04.05.2013 Aufrufe

Herunterladen (Pdf, 5,4 MB) - Neue Deutsche Burschenschaft

Herunterladen (Pdf, 5,4 MB) - Neue Deutsche Burschenschaft

Herunterladen (Pdf, 5,4 MB) - Neue Deutsche Burschenschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Danziger B! Alemannia zu Aachen<br />

Rheno-Palatia Augsburg<br />

Berliner B! Obotritia<br />

Alemannia Bonn<br />

Frisia Darmstadt<br />

Rheno-Markomannia Darmstadt<br />

Rugia Darmstadt<br />

Bubenreuther Erlangen<br />

Franconia Freiburg<br />

Frankonia Gießen<br />

Brunsviga Göttingen<br />

Alt-Germania Hannover<br />

Hannoversche B! Teutonia<br />

Markomannia Kaiserslautern<br />

Karlsruher B! Arminia<br />

Tulla Karlsruhe<br />

Suevia Köln<br />

Roter Löwe Leipzig<br />

Alemannia Marburg<br />

Arminia Marburg<br />

Arminia Stuttgart<br />

Stuttgarter B! Ulmia<br />

33. AusgAbe | 16. JAhrgAng<br />

Wintersemester 2012/13<br />

academicus<br />

Magazin der neuen deutschen <strong>Burschenschaft</strong><br />

Spezial: Freiheit<br />

Was bedeutet Freiheit – und was<br />

kann die <strong>Burschenschaft</strong> für sie tun?<br />

Freiheit der<br />

Bürger:<br />

demokratische<br />

Wahrheit?<br />

Burschen-<br />

schaFtliche<br />

BeWegung:<br />

die krise als chance –<br />

Zehn empFehlungen<br />

geschichte:<br />

Was ist eine nation?


„Als<br />

Bürger der<br />

Bundesrepublik habe<br />

ich in den letzten<br />

zwanzig Jahren zur<br />

Kenntnis nehmen müssen,<br />

dass die Freiheit tatsächlich im<br />

Alltag der freien Gesellschaften einen<br />

Teil ihres Glanzes verliert. Als<br />

Ostdeutscher, als Betroffener einer<br />

osteuropäischen Verlustgeschichte<br />

weiß ich aber deutlicher als die, die immer<br />

über sie verfügt haben, dass wir, wenn<br />

wir uns nicht immer wieder von ihr<br />

beflügeln und befähigen lassen, auch<br />

an Kraft und Willen zur Veränderung<br />

einbüßen.<br />

Mag sein, dass Jahre kommen, in<br />

denen die Freiheit noch mehr an Glanz<br />

verliert. Mag sein, dass uns ungewohnte<br />

Lasten auferlegt werden. Mag sein, dass<br />

dann allgemeiner Verdruss das Land<br />

noch mehr einhüllt. Aber ich werde mich<br />

erinnern: Wir haben sie ersehnt, sie hat<br />

uns angeschaut, wir sind aufgebrochen,<br />

und sie hat uns nicht im Stich<br />

gelassen, als uns in der Freiheit neue<br />

Herausforderungen begegneten. Es kann<br />

nicht anders sein: Sie wird mir immer<br />

leuchten.”<br />

Joachim gauck, Winter im<br />

sommer – Frühling im<br />

herbst<br />

Foto: Bundesarchiv<br />

GRUSSWoRT<br />

von Johannes Lüschow<br />

ulmia stuttgart (2010)<br />

liebe verbandsbrüder,<br />

diese Ausgabe des academicus steht unter dem<br />

Motto „Freiheit“. Mir, als Mensch, der in der Medienbranche<br />

arbeitet, kommt dabei sofort der Artikel<br />

5 unseres Grundgesetzes in den Sinn, der mir<br />

das Recht einräumt, meine Meinung frei äußern<br />

und verbreiten zu können. Mit diesem Artikel soll<br />

gewährleistet werden, dass sich jeder Mensch<br />

durch unzensierte Informationsquellen seine eigene<br />

Meinung bilden kann. Durch die allgegenwärtige<br />

Präsenz der Medien besteht jedoch die Gefahr,<br />

dass durch einseitige Berichterstattung die eigene<br />

Meinung manipuliert wird.<br />

Viele von uns haben dies schon einmal miterlebt<br />

– ob als Bundesbruder, der über die Geschichte<br />

von Verbindungen erzählt, als Verbandsbruder,<br />

der über den Dachverband redet, oder als Freund,<br />

der gefragt wird, warum man überhaupt in einer<br />

Studentenverbindung sei. Mit dem aktuell vorherrschenden<br />

Bild über Verbindungen hört man<br />

immer wieder die gleichen Vorurteile wie rechtsradikal,<br />

Pflege von Seilschaften, frauenfeindlich<br />

etc. Daraus ergibt sich ein immenser Handlungsbedarf,<br />

um dieses falsche Bild in der Öffentlichkeit<br />

zu korrigieren.<br />

Die Schwierigkeit dabei ist, die breite Masse zu<br />

erreichen. Dies geht nur mithilfe der Medien. Bevor<br />

jetzt einige protestieren und sagen „Das haben<br />

wir alles schon versucht und der Schuss ging<br />

nach hinten los“, ist meine Meinung: Wir können<br />

etwas verändern.<br />

In den vergangenen Jahren hat sich schon einiges<br />

getan: Die Medien wissen jetzt, dass nicht<br />

alle Verbindungen <strong>Burschenschaft</strong>en sind, dass<br />

es zwei Dachverbände der <strong>Burschenschaft</strong>en<br />

gibt und wir <strong>Burschenschaft</strong>er sind und nicht <strong>Burschenschaft</strong>ler.<br />

Wobei letztgenannter Punkt bei<br />

einigen Vertretern der Zunft wohl immer noch<br />

nicht angekommen ist.<br />

Dies ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was wir<br />

sind bzw. nicht sind. Nur durch konsequente Öffentlichkeitsarbeit<br />

können wir hier einiges geraderücken.<br />

Natürlich birgt dies die Gefahr, dass der<br />

eine oder andere Beitrag in der Aussage verfälscht<br />

wird. Jedoch stellt sich die Frage, was besser ist,<br />

lieber anonym zu bleiben und die vorherrschende<br />

öffentliche Meinung – eingeschworener Männerhaufen,<br />

dem Trinkgelage das Wichtigste sind – unwidersprochen<br />

zu lassen? Oder der Öffentlichkeit<br />

zu beweisen, auch mithilfe der Medien, worum es<br />

uns <strong>Burschenschaft</strong>ern wirklich geht: Förderung<br />

im Studium, Weiterentwicklung der sozialen Persönlichkeit<br />

und der Punkt, der mir am wichtigsten<br />

erscheint, die Freundschaft. Meiner Meinung nach<br />

muss man dabei nicht lange überlegen, welches<br />

der richtige Weg ist.<br />

Mit verbandsbrüderlichen Grüßen<br />

Johannes Lüschow, Ulmia Stuttgart<br />

academicus 2/2012<br />

3


INHALT<br />

spezial: Freiheit<br />

Was bedeutet Freiheit – und was kann die <strong>Burschenschaft</strong> für sie tun?<br />

3 GRUSSWoRT<br />

von Johannes lüschow, Ulmia Stuttgart<br />

6 LeSeRBRIeFe<br />

8 TeRMINe<br />

aktuell<br />

9 BeRIcHT DeLeGIeRTeNTAG<br />

10 BeRIcHT VoM BURScHeNTAG 2012<br />

IN LANDAU<br />

von Florian Stopinski und Frederic Bäcker,<br />

rheno-Markomannia<br />

spezial: Freiheit<br />

Foto: claus Ableiter<br />

PReSSeFReIHeIT ....................................17<br />

Was wurde aus einer zentralen Forderung des<br />

Hambacher Festes?<br />

12 Franz Ludwig Graf Stauffenberg:<br />

Freiheit der Bürger – Demokratische Wahrheit?<br />

Vortrag am 21. april 2012 in Darmstadt<br />

17 Hambach und die Pressefreiheit heute<br />

von prof. Dr. Johannes Weberling,<br />

Frankonia Gießen<br />

25 Rangliste der Pressefreiheit 2011<br />

Zur weltweiten Lage der Presse- und Medienfreiheit<br />

coMMeNT ........................................... 26<br />

Ist commentgemäßes Verhalten mit Freiheit vereinbar?<br />

26 Der comment oder Die missverstandene Freiheit<br />

von Martin haape, rugia Darmstadt<br />

28 Fichte: Das „Ich“ und die Freiheit<br />

von aljoscha harmsen, Franconia Freiburg<br />

31 Meinungsduell: Haben die Aktiven zu viel Freiheit?<br />

andrew Kraft, Franconia Freiburg, vs.<br />

rüdiger Sturhan, alemannia Marburg<br />

34 Frag-Würdig! – Die Umfrage zur Freiheit ist da<br />

von Frederic Bäcker, rheno-Markomannia<br />

35 Moderne Sklaverei<br />

von Bernd preiß, <strong>Burschenschaft</strong><br />

der Bubenreuther erlangen<br />

Verbandsleben<br />

38 Krise der <strong>Burschenschaft</strong> als chance –<br />

Zehn empfehlungen für eine Kurskorrektur<br />

von Dr. Gerd Möller, ehem. alte Breslauer<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der raczeks Bonn<br />

41 in memoriam<br />

Nachruf auf christian Hünemörder<br />

42 Der Betrieb eines Studentenwohnheims –<br />

nicht immer ohne Tücken<br />

von Michael röcken, Corps Neoborussia Bochum,<br />

und Michael hacker, alemannia Bonn<br />

FIcHTe ............28<br />

ein Philosoph der Freiheit<br />

Geschichte<br />

44 ernest Renan:<br />

Was ist eine Nation?<br />

Vortrag an der Sorbonne<br />

vom 11. März 1882<br />

48 Aus unseren Reihen:<br />

„Kaiser“ und Gelehrter<br />

Karl von Hase (1800–1890)<br />

von arnulf Baumann, <strong>Burschenschaft</strong><br />

der Bubenreuther<br />

Vorschau<br />

MoDeRNe SKLAVeReI .................35<br />

Über 27 Millionen Menschen gelten heute als versklavt<br />

inFormationen<br />

51 Rezension: Biographie Horst Baier<br />

von hans peter Schmidt, <strong>Burschenschaft</strong><br />

der Bubenreuther<br />

erlangen und alemannia Bonn<br />

53 BURScHeNScHAFTeR<br />

TReFFeN SIcH<br />

55 ANScHRIFTeN<br />

GeSeLLScHAFT IM VeRäNDeRUNGSSTReSS –<br />

ÜBeR KoNTINUITäT UND WANDeL IN<br />

UNSeReR ZeIT (ARBeITSTITeL)<br />

Wir planen, das Spezial der nächsten academicus-Ausgabe dem Thema<br />

„Gesellschaft im Veränderungsstress“ zu widmen. Wie viel Wandel strömt auf<br />

die Menschen in Deutschland und europa im 21. Jahrhundert ein? Wie gelingt<br />

Wandel, wie scheitert er? Wie wichtig ist Kontinuität? Welche Rolle kann die<br />

<strong>Burschenschaft</strong> spielen? Und wie viel Kontinuität und Wandel braucht sie selbst?<br />

Wir bitten Verbandsbrüder, die Interesse an einer Mitarbeit haben oder<br />

Autoren (intern oder extern) benennen können, sich mit der Schriftleitung<br />

in Verbindung zu setzen.<br />

herausgeber<br />

neue deutsche burschenschaft e.V.<br />

redaktion<br />

aljoscha harmsen<br />

maria-theresia-str. 13<br />

79102 Freiburg<br />

e-mail: academicus@neuedb.de<br />

Anzeigen<br />

siehe redaktion<br />

anzeigenpreise auf nachfrage<br />

Auflage<br />

4.500 exemplare<br />

einzelverkauf<br />

preis inkl. inlandsversandkosten:<br />

je exemplar 6 €;<br />

Jahresabonnement für kalen derjahr 12 €<br />

(Verlängerung durch Überweisung bis spätestens<br />

31. dezember des Vorjahres). bestellungen:<br />

vorzugsweise an stellv@neuedb.de,<br />

ersatzweise an neuedb, ringstr. 29, 91080<br />

marloffstein. bankverbindung: kto. 3950060,<br />

blz 50090500 (sparda-bank hessen),<br />

Verwendungszweck „academicus“.<br />

beiträge<br />

Wir bitten alle beiträge wenn möglich per<br />

e-mail an die redaktion zu senden. Folgende<br />

angaben werden benötigt: autorenname,<br />

bund, eintrittsjahr (nicht semester!) sowie<br />

auskunft, ob der artikel im internet veröffentlicht<br />

werden darf. ein anspruch auf abdruck<br />

besteht nicht. die redaktion behält sich<br />

kürzungen vor.<br />

gestaltung<br />

sturmtiefdesign münchen<br />

der academicus erscheint halbjährlich und<br />

wird an alle mitglieder der mitgliedsvereinigungen<br />

der neuen deutschen burschenschaft<br />

versandt. namentlich gezeichnete autorenbeiträge<br />

stimmen nicht unbedingt mit der<br />

meinung des herausgebers überein.<br />

redaktionsschluss der ausgabe für<br />

das sommersemester 2013 ist der<br />

4 5<br />

31. märz 2013<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

Impressum


LeSeRBRIeFe<br />

der leser hat das Wort<br />

Die burschenschaftliche Definition des Begriffes<br />

„Vaterland“ wird sicher in interessierten Kreisen<br />

als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen<br />

<strong>Neue</strong>r <strong>Deutsche</strong>r <strong>Burschenschaft</strong> (<strong>Neue</strong>DB)<br />

und <strong>Deutsche</strong>r <strong>Burschenschaft</strong> (DB) wahrgenommen.<br />

In diesem Sinne sind auch die Beiträge von<br />

Werner Drewing und Prof. Peter Kaupp zu lesen.<br />

Dabei wird vielfach vergessen, dass die Differenzen<br />

in der Satzung gar nicht so bedeutend sind,<br />

sondern dass die Verfassungswirklichkeit der DB<br />

und die von ihrem Rechtsausschuss gemachten<br />

Auslegungen die Unterschiede markieren.<br />

Der Artikel 4 der Grundwerte der <strong>Neue</strong>nDB, „Die<br />

politischen (also nicht die geografischen, kulturellen<br />

oder sonstigen – M.H.) Grenzen des deutschen<br />

Vaterlandes sind die Grenzen der Bundesrepublik<br />

Deutschland“, schließt ein „volkstumsbezogenes<br />

Bekenntnisprinzip“ eben nicht aus. Dem entgegen<br />

schließen die maßgeblichen Interpretatoren<br />

der DB-Verfassung die Aufnahme von Nichtdeutschen<br />

als Mitglieder aus.<br />

In den Mitgliedsbünden der <strong>Neue</strong>nDB kann jeder,<br />

der sich zu den Zielen der <strong>Neue</strong>nDB bekennt,<br />

Mitglied werden. Dasselbe gilt für meine eigene<br />

<strong>Burschenschaft</strong> Alemannia zu Bonn, die im grundsätzlichen<br />

Teil ihrer Satzung den volkstumsbezogenen<br />

Vaterlandsbegriff verankert hat und auch<br />

einen Deutsch-Belgier und einen waschechten<br />

Iren zu ihren Mitgliedern zählt. Unbehaglich wäre<br />

mir nur die Aufnahme eines Bundesbruders, der<br />

zwar deutscher Staatsbürger ist, aber sich doch<br />

nicht zu Deutschland bekennt. ein Staatsbürger<br />

der Bundesrepublik Österreich oder ein Deutschchilene<br />

wären auch als Mitglied problemlos und<br />

würden nicht gegen den Grundwert „Vaterland“<br />

der <strong>Neue</strong>nDB oder gegen ihre Satzung verstoßen.<br />

VoN MichaeL hacker<br />

alemannia Bonn (1986)<br />

Probleme haben wir ehemaligen DB-<strong>Burschenschaft</strong>er<br />

nur mit einzelnen <strong>Burschenschaft</strong>en/Burschenschaf<br />

tern aus Österreich, die uns unser<br />

<strong>Burschenschaft</strong>ersein absprechen, weil wir oder<br />

unsere Mitglieder nicht ihren Vorstellungen entsprechen.<br />

Und daher gilt für meine <strong>Burschenschaft</strong>,<br />

dass wir nicht wegen der Verfassung oder<br />

der Grundwerte 1995 aus der DB ausgetreten<br />

sind, sondern wegen ihrer Verfassungswirklichkeit,<br />

die von Minderheiten und einem Rechtsausschuss<br />

mit dem charakter eines „Wohlfahrtsausschusses<br />

der Jakobiner“ vorgegeben war und ist.<br />

Prof. Kaupp ist zuzustimmen, dass das Bekenntnisprinzip<br />

den Vaterlandsbegriff der <strong>Burschenschaft</strong><br />

auch weiterhin bestimmt. Dem steht auch<br />

die Formulierung in den Grundwerten der <strong>Neue</strong>nDB<br />

nicht entgegen. Seinen Vorschlag für eine<br />

Neuformulierung des Vaterlandsbegriffes halte<br />

ich für überaus akzeptabel, wenn damit eine Annäherung<br />

zwischen <strong>Neue</strong>rDB und den vielen respektablen,<br />

aus der DB ausgetretenen <strong>Burschenschaft</strong>en<br />

ermöglicht würde. Das gilt es auszuloten<br />

(oder sind es andere Gründe, die diese <strong>Burschenschaft</strong>en<br />

von einer Mitgliedschaft in der <strong>Neue</strong>nDB<br />

abhalten?). eine Sammlung des burschenschaftlichen<br />

Lagers diesseits der Hardliner und Unverbesserlichen<br />

in der DB ist sicher ein lohnenswertes<br />

Ziel und des Schweißes der edlen wert. es müssen<br />

allerdings auch die Vorbehalte der insbesondere<br />

jüngeren Verbandsbrüder und <strong>Burschenschaft</strong>er<br />

gegenüber dem Dachverband aufgenommen<br />

werden, die die Sinnhaftigkeit eines Dachverbandes<br />

in Zweifel ziehen. Die weitere Aufsplitterung<br />

der burschenschaftlichen Landschaft heute kann<br />

aber genauso wie ein zersplittertes Vaterland<br />

1815 nicht in unserem Sinne sein.<br />

Leserbriefe zu AcAdemicus sommersemester 2012<br />

„Vaterland – eIne GeGenüberstellunG“:<br />

Verbandsbruder Peter Kaupp schätze ich als seriösen<br />

Historiker. Ich erkenne sein sichtbares Bemühen<br />

an, zwischen den Begriffsdefinitionen für<br />

„Vaterland“ von DB und <strong>Neue</strong>rDB zu vermitteln.<br />

Der entscheidende Punkt scheint mir die Frage<br />

der Abstammung zu sein.<br />

Dass die Zugehörigkeit zum deutschen Volk an<br />

„Abstammung, Sprache und Kultur“ – in dieser<br />

Reihenfolge! – gebunden wird und daraus die<br />

Ablehnung eines aus china stammenden Bundesbruders<br />

gefolgert werden kann, zeigt deutlich,<br />

dass die DB eine offene Flanke gegenüber<br />

rassistischem Gedankengut hat. Kaupp vermeidet<br />

zwar in seinem Kompromissvorschlag die erwähnung<br />

der Abstammung, aber er nimmt auch<br />

nicht klar dagegen Stellung. Das ist schade, denn<br />

es lässt Raum für absurde entscheidungen wie<br />

die zitierte. Die Definition der <strong>Neue</strong>nDB lässt dagegen<br />

zwar Raum für sich zum deutschen Volk<br />

außerhalb der Staatsgrenzen der Bundesrepublik<br />

Bekennende, aber sie lässt ebenso – und das<br />

ist wichtig! – Raum für Menschen ganz anderer<br />

Herkunft, die sich nach erwerb der Staatsbürgerschaft<br />

zum deutschen Volk bekennen.<br />

Hier ist ein historischer Hinweis nötig: Das deutsche<br />

Volk ist seit jeher geprägt durch Zuwanderungen<br />

(aber auch Abwanderungen). Alte deutsche<br />

Familiennamen wie Daehne, Schwede, Pohl,<br />

Böhme, Unger, Lamparter (aus der Lombardei),<br />

Welsch oder Holländer sind unübersehbare Hinweise<br />

darauf, dass die Vorfahren der Namensträ-<br />

VoN arnuLf BauMann<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1951)<br />

ger einmal aus benachbarten Ländern zugewandert<br />

sind. Und Namen wie Lafontaine, Bouffier,<br />

de Maizière, McAllister, Montgomery, Dombrowski<br />

Kwiatkowski, usw. oder die von Fußballern wie<br />

Özil, Gomez oder Boateng sind deutliche Hinweise<br />

darauf, dass diese Vorgänge weitergehen.<br />

Soll ihnen allen die Zugehörigkeit zum deutschen<br />

Volk abgesprochen werden? Wo soll man da eine<br />

Grenze ziehen?<br />

Das deutsche Volk ist allein durch seine geografische<br />

Situation, aber auch durch seine Attraktivität<br />

immer wieder und immer noch das Ziel von<br />

Zuwanderern gewesen und geblieben. Man kann<br />

sogar sagen, dass das deutsche Volk insgesamt<br />

das ergebnis einer ungeheuren Integrationsleistung<br />

ist. es wäre absurd, dies als Gefährdung<br />

seiner Identität zu betrachten. Im Gegenteil:<br />

Das deutsche Volk hat durch das Hinzukommen<br />

von Menschen anderer Herkunft unendlich viel<br />

gewonnen, an Vielfalt, an Fähigkeiten, an Möglichkeiten.<br />

Darüber können wir uns freuen. Der<br />

„volkstumsbezogene“ Vaterlandsbegriff leidet darunter,<br />

dass er in einem abstrakten Raum ohne<br />

Bodenhaftung herumschwebt. Wenn man sich<br />

auf die konkreten Gegebenheiten einlässt, kann<br />

man die Wirklichkeit des Staates nicht außer Acht<br />

lassen. Wir sollen offen sein für das Hinzukommen<br />

anderer. Das macht uns nicht ärmer, aber<br />

es stellt uns vor die Aufgabe ihrer Integration. Ich<br />

hoffe, dass auch Verbandsbruder Kaupp dem zustimmen<br />

kann.<br />

Wir legen Wert auf ihre meinung. ihre zuschriften sollten sich auf diese ausgabe des academicus beziehen<br />

und möglichst kurz sein. unter umständen müssen wir kürzen, um eine Veröffentlichung zu ermöglichen.<br />

leserbriefe sind keine redaktionellen meinungsäußerungen. senden sie uns ihren leserbrief per<br />

e-mail an academicus@neuedb.de oder per post an den schriftleiter (angaben siehe impressum).<br />

6 7<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


TeRMINe<br />

29. november 2012, 20 uhr<br />

Arndt Macheledt: Vortrag „Minderheiten<br />

und Minderheitenpolitik in der EU“<br />

Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />

Hainweg 9, 35037 Marburg<br />

6. dezember 2012, 20 uhr<br />

Prof. Dr. eckart conze: Vortrag „Die Rolle des Auswärtigen<br />

Amtes während und nach der NS­Zeit“<br />

Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />

Hainweg 9, 35037 Marburg<br />

12. dezember 2012<br />

Wolfram Welbers, Generalbevollmächtigter Nationalbank<br />

AG, ehem. Vorstand Prüfungsverband deutscher<br />

Banken: Vortrag „Fünf Jahre Finanzkrise –<br />

Quo vadis Deutschland?“<br />

Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Bonn,<br />

Rosental 105, 53111 Bonn<br />

15. dezember 2012, 13 uhr<br />

Quo vadis Europa? Weihnachtssymposium der Vorsitzenden<br />

<strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg<br />

einst gefeiert als errungenschaft der Völker nach Jahrhunderten<br />

voller Kriege, hat die europäische Idee, bedingt<br />

durch Finanz- und Währungskrise, in den letzten Jahren<br />

scheinbar ihren Glanz verloren. In dem Symposium soll die<br />

politische Zukunft unseres Kontinentes und der Institution<br />

„europäische Union“ erörtert werden.<br />

ANZeIGe<br />

Referenten:<br />

• Michael Gahler (cDU), europaabgeordneter und<br />

Vizepräsident des Netzwerkes „europäische Bewegung<br />

Deutschland“<br />

• Dr. Wolf Klinz (FDP), europaabgeordneter und Wirtschaftsexperte<br />

• Dr. Dieter Bingen, Direktor des <strong>Deutsche</strong>n Polen-Instituts<br />

Darmstadt<br />

• Dr. Anna Veronika Wendland, Herder-Institut Marburg,<br />

expertin für osteuropäische Zeitgeschichte<br />

• Franziskus Posselt, Vorsitzender der Paneuropa-Jugend<br />

Deutschland<br />

Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />

Hainweg 9, 35037 Marburg<br />

16. dezember 2012<br />

Thomastag mit Thomasbummel<br />

in Nürnberg vor der Lorenzkirche<br />

16. JAnuAr 2013<br />

Exkursion: Kernkraftwerk<br />

Philippsburg<br />

Veranstalter: Karlsruher<br />

<strong>Burschenschaft</strong> Tulla,<br />

Waldhornstr. 18, 76131<br />

Karlsruhe<br />

vorstandsschuhe anziehen!<br />

Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender und Kassenwart werden auf dem<br />

Burschentag 2013 nicht mehr kandidieren. Wir bitten die Bünde daher, dem<br />

Vorstand interessierte Verbandsbrüder für eine Nachfolge zu benennen.<br />

Foto: Michael Kauffmann<br />

18. - 20. JAnuAr 2013<br />

Fuxenwochenende in Marburg<br />

Veranstalter: <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia Marburg,<br />

Hainweg 9, 35037 Marburg<br />

15. märz 2013<br />

Einsendeschluss der Bewerbungen<br />

für den Heinrich­Luden­Preis<br />

(www.neuedb.de/index.php?id=2403).<br />

Kontakt: HLP@neuedb.de<br />

vorschLAg nr. 1, fester ort für den<br />

burschentAg: Der Vorschlag wurde insgesamt<br />

befürwortet. Sechs Städte wurden genannt und sollen<br />

näher auf ihre eignung hin untersucht werden (Reihenfolge<br />

alphabetisch): Berlin, eisenach, Frankfurt, Hannover,<br />

Jena, Landau.<br />

vorschLAg nr. 2, „grosse“ burschentAge<br />

mit Kommers nur ALLe drei JAhre:<br />

Der Vorschlag stieß insgesamt auf wenig Gegenliebe. Allerdings<br />

wurde die Idee geäußert, die Verhandlung dadurch<br />

zu verschlanken, dass zeitgleich Seminare, Arbeitsgruppen<br />

etc. tagen und an der Verhandlung nur die Abgeordneten<br />

der Bünde teilnehmen sollten.<br />

vorschLAg nr. 3, die vorsitzende<br />

burschenschAft wird von orgAnisAtorischen<br />

AufgAben entLAstet: Hier<br />

stellte sich im Verlauf der Diskussion heraus, dass die entlastung<br />

von organisatorischen Aufgaben nicht der entscheidende<br />

Punkt ist. es muss vielmehr darum gehen, das<br />

Vorsitzjahr insgesamt attraktiv und erstrebenswert für<br />

die Bünde zu machen. Die Möglichkeiten der Verbandsgestaltung<br />

spielen eine Rolle, ebenso das allgemeine Ansehen<br />

der Aufgabe.<br />

vorschLAg nr. 5, reform der verbAndsstruKtur:<br />

Allgemein wurde die bestehende<br />

Form (der klassische burschenschaftliche Dachverband)<br />

anderen Formen (Interessenverband, Förderverein,<br />

„Verband der Verbände“) vorgezogen. Allerdings soll eine<br />

wichtige Facette des Interessenverbandes, die Öffentlichkeitsarbeit,<br />

ausgebaut und womöglich – im Rahmen des<br />

finanziell Leistbaren – professionalisiert werden.<br />

vorschLAg nr. 7, definierung der vAterLAndsLiebe<br />

stAtt des vAterLAndsbegriffes<br />

in den grundwerten: Insgesamt<br />

war eine deutliche Mehrheit der Ansicht, dass am<br />

bestehenden Vaterlandsbegriff der <strong>Neue</strong>nDB nichts geändert,<br />

erst recht nicht auf dessen Festschreibung verzichtet<br />

werden solle. Allerdings müssten nach außen hin Missverständnisse<br />

ausgeräumt werden.<br />

vorschLAg nr. 13, reform der fuxentAgung:<br />

Der Vertreter der Vorsitzenden <strong>Burschenschaft</strong><br />

Alemannia Marburg berichtete, dass die anstehende<br />

Tagung erstmalig nicht in eisenach, sondern in Marburg<br />

stattfinden solle. Überdies würden bei der Tagung nicht<br />

mehr Seminare und Workshops im Vordergrund stehen,<br />

sondern das Beisammensein und Kennenlernen. Die Ansätze<br />

wurden insgesamt begrüßt.<br />

Weitere wichtige Themen, wie beispielsweise Aufgabe und<br />

Rolle der <strong>Neue</strong>nDB in der <strong>Burschenschaft</strong>lichen Bewegung,<br />

konnten aus Zeitgründen nur noch gestreift werden. einigkeit<br />

bestand jedoch ohnehin darüber, dass sich diese Aufgabe<br />

nicht auf die Abgrenzung gegenüber Rechtstendenzen<br />

beschränken dürfe und dass die <strong>Neue</strong>DB die Zusammenarbeit<br />

mit gleichgesinnten <strong>Burschenschaft</strong>en suchen sollte.<br />

Auf der Veranstaltung musste leider auch die geringe Beteiligung<br />

angesprochen werden. Lediglich 11 Bünde waren<br />

vertreten – unverständlich nach Ansicht der Anwesenden,<br />

vor allem wenn man bedenkt, dass die einführung der Delegiertentage<br />

seinerzeit von einer breiten Mehrheit getragen<br />

wurde und die Teilnahme lediglich je eines einzigen Vertreters<br />

pro Aktivitas und Altherrenschaft vorgesehen ist. Der<br />

guten Stimmung auf der Übergabekneipe im Anschluss tat<br />

dies allerdings keinen Abbruch.<br />

8 9<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

AKTUeLL<br />

Der 4. Delegiertentag trat bei<br />

Rheno­Markomannia Darmstadt<br />

zusammen. Tobias Becker,<br />

Rheno­Markomannia, (hinten<br />

stehend) leitete die Verhandlung.<br />

Hauptthema des Delegiertentages<br />

waren Vorschläge zur<br />

Reform der <strong>Neue</strong>nDB.<br />

Bericht vom<br />

Delegiertentag<br />

Der Delegiertentag vom 3. November auf dem Haus der Rheno­Markomannia Darmstadt behandelte vor allem das<br />

auf dem Burschentag ausgegebene Reformpapier der <strong>Neue</strong>nDB. Um es vorweg zu nehmen: Aus Zeitgründen konnten<br />

nicht annähernd alle 20 Punkte behandelt werden. Die wichtigsten Ergebnisse seien hier vorgestellt.


