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Kapitel 4 Zur beson<strong>de</strong>ren Problematik <strong>de</strong>s Rechts in <strong>de</strong>r Pluralität <strong>de</strong>r Postmo<strong>de</strong>rne<br />
„Die konstruktivistischen Freiheiten wer<strong>de</strong>n in sozialen Praktiken, Routinen und<br />
Institutionen offensichtlich durch eine Ethik begrenzt, <strong>de</strong>ren Grundlagen zumin<strong>de</strong>st<br />
in einer negativen Ausgrenzung von Übergriffen gegen An<strong>de</strong>re bestehen: gegen Ge-<br />
walt, Verdinglichung, Übergriffe auf ein Min<strong>de</strong>stmaß an Selbstbestimmung“<br />
(REICH 1998b, 287).<br />
Dennoch bleibt <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen auch ein problematischer<br />
Begriff: er bleibt Verständigung einer Gemeinschaft – in diesem Falle also mögli-<br />
cherweise <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Gesellschaft – und ist als solcher unscharf. In einem Streit-<br />
gespräch zwischen Kersten REICH und Holger BURCKHART äußert sich REICH<br />
zum Begriff <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong>: „Ich halte es für problematisch, aus <strong>de</strong>m Konstrukt<br />
<strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> nun eine anthropologische Grundgröße zu machen, aus <strong>de</strong>r dann<br />
naturalistisch die Menschenrechte abgeleitet wer<strong>de</strong>n“ (BURCKHART / REICH<br />
2000, 183).<br />
Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Abtreibung drückt <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen<br />
nur begrenzten Konsens aus; in <strong>de</strong>r Frage nach Sterbehilfe wird <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wür-<br />
<strong>de</strong> sowohl als Argument gegen Sterbehilfe, als auch als Argument für ein „men-<br />
schenwürdiges Sterben“ gebraucht.<br />
Vielleicht liegt aber auch gera<strong>de</strong> darin ein Vorteil dieses Begriffes: Er nötigt da-<br />
zu, ihn immer wie<strong>de</strong>r neu zu bestimmen, immer wie<strong>de</strong>r neu und immer wie<strong>de</strong>r kon-<br />
kret 38 über seine Be<strong>de</strong>utung zu diskutieren. Gleichzeitig bleibt er Erinnerung an das,<br />
was wir eben nicht wissen, son<strong>de</strong>rn nur konstruieren können.<br />
Gera<strong>de</strong> als solcher Begriff, <strong>de</strong>r unsicher und unscharf bleibt, eignet sich <strong>de</strong>r Beg-<br />
riff <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> auch als Grundlage eines auf Ein<strong>de</strong>utigkeit und Sicherheit<br />
bedachten Systems wie das <strong>de</strong>s Rechts.<br />
Der Begriff ‚Menschenwür<strong>de</strong>’ ist zu<strong>de</strong>m nicht ein rein juristischer Begriff son-<br />
<strong>de</strong>rn ebenso in an<strong>de</strong>ren Kontexten gebräuchlich: in <strong>de</strong>r <strong>Behin<strong>de</strong>rte</strong>npädagogik, in <strong>de</strong>r<br />
Philosophie, Medizin, aber auch in vielen alltäglichen Situationen, in <strong>de</strong>nen er nicht<br />
explizit wird, aber als Anspruch erlebt wird.<br />
‚Menschenwür<strong>de</strong>’ bleibt als Grundlage unseres Rechtssystems eben nicht „Leer-<br />
formel“ (KONDYLIS, zit. nach SCHILD 1998, 1544), son<strong>de</strong>rn ist Anspruch, rechtli-<br />
38 Dies ist z.B. sinnvoll im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n sich ständig verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n und erweitern<strong>de</strong>n Möglichkeiten<br />
im Bereich <strong>de</strong>r Gentechnologie (vgl. z.B. HONNEFELDER 1994; RIES 1997, 74-75).<br />
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