und damit an<br />
der Neugründung einer Universität in<br />
Bielefeld mitarbeitete. es folgten die<br />
„konfliktbeladenen Jahre am Frankfurter<br />
Institut für Sozialforschung“ und<br />
schließlich die Berufung zum ordinarius<br />
für Soziologie an der neu gegründeten<br />
Universität Konstanz.<br />
mAssgebLicher<br />
för derer der rheno-<br />
ALemAnniA in KonstAnz<br />
Während Baiers Professorenzeit in<br />
Konstanz wurde in der Bodenseestadt<br />
mit starker Unterstützung der<br />
dortigen VaB eine <strong>Burschenschaft</strong><br />
gegründet. Unter den Förderern war<br />
Baier maßgebend. Der junge Bund<br />
heißt Rheno-Alemannia. Im Zusammenhang<br />
mit seiner Schilderung von<br />
deren Gründung erinnert Baier an<br />
seinen einsatz und seine Begeisterung<br />
für das studentische Mensurfechten,<br />
war er doch selbst als Germane in erlangen<br />
auf diesem Feld eine gewichtige<br />
Figur und hatte beim Burschentag<br />
1954 in Regensburg als Vordenker des<br />
„Süddeutschen Kartells“ für die Pflichtmensur<br />
plädiert. Unterstützt übrigens<br />
vom Roten Verband, als dessen Wortführer<br />
in Regensburg Reiner Klimke<br />
auftrat, der spätere olympiasieger<br />
im Dressurreiten, damals Aktiver der<br />
Hallenser <strong>Burschenschaft</strong> der Pflüger<br />
zu Münster.<br />
Horst Baier, Lebensstationen unter der Forderung des Tages, Hartung<br />
GorreVerlag, Konstanz 2011, ISBN 9783866283701, 145 Seiten, vier<br />
ganzseitige Farbfotos von Dorothea BaierJars.<br />
„ Die Südtirol affaire<br />
verfolgte Baier bis in seine<br />
wissenschaftliche Laufbahn.“<br />
Zu lesen ist das alles im Kapitel „<strong>Burschenschaft</strong><br />
– Jugendfrische und Lebensnöte“.<br />
Darin betont der Autor<br />
auch seine Freundschaft zu Bubenreuthern,<br />
insbesondere die zu Dieter<br />
Haack, dem ehemaligen Bundesminister,<br />
dessen Lebenslauf er stichwortartig<br />
nachzeichnet. Auch die Aufenthalte<br />
des Autors in der Bubenreuther<br />
Gaststätte Mörsbergei und auf dem<br />
Bubenreutherhaus in erlangen werden<br />
mehrfach erwähnt.<br />
So etwa im Zusammenhang mit einem<br />
Kolloquium der <strong>Neue</strong>nDB ende Januar<br />
1999. Baier griff damals noch als Sieglitzhofer<br />
Germane in die Debatte um<br />
eine Reform der <strong>Burschenschaft</strong> ein.<br />
Seine Ausführungen erschienen zusammengefasst<br />
in der „Bubenreuther<br />
Zeitung“. Das wurde auch andernorts<br />
gelesen. Baier erhielt danach die ehrenvolle<br />
einladung, am 2. Mai 2002,<br />
zur 170-Jahr-Feier des Hambacher<br />
Festes, auf dem Hambacher Schloss<br />
seine Gedanken vorzutragen. Sein<br />
programmatisches Thema hieß: „eine<br />
Zukunft in europa – mit Blick zurück<br />
zur alten <strong>Burschenschaft</strong>“. Schriftlich<br />
erschienen bisher wohl nur in der<br />
Verbindungszeitschrift der Freiburger<br />
<strong>Burschenschaft</strong> Teutonia. Das gilt es<br />
zehn Jahre später für den academicus<br />
nachzuholen.<br />
52 53<br />
academicus 2/2012 academicus 2/2012
SApErE AudE!<br />
Europas Erbe als Auftrag<br />
Freiburger Stiftung zur Förderung<br />
eines kantischen Weltbürger-Ethos<br />
»Sapere aude!«<br />
Wage es,<br />
Vernunft walten<br />
zu lassen!<br />
Mutige, unabhängige, kritisch-aufklärende<br />
Öffentlichkeitsarbeit für ein Weltbürger-Ethos<br />
im Dienste von Frieden, Menschenrechten,<br />
Demokratie und Umwelt.<br />
Freiburger Kant-Stiftung c/o Berthold Lange,<br />
Im Gaisbühl 4, 79294 Sölden<br />
www.kantstiftung.de