AKTUeLL<br />

Der Vorsitzende Dr. Ing. Gerd Wauer (rechts)<br />

überreicht dem langjährigen Leiter der <strong>Neue</strong>nDB­<br />

Akademie, Prof. Dr. Heinrich Liehr (Franconia<br />

Freiburg), für seine Leistungen die erste von der<br />

<strong>Neue</strong>nDB verliehene Ehrennadel.<br />

Bericht vom<br />

Burschentag 2012 in landau<br />

Der Burschentag in der Festhalle in Landau<br />

von fLorian stopinski<br />

rheno-markomannia (2009)<br />

und frederic Bäcker<br />

rheno-markomannia (2003)<br />

Nach einem geselligen Auftakt durch den Begrüßungsabend<br />

im kleinen Saal der Landauer Jugendstil-Festhalle, begann<br />

am darauffolgenden Samstagmorgen die 17. Mitgliederversammlung<br />

der <strong>Neue</strong>n <strong>Deutsche</strong>n <strong>Burschenschaft</strong>. Für die<br />

Daheimgebliebenen möchten wir die inhaltlichen und formalen<br />

Höhepunkte kurz zusammenfassen.<br />

Dieser Burschentag stand zweifelsohne unter dem Motto der<br />

Selbstfindung. Zu Beginn der Verhandlungen fehlten sowohl<br />

eine neue Vorsitzende, welche trotz intensiver Anstrengungen<br />

durch den Vorstand und die amtierende Vorsitzende nicht<br />

gefunden werden konnte, als auch ein Freiwilliger für das so<br />

lange unbesetzte Amt des Pressewarts. Nach wie vor wurden<br />

zudem von vielen Amtsträgern die mangelhafte Kommunikationsbereitschaft<br />

und Rückmeldemoral der Verbandsburschenschaften<br />

kritisiert. Ganz gleich um welches Anliegen es sich<br />

handelt, meist müssen zahlreiche Auf- und Anrufe getätigt<br />

werden, bis eine Reaktion erfolgt. eine konstruktive Arbeit im<br />

Verband ist so kaum möglich.<br />

20 reformvorschLäge<br />

Vielleicht auch durch besagte Umstände angeregt, legte der<br />

Vorstand dem Burschentag eine ausführliche Vorschlagssammlung<br />

mit zwanzig Punkten zur Reform des Verbandes vor.<br />

Diese befasste sich mit den unterschiedlichsten Bereichen: Von<br />

der Verlegung des Vorsitzjahres über Zweck und erhalt der Fuxentagung<br />

bis hin zu den grundlegenden Strukturen unseres<br />

Verbandes wurde alles thematisiert, was die Amtsträger der<br />

<strong>Neue</strong>nDB derzeit umtreibt. Diese zwanzig Punkte sollen in<br />

den kommenden Monaten innerhalb<br />

der einzelbünde wie auch im Verband<br />

intensiv diskutiert werden. es bleibt zu<br />

hoffen, dass dies kein frommer Wunsch<br />

alleine ist.<br />

Auch in anderen Bereichen des Verbandes<br />

zeigt sich Bewegung: So wurde die<br />

<strong>Neue</strong>DB-Akademie lobend hervorgehoben,<br />

welche während ihres zehnjährigen<br />

Bestehens bereits über 2.000 jungen<br />

Akademikern ein extra an Ausbildung<br />

ermöglichte. Das neue Design und die<br />

neuen Inhalte des academicus führten<br />

zwar zu einer Kostensteigerung, andererseits<br />

war auch der erfolg der Aktion<br />

in Form einer stark gestiegenen Leserzahl<br />

und zahlreicher positiver Rückmeldungen<br />

unübersehbar. erstmalig ist die<br />

Redaktion in der komfortablen Lage, Berichte<br />

kürzen und eine Auswahl treffen<br />

zu müssen, anstatt händeringend nach<br />

Autoren zu suchen. Der Qualität des<br />

Blattes kann das langfristig nur guttun.<br />

Auch die restlichen entwicklungen der<br />

Verhandlung lassen einen optimistischen<br />

Blick in die Zukunft unseres Verbandes<br />

durchaus zu.<br />

Nachdem der Antrag auf Verlegung<br />

des Vorsitzjahres angenommen worden<br />

war – das Geschäftsjahr beginnt und<br />

endet nun mit dem Burschentag – übernahm<br />

die <strong>Burschenschaft</strong> Alemannia<br />

Marburg nach 2010 erneut den Vorsitz.<br />

Außerdem fand sich mit Johannes Lüschow<br />

(Ulmia Stuttgart) ein neuer Pressewart.<br />

Beiden wünschen wir bei ihrer<br />

neuen Aufgabe viel erfolg.<br />

vorbereitungen<br />

für 2015<br />

Wie seit dem letzten Burschentag<br />

bekannt, besteht die Absicht, sich im<br />

Jahr 2015 an gemeinsamen Feierlichkeiten<br />

zum zweihundertjährigen<br />

Bestehen der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />

Bewegung in Jena zu beteiligen. Im<br />

Zuge der Vorbereitungen stellte das<br />

zuständige Gremium um Rüdiger Fiedler<br />

(Frankonia Gießen) einen Antrag,<br />

der es ermöglichen sollte, in Absprache<br />

mit dem Vorstand Räumlichkeiten<br />

zu buchen. Auch dieser Antrag wurde<br />

angenommen und die Gespräche mit<br />

den Urburschenschaften dauern an.<br />

Unsere Mitgliedschaft im cDA nehmen<br />

wir den Beschlüssen gemäß wieder auf.<br />

Alle im Antrag des Vorstandes vorgeschlagenen<br />

Teilanträge, auf Austritt,<br />

weiteres Ruhenlassen der Mitgliedschaft<br />

oder verstärktes engagement,<br />

wurden abgelehnt. Das ergebnis dieser<br />

Abstimmung führte dazu, dass Dr.<br />

Michaël eickermann (Teutonia Hannover)<br />

von seinem Amt als cDA-Beauftragter<br />

zurücktrat. ein Nachfolger wird<br />

aktuell gesucht.<br />

Insgesamt wurde der Burschentag begleitet<br />

von teils hitzigen Debatten. Außer<br />

den genannten Punkten wird jedoch wie<br />

immer das meiste bald in Vergessenheit<br />

geraten – zumindest bis zum nächsten<br />

Burschentag. Daher zum Abschluss noch<br />

ein paar Worte zum weiteren Rahmenprogramm:<br />

Wie üblich fand am Abend ein Kommers<br />

statt, in diesem Jahr anlässlich<br />

unseres siebzehnjährigen Bestehens.<br />

Norbert Schindler, rheinland-pfälzischer<br />

Bundestagsabgeordneter der cDU, bot<br />

ein buntes Potpourri an Themen, die<br />

sicher für die ein oder andere launige<br />

Diskussion in der Korona sorgten. Alles<br />

in allem bildete die Veranstaltung einen<br />

würdigen Rahmen für die Verleihung<br />

des Heinrich-Luden-Preises, eine ehre,<br />

die in diesem Jahr Konstantin Kloos (Anwesende<br />

erinnern sich an „das kleine<br />

saure Gürkchen”) von der Darmstädter<br />

<strong>Burschenschaft</strong> Frisia zuteilwurde.<br />

Neben außerordentlichen Studienleis-<br />

Konstantin Kloos (rechts) nimmt<br />

den diesjährigen Heinrich­Luden­<br />

Preis aus der Hand von Dr. Wolfgang<br />

von Wiese entgegen<br />

tungen hatte sich Kloos unter anderem<br />

durch Mitgründung einer Partei für<br />

das Darmstädter Studentenparlament<br />

ausgezeichnet.<br />

Auch wenn nur knapp die Hälfte der<br />

Bünde eine chargenabordnung stellte<br />

(ein Umstand, der weder unbemerkt<br />

noch unkommentiert blieb), wurde ausgelassen<br />

bis spät in die Nacht gefeiert.<br />

Den Abschluss des diesjährigen Burschentages<br />

bildete der Frühschoppen<br />

auf dem Hambacher Schloss. Bei zunehmend<br />

besserem Wetter nutzten die<br />

angereisten Verbandsbrüder am Sonntagmorgen<br />

die Gelegenheit, ein ereignisreiches<br />

Wochenende ausklingen zu<br />

lassen. Manch einem war wohl angst<br />

und bange um unseren Verband. Andere<br />

blickten vielleicht optimistischer<br />

als zuvor in die Zukunft. Auch das beinahe<br />

schon eine Tradition unserer Burschentage.<br />

Norbert Schindler, Bundestagsabgeordneter der CDU, bei der Kommersrede.<br />

10 11<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


SPeZIAL FReIHeIT<br />

„Der<br />

isolierte<br />

Mensch<br />

vermag<br />

sich ebensowenig<br />

zu<br />

bilden als<br />

der in seiner<br />

Freiheit<br />

gewaltsam<br />

gehemmte.“<br />

Wilhelm von<br />

humboldt<br />

„Freiheitbefähigt<br />

den<br />

Menschen,<br />

für das eigene<br />

Leben, für die<br />

Gesellschaft<br />

und für die<br />

Umwelt Verantwortung<br />

zu übernehmen.”<br />

grundwerte der<br />

neuen deutschen<br />

<strong>Burschenschaft</strong> e.v.,<br />

art. 2<br />

„ Demokratie legitimiert sich aus dem<br />

Dienst für Menschen und ergo für<br />

die menschliche Freiheit.“<br />

Freihei t Der Bürger<br />

Demokratische Wahrheit?<br />

VoRTRAG AM 21. APRIL 2012 VoN FRANZ LUDWIG GRAF STAUFFeNBeRG<br />

Die <strong>Burschenschaft</strong> Rheno-Markomannia hat sich eine große, ehrgeizige Aufgabe gestellt: Hin zum<br />

burschenschaftlichen Jubiläum wollen Sie den Begriff der Freiheit erobern. Sie wollen sie nicht nur wieder<br />

entdecken, sie diskutieren, durchdringen. Sie wollen beleben, für sie werben. Auch um sie kämpfen?<br />

Freiheit ist einer der wenigen Werte, die wohl immer noch für jedermann gelten. Viele andere, die<br />

unseren Vorvätern heilig waren, hat man entzaubert, bloßgestellt und verspottet. <strong>Neue</strong> Werte für sie<br />

lieferten die enthüller nicht: Wer will die schon?<br />

Mit Ihrem Aufruf zur Freiheit verdingen Sie sich einem hohen Ziel. Aber Sie öffnen sich einem auch<br />

weiten, vielleicht ungewissen Feld. Was meinen Sie mit Freiheit? Gewiss, Sie haben da sichtbar Pflöcke<br />

gesetzt: Mit Ehre und Vaterland, mit Menschenwürde und Achtung, Toleranz schaffen Sie Bezüge, die<br />

untereinander die gemeinten Werte prägen. Sie unterscheiden und verbinden innere und äußere Freiheit.<br />

Sie sehen sie bei uns in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verankert. Die Grundwerte<br />

der <strong>Neue</strong>n <strong>Deutsche</strong>n <strong>Burschenschaft</strong> und Ihr inhaltliches Manifest zeichnen plastische Konturen.<br />

Damit aber wissen wir das eigentliche nicht: Was ist Freiheit?<br />

wAs ist freiheit?<br />

Allein die „Unabhängigkeit von<br />

äußerem Zwang und fremder<br />

Gewalt“, wie sie das Lexikon beschreibt,<br />

definiert sie sicherlich<br />

nicht. Auch Artikel 2<br />

Ihrer Grundwerte weiß<br />

nur, was Freiheit<br />

kann und<br />

auch soll, wie<br />

sie sich zeigt<br />

und was sie<br />

braucht (Fundament).<br />

All<br />

das aber erfasst<br />

nicht ihr eigentliches<br />

Wesen.<br />

Wilhelm<br />

Dilthey<br />

(1833–1911)<br />

verstand Freiheit<br />

als „Pflicht zur Ent-<br />

scheidung“, scharf abgehoben<br />

von Willkür und Zügellosigkeit.<br />

Sie verbinde „sittliche“ als innere<br />

und „handelnde“ als äußere<br />

Freiheit aus menschlichem Willen.<br />

Sie zwinge zu Klärung und<br />

einbindung ihres Wovon und<br />

Wozu. Sie sei unvereinbar mit<br />

ursachlosem wie mit wirkungsblindem<br />

Wollen.<br />

Tatsächlich hat sich das Verständnis<br />

von frei in unserer<br />

politischen, kulturellen und religiösen<br />

Geschichte deutlich gewandelt.<br />

Seit den Revolutionen<br />

der Neuzeit steht ganz vorne<br />

die Sicherung von individuellen<br />

Freiheiten innerhalb des gesellschaftlichen<br />

Gefüges. Im modernen<br />

Verfassungsstaat sind<br />

Grundrechte des Menschen,<br />

Gewaltenteilung und unabhängige<br />

Gerichtsbarkeit ihre insti-<br />

tutionellen Garantien. Aber leider<br />

hat die breite Hochachtung<br />

politischer Freiheit auch seit<br />

jeher zu Missbrauch verleitet,<br />

bis in die jüngsten Tage. Schon<br />

1816 spottete Goethe, man<br />

höre „niemals mehr von Freiheit,<br />

als wenn eine Partei die<br />

andere unterjochen will“ und<br />

wenn nurmehr „Gewalt, Einfluss<br />

und Vermögen aus einer Hand<br />

in die andere gehen soll“. Das<br />

erinnert mich zum Beispiel an<br />

die neudeutsche Treuhandanstalt<br />

nach 1990.<br />

Meine Damen und Herren!<br />

Nicht die Freiheit Deutschlands<br />

oder europas, nicht die der Kirchen<br />

oder der Presse, nicht die<br />

eines Standes oder die von Wissenschaft<br />

und Lehre sind mein<br />

Thema. Die Freiheit, die ich<br />

meine, ist die Freiheit des Men-<br />

schen: Doch es ist weder die<br />

des einen auf Kosten des Anderen,<br />

die des oberen auf dem<br />

Rücken des Gebeugten und<br />

auch nicht die der geilen Gaffer<br />

auf enthüllte und entstellte.<br />

Ich meine die Freiheit jedes<br />

Menschen und damit – unausweichlich<br />

– den Schutz jedes<br />

einzelnen vor der missbrauchten,<br />

der entwürdigenden oder<br />

der ausbeutenden Freimacht<br />

anderer, Schutz auch vor der<br />

großen Mehrheit der anderen.<br />

hinwendung zum<br />

mitmenschen<br />

Damit finden wir bestätigt,<br />

was wir wohl tagtäglich an uns<br />

selbst erleben: Zur Freiheit gehört<br />

Hinwendung nach außen,<br />

zum Mitmenschen in Achtung,<br />

in Respekt, vielleicht in Liebe.<br />

Freiheit also ist – auch – Dienst,<br />

weder unterwürfig noch aufdringlich,<br />

sondern am Nächsten<br />

„gleich wie du selbst“ (Mt. 22,<br />

39 und andere). Über diese „Bezogenheit“<br />

zum Anderen, zum<br />

wirklichen mitmenschlichen<br />

Leben, jetzt gefordert und gewährt,<br />

hat eindrücklich Joachim<br />

Gauck vor einem Jahr in Tutzing<br />

gesprochen („Freiheit – ein Plädoyer“).<br />

Diese stets lebendige<br />

Bezogenheit liegt im Wesen<br />

der Freiheit. Sie ist ihr Teil.<br />

Deshalb ist sie abstrakt nicht<br />

zu formulieren und dogmatisch<br />

nicht festzunageln. Und doch,<br />

ja vielleicht gerade deshalb,<br />

bleibt sie einer der eminenten<br />

Werte menschlicher existenz.<br />

Im inhaltlichen Manifest beklagen<br />

Sie, dass Freiheit so, wie<br />

Ihre Satzung definiert, unverständlich<br />

sei. Aber warum wurde<br />

sie – mit Ihren Worten – „für<br />

das alltägliche Leben nahezu<br />

irrelevant?“ Gilt das nur für die<br />

gewählte Definition oder gilt<br />

das für die Freiheit schlechthin?<br />

Sehen die heutigen Studenten<br />

ihre Freiheit sicher und nirgends<br />

gefährdet? oder sind sie ihrer<br />

satt und überdrüssig? Vermissen<br />

sie etwa zeitgemäß knallige<br />

SMS-taugliche Kurzsprechparolen?<br />

Oder finden wir heute keine<br />

leibhaftigen Freiheitsfeinde<br />

mehr, keine bösen Tyrannen<br />

und üblen Despoten, Sklaventreiber<br />

oder Sadisten, gegen<br />

die wir für die Unterdrückten<br />

kämpfen sollten?<br />

es ist, glaube ich, an der Zeit,<br />

unsere Perspektiven zu ändern.<br />

Dazu sollten wir bei uns selbst<br />

beginnen: Niemand will beherrscht,<br />

will fremdbestimmt<br />

werden. Aber wie viele von uns<br />

sehnen sich nach den Folgen,<br />

den Lasten aus der eigenen<br />

entscheidung? Wer drängt in<br />

die ungewissen Risiken seines<br />

Tuns, seiner Selbstbestimmung?<br />

Jedermann misstraut zwar dem<br />

Moloch Staat und aller obrigkeit,<br />

aber doch erwarten wir stetig<br />

wachsende Leistungen und<br />

nahtlose Garantien zu unserer<br />

Sicherheit, zu unserem Wohlergehen<br />

und zu unserer Vorsorge.<br />

Wir wissen immer öfter und<br />

immer lauter wogegen<br />

wir sind, aber immer<br />

seltener wozu und womit.<br />

Wir sammeln uns<br />

in Verbänden, Bürgerinitiativen,Gewerkschaften,<br />

in alten Parteien<br />

und neuen oder<br />

hinter sonstigen Funktionären.<br />

Moderne Bürger missbilligen<br />

dumpfe Resignation. Immer<br />

stärker setzen sie auf verlan-<br />

gende erwartung, trendig werbestark<br />

in kollektiv inszenierter<br />

Ungeduld. Wir ducken uns<br />

nicht, wir fordern meist von<br />

jenem anonymen Koloss der<br />

Macht wie von einem Fremden,<br />

von dem wir uns nicht als<br />

Teil, nicht Träger, sondern als<br />

opfer wähnen.<br />

die Losung LAutet<br />

teiLhAbe<br />

Die Losung, die gegen<br />

Macht und ohnmacht<br />

solidarisiert, lautet<br />

Teilhabe. Sie sei gleichberechtigte<br />

Mitwirkung aller an der<br />

ordnung der Gesellschaft, an<br />

der Verteilung von Gütern,<br />

in der Sorge um die Umwelt,<br />

bei der Formung der Zukunft.<br />

Mitgestaltende Teilhabe in und<br />

an der großen Gemeinschaft<br />

Gleicher scheint aufgeklärte Alternative,<br />

sowohl gegen Unterwerfung<br />

wie gegen Anarchie.<br />

Damit stehen wir ganz aktuell<br />

bei Ihren Grundwerten. Bei Ihrem<br />

gewichtigen Verweis auf<br />

die freiheitlich-demokratische<br />

Grundordnung unseres Staatswesens.<br />

Doch seien Sie bedacht:<br />

Allzu leicht geraten Sie<br />

da in den Strudel einer verheerenden<br />

Irreführung.<br />

erlauben Sie mir an dieser<br />

Stelle einen vorsorglichen<br />

einschub: Ich war immer<br />

Demokrat und bin es geblieben,<br />

nicht nur in meiner<br />

Gesinnung. Ich habe mich<br />

demokratisch oft zur Wahl<br />

gestellt, habe gestritten und<br />

gekämpft, mit offenem Visier<br />

und nie protegiert. Und<br />

nebenbei: Dabei habe ich –<br />

demokratisch – nie verloren.<br />

Was ich hier zur Demokratie<br />

sage, ist keinerlei Ablehnung,<br />

sondern – im Gegenteil – bittere<br />

Sorge um sie.<br />

12 13<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

„ Zur<br />

Freiheit gehört<br />

Hinwendung<br />

nach außen, zum<br />

Mitmenschen.“<br />

„Pressefreiheit<br />

ist das<br />

Recht, Lügen<br />

zu drucken,<br />

ohne dazu<br />

gezwungen<br />

zu werden.“<br />

robert lembke<br />

„Der<br />

Mensch,<br />

vor allem<br />

der Bursch<br />

ist frei, der<br />

selbst das<br />

Gesetz sich<br />

gegeben. Drum<br />

lasst euch nicht<br />

irren der Bösen<br />

Geschrei,<br />

erwachet zum<br />

freieren Leben,<br />

zum freieren<br />

Leben nach<br />

Recht und<br />

Pflicht, und<br />

folget dem<br />

Wahne der<br />

Leidenschaft<br />

nicht.“<br />

Joachim leopold<br />

haupt<br />

Foto: cineteXt


„Jeder hat<br />

das Recht<br />

auf die<br />

freie<br />

Entfaltung<br />

seiner Persönlichkeit,<br />

soweit<br />

er nicht die<br />

Rechte anderer<br />

verletzt und<br />

nicht gegen die<br />

verfassungsmäßige<br />

Ordnung oder<br />

das Sitten gesetz<br />

verstößt.“<br />

grundgesetz der<br />

Bundesrepublik<br />

deutschland,<br />

art. 2. abs. 1<br />

„Das<br />

ist die<br />

rechte<br />

geistliche,christliche<br />

Freiheit,<br />

die das Herz<br />

frei macht<br />

von allen<br />

Sünden, Gesetzen<br />

und<br />

Geboten.”<br />

martin luther<br />

Ich beginne mit Willy Brandt.<br />

1969, zum Aufbruch der SPD im<br />

legendären Godesberger Programm,<br />

schrieb er: „Wir [...] lassen<br />

uns von der Überzeugung<br />

leiten, dass Demokratie nicht<br />

auf einen noch so wichtigen<br />

Bereich – wie den staatlichen –<br />

beschränkt bleibt, dass sie nicht<br />

auf Rationen gesetzt werden<br />

kann, sondern, dass sie das gesamte<br />

gesellschaftliche Leben<br />

erfassen muss [...]. Für die SPD<br />

bedeutet Demokratie ein Prinzip,<br />

das alles gesellschaftliche<br />

Sein der Menschen beeinflussen<br />

und durchdringen muss“.<br />

demoKrAtie ALs wert?<br />

Danach wurde Demokratisierung<br />

zur Standardparole politischer<br />

Programme und politischer<br />

Propaganda mit zahllosen Verheißungen.<br />

In unserer zunehmend<br />

enthüllten und entstellenden,<br />

enttabuisierten, ent-werteten<br />

Welt wurde Demokratie als<br />

Wert, ja als Grundwert gepriesen.<br />

Sie wurde ebenbürtig<br />

gemacht, wenigstens gleichrangig,<br />

mit Freiheit und Menschlichkeit.<br />

Als Wert begegnen wir<br />

ihr nunmehr überall, bis hinein<br />

in dem – vorerst gescheiterten<br />

– Verfassungsentwurf der europäischen<br />

Union, der indes von<br />

Gott nur schweigt. So schien es<br />

schlüssig, die hohen Werte zu<br />

amalgamieren und aus ihnen<br />

den allumfassenden Superwert<br />

zu schaffen. Der heißt dann freiheitliche<br />

Demokratie.<br />

Demokratie aber in sich, meine<br />

Damen und Herren, ist kein<br />

Wert, schon gar nicht<br />

ein Wert des Menschen<br />

– wie etwa<br />

Freiheit oder Würde<br />

oder Liebe. Demokratie<br />

ist ein System.<br />

Sie ist, wie der Name<br />

„ Berechtigung<br />

verrät, Herrschaft (kratein) des<br />

Volkes (demos). Herrschaft ist<br />

ein System. Sie ist von Macht,<br />

von Macht über Menschen.<br />

Wer also in hehrer Aufwallung<br />

Demokratie verlangt in allen<br />

Winkeln und ecken gesellschaftlichen,<br />

also mitmenschlichen Lebens,<br />

der duldet nicht nur solche<br />

Macht. Der will sie, im wahren<br />

Sinne, total. Denn ohne Macht<br />

ist keine Kratie. Überdenken Sie<br />

einmal vor diesem Hintergrund<br />

den politisch aktuellen Streit<br />

über ein staatliches erziehungsgeld,<br />

selbst christdemokratisch<br />

verhöhnt als „Herdprämie“, für<br />

junge Mütter, die ihre Kleinkinder<br />

zu Hause haben wollen und nicht<br />

in staatssozialer Versorgung, die<br />

derzeit übrigens dafür weder<br />

Plätze noch Personal bereithält.<br />

Und noch eins zu den Kleinkindern:<br />

In Deutschland leben seit<br />

Jahren 25 bis 30 Prozent von ihnen<br />

unterhalb der Armutsgrenze,<br />

viel mehr als durchschnittlich die<br />

Gesamtbevölkerung. Wer aber<br />

sichert diesen Kindern, die auch<br />

unsere Mitbürger sind und unserer<br />

Solidarität bedürfen, ihre demokratische<br />

Teilhabe an der vergesellschafteten<br />

Macht über sie?<br />

Sind das vielleicht die Beamten in<br />

den Aufsichtsämtern in Bremen,<br />

Berlin oder Schwerin? oder sind<br />

es die Bundestagsabgeordneten,<br />

deren demografische Reproduktionsrate<br />

noch weit hinter der<br />

zu niedrigen des Gesamtvolkes<br />

zurückbleibt? Bislang bleibt diese<br />

Teilhabe allein noch bei den<br />

jungen eltern. Die reagieren. Sie<br />

rufen nicht nach Revolution. Sie<br />

greifen zur Pille. Und immer öfter<br />

auch zum Messer.<br />

hat<br />

ein Gemeinwesen<br />

nur, wenn seine<br />

Macht der Freiheit<br />

aller dient.“<br />

die durchdemo-<br />

KrA tisierte geseLLschAft<br />

Die durchdemokratisierte Gesellschaft<br />

minimalisiert die<br />

persönliche Freiheit des einzelnen<br />

über sich in einen winzigen<br />

Anteil gegenüber der gewaltigen<br />

Mehrheit der Anderen.<br />

Seine unzähligen Anteile an<br />

den Geschicken dieser Anderen<br />

aber kompensieren nicht<br />

den persönlichen Verlust. Die<br />

demokratische Anteilsmacht<br />

über andere scheint manch Naivem<br />

vielleicht geil, ist aber niemandem<br />

Freiheit. Solch gesellschaftliche<br />

Demokratisierung<br />

wäre eine gigantische Illusion.<br />

Sie wäre Selbst- und Fremdbetrug:<br />

Wo tausend Menschen<br />

zueinander in Beziehung treten,<br />

sich organisieren und aneinander<br />

orientieren, wo sie sich helfen<br />

und befrieden, da entstehen<br />

keine neuen oder anderen Menschen.<br />

es entsteht eine Gemeinschaft,<br />

eine Gemeinsamkeit, die<br />

sich ihrem Menschsein anfügt.<br />

Sie ist ohne den Menschen<br />

nicht denkbar und doch nicht<br />

mit ihm oder seiner Vielzahl einfach<br />

identisch, sie hat eigenen<br />

Regelbedarf, eigene Interessen<br />

und eigene Macht, nach außen<br />

und – noch mehr – nach innen.<br />

Schon vor 250 Jahren ordnete<br />

Jean Jacques Rousseau (1712–<br />

1778) der Gemeinschaft einen<br />

eigenen Willen zu, einen anderen<br />

als den einzelmenschen,<br />

sogar mit klarer Rangfolge. Die<br />

„Volonté Générale“ habe immer<br />

Vorrang, selbst vor der Summe<br />

aller Gemeinschaftsangehörigen<br />

und deren „Volonté de<br />

tous“ (1762). Diese Lehre wurde<br />

vielfach verzerrt und verfälscht<br />

und missbraucht, wohl am entsetzlichsten<br />

durch einen einstmals<br />

populären Satz Roland<br />

Freislers: „Recht ist, was dem<br />

Volke nützt.“<br />

Rousseau prägt noch heute<br />

das demokratische Verständnis<br />

des Westens. Doch schon sein<br />

Ansatz war falsch. ob das Gemeinwesen<br />

einen eigenen Willen<br />

haben kann und wie, stelle<br />

ich dahin. Sicher jedoch ist: Das<br />

Gemeinwesen als solches irrt<br />

nicht. es liebt nicht, es sündigt<br />

nicht, denn es denkt nicht. All<br />

das tun die, die namens der Gemeinschaft<br />

handeln. Und diese<br />

Mandatare gehören ethischmoralisch<br />

in keine anderen,<br />

schon gar keine höheren Kategorien<br />

als ihre Mandanten,<br />

die Bürger. Dies gilt eindeutig<br />

jedenfalls im Rechtsstaat. Was<br />

Amtsinhaber dürfen – und müssen<br />

– bestimmen zum einen ihre<br />

Berufung, mittels der die Bürger<br />

sie legitimieren, zum anderen<br />

der Auftrag (Mandat), den Verfassung<br />

und Recht sowohl beschreiben<br />

wie begrenzen.<br />

demoKrAtie ist<br />

mehr ALs wAhL<br />

Die anvertraute ermächtigung<br />

umreißt in Deutschland das<br />

Grundgesetz, vor allem Schutz<br />

und Wahrung der menschlichen<br />

Grundrechte (Art. 1 - 19). Diese<br />

darf in ihrem Wesensgehalt niemand<br />

antasten (Art. 19 Abs. 2).<br />

Die legitimierende, ermächtigende<br />

Berufung ins Amt des Gemeinweisens<br />

beruht auf Wahl,<br />

ob direkt oder mittelbar. Das<br />

Mandat ist befristet und endet –<br />

im Bund – nach vier Jahren. Mit<br />

ihm endet die Legitimation einer<br />

Amtsperson, geht vom Volke<br />

aus. Sie unterliegt – zum Schutz<br />

der Menschen – der Gewaltenteilung<br />

(Art. 20 Abs. 2 GG).<br />

Dieser exkurs in Rechtstexte<br />

mag Ihnen banal und überflüssig<br />

erscheinen. Aber er dient<br />

„ Rousseau prägt noch<br />

heute das demokratische<br />

Verständnis. Doch schon<br />

sein Ansatz war falsch.“<br />

mir zur erinnerung,<br />

dass Demokratie,<br />

unsere Demokratie, nicht reduziert<br />

werden kann auf die<br />

bloße Abhaltung von Wahlen<br />

– quasi periodische Happenings<br />

– und die Austeilung von<br />

Blankoschecks auf Staatsmacht<br />

und Besoldung: Die Vertreter,<br />

die Auftragnehmer des Volkes,<br />

schulden Rechenschaft.<br />

Das Bundesverfassungsgericht<br />

spricht von zwingender Rückkopplung,<br />

die dem demokratischen<br />

Mandat immanent sei.<br />

Die erwählten müssen berichten<br />

und begründen, was sie mit<br />

der anvertrauten Macht getan<br />

haben, und insbesondere, an<br />

wen und wofür und wie lange<br />

sie diese anvertraute Macht<br />

weitergeleitet (abgegeben) haben,<br />

spätestens vor der Wiederwahl.<br />

Sie schulden diese<br />

Rechenschaft dem ganzen Volk<br />

und nicht etwa nur ihrem potentiellen<br />

Wähler in Darmstadt.<br />

Und selbst ihr Gewissen, auf<br />

das sie sich gemäß Artikel 38<br />

GG berufen, unterliegt keinem<br />

Datenschutz. ohne solche Rechenschaftspflicht<br />

ist – demokratisch<br />

– keine Stimmensammlung<br />

eine Wahl, erwählung,<br />

eine substanzielle ermächtigung<br />

aus mündigem Vertrauen.<br />

Meine Herren <strong>Burschenschaft</strong>er!<br />

Mit Ihrem leidenschaftlichen<br />

Bekenntnis zur Freiheit<br />

und zur Würde des Menschen<br />

stehen Sie fest auf dem rechtsstaatlichen<br />

Boden Deutschlands.<br />

Mit Ihrem Appell zu aktivem<br />

engagement machen Sie<br />

zudem deutlich, dass geschriebene<br />

Rechtstexte, der Gang<br />

zu den Urnen und feierliche<br />

Bekenntnisse nicht genügen.<br />

Freiheit und Menschlichkeit verlangen<br />

mehr und viel mehr als<br />

bloße emanzipation.<br />

Aber steht auf diesem festen<br />

freiheitlichen Boden auch noch<br />

unsere demokratische Praxis?<br />

Unsere Gegenwart in Deutschland,<br />

in europa? Sind da die obigen<br />

Hinweise noch immer nur<br />

banale Zeitvergeudung? Kennen<br />

Sie etwa einen Kommissar<br />

der europäischen Union, der<br />

Ihnen oder anderen in Deutschland<br />

Rechenschaft ablegt zu<br />

seinen Maßnahmen, zu denen<br />

– in Deutschland – ihn nur die<br />

Weiterleitung von ermächtigungen<br />

berechtigt, die er, wenn<br />

auch noch so mittelbar, aus<br />

dem befristeten Mandat der<br />

Bundestagsabgeordneten herleiten<br />

kann?<br />

Oder wissen Sie von öffentlicher<br />

Rechenschaft eines Ministerialdirigenten<br />

aus Berlin, der als<br />

deutscher Vertreter im europäischen<br />

Ministerrat abgestimmt<br />

und Recht geschaffen hat, und<br />

der aus dieser Funktion nicht<br />

einmal dem Bundeskabinett berichtet,<br />

geschweige denn dem<br />

<strong>Deutsche</strong>n Bundestag?<br />

wie steht freiheit<br />

zu demoKrAtie?<br />

Wenden wir uns wieder der<br />

Ausgangsfrage zu: Wie steht<br />

Freiheit zu Demokratie? Wie<br />

verbinden sich beide? oder<br />

verdrängen sie sich? Wir stellen<br />

gemeinsam fest, dass persönliche<br />

Freiheit ein grundlegender<br />

Wert unseres Daseins<br />

ist. Demokratie ist hingegen<br />

ein solcher Wert nicht. Sie ist<br />

vielmehr ein System der Macht<br />

über Menschen. Sie ist ein Verfahren,<br />

das die einen zu Macht<br />

über Menschen und über mich<br />

bestellt, sie förmlich autorisiert.<br />

„Wer<br />

Frei ­<br />

heiten<br />

aufgibt,<br />

um Sicherheit<br />

zu<br />

gewinnen,<br />

verdient<br />

weder<br />

Freiheit<br />

noch<br />

Sicherheit.“<br />

Benjamin Franklin<br />

„Der<br />

Freiheit<br />

eine<br />

Gasse!“<br />

carl theodor körner<br />

„Die<br />

Frei heit<br />

und das<br />

Himmelreich<br />

gewinnen<br />

keine<br />

Halben!“<br />

ernst moritz arndt<br />

14 15<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


Geboren 1938<br />

in Bamberg, ist<br />

Rechtsanwalt und<br />

CSU­Politiker. Er war<br />

von 1972 bis 1984<br />

Mitglied des Bundestages<br />

und von 1984<br />

bis 1992 Mitglied<br />

des Europäischen<br />

Parlaments. Er ist<br />

der dritte Sohn von<br />

Claus Schenk Graf<br />

von Stauffenberg.<br />

„Die<br />

Freiheit<br />

ist immer<br />

in<br />

der Defensive<br />

und daher in<br />

Gefahr. Wo die<br />

Gefahr in einer<br />

Bevölkerung<br />

nicht mehr<br />

gespürt wird, ist<br />

die Freiheit fast<br />

schon verloren.”<br />

karl Jaspers<br />

franz Ludwig schenk<br />

graf von stauffenBerg<br />

Stünde<br />

die<br />

Demokratie<br />

über<br />

der Freiheit,<br />

dann stünden<br />

das Gemeinwesen<br />

über den einzelnen<br />

und die Macht über<br />

den Menschen. Der Wert<br />

der Freiheit würde zur leeren<br />

Floskel. Sähe man beide<br />

gleichgewichtig nebeneinander,<br />

so legitimierte man lediglich die<br />

– begrifflich immer stärkere –<br />

Macht, sich die Freiheit des einzelnen<br />

gefügig zu schrumpfen.<br />

Das Wort von der freiheitlichen<br />

Demokratie verkümmerte zum<br />

Massen-Placebo aus gefälligen<br />

Sonntagsreden.<br />

existenzielle Berechtigung hat<br />

ein Gemeinwesen, eine Gemeinschaft<br />

nur, wenn sie und ihre<br />

Macht der Freiheit aller dienen.<br />

Demokratie also legitimiert sich<br />

allein aus ihrer dienenden und<br />

also nicht beherrschenden oder<br />

bevormundenden Funktion. Sie<br />

legitimiert sich aus dem Dienst<br />

für Menschen und ergo für die<br />

menschliche Freiheit.<br />

Wer Demokratie lediglich als<br />

staatspolitisches organisationsmodell<br />

versteht oder wer ihr<br />

Regelwerk zum Dogma erhöht,<br />

wer ihre begriffliche, zielgebundene<br />

und täglich neu geforderte<br />

Dienstbestimmung leugnet,<br />

der verfälscht sie zur Perversion.<br />

Wer aber meint, mehrheit-<br />

„ Die demokratische<br />

Anteilsmacht über andere<br />

ist niemandem Freiheit.“<br />

lich demokratisch anvertraute<br />

Macht ermächtige zu Formung<br />

(Umformung) der Menschen,<br />

zu ihrer egalisierung und Disziplinierung,<br />

zu ihrer emotionalisierten<br />

Vermassung oder<br />

resignativen Unterwerfung, der<br />

träumt von einer neuerlichen<br />

„Dämogradischen Räbbublig“.<br />

die mitmenschen<br />

er muti gen,<br />

frei zu sein<br />

Meine Damen und Herren!<br />

Freiheit ist hohes Gut und<br />

Aufgabe zugleich. Wir wissen,<br />

dass wir sie verlieren können,<br />

und wissen, wie unendlich<br />

schwer es dann ist, sie wieder<br />

zu gewinnen. Politisch haben<br />

dazu unsere Landsleute im<br />

osten 56 Jahre gedarbt. Aber<br />

auch danach haben Freiheit<br />

nur die, die sie leben. Denn<br />

Freiheit für sich allein zu leben,<br />

gewissermaßen autistisch, ist<br />

nicht möglich. Wir brauchen<br />

einander und – auch deshalb –<br />

schulden wir einander. Als Demokraten<br />

wissen wir, dass wir<br />

kein höheres Recht und keinen<br />

höheren Wert haben als unsere<br />

Mitbürger. Freiheit birgt<br />

daher begrifflich in sich Miteinander<br />

und Zueinander, nicht<br />

vermanscht, sondern jedes<br />

gegenüber jedem, Person zu<br />

Person. Freiheit daher ist mehr<br />

als Anspruch oder Selbsterfüllung.<br />

Sie ist das Gebot, die<br />

Mitmenschen zu ermutigen,<br />

frei zu sein und frei zu leben.<br />

Nur so kann ich (freiheitlicher)<br />

Demokrat sein, ob gewählt<br />

oder nicht. Ich zitiere dazu<br />

nochmals Joachim Gauck. er<br />

schließt seine Tutzinger Rede:<br />

„Ich wünschte mir, dass sich<br />

unsere Gesellschaft tolerant,<br />

wertbewusst und vor allen<br />

Dingen in Liebe zur Freiheit<br />

entwickelt und nicht vergisst,<br />

dass die Freiheit der erwachsenen<br />

Verantwortung heißt.“<br />

Da haben Sie endlich das<br />

Wort, auf das Sie vermutlich<br />

schon lange warten. es ist der<br />

maßgebende Aspekt, ohne<br />

den Freiheit nicht ist: Verantwortung,<br />

ehrlich verlässlich,<br />

mitfühlend, dienend.<br />

Mit diesem Satz, meine Damen<br />

und Herren, schließe ich<br />

auch einen großen Kreis aus<br />

meinem eigenen Lebenslauf:<br />

Vor über 40 Jahren war ich<br />

noch nicht Abgeordneter, aber<br />

immerhin im Bundesvorstand<br />

der Jungen Union. Damals, angriffsfreudig<br />

gegen links und<br />

rechts, verfasste ich ein Pamphlet<br />

über Sinn und Unsinn<br />

deutscher Gesellschaftspolitik.<br />

Ich nannte es „Das Spiel mit<br />

der Freiheit“. Sein Fazit: Aus<br />

den verfügbaren Mitteln der<br />

Gegenwart sei eine leistungsfähige<br />

Gesellschaft aufzubauen,<br />

die den Menschen, dem einzelnen<br />

diene und ihn nicht beherrsche.<br />

Wörtlich schloss ich:<br />

„Wir müssen den Fortschritt<br />

den Menschen verpflichten,<br />

weil wir der Menschlichkeit<br />

verpflichtet sind. Wir wollen,<br />

dass die <strong>Deutsche</strong>n Mensch<br />

sein können in Deutschland.<br />

Wir wollen verantwortete Freiheit<br />

in einer verantwortlichen<br />

ordnung. Das ist die Freiheit,<br />

die wir fordern.“<br />

Und das, meine Damen und<br />

Herren, ist die Freiheit, die ich<br />

meine – auch heute noch.<br />

von ra prof. dr. Johannes weBerLing<br />

Frankonia gießen (1979)<br />

h a m B a c h<br />

und die presseFreiheit heute<br />

Das oLG Hamburg bestätigte mit seinem Urteil<br />

vom 6. Februar 2007 auf Antrag von ex-Bundeskanzler<br />

Gerhard Schröder eine entscheidung des<br />

LG Hamburg, mit dem dieses der Nachrichtenagentur<br />

ddp die Verbreitung eines Zitates des Generalsekretärs<br />

der nordrhein-westfälischen FDP,<br />

Lindner, untersagte. Dieser hatte die Auffassung<br />

vertreten, „Die RAG versucht offenbar, sich ihren<br />

eigenen Börsengang zu erkaufen, in dem sie mit<br />

Schröder und Merz einflussreiche Politiker auf ihre<br />

Gehaltsliste setzt.“<br />

Dass die ddp die Aussage Lindners entsprechend<br />

den Vorgaben des BVerfG 1 eindeutig als Zitat<br />

gekennzeichnet und unmittelbar vor dem Zitat<br />

klargestellt hatte, dass ex-Bundeskanzler Schröder<br />

unentgeltlich tätig war, interessierte das oLG<br />

Hamburg nicht. Trotz der zum Zeitpunkt der Verbreitung<br />

der ddp-Meldung anhaltenden Debatte<br />

über die verschiedenen engagements des ex-Bundeskanzlers<br />

sah das oLG Hamburg allein durch die<br />

Verbreitung der kritischen Stellungnahme Lindners<br />

das Persönlichkeitsrecht des ex-Kanzlers verletzt. 2<br />

Seit ende 2006 verlangt das Polizeipräsidium Unterfranken<br />

von Redakteuren, welche die Polizei<br />

bei einsätzen begleiten oder bei polizeilich begleiteten<br />

bzw. geschützten Veranstaltungen fotografieren<br />

oder filmen wollen, den Abschluss einer<br />

Vereinbarung über Bild- bzw. Filmaufnahmen. In<br />

dieser Vereinbarung muss der Redakteur der<br />

Pressestelle des Polizeipräsidiums Unterfranken<br />

das Recht einräumen, den erstellten Bericht vor<br />

einer Veröffentlichung, Ausstrahlung oder sonstigen<br />

Wiedergabe daraufhin zu sichten, ob durch<br />

eine ausreichende Anonymisierung eine Verletzung<br />

der Rechte Dritter ausgeschlossen werden<br />

kann. 3 Diese Praxis ist derzeit in mindestens neun<br />

der 16 Bundesländer üblich. 4<br />

JAgd nAch Quote?<br />

„ Die von August Wirth beschworene<br />

Macht der Presse scheint zum<br />

zahnlosen Tiger geworden zu sein.“<br />

In seiner Rede bei der offiziellen Gedenkveranstaltung<br />

zum runden 175. Jubiläum des Hambacher<br />

Festes am 26. Mai 2007 wies Altbundespräsident<br />

Richard von Weizsäcker auf die Pressefreiheit als<br />

zentrale Forderung der Veranstalter und Teilnehmer<br />

des Hambacher Festes hin. Weizsäcker stellte<br />

fest, dass bei uns heute Pressefreiheit herrsche<br />

und unsere Medien im Gegensatz zu Hambachs<br />

Zeiten nicht von Zensur oder staatlichen Fesseln<br />

geprägt seien. Probleme machten heute eher gewerbliche<br />

kapitalistische Gewinnziele. Der qualitative<br />

Wert der Pressefreiheit sei in Gefahr, wenn die<br />

Jagd nach Quoten und Auflagen oder Rendite das<br />

Niveau des Journalismus zu dominieren drohe.<br />

Die Qualität der Presse sei ein öffentliches Gut,<br />

auf das keine Demokratie verzichten könne. Die<br />

legitime investigative, also neugierige Arbeit der<br />

Journalisten werde umso eher verstanden und akzeptiert,<br />

soweit sie sich nicht ihrerseits primär von<br />

sensationellen, gewinnbringenden ergebnissen<br />

leiten ließe. Die Pressefreiheit als zentrales Thema<br />

der beiden Hauptsprecher des Hambacher Festes<br />

bleibe in unserer heutigen Zeit unserer Aufmerksamkeit<br />

überantwortet. 5<br />

Ist diese Feststellung zutreffend? Ist nicht zuletzt<br />

vor dem Hintergrund der eingangs genannten Beispiele<br />

bloße Aufmerksamkeit hinsichtlich der Pressefreiheit<br />

in Deutschland wirklich eine angemessene<br />

Folgerung aus den zentralen Themen des<br />

Hambacher Festes? oder haben die Forderungen<br />

der Redner und Teilnehmer<br />

des Hambacher Festes für<br />

die Verwirklichung der Pressefreiheit<br />

heute eine größere<br />

Bedeutung?<br />

16 17<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

SPeZIAL<br />

„Freiheit<br />

ist<br />

nur möglich,<br />

wenn<br />

man bereit<br />

ist, ein Risiko<br />

einzugehen,<br />

und ohne dieses<br />

Risiko der<br />

Freiheit gibt es<br />

keine lebendige<br />

Demo kratie.“<br />

carlo schmid<br />

„Die Germanen<br />

brach ten uns<br />

die Idee der<br />

persönlichen<br />

Freiheit,<br />

welche diesem<br />

Volke vor allem<br />

eigen war. Die<br />

Reformation<br />

kam aus dieser<br />

Quelle wie die<br />

Burschen verschwörung<br />

auf<br />

der Wart burg,<br />

Gescheites wie<br />

Dummes.“<br />

Johann Wolfgang<br />

von goethe<br />

Foto: Bundesarchiv


„Es gibt<br />

kaum<br />

ein Wort<br />

heutzutage,<br />

mit dem<br />

mehr<br />

Missbrauch<br />

getrieben wird<br />

als mit dem<br />

Worte ‘frei’.<br />

Ich traue dem<br />

Worte nicht,<br />

weil keiner die<br />

Freiheit für alle<br />

will; jeder will<br />

sie für sich …“<br />

otto von Bismarck<br />

„Nein,<br />

Sie können<br />

den Frauen<br />

nicht unter<br />

dem Vorwand<br />

der Religionsfreiheit<br />

ihre<br />

Grundrechte<br />

nehmen. Wenn<br />

Sie gegen Geburten<br />

kontrolle<br />

sind, dann<br />

lassen Sie<br />

es. Religionsfreiheit<br />

bedeutet<br />

nicht, dass Sie<br />

andere zwingen<br />

können, nach<br />

Ihren Glaubensvor<br />

stellungen<br />

zu leben.“<br />

Barack obama<br />

Pressefreiheit ALs<br />

PrüfstAnd<br />

In welchem Umfeld fand das<br />

Hambacher Fest statt? 1776<br />

fand sich die Pressefreiheit in<br />

Artikel XII des Grundrechtskatalogs<br />

für Virginia, der Bill<br />

of Rights. Die Pressefreiheit<br />

sei, heißt es dort, eines der<br />

großen Bollwerke der Freiheit. 6<br />

1791 untersagte der erste Zusatzartikel<br />

zur amerikanischen<br />

Verfassung von 1787 dem Kongress,<br />

Gesetze zu erlassen,<br />

die die Rede- und Pressefreiheit<br />

beschränken. 7 Artikel 11<br />

der französischen Deklaration<br />

der Menschen- und Bürgerrechte<br />

vom 26. August 1789<br />

garantierte die Presse- und<br />

Meinungsfreiheit erstmals in<br />

einem europäischen Land. 8<br />

Die Pressefreiheit wurde zum<br />

Prüfstand für jede Verfassung<br />

und zum Symbol für die Gewährung<br />

von Freiheitsrechten. 9<br />

Infolge der Aufklärung, der<br />

Französischen Revolution und<br />

des napoleonischen Umbruchs<br />

zerbrachen auf dem Gebiet<br />

des alten Heiligen Römischen<br />

Reiches <strong>Deutsche</strong>r Nation die<br />

traditionellen Herrschafts-, Legitimations-<br />

und Kommunikationsmuster.<br />

Dem Faktor Öffentlichkeit<br />

kam ein bis dahin neuer<br />

politischer Stellenwert zu. 10 Die<br />

Verbreitung der<br />

„ Erwägt,<br />

Ideen der Französischen<br />

Revolution<br />

wäre ohne die zu<br />

diesem Zeitpunkt<br />

bereits existierende<br />

Fülle von<br />

Zeitungen undenkbar<br />

gewesen. Umgekehrt<br />

entdeckten Preußen,<br />

Österreich und nicht zuletzt<br />

auch Bayern in Anbetracht des<br />

publizistischen Feldzugs Napoleons,<br />

der die militärischen<br />

eroberungszüge begleitete, die<br />

Pressepolitik oder modern gesprochen<br />

die Öffentlichkeitsarbeit<br />

als wirkungsvolles Mittel:<br />

Sie konnte die eigene Bevölkerung<br />

zu Widerstand, Aufstand<br />

und Mobilisierung gegen Napoleon<br />

motivieren. Die öffentliche<br />

Meinung wurde plötzlich<br />

als Faktor der Politik entdeckt<br />

und genutzt. 11<br />

1815: dAs voLK hAtte<br />

seine schuLdigKeit<br />

getAn<br />

Nach dem militärischen Sieg<br />

über Napoleon setzten Preußen<br />

und Österreich die eigene<br />

Propagandaarbeit noch erfolgreich<br />

zur Durchsetzung ihrer<br />

Forderungen und Vorstellungen<br />

ein. 12 Mit der Gründung<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Bundes gelang<br />

es Metternich als bestimmender<br />

Figur der Restauration<br />

hingegen, das monarchische<br />

Prinzip wieder als Norm zu definieren,<br />

nach der die gesamte<br />

Staatsgewalt im Staatsoberhaupt<br />

vereinigt bleiben sollte.<br />

13 Das Volk, das zur Überwindung<br />

Napoleons benötigt<br />

wurde, hatte seine Schuldigkeit<br />

getan und sollte wieder gehen.<br />

Trotzdem bekamen neben einigen<br />

Kleinstaaten, etwa 1814<br />

Nassau oder 1816 Sachsen-<br />

welche ungeheure<br />

Wirkung die Macht der<br />

Presse schon binnen weniger<br />

Monate hervorzubringen<br />

imstande war!“<br />

Weimar, insbesondere die<br />

süddeutschen Staaten Bayern<br />

und Baden, Württemberg und<br />

Hessen-Darmstadt Verfassungen.<br />

14 Artikel XIII der Deut-<br />

schen Bundesakte von 1815<br />

legte sogar ausdrücklich fest,<br />

dass es in allen Bundesstaaten<br />

eine landständische Verfassung<br />

geben werde. 15<br />

In Preußen blieb es dagegen<br />

beim bloßen Verfassungsversprechen<br />

des Königs vom 22.<br />

Mai 1815, das nicht eingelöst<br />

wurde. 16<br />

Die Unzufriedenheit der jungen<br />

Generation, insbesondere der<br />

<strong>Burschenschaft</strong>en, radikalisierte<br />

sich und gipfelte 1819 in der<br />

ermordung des Schriftstellers<br />

und russischen Agenten August<br />

von Kotzebue durch den<br />

Studenten Karl Ludwig Sand<br />

sowie dem Attentat des Apothekers<br />

Loening auf den nassauischen<br />

Regierungsdirektor<br />

Ibell 17 . Das bot den restaurativen<br />

Kräften im <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bund unter Führung von Metternich<br />

die Möglichkeit, auf der<br />

Bundesversammlung am 20.<br />

September 1819 die im August<br />

1818 beratenen Karlsbader<br />

Beschlüsse 18 in Kraft zu setzen.<br />

Darunter befanden sich<br />

unter anderem „Provisorische<br />

Bestimmungen hinsichtlich der<br />

Freiheit der Presse“, das Bundes-Preßgesetz.<br />

19<br />

Paragraf 1 des Bundes-Preßgesetzes<br />

legte fest, dass alle<br />

Schriften, die in der Form täglicher<br />

Blätter, heftweise oder<br />

in einem Umfang von maximal<br />

20 Druckbogen<br />

erschienen, in<br />

keinem Bundesstaat<br />

ohne vorherigeGenehmigung<br />

durch<br />

die Landesbehörden<br />

gedruckt werden durften.<br />

Weitere Bestimmungen sahen<br />

Berufsverbote für Redakteure<br />

der Blätter vor, deren erscheinen<br />

und Verbreitung durch den<br />

Beschluss der Bundesversammlung<br />

unterdrückt wurden. 20<br />

In Artikel 26 der Wiener<br />

Schlussakte war bereits festgelegt<br />

worden, dass im Falle der<br />

Gefährdung der inneren ordnung<br />

eines Bundesstaates der<br />

Bund notfalls auch unaufgerufen<br />

verpflichtet sei, zur Wiederherstellung<br />

der ordnung und<br />

Sicherheit einzuschreiten. Artikel<br />

57 stellte ergänzend fest,<br />

dass keine landständische Verfassung<br />

die im Bunde vereinigten,<br />

souveränen Fürsten in der<br />

erfüllung ihrer bundesmäßigen<br />

Verpflichtungen beschränken<br />

dürfe. Bundesländer, die ihren<br />

Landesverfassungen entsprechend<br />

die Zensurvorschriften<br />

des Bundes-Preßgesetzes missachteten<br />

oder nur zögerlich anwandten,<br />

müssten deshalb mit<br />

einer Intervention des Bundes<br />

zur Wiederherstellung der inneren<br />

ordnung rechnen. 21<br />

für die „wiedergeburt<br />

deutschLAnds“<br />

Der Sturz der restaurierten<br />

Bour bonen-Monarchie in Frankreich<br />

in der Juli-Revolution<br />

1830, die kurz darauf erfolgte<br />

Unabhängigkeitserklärung Belgiens<br />

sowie der am 29. November<br />

1830 beginnende polnische<br />

Aufstand brachten die gesellschaftlichen<br />

und politischen<br />

Verhältnisse auch in Deutschland<br />

wieder in Bewegung. 22<br />

Unruhen in Braunschweig im<br />

September 1830 führten erst<br />

zur Flucht des regierenden<br />

Herzogs Karl, später dann zu<br />

seinem Sturz und 1832 zu einer<br />

neuen Verfassung für das Herzogtum<br />

Braunschweig. 23 eine<br />

große Teile des Landes Kurhessen<br />

erfassende Protestbewegung<br />

führte 1831 auch dort zur<br />

Verabschiedung einer liberalen<br />

Landesverfassung mit einer<br />

Garantie der Pressefreiheit in<br />

deren Paragraf 37. 24 Am 24. Dezember<br />

1831 verabschiedeten<br />

die beiden Kammern des badischen<br />

Landtags das erste badische<br />

Pressegesetz, dessen Paragraf<br />

1 bestimmt, dass „eine<br />

Zensur der Druckschriften, die<br />

im Großherzogtum Baden herauskommen<br />

oder verbreitet<br />

werden, aufgehoben ist.“ 25 Im<br />

Februar 1832 gründeten die<br />

Pressefreiheit – rührt nicht<br />

daran! (Frankreich, 1834)<br />

Journalisten Johann Georg August<br />

Wirth aus München und<br />

Philipp Siebenpfeiffer den Preß-<br />

und Vaterlandsverein, der auf<br />

der Basis der Pressefreiheit die<br />

Macht des Geistes und der öffentlichen<br />

Meinung gegen die<br />

Macht der Fürsten zur „Wiedergeburt<br />

Deutschlands“ und<br />

seiner demokratischen organisation<br />

mobilisieren sollte.<br />

Der Verein wurde zwar bereits<br />

im März 1832 verboten. 26 Die<br />

Hauptakteure Wirth und Siebenpfeiffer<br />

luden jedoch im April<br />

zu einem „Nationalfest der<br />

<strong>Deutsche</strong>n“ auf der Ruine des<br />

Hambacher Schlosses bei Neustadt<br />

am 27. und 28. Mai 1832<br />

ein. Vorausgegangen war das<br />

Verbot der von Wirth und Siebenpfeiffer<br />

herausgegebenen<br />

Zeitschriften, dem Westboten<br />

und der <strong>Deutsche</strong>n Tribüne. 27<br />

Zentrales Thema der Reden auf<br />

dem Hambacher Fest war die<br />

Pressefreiheit als Schlüssel zur<br />

erringung der politischen Freiheit<br />

aller <strong>Deutsche</strong>n. Nach Siebenpfeiffer<br />

appellierte Wirth<br />

an die Teilnehmer des Festes:<br />

„Wenn dagegen die reinsten,<br />

„Die<br />

Ein ­<br />

sicht<br />

muss wieder<br />

wachsen,<br />

dass Freiheit<br />

auch Verzicht<br />

bedeutet,<br />

dass es neben<br />

Selbstentfaltung<br />

und Indivi dualismus<br />

auch<br />

Aufgaben gibt,<br />

dass jeder<br />

ein zelne Verant<br />

wortung<br />

übernehmen<br />

muss und zwar<br />

freiwillig.“<br />

„Wer<br />

die Frei ­<br />

heit nicht<br />

im Blut<br />

hat, wer<br />

nicht fühlt,<br />

was das ist:<br />

Freiheit – der<br />

wird sie nie<br />

erringen.“<br />

18 19<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

ulrich Wickert<br />

kurt tucholsky<br />

Foto: michael J. Zirbes


„Der<br />

Engländer<br />

liebt die<br />

Freiheit wie<br />

sein rechtmäßiges<br />

Weib,<br />

der Franzose<br />

wie seine Braut<br />

– der <strong>Deutsche</strong><br />

wie seine alte<br />

Großmutter.“<br />

heinrich heine<br />

„Freiheit<br />

oder Tod.”<br />

Wahlspruch<br />

griechenlands<br />

„Es ist nicht<br />

der Zweck<br />

des Staates,<br />

Menschen aus<br />

vernünftigen<br />

Wesen zu Tieren<br />

oder Automaten<br />

zu machen,<br />

sondern im<br />

Gegenteil, daß sie<br />

selbst sich ihrer<br />

freien Vernunft<br />

bedienen und<br />

nicht Haß, Zorn<br />

und Betrug<br />

einander<br />

zuvortun. Der<br />

Endzweck des<br />

Staates ist also<br />

im Grund die<br />

Freiheit.“<br />

Baruch de spinoza<br />

fähigsten und mutigsten Patrioten<br />

über die zweckmäßigste<br />

Reform unseres Landes sich<br />

verständigt und zugleich sich<br />

verbunden haben, um durch<br />

eigene Journale die öffentliche<br />

Meinung des Gesamtvolkes<br />

für diese Reform zu gewinnen,<br />

wenn auch nur zwanzig an<br />

Geist, Feuereifer und Charakter<br />

ausgezeichnete Männer einen<br />

solchen Bund geschlossen<br />

und nun dem guten Volke die<br />

unabweisliche Notwendigkeit<br />

feiner politischen Veredlung<br />

sowie das<br />

dringende<br />

Bedürfnis<br />

der durchgreifenden<br />

Reform des<br />

Vaterlandes<br />

täglich mit<br />

Flammenzügen<br />

in das Herz schreiben,<br />

wenn solche Männer den Nationalstolz,<br />

das Gefühl der Bürgerwürde<br />

und die Flamme der<br />

Freiheitsliebe durch die Glut<br />

begeisternder Rede in allen<br />

deutschen Gauen erwecken,<br />

wenn nur zwanzig solcher<br />

Männer, zu einem geregelten<br />

Zusammenwirken verbunden<br />

und von einem Manne ihres<br />

Vertrauens geleitet, der Nation<br />

das schöne Schauspiel eines<br />

gottbegeisterten Kampfes<br />

für das Vaterland, für unser<br />

angebetetes, dreimal herrliches<br />

Deutschland täglich vor<br />

Augen stellen, wenn sie in ihrer<br />

Sendung nie müde werden, nie<br />

erzittern, nie erbleichen, wenn<br />

sie alle Verfolgungen von seiten<br />

der Vaterlandsverräter mit<br />

Freudigkeit ertragen, wenn<br />

sie der Gewalt kein Haar breit<br />

weichen und lieber tausendmal<br />

sich zermalmen lassen<br />

als von ihrem heiligen Kampfe<br />

abzustehen, wenn endlich die<br />

guten Bürger in den lichtern<br />

Gegenden unseres Landes das<br />

Wirken solcher Männer durch<br />

Verbreitung deren Schriften<br />

öffentlich oder im Stillen unterstützen;<br />

ja führwahr, dann<br />

wird, dann muss das große<br />

Werk gelingen, die verräterische<br />

Gewalt wird vor der Weihe<br />

der Vaterlandsliebe und<br />

der Allmacht der öffentlichen<br />

Meinung in den Staub sinken,<br />

Deutschland wird die Freiheit<br />

und den Frieden sehen, es wird<br />

zur herrlichsten Macht und<br />

Größe emporblühen. Niemand<br />

„ Die Durchsetzung der<br />

Pressefreiheit gegen<br />

alle Widerstände ist der<br />

Schlüssel zur freiheitlichdemokratischen<br />

Grundordnung.“<br />

kann hieran zweifeln, der die<br />

Macht der Presse kennt und<br />

der erwägt, welche ungeheure<br />

Wirkung dieselbe schon binnen<br />

wenigen Monaten hervorzubringen<br />

im Stande war.“ 28<br />

courAgierte PubLizisten<br />

ALs schLüsseL<br />

Für die Hauptakteure des<br />

Hambacher Festes, insbesondere<br />

für Wirth, waren also couragierte,<br />

sich nicht einschüchtern<br />

lassende Publizisten der<br />

Schlüssel zu wirklich durchgreifenden<br />

Reformen in Deutschland.<br />

In Anbetracht der rigiden<br />

Unterdrückung kritischer<br />

Publizistik durch die bestimmenden<br />

Mächte im <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bund erschien es naheliegend,<br />

dass die dauernde Veröffentlichung<br />

und Verbreitung<br />

reformerischer Ideale die politischen<br />

Verhältnisse friedlich<br />

verändern würden. Zwar<br />

schlugen die den <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bund be stim menden restaurativen<br />

Regierungen Österreichs<br />

und Preußens zunächst zurück<br />

und verschärften die Zensur<br />

mit Bundesgesetz vom 5. Juli<br />

1832. Zwar musste Baden am<br />

28. Juli 1832 sein Pressegesetz<br />

außer Kraft setzen und Wirth<br />

und Siebenpfeiffer wurden vor<br />

einem Geschworenengericht<br />

angeklagt. Doch Publikationen<br />

aller Art verbreiteten trotz<br />

Zensur unverändert freiheitliches<br />

Gedankengut und der<br />

Liberalismus entwickelte sich<br />

von einer publizistischliterarischen<br />

Bewegung<br />

zur wirklichen Volksbewegung.<br />

29<br />

Aus heutiger Sicht<br />

hatten die Hauptakteure<br />

des Hambacher<br />

Festes Recht. Die<br />

Durchsetzung der Pressefreiheit<br />

gegen alle Widerstände<br />

war und ist der Schlüssel zur<br />

Durchsetzung einer freiheitlich-demokratischenGrundordnung,<br />

die diesen Namen<br />

verdient. 30<br />

Wir leben heute in einem Staat<br />

mit freiheitlich-demokratischer<br />

Grundordnung, dessen Verfassung<br />

die Presse- und Rundfunkfreiheit<br />

garantiert. Reicht<br />

es vor dem Hintergrund der<br />

eingangs genannten aktuellen<br />

Beispiele zur Wahrung des<br />

erbes des Hambacher Festes<br />

aus, den Stand der Pressefreiheit<br />

in Deutschland, europa<br />

und der Welt aufmerksam zu<br />

verfolgen, wie Richard von<br />

Weizsäcker meinte?<br />

die würde der tiere<br />

nicht verLetzen<br />

Betrachten wir die Realität um<br />

uns herum: Der nicht unwesentlich<br />

von öffentlichen Geldern<br />

abhängige Berliner Zoo<br />

meinte im Juni 2007 als Konsequenz<br />

aus dem Medienrummel<br />

um den kleinen eisbären Knut,<br />

von Bildberichterstattern den<br />

Abschluss eines Rahmenvertrages<br />

über Foto- und Filmaufnahmen<br />

verlangen zu können.<br />

Darin sollen sich die Vertragspartner<br />

unter anderem dazu<br />

verpflichten, die angefertigten<br />

Bildmaterialien nicht für Darstellungen<br />

zu verwenden oder<br />

zu überlassen, die gegenüber<br />

dem Zoologischen Garten den<br />

Tatbestand der Kreditgefährdung<br />

erfüllen oder auf sonstige<br />

Weise dessen Geschäftsehre<br />

bzw. die Persönlichkeitsrechte<br />

ihrer Mitarbeiter oder die Würde<br />

der Tiere verletzen. 31<br />

Nachdem Herbert Grönemeyer<br />

ende der 90er seine Fans an<br />

der Verarbeitung des Krebstodes<br />

seiner Frau öffentlich<br />

und intensiv hatte teilnehmen<br />

lassen, war der BGH am 19.<br />

Juni 2007 32 folgender Auffassung:<br />

Aufnahmen, die Herbert<br />

Grönemeyer mit seiner neuen<br />

Partnerin in der Öffentlichkeit<br />

zeigten, stellten keinen Beitrag<br />

für eine Diskussion von<br />

allgemeinem Interesse dar,<br />

welcher die Publikation von in<br />

der Öffentlichkeit aufgenommenen<br />

Bildern Grönemeyers<br />

und seiner neuen Lebensgefährtin<br />

rechtfertigen könnte.<br />

Grönemeyers künstlerische<br />

Verarbeitung von Teilen seines<br />

Privatlebens sei keine Rechtfertigung<br />

zur Berichterstattung<br />

über die immerhin mit Herbert<br />

Grönemeyer jedenfalls teilweise<br />

gemeinsame Privatsphäre<br />

der Klägerin. 33<br />

Trotz der erneut unmissverständlichen<br />

Feststellungen<br />

des BVerfG in seinem cicero-<br />

Urteil 34 hat es das LG Braunschweig<br />

35 bis heute nicht<br />

geschafft, über die Rechtmäßigkeit<br />

der Überwachung der<br />

Telekommunikationsdaten einer<br />

Polizeireporterin der Wolfsburger<br />

Allgemeinen Zeitung zu<br />

entscheiden. Diese war aufgrund<br />

eines frei erfundenen<br />

Verdachts der Anstiftung und<br />

Beihilfe zum Geheimnisverrat<br />

angeordnet worden.<br />

Paragraf 201 a StGB, der Anti-<br />

Stalking-Paragraf, sowie das<br />

Allgemeine Gleichstellungsgesetz<br />

wurden ohne pressespezifische<br />

Sonderbestimmungen<br />

erlassen. Presse, Rundfunk<br />

und Fernsehen wurden verbal<br />

bzw. durch erklärungen des<br />

Justizministeriums beschwichtigt,<br />

diese Bestimmungen hätten<br />

keine Auswirkungen auf<br />

ihre redaktionelle Arbeit. 36<br />

Dass Meinungsäußerungen<br />

von Po li tikern ein anerkanntes<br />

Kriterium zur Auslegung von<br />

Gesetzen sind, dürfte für uns<br />

alle neu sein.<br />

Wir erfreuen uns einer zunehmenden<br />

Diktatur der Gutmenschen<br />

und der von diesen<br />

aufgestellten Maßstäbe der<br />

Political Correctness, die uns<br />

immer aktuell wissen lassen,<br />

welche Berichterstattung,<br />

Wortwahl oder Themenstellung<br />

gerade anständig oder<br />

unanständig ist.<br />

zAhnLose tiger?<br />

Ist vor diesem Hintergrund die<br />

bloße aufmerksame Verfolgung<br />

des Stands der Pressefreiheit<br />

in Deutschland, europa<br />

und der Welt wirklich eine angemessene<br />

Achtung des Hambacher<br />

erbes? Die von Wirth<br />

beschworene Macht der Presse<br />

scheint zum zahnlosen Tiger geworden<br />

zu sein. Die einführung<br />

der neuen Strafbestimmungen<br />

ohne pressespezifische Sonderklauseln<br />

und die Diskussion<br />

um die alten und neuen<br />

Sicherheitsgesetze zur Verbesserung<br />

der Terrorismusabwehr<br />

belegen nicht zuletzt, dass<br />

die Journalistengewerkschaften<br />

und Verlegerverbände als<br />

quasi institutionelle Hüter der<br />

Pressefreiheit kein ausreichendes<br />

Gehör mehr finden. Denkt<br />

man die neue Rechtsprechung<br />

des BGH zur Unzulässigkeit<br />

der Veröffentlichung von Fotos<br />

sich privat in der Öffentlichkeit<br />

aufhaltender Prominenter in<br />

der Presse konsequent weiter,<br />

führt das zu folgender Annahme:<br />

In Zukunft entscheiden<br />

nicht mehr Redaktionen nach<br />

journalistischen Maßstäben,<br />

Tausende zogen 1832 zum Hambacher Schloss, um unter<br />

anderem für Pressefreiheit einzutreten.<br />

„Keine<br />

Regierung<br />

und<br />

keine Bataillone<br />

vermögen Recht<br />

und Freiheit<br />

zu schützen,<br />

wo der Bürger<br />

nicht imstande<br />

ist, selber vor<br />

die Haustüre<br />

zu treten und<br />

nachzusehen,<br />

was es gibt.”<br />

„Ich<br />

habe nie<br />

verstanden,<br />

warum die<br />

westliche Welt<br />

die Freiheit so<br />

hoch hängt.<br />

So weit ich<br />

sehe, hat die<br />

Bewegungsfreiheit<br />

gewöhlich<br />

vor allem mit<br />

Mobilität zu<br />

tun, und die<br />

Redefreiheit<br />

mit Belei digungen.”<br />

20 21<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

gottfried keller<br />

glenn gould<br />

Foto: don hunstein/glenn gould Foundation


Foto: Jürgen schuschke<br />

„Die<br />

Freiheit<br />

ist so kostbar,<br />

dass man sie<br />

rationieren<br />

muss.”<br />

Wladimir iljitsch lenin<br />

„Stelle<br />

dich<br />

deiner<br />

größten<br />

Angst; danach<br />

hat die Angst<br />

keine Macht<br />

mehr, und die<br />

Angst vor der<br />

Freiheit wird<br />

kleiner und<br />

verschwindet.<br />

Du bist frei.“<br />

Jim morrison<br />

„Aus jeder<br />

Freiheit<br />

ohne<br />

Ordnung<br />

entsteht bloß<br />

eine Anarchie;<br />

nur das Zusammenwirken<br />

von<br />

Freiheit und<br />

Ordnung, von<br />

Vielfalt und<br />

Einheit bringt<br />

eine wahre<br />

Demokratie<br />

oder ein großes<br />

Kunstwerk<br />

hervor.“<br />

leonard Bernstein<br />

was von mutmaßlichem Interesse für die Öffentlichkeit<br />

ist, sondern sehen sich die Zivilgerichte<br />

unseres Landes zur entscheidung darüber<br />

berufen, ob eine Veröffentlichung einen zulässigen<br />

Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem<br />

Interesse liefert.<br />

Hat das noch etwas mit Pressefreiheit zu tun?<br />

Hatte das BVerfG nicht bereits in seinem Spiegel-Urteil<br />

1966 37 festgestellt, dass die Presse<br />

staatsfrei ist?<br />

„gestAttung grosser freiheit“<br />

Die preußischen Reformer Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

und in deren Folge auch die Hauptakteure<br />

des Hambacher Festes waren wesentlich<br />

weiter. In seiner Denkschrift „Ueber Pressfreiheit“<br />

schrieb Wilhelm von Humboldt am 9. Januar<br />

1817 an den preußischen Staatskanzler<br />

Hardenberg:<br />

„Eine gerechte und gesetzmässige Freiheit<br />

gern begünstigende Regierung wird ihn [den<br />

Zwang] daher lieber ganz entfernen, und in<br />

unserer Zeit haben zwar die Zeitungen und die<br />

ihnen ähnlichen Blätter den öffentlichen Geist<br />

oft irre geleitet, sind aber auch ein so wichtiges<br />

Mittel, ihn zu wecken und zu bilden geworden,<br />

dass man sehr unrecht thun würde, sie, wie bei<br />

jener Massregel geschieht, mit einer Geringschätzung<br />

zu behandeln.<br />

[...] So schwierig auch auf den ersten Anblick<br />

die Bestimmung des rechtmässigen Gebrauchs<br />

der Pressfreiheit zu sein scheint, so wird man<br />

doch, wenn man auf der einen Seite sich Werke<br />

denkt, die irgend eine, auf das Staatswohl sehr<br />

nah angehende Materie bloss theoretisch behandeln<br />

und mit denen die Censur billigerweise<br />

gar nichts zu thun hat, und auf der anderen<br />

Seite eine Flugschrift, die zu einer<br />

bestimmten, und zur unerlaubten<br />

Handlung auffordert, die mehr ein gedruckter<br />

Aufruf als ein Buch genannt<br />

zu werden verdient und mit der wieder<br />

die Pressfreiheit nichts zu schaffen<br />

hat, nicht so gar schwer die Mittellinie finden,<br />

jenseits welcher ein Herausgeber vor aller Verantwortlichkeit<br />

sicher ist und diesseits der er<br />

zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die<br />

Mitteilung wahrer Thatsachen, welcher Art sie<br />

auch sein möchten, die Erwähnung selbst von<br />

Gerüchten, wenn nur die Absicht klar ist, da-<br />

„ Pressefreiheit<br />

durch der Wahrheit näher zu kommen, ruhige,<br />

mit Gründen belegte, wenn übrigens auch ganz<br />

bestimmte Kritik von vollendeten Massregeln<br />

der Regierung oder einzelner Staatsbeamten,<br />

Aeusserung von Wünschen, Rath und Warnung<br />

bei noch nicht vollendeten würde der Staat<br />

immer Unrecht haben zu erschweren; über<br />

Fälle dieser Art dürfte daher der Schriftsteller<br />

nie verantwortlich gemacht werden. In diesen<br />

Dingen kann die Verantwortlichkeit<br />

erst angehen, wenn er gegen besseres<br />

Wissen die Thatsachen entstellt<br />

oder die Mittel, sich zu unterrichten,<br />

versäumt oder sich Thatsachen zu erzählen unterfängt,<br />

deren Erforschung ihm nicht möglich<br />

ist und deren Verbreitung, wenn sie unrichtig<br />

wäre, gefährlich sein würde; wenn er<br />

das Unerwiesene, ohne es als solches<br />

zu bezeichnen, hinstellt und sich bei<br />

erfolgender Widerlegung noch rühmt,<br />

zur Ausmittelung der Wahrheit beigetragen<br />

zu haben; wenn er die Maske des Gerüchts<br />

nur gebraucht, um etwas Verunglimpfendes sagen<br />

zu dürfen; wenn Urtheil, Rath und Warnung<br />

dem Ton und Vortrag nach die Absicht verrathen,<br />

auch durch etwas anderes als ihren inneren<br />

Gehalt wirken zu sollen, und sich daher als<br />

eine Art unrechtmäßiger Macht herandrängen.<br />

Gestattung grosser Freiheit, aber unverbrüchliche<br />

Wachsamkeit über diejenige Grenze, welche<br />

zum Wohl aller und nicht am wenigsten zur<br />

Erhaltung der Würde des Schriftstelleramtes<br />

selbst gezogen werden muss, sind gewiss das<br />

zuverlässigste Mittel, die Rechte des Staats und<br />

der Bürger von dieser Seite sicher zu stellen.“ 38<br />

Wilhelm von Humboldt forderte im Übrigen bereits<br />

damals auch die entscheidung von Pressesachen<br />

in einem summarischen Gerichtsverfahren<br />

in einer Instanz. 39<br />

ist das<br />

Resultat der Zivilcourage<br />

zahlloser Menschen.“<br />

Die restaurativen Kräfte in Preußen konnten<br />

ihre Maxime vom „beschränkten Untertan“<br />

ähnlich wie in Österreich trotzdem nicht länger<br />

durchhalten. Insbesondere die in der Zeit der<br />

Befreiungskriege gegen Napoleon begonnenen<br />

Bildungsreformen steigerten die allgemeine<br />

Volksbildung und führten dazu, dass die Vor-<br />

stellungen von Wirth auf dem Hambacher Fest<br />

über die Presse als Transportmittel ihrer Ideen<br />

ihre Wirkung in der breiten Bevölkerung entfalten<br />

konnten. Die Menschen wurden in die Lage<br />

versetzt, sich auf der Basis der ihnen mitgeteilten<br />

Informationen eine eigene politische Meinung<br />

zu bilden und damit überhaupt eine aktive<br />

politische Rolle spielen zu können. 40<br />

teiLhAbe Am stAAtswesen<br />

Auch dies ist eine Facette des erbes des Hambacher<br />

Festes: Das Grundrecht der Pressefreiheit<br />

kann nur dann zur vollen Wirkung gelangen,<br />

wenn die Adressaten der Medien in der<br />

Lage sind, den Inhalt der Medien nicht nur zur<br />

Kenntnis zu nehmen, sondern auch für die eigene<br />

aktive Teilhabe am demokratischen Staatswesen<br />

einzuordnen und zu nutzen. ein Aspekt,<br />

der in Anbetracht ständiger Reformen in<br />

allen Bildungs- und Ausbildungsbereichen<br />

unseres Landes von nicht zu<br />

unterschätzender Bedeutung ist. Zumal<br />

das einheitliche ergebnis aller Bildungs-<br />

und Ausbildungsreformen im Gegensatz<br />

zu den preußischen Reformen des 19. Jahrhunderts<br />

eine deutliche Nivellierung<br />

des allgemeinen Bildungsniveaus nach<br />

unten war und ist.<br />

Die Kernbotschaft der Hauptakteure des Hambacher<br />

Festes und die weitere entwicklung nach<br />

dem Hambacher Fest zeigen aber auch, wie<br />

dem unbefriedigenden Befund des Stands der<br />

Verwirklichung der Pressefreiheit in Deutschland<br />

heute und den damit verbundenen allgemeinen<br />

Begleitumständen erfolgreich begegnet<br />

werden kann. Die für das erreichen einer durchgreifenden<br />

Reform in Deutschland<br />

entscheidenden Akteure sind für<br />

Wirth die reinsten, fähigsten und<br />

mutigsten Patrioten, die mit Geist,<br />

Feuereifer und charakter tätig sind<br />

und sich von Verfolgung und Gewalt nicht einschüchtern<br />

lassen.<br />

Wirth und Siebenpfeiffer sprachen nicht nur auf<br />

dem Hambacher Fest, sondern belegten ihre<br />

These selbst, indem sie ihre politischen Vorstellungen<br />

in ihren Verteidigungsreden in der öffentlichen<br />

Verhandlung vor dem Schwurgericht<br />

in Landau ab ende Juli 1833 entwickelten und<br />

daraufhin in der ersten Instanz sogar freigesprochen<br />

wurden. 41<br />

Weitere Beispiele sind der Protest von drei<br />

Ministern der Staatsregierung gegen die Zensurverordnung,<br />

die sie als verfassungswidrig<br />

bezeichneten, 42 oder der Protest der sieben Göttinger<br />

Professoren, die am 1. November 1837<br />

den Bruch der Verfassung durch den neuen<br />

hannoverschen König ernst August kritisierten,<br />

auch wenn sie deshalb zunächst fristlos entlassen<br />

wurden. 43<br />

Die Aufzählung kleiner und großer Beispiele von<br />

Zivilcourage ließe sich beliebig fortführen. Dass<br />

wir heute ganz selbstverständlich ein Grundrecht<br />

der Pressefreiheit in unserer Verfassung<br />

haben, ist – verkürzt gesprochen – das Resultat<br />

der Zivilcourage zahlloser Menschen.<br />

AnwäLte der Pressefreiheit<br />

Die eigentliche Bedeutung von Hambach für die<br />

Pressefreiheit heute ist eine permanente Aufforderung<br />

an uns alle, ständig wirkliche Anwälte<br />

der Pressefreiheit in unserem Land zu sein. Nehmen<br />

wir journalistische Fehlleistungen nicht als<br />

unvermeidlich hin, sondern werben und fordern<br />

wir seriösen Journalismus in unseren Häusern<br />

ein, der zwangsläufig auch Geld kostet und<br />

einer guten Ausbildung und ständigen Fortbildung<br />

bedarf.<br />

Verteidigen wir die Pressefreiheit gegen zunehmende<br />

Versuche, Medien zu instrumentalisieren<br />

oder zu manipulieren. Betrachten wir<br />

unsere anwaltliche Tätigkeit gerade in Presseverfahren<br />

als chance zur fundierten Richterfortbildung.<br />

Geben wir uns nicht damit zufrieden,<br />

dass die Pressefreiheit praktisch bei allen<br />

relevanten Gesetzesvorhaben kein Faktor mehr<br />

ist, den die politisch Verantwortlichen in unserem<br />

Staat meinen, in ihre Überlegungen und<br />

Abwägungen einbeziehen zu müssen.<br />

„Die<br />

politische<br />

Freiheit eine<br />

schickliche<br />

Fabel,<br />

welche die<br />

Regierenden<br />

ersonnen<br />

haben, um<br />

die Regierten<br />

einzuschläfern.”<br />

napoleon Bonaparte<br />

„Die<br />

Freiheit<br />

der Kunst<br />

ist nicht<br />

viel wert,<br />

wenn sie<br />

keinen<br />

anderen Sinn<br />

hat, als die<br />

Behaglichkeit<br />

des Künstlers<br />

zu sichern.”<br />

22 23<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

albert camus<br />

„Die<br />

Geister<br />

brauchen<br />

Freiheit,<br />

aber keine<br />

Gleichheit.”<br />

Jean paul


Johannes Weberling, Jahrgang 1958, <strong>Burschenschaft</strong><br />

Frankonia Gießen, studierte Jura und Geschichte an<br />

den Universitäten Gießen/Lahn, Freiburg im Breisgau<br />

und Bonn. Von 1992 bis 1996 war er Leiter Personal<br />

und Recht der Berliner Zeitung und des Berliner Kuriers.<br />

Seit 1990 arbeitet er als Rechtsanwalt in Berlin mit den<br />

Schwerpunkten Medien­ und Arbeitsrecht.<br />

Johannes Weberling ist Initiator des 2001 gegründeten<br />

Studien­ und Forschungsschwerpunkts<br />

Medienrecht an der Europa­Universität Viadrina<br />

Frankfurt (Oder) und dort seit 2005 Honorarprofessor<br />

für Medienrecht.<br />

24<br />

1 Vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 30.<br />

September 2003 – 1 BvR 865/00, AfP<br />

2004, 49, 50 = NJW 2004, 590, 591.<br />

2 Vgl. oLG Hamburg, Urteil vom 6.<br />

Februar 2007 – 7 U 151/06. Die Nichtzulassungsbeschwerde<br />

ist beim BGH<br />

unter dem Az VI ZR 71/07 anhängig.<br />

3 Vgl. Polizeipräsidium Unterfranken<br />

– Präsidialbüro, Vereinbarung über<br />

Bild- bzw. Filmaufnahmen, Az PB-1821.<br />

4 Dagegen lautet Ziffer 9 der am 26.<br />

November 1993 von der Innenministerkonferenz<br />

beschlossenen, unverändert<br />

in Kraft befindlichen „Verhaltensgrundsätze<br />

für Presse/Rundfunk und Polizei<br />

zur Vermeidung von Behinderungen<br />

bei der Durchführung polizeilicher<br />

Aufgaben und der freien Ausübung<br />

der Berichterstattung“ wörtlich: „Das<br />

Fotografieren und Filmen polizeilicher<br />

einsätze unterliegt grundsätzlich keinen<br />

rechtlichen Schranken. Auch Filmen und<br />

Fotografieren mehrerer oder einzelner<br />

Polizeibeamter ist bei aufsehenerregenden<br />

einsätzen im Allgemeinen zulässig.<br />

Die Medien wahren die berechtigten<br />

Interessen der Abgebildeten und beachten<br />

insbesondere die Vorschriften des<br />

Kunsturhebergesetzes bei Veröffentlichungen<br />

des Film- und Fotomaterials.“<br />

(vgl. u.a. Amtsbl. Schl.-H. 1995 S. 72).<br />

5 Vgl. von Weizsäcker, Hambachs<br />

erbe: Freiheit, einheit und europa,<br />

FAZ vom 26. Mai 2007, S. 32.<br />

6 Vgl. Mann, Die Garantie der Pressefreiheit<br />

unter der Kurhessischen Verfassung<br />

von 1831, Frankfurt am Main 1993, S. 3.<br />

7 Vgl. Mann (Fn. 6), S. 3.<br />

8 Vgl. Mann (Fn. 6), S. 3.<br />

9 Vgl. Mann (Fn. 6), S. 3.<br />

Nutzen wir unsere Gremienmitgliedschaften zur<br />

Motivation der unsere Branche repräsentierenden Interessensverbände,<br />

nach Möglichkeiten und Wegen zu suchen,<br />

in Zukunft wieder wirkungsvoller und erfolgreicher für die<br />

erhaltung der Pressefreiheit in Deutschland und europa einzutreten.<br />

Und vergessen wir bei alledem nicht, dass Medien<br />

ihre in der freiheitlichen Demokratie unverzichtbare Rolle nur<br />

dann wahrnehmen können, wenn die Bürger unseres Landes<br />

bestmöglich gebildet in der Lage sind, ihre staatsbürgerlichen<br />

Rechte und Pflichten zu nutzen und an unserem Gemeinwesen aktiv<br />

teilzunehmen.<br />

Wenn wir das alles tun, erweisen wir uns als würdige Nachfolger der<br />

Hauptakteure des Hambacher Festes. Dann müssen wir uns hinsichtlich<br />

der erhaltung und der Verwirklichung der Pressefreiheit in unserem Lande<br />

und in europa keine Gedanken machen. Denn ebenso wie Johann Georg August<br />

Wirth können wir der Macht der Presse vertrauen, da wir wissen, welche ungeheure<br />

Wirkung diese schon binnen weniger Monate hervorzubringen imstande ist.<br />

queLLenangaBen<br />

Der vorliegende Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: prof. Dr. Johannes Weberling, Georg Wallraf,<br />

andrea Deters (hg): im zweifel für die pressefreiheit. Festschrift zur 100. arbeitstagung der arbeitsgemeinschaft<br />

der Verlagsjustitiare am 29. Juni 2007 auf dem hambacher Schloss, Baden-Baden 2008<br />

10 Vgl. Piereth, Bayerns Pressepolitik<br />

und die Neuordnung Deutschlands<br />

nach den Befreiungskriegen,<br />

München 1999, S. 37 ff.<br />

23 Vgl. Kermann (Fn. 22), Seite 33 f.;<br />

Nipperdey (Fn. 13), S. 366 f.<br />

11 Vgl. Piereth (Fn. 10), S. 45 ff.<br />

24 Vgl. Kermann (Fn. 22), Seite 32<br />

f.; Mann (Fn. 6), S. 12 ff.; Nipperdey<br />

(Fn. 13), S. 367.<br />

12 Vgl. Piereth (Fn. 10), S. 66 ff.<br />

25 Vgl. Württembergische Landes-<br />

13 Vgl. Nipperdey, <strong>Deutsche</strong> Geschichte bibliothek (Red. Klaus Dreher),<br />

1800–1866. Bürgerwelt und starker Von der Preßfreiheit zur Presse-<br />

Staat, 2. Auflage München 1984, S. freiheit, Stuttgart 1983, S. 72.<br />

272, 282 ff., 320; Piereth (Fn. 10, S. 296. 26 Vgl. Hüls, Johann Georg August Wirth<br />

14 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 273.<br />

1798–1848. ein politisches Leben im<br />

15 Vgl. Art. XIII der Bundesakte vom 8.<br />

Juni 1815, abgedruckt in: Walder,<br />

Die deutsche Bundesakte und der<br />

schweizerische Bundesvertrag<br />

von 1815, 2. Auflage Bern/Frankfurt<br />

am Main 1974, S. 28, 38.<br />

Vormärz, 2. Auflage Düsseldorf 2006,<br />

S. 22 4 ff.; Hüls, Zwei mutige Streiter<br />

für die Freiheit. Johann Georg August<br />

Wirth und Philipp Jakob Siebenpfeiffer,<br />

in: Kermann u.a. (Hrsg.), Freiheit,<br />

einheit und europa. Das Hambacher<br />

Fest von 1832 – Ursachen, Ziele,<br />

16 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 276 ff.<br />

Wirkungen, Ludwigshafen 2006, S. 85,<br />

17 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 279 ff.<br />

102 ff.; Nipperdey (Fn. 13), S. 369.<br />

18 Abgedruckt in Huber, Dokumente 27 Vgl. Hüls (Fn. 26 – Kermann), S. 85, 111<br />

zur <strong>Deutsche</strong>n Verfassungsgeschich- f. und 114; Nipperdey (Fn. 13), S. 369 f.<br />

te 3. Auflage 1978, S. 100 ff.<br />

28 Zitiert nach Flathe (Hrsg.), <strong>Deutsche</strong><br />

19 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 282 f.<br />

reden. Denkmäler zur vaterländi-<br />

20 Vgl. Provisorische Bestimmungen hinsichtlich<br />

der Freiheit der Presse (Bundes-<br />

Preßgesetz) vom 20. September 1819<br />

schen Geschichte des Neunzehnten<br />

Jahrhunderts, erster Band 1808–<br />

1865, Leipzig 1893, S. 151 f.<br />

(Huber, a.a.o. (Fn. 18), S. 102 ff. 29 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 171 f.<br />

21 Vgl. Dippel, Die kurhessische Verfassung<br />

von 1831 im internationalen<br />

und 377 ff.; Württembergische<br />

Landesbibliothek (Fn. 25), S. 72 f.<br />

Vergleich, HZ 2006, 619, 631 f, 30 „eine freie, nicht von der öffentli-<br />

22 Vgl. Kermann, Von den Nationalaufständen<br />

zur Solidarität der freien<br />

„Völker“ europas. Die europäischen<br />

Revolutionen von 1830/31 und das<br />

Hambacher Fest, Kermann u..a. (Hrsg.),<br />

chen Gewalt gelenkte, keiner Zensur<br />

unterworfene Presse ist Wesenselement<br />

des freiheitlichen Staates und für die<br />

moderne Demokratie unentbehrlich“<br />

(BVerfGe 20, 162, 174 - Spiegel).<br />

Freiheit, einheit und europa. Das Ham- 31 Vgl. Zoologischer Garten AG,<br />

bacher Fest von 1832 – Ursachen, Ziele, Rahmenvertrag über Foto- und<br />

Wirkungen, Ludwigshafen 2006, S. 9 ff. Filmaufnahmen im Zoo BeRLIN/<br />

und 20 ff.; Nipperdey (Fn. 13), S. 366. Zoo-AQUARIUM, Juni 2007.<br />

32 Az VI ZR 12/06.<br />

33 Vgl. Bundesgerichtshof, Mitteilung<br />

der Pressestelle Nr. 77/2007.<br />

34 BVerfG, Beschlüsse vom 27.<br />

Februar 2007 – 1 BvR 538/06, 1<br />

BvR 2054/06, AfP 2007, 110 ff.<br />

35 Aktualisierender Nachtrag: Das LG<br />

Braunschweig wies die Beschwerde der<br />

Polizeireporterin mit Beschluss vom<br />

28. August 2007, Az. 8 Qs 164/06,<br />

tatsächlich zurück. Auf die daraufhin<br />

vom Verfasser für die Polizeireporterin<br />

erhobene Verfassungsbeschwerde hob<br />

das Bundesverfassungsgericht den Beschluss<br />

des Landgerichts Braunschweig<br />

mit einstimmigem Beschluss am 4.<br />

März 2008, Az. 2 BvR 2112/07, auf.<br />

36 Vgl. „Gleichbehandlungsgesetz<br />

gefährdet Tendenzschutz der Verlage<br />

nicht“, AfP 2006, 342; Mitsch, Der<br />

neue Stalking-Tatbestand im Strafgesetzbuch,<br />

NJW 2007, 1237, 1238.<br />

37 BVerfGe 20, 162 ff.<br />

38 Zitiert nach Wilke (Hrsg.), Pressefreiheit,<br />

Darmstadt 1994, S. 136 und 137 f.<br />

39 A.a.o. (Fn. 38), S. 138.<br />

40 Vgl. Nipperdey (Fn. 13),<br />

S. 288 und 451 ff.<br />

41 Vgl. Martin, „In strenger Vollziehung<br />

der Gesetze“. Die Zeit der Reaktion<br />

nach dem Hambacher Fest, in:<br />

Kermann u..a. (Hrsg.), Freiheit,<br />

einheit und europa. Das Hambacher<br />

Fest von 1832 – Ursachen, Ziele,<br />

Wirkungen, Ludwigshafen 2006, S.<br />

331, 326 ff.; Hüls (Fn. 26), S. 332.<br />

42 Vgl. Gollwitzer, Ludwig I. von<br />

Bayern. Königtum im Vormärz, 2.<br />

Auflage München 1987, S. 454 ff.<br />

43 Vgl. Nipperdey (Fn. 13), S. 376.<br />

rangliste der<br />

pressefreiheit 2011<br />

Die jährliche Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“, einer internationalen Nichtregierungsorganisation, schätzt die<br />

weltweite Lage der Presse- und Medienfreiheit ein. Sie versucht, den Grad der Freiheit wiederzugeben, den Journalisten<br />

und Medien in einzelnen Ländern genießen, und bewertet die Bemühungen der jeweiligen Staaten, die freie Arbeit von<br />

Journalisten sicherzustellen. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.reporter-ohne-grenzen.de.<br />

1 Finnland<br />

norwegen<br />

3 estland<br />

niederlande<br />

5 Österreich<br />

6 Island<br />

luxemburg<br />

8 schweiz<br />

9 Kapverden<br />

10 Kanada<br />

dänemark<br />

12 schweden<br />

13 neuseeland<br />

14 tschechien<br />

15 Irland<br />

16 Zypern<br />

Jamaika<br />

deutschland<br />

19 Costa rica<br />

20 belgien<br />

namibia<br />

22 Japan<br />

suriname<br />

24 polen<br />

25 mali<br />

organisation<br />

ostkaribischer<br />

staaten<br />

(oeCs)<br />

slowakei<br />

28 Großbritannien<br />

29 niger<br />

30 australien<br />

litauen<br />

32 uruguay<br />

33 portugal<br />

34 tansania<br />

35 papua-neuguinea<br />

36 slowenien<br />

37 el salvador<br />

38 Frankreich<br />

39 spanien<br />

40 ungarn<br />

41 Ghana<br />

42 südafrika<br />

botswana<br />

44 südkorea<br />

45 Komoren<br />

taiwan<br />

47 usa<br />

argentinien<br />

rumänien<br />

50 lettland<br />

trinidad und<br />

tobago<br />

52 haiti<br />

Quelle: Reporter ohne Grenzen<br />

53 moldawien<br />

54 hongkong<br />

mauritius<br />

samoa<br />

57 usa (außerhalb<br />

der usa)<br />

58 malta<br />

bosnien und<br />

herzegowina<br />

Guyana<br />

61 Italien<br />

62 Zentralafrikanische<br />

republik<br />

63 lesotho<br />

sierra leone<br />

tonga<br />

66 mosambik<br />

67 mauretanien<br />

68 Kroatien<br />

burkina Faso<br />

70 bhutan<br />

Griechenland<br />

72 nicaragua<br />

73 malediven<br />

seychellen<br />

75 Guinea-bissau<br />

senegal<br />

77 armenien<br />

78 Kuwait<br />

79 togo<br />

80 serbien<br />

bulgarien<br />

Chile<br />

paraguay<br />

84 Kenia<br />

madagaskar<br />

86 Guinea<br />

Kosovo<br />

osttimor<br />

sambia<br />

90 Kongo<br />

91 benin<br />

92 Israel<br />

93 libanon<br />

94 mazedonien<br />

95 dominikanische<br />

republik<br />

96 albanien<br />

97 Kamerun<br />

Guatemala<br />

99 brasilien<br />

100 mongolei<br />

101 Gabun<br />

102 nordzypern<br />

103 tschad<br />

104 ecuador<br />

Georgien<br />

106 nepal<br />

107 montenegro<br />

108 bolivien<br />

Kirgistan<br />

110 liberia<br />

111 südsudan<br />

112 Vereinigte<br />

arabische<br />

emirate<br />

113 panama<br />

114 Katar<br />

115 peru<br />

116 ukraine<br />

117 Kambodscha<br />

Fidschi<br />

oman<br />

Venezuela<br />

simbabwe<br />

122 algerien<br />

tadschikistan<br />

malaysia<br />

125 brunei<br />

126 nigeria<br />

127 Äthiopien<br />

128 Jordanien<br />

129 bangladesch<br />

130 burundi<br />

131 Indien<br />

132 angola<br />

133 Israel (außerhalb<br />

Israels)<br />

134 tunesien<br />

135 singapur<br />

honduras<br />

137 thailand<br />

138 marokko<br />

139 uganda<br />

140 philippinen<br />

141 Gambia<br />

142 russland<br />

143 Kolumbien<br />

144 swasiland<br />

145 demokratische<br />

republik<br />

Kongo<br />

146 Indonesien<br />

malawi<br />

148 türkei<br />

149 mexiko<br />

150 afghanistan<br />

151 pakistan<br />

152 Irak<br />

153 palästinensische<br />

Gebiete<br />

154 Kasachstan<br />

libyen<br />

156 ruanda<br />

157 usbekistan<br />

PRESSEFREIHEIT WELTWEIT 2012<br />

158 saudi-arabien<br />

159 elfenbeinküste<br />

dschibuti<br />

161 Äquatorialguinea<br />

162 aserbaidschan<br />

163 sri lanka<br />

164 somalia<br />

165 laos<br />

166 Ägypten<br />

167 Kuba<br />

168 belarus<br />

169 birma<br />

170 sudan<br />

171 Jemen<br />

172 Vietnam<br />

173 bahrain<br />

174 China<br />

175 Iran<br />

176 syrien<br />

177 turkmenistan<br />

178 nordkorea<br />

179 eritrea<br />

FREEDOM OF THE PRESS WORLDWIDE IN 2012<br />

Reporter ohne Grenzen e.V.<br />

Brückenstraße 4 | 10179 Berlin<br />

Fon: 030 202 15 10 – 0 | Fax: – 29<br />

kontakt@reporter-ohne-grenzen.de<br />

www.reporter-ohne-grenzen.de<br />

Spendenkonto: Berliner Volksbank<br />

Konto 5 667 777 080 | BLZ 100 900 00<br />

© Reporters sans frontières<br />

„Freiheit ist die Freiheit zu sagen,<br />

dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das<br />

gewährt wird, folgt alles weitere.“<br />

george orwell<br />

Good situation Gute Lage<br />

Satisfactory situation Zufriedenstellende Lage<br />

Noticeable problems Erkennbare Probleme<br />

Difficult situation Schwierige Lage<br />

Very serious situation Sehr ernste Lage<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

FIJI<br />

25


Foto: euku<br />

Foto: marie-lan nguyen<br />

26<br />

SPEZIAL<br />

„Wir<br />

fordern<br />

Freiheit<br />

– aber was<br />

ist, wenn die<br />

Bürger ihre<br />

Freiheit als<br />

kalt empfinden<br />

und statt<br />

dessen auf die<br />

Geborgenheit<br />

staatlicher Für­<br />

und Vorsorge<br />

setzen?“<br />

roman herzog<br />

„Zum<br />

Glück<br />

brauchst<br />

du Freiheit,<br />

zur Freiheit<br />

brauchst du<br />

Mut.“<br />

perikles<br />

„Ich<br />

kenne<br />

den Wert<br />

der Freiheit<br />

zu gut, als<br />

dass ich willens<br />

wäre, sie denen,<br />

dich ich liebe,<br />

zu entreißen.”<br />

könig Friedrich ii.<br />

„der große“<br />

academicus 2/2012<br />

von Martin haape<br />

rugia darmstadt<br />

Der comment<br />

oDer Die missverstanDene Freiheit<br />

Gerade in der heutigen Zeit,<br />

in der „Frei ist der Bursch“ in<br />

vieler Munde liegt, mag man<br />

sich fragen, wie dieser Ausspruch,<br />

dieser Wunsch nach<br />

Freiheit mit einem comment<br />

in einklang zu bringen ist. Wie<br />

viele begründen ihr incommentgemäßes<br />

Verhalten mit<br />

der Freiheit, die sie damit zum<br />

Ausdruck bringen möchten.<br />

Doch wie kann man comment<br />

überhaupt fassen? Sind commentgemäßes<br />

Verhalten und<br />

Freiheit vereinbar oder nicht?<br />

Müssen wir möglicherweise<br />

unsere Auffassungen ändern,<br />

„ Ist es nötig,<br />

den Comment<br />

aufzuweichen<br />

oder sogar<br />

abzuschaffen?“<br />

um dem Wunsch nach Freiheit<br />

nachzukommen? comment,<br />

vom französischen Wort<br />

‚comment‘, bedeutet zunächst<br />

einmal bloß ‚wie‘. Im weiteren<br />

Sinne wurde daraus dann<br />

„[…] das ‚Wie‘ studentischen,<br />

insbesondere korporationsstudentischen<br />

Verhaltens. Der<br />

teils mündlich tradierte, teils<br />

schriftlich fixierte Komment<br />

der einzelverbindungen, […]<br />

umfasst die Gesetze des Burschenlebens<br />

schlechthin.“ 1 Der<br />

comment befasst sich also<br />

mit geschriebenen und ungeschriebenen<br />

Richtlinien, die<br />

im Sinne eines Gesetzes für<br />

jeden Burschen bindend sind.<br />

Doch ist es vielleicht nötig, im<br />

Sinne der Freiheit eines jeden,<br />

diese Regeln aufzuweichen<br />

oder sogar<br />

abzuschaffen. Ludwig<br />

Wallis sagt zur Freiheit<br />

Folgendes:<br />

„Wir alle sind Brüder<br />

und einander<br />

gleich!‘ Dies ist der<br />

Wahlspruch der Studenten,<br />

das Motto der academischen<br />

Freyheit. Wenn man gleich in<br />

neueren Zeiten aus mehreren<br />

Der sauffende Student. Kupferstich von Johann Georg Puschner<br />

aus dem Jahr 1725<br />

Gründen die alte Freyheit einschränken<br />

zu müssen glaubte,<br />

so sind doch noch die übrigen<br />

Reste bedeutend genug, um<br />

eine Republik im kleinen zu<br />

bilden und zuzulassen. Republiken,<br />

wie sie in der Geschichte<br />

der Völker bekannt sind, konnten<br />

nie so sehr dem Ideale<br />

gleich kommen, wie dies bey<br />

der freien, unabhängigen Burschenwelt<br />

Statt[sic!] findet.“ 2<br />

Wir werden hier angehalten,<br />

im Gedenken der Republik<br />

oder republikanischer Strukturen,<br />

die studentische Freiheit<br />

hochzuhalten und sie zu pflegen.<br />

Dies mag uns als Grundsatz<br />

gelten. Doch auch Freiheit<br />

hat ihre Grenzen. Schon unser<br />

Grundgesetz nennt die Grenzen<br />

der Freiheit wie folgt: „Jeder<br />

hat das Recht auf die freie<br />

entfaltung seiner Persönlichkeit,<br />

soweit er nicht die Rechte<br />

anderer verletzt und nicht<br />

gegen die verfassungsmäßige<br />

ordnung oder das Sittengesetz<br />

verstößt.“ 3 Die Freiheit<br />

der Person endet an<br />

der Freiheit des anderen<br />

und gerade<br />

die <strong>Burschenschaft</strong>er<br />

als Kämpfer für<br />

die Freiheit sollten<br />

diesen Grundsatz<br />

besonders achten.<br />

ein <strong>Burschenschaft</strong>er<br />

hat freiheitliches<br />

Handeln stets mit<br />

der Freiheit und ehre<br />

der anderen in einklang<br />

zu bringen.<br />

dAs fehLen von grenzen<br />

steLLt eine gefAhr dAr<br />

„Wo das nötige Gleichgewicht von<br />

Freiheit und Bindung, von Rechten und<br />

Pflichten nicht besteht, ist das Zusammenleben<br />

gestört und gefährdet. Freiheit<br />

wird dann zur Beliebigkeit, Recht<br />

wird zum Rechtsanspruch ohne Rücksicht<br />

auf die Rechte anderer, egoismus<br />

und Individualismus verdrängen Solidarität<br />

und Gemeinsinn.“ 4<br />

Mehr noch stellt das Fehlen von Grenzen,<br />

eine Abstinenz von Regeln eine<br />

Gefahr dar, oder besser ausgedrückt:<br />

eine Vereinsamung desjenigen, der<br />

seiner eigenen Freiheit mehr Raum geben<br />

möchte als es rechtmäßig wäre. er<br />

läuft damit Gefahr, „zurechtgewiesen“<br />

und „verachtet“ zu werden. 5 Der comment<br />

liefert die Grenzen eines jeden im<br />

Zusammenleben des Bundes und im<br />

Zusammenleben mit anderen Bünden.<br />

Zu diesem Zwecke muss selbiger nicht<br />

einmal schriftlich fi-<br />

„ Ein<br />

xiert, sondern allein<br />

als gebührliches, eines<br />

jeden anderen<br />

gerecht werdendes<br />

Handeln aufgefasst<br />

worden sein. Schon Immanuel Kant<br />

schreibt in der ‚Grundlegung zur Metaphysik<br />

der Sitten‘: „[Handle so], daß der<br />

Wille durch seine Maxime sich selbst<br />

zugleich als allgemein gesetzgebend<br />

betrachten könne.“ 6<br />

ein comment richtet sich genau an<br />

dieser Linie aus. er betrachtet alle<br />

Handlungen der Individuen als allgemeingültige<br />

Gesetzgebung und solange<br />

sich alle an diesen comment halten,<br />

herrscht eine Stimmung auf der Veranstaltung,<br />

die als angenehm empfunden<br />

queLLenangaBen<br />

1 Böcher, otto, Art. „Komment“, in: Kleines Lexikon des studentischen<br />

Brauchtums, Mainz 1985, S.20.<br />

2 Ludwig Wallis: Der Göttinger Student oder Bemerkungen,<br />

Rathschläge und Belehrungen über Göttingen und das<br />

Studentenleben auf der Georgia Augusta [im Folgenden:<br />

Wallis: Der Göttinger Student], Göttingen ³1995, S. 65f.<br />

3 GG I Art. 2 Abs. 2; in: www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR<br />

000010949.html#BJNR000010949BJNG000100314,<br />

28.01.2012.<br />

4 Haack, Dieter: Tradition, Identität und Vaterlandsliebe im<br />

wird. Verbandsbruder Dr. Wolfgang v.<br />

Wiese fasst diese erkenntnis mit den<br />

Worten:<br />

„Wir Menschen werden nur durch die<br />

einhaltung ethischer Richtlinien und<br />

Normen zum Gemeinschaftsleben befähigt<br />

[…]. Diese [die ethische Moral]<br />

sollte so definiert und vorgelebt werden,<br />

dass man auch merkt, dass es<br />

sich um ein erprobtes, über mehrere<br />

Generationen überliefertes Gefüge von<br />

sittlichen Tugenden […] handelt, dass<br />

uns vorgibt, wie wir mit unseren Bundes-<br />

und Verbandsbrüdern, mit anderen<br />

Menschen umgehen.“ 7<br />

comment ALs AusdrucK<br />

von resPeKt und würde<br />

Somit hat das Anerkennen und Leben<br />

eines comments auch immer etwas<br />

mit dem Respekt und der Würdigung<br />

der Ideale und des Arbeitens der Urburschenschaft<br />

und unser aller Vorväter zu<br />

Comment betrachtet alle<br />

Handlungen der Individuen als<br />

allgemeingültige Gesetzgebung.“<br />

tun. 8 Mehr noch, ein gut umgesetzter<br />

comment vermag nicht nur eine ehrerbietung<br />

vergangener Generationen<br />

zu vollbringen, ein verantwortungsvoll<br />

geführter comment (er entstand immerhin<br />

nicht ohne Grund) vermag auch,<br />

„einen zügigen Ablauf gelungener Kneipen<br />

und Kommerse“ 9 zu gewährleisten.<br />

Und er verhindert, ohne dem Alkohol<br />

als solchem eine Absage zu erteilen,<br />

doch das durch selbigen ausgelöste,<br />

allzu oft peinliche, Fehlverhalten, indem<br />

er klare Verhaltensgrenzen aufzeigt.<br />

Dienst für die Zukunft; in: Seid, Norbert (Hg.)/Preis, Bernd<br />

(Hg.): Kompetenz – Mut – Gemeinsinn. Kardinaltugenden<br />

für das Akademikertum von morgen [im Folgenden: Seid/<br />

Preis: Mut – Kompetenz – Gemeinsinn], Marloffstein/<br />

Schweig b. Nürnberg 2010.<br />

5 Vgl. Wallis: Der Göttinger Student, S. 65f.<br />

6 Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten;<br />

in: Akademie-Ausgabe Kant Werke IV, S. 434, 12 - 14.<br />

7 v. Wiese, Wolfgang: ethik, Verantwortung und Gemeinschaftssinn<br />

– Quo vadis, <strong>Burschenschaft</strong>er?; in: Seid/Preis:<br />

Das Bierduell von Georg Mühlberg<br />

(1863–1925)<br />

Zumeist sind diese Grenzen auch zu<br />

den persönlichen Grenzen kongruent.<br />

Diese Gedanken ergänzend mag man<br />

sich wohl kaum eine Mensur vorstellen,<br />

die gänzlich ohne jeden comment auszukommen<br />

gedenkt. Man erhielte, um<br />

es salopp zu formulieren, wieder recht<br />

„curry-eske“ Verhaltensmuster des 18.<br />

Jahrhunderts, in denen wild aufeinander<br />

eingedroschen wird.<br />

Zum Abschluss noch eine kleine Richtigstellung<br />

der Gedanken einiger: Die im<br />

Dreiklang von ‚Freiheit – ehre – Vaterland‘<br />

angesprochene ‚Freiheit‘ meinte in<br />

der Auffassung seiner Schöpfer, unserer<br />

geistigen Vorfahren, zwar auch die persönliche<br />

Freiheit und das damit<br />

verbundene Recht auf freie<br />

entfaltung des Individuums,<br />

doch vor allem die politische<br />

Freiheit Deutschlands von Napoleon<br />

und der Herrschaft der<br />

Fürsten sowie die Rede- und Pressefreiheit.<br />

10 Der Bursche sollte als freie Person<br />

diese Freiheit nach bestem Wissen und<br />

Gewissen fördern und einfordern, weniger<br />

für sich als vielmehr für die Gesellschaft<br />

und für Deutschland. Dabei ist<br />

ein staatsbürgerliches gutes Betragen<br />

in jeder Situation eine Frage der ehre!<br />

„Stoßt an! Vaterland lebe! Hurrah hoch!<br />

Seyd der Väter heiligem Brauche treu,<br />

Doch denkt der Nachwelt auch dabei;<br />

frei ist der Bursch!“ 11<br />

Mut- Kompetenz – Gemeinsinn, S. 17.<br />

8 Böcher, otto, Art. „Komment“, in: Kleines Lexikon des studentischen<br />

Brauchtums, Mainz 1985, S.21.<br />

9 ebd.<br />

10 Grimm, Horst/Besser-Walzel, Leo: Die corporationen,<br />

Frankfurt a. Main 1986, S. 100ff.<br />

11 v. Binzer, August Daniel: „Stoßet an!“; in: Steiger, Günter:<br />

Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach<br />

Deutschland, Jena/ Berlin ²1991, S. 247.<br />

academicus 2/2012<br />

27


„Erst<br />

wenn die<br />

Begriffe der<br />

Freiheit und<br />

der Ordnung<br />

für jeden einzelnenStaatsbürger<br />

Teil seiner<br />

selbst geworden<br />

sind, ist die<br />

demokratische<br />

Staatsform gesichert.”<br />

konrad adenauer<br />

„Freiheit<br />

ist der<br />

Zwang,<br />

sich entscheiden<br />

zu<br />

müssen.”<br />

José ortega y gasset<br />

„Kraft<br />

und Maschine,<br />

Geld und<br />

Güter sind nur<br />

insofern nützlich,<br />

als sie zur<br />

Lebensfreiheit<br />

beitragen.”<br />

henry Ford<br />

Johann Gottlieb Fichte<br />

Vor 250 Jahren wurde ein Mann geboren,<br />

der als einer der wichtigen deutschen Philosophen<br />

gilt und den Übergang von Kants<br />

kritischer Philosophie zum deutschen Idealismus<br />

markiert. ein Mann, der für seine<br />

radikalen Ideen mehrmals Amt und Stellung<br />

verlor und der Aufsätze schrieb wie<br />

„Zurückforderung der Denkfreiheit von den<br />

Fürsten europas.“ er gilt als Philosoph der<br />

Freiheit und hat für die Forderung danach<br />

viel Feindschaft ertragen müssen: Johann<br />

Gottlieb Fichte. ein Humanist und Feind<br />

der Feudalstaatlichkeit, der die Möglichkeit<br />

zur menschlichen Freiheit als sein zentrales<br />

Problem ansah; hier soll er mit ein paar Zeilen<br />

skizziert werden.<br />

„Soll ein Vernunftwesen sich als solches<br />

setzen, so muß es sich eine Tätigkeit zuschreiben,<br />

deren letzter Grund schlechthin<br />

in ihm selbst liege.“ Mit diesem Satz eröffnet<br />

Fichte seine Abhandlung „Grundlage<br />

des Naturrechts“ und formuliert damit eine<br />

conditio sine qua non der menschlichen<br />

Freiheit: Der Mensch macht sich selbst zum<br />

Menschen durch seine Taten. es handelt<br />

sich um einen bewussten Willensakt: Nicht<br />

von selbst ist ein Vernunftwesen, sondern<br />

durch sein Handeln wird es erst ein solches<br />

– und zwar in Wechselwirkung. Wichtig ist<br />

auch: Niemand sonst setzt den Menschen,<br />

außer ihm selbst. Böse Zungen würden hier<br />

bereits einen Atheismusvorwurf ausspre-<br />

„ Es ist mir gewiss, daß<br />

in einigen Jahren kein<br />

Mensch mehr eine<br />

Ruhestätte finden<br />

wird, der einen freien<br />

Gedanken gemacht hat.“<br />

von aLJoscha harMsen<br />

Franconia Freiburg (2007)<br />

fichte:<br />

das „ICh“ und<br />

dIe FreIheIt<br />

chen. Liest man die zitierten Worte, sind sie auf den<br />

ersten Blick sehr verwirrend: Der Mensch ist erst durch<br />

sein Handeln das Vernunftwesen, in dem der Grund<br />

für sein Handeln liegt – er ist damit objekt seiner Betrachtung<br />

und zugleich Subjekt. Solche Paradoxien sind<br />

charakteristisch für die Philosophie um das „Ich“ und<br />

seine Konstitution. Doch bevor dieser Gedanke weiterverfolgt<br />

wird, ein paar Worte zu Fichte selbst.<br />

dArf ein revoLutionärer inteLLeKtueLLer<br />

Professor werden?<br />

Fichte wurde im Jahr 1762 in Rammenau, oberlausitz,<br />

in ärmlichen Verhältnissen als ältester Sohn eines<br />

Bandwebers, also eines „unzünftigen Handwerkers“,<br />

geboren. er hätte auch den väterlichen Betrieb übernommen,<br />

wenn er sich nicht die Gunst eines Barons erwirkt<br />

hätte: der Legende nach dadurch, dass er diesem,<br />

der die Sonntagspredigt verpasst hatte, jene vollständig<br />

aus der erinnerung aufsagen konnte. ob wahr oder<br />

nicht, Fichte wurde von ihm auf die Fürstenschule in<br />

Pforta geschickt. Im Anschluss daran studierte er Theologie<br />

in Leipzig und schlug sich mühsam als Hauslehrer<br />

durch – ein allzu häufiger Werdegang eines Intellektuellen<br />

zu seiner Zeit.<br />

Sein Blatt wendete sich, als er 1791 nach Königsberg<br />

kam und mit Kant in Kontakt geriet. Um sich ihm vorzustellen,<br />

schrieb Fichte einen „Versuch einer Kritik aller<br />

Offenbarung“, mit dem er Kant für sich gewann. Da<br />

Fichte in Geldnot steckte, vermittelte Kant ihm einen<br />

Verleger. Dieser veröffentlichte den Text anonym, woraufhin<br />

der allgemeine eindruck entstand, Kant habe<br />

endlich seine lang erwartete<br />

Religionsschrift verfasst. Kant<br />

klärte den Irrtum jedoch auf<br />

und mit einem Schlag wurde<br />

Fichte berühmt. Der Ruhm über<br />

Nacht wurde allerdings von<br />

Problemen begleitet: Fichtes<br />

Verfasserschaft der Schriften<br />

„Zurückforderung der Denkfreiheit<br />

von den Fürsten“ und<br />

„Beiträge zur Berichtigung der<br />

Urteile des Publikums über<br />

die Französische Revolution“<br />

war ein offenes Geheimnis. Er<br />

sollte zwar als Professor nach<br />

Jena berufen werden, aber dabei<br />

stand die Frage im Weg:<br />

Darf ein revolutionärer, feudalstaatsfeindlicher<br />

Intellektueller<br />

Professor werden, wenn er sich<br />

entgegen der meisten Geistesgrößen<br />

seiner Zeit für die Französische<br />

Revolution ausspricht?<br />

fichtes hAuPtwerK<br />

Löst den Atheismusstreit<br />

Aus<br />

Mit Goethes Fürsprache und<br />

dem Verzicht auf eine weitere<br />

Auflage der revolutionären<br />

Schriften durfte der Philosoph<br />

im Jahr 1794 schließlich seine<br />

Professur antreten. Nun stand<br />

Fichte als Professor in Jena<br />

im Mittelpunkt der modernen<br />

Philosophie und trug dort sein<br />

Hauptwerk vor, die „Grundlage<br />

der gesamten Wissenschaftslehre“,<br />

zu dem auch die „Grundlage<br />

des Naturrechts“ zählt,<br />

aus der eingangs zitiert wurde.<br />

Als Reaktion auf diese Lehre<br />

entfachte sich der sogenannte<br />

Atheismusstreit. Zeitgleich distanzierte<br />

sich Kant von Fichte<br />

und nannte dessen Wissenschaftslehre<br />

„unhaltbar“.<br />

Fichte hatte postuliert, dass<br />

Gott für die einrichtung einer<br />

moralischen Werteordnung<br />

nicht notwendig sei. Dass<br />

er jedoch weiter ausführte, der<br />

Glaube an Gott und eine göttliche<br />

Moral sei unumgänglich,<br />

interessierte da schon nicht<br />

mehr. ein typisches Beispiel für<br />

Aufreger, die aus dem Kontext<br />

gerissen werden – auch heute<br />

noch sehr beliebt. Frustriert<br />

über diesen Streit und die Art<br />

und Weise wie er geführt wurde,<br />

verließ Fichte Jena im Jahr<br />

1799 und ging nach Berlin. Sein<br />

Vorsatz: nie wieder publizieren.<br />

An einen Freund schrieb er:<br />

„ermattung und ekel bestimmen<br />

mich zu dem Dir schon<br />

mitgeteilten entschlusse für<br />

einige Jahre ganz zu verschwinden.<br />

[…] Vom Departement der<br />

Wissenschaften zu Dresden ist<br />

bekannt gemacht worden, dass<br />

keiner, der sich auf die neuere<br />

Philosophie lege, befördert werden<br />

oder, wenn er es schon ist,<br />

weiter rücken solle. […] In Summa:<br />

es ist mir gewisser, als das<br />

Gewisseste, daß […] in einigen<br />

Jahren kein Mensch mehr, der<br />

dafür bekannt ist, in seinem<br />

Leben einen freien Gedanken<br />

gemacht zu haben, eine Ruhestätte<br />

finden wird.“<br />

ähnlich wurde später auch<br />

gegen revolutionäre <strong>Burschenschaft</strong>er<br />

gewirkt, die an Universitäten<br />

lehrten. Nicht etwa eine<br />

argumentative Auseinandersetzung,<br />

sondern Behinderungen,<br />

Druck und Drohungen waren<br />

das Mittel der Wahl. Auch hier:<br />

eine zeitlose erscheinung.<br />

In Berlin hielt Fichte nun Privatvorlesungen,<br />

unter denen besonders<br />

die „Reden an die deutsche<br />

Nation“ viel Zustimmung<br />

fanden. Sie sind das kontrover-<br />

Fichtes Vorlesungen waren<br />

beliebt bei Studenten, weil<br />

er seine eigenen Gedanken<br />

kundtat.<br />

seste seiner Werke. er hielt sie<br />

vom 13. Dezember 1807 bis<br />

zum 20. März 1808, zur Zeit<br />

der Besatzung durch Napoleon<br />

in Preußen. Darin fordert Fichte<br />

unter anderem eine neue erziehung.<br />

Die bisherige habe „zu<br />

guter ordnung und Sittlichkeit<br />

höchstens nur ermahnt“. er<br />

erklärt eine solche erziehung<br />

für notwendig, die sich am<br />

freien Willen des Zöglings orientiert,<br />

etwa wie es Pestalozzi<br />

postuliert. eine revolutio näre<br />

Forderung in seiner Zeit. Auch<br />

ein anderer Anspruch aus diesem<br />

Text muss geradezu unverschämt<br />

angemutet haben:<br />

„Unmittelbar, im gewöhnlichen<br />

Leben, und in einer wohlgeordneten<br />

Gesellschaft, bedarf es<br />

der Religion durchaus nicht, um<br />

das Leben zu bilden, sondern es<br />

reicht für diese Zwecke die wahre<br />

Sittlichkeit vollkommen hin.“<br />

„Ich<br />

finde eine<br />

gewisse<br />

Freiheit<br />

auf den<br />

Hochschulen<br />

den Jünglingen<br />

äußerst nötig.<br />

Sie gehört zum<br />

Wesen und<br />

Gedeihen des<br />

Denkens.“<br />

„Freiheit,<br />

sterbend<br />

erkennen<br />

wir nun im<br />

Angesicht<br />

Gottes dich<br />

selbst.“<br />

dietrich Bonhoeffer<br />

„Man<br />

darf<br />

nicht<br />

warten,<br />

bis der Freiheits<br />

kampf<br />

Landesverrat<br />

ge<br />

nannt wird.“<br />

28 29<br />

academicus 2/2012 die bilder sind aus: manfred kühn: Johann Gottlieb Fichte. c.h. beck ohG, münchen 2012:<br />

Fichte portrait: s. 424 kreidezeichnung von Friedrich bury, um 1800.<br />

Fichte am katheder: s. 214 zeichnung von henschel, archiv des Verlages. academicus 2/2012<br />

„ Im<br />

gewöhnlichen Leben, bedarf es<br />

der Religion durchaus nicht, um das<br />

Leben zu bilden, es reicht die wahre<br />

Sittlichkeit vollkommen hin.“<br />

immanuel kant<br />

erich kästner<br />

Foto: hannes kilian


„Wir<br />

müssen für<br />

die Freiheit<br />

planen und<br />

nicht für die Sicherheit,<br />

wenn<br />

auch vielleicht<br />

aus keinem<br />

anderen Grund<br />

als dem, dass<br />

nur die Freiheit<br />

die Sicherheit<br />

sichern kann.”<br />

sir karl popper<br />

„Wo<br />

Freiheit<br />

wohnt,<br />

da ist mein<br />

Vaterland.”<br />

John milton<br />

„Die<br />

Welt<br />

hat nie<br />

eine gute<br />

Definition<br />

für das Wort<br />

Freiheit<br />

gefunden.”<br />

abraham lincoln<br />

Fichtes bekanntester Ausspruch: „Was für eine Philosophie<br />

man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.“<br />

der AKt, „ich“ zu<br />

sAgen, ist eine<br />

hAndLung<br />

Später wurde Fichte zum Rektor<br />

der 1810 neu gegründeten<br />

Berliner Universität gewählt,<br />

doch starb er bereits vier Jahre<br />

darauf an einer Seuche, die in<br />

Kriegslazaretten ausbrach. Seine<br />

für uns interessanteste Zeit<br />

sind die 1790er Jahre, in denen<br />

sein Hauptwerk erschien. Fichtes<br />

Texte werden zu den schwierigsten<br />

in der Philosophie gezählt,<br />

obwohl er ursprünglich Kants<br />

Worte besser vermitteln wollte.<br />

Sein Hauptwerk „Grundlage der<br />

gesamten Wissenschaftslehre“<br />

will die Philosophie zum objekt<br />

ihrer Betrachtungen erheben,<br />

sie evident und durchsichtig<br />

machen. Der Anfang der Wissenschaften<br />

muss in der Struktur<br />

des menschlichen Bewusstseins<br />

liegen: der spontane Akt, in<br />

dem sich das Bewusstsein seiner<br />

selbst gewahr wird, in dem<br />

es „Ich“ sagt. Dieses „Sagen“ ist<br />

eine Handlung. Damit nehmen<br />

wir den Gedanken zu Beginn dieses<br />

Textes wieder auf. Das „Ich“<br />

setzt sein eigenes Sein. Das kann<br />

es nur, wenn es sich von einem<br />

„Nicht-Ich“ unterscheidet. Dieses<br />

„Nicht-Ich“ ist nicht nur die<br />

Gegenstandswelt, sondern auch<br />

im „Ich“ selbst vorhanden. Fichte<br />

unterscheidet ein „absolutes<br />

Ich“ als Basis und ein „teilbares<br />

Ich“. Das „Ich“ ist die Basis,<br />

auf der sich dieser Gegensatz<br />

entfaltet. Man kann auch von<br />

These, Antithese und Synthese<br />

sprechen. Fichte findet mit dem<br />

„Setzen“ des „Ichs“ einen Ausdruck,<br />

um den Umschlag von<br />

Bewusstsein, wie ihn etwa auch<br />

ein Tier hat, in Selbstbewusstsein<br />

auszudrücken.<br />

die freie sPontAnität<br />

des „ichs“<br />

Im Unterschied zu Kant beschäftigte<br />

sich Fichte mit den<br />

Voraussetzungen der Kritik der<br />

reinen und praktischen Vernunft.<br />

Bei Kant sind Anschauungen<br />

und Verstand da, der<br />

Verstand hat Kategorien und es<br />

gibt Freiheit, weil sie denknotwendig<br />

ist. Dieses faktische Vorhandensein<br />

wird von Fichte aus<br />

der ursprünglichen Tathandlung<br />

abgeleitet. Wenn Fichte als Philosoph<br />

der Freiheit angesehen<br />

wird, dann vor allem, weil er<br />

das „Ich“ als eine Tathandlung<br />

ansieht, ein Produzieren. So entsteht<br />

das Gegenteil von Determinismus:<br />

Freiheit.<br />

Anders als heute sahen Fichte<br />

und seine Zeitgenossen die Philosophie<br />

noch als konstituierend<br />

an, während sie gegenwärtig<br />

eher eine kommentierende Funktion<br />

übernimmt. Der Idealismus<br />

u. a. nach Fichte geht von der<br />

freien Spontanität des „Ichs“<br />

aus. Ungeachtet der Kritik, die<br />

Fichte und andere deutsche<br />

Idealisten hinnehmen mussten,<br />

und jenseits des philosophischen<br />

Diskurses vor und nach<br />

Fichte, der dessen Philosophie<br />

als inkonsistent betrachtet, sei<br />

ein Gedanke doch gewonnen:<br />

Wie wäre es, wenn wir tatsächlich<br />

Herr unserer Handlungen<br />

sind, wenn wir uns selbst setzen<br />

und nicht durch Determinismen<br />

gebunden sind? Was, wenn die<br />

Ausrede, es sei genetisch, es sei<br />

anerzogen, milieu- oder umweltbedingt,<br />

nicht zählt? Das „Ich“<br />

setzt sich selbst. Durch Tat. eine<br />

solche Freiheit birgt ein großes<br />

Angstpotenzial, aber nur sie ermöglicht<br />

Mündigkeit und Mut<br />

und Größe. Ist das nicht auch<br />

ein burschenschaftlicher Selbstanspruch?<br />

Fichte: „Nur über meine<br />

Leiche sollen die Feinde in<br />

die Stadt eindringen.“<br />

meinungsdueLL<br />

einLeitung meinungsdueLL<br />

„Zu viel Freiheit der aktivitas?“<br />

Ja, es gibt sie, die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Aktivitates und Altherrenschaften.<br />

Doch wie entstehen sie? Aus unterschiedlichen erfahrungshorizonten der Generationen, der Arroganz<br />

der Jugend, der Sturheit des Alters, der unterschiedlichen Gewichtung des Wertekanons, aus<br />

Unwissenheit, durch die Freude der Jugend, zu provozieren? Durch Disziplinlosigkeiten und Interesselosigkeit<br />

an den durch den Bund verkörperten Werten? oder haben die Aktiven einfach zu viel<br />

Freiheit? Sind die Altherrenschaft und die Aktivitas wie These und Antithese? Können sie zu einer<br />

Synthese gelangen? Diesen Fragen gehen zwei Vertreter des Violett-Grünen Kartells im Meinungsduell<br />

dieser Ausgabe auf den Grund. Für die Altherrenschaft schreibt Rüdiger Sturhan von der<br />

Alemannia Marburg, für die Aktivitas schreibt Andrew Francis Kraft von der Franconia Freiburg.<br />

andrew francis kraft<br />

Franconia Freiburg (2008)<br />

Andrew frAncis KrAft:<br />

haben dIe aKtIVItates<br />

Zu VIel FreIheIt?<br />

eine positive Bindung zwischen<br />

Altherrenschaft und Aktivitas<br />

würde jegliche Probleme<br />

im Keim ersticken.<br />

(Der gesamte Text befindet<br />

sich auf Seite 32.)<br />

Sie möchten sich zu einem bestimmten Thema »duellieren«?<br />

Bitte senden Sie Ihr Thema an: meinungsduell@neuedb.de<br />

rüdiger sturhan<br />

alemannia Marburg (1965)<br />

rüdiger sturhAn:<br />

Zu VIel FreIheIt<br />

der aKtIVItas?<br />

Die Altherrenschaft muss<br />

sicherstellen, dass der Bund<br />

keinen Schaden durch die<br />

Aktivitas erleidet.<br />

(Der gesamte Text befindet<br />

sich auf Seite 33.)<br />

„Die<br />

Menschen<br />

sind und<br />

bleiben von<br />

Geburt frei<br />

und gleich<br />

an Rechten.”<br />

erklärung der<br />

men schen- und<br />

Bürgerrechte,<br />

art. 1 (Frankreich,<br />

1789)<br />

„Eine<br />

Universität<br />

sollte<br />

ein Ort des<br />

Lichts, der<br />

Freiheit und<br />

des Lernens<br />

sein.”<br />

Benjamin disraeli<br />

30 31<br />

academicus 2/2012 Friedrich als landsturmmann: s. 559: zeichnung von c. zimmermann, 1813, klaus Günzel, die deutsche romantiker, zürich 1995.<br />

academicus 2/2012


Andrew frAncis KrAft:<br />

miteinander statt kontrolle<br />

Als Lebensbund geformt,<br />

existieren Aktivitates und<br />

Altherrenschaften in einem<br />

Abhängigkeitsverhältnis mit<br />

gemeinsamer, über Generationen<br />

hinweg geprägter Ausrichtung. Alle<br />

Lebensbünde in Deutschland haben<br />

den Prinzipien, dem Wahlspruch, dem<br />

Lebensbund und einer Gemeinschaft<br />

die Treue geschworen.<br />

Während die Altherrenschaft aus den<br />

Philistern der Aktivitas besteht und<br />

durch ihre erfahrungen und Überlieferungen<br />

aus dem eigenen Aktivenleben<br />

geformt wurde, greift die Aktivitas<br />

immer wieder auf junge Studenten<br />

zurück, die größtenteils noch geformt<br />

werden müssen. Das erlernen der<br />

Prinzipien ist dabei ebenso wichtig<br />

wie das erleben eben dieser. Aber wie<br />

sollen sie dies erleben, wenn die Altherrenschaft<br />

sich nicht um den Nachwuchs<br />

kümmert? Die <strong>Burschenschaft</strong><br />

sollte ihre Mitglieder dazu bewegen,<br />

das Beste für ihr Leben, für ihr Land,<br />

für ihre Gesellschaft zu tun – schlichtweg<br />

bessere Menschen zu werden.<br />

All diese Rahmenbedingungen wurden<br />

über viele Jahre gepflegt und<br />

geschaffen, doch sie veränderten sich<br />

nicht mit der heutigen Gesellschaft<br />

mit, was Korporationen ins Abseits<br />

des Studentendaseins geschoben<br />

hat. eine problematische Aktivitas<br />

hat ihre Wurzeln in der Gesellschaft<br />

und in der Mitgliederwahl des einzelbundes.<br />

Diese Problematik zeigt sich<br />

vor allem auch auf conventen, daher<br />

werde ich meine Ausführungen auf<br />

Streit zwischen dem Aktivenconvent<br />

und der Altherrenschaft fokussieren.<br />

vieLe AKtivitAtes sind<br />

ein ProduKt ihrer<br />

ALtherrenschAft<br />

Haben Aktive zu viel Freiheit? Nein.<br />

So schlicht kann die Antwort sein. Die<br />

meisten Aktivitates sind ein Produkt<br />

ihrer Altherrenschaft. Sie wurden<br />

mit einer grenzwertigen, demokrati-<br />

tet, die in Zeiten von mindestens 30<br />

Aktiven beim convent sicherlich ein<br />

probates Mittel war. Zu eben solchen<br />

Zeiten, als die ehre eines Mannes, neben<br />

seiner Würde, sein höchstes Gut<br />

war, konnte man auf einer demokratischen<br />

Mehrheit im convent vertrauen.<br />

Doch demokratische Mehrheiten<br />

sind ein leichtes Spiel für charismatische<br />

Männer und Heuchler. Die Aufnahmebedingungen<br />

und Interessen<br />

von Studenten sind in der heutigen<br />

Zeit von einer gänzlich anderen gesellschaftlichen<br />

entwicklung geprägt,<br />

ganz zu schweigen von der erziehung<br />

des einzelnen Bürgers. Für viele Füxe<br />

war es eine Zufallsbegegnung, in einer<br />

Korporation zu landen.<br />

QuALitAtive mitgLiederProbLeme<br />

sind ein<br />

schLeichendes gift<br />

Das Keilen falscher Studenten ist also<br />

der erste, langfristig schädigende<br />

Fehler, der das Bundesleben belasten<br />

und zu Auseinandersetzungen<br />

mit der Altherrenschaft führen kann.<br />

Man fährt gut mit der Frage, ob dieser<br />

Student nach Ansicht der aktiven<br />

und inaktiven Bundesbrüder ein <strong>Burschenschaft</strong>er<br />

ist oder werden kann.<br />

Qualitative Mitgliederprobleme sind<br />

ein schleichendes Gift innerhalb der<br />

Aktivitas. Wären aber Alte Herren<br />

über die inaktiven Bundesbrüder hinaus<br />

ständige Begleiter der Aktiven,<br />

würde ein Generationenwechsel von<br />

A- zu B-Mitglied nicht stattfinden können.<br />

Die Altherrenschaft sollte also<br />

ein Mittel erhalten, das Keilen zu unterstützen<br />

und somit auch zu beeinflussen<br />

– die Empfehlung durch die<br />

Altherrenschaft. Die Aufnahme eines<br />

Fuxen sollte meiner Ansicht nach eine<br />

empfehlung durch einen Alten Herren<br />

als Voraussetzung haben. Das ist zumutbar.<br />

Die Altherrenschaft muss erkennen,<br />

dass sie dadurch ein vielseitig verursachtes<br />

Problem zu bekämpfen ver-<br />

Gesellschaft und des Studiums müssen<br />

mehr Beachtung finden, um eine<br />

vernünftige Anpassung des Aktivenlebens<br />

an geänderte Anforderungen<br />

vorzunehmen.<br />

die AKtivitAs entwicKeLt<br />

sich und die ALtherrenschAft<br />

wundert sich<br />

Während die Anzahl der Alten Herren,<br />

die regelmäßig und häufig zu Veranstaltungen<br />

und Kneipen erscheint,<br />

der allgemeinen Mitgliederentwicklung<br />

entspricht, ist doch der Informationsaustausch<br />

in den vergangenen<br />

Jahren mit der entwicklung der neuen<br />

Medien um ein Vielfaches gestiegen.<br />

So entwickelt sich scheinbar das Gefühl,<br />

auf dem Haus gewesen zu sein,<br />

ohne sich seit Jahren dort gezeigt zu<br />

haben. Die Aktiven haben so das essentielle<br />

des Lebensbundes oft nicht<br />

vermittelt bekommen, wie es früher<br />

Usus war. ohne die erfahrung der Alten<br />

Herren fehlt ein langfristiger, positiver<br />

Einfluss. Die Aktivitas entwickelt<br />

sich aus sich selbst und die Altherrenschaft<br />

wundert sich. Trifft der Convent<br />

dann entscheidungen, die weder<br />

satzungskonform noch mit dem<br />

Gewissen eines <strong>Burschenschaft</strong>ers<br />

zu vereinbaren wären, so ist beispielsweise<br />

die Anwesenheit der Altherrenschaft<br />

auf conventen ein Mittel,<br />

das schlichtweg zu spät kommt. ein<br />

Alter Herr ist kein Kontrollgremium<br />

für den Aktivenconvent; entweder es<br />

besteht ein Vertrauensverhältnis oder<br />

eben nicht. Mögliche Probleme sind<br />

schlichtweg vielseitiger, als dass eine<br />

solch schlichte, fatale Maßnahme zur<br />

Klärung führen könnte. Die Altherrenschaft<br />

sollte sich also nicht mit der<br />

Frage befassen, ob die Aktiven zu viel<br />

Freiheit haben. eine positive und enge<br />

Bindung zwischen Aktivitas und Altherrenschaft,<br />

wie sie gelebt werden<br />

sollte, würde jegliche Probleme im<br />

Keim ersticken und eine solche Frage<br />

rüdiger sturhAn:<br />

eine altherrenschaFt muss sich mit<br />

der aktivitas identiFiZieren können.<br />

Theoretisch sind wir in den Korporationen<br />

gut aufgestellt. Wir üben Basisdemokratie<br />

in den conventen. Wir gewähren<br />

den Aktivitates per Satzung die<br />

Freiheit, darüber zu bestimmen, wer<br />

Mitglied wird und wer nicht, wer bleiben<br />

darf und wer fliegt. Die Aktivitates<br />

verwalten das ihr von der Altherrenschaft<br />

zur Verfügung gestellte Geld in<br />

eigener Verantwortung. Sie planen und<br />

bestimmen das Semesterprogramm.<br />

Sie fördern oder beenden die Freundschaft<br />

mit anderen Korporationen. Sie<br />

bestimmen das erscheinungsbild des<br />

Bundes nach außen. Sie pflegen oder<br />

vernachlässigen die Arbeit im Dachverband.<br />

Die Satzungen geben den<br />

Aktivitates weitreichende Selbstständigkeiten.<br />

Auf ihren conventen haben<br />

Alte Herren meist nur eine beratende<br />

Stimme. Alles gut geregelt? Aber was<br />

passiert in einem Lebensbund, wenn<br />

auf dem Haus im Alkoholrausch gewütet<br />

und randaliert wird? Wenn junge<br />

Aktive sich einen Dreck darum scheren,<br />

wer das Haus in ordnung halten muss<br />

und die Finanzen dafür bereithält?<br />

oberstes gebot ist dAs<br />

KonsensPrinziP<br />

Was passiert, wenn man sehen muss,<br />

dass der aktive convent seine Aufgaben<br />

nicht erfüllt, keine Autorität ausübt,<br />

Fehlverhalten von Bundesbrüdern nicht<br />

mehr ahndet und über die zur Verfügung<br />

gestellten Gelder keine oder nur<br />

mangelhafte Nachweise führen kann?<br />

Sind wir dann als Altherrenschaft nicht<br />

gefordert, sicherzustellen, dass das Ansehen<br />

des Bundes nach außen keinen<br />

Schaden erleidet? Was macht man, um<br />

einen convent wieder funktionsfähig zu<br />

bekommen, wenn die eigenen Aktiven<br />

sagen, sie könnten es aus eigener Kraft<br />

nicht mehr regeln? oder, noch schlimmer,<br />

wenn festzustellen ist, dass politisch<br />

extrem ausgerichtete Neumitglieder<br />

versuchen, den Bund zu unterwandern?<br />

Spätestens in diesem Moment werden<br />

die Satzungen oder Verfassungen des<br />

unterzogen. Nach meiner Kenntnis setzen<br />

die Satzungen oder Verfassungen<br />

der <strong>Burschenschaft</strong>en, die ich kenne,<br />

einen Mitgliedstypus voraus, der häufig<br />

nicht erfüllt wird. oberstes Gebot ist das<br />

Konsensprinzip. Wir setzen uns zusammen<br />

und besprechen alles und danach<br />

setzen wir die gewonnenen erkenntnisse<br />

auch gemeinsam um. Schließlich sind<br />

wir ein Lebensbund.<br />

verfAssung vs. verfAssungswirKLichKeit<br />

Bei nüchterner Betrachtung müssen<br />

auch wir Korporierte feststellen, dass<br />

es in unseren Bünden menschelt und<br />

wir keine eigene, besonders gutartige<br />

Spezies sind.<br />

Also entwickelt sich eine Verfassungswirklichkeit;<br />

nämlich dann, wenn Aktive<br />

oder Alte Herren meinen, nun sei man<br />

beim Grundsätzlichen, beim eingemachten<br />

angelangt.<br />

Man besinnt sich auf die grundlegenden<br />

Wahrheiten und die bestehen darin,<br />

dass es ohne eine Aktivitas keinen<br />

Lebensbund gibt. Der Bestand einer<br />

Aktivitas ist der Lebensnerv eines jeden<br />

Bundes! Deshalb liegt es im grundlegenden<br />

Interesse einer jeden Altherrenschaft,<br />

die Rahmenbedingungen so<br />

zu beschaffen und so zu handhaben,<br />

dass sich junge Aktive auf dem Haus<br />

und in der gelebten Gemeinschaft<br />

wohlfühlen können. Andererseits muss<br />

sich eine Altherrenschaft mit der jeweiligen<br />

Aktivitas identifizieren können.<br />

Wird diese Gemeinsamkeit infrage gestellt,<br />

löst sich der Bund auf.<br />

„erPressungsPotenziAL“<br />

der ALten herren<br />

Die Alten Herren verfügen über ein<br />

unschlagbares Steuerungspotenzial:<br />

es sind ihre Finanzen und die Hoheit<br />

über das Verbindungshaus. Die Aktiven<br />

sprechen in diesem Zusammenhang<br />

gerne von „erpressungspotenzial“. es<br />

ist zuzugeben, dass die finanziellen<br />

lung (Hausrecht) den Altherrenschaften<br />

im ernstfall<br />

eine dominierende Rolle verschaffen.<br />

Aber es ist sorgsam und einfühlend<br />

mit diesen Machtinstrumenten<br />

umzugehen und sie dürfen erst ins Spiel<br />

gebracht werden, wenn es wirklich ums<br />

eingemachte geht. Wann ist das der<br />

Fall? einige Szenarien sind:<br />

• Unterwanderungsversuche durch<br />

politisch Extreme<br />

• Unfähigkeit des Conventes seine<br />

satzungsgemäßen Aufgaben zu<br />

erfüllen<br />

• Unaufklärbarkeit von schwerwiegenden<br />

Sachverhalten durch Missachtung<br />

des Ehrlichkeitsprinzips<br />

• Grobe finanzielle Unregelmäßigkeiten<br />

• Abgleiten der Aktivitas in den Status<br />

eines Clubs oder einer WG (Aufgabe<br />

des Korporationsprinzips)<br />

• Strafrechtlich relevantes Verhalten<br />

einzelner Mitglieder<br />

In weniger schwerwiegenden Situationen<br />

ist es selbstverständlich, dass<br />

den Aktivitates ein möglichst großer<br />

Bereich an eigenständigkeit verbleibt.<br />

Nur das schafft die Möglichkeit, dass<br />

die Aktiven für ihr Leben und ihren<br />

Beruf wichtige Softskills erlernen, Führungsverhalten<br />

erproben und lernen,<br />

mit durch Wahl verliehener Autorität<br />

umzugehen. Wie immer im Leben entscheiden<br />

letztlich nicht die gesetzten<br />

Normen darüber, ob eine Korporation<br />

mit ihrem Lebensbundprinzip erfolgreich<br />

wirken kann. Immer kommt es auf<br />

die handelnden Personen an und ihre<br />

Bereitschaft, kooperativ zusammenzuwirken.<br />

eine solche Kooperation setzt<br />

eine gute und fortwährende Kommunikation<br />

voraus. Gerade daran mangelt<br />

es häufig. Beide Seiten, Aktivitas wie<br />

Altherrenschaft, müssen größere Sorgfalt<br />

darauf verwenden, sich gegenseitig<br />

rechtzeitig zu informieren, und<br />

bereit sein, einander zuzuhören. Regelmäßige<br />

Gesprächskreise zwischen Altherrenschaft<br />

und Aktivitas und häufige<br />

Präsenz auf dem Haus sind probate<br />

32 schen Selbstverwaltung ausgestatmag. entwicklungen innerhalb der erübrigen.<br />

jeweiligen Bundes einem Belastungstest Möglichkeiten und die eigentümerstel- Mittel dafür.<br />

33<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


34<br />

ANKÜNDIGUNG<br />

frAg-würdig!<br />

dIe umFraGe Zur Freiheit Ist da<br />

Da ist sie, die vielfach angekündigte<br />

Umfrage zum Thema Freiheit. Lange<br />

hat sie auf sich warten lassen.<br />

Nichts Geringeres gilt es nun zu<br />

klären als die Frage danach, was<br />

die <strong>Neue</strong>DB meint, wenn sie von<br />

Freiheit spricht – was wir meinen. Verstehen<br />

wir darunter eigentlich dasselbe?<br />

Haben wir denn dieselben Ziele,<br />

Fragen oder Befürchtungen? Wofür<br />

fühlen wir uns als <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />

überhaupt zuständig? Die Sehnsucht<br />

nach Bedeutung verlangt immerhin, dass wir uns für die Freiheit<br />

engagieren. Doch wofür genau?<br />

Freiheit ist kein gewöhnlicher Untersuchungsgegenstand, den<br />

man in seine einzelteile zerlegen, analysieren und sortieren<br />

kann. Die Idee der Freiheit ist ein universelles Prinzip, das sich<br />

auf alle Bereiche des Lebens erstreckt. entsprechend unscharf<br />

wäre also jede allgemeingültige Aussage oder Positionierung<br />

zu diesem Thema.<br />

Sie werden beim Ausfüllen der Umfrage schnell feststellen,<br />

dass es weder unser Ziel war, eine einheitsmeinung zu präsenten<br />

Fragen der Gegenwart zu finden, noch eine gemeingültige,<br />

moralische oder theoretische Definition<br />

der Freiheit. Nicht das ende der Debatte<br />

streben wir an, sondern deren Beginn!<br />

es müssen hunderte von Meinungen in<br />

der <strong>Neue</strong>nDB existieren und wir wollen<br />

sie alle sichtbar machen. Denn Vielfalt<br />

schafft Spannung, führt zum Diskurs.<br />

einig sollten wir allein in dem Bestreben<br />

sein, den Freiheitsbegriff mit<br />

Leben zu füllen.<br />

academicus 2/2012<br />

das lied<br />

der Freiheit<br />

„Die glücklichen Sklaven<br />

sind die erbittertsten Feinde<br />

der Freiheit.“<br />

marie von ebner-eschenbach<br />

Hoffmann von Fallersleben<br />

Die Umfrage steht ab sofort online zur Verfügung (siehe<br />

Link). Das Ausfüllen dauert keine halbe Stunde. Die Teilnahme<br />

sollte daher für jeden selbstverständlich sein, für den<br />

burschenschaftliches engagement nicht bloß eine hohle<br />

Phrase ist. Wir rechnen also mit reger Beteiligung. einzig:<br />

es muss auch bekannt sein, dass die Umfrage existiert. An<br />

dieser Stelle zählen wir auf Sie, die Leser des academicus. Machen<br />

Sie die Umfrage in Ihrem Umfeld bekannt! Werben Sie<br />

dafür in Ihrem Bund!<br />

Das ergebnis des experiments präsentieren wir auf dem<br />

Burschentag im Sommer 2013.<br />

Es lebe, was auf Erden<br />

nach Freiheit strebt und wirbt<br />

von Freiheit singt und saget,<br />

für Freiheit lebt und stirbt.<br />

Die Welt mit ihren Freuden<br />

ist ohne Freiheit nichts<br />

die Freiheit ist die Quelle<br />

der Tugend und des Lichts.<br />

­<br />

Die Freiheit ist mein Leben<br />

und bleibt es immerfort,<br />

mein Sehnen, mein Gedanke,<br />

mein Traum, mein Lied und Wort.<br />

Es kann, was lebt und webet<br />

in Freiheit nur gedeihn.<br />

Das Ebenbild des Schöpfers<br />

kann nur der Freie sein.<br />

Es lebe, was auf Erden<br />

nach Freiheit strebt und wirbt,<br />

von Freiheit singt und saget,<br />

für Freiheit lebt und stirbt.<br />

Frei will ich sein und singen,<br />

so wie der Vogel lebt,<br />

der auf Palast und Kerker<br />

sein Frühlingslied erhebt.<br />

Fluch sing ich allen Zwingherrn,<br />

Fluch aller Dienstbarkeit!<br />

Die Freiheit ist mein Leben<br />

und bleibt es alle Zeit.<br />

SPeZIAL<br />

„ Heute leben<br />

mehr Sklaven,<br />

als zur Zeit des<br />

transatlantischen<br />

Sklavenmarkts<br />

aus Afrika geraubt<br />

wurden.“<br />

Indien: Kinderarbeit in der Teppichindustrie (Foto: Kindernothilfe­Partner)<br />

vonBernd preiss<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther erlangen (1992)<br />

moDerne sklaverei<br />

Wer glaubt, Sklaverei gebe es<br />

heute kaum mehr, irrt. Heute<br />

„leben mehr Sklaven, als zur<br />

Zeit des transatlantischen Sklavenmarkts<br />

aus Afrika geraubt<br />

wurden“, schreibt Kevin Bales,<br />

US-amerikanischer Soziologe<br />

und einer der führenden Sklaverei-experten.<br />

Bales schätzt,<br />

dass über 27 Millionen Menschen<br />

gewaltsam versklavt und<br />

„ Es ist eine<br />

teuflische<br />

Entscheidung,<br />

vor der diese<br />

Menschen<br />

stehen.“<br />

gegen ihren Willen zum Zweck<br />

der Ausbeutung gefangen gehalten<br />

werden. Offiziell ist die<br />

Sklaverei in der ganzen Welt<br />

abgeschafft. Doch die vorhandenen<br />

Formen moderner Sklaverei<br />

reichen von Kinderarbeit,<br />

Zwangsprostitution und der Re-<br />

krutierung von Kindersoldaten<br />

bis hin zu Leibeigenschaft oder<br />

wirtschaftlicher Ausbeutung.<br />

ermutigend trotz dieser hohen<br />

Anzahl: Der Anteil der Sklaven<br />

an der Weltbevölkerung ist geringer<br />

denn je.<br />

Dennoch gibt es Weltgegenden,<br />

in denen das Problem besonders<br />

groß ist: „Die glaubwürdigsten<br />

Statistiken für Indien beginnen<br />

bei zehn Millionen“, berichtet<br />

Benjamin Skinner (Welt online,<br />

21.11.2008). Skinner ist Journalist<br />

und recherchierte fünf Jahre<br />

lang im weltweiten Sklavenmarkt.<br />

In Indien befänden sich<br />

Menschen in erblicher Schuldknechtschaft,<br />

so Skinner, der als<br />

Beispiel den Schuldner Gonoo<br />

benennt: „er und seine Familie<br />

zerschlagen dort 14 Stunden<br />

am Tag Steine zu Kies und Sand.<br />

Sein Großvater hat einen Kredit<br />

von 62 US-cent aufgenommen,<br />

um die Mitgift seiner Mutter zu<br />

bezahlen. Drei Generationen<br />

und drei Besitzer später lebt die<br />

Familie immer noch in Sklave-<br />

rei“. In Uttar Pradesh oder Bihar<br />

gebe es ganze Dörfer, die nur<br />

aus Sklaven bestünden.<br />

wegwerfwAre<br />

mensch<br />

ein Merkmal der modernen<br />

Sklaverei besteht darin, dass<br />

die Sklaven zur Wegwerfware<br />

werden, sobald der Sklavenhalter<br />

sie nicht mehr brauchen<br />

kann. Im 19. Jahrhundert konnte<br />

man einen gesunden Mann für<br />

rund 30.000 bis 40.000 Dollar<br />

kaufen. Bales setzt den durchschnittlichen<br />

Preis für einen Sklaven<br />

heute mit knapp 20 euro an.<br />

Diese entwicklung hat Folgen<br />

für die Betroffenen: Es rechne<br />

sich nicht mehr für den Sklavenhalter,<br />

einen Zwangsarbeiter zu<br />

behalten, wenn er krank wird.<br />

Der Aufkauf der Sklaven durch<br />

humanitäre organisationen oder<br />

Regierungen ist nach Skinner<br />

keine Lösung. er berichtet: „Im<br />

Jahr 2005 hätte ich in Haiti […]<br />

„Alle<br />

großen<br />

Dinge<br />

sind<br />

einfach, viele<br />

mit einem Wort<br />

zu nennen:<br />

Gerechtigkeit,<br />

Ehre, Freiheit,<br />

Gnade,<br />

Hoffnung.”<br />

sir Winston churchill<br />

„Das<br />

Reich der<br />

Freiheit<br />

beginnt da,<br />

wo Arbeit<br />

aufhört.”<br />

karl marx<br />

academicus 2/2012<br />

35


Fotos: Boris Jelzin – regierungonline/schambeck; Willy Brandt – Bundesarchiv; Bob dylan – heinrich klaffs<br />

36<br />

SPEZIAL<br />

„Einen<br />

Helden<br />

stelle ich<br />

mir vor als<br />

jemanden, der<br />

das Ausmaß<br />

der Veran t ­<br />

wortung<br />

begreift, das<br />

die Freiheit mit<br />

sich bringt.”<br />

Bob dylan<br />

„Wo<br />

die Freiheit<br />

nicht beizeiten<br />

verteidigt<br />

wird, ist sie nur<br />

um den Preis<br />

schrecklich<br />

großer Opfer<br />

zurückzugewinnen.<br />

Hierin liegt<br />

die Lehre des<br />

Jahrhunderts.“<br />

Willy Brandt<br />

„Was wir<br />

haben,<br />

schätzen wir<br />

so lange nicht,<br />

bis es wieder<br />

fort ist. Freiheit<br />

ist so. Sie ist<br />

wie Luft. Wenn<br />

man sie hat,<br />

bemerkt man<br />

sie nicht.”<br />

Boris Jelzin<br />

academicus 2/2012<br />

ein kleines Mädchen für etwa 50<br />

Dollar kaufen können.“ er unterließ<br />

es, weil Sklavenfreikäufe den<br />

Handel zusätzlich ankurbeln.<br />

„Anstatt dieses Mädchen für 50<br />

Dollar zu kaufen, beschloss ich,<br />

mir anzusehen, wo diese Kinder<br />

herkommen und wie sie in die<br />

Hände von Menschenhändlern<br />

geraten. Ich fuhr in ein sehr<br />

abgelegenes Bergdorf namens<br />

Brésilienne. Fast alle Familien<br />

hatten mindestens eines ihrer<br />

Kinder einem Fremden überlassen.“<br />

Verurteilen mag Skinner<br />

diese eltern jedoch nicht. „es ist<br />

eine teuflische Entscheidung, vor<br />

der diese Menschen stehen. Wir<br />

im Westen können leicht sagen:<br />

Gib mir Freiheit oder gib mir<br />

den Tod. ein hübsches Prinzip,<br />

aber es funktioniert nicht mehr<br />

ganz, wenn es um dein Kind<br />

geht. Um die Frage: Soll ich<br />

dabei zusehen, wie es an Hunger<br />

oder einer Krankheit stirbt?<br />

oder den Menschenhändlern<br />

glauben, die versprechen, für<br />

regelmäßige Mahlzeiten und<br />

Schulbildung zu sorgen?“<br />

Schuhputzer in Guatemala<br />

(Foto: Christoph Engel;<br />

Kindernothilfe e.V.)<br />

„ Sie<br />

Skinner begleitete eine der Mütter,<br />

die ihre Tochter zurückholte,<br />

nach Port-au-Prince. „Als<br />

das Mädchen, camsease, in<br />

Sicherheit war, versprach ich<br />

ihrer Mutter, für ihre Schulbildung<br />

aufzukommen. es kostet<br />

84 Dollar im Jahr.“ Skinner<br />

rechnet vor: „Im weltweiten<br />

Durchschnitt kostet es etwa<br />

400 Dollar, um Sklaven auf legalem<br />

Weg zu befreien und sie<br />

hinterher zwei bis vier Jahre zu<br />

begleiten. Wenn wir von 27 Millionen<br />

Sklaven ausgehen, wären<br />

das zehn bis elf Milliarden<br />

Dollar, das ist in etwa das, was<br />

Amerikaner pro Monat<br />

im Irak ausgeben.“<br />

gezieLt verstümmeLt<br />

Die Sklaverei ist kein außereuropäisches<br />

Phänomen. Skinner:<br />

„Ich muss oft an eine junge<br />

Frau in einem Bukarester<br />

Bordell denken. Jemand hatte<br />

versucht, die Zeichen des<br />

Downsyndroms in ihrem Gesicht<br />

zu überschminken, aber<br />

sie weinte so sehr, dass ihr die<br />

Wimperntusche in Bächen die<br />

Wangen hinunterlief.<br />

Am Arm hatte<br />

sie Schnittwunden,<br />

einige waren<br />

gerade erst vernarbt. Sie<br />

muss mehrmals versucht haben,<br />

sich umzubringen, um den<br />

täglichen Vergewaltigungen zu<br />

entgehen. Sechs bis zehn euro<br />

kassiert ihr Zuhälter jeweils<br />

dafür. Ich hätte sie kaufen<br />

können, im Austausch<br />

gegen einenGebrauchtwagen.“<br />

muss mehrmals<br />

versucht haben,<br />

sich umzubringen.“<br />

Verstümmelte Bettler in<br />

Indien. Die Fotografin vermutet<br />

weder Krankheit noch<br />

Unfall, sondern barbarische<br />

Manipulation; es gäbe sogar<br />

Chirurgen, die sich auf<br />

diese Art von Eingriffen spezialisiert<br />

hätten. (Foto und<br />

Copyright: Julia Schäfer)<br />

eine besonders barbarische<br />

Form der Sklaverei ist die Verkrüppelung<br />

von Kleinkindern,<br />

um diese zu umso erfolgreicheren<br />

Bettlern zu machen. Der<br />

oscar-prämierte Film „Slumdog<br />

Millionaire“ berichtet davon.<br />

Dominica Garcia vom Hilfswerk<br />

„International organization<br />

for Migration“ (IoM) bestätigt<br />

für Kambodscha, dass<br />

„Menschenhändler den<br />

Kindern zur ‚Gewinnmaximierung‘<br />

gezielt Arme und<br />

Beine verstümmeln“ (zit. Badische<br />

Zeitung online, 21.6.2012).<br />

Diese Kinder werden nach Thailand<br />

gebracht und nehmen dort<br />

bis zum Zehnfachen dessen ein,<br />

was den ärmsten der Armen<br />

in Kambodscha zur Verfügung<br />

steht. Ab einem Alter von fünf<br />

Jahren verlieren die Kinder jedoch<br />

für ihre Ausbeuter an Wert.<br />

oft beginne dann der Weg in die<br />

Prostitution, so Garcia.<br />

wAs KAnn getAn<br />

werden?<br />

Die Lösung des modernen Sklavenproblems<br />

muss aus den<br />

Gesellschaften kommen. Zwar<br />

ist die Sklaverei überall verbo-<br />

ten, „aber wir können uns nicht darauf<br />

verlassen“, so Skinner. „Zuverlässige<br />

Demokratien wie die USA oder<br />

Deutschland müssen Druck<br />

machen, dass sie auch umgesetzt werden.<br />

Unternehmen müssen dafür sorgen,<br />

dass es keine Produkte aus Sklavenarbeit<br />

in ihrer Lieferkette gibt. Und<br />

ngos Für Freiheit<br />

Amnesty<br />

internAtionAL<br />

Amnesty International (AI) ist sicherlich die bekannteste<br />

Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental organization,<br />

NGo), die sich weltweit für Menschenrechte<br />

einsetzt. AI recherchiert Menschenrechtsverletzungen,<br />

betreibt Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und organisiert<br />

unter anderem Brief- und Unterschriftenaktionen in Fällen<br />

von Folter oder drohender Todesstrafe.<br />

Die organisation wurde 1961 in London von dem Rechtsanwalt<br />

Peter Benenson gegründet. Anlass war die Verurteilung<br />

von zwei Studenten zu sieben Jahren Haft in Portugal.<br />

Die beiden hatten in einem Restaurant in Lissabon auf die<br />

Freiheit angestoßen. In dem damals totalitären Portugal<br />

war die erwähnung des Wortes „Freiheit“ verboten.<br />

www.amnesty.org<br />

Anti-sLAvery internAtionAL<br />

Die in england ansässige organisation Anti-Slavery International<br />

wurde 1839 gegründet und bezeichnet sich als<br />

die älteste internationale Menschenrechtsorganisation. Sie<br />

kämpft weltweit für die Abschaffung der Sklaverei. Sie erforscht<br />

und publiziert zu den Ursachen und Hintergründen<br />

der modernen Sklaverei, übt Druck auf Regierungen und<br />

Unternehmen aus und ermittelt Straftäter.<br />

www.antislavery.org<br />

free the sLAves<br />

Free the Slaves ist eine Schwesterorganisation<br />

von Anti-Slavery International. Free the Slaves<br />

setzt vor allem an den sozialen Wurzeln der modernen<br />

Sklaverei an: Sie bemüht sich, den Menschen<br />

in den gefährdeten Regionen ökonomische chancen,<br />

Gesundheitsvorsorge, Bildung und Rechtsstaatlichkeit zu<br />

bringen, um armen Menschen den Weg in die Sklaverei zu<br />

ersparen.<br />

www.freetheslaves.net<br />

freedom house<br />

alle sollten Vertreter der Zivilgesellschaft<br />

unterstützen, deren<br />

Hilfsprogramme für Sklaven sich<br />

bereits bewährt haben.“<br />

Freedom House tritt für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte<br />

ein und führt Forschungen zu diesen Themen<br />

durch. Die organisation unterstützte unter anderem die<br />

US-Bürgerrechtsbewegung, Dissidenten in der Sowjetunion<br />

und die polnische Solidarność-Bewegung. Sie wurde 1941 in<br />

den USA unter Mitwirkung des damaligen Präsidenten Roosevelt<br />

gegründet, um das amerikanische Volk für das USengagement<br />

im II. Weltkrieg zu gewinnen. Freedom House<br />

wird zum größten Teil von der US-Regierung finanziert.<br />

www.freedomhouse.org<br />

rePorter ohne grenzen<br />

Reporter ohne Grenzen (franz.:<br />

Reporters sans frontières) setzt<br />

sich weltweit für die Pressefreiheit<br />

und gegen Zensur ein. Unter Berufung auf Artikel 19<br />

der Allgemeinen erklärung der Menschenrechte engagiert<br />

sich die organisation unter anderem für aus politischen<br />

Gründen inhaftierte Journalisten. Gegründet wurde die organisation<br />

1985 in Frankreich.<br />

www.reporter­ohne­grenzen.de<br />

soLwodi<br />

Solwodi (Abkürzung von Solidarity<br />

with Women in Distress, dt.: Solidarität mit Frauen<br />

in Not) ist eine Hilfsorganisation zur Betreuung von opfern<br />

von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Sie wurde<br />

1985 von der ordensfrau Lea Ackermann in Mombasa/<br />

Kenia gegründet. Die organisation bietet vor allem in ärmeren<br />

Ländern psychosoziale Betreuung, gesundheitliche<br />

Aufklärung und juristische Beratung und unterstützt Prostituierte<br />

bei ihrem Ausstieg. In Deutschland engagiert sich<br />

Solwodi unter anderem gegen Beziehungsgewalt, Menschenhandel<br />

und Zwangsheiraten.<br />

www.solwodi.de<br />

academicus 2/2012<br />

37


Zum geleit<br />

VeRBANDSLeBeN<br />

KrIse der bursChensChaFt<br />

als ChanCe<br />

Der vorliegende Beitrag von Dr. Gerd Möller bezog sich ursprünglich nicht auf die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung,<br />

sondern auf Möllers damaligen Verband, die <strong>Deutsche</strong> <strong>Burschenschaft</strong> (DB). Wir fanden die „Zehn Empfehlungen“<br />

jedoch so allgemeingültig und lesenswert für alle <strong>Burschenschaft</strong>er, dass wir den Autor baten, uns<br />

eine überarbeitete und an die Allgemeinheit gerichtete Version für den academicus zur Verfügung zu stellen.<br />

Mittlerweile musste Möller seinen Bund, die Alte Breslauer <strong>Burschenschaft</strong> der Raczeks, verlassen. Er gehört<br />

zusammen mit dem bekannten burschenschaftlichen Publizisten Christian J. Becker zu den beiden Alten Herren,<br />

die im September dieses Jahres ausgeschlossen wurden. An unserer Bereitschaft, den Beitrag abzudrucken,<br />

konnte dies selbstverständlich nichts ändern.<br />

Wir hoffen auf intensive und bereichernde Diskussionen der „Zehn Empfehlungen“, gerne über Verbandsgrenzen<br />

hinweg.<br />

academicus-Redaktion und Vorstand der <strong>Neue</strong>n <strong>Deutsche</strong>n <strong>Burschenschaft</strong> e.V.<br />

Die zunehmend krisenhaften Geschehnisse im burschenschaftlichen<br />

Verbindungswesen während der vergangenen<br />

Jahre sollten als große Chance zur übergreifenden<br />

Erneuerung begriffen werden. Nachfolgend werden zehn<br />

Empfehlungen zur dringend notwendigen Kurskorrektur<br />

dargestellt.<br />

1.<br />

AbstAmmung und rAsse soLLten Kein<br />

AufnAhmeKriterium für mit gLieder einer<br />

burschenschAft sein<br />

Das „ius sanguinis“ und das „ius soli“ sind zuerst einmal<br />

gleichwertige Definitionen von Volkszugehörigkeit, die sich<br />

in den modernen Staaten in erster Linie durch den Anspruch<br />

auf einen bestimmten Reisepass manifestieren. Beide Definitionen<br />

haben ihre geschichtlichen und politischen Wurzeln<br />

und bei beiden Definitionen kann man unschwer Fälle<br />

konstruieren, in denen das jeweilige Prinzip zu kurz greift.<br />

Dass das „ius sanguinis“ den sprichwörtlich vaterlandslo-<br />

von dr. gerd MöLLer<br />

ehem. mitglied der alten Breslauer<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der raczeks Bonn (1987)<br />

empFehlunGen Für eIne KursKorreKtur<br />

sen Gesellen des linksliberalen establishments ein Dorn im<br />

Auge ist, da diese mit der Anerkennung der existenz von<br />

Völkern ein Problem haben, muss <strong>Burschenschaft</strong>er nicht<br />

kümmern. Das daraus folgende Argument, dass die Übernahme<br />

eines „ius soli“ automatisch mit einer Aufgabe des<br />

deutschen Volkes gleichzusetzen ist, ist ein Zirkelschluss.<br />

Jedes Prinzip muss an den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten<br />

geprüft werden. In den Festreden wird es oft<br />

beschworen, ohne wirklich beherzigt zu werden: stets eine<br />

neue Form zu finden, ohne den Inhalt zu verfälschen. Beim<br />

„Vermächtnis der <strong>Burschenschaft</strong>“ sind Interpretationen erlaubt.<br />

eine Überprüfung von Bewerbern auf ihre Abstammung<br />

hin oder ein auch nur so empfundenes Vorgehen soll<br />

unterbleiben.<br />

Bei einer Betrachtung des volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffs<br />

muss besonders die deutsche Geschichte berücksichtigt<br />

werden. Zur Gründung der <strong>Burschenschaft</strong> und vor<br />

der bundesdeutschen Wiedervereinigung diente der volkstumsbezogene<br />

Begriff „zu vereinen bzw. wiederzuvereinen“<br />

(FÜR die einheit). Heute wirkt er eher ausgrenzend (einige<br />

gemäß Staatsbürgerschaft <strong>Deutsche</strong> sind nicht wirklich<br />

deutsch nach Abstammung) – GeGeN die „nichtdeutschen<br />

<strong>Deutsche</strong>n“. Ist diese Ausgrenzung wirklich ein Ziel, für das<br />

sich <strong>Burschenschaft</strong>er einsetzen wollen (die „Bewahrer des<br />

deutschen Volkes“)? oder sollten <strong>Burschenschaft</strong>er nicht<br />

vielmehr FÜR die Verwirklichung von aus dem Wahlspruch<br />

– ehre, Freiheit, Vaterland – abgeleiteten Idealen suchen<br />

(zum Beispiel im Sinne des Vaterlandsbegriffs, dass <strong>Deutsche</strong><br />

sich dem deutschen Volke verbunden fühlen – und<br />

dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur diejenigen erhalten,<br />

die z. B. Deutsch lernen und einen Test über Deutschland<br />

bestehen).<br />

2.<br />

die nAtion soLLte ALs demoKrAtische<br />

wiL LensgemeinschAft begriffen werden<br />

Die Frage, wer wir sind, und die nach der nationalen Identität,<br />

dem Nationsbegriff und der Zugehörigkeit zu einer <strong>Burschenschaft</strong>,<br />

sollten als demokratische Willensgemeinschaft<br />

im Sinne des französischen Historikers und orientalisten ernest<br />

Renan (Rede vom 11. März 1882 in der Sorbonne: Was<br />

ist eine Nation?) begriffen werden: Eine Nation ist also eine<br />

große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der<br />

opfer, die man gebracht hat, und der opfer, die man noch zu<br />

bringen gewillt ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus, aber<br />

ist trotzdem in der Gegenwart in einem greifbaren Faktum<br />

zusammengefasst: der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen<br />

Wunsch, das gemeinsame Leben fortzusetzen.<br />

Das Dasein einer Nation ist – erlauben Sie mir dieses Bild<br />

– ein tägliches Plebiszit, wie das Dasein des einzelnen eine<br />

andauernde Behauptung des Lebens ist.<br />

3.<br />

studenten mit einem beKenntnis zur<br />

deutschen demoKrAtischen wiLLens -<br />

gemeinschAft sind wiLLKommen<br />

opfer bringen für eine in der Vergangenheit erprobte Solidargemeinschaft,<br />

wie dies Renan in seinem Begriff der Nation<br />

beschrieb, ist in den westlichen Konsumgesellschaften<br />

nicht populär. Junge Männer, die fähig und willens sind, sich<br />

kulturell und sozial zu integrieren, und sich zu einer deutschen<br />

demokratischen Gemeinschaft bekennen, soll man an<br />

der Verantwortung beteiligen können. Sie sind herzlich willkommen.<br />

Welch glückliche <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung,<br />

die solche Probleme in Zeiten des weltweiten Wettbewerbs<br />

um Talente hat. Solche Studenten sind keine Bittsteller, wenn<br />

sie qualifiziert sind und mitmachen wollen. Die Aufnahme<br />

eines Bewerbers in einen Bund sollte auf dessen Bekenntnis<br />

zum deutschen Volk, zur deutschen Kultur und Sprache und<br />

zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung basieren.<br />

4.<br />

ALLein die innere einsteLLung mAcht<br />

den burschenschAfter Aus, nicht<br />

seine äussere erscheinung<br />

Drehen wir den Spieß auch einmal um: Was soll ein heutiger<br />

junger <strong>Burschenschaft</strong>er darstellen? Dann wünschen<br />

sich <strong>Burschenschaft</strong>en als Aktive ordentliche, selbstbewusste,<br />

eloquente, der Gemeinschaft zugewandte junge<br />

Männer, die eigenständig denken können, fleißig studieren<br />

und ehrenhaft handeln. Sie dürfen keine Angst vor dem akademischen<br />

Fechten haben und müssen die universellen burschenschaftlichen<br />

Grundsätze „ehre, Freiheit, Vaterland“<br />

leben. Das ist ein gewaltiger Leistungskatalog, der hier eingelöst<br />

werden soll. Zudem ist zu bedenken, dass ein junger<br />

Mann nicht einem übergeordneten Dachverband beitritt,<br />

sondern sich von einer bestimmten individuellen Gemeinschaft<br />

der jeweiligen Aktiven angezogen fühlt. Wenn, dann<br />

ist eine gewisse weltanschaulich-intellektuelle Kompatibilität<br />

ausschlaggebend. Allein die innere einstellung macht<br />

den <strong>Burschenschaft</strong>er aus, nicht seine äußere erscheinung.<br />

5.<br />

die soziALe herKunft und die<br />

reLigions zugehörigKeit soLLten<br />

bedeutungsLos sein<br />

Woher sollen nun diese jungen Männer kommen? Wer heute<br />

genetisch-naturwissenschaftliche Belege für eine Überlegenheit<br />

des „ius sanguinis“-Prinzips sucht, begibt sich<br />

schnell in ideologische Luftschlösserei. Das Zusammenspiel<br />

der Determinanten, das den Menschen zu dem einzigartigen<br />

Wesen macht, „das auf etwas aus ist“, ist komplex.<br />

Soviel ist sicher: Weder die Molekularbiologie noch die<br />

Verhaltensforschung liefern heute solide Hypothesen zur<br />

Artvarianz. erkenntnistheoretisch gesellt sich dann noch<br />

das Paradox hinzu, dass der Gegenstand der Untersuchung<br />

gleichzeitig der Untersucher ist. Das stellt die Interpretation<br />

der gewonnenen ergebnisse vor ein zusätzliches Problem.<br />

Die soziale Herkunft und die Religionszugehörigkeit haben<br />

in der <strong>Burschenschaft</strong>lichen Bewegung nie eine ausschließende<br />

Rolle gespielt und beide sind heute bedeutungslos<br />

geworden. Wäre es angesichts der faktischen demografischen<br />

Veränderungen in Deutschland und der hilflosen<br />

Integrationsdebatte nicht eine attraktive Aufgabe für das<br />

burschenschaftliche Verbindungswesen, die übermächtig<br />

beschworene Schicksalsgemeinschaft etwas kleiner<br />

zu schreiben und sich den jungen, leistungsbereiten Neudeutschen<br />

als Gegengewicht zu den Multikulti-Fetischisten<br />

anzubieten? Da könnte die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />

eine vornehme Aufgabe in der Heranbildung von jungen<br />

Studenten übernehmen.<br />

38 39<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


6.<br />

wiLLKommensKuLtur in<br />

burschenschAften ist in<br />

unserer PLurAListischen<br />

reALität überfäLLig<br />

Die Blütezeit von Studentenverbindungen<br />

ist schon lange vorbei. Das burschenschaftliche<br />

Verbindungswesen<br />

muss die Kraft haben, Positionen an<br />

veränderte Realitäten anzupassen.<br />

Wer um die eigene Fehlbarkeit und<br />

auch die politischer entscheidungen<br />

weiß, der ist gefordert, die eigene Position<br />

mit der Realität abzugleichen.<br />

Das Wissen der jungen Studenten,<br />

ihre Ideen und veränderten Sichtweisen<br />

setzen uns vielleicht unter Druck.<br />

Aber dafür entspricht es der pluralistischen<br />

Realität, in der wir leben, weit<br />

mehr als das sture Beharren auf sogenannten<br />

burschenschaftlichen Grundwerten.<br />

es braucht eine Zäsur und<br />

einen Ruck hin zu einer Willkommenskultur<br />

und der Integration innerhalb<br />

aller <strong>Burschenschaft</strong>en. Mag es auch<br />

viel guten Zuredens bedürfen, um die<br />

offensichtlichen Vorzüge aufzuzeigen,<br />

es lässt uns besser werden und damit<br />

können wir alle nur gewinnen.<br />

7.<br />

siLodenKen und rAdi-<br />

KALisierung Aufgeben;<br />

dAmit der seLbstzerstörung<br />

einhALt gebieten<br />

und ein zuKunftsKonzePt<br />

entwicKeLn<br />

Die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />

muss sich proaktiv öffnen, attraktiver<br />

und weltgewandter werden und ein<br />

vernünftiges Zukunftskonzept entwickeln.<br />

Teile der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />

Bewegung betreiben gegenwärtig pures<br />

Silodenken, isolieren und radikalisieren<br />

sich gesellschaftlich durch ihre<br />

Positionen und haben in den vergangenen<br />

Jahren fast alles dafür getan, die<br />

<strong>Burschenschaft</strong> insgesamt zu diskreditieren.<br />

Die als ausländerfeindlich empfundenen<br />

Stimmen in der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />

Bewegung übertönen<br />

Große gesellschaftliche Zusammenhänge<br />

dürfen nicht wie bisher eher unberücksichtigt<br />

bleiben. Isolation ist der<br />

falsche Weg und Ausgrenzung ist kein<br />

attraktives Alleinstellungsmerkmal,<br />

sondern kann ein tödliches Stigma für<br />

die gesamte <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung<br />

werden. Die Grabenkämpfe<br />

zwischen den verschiedenen Flügeln<br />

und organisationen innerhalb des<br />

burschenschaftlichen Verbindungswesens<br />

sollten endlich konstruktiv aufgearbeitet<br />

und es sollte der gemeinsame<br />

Nenner gefunden werden, so es ihn<br />

noch gibt. Das setzt Kompromissbereitschaft<br />

von allen Seiten voraus.<br />

8.<br />

beKenntnis zur freiheit-<br />

Lichen PLurAListischen<br />

geseLLschAft und euro-<br />

Päischen einigung mit<br />

gestALtung eines zeitgemässen<br />

ProfiLs<br />

Die reale Welt ist vielfältiger und kleiner<br />

geworden. Die Angleichung der<br />

europäischen Studienabschlüsse im<br />

Zuge der Bologna-Reform hat einen<br />

echten europäischen Bildungsraum geschaffen.<br />

Bedingung für Innovation ist<br />

der internationale Austausch. Anscheinend<br />

hat sich dies nicht überall herumgesprochen.<br />

Alle Mitglieder burschenschaftlicher<br />

Bünde sollten anerkennen,<br />

dass wir in Deutschland eine freiheitliche<br />

pluralistische Gesellschaft haben.<br />

Die europäische einigung sollte proaktiv<br />

bejaht werden. Die <strong>Burschenschaft</strong>liche<br />

Bewegung muss lernen, was<br />

es heißt, in dieser Welt zu leben und<br />

sich einer solchen zu stellen: der neuen<br />

deutschen pluralistischen Realität.<br />

Nicht den Niedergang Deutschlands<br />

beklagen, Nostalgie und Panikmache<br />

sind zu wenig. Das Selbst- und Fremdbild<br />

von <strong>Burschenschaft</strong>en dürfen nicht<br />

auf einer Berg- und Abgrenzungstradition<br />

gründen. Das Problem kommt<br />

nicht von außen. Wie in der freien Wirtschaft<br />

muss die <strong>Burschenschaft</strong>liche<br />

Bewegung ein eigenes attraktives, aktuelles<br />

und nach vorne gerichtetes bur-<br />

Kernbotschaften und Alleinstellungsmerkmalen<br />

entwickeln, zumal auch die<br />

eigene „Kundschaft“ nicht mehr homogen<br />

ist. 45 Prozent eines Jahrgangs beginnen<br />

inzwischen ein Studium, mehr<br />

denn je zuvor. In wenigen Jahren wird<br />

die Studentenwelle durch doppelte<br />

Abiturjahrgänge an den Universitäten<br />

jedoch wieder abflachen. Deutschland<br />

ist europas Kinderschlusslicht. Die<br />

deutschen Hochschulen und damit die<br />

<strong>Burschenschaft</strong>en haben dann ein weiteres<br />

Problem: Dann gibt es zu wenig<br />

Studenten. Sowohl aufgrund der demografischen<br />

Entwicklung als auch des<br />

Aussetzens der Wehrpflicht ist deshalb<br />

ein tragfähiges und breit innerhalb der<br />

<strong>Burschenschaft</strong>lichen Bewegung abgestimmtes<br />

Zukunftskonzept essentiell.<br />

Sollte dies nicht bald gelingen, verpasst<br />

das burschenschaftliche Verbindungswesen<br />

eine existentielle chance. Die<br />

jetzi gen Funktionäre der verschiedenen<br />

burschenschaftlichen Dachorganisationen<br />

könnten damit unfreiwillig<br />

zu Totengräbern der gesamten <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />

Bewegung werden.<br />

9.<br />

AufgAbe des feindbiLddenKens<br />

und entwicK-<br />

Lung einer externen<br />

AdressAten-strAtegie<br />

Zur Zeit werden andersdenkende Außenstehende,<br />

seien es Parteien, Politiker<br />

oder die Presse, oft nur noch als<br />

Feinde begriffen, anstatt positive und<br />

gesellschaftlich wichtige und sinnvolle<br />

Aktivitäten der gesamten <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />

Bewegung und ihrer verschiedenen<br />

Bünde zu kommunizieren<br />

und in einen konstruktiven Dialog mit<br />

der auch teilweise feindlichen „Außenwelt“<br />

zu treten. Eine effektive, nachhaltige<br />

und breit konsentierte Strategie<br />

aller <strong>Burschenschaft</strong>en zum externen<br />

Adressaten-Management ist hier dringend<br />

gefordert. Hierbei sind eine pragmatische<br />

Anpassung an die Realität<br />

und eine Abkehr vom Feindbilddenken<br />

notwendig. es gilt dabei, die Balance<br />

zu finden zwischen modernem Auf-<br />

rung. Die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung hat die Möglichkeit,<br />

in einer nach links driftenden Gesellschaft ein neues,<br />

liberal-konservatives Profil zu zeigen, das sich nicht am Abstammungsgedanken<br />

aufhängt. Das burschenschaft liche<br />

Verbindungswesen muss interessanter werden, die Gefahr<br />

von allen geliebt zu werden ist dabei gering und Angst davor<br />

wenig zielführend.<br />

10.<br />

burschenschAfter brAuchen<br />

erfAhrungen im richtigen Leben –<br />

es gibt mehr ALs den eigenen bund<br />

und deutschLAnd in der weLt<br />

Bewährungen auf dem Paukboden oder bei Kneipveranstaltungen<br />

des eigenen Bundes sind gut, reichen jedoch bei<br />

weitem nicht. <strong>Burschenschaft</strong>er brauchen erfahrungen im<br />

richtigen Leben. es gibt noch mehr als den eigenen Bund und<br />

Deutschland in der Welt. Reine „Berufsburschenschafter“ und<br />

Gutachten von nicht in einer globalisierten, hochkompetitiven<br />

Welt lebenden Pensionisten oder ehemals Berufstätigen, bei<br />

aller Hochachtung für ihr aufrichtiges und ehrenvolles engagement,<br />

bringen die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung nicht<br />

immer weiter und machen sie nicht zur Avantgarde. Alte<br />

Herren, die sich auf der „freien Wildbahn“ in einer globalen<br />

Arbeitswelt behaupten können, müssen innerhalb des burschenschaftlichen<br />

Verbindungswesens und in ihren eigenen<br />

Bünden lauter werden. <strong>Neue</strong>, unkonventionelle Pfade<br />

müssen beschritten werden, diese beruflich meist stark eingebundenen<br />

und teilweise auch im Ausland lebenden Mitglieder<br />

besser einzubinden. Solch brachliegendes Potenzial<br />

sollte sich die <strong>Burschenschaft</strong>liche Bewegung besser zunutze<br />

machen, um aktuelle Herausforderungen zeitgemäßer<br />

zu bestehen.<br />

in memoriam<br />

christian hÜnemörder<br />

Der langjährige Vorsitzende der Gesellschaft für burschenschaftliche<br />

Geschichtsforschung e.V. (GfbG), Prof. Dr. phil. christian<br />

Hünemörder (Alemannia Bonn 1957), ist am 19. September<br />

2012 nach längerer, schwerer Krankheit in Rickling (Kreis Segeberg)<br />

gestorben.<br />

christian Hünemörder wurde am 25. Juli 1937 in Breslau geboren.<br />

er nahm an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Uni-<br />

von woLfgang eyMann<br />

alania aachen (1955), rugia greifswald (1991)<br />

schatzmeister der gfbg 1983–2011<br />

versität Bonn das Studium der Klassischen Philologie und der<br />

Biologie auf und war nach seiner Promotion über ein kulturgeschichtliches<br />

Thema auch als Historiker ein ausgewiesener<br />

Wissenschaftler. Sein beruflicher Weg führte ihn anschließend<br />

an die Universität Hamburg, wo er sich 1977 habilitierte und<br />

bis 2002 als Professor für die Geschichte der Naturwissenschaften<br />

wirkte.<br />

Schon als Student kam Hünemörder mit der GfbG in Kontakt.<br />

1986 wurde er provisorisch Vorsitzender der GfbG, ein Jahr<br />

später dann endgültig. er blieb es über fast zwei Jahrzehnte<br />

bis Pfingsten 2005. Unter seinem Vorsitz wurden das Erbe von<br />

Herman Haupt, Paul Wentzcke und anderen in ehren gehalten<br />

und beachtliche erfolge erzielt. Zu nennen sind mehrere Bände<br />

der „Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen<br />

einheitsbewegung“, einige Jahresausgaben sowie der<br />

Band I (Politiker) des Biographischen Lexikons der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Burschenschaft</strong>, das der GfbG und damit der <strong>Burschenschaft</strong>lichen<br />

Bewegung in der wissenschaftlichen Welt große Anerkennung<br />

einbrachte. 2005 wurde Hünemörder die Herman-Haupt-<br />

Plakette, 2011 die ehrenmitgliedschaft der GfbG verliehen.<br />

Die GfbG wird die beiden Supplementteilbände 7 und 8 des Biographischen<br />

Lexikons dem Andenken ihres langjährigen Vorsitzenden<br />

widmen, um so für alle Zeit zum Ausdruck zu bringen:<br />

Prof. Dr. christian Hünemörder hat sich in hohem Maße um die<br />

burschenschaftliche Geschichtsforschung verdient gemacht.<br />

40 zunehmend liberale Werthaltungen. schenschaftliches „Marken“-Profil mit treten und massenmedialer Anbiede-<br />

41<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


VeRBANDSLeBeN<br />

ein Studentenwohnheim wird meist<br />

in der Rechtsform eines eingetragenen<br />

Vereins betrieben, welcher häufig<br />

auch als gemeinnützig anerkannt<br />

ist. Der Vorstand des Vereins ist üblicherweise<br />

ehrenamtlich tätig. Dass<br />

er auch als ehrenamtlicher Vorstand<br />

einem gewissen Haftungsrisiko ausgesetzt<br />

ist, wird leider häufig übersehen.<br />

Die Haftungsfallen liegen nicht nur im<br />

Steuerrecht, wenn gemeinnützigkeitsrechtliche<br />

Vorschriften nicht beachtet<br />

werden, sondern auch im Vereins-<br />

oder Mietrecht. Nachfolgend sollen<br />

exemplarisch typische Haftungsfallen<br />

aufgezeigt werden.<br />

Kein „ehrenAmts-bonus“<br />

Das Vereinsrecht weist dem Vorstand<br />

die Stellung des gesetzlichen Vertreters<br />

(§ 26 BGB) zu, so dass er das Handeln<br />

des Vereins zu verantworten hat.<br />

Wenn durch sein Handeln vorsätzlich<br />

oder grob fahrlässig ein Schaden<br />

verursacht wird, haftet er grundsätzlich<br />

auch mit seinem Privatvermögen<br />

(§ 31a BGB). einen „ehrenamts-Bonus“<br />

gibt es hier nicht. Wenn der Wohnheimverein<br />

beispielsweise eine Reinigungskraft<br />

auf Grundlage eines sogenannten<br />

Minijobs beschäftigt, ist der<br />

Vorstand verpflichtet, diese bei der<br />

Minijobzentrale anzumelden und die<br />

Sozialversicherungsabgaben abzufüh-<br />

ren. Er ist weiter verpflichtet, sich zu<br />

vergewissern, dass diese Person keine<br />

weiteren entsprechenden Beschäftigungsverhältnisse<br />

ausübt.<br />

Auch sollte die Satzung des Vereins den<br />

aktuellen erfordernissen genügen. Der<br />

gemeinnützige Verband für Studentenwohnheime<br />

e.V. (VfSt) informiert regelmäßig<br />

seine angeschlossenen Vereine<br />

über erforderliche Satzungsanpassungen.<br />

Auch besteht die Möglichkeit einer<br />

Satzungsüberprüfung durch den VfSt.<br />

ein weiterer Bereich, welcher zu Haftungen<br />

führen kann, ist der Finanzbereich<br />

des Vereins. Der Vorstand verwaltet das<br />

Vereinsvermögen und ist angehalten,<br />

Forderungen des Vereins zu realisieren.<br />

Wenn nun Mieten oder Mitgliedsbeiträge<br />

nicht eingetrieben werden, können<br />

sich daraus Regressansprüche des Vereins<br />

gegenüber dem Vorstand ergeben.<br />

Auch mietrechtliche Vorschriften sollten<br />

dem Vorstand geläufig sein. Trotz<br />

der Tatsache, dass im Bereich des Studentenmietrechts<br />

der Mieterschutz<br />

nicht so weit greift wie im Wohnungsmietrecht,<br />

sind gewisse Vorgaben<br />

zu beachten: Die Kündigung muss<br />

schriftlich erfolgen und darf nicht in<br />

einer Situation vollzogen werden, welche<br />

für den Studenten einen Härtefall<br />

bedeuten würde (beispielsweise in der<br />

examensphase).<br />

Sowohl bei der erstellung des Mietvertrages<br />

als auch bei aufkommenden<br />

Fragen der Abwicklung des Mietverhält-<br />

„ Die<br />

der betrIeb eInes<br />

studentenWohnheIms –<br />

nICht Immer ohne tüCKen<br />

von MichaeL röcken<br />

c! neoborussia Berlin zu Bochum (1995)<br />

Vorstände<br />

von Wohn heimvereinen<br />

sollten<br />

sich der Risiken<br />

bewusst sein.“<br />

und MichaeL hacker<br />

alemannia Bonn (1986)<br />

nisses steht der Verband für Studentenwohnheime<br />

den Vereinen als Ansprechpartner<br />

zur Verfügung und hilft, die<br />

rechtlichen Hürden zu meistern.<br />

nAchversteuerung<br />

bei verLust der<br />

gemeinnützigKeit<br />

Größere Aufmerksamkeit sollte jedoch<br />

dem Gemeinnützigkeitsrecht gewidmet<br />

werden, insbesondere dann,<br />

wenn der Wohnheimverein das Haus<br />

mit einer anderen Körperschaft teilt,<br />

welche nicht gemeinnützig ist. Das ist<br />

die typische Situation bei Studentenverbindungen,<br />

die zusammen mit dem<br />

Wohnheimverein das Haus nutzen.<br />

Hier besteht die Gefahr, dass die nicht<br />

gemeinnützige organisation (Korporation)<br />

oder ihre Mitglieder (Aktivitas)<br />

unzulässigerweise durch den gemeinnützigen<br />

Bereich begünstigt werden.<br />

Dies wäre gemeinnützigkeitsschädlich<br />

und würde zum (ggf. rückwirkenden)<br />

Verlust der Gemeinnützigkeit und damit<br />

zur Nachversteuerung der erlangten<br />

Spenden führen.<br />

eine solche Begünstigung kann unterschiedlich<br />

erfolgen: Wenn der Wohnheimverein<br />

sämtliche Kosten trägt<br />

und die Korporation an den Kosten<br />

nicht beteiligt wird, liegt eine zweckwidrige<br />

Mittelverwendung vor. In welcher<br />

Höhe sich die Korporation an den<br />

Kosten beteiligen muss, hängt von den<br />

Umständen des einzelfalls ab. eine<br />

pauschale Beteiligung an den Kosten<br />

ist nicht ausreichend. Der VfSt ermittelt<br />

für seine angeschlossenen Vereine<br />

diesen Kostenanteil rechtssicher und<br />

prozentgenau.<br />

Die Mitglieder der Korporation werden<br />

begünstigt, wenn sie bevorzugt<br />

ein Zimmer erhalten oder nur eine<br />

geringere Miete zu entrichten haben.<br />

Auch dies ist mit dem Gemeinnützigkeitsrecht<br />

nicht vereinbar. Solche Angebote<br />

finden sich jedoch häufig im<br />

Internet auf den Seiten der jeweiligen<br />

Korporationen.<br />

striKte trennung<br />

der orgAnisAtionen<br />

Um hier eine Vermengung der Interessen<br />

des Wohnheimvereins einerseits<br />

und der Korporation andererseits zu<br />

vermeiden, empfiehlt der VfSt eine<br />

strenge Trennung zwischen den organisationen.<br />

Dies fängt bei der Vorstandsbesetzung<br />

an! Die Vereine sollten<br />

unterschiedliche Personen in den<br />

Vorständen haben. Das ergibt sich<br />

schon aus den gegenläufigen Interessen<br />

der Vereine. Während der eine<br />

Verein die Vermieterposition innehat,<br />

ist der andere Verein Mieter. ein entsprechender<br />

Überlassungsvertrag<br />

zwischen den Vereinen könnte durch<br />

ein und dieselbe Person ohnehin nicht<br />

geschlossen werden (Selbstkontrahierungsverbot<br />

§ 181 BGB).<br />

Der zu überblickende rechtliche Bereich<br />

ist umfangreich. Die Vorstände<br />

von Wohnheimvereinen sollten sich der<br />

Risiken bewusst sein und sich entspre-<br />

Verband für Studentenwohnheime e.V.<br />

(www.vfst­bonn.de)<br />

chend auf ihr<br />

Vorstandsamt vorbereiten.<br />

Bei der Amtsführung sollte<br />

sich der Vorstand professioneller<br />

Hilfe bedienen. Der VfSt unterstützt<br />

seit über 50 Jahren Wohnheimvereine<br />

in dieser Hinsicht und ist als verlässlicher<br />

Ansprechpartner bekannt.<br />

In letzter Zeit ist einigen Wohnheimvereinen<br />

von Korporationen aufgrund von<br />

steuerlichen Vor-ort-Prüfungen die<br />

Gemeinnützigkeit aberkannt worden.<br />

Die betroffenen Wohnheimvereine<br />

waren nicht im Betreuungsverhältnis<br />

des VfSt. Da der VfSt seinen betreuten<br />

Vereinen neben dem Spendeneinzug<br />

auch be-<br />

„ Der zu überblickende<br />

rechtliche Bereich ist<br />

umfangreich.“<br />

ratend zur<br />

Seite steht<br />

und die einhaltung<br />

der<br />

steuerlichen<br />

Bestimmungen<br />

auch vor ort regelmäßig überprüft,<br />

wird durch den Abschluss eines<br />

Betreuungsverhältnisses zwischen<br />

Wohnheimverein und VfSt das Risiko<br />

für die Vorstände der Wohnheimver-<br />

eine kostengünstig minimiert, eine<br />

aufwändige Wiedererlangung der<br />

Gemeinnützigkeit vermieden. Als<br />

„rechtlicher Puffer“ zwischen (gemeinnützigem)<br />

Wohnheimverein und dem<br />

Fiskus reduziert der Verband für Studentenwohnheime<br />

e.V., Bonn das Risiko<br />

für die ehrenamtlichen Vorstände!<br />

Bei Interesse können sich Wohnheimvorstände<br />

oder auch AHV-Vorstände<br />

an den Verband wenden. Zusätzlich<br />

steht als An-<br />

sprechpartner<br />

für alle<br />

Mitglieder<br />

der <strong>Neue</strong>nDB<br />

Vbr. Michael<br />

Hacker (Alemannia<br />

zu Bonn) zur Verfügung.<br />

Bei entsprechendem Interesse führt<br />

der Verband auch Informationsveranstaltungen<br />

(z.B. für die <strong>Neue</strong>DB)<br />

durch.<br />

KontAKt:<br />

• Rechtsanwalt Michael Röcken (Geschäftsführer VfSt)<br />

0228/650890 oder m.roecken@vfst­bonn.de<br />

• Dipl.­Kfm. Michael Hacker (1. stv. Vors. VfSt)<br />

0228/676570 oder familie.hacker­bonn@t­online.de<br />

• www.vfst­bonn.de<br />

42 43<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


GeScHIcHTe<br />

ernest renan:<br />

Was Ist eIne natIon?<br />

Gemeinsam mit Ihnen möchte ich heute eine Idee genauer<br />

beleuchten, die – obwohl sie dem Anschein nach ganz klar zu<br />

sein scheint – doch Anlass zu verhängnisvollen Missverständnissen<br />

gibt.<br />

Die menschliche Gesellschaft existiert in verschiedensten<br />

Ausprägungen: als große Menschenansammlung wie in china,<br />

ägypten oder dem alten Babylonien; als Stadt wie bei den<br />

Athenern und Spartanern; als Vereinigung unterschiedlicher<br />

Länder wie im Karolingischen Reich; als eine Nation wie beispielsweise<br />

Frankreich, england und die meisten anderen freien<br />

Staaten des moder-<br />

nen europas oder als<br />

Konföderation wie etwa<br />

die Schweiz und Amerika<br />

– all diese Formen<br />

existieren noch immer<br />

oder existierten bereits<br />

einmal. Und wenn man<br />

sich nicht in eine missliche<br />

Lage bringen möchte,<br />

sollte man diese<br />

Formen auch nicht miteinander<br />

verwechseln.<br />

Heute begeht man jedoch oftmals einen Fehler, der noch<br />

schwerer wiegt: Man verwechselt Rasse und Nation und<br />

spricht den ethnischen oder besser den sprachlichen<br />

Gruppen eine Souveränität wie die eines Volkes zu.<br />

Versuchen wir also nun gemeinsam, über solch schwierige<br />

Fragen nachzudenken, bei denen schon die geringste<br />

Unklarheit über den Sinn der Worte zu gefährlichen<br />

Irrtümern führen kann. Was wir vorhaben ist delikat. es<br />

ähnelt einer Vivisektion: Wir behandeln die Lebenden<br />

so, wie man gewöhnlich mit Toten umgeht. Und dabei<br />

werden wir völlig kalt und unparteiisch an das Thema<br />

herangehen.<br />

i.<br />

„ Gemeinsam<br />

Großes<br />

vollbracht zu haben<br />

und es noch<br />

voll brin gen zu<br />

wollen – das ist<br />

die wesentliche<br />

Voraussetzung für<br />

ein Volk.“<br />

AUSZUG AUS eINeM VoRTRAG AN DeR SoRBoNNe VoM 11. MäRZ 1882<br />

„ Heute<br />

begeht man<br />

einen noch<br />

schwerwiegenderen<br />

Fehler:<br />

Man verwechselt<br />

Rasse und<br />

Nation.“<br />

Nationen sind in der Geschichte etwas ziemlich <strong>Neue</strong>s.<br />

Das Altertum kannte sie nicht: ägypten, china oder das<br />

alte chaldäa waren in keinster Weise Nationen. es gab<br />

keine ägyptischen Staatsbürger, ebenso wenig wie chinesische.<br />

Athen, Sparta und Sidon waren Zentren von großem<br />

Patriotismus mit jedoch kleinem Territorium. Auch<br />

das Assyrische Reich, das Persische Reich oder das Reich<br />

Alexanders des Großen waren keine Vaterländer.<br />

erst die germanische Völkerwanderung schuf das Prinzip,<br />

das später zur Grundlage einer Nation wurde. Was also<br />

taten die germanischen Völker vor ihren großen Invasionen<br />

im 5. bis zu den letzten normannischen eroberungen im 10.<br />

Jahrhundert? Den Kern der Rassen veränderten sie kaum.<br />

Aber großen Teilen des alten Römischen Westreichs erlegten<br />

sie Dynastien und einen Militäradel auf. Diese Teile des Reiches<br />

trugen fortan die Namen der eindringlinge: Frankreich,<br />

Burgund oder Lombardei.<br />

Der Vertrag von Verdun (aus dem Jahr 843 – Anm. d. Red.)<br />

legte die schließlich geltenden Grenzen fest. Seither sind<br />

Frankreich, Deutschland, england, Italien und Spanien auf<br />

vielen Umwegen und Abenteuern zu ihrer vollen nationalen<br />

existenz aufgebrochen. Doch was macht diese verschiedenen<br />

Staaten nun wirklich aus? es ist die Verschmelzung der<br />

Bevölkerung. In den genannten Ländern entspricht nichts<br />

dem, was man in der Türkei vorfindet: Dort sind Türken, Slawen,<br />

Griechen, Armenier, Araber, Syrer und Kurden auch heute<br />

noch so unterschiedlich wie am Tag der eroberung.<br />

„Frankreich“ wurde zum Namen eines Landes, in das nur eine<br />

kaum wahrnehmbare Minderheit von Franken eingedrungen<br />

war. Im 10. Jahrhundert jedoch waren alle Bewohner Frankreichs<br />

Franzosen. Der Unterschied zwischen Adel und Untertanen<br />

wurde so stark wie möglich betont, doch dieser Unterschied<br />

besteht keinesfalls in der Rasse.<br />

Genauso verlief es nach fast allen normannischen eroberungen.<br />

eine oder zwei Generationen später unterschieden sich<br />

die Normannen nicht mehr von der übrigen Bevölkerung.<br />

Dennoch war ihr Einfluss groß: Sie hatten dem eroberten<br />

„ Eine Nation ist eine Seele,<br />

ein geistiges Prinzip.“<br />

Land Adel, militärische Gewohnheiten und Patriotismus gebracht,<br />

die zuvor nicht vorhanden waren.<br />

es macht das Wesen einer Nation aus, dass alle Individuen<br />

etwas miteinander gemein haben; aber auch, dass sie viele<br />

Dinge vergessen haben. Kein Franzose weiß, ob er Burgunder,<br />

Alane oder Westgote ist. es gibt in Frankreich keine zehn<br />

Familien, die ihre fränkische Herkunft beweisen können, und<br />

auch wenn sie dazu in der Lage wären, wäre dieser Beweis<br />

wegen jener vielen unbekannten Kreuzungen unvollständig,<br />

die jedes genealogische System durcheinanderbringen.<br />

Die moderne Nation ist also das historische ergebnis einer<br />

Reihe von Tatsachen, die in dieselbe Richtung weisen. Mal<br />

wurde die einheit durch eine Dynastie verwirklicht, wie im<br />

Falle Frankreichs, mal durch den Willen der Provinzen, wie<br />

im Falle Hollands, der Schweiz und Belgiens, und mal durch<br />

einen Geist, der erst spät über die Launen des Feudalwesens<br />

triumphierte, wie im Falle Italiens und Deutschlands.<br />

Doch was ist eine Nation? Warum ist Holland eine Nation, Hannover<br />

oder das Großherzogtum Parma sind es jedoch nicht? Wie<br />

kommt es, dass Frankreich noch immer eine Nation ist, obwohl<br />

das Prinzip, welches sie erst entstehen ließ, längst verschwunden<br />

ist? Wie kommt es, dass die Schweiz mit drei Sprachen, zwei<br />

Religionen und drei oder vier Rassen eine Nation ist, während<br />

beispielsweise die homogene Toskana keine ist? Warum ist Österreich<br />

ein Staat, aber keine Nation? Worin unterscheidet sich<br />

das Nationalitätenprinzip von dem Prinzip der Rasse?<br />

44 45<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

ii.<br />

Man muss sich eingestehen, dass eine Nation ohne dynastisches<br />

Prinzip bestehen kann. Das alte Prinzip, das nur das<br />

Recht der Fürsten kannte, gilt nicht mehr: Jenseits des Fürstenrechts<br />

gibt es das Völkerrecht. Doch auf welchem Kriterium<br />

fußt es, an welchem Zeichen ist es zu erkennen, von welchen<br />

Tatsachen abzuleiten?<br />

1. „Von der Rasse“, antworten viele mit Bestimmtheit. Diese<br />

begründe nämlich ein Recht, eine Legitimität. Doch dabei<br />

handelt es sich um einen schwerwiegenden Irrtum.<br />

Versetzen wir uns in das Römische Reich hinein. Zunächst<br />

von Gewalt geformt, dann von Interessen zusammengehalten,<br />

fügte diese Ansammlung von völlig verschiedenen<br />

Städten und Provinzen der Idee der Rasse einen schweren<br />

Schlag zu. Das christentum mit seinem Universalismus<br />

wirkt noch stärker in diese Richtung. entgegen allem Anschein<br />

war der einfall der Barbaren ein weiterer Schritt auf<br />

diesem Weg. Die barbarischen Reiche haben keine ethnografische<br />

Gemeinsamkeit; sie sind abhängig von Stärke<br />

oder Laune der eindringlinge. Die Rasse der von ihnen<br />

unterworfenen Bevölkerung war für sie die gleichgültigste<br />

Sache der Welt. Karl der Große schuf auf seine Weise noch<br />

ein zweites Mal, was Rom bereits geschaffen hatte: ein einziges,<br />

aus den verschiedensten Rassen bestehendes Reich.<br />

Auch im weiteren Mittelalter waren die Grenzverschiebungen<br />

genauso frei von jedem ethnografischen Einfluss.<br />

Frankreich ist keltisch, iberisch, germanisch. Deutschland<br />

ist germanisch, keltisch und slawisch. Und Italien ist das<br />

Land mit der verwirrendsten Ethnografie: Gallier, Etrusker,<br />

Pelasger, Griechen, nicht zu sprechen von einer Reihe anderer<br />

elemente, verbinden sich dort zu einem unentwirrbaren<br />

Geflecht. Britannien weist eine Mischung aus keltischem<br />

und germanischem Blut auf, dessen Anteile ungeheuer<br />

schwer zu bestimmen sind.<br />

Die Wahrheit ist, dass es keine reine Rasse gibt und dass<br />

die Politik einem Trugbild aufsitzt, wenn sie sich auf eine<br />

ethnografische Analyse beruft. Die edelsten sind Länder<br />

wie england, Frankreich oder Italien, in denen das Blut am<br />

stärksten gemischt ist. Ist Deutschland in dieser Hinsicht<br />

eine Ausnahme? Ist es ein rein germanisches Land? Welche<br />

Illusion! Der gesamte Süden war einst gallisch, der ganze<br />

osten, von der elbe an, ist slawisch. Und sind die Teile, die<br />

angeblich rein sind, das wirklich?


Man hat nicht das Recht, in der Welt umherzugehen und<br />

die Schädel der Leute auszumessen, um sie dann beim<br />

Kragen zu packen und ihnen zu sagen: „Du bist unser Blut.<br />

Du gehörst zu uns!“ Jenseits der anthropologischen Merkmale<br />

gibt es die Vernunft, die Gerechtigkeit, das Wahre<br />

und das Schöne, die für alle dieselben sind. Bedenken<br />

Sie, dass eine ethnografische Politik nicht verlässlich sein<br />

kann. Heute setzt Ihr sie gegen andere ein, morgen werdet<br />

Ihr erleben, dass sie sich gegen euch selbst wendet.<br />

Ist es sicher, dass die <strong>Deutsche</strong>n, die die Flagge der ethnografie<br />

so hoch gehisst haben, nicht eines Tages miterleben<br />

werden, wie die Slawen die Spuren der Wilzen und<br />

der obodriten erkunden und Rechenschaft fordern für die<br />

Gemetzel und massenhaften Verkäufe, die ihren Ahnen<br />

von den ottonen angetan wurden? es ist für alle gut, vergessen<br />

zu können.<br />

2. Was wir über die Rasse gesagt haben, trifft auch auf die<br />

Sprache zu. Sie lädt dazu ein, sich zu vereinen, aber zwingt<br />

niemanden dazu. Die Vereinigten Staaten und england<br />

oder das spanische Amerika und Spanien sprechen jeweils<br />

dieselben Sprachen. Sie bil-<br />

„ Ist Deutschland ein rein<br />

germanisches Land?<br />

Welche Illusion!“<br />

den dennoch keine Nation.<br />

Im Gegenteil: Die Schweiz,<br />

die so wohlgelungen ist, weil<br />

sie einst durch Übereinkunft<br />

ihrer verschiedenen Teile entstand, zählt drei oder vier<br />

Sprachen. Beim Menschen gibt es etwas, was der Sprache<br />

übergeordnet ist: der Wille. Der Wille der Schweiz, trotz<br />

der Vielfalt der Sprachen eine einheit zu bilden, ist eine viel<br />

bedeutsamere Tatsache als eine oft nur mühsam erlangte<br />

ähnlichkeit.<br />

Die politische Bedeutung, die man den Sprachen beimisst,<br />

ergibt sich daraus, dass man sie als Zeichen der Rasse ansieht.<br />

Doch das ist eindeutig falsch! In Preußen, wo heute<br />

nur noch Deutsch gesprochen wird, herrschte noch vor<br />

ein paar Jahrhunderten das Slawische vor; das Land der<br />

Gallier spricht englisch; Gallien und Spanien sprechen die<br />

ursprüngliche Sprache der Alba Longa; ägypten spricht<br />

Arabisch – die Beispiele sind nicht zu zählen.<br />

Wiederholen wir es noch einmal: Die Grenzen der indoeuropäischen,<br />

der semitischen und der anderen Sprachen,<br />

die die vergleichende Sprachwissenschaft mit so bewundernswertem<br />

Scharfsinn ausmachte, decken sich nicht<br />

mit den einteilungen der Anthropologie. Sprachen sind<br />

historische Gebilde, die wenig über das Blut derer aussagen,<br />

die sie sprechen. Jedenfalls sollten sie die menschliche<br />

Freiheit nicht fesseln, wenn es darum geht, jene<br />

Gemeinschaft zu bestimmen, mit der man sich auf Leben<br />

oder Tod verbindet.<br />

3. Auch die Religion bietet keine hinreichende Basis für eine<br />

moderne Nation. es gibt keine Staatsreligion mehr, man<br />

kann Franzose, engländer oder <strong>Deutsche</strong>r sein und dabei<br />

Katholik, Protestant oder Israelit oder sich aber gar keiner<br />

Religion zugehörig fühlen. Die Religion ist zur Angelegenheit<br />

des einzelnen geworden, sie geht nur das eigene Gewissen<br />

an. Mit den Gründen, nach denen die Grenzen der<br />

Völker gezogen werden, hat sie fast nichts mehr zu tun.<br />

4. Die Gemeinschaft der Interessen ist sicherlich ein starkes<br />

Band zwischen den Menschen. Doch reichen Interessen<br />

aus, um eine Nation zu bilden? Ich glaube nicht. Die Gemeinschaft<br />

der Interessen schließt Handelsverträge. Die<br />

Nationalität jedoch hat eine Gefühlsseite, sie ist Seele und<br />

Körper zugleich. ein Zollverein ist kein Vaterland.<br />

5. Die Geografie, also das, was man die „natürlichen Grenzen“<br />

nennt, hat ohne Zweifel einen großen Anteil an der<br />

einteilung der Nationen. Sie ist einer der wesentlichen Faktoren<br />

der Geschichte dafür. Aber kann man glauben, dass<br />

die Grenzen einer Nation auf der Karte eingetragen sind?<br />

Und dass eine Nation das Recht hat, gewisse Konturen zu<br />

begradigen, etwa an dieses Gebirge heranzurücken oder<br />

an jenen Fluss, dem man eine begren-<br />

zende Kraft zuspricht? Ich kenne keine<br />

willkürlichere, keine verhängnisvollere<br />

Theorie. Mit ihr lässt sich jede Gewalt<br />

rechtfertigen.<br />

es ist auch nicht der Boden, der eine Nation ausmacht.<br />

eine Nation ist ein geistiges Prinzip, das aus tiefen Verwicklungen<br />

der Geschichte hervorgeht, eine geistige Familie.<br />

Nicht jedoch eine Gruppe, die von der Gestalt des<br />

Bodens bestimmt wird.<br />

Wir haben gesehen, dass folgende Faktoren nicht genügen,<br />

ein solches geistiges Prinzip zu schaffen: die Rasse, die Sprache,<br />

die Interessen, die religiöse Verwandtschaft, die Geografie<br />

und die militärischen Notwendigkeiten. Was also braucht<br />

es mehr? Nach dem bisher Gesagten brauche ich Ihre Aufmerksamkeit<br />

nun nicht mehr lange in Anspruch zu nehmen.<br />

iii.<br />

eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip. Zwei Dinge,<br />

die in Wahrheit eine einheit bilden, machen diese Seele, dieses<br />

geistige Prinzip aus. eines davon gehört der Vergangenheit<br />

an, das andere der Gegenwart. Beim einen handelt es sich<br />

um den gemeinsamen Besitz eines reichen erbes an erinnerungen.<br />

Beim anderen um das gegenwärtige einvernehmen,<br />

den Wunsch zusammenzuleben, den Willen, das erbe hochzuhalten,<br />

welches man ungeteilt empfangen hat.<br />

Wie der einzelne, so ist auch die Nation der endpunkt einer<br />

langen Vergangenheit von Anstrengungen, von opfern und<br />

von Hingabe. Die Verehrung der Ahnen ist von allen Kulten am<br />

legitimsten. Die Ahnen haben uns zu dem gemacht, was wir<br />

sind. eine heroische Vergangenheit, große<br />

Männer, Ruhm (ich meine den wahren<br />

Ruhm) – das ist das Kapital, worauf<br />

eine nationale Idee gründet. Gemeinsamer<br />

Ruhm in der Vergangenheit, ein<br />

gemeinsames Wollen in der Gegenwart,<br />

gemeinsam Großes vollbracht zu haben<br />

und es noch vollbringen zu wollen – das<br />

sind die wesentlichen Voraussetzungen<br />

für ein Volk. Man liebt – bis zu einem<br />

gewissen Maße – die opfer, die man<br />

gebracht hat, die Übel, die man erlitten<br />

hat. Man liebt das Haus, das man<br />

gebaut hat und das man vererbt. Das<br />

spartanische Lied: „Wir sind, was ihr<br />

gewesen seid; wir werden sein, was ihr<br />

seid“, ist in seiner einfachheit die kurzgefasste<br />

Hymne jedes Vaterlandes.<br />

In der Vergangenheit ein gemeinsames<br />

erbe von Ruhm und von Reue erlangt zu<br />

haben, gemeinsam gelitten, sich gefreut,<br />

gehofft zu haben und in der Zukunft ein<br />

gemeinsames Ziel zu verwirklichen –<br />

das ist mehr wert als gemeinsame Zölle<br />

und Grenzen. Das sind Dinge, die man<br />

ungeachtet der Unterschiede von Rasse<br />

und Sprache versteht. Ich habe soeben<br />

gesagt: „Gemeinsam gelitten zu haben“.<br />

Ja, das gemeinsame Leiden eint mehr<br />

als die Freude. Die nationalen erinnerungen<br />

und die Trauer wiegen mehr als<br />

die Triumphe, denn aus ihnen erwachsen<br />

Pflichten, sie erfordern gemeinsame<br />

Anstrengungen.<br />

eine Nation ist also eine<br />

große Solidargemeinschaft,<br />

getragen von<br />

dem Gefühl der opfer,<br />

die man gebracht<br />

hat, und der opfer, die<br />

man noch zu bringen gewillt ist. Sie<br />

setzt eine Vergangenheit voraus, aber<br />

trotzdem ist sie in der Gegenwart in<br />

etwas Greifbarem zusammengefasst:<br />

der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen<br />

Wunsch, das gemeinsame<br />

Leben fortzusetzen. Das Dasein einer<br />

Nation ist – erlauben Sie mir dieses<br />

Bild – ein tägliches Plebiszit, wie das<br />

Dasein des einzelnen eine andauernde<br />

Behauptung des Lebens ist.<br />

Die Nationen sind nichts ewiges. Sie<br />

haben einen Anfang, sie werden unwillkürlich<br />

auch einmal enden. Die europäische<br />

Konföderation wird sie wahrscheinlich<br />

ablösen. Aber das ist nicht<br />

das Gebot des Jahrhunderts, in dem<br />

wir leben. Gegenwärtig ist die existenz<br />

der Nationen gut, sogar notwendig.<br />

Ihre existenz ist nämlich die Garantie<br />

der Freiheit, die verloren wäre, wenn<br />

die Welt nur ein einziges<br />

Gesetz und einen einzigen<br />

Herrn hätte.<br />

Mit ihren verschiedenen<br />

Fähigkeiten, die einander<br />

oft sogar entgegengesetzt<br />

sind, dienen die<br />

Nationen dem gemeinsamen Werk der<br />

Zivilisation. Alle tragen zu dem großen<br />

Konzert der Menschheit eine Note bei,<br />

das als Ganzes die höchste ideale Realität<br />

ist, an die wir heranreichen.<br />

Ich fasse zusammen: Der Mensch ist<br />

weder der Sklave seiner Rasse, sei-<br />

Ernest Renan (1823–1892) war ein französischer Schriftsteller, Historiker<br />

und Religionswissenschaftler. Er schuf 1882 mit seinem Vortrag „Was ist<br />

eine Nation?“ („Qu‘est­ce qu‘une nation?“) an der Pariser Sorbonne einen<br />

Klassiker des politischen Denkens. In seiner Jugend begeisterte sich Renan<br />

für den deutschen Idealismus. Doch während Autoren wie Fichte die Nation<br />

durch Rasse, Kultur oder Sprache definieren, steht für Renan das Bewusstsein<br />

eines Volkes im Vordergrund, „gemeinsam Großes vollbracht zu haben<br />

und es noch vollbringen zu wollen“.<br />

ner Sprache, seiner Religion noch des<br />

Laufs der Flüsse oder der Richtung der<br />

Gebirgsketten. eine große Ansammlung<br />

von Menschen gesunden Geistes<br />

und warmen Herzens ruft ein Moralbewusstsein<br />

hervor, das sich Nation<br />

nennt. In dem Maße, wie dieses Moralbewusstsein<br />

seine Kraft beweist, durch<br />

die opfer, die der Verzicht des einzelnen<br />

zugunsten der Gemeinschaft fordert,<br />

ist die Nation legitim, hat sie ein<br />

Recht zu bestehen. Wenn sich Zweifel<br />

am Verlauf ihrer Grenzen regen, dann<br />

soll die Bevölkerung selbst befragt<br />

werden. Sie hat durchaus das Recht,<br />

darüber zu urteilen. Das mögen jene<br />

vielleicht belächeln, die über der Politik<br />

stehen, jene Unfehlbaren, die von<br />

der Höhe ihrer erhabenen Prinzipien<br />

mitleidig auf unsere Bodenständigkeit<br />

herabsehen. „Das Volk befragen, welche<br />

Dummheit! Das sind jene schwächlichen,<br />

französischen Ideen, die die<br />

Diplomatie und den Krieg durch eine<br />

kindliche Vereinfachung ersetzen<br />

wollen.“ Warten wir es ab, lassen wir<br />

die Herrschaft dieser Metapolitiker<br />

vorübergehen, ertragen wir die Geringschätzung<br />

der Starken. Vielleicht<br />

wird man nach fruchtlosen Versuchen<br />

auf unsere maßvollen empirischen Lösungen<br />

zurückkommen. Wenn man in<br />

der Zukunft Recht behalten will, dann<br />

muss man sich manchmal damit abfinden,<br />

dass man aus der Mode ist.<br />

46 47<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

„ Die<br />

Nationen sind nichts<br />

Ewiges. Die europäische<br />

Konföderation wird sie<br />

wahrscheinlich ablösen.“<br />

„ Wenn man in der Zukunft<br />

Recht behalten will, dann<br />

muss man sich manchmal<br />

damit abfinden, dass man<br />

aus der Mode ist.“<br />

Ernest Renan (1823–1892)


GeScHIcHTe<br />

von arnuLf BauMann<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1951)<br />

Aus unseren reihen:<br />

„KaIser“ und Gelehrter<br />

Karl Von hase (1800–1890)<br />

„ Dann holte ihn die Demagogenverfolgung<br />

ein – seine ‚Kaiserzeit’<br />

war vorüber.“<br />

Karl August (seit 1883: von) Hase gehörte zu den führenden<br />

Köpfen der frühen <strong>Burschenschaft</strong> und hat<br />

auch in seinem späteren Berufsleben Bedeutendes<br />

geleistet; er wurde eine Leuchte der Universität Jena.<br />

Hase stammte aus einer alten Pastoren­ und Gelehrtenfamilie<br />

des sächsisch­thüringischen Raums. Geboren wurde<br />

er am 25. August 1800 im Pfarrhaus von (Nieder­)Steinach<br />

bei Penig im Erzgebirge, schon im dritten Lebensjahr<br />

verlor er seinen Vater. Danach wurden Hase und seine<br />

Geschwister auf verschiedene Familien aufgeteilt. Unter<br />

bescheidenen äußeren Umständen – er musste mehrfach<br />

den Wohnort wechseln – durchlief er die Schulzeit. Er entwickelte<br />

dadurch seine Fähigkeiten zur Anpassung an veränderte<br />

Umstände und im Umgang mit Menschen. Früh<br />

zeigte sich auch Hases rednerische und schriftstellerische<br />

Begabung, er verließ das Gymnasium in Altenburg als Primus.<br />

In seinen Berufsplänen schwankte er zunächst zwischen<br />

Jura, Theologie und Schriftstellerei.<br />

in der LeiPziger burschenschAft<br />

Im Herbst 1818 kam Hase zum Studium nach Leipzig, wo er sich<br />

nach kurzem Zögern in Theologie einschrieb. Dem Vorbild älterer<br />

Schulfreunde folgend, trat er in die <strong>Burschenschaft</strong> ein, die damals<br />

mehrere hundert Studenten umfasste. Wegen Mittellosigkeit<br />

musste er zwar wieder austreten, hielt jedoch weiter Kontakt.<br />

Nach einem Jahr wieder eingetreten, wurde er in den Vorstand<br />

gewählt. Dort griff er den Gedanken eines allgemeinen Burschentages<br />

auf und machte sich selbst auf die Wanderschaft, um die<br />

<strong>Burschenschaft</strong>en in erlangen, Tübingen, Heidelberg, Bonn,<br />

Würzburg, Jena und Berlin einzuladen und weitere einladungen<br />

weiterzugeben. Der Dresdner Burschentag kam 1820, als<br />

gesellige Zusammenkunft getarnt, mitten in der Stadt zusammen<br />

und dauerte sechs Tage. Es war das erste Treffen der<br />

<strong>Burschenschaft</strong>er nach dem Wartburgfest. Dabei wurde die<br />

enthaltung von aktiver politischer Betätigung als gemeinsame<br />

Linie festgelegt.<br />

1820 Sprecher geworden, hatte er Verhandlungen mit den<br />

wieder erstandenen Landsmannschaften (corps) zu führen,<br />

die mit einem Abkommen zur eindämmung der Duelle endeten.<br />

Die Verbindungen lebten damals in Leipzig ziemlich<br />

offen, doch erreichten die Karlsbader Beschlüsse von 1819<br />

gegen die <strong>Burschenschaft</strong>en schließlich auch diese Universität.<br />

Hase wurde wegen Beteiligung am Dresdner Burschentag<br />

verhaftet und nach einiger Zeit im Karzer 1821<br />

zum Verlassen der Universität genötigt.<br />

studium in erLAngen<br />

Hase wandte sich nach erlangen, seiner Gewohnheit nach<br />

wieder zu Fuß, und trat der dortigen <strong>Burschenschaft</strong> bei,<br />

übernahm allerdings zunächst kein Amt, um sein Studium zu<br />

intensivieren. Er war nämlich der Auffassung, dass Studentenleben<br />

und ernsthaftes Studium sich nicht ausschließen<br />

dürfen. Ganz konnte er sich aber auch hier nicht entziehen.<br />

Als es zu Verhandlungen mit den corps kam, war er beteiligt;<br />

diese führten zwar zu keinem Abkommen, aber zu einem<br />

besseren Umgang miteinander. Beim zweiten Allgemeinen<br />

Burschentag in Streitberg in der Fränkischen Schweiz<br />

nahm er als Abgesandter der erlanger <strong>Burschenschaft</strong> teil.<br />

Außerdem wurde er in einen Geheimbund, den sogenannten<br />

„Jünglingsbund“, aufgenommen, der für eine änderung<br />

der politischen Verhältnisse in Deutschland eintreten sollte.<br />

Hase sprach sich allerdings gegen jede Gewaltanwendung<br />

aus, wurde aber von nun an als Mitglied betrachtet, was<br />

sich später als verhängnisvoll erweisen sollte.<br />

KAiserfAhrt nAch bubenreuth<br />

Welch geachtete Stellung Hase mittlerweile in der erlanger<br />

<strong>Burschenschaft</strong> gewonnen hatte, wurde bei einem Ausflug<br />

in die alte Reichsstadt Nürnberg deutlich, wo er angesichts<br />

der mittelalterlichen Pracht dieser Stadt von den sieben<br />

Mitfahrern, den „Kurfürsten“, zum „Kaiser“ gewählt wurde.<br />

In seinen 1872 erschienenen Jugenderinnerungen „Ideale<br />

und Irrtümer“ bezeichnete er dies – nicht ohne Stolz – als<br />

einen „langathmigen Scherz“, der sich mit „Krönungsfesten,<br />

Reichstagen und Revolutionen“ über längere Zeit hinzog.<br />

Zum Höhepunkt wurde im Februar 1822 eine große Schlittenfahrt<br />

nach Bubenreuth, dem alten Versammlungsort<br />

Hase stammte aus einer alten Pastoren­ und<br />

Gelehrtenfamilie.<br />

der erlanger <strong>Burschenschaft</strong>er. Mithilfe von Kostümen aus<br />

dem Theaterfundus und anderen Quellen wurde ein Fastnachtsspiel<br />

mit großem Hofstaat inszeniert, das den Glanz<br />

des Heiligen Römischen Reiches <strong>Deutsche</strong>r Nation mit viel<br />

Witz und doch auch tiefem ernst zur Anschauung brachte,<br />

präsidiert von Hase als „Kaiser Karl der Rothbart“. Hier wurden<br />

die burschenschaftlichen Träume einer Wiederherstellung<br />

des Reichs in romantischer Weise in Szene gesetzt, was<br />

nicht nur bei den Teilnehmern selbst, sondern auch unter<br />

der erlanger Bevölkerung noch lange als außerordentliches<br />

ereignis in erinnerung blieb.<br />

Als bald danach Schlägereien zwischen Studenten und<br />

Handwerksburschen ausbrachen und die Studenten daraufhin<br />

fast vollständig in die alte Nürnberger Universitätsstadt<br />

Altdorf auszogen, war es wieder Hase, der zusammen mit<br />

anderen die Verhandlungen mit dem Universitätssenat über<br />

eine ehrenvolle Rückkehr der Studenten nach erlangen erfolgreich<br />

zum Abschluss brachte und den Zug der Rückkehrer<br />

mit anführte. Hase war eine weithin bekannte Persönlichkeit<br />

geworden.<br />

Dann holte ihn erneut die Demagogenverfolgung ein. Wegen<br />

Beteiligung am Dresdner Burschentag und dem Verdacht,<br />

an der Spitze der <strong>Burschenschaft</strong> gestanden zu haben, wurde<br />

er im August 1822 auch in erlangen der Universität verwiesen.<br />

er konnte noch seinen kaiserlichen Hofstaat feierlich<br />

entlassen und wurde mit einem festlichen Geleit der Studenten<br />

verabschiedet – die „Kaiserzeit“ war vorüber.<br />

48 49<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


PrivAtdozent in tübingen<br />

– ALs „hochverräter“ Auf<br />

dem hohenAsPerg<br />

Die akademische Verfolgung schien<br />

seine Laufbahn zunächst nicht zu stören.<br />

Hase machte sein theologisches<br />

examen in Dresden und wandte sich<br />

danach – auf einer Fußreise – nach<br />

Tübingen, weil ihm die damals übliche<br />

Hauslehrertätigkeit bis zum Antritt der<br />

ersten Pfarrstelle nicht zusagte. In Tübingen<br />

wurde er ohne Schwierigkeiten<br />

promoviert und begann eine akademische<br />

Tätigkeit als Privatdozent. Seinen<br />

Lebensunterhalt verdiente Hase sich mit<br />

der Schriftstellerei. erste Vorlesungen<br />

hielt er über den Hebräerbrief und das<br />

Leben Jesu.<br />

Daraus hätte eine Professorenlaufbahn<br />

entstehen können. Doch setzte wieder<br />

eine Untersuchung wegen seiner Mitwirkung<br />

am Streitberger Burschentag ein,<br />

die 1824 vor allem auf seine Zugehörigkeit<br />

zum „Jünglingsbund“ konzentriert<br />

wurde, der von der Mainzer Untersuchungskommission<br />

für besonders staats-<br />

„ Hase hatte stets seine<br />

gewaltfreie Position<br />

betont, aber sich<br />

standhaft geweigert,<br />

Mitverschwörer zu<br />

nennen.“<br />

gefährlich gehalten wurde, obgleich er<br />

zu keiner Zeit irgendwelche Aktivität<br />

entfaltet hatte. Hase wurde im württembergischen<br />

Staatsgefängnis Hohenasperg<br />

bei Ludwigsburg eingekerkert und<br />

schließlich zu zwei Jahren Festungshaft<br />

verurteilt. er hatte stets seine gewaltfreie<br />

Position betont, aber sich standhaft<br />

geweigert, Mitverschwörer zu nennen.<br />

er akzeptierte das Urteil, reichte<br />

aber gleichzeitig ein Gnadengesuch ein,<br />

in dem er seine friedlichen Absichten<br />

betonte. erst im August 1825 wurde er<br />

nach über einem Jahr nicht allzu schwerer<br />

Haft begnadigt, zugleich aber aus<br />

Württemberg ausgewiesen.<br />

über LeiPzig<br />

nAch JenA<br />

Anschließend kehrte<br />

Hase wieder nach Leipzig<br />

zurück und begann,<br />

sich in das dortige Universitätslebeneinzufügen.<br />

Nach einer feierlichen<br />

Disputation 1827<br />

konnte er hier wieder als<br />

Privatdozent tätig sein –<br />

bis er am 25. Juni 1829<br />

als außerordentlicher<br />

Professor der Theologie<br />

nach Jena berufen wurde,<br />

wo er von da an seine<br />

Wirkungsstätte hatte, ab<br />

1836 dann als ordentlicher<br />

Professor.<br />

Hase besaß die Gabe,<br />

komplizierte Sachverhalte übersichtlich<br />

und eingängig darzustellen, und<br />

er wusste zu repräsentieren. Bereits<br />

1838 war er zum ersten Mal Prorektor<br />

der Universität Jena und wurde es danach<br />

noch vier Mal. er betätigte sich<br />

auf vielen Gebieten der Theologie,<br />

vor allem aber in der Kirchengeschichte<br />

und in der Darstellung des<br />

Lebens Jesu. Die Gesamtausgabe<br />

seiner wissenschaftlichen Werke<br />

umfasst zwölf Bände. Hinzu kamen<br />

Gelegenheitsschriften unterschiedlicher<br />

Art, von Reiseberichten aus<br />

Italien über Schriften über politische<br />

und kirchenpolitische Tagesfragen<br />

(vor allem im Gefolge des Jahres<br />

1848, im „großdeutschen“ Sinne) bis<br />

hin zu einem „Liederbuch des deutschen<br />

Volkes“.<br />

Hase war einer der bekanntesten<br />

Theologen seiner Zeit, gehörte jedoch<br />

keiner bestimmten Richtung an und<br />

begründete auch selbst keine Schule.<br />

er blieb zeitlebens der freiheitlichen<br />

Grundstimmung seiner Jugendjahre<br />

verpflichtet und vertrat diese innerhalb<br />

von Kirche und Wissenschaft.<br />

Jedoch machte er wie weite Kreise des<br />

damaligen Bürgertums seinen Frieden<br />

mit der Reichsgründung von 1871.<br />

Hase wurde 1883 zum Wirklichen Geheimen<br />

Rat ernannt und in den Adelsstand erhoben.<br />

Die stärkste Wirkung erzielte Hase<br />

durch seine „Kirchengeschichte“, die zu<br />

seinen Lebzeiten elf Auflagen erreichte,<br />

und seine „Geschichte Jesu“, die<br />

ähnlich erfolgreich war. Hinzu kommt<br />

sein „Handbuch der protestantischen<br />

Polemik gegenüber der römisch-katholischen<br />

Kirche“, das trotz seines kämpferischen<br />

Titels ein „Buch des Friedens“<br />

war. Heute sind seine Werke allerdings<br />

weithin vergessen.<br />

Hase wurden als einem der bedeutendsten<br />

Repräsentanten seiner Universität<br />

zahlreiche ehrungen zuteil; er erhielt ehrendoktoren<br />

theologischer, philosophischer<br />

und juristischer Fakultäten, wurde<br />

Jenaer ehrenbürger, wurde geadelt und<br />

zu seinem 100. Geburtstag wurde ihm<br />

ein Denkmal errichtet.<br />

Zu den <strong>Burschenschaft</strong>en und anderen<br />

Verbindungen seiner Universität<br />

pflegte Hase ein gleichmäßig korrektes<br />

Verhältnis. Jedoch nahm er 1886 das<br />

ehrenphilisterium der <strong>Burschenschaft</strong><br />

der Bubenreuther an.<br />

Die freiheitliche Tradition blieb in seiner<br />

Familie lebendig. Sein enkel Paul von<br />

Hase nahm als Stadtkommandant von<br />

Berlin Anteil am Attentat des 20. Juli<br />

1944 und wurde am 8. August 1944 in<br />

Berlin-Plötzensee hingerichtet.<br />

rezension zur<br />

Biografie von Horst Baier<br />

Als engagierter <strong>Burschenschaft</strong>er<br />

lässt sich der emeritierte<br />

ordinarius für Soziologie an<br />

der Universität Konstanz, Horst Baier,<br />

in seinen erinnerungen erkennen.<br />

Sie erschienen jüngst unter dem Titel<br />

„Lebensstationen unter den Forderungen<br />

des Tages“. Dabei kann Baier als<br />

Zeitzeuge der Geschichte der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Burschenschaft</strong> von 1953 bis<br />

heute viele Details schildern. Nach<br />

dem Abitur in Nürnberg trat er im<br />

Sommersemester 1953 in die erlanger<br />

<strong>Burschenschaft</strong> Germania ein. Schon<br />

als Schüler, so bekennt der Autor,<br />

habe er im Geschichtsunterricht von<br />

der Gründung der Urburschenschaft<br />

und vom Wartburgfest 1817 gehört<br />

und sei stolz auf das Hambacher Fest<br />

gewesen, bei dem am 27. Mai 1832<br />

erstmals die schwarz-rot-goldene Fahne<br />

als Symbol einer demokratischen<br />

Republik gehisst wurde.<br />

bitterer streit<br />

mit dem vAter<br />

ein Klassenkamerad, bei den Bubenreuthern<br />

aktiv, nahm Baier mit zur<br />

Samstag-Kneipe in Bubenreuth, aber<br />

angetan hatte es Baier das germanistische<br />

contra das arministische Prinzip.<br />

Seinem eintritt in die Germania gingen<br />

bittere Streitigkeiten mit dem Vater<br />

voraus, „der entschieden gegen die<br />

national-liberale <strong>Burschenschaft</strong> eingestellt<br />

war“ (S. 88). „Der junge Germane<br />

war ein eifriger Fux, dem man<br />

den Namen ‚Super’ verpasste […]. Die<br />

Zeit des Fuxen und des Jungburschen<br />

war die schönste seines Lebens, nur<br />

vergleichbar der zukunftsfrohen Brautzeit<br />

[…]“(S. 89). Als Sprecher zweier<br />

VoN hans peter schMidt<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1952)<br />

und alemannia Bonn<br />

aufeinanderfolgender Semester konnte<br />

er 24 Füxe aufnehmen und daran<br />

mitwirken, dass das von Amerikanern<br />

besetzte und anschließend vom Dekanat<br />

der Juristischen Fakultät erlangens<br />

benutzte Germanenhaus wieder an die<br />

eigentlichen Besitzer zurückging.<br />

An den Zitaten kann man erkennen,<br />

dass Baier seine erinnerungen in der<br />

dritten Person niederschreibt. Meistens<br />

wählt er dafür das Personalpronomen<br />

„er“. Lediglich im Kapitel mit<br />

dem Titel „Professoren“, das seine bedeutende<br />

wissenschaftliche Laufbahn<br />

und seine speziellen Arbeitsgebiete<br />

schildert sowie den Dank an seine akademischen<br />

Lehrer und Wegbegleiter<br />

beinhaltet, spricht er von sich selbst<br />

als „Horst Baier“ und meidet so auch<br />

dort das „Ich“.<br />

bittere trennung von<br />

der germAniA nAch<br />

südtiroLAffäre<br />

In die am ende höchst erfolgreiche<br />

akademische Laufbahn startete Horst<br />

Baier mit dem Studium der Juristerei,<br />

wechselte aber schon nach einem Semester<br />

zu Medizin und Philosophie.<br />

Nach dem Physikum in erlangen wechselte<br />

er die Universität und ging nach<br />

München. Dort „überraschte ihn die<br />

Nachricht, dass sein Bund, die erlanger<br />

Germania, ‘Sprengstoffanschläge<br />

zur Befreiung Südtirols vom italienischen<br />

Joch vorbereitete‘“ (S. 93).<br />

Die damit verbundenen ereignisse bei<br />

den Germanen und in der <strong>Burschenschaft</strong><br />

insgesamt schildert der Autor<br />

ausführlich. Heute erinnern sich wohl<br />

nur noch Zeitzeugen wie Baier an<br />

die Tirolaffäre. Er schreibt: „Bei der<br />

50 51<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012<br />

ReZeNSIoN<br />

„ Die Zeit des<br />

Fuxen und des<br />

Jungburschen<br />

war die schönste<br />

seines Lebens.“


Germania brach ein Aufstand los“.<br />

eine Abspaltung war die Folge. Fünf<br />

oder sechs Germanen gründeten die<br />

„Sieglitzhofer Germania“ (Sieglitzhof,<br />

ursprünglich eine selbstständige Gemeinde,<br />

ist ein Stadtteil erlangens mit<br />

der historischen exkneipe der Germanen).<br />

Unter ihnen war Horst Baier.<br />

Wie tief ihn die Trennung von der Germania<br />

traf, beschreibt der Konstanzer<br />

Hochschullehrer Baier so: „Unter seinen<br />

Studenten verwand er allmählich<br />

die erlittene enttäuschung und den<br />

Schmerz des nötigen Abschieds von<br />

der erlanger Germania, die so würdelos<br />

die Folgen der Südtirolaffaire aus<br />

ihrer Verantwortung weggeschoben<br />

hatte“ (S. 99).<br />

„Die Südtirolaffaire verfolgte den jungen<br />

Mann bis in seine wissenschaftliche<br />

Laufbahn“ (S. 96). Weiter im Zitat<br />

an gleicher Stelle: „Als der eben Habilitierte<br />

einen Ruf auf den Adorno-<br />

Lehrstuhl in Frankfurt bekam, las er zu<br />

seinem entsetzen bösartige Darstellungen<br />

in Zeitungen über dessen Rolle<br />

im Kampf um Südtirol“. Damit sind wir<br />

bei den wissenschaftlichen Lebensstationen<br />

Horst Baiers. Nach dem medizinischen<br />

examen und der Promotion in<br />

München zog es ihn immer stärker zur<br />

Philosophie, die ihn schon als Schüler<br />

beschäftigt hatte. orientierung suchte<br />

er auch bei Martin Heidegger. Die<br />

Entscheidung fiel für die Soziologie.<br />

Danach folgte die Habilitation in diesem<br />

Fach in Münster. Die nächste Station<br />

war Dortmund, wo Baier an der<br />

Sozialforschungsstelle als Assistent<br />

von Helmut Schelsky und damit an<br />

der Neugründung einer Universität in<br />

Bielefeld mitarbeitete. es folgten die<br />

„konfliktbeladenen Jahre am Frankfurter<br />

Institut für Sozialforschung“ und<br />

schließlich die Berufung zum ordinarius<br />

für Soziologie an der neu gegründeten<br />

Universität Konstanz.<br />

mAssgebLicher<br />

för derer der rheno-<br />

ALemAnniA in KonstAnz<br />

Während Baiers Professorenzeit in<br />

Konstanz wurde in der Bodenseestadt<br />

mit starker Unterstützung der<br />

dortigen VaB eine <strong>Burschenschaft</strong><br />

gegründet. Unter den Förderern war<br />

Baier maßgebend. Der junge Bund<br />

heißt Rheno-Alemannia. Im Zusammenhang<br />

mit seiner Schilderung von<br />

deren Gründung erinnert Baier an<br />

seinen einsatz und seine Begeisterung<br />

für das studentische Mensurfechten,<br />

war er doch selbst als Germane in erlangen<br />

auf diesem Feld eine gewichtige<br />

Figur und hatte beim Burschentag<br />

1954 in Regensburg als Vordenker des<br />

„Süddeutschen Kartells“ für die Pflichtmensur<br />

plädiert. Unterstützt übrigens<br />

vom Roten Verband, als dessen Wortführer<br />

in Regensburg Reiner Klimke<br />

auftrat, der spätere olympiasieger<br />

im Dressurreiten, damals Aktiver der<br />

Hallenser <strong>Burschenschaft</strong> der Pflüger<br />

zu Münster.<br />

Horst Baier, Lebensstationen unter der Forderung des Tages, Hartung­<br />

Gorre­Verlag, Konstanz 2011, ISBN 978­3­86628­370­1, 145 Seiten, vier<br />

ganzseitige Farbfotos von Dorothea Baier­Jars.<br />

„ Die Südtirol affaire<br />

verfolgte Baier bis in seine<br />

wissenschaftliche Laufbahn.“<br />

Zu lesen ist das alles im Kapitel „<strong>Burschenschaft</strong><br />

– Jugendfrische und Lebensnöte“.<br />

Darin betont der Autor<br />

auch seine Freundschaft zu Bubenreuthern,<br />

insbesondere die zu Dieter<br />

Haack, dem ehemaligen Bundesminister,<br />

dessen Lebenslauf er stichwortartig<br />

nachzeichnet. Auch die Aufenthalte<br />

des Autors in der Bubenreuther<br />

Gaststätte Mörsbergei und auf dem<br />

Bubenreutherhaus in erlangen werden<br />

mehrfach erwähnt.<br />

So etwa im Zusammenhang mit einem<br />

Kolloquium der <strong>Neue</strong>nDB ende Januar<br />

1999. Baier griff damals noch als Sieglitzhofer<br />

Germane in die Debatte um<br />

eine Reform der <strong>Burschenschaft</strong> ein.<br />

Seine Ausführungen erschienen zusammengefasst<br />

in der „Bubenreuther<br />

Zeitung“. Das wurde auch andernorts<br />

gelesen. Baier erhielt danach die ehrenvolle<br />

einladung, am 2. Mai 2002,<br />

zur 170-Jahr-Feier des Hambacher<br />

Festes, auf dem Hambacher Schloss<br />

seine Gedanken vorzutragen. Sein<br />

programmatisches Thema hieß: „eine<br />

Zukunft in europa – mit Blick zurück<br />

zur alten <strong>Burschenschaft</strong>“. Schriftlich<br />

erschienen bisher wohl nur in der<br />

Verbindungszeitschrift der Freiburger<br />

<strong>Burschenschaft</strong> Teutonia. Das gilt es<br />

zehn Jahre später für den academicus<br />

nachzuholen.<br />

52 53<br />

academicus 2/2012 academicus 2/2012


SApErE AudE!<br />

Europas Erbe als Auftrag<br />

Freiburger Stiftung zur Förderung<br />

eines kantischen Weltbürger-Ethos<br />

»Sapere aude!«<br />

Wage es,<br />

Vernunft walten<br />

zu lassen!<br />

Mutige, unabhängige, kritisch-aufklärende<br />

Öffentlichkeitsarbeit für ein Weltbürger-Ethos<br />

im Dienste von Frieden, Menschenrechten,<br />

Demokratie und Umwelt.<br />

Freiburger Kant-Stiftung c/o Berthold Lange,<br />

Im Gaisbühl 4, 79294 Sölden<br />

www.kantstiftung.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